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Das Zimmer, welches auch als Speisesaal benutzt zu werden schien, war ganz nach europäischer Art mit Tischen und Stühlen möbliert. Der Neufundländer war gleich nach seinem Eintritte nach einem der Tische gegangen und auf einen Stuhl gestiegen; das Glas hatte er vor sich hingesetzt. Da saß er nun, mit dem Tornister auf dem Rücken, sah unverwandt in das leere Bierseidel und ließ dabei ein ungeduldiges Knurren hören. Er war vom »Geldbriefträger von Ninive« her gewöhnt, daß das Glas sofort gefüllt werde.
Der Methusalem erklärte den Polizisten, daß man ihrer Hilfe nicht bedürfe, worauf sie sich entfernten. Dann nahmen die vier Reisenden an dem Tische Platz, den der Hund für sie eingenommen hatte. Degenfeld erkundigte sich, ob man Bier bekommen könne, und erhielt eine bejahende Antwort.
»So bringen Sie uns vier gute Schlucke!« befahl er. »Wir haben Durst.«
Die Kellner rannten alle von dannen, um dieser Weisung Gehorsam zu leisten. Nur der Wirt blieb zurück. Er postierte sich in ehrerbietiger Entfernung und verwandte kein Auge von den vier Leuten, deren Herkommen und Lebensstellung selbst ihm ein Rätsel war.
Da trat ein neuer Gast herein, dessen Person ganz geeignet war, die Blicke der Anwesenden auf sich zu ziehen.
Der Mann war nicht hoch, aber so dick, daß er wohl seit Jahren seine eigenen Füße nicht hatte sehen können. Sein Körper war ein ungeheurer Fleischklumpen zu nennen, welcher sich nur langsam fortbewegen zu können schien. Das glatt rasierte, runde Vollmondsgesicht glänzte in dunkler Röte. Ebenso auffällig wie seine Gestalt war seine Kleidung. Er trug Hose, Weste und Jacke von seinem, weißem Linnen. Die letztere war so kurz, daß die gewaltige Halbkugel des Bauches zur vollsten Geltung kam. Die Füße steckten in niedrigen chinesischen Schuhen mit vier Zoll hohen Filzsohlen. Um den Bauch – denn Taille konnte man unmöglich sagen, und von Hüften war auch keine Rede – trug er eine rotseidene Schärpe, aus welcher der eingelegte, kostbare Griff eines malaiischen Kris hervorblickte. Der Schädel bildete eine einzige große, haarlose Platte, welche kaum halb von einer kleinen, schwarz und weiß karrierten, schottischen Mütze bedeckt wurde, von der zwei lange, breite, ebenso gefärbte Schleifen bis auf den Rücken herabhingen. Zwei lange Flinten, welche sich hinten und deren Riemen sich vorn über der Brust kreuzten, hingen ihm auf dem Rücken. Ueber die beiden Läufe dieser Gewehre war eine schwarze, wohlgefüllte und sorgfältig zugeschnallte Ledertasche gehängt, und in der Rechten trug er einen chinesischen Sonnenschirm von solcher Größe, daß eine ganze Familie unter demselben Platz finden konnte.
»Goeden dag, mijne Heeren!« grüßte er in breiter, holländischer Sprache. »Het is tijd, dat wij aan tafel gaan!« Das heißt zu deutsch: »Guten Tag, meine Herren! Es ist Zeit, daß wir zu Tische gehen!«
Das war eine ganz eigene Art und Weise, zumal er die Anwesenden dabei gar nicht anblickte und, ohne sie zu beachten, mit kleinen, gewichtigen Blicken auf den nächsten Tisch zusteuerte. Der Wirt schien ihn zu kennen, denn er stürzte dienstfertig herbei, schob unter mehreren tiefen Verbeugungen zwei Stühle zusammen, da der Gast auf nur einem nicht genügend Platz gefunden hätte, nahm ihm die Tasche, die beiden Flinten und den Regenschirm ab und plazierte diese Gegenstände mit zarter Sorgfalt in der Nähe des Gastes.
Ueber das Gesicht des Methusalem war beim Anblicke und bei dem Gruße dieses Mannes ein heiteres Lächeln geglitten. Er erhob sich, machte eine Verneigung und antwortete in lustigem Tone: »Neemt plaats; maakt geene Komplimenten; doet als of gij thuis waart – setzen Sie sich; machen Sie keine Umstände; thun Sie, als ob Sie zu Hause wären!«
Jetzt erst blickte der Dicke zu den Vieren herüber. Er musterte sie einige Sekunden lang, zog dann die haarlosen Brauen zusammen und sagte zu dem höflichen Methusalem: »Zij zijn een ongelukkige nijlpaard – Sie sind ein unglückliches Nilpferd!«
Dann krachte er seufzend auf die zwei Stühle nieder und gähnte, als ob er die halbe Atmosphäre einschlucken wolle.
»En zij zijn een dick stekelvarken – und Sie sind ein dickes Stachelschwein!« rief der Student ihm lachend zu.
»Zij schaap – Sie Schaf!« antwortete der Dicke verächtlich.
»Zij neushoorn – Sie Nashorn!« warf der Methusalem zurück.
»Zij – zij – zij papegaai – Sie Papagei!« donnerte der Dicke.
»Zij hooi-hofd – Sie Heukopf!« lachte Degenfeld.
Da stand der Dicke aus, streckte beide Fäuste aus und brüllte mit überschnappender Stimme: »Zij dor vlammetje, zij droogen kleermaker – Sie dürres Streichhölzchen, Sie trockener Schneider. Zij – zij – zij – – –«
Er kam nicht weiter. Der Neufundländer hatte das feindselige Verhalten des Dicken bemerkt, war von seinem Stuhle gestiegen und kam langsam auf ihn zugeschritten. Bei ihm angekommen, richtete er sich auf, legte ihm die Pfoten auf die Achseln, zeigte die Zähne und knurrte ihm warnend in das rote Gesicht, als ob er sagen wolle: »Du, nun ist's genug, sonst bekömmst du es mit mir zu thun!«
Dem Bedrohten blieb das beabsichtigte Schimpfwort im Munde stecken. Er ließ sich auf seine Stühle niedersinken, wodurch der Hund wieder vierfüßig zu stehen kam, und rief wider alles Erwarten dem Wirte zu: »Ik heb Honger; gevt mij eene soep en kalfsvleesch – ich habe Hunger; geben Sie mir eine Suppe und Kalbfleisch!«
Das sah so komisch aus und klang so drollig, daß die vier andern in ein lautes Gelächter ausbrachen. Der Hund zog die Oberlippe in Falten, als ob er in dieses Lachen einstimmen wolle, und kehrte schweifwedelnd zu seinem Herrn und auf seinen Stuhl zurück. Als der Dicke sich nicht mehr von dem Tiere bedrängt sah, wendete er sich um und rief in zornigem Tone: »Mijne Heeren, ik zoude mij schaamen, zoo dom de lagchen. Eet gij liefst een vleesch of en eyeren-koek; dit is buiten twijfel beter dan dit ondeugende foeikzen – meine Herren, ich würde mich schämen, so dumm zu lachen. Essen Sie lieber ein Fleischernes oder einen Eierkuchen; dies ist ohne Zweifel besser als dieses nichtsnutzige Feixen!«
Diese geharnischte Rede hatte nur ein vermehrtes Gelächter zur Folge, was den Dicken so erboste, daß er, vorher tief Atem holend, die Lachenden mit wahrer Donnerstimme anfuhr: »Mijne heeren, gij zijt slecht, gij zijt slechter, gij zijt de allerslechtsten; gij zijt myne vyanden; gij – gij – gij zijt vier zuuren aapen – meine Herren, Sie sind schlecht, Sie sind schlechter, Sie sind die allerschlechtesten; Sie sind meine Feinde; Sie – Sie – Sie sind vier saure Affen!«
Es läßt sich denken, daß die Lacher durch diese Donnerworte nicht in eine ernstere Stimmung versetzt wurden.
»Herrlich, herrlich!« rief Gottfried von Bouillon; »dat ist jeradezu kostbar; dat ist jöttlich! Sie sind der ausjezeichnetste Mijnheer, der mich jemals vorjekommen ist! Aber ich bitt Ihnen, schonen Sie Ihre fette Konstitution, sonst könnten Sie gar leicht zerplatzen. Man sieht den Leberthran Ihnen schon jetzt aus allen Poren schwitzen!«
Der Holländer wollte auf diese Beleidigung antworten; da aber brachte einer der Kellner ihm die verlangte Suppe, und er zog es vor, dieser seine Aufmerksamkeit zu widmen. Er knurrte nur noch: »Eene soep is beter dan zoo een bedorven schaap – eine Suppe ist besser als so ein verdorbenes Schaf!«
Er warf dem Gottfried eine verächtliche Handbewegung zu, knüpfte sich die Serviette um den Hals und begann dann, seine Suppe mit so schmatzendem Wohlbehagen zu essen, daß es klang, als ob ein halbes Dutzend »Varken« (Ferkel) am Troge säßen.
Dann wurde das Kalbfleisch gebracht. Er griff mit beiden Händen nach dem Teller, roch die Portion prüfend an, gab durch ein freundliches Nicken zu erkennen, daß der Duft ihm behage und befahl: »Gevt tnij een stuk ossevleesch met erwten en zuurkool – geben Sie mir ein Stück Ochsenfleisch mit Erbsen und Sauerkraut!«
Den vier Zuschauern war es zweifelhaft, ob man hier in China Erbsen oder gar Sauerkohl bekommen könne. Der Holländer schien aber die Leistungen der Hotelküche genau zu kennen, denn eben als er das Kalbfleisch verzehrt hatte, wurde ihm der verlangte zweite Gang gebracht. Er beroch auch diesen, nickte wieder freundlich und bestellte: »Gevt mij een gebraden varkenvleesch met mierook en gebaken peeren – geben Sie mir Schweinebraten mit Meerrettich und gebackenen Birnen!«
Als auch dies dann gebracht wurde, verlangte er »hamelsbout met salade«, Hammelsbrust mit Salat, dann »eend met spinazie en knoslook«, Ente mit Spinat und Knoblauch, später »zeevisch met gebaken pruimen«, Seefisch mit gebackenen Pflaumen. Dann zuletzt begehrte er zum Nachtische »zeekreesten, boter, kaas en een grooten kelk brandewijn«, Seekrebse, Butter, Käse und einen großen Kelch Branntwein.
Die Portionen waren so reichlich, daß eine einzige derselben hingereicht hätte, einen gewöhnlichen Esser zu sättigen, dieser Dicke aber machte, als er fertig war, ein Gesicht, als ob er noch immer Appetit verspüre. Er legte die Hände an den Leib und betastete denselben prüfend. Und wirklich schien er eine noch leere Stelle entdeckt zu haben, denn er begehrte nach kurzem Nachdenken noch »een brood met worst en mostaard«, ein Brot mit Wurst und Senf.
Die Mahlzeit hatte ihn so in Anspruch genommen, daß seine Aufmerksamkeit nur ein einziges Mal von derselben abgewichen war. Dies geschah, als den vier andern Gästen das verlangte Bier gebracht wurde.
Der Methusalem hatte für jeden einen guten Schluck bestellt, infolgedessen der Kellner vier ganz kleine Fläschchen brachte, welche nicht einmal ein drittel Liter faßten. Der dienstbare Geist glaubte, seine Sache gut gemacht zu haben; Degenfeld aber öffnete eines, goß den Inhalt desselben in sein Studentenglas, führte dasselbe an den Mund, leerte es in einem Zuge bis auf die Nagelprobe, setzte es ab und befahl, indem er mit der Zunge schnalzte: »Nicht ganz übel! Das genügte aber nur zur Probe. Bringen Sie für jeden eine solche Portion! Fünf Personen.«
»Fünf?« fragte der Kellner, welcher nach nochmaliger Umschau nur vier Individuen herausbrachte.
»Ja, ich sage es doch!«
»Aber Sie sind nur vier!«
»Wir sind fünf. Dieser da hat auch seinen Durst.«
Bei diesen Worten deutete er auf den Hund. Der Kellner zog eine dumm verwunderte Grimasse und fragte, um ganz sicher zu gehen, in seinem Pitchenenglisch: »Also zwanzig Flaschen, Sir?«
»Ja doch!«
»Aber, Sir, kennen Sie den Preis des Bieres hier in Hongkong?«
Da stieß der Methusalem sein Glas auf den Tisch, daß letzterer krachte, und wetterte den Frager an: »Kerl, willst du etwa meine Moneten vorher okularinspizieren? Lauf Philister! sonst brenne ich dir zehntausend Füchse auf den Leib!«
Der Kellner rannte erschrocken fort und zwei andre hinter ihm drein, da er nicht zwanzig Flaschen allein tragen konnte. Sie brachten dieselben. Der Methusalem goß abermals viere in sein Glas, schwenkte dasselbe gegen den Kapitän und sagte: »Ich komme Ihnen dieses Tröpfchen!«
»Wie? Was?« fragte Turnerstick. »Sie kommen? Mir? Wieso? Das nennen Sie ein Tröpfchen!«
Er hatte noch nicht ausgesprochen, so hatte der Methusalem schon ausgetrunken. Dieser füllte das Glas von neuem mit vier Flaschen, schob es dem Kapitän zu und antwortete: »Natürlich ist es nur ein Tropfen. Mir wäre es eine große Schande, ein halbes Tröpflein im Glase zu lassen, Sie kommen mir nach, und ich hoffe, daß Sie sich nicht vor uns und diesen staunenden Kulis blamieren werden!«
»Blamieren? Pah! Sind Sie schon einmal durch eine Seemannsgurgel gekrochen? Da sind Sie gewiß nicht stecken geblieben. Ihr Gläschen macht mir keine Angst. Prosit, mein lieber Freund von Bouillon!«
»Re!« nickte der Namensvetter des Eroberers von Jerusalem.
Turnerstick bewies, das er nicht zuviel gesagt habe. Er trank das Glas aus. Gottfried nahm es ihm sofort aus der Hand, füllte es für sich und leerte es ebenso wie die beiden andern.
Der Wirt und die Kellner standen von fern und warfen sich große Blicke zu. Solche Trinker sahen sie noch niemals. Der dicke Holländer hatte, obgleich sehr intim mit seinem »Vleesch« beschäftigt, den Vorgang dennoch bemerkt. Er war ein tüchtiger Esser; jetzt sah er Leute, welche im Trinken wenigstens ebensoviel leisteten wie er im Essen. Das imponierte ihm; das ließ seinen Groll sofort verschwinden. Er fühlte sich getrieben, ihnen seine Anerkennung auszusprechen. Darum erhob er sich von seinen zwei Stühlen, kam herbei, wischte sich mit der Serviette den Mund und sagte: »Mijne Heeren, gij zijt braave en dappere matters. Gij drinkt tamelijk goed. Ik ben uw vriend en uw broeder; gij wordt het begrijpen. Ik bidd, gevt mij uwe handen – meine Herren, Sie sind brave und tapfere Gesellen. Sie trinken ziemlich gut. Ich bin Ihr Freund und Bruder; das werden Sie begreifen. Ich bitte, reichen Sie mir Ihre Hände!«
Er schüttelte jedem von ihnen die Hand und kehrte dann an seinen Tisch zurück, um weiter zu essen.
Was Richard Stein betrifft, so wagte er sich nicht an das volle Stammglas. Er ließ sich ein kleineres bringen und eignete sich auch nur eine Flasche an. Gottfried griff augenblicklich nach den drei übrigen, leerte sie in das Glas und trank dasselbe aus, nachdem er vorher sich selbst zugerufen hatte: »Prosit Magen! Es ist zwar kein Wolkenbruch, doch ein angenehmes jelindes Plätscherchen.«
Dann nahm er seine weiße Mütze, welche wasserdicht gefüttert war, vom Kopfe, legte sie verkehrt, also offen auf den Tisch, gerade vor den Neufundländer hin und goß diesem die letzten vier Fläschchen hinein. Der Hund nahm den Gerstensaft mit großem Wohlbehagen zu sich und leckte zuletzt die Mütze sehr sorgfältig aus, welche Gottfried sich wieder auf sein Haupt stülpte, um dann zu fragen: »So! Jeprobt hätten wir. Wat aberst nun? Wollen wir uns nach so langem Entbehren noch een loyales Seidel leisten?«
»Was fällt dir ein,« entgegnete Methusalem. »Wir befinden uns hier nicht im ›Geldbriefträger von Ninive‹, von welchem aus wir nur um die Ecke zu gehen brauchten, um heim zu steigen. Ich vor allen Dingen muß zum Konsul. Auch habe ich eine Anweisung zu präsentieren und mich mit dem unvermeidlichen Mammon zu versehen. Wartet hier, bis ich wiederkomme! Habt ihr Lust, so trinkt meinetwegen inzwischen noch eins, aber nicht mehr! Ich werde es bezahlen.«
»Halt!« fiel da der Kapitän ein. »Das Zahlen ist meine Sache. Wir befinden uns noch in der Hafenstadt, und ich muß Sie also bitten, meine Gäste zu sein.«
»Habe nichts dagegen,« lächelte der Methusalem. »Aber wird Ihnen nicht die Zeche zu hoch sein?«
»Was denken Sie! Sehen Sie doch meine Schnuren! Die reichert jedenfalls noch wochenlang.«
Der Bemooste ließ ihn bei diesem Glauben und entfernte sich, die Pfeife und auch den Hund zurücklassend, welche er unmöglich mit zum Konsul nehmen konnte. Turnerstick bestellte zu den bisherigen vierundzwanzig Flaschen noch sechs, um eine runde Dreißig zu bekommen. Gottfried rümpfte zwar die Nase dazu, sagte aber nichts, weil der Kapitän der Zahlende war und, um einer allzu schnellen Konsumtion vorzubeugen, zwei kleine Gläser kommen ließ.
Mittlerweile hatte der Holländer seine Mahlzeit vollendet. Er band die Serviette ab, trocknete sich mit derselben das von der Anstrengung des Essens schwitzende Gesicht und machte auf seinen Stühlen eine Wendung, daß er die drei andern nun gegenüber hatte.
Es war ihm anzusehen, daß er nun ein kleines Gespräch im Interesse der Verdauung für nützlich hielt. Er hatte gehört, welcher Sprache sich die andern bedienten, und sagte daher in leidlichem Deutsch: »Ik verzoek – ich bitte, mijne Heeren, sind Sie nicht Deutsche?«
»Ja,« antwortete Gottfried.
»Dachte es mir. Auch ich bin in Deutschland gewesen, als Kommis in Köln am Rhein; damals war ich noch jünger als jetzt.«
»Wahrscheinlich!«
»Nein, wirklich! Damals zählte ich twintig Jaaren, und jetzt bin ich fast vijf en veertig. Damals war ich een ongelukkige nijlpaard, en jetzt bin ich een zwaare (schwerer) Mann mit gezouten (gesalzenen) Erfahrungen. Damals habe ich die deutsche Sprache erlernt, und das freut mich jetzt, weil ich mich mit Ihnen unterhalten kann.«
»Die Freude ist beiderseitig, Mijnheer.«
»Sehr schön! Gefalle ich Ihnen?«
»Außerordentlich!«
»Sie mir auch. Ich bin nämlich Mijnheer Willem van Aardappelenbosch und komme von Java, wo ich Pflanzungen von Ryst (Reis) und Tabak hatte. Ich habe verkauft und will nun sehen, ob ich hier in China etwas Aehnliches finde.«
»Etwas Aehnliches? Warum haben Sie dann dort verkauft?«
»Wegen dem Klima, welches mir schädlich wurde. Ich konnte niet mehr essen und niet mehr trinken; ich schwand zusammen, daß ich jetzt nur noch een Gespenst von früher bin.«
»Hallo! Dann möchte ich Sie früher gesehen haben, Mijnheer von Aardappelenbosch!«
»Jawohl!« seufzte der Dicke, indem er sich mit beiden Händen liebkosend über den Bauch strich. »Damals aß ich für twaalf Männer, jetzt aber esse ich niet mehr für einen halsen!«
»Schrecklich!«
»Nicht wahr! Ich bin ganz sterfelyk (sterblich) geworden. Was nützt mir mein Zilver (Silber), mein Goud (Gold), mein Rykdom (Reichtum), wenn ich niet essen und niet trinken kann? Nur wer tüchtig essen und trinken kann, darf gelukkig (glücklich) und tevreden (zufrieden) sein. Darum habe ich Abschied von dem dortigen Klima genommen und bin nach China gekommen, um mich wieder dick und fett zu essen.«
»Nun, hoffentlich ist dieses Vorhaben von gutem Erfolge. Aber Ihre Haut, Mijnheer, Ihre Haut!«
»Was ist mit der Haut? Nicht wahr, sie hat ein ganz krankhaftes Aussehen?«
»Das möchte ich nicht behaupten; aber ob sie zulangen, ob sie ausreichen wird!«
»Zulangen? Ausreichen?«
»Ja. Wenn Sie noch dicker werden wollen. so muß sie unbedingt platzen.«
»Platzen? O mijn Hemelsche Vader! Himmlischer Vater Da hätten Sie mijne Haut früher sehen sollen! Die glänzte wie eene rosenrote Speckswarte! Wenn ich niet baldige Beterschap Genesung finde, so sterbe ich im Handumdrehen.«
»Und diese Besserung suchen Sie in China?«
»Ja.«
»Warum?«
»Weit mijn Geneesheer Arzt sagte, das Klima sei in Java zu südlich. Er riet mir, nach Norden zu gehen, und was liegt im Norden? Doch China! Vielleicht werde ich hier wieder gesund. Früher glich ich im Gesicht der hellen Sonne; jetzt aber bin ich nur noch die reine Maansverduisterung«. Mondsfinsternis
»So müssen Sie wohl an einer abzehrenden Krankheit leiden?«
»An einer, nur einer? Dann wäre ich ganz glücklich! O nein, ich leide an twintig, dertig, veertig, an honbert verschiedenen Krankheiten.«
»Das ist schlimm. Wo liegen dieselben denn?«
»Wo? Ueberall!«
»Nun, zum Beispiel?«
»Im ganzen Ligcham, Leib im Angezigt, im Oogappel, in de Ooren und de Oorlapjes, im Kinnebak, in de Keel und Gorgel, im Elleboog und in de Vingers, im Maag und zwischen den Ribben, in den Beenen und den Voetzoolen, in de Long und de Lever, in de Gal und de ganze Romp. Rumpf Ich schwebe stündlich zwischen Leven und Dood, und nur Essen und Trinken kann mij retten. Ich bin ein elendes Schepsel Geschöpf und würde gern honderdduizend Gulden geben, wenn ich einen Offizier van der Gezondheit Ausdruck für Militärarzt wüßte, der mich retten kann!«
Er zählte seine Leiden in so traurigem Tone auf, und seine Gestalt stand so im Widerspruch mit diesen Klagen, daß es großer Selbstbeherrschung bedurfte, nicht zu lachen. Gottfried machte sein mitleidigstes Gesicht und fragte in teilnehmendem Tone: »Glauben Sie etwa, daß die chinesischen Aerzte die Kunst besitzen, Sie herzustellen?«
»Vielleicht. Es ist mijn letzter Versuch, den ich mache. Ich habe gesprochen mit Doktors aus Duitschland, aus Nederland, aus Frankrijk, aus Oostenrijk, aus Spanje, aus Zweden, aus Oostinbie, aber keiner hat mij helfen könnt. Jetzt will ich es mit China versuchen. Es soll da Leute geben, welche wahre Wunder wirken.«
»Ich hätte zu andern mehr Vertrauen. Sie sind jedenfalls nur mit Pfuschern zusammengekommen. Hat man Ihnen Arzneien verschrieben?«
»Alle möglichen Boomen und Heesters, alle Bladen und Bloems, Bäume und Sträucher, Blätter und Blumen die es nur geben kann.«
»Das war verkehrt. Ein einsichtsvoller Arzt würde das unterlassen haben.«
»Warum?«
»Weil Ihre Krankheit durch solche Mittel nur verschlimmert wird.«
»Wie können Sie das wissen?«
»Ich? Ich bin ja Fachmann.«
»Sie? Fachmann?«
»Ja. Student!«
»Student? Was studieren Sie denn?«
»Was ich jetzt studiere? Nichts, gar nichts mehr,« antwortete Gottfried, indem er sich in die Brust warf. »Ich habe das nicht mehr nötig, denn ich habe studiert, verstehen Sie, ich habe, habe, habe, also Perfektum; das heißt, ich bin perfekt. Ich habe alles studiert, alles ohne Ausnahme. Ich habe mich aus jedes und alles geworfen und bin schon seit Jahren zur allgemeinen Meisterschaft gelangt. Das soll heißen, ich erfreue mich der außerordentlichsten Omnipotenz. Ich pflanze meinen Kohl wie der reichste Rittergutsbesitzer; ich dirigiere die gefährlichsten Eilzüge wie der erfahrenste Lokomotivführer; ich entwerfe Schlachtenpläne wie der berühmteste Feldmarschall; ich spreche in allen Zungen der Erde wie die Poeten des Erdenrundes am Maifeste; ich schlachte Schweine und Kälber wie der meisterhafteste Metzger; ich halte Parlamentsreden wie ein Palmerston; ich gewinne die verwickelsten Prozesse, leichter als jeder andre Jurist; ich predige trotz einem Bischof oder Konsistorialrat; ich gerbe alle Häute und Tierfelle, am liebsten mit dem Ziegenhainer; ich baue Brücken über die Thäler und Viadukte über die Flüsse; ich fahre mit dem Luftballon, wohin Sie nur wollen und sogar noch einige Meilen weiter; ich schreibe geognostische Werke über die Algen und Tangen und zoologische Bücher über den Venusdurchgang; ich besohle die Pferde und beschlage die Reiter; ich fertige aus Watte die feinsten Chronometer und bediene mich als Ziergärtner des besten Meißener Porzellans; ich tanze Seil; ich laufe Schlittschuhe; ich heize mir und andern ohne Holz und Kohlen ein; ich entdecke Naphtha am Nordpole und Eis in Arabien; ich – ich – ich – – nun, ich kann eben alles, alles, alles!«
Der liebe Gottfried hatte sich erhoben und brachte dies alles in so begeisterter Schnelligkeit hervor, daß der Dicke nicht die Hälfte der Lobrede verstand. In solchen Augenblicken pflegte er auf seinen märkischen Dialekt zu verzichten und sich in gutem Hochdeutsch auszudrücken. Dies letztere that er überhaupt stets dann, wenn er imponieren wollte.
Mijnheer van Aardappelenbosch hatte den Mund weit geöffnet und machte Augen, als ob er ein wahres Wunder vor sich sehe. Er hatte der schnellen Rede nicht folgen können und nur das behalten, daß er einen hoch und tief studierten Mann vor sich habe. Aber eins hatte er vermißt und zwar gerade das, was ihm am liebsten gewesen wäre. Darum sagte er jetzt, als Gottfried ihn erwartungsvoll von oben herab anblickte: »Solche Schulen sind Sie durch, so außerordentlich viele, Mijnheer?!«
»Ja – freilich!«
»Aber die Medizin, die Medizin, die fehlt!«
»Fehlt? Fällt mir gar nicht ein! Das fehlte noch, daß die fehlt! Die Medizin ist ja gerade mein Lieblingsfach!«
»Wirklich? Ist das wahr?«
»Natürlich!«
»Haben Sie schon kuriert, Kranke gesund gemacht?«
»Und wie! Dem Dalai-Lama habe ich ein Bandwurmmittel gegeben, und als das Tier zum Vorschein kam, war es ein Lindwurm, sehr einfach deshalb, weil ich ihn mit Lindenblütenthee behandelt hatte – – –«
»Wie? Mit Lindeboombloesem?«
»Ja, mit Lindeboombloesem, wie Sie es holländisch nennen. Und dem türkischen Großwesier habe ich den Flamingo operiert. Was sagen Sie dazu?«
»Fla – fla – fla –, was ist das für ein Wesen?«
»Ein Vogel, eigentlich viel größer als ein Storch. Die Aerzte hatten die Krankheit für den grauen Star gehalten; aber als dann ich den Kerl herausgeschnitten hatte, zeigte es sich, daß es ein roter Flamingo war.«
»Das – das verstehe ich niet!«
»Ist auch nicht notwendig. Das ist nur Sache für den Ophthalmologen.«
»Aber so ein großer Vogel!«
»Thut nichts! In leichten Fällen nennt man es bloß Star, in schweren aber Flamingo; das sind die wissenschaftlichen Ausdrücke.«
»Aber, Mijnheer, wenn Sie sich auf solche Kuren verstehen, so können Sie ja auch mir helfen!«
»Mit Leichtigkeit sogar!«
»So kennen und heilen Sie alle Krankheiten?«
»Alle, nämlich wenn der Patient nicht zu dick ist.«
»Mijn Hemel – mein Himmel! Warum diese Ausnahme?«
»Sehr selbstverständlich, weil es dann ganz unmöglich ist, ihm in das Innere zu blicken.«
»So sagen Sie, wie steht es da mit mir.«
»Sie sind zu fett.«
»Dit Ongelukk! Ich war erst viel dicker als jetzt! So können Sie mij also niet kurieren?«
»Schwerlich! Aber es ist einer da, welcher Ihnen sicher Hilfe brächte, wenn Sie sich an ihn wenden wollten.«
»Wer ist das?«
»Mein Kommilitone, welcher vorhin fortgegangen ist.«
»Der mit vier Flaschen Bier in drei Minuten?«
»Ja, derselbe. Ich heile alles, aber bei so korpulenten Patienten ist er mir doch überlegen. Wenden Sie sich also nur getrost an ihn!«
In diesem Augenblicke ging die Thür auf, und der Methusalem trat herein. Sofort sprang der Holländer auf, eilte auf ihn zu, ergriff ihn am Arme und fragte hastig: »Mijnheer, wat leert het Woordenboek van mijn maag ein van mijne zenuwen?«
Fritz Degenfeld maß ihn vom Kopfe bis zu den Füßen herab, schüttelte den Kopf und antwortete: »Was das Wörterbuch von Ihrem Magen und Ihren Nerven lehrt? Um da zu wissen, woran man ist, bedarf es gar keines Buches.«
»Sehen Sie, Mijnheer! Habe ich es Ihnen nicht vorherjesagt!« rief Gottfried, jetzt wieder in seine Mundart fallend. »Er weiß eben allens, und zwar janz ohne in dat Wörterbuch zu kieken.«
»Du!« mahnte der Methusalem, ihm mit dem Finger drohend. »Da hast du dich wohl wieder einmal gehen lassen!«
»Nicht die Spur von da! Er ist krank an alle innerliche und äußerliche Extremitäten. Mit die äußerlichen wollte ich's schon gern probieren, aberst zu die innerlichen, was man die internen heißt, kann meine Auskultur nicht jelangen, weil da die sojenannte »Dickt« im Wege steht. Darum habe ich mir erlaubt, den Mijnheer an Ihnen zu adressieren, weil Ihr Blick sojar durch Fleisch und Knochen jeht. Jestatten Sie mich aberst vor allen Dingen, ihm Sie vorzustellen, nämlich Mijnheer Willem van Aardappelenbosch aus Java. Dat Klima hat ihn dort so abjemagert, daß er nach hier jekommen ist, um sich da wieder emporzuessen. Der Offizier van der Gezondheit hat es ihm jeraten.«
»Wirklich?« fragte Degenfeld, sich an den Holländer wendend.
»Ja, Mijnheer,« antwortete dieser. »Ik ben seit einiger Zeit ganz und gar vom Vleesch gefallen.«
»Waren Sie früher noch dicker?«
»Ik was een reus – ich war ein Riese; jetzt aber kann man mij nur mit Mitleid betrachten.«
Er begann, seine Leiden gerade so aufzuzählen, wie er sie vorhin genannt hatte. Degenfeld ließ ihn ruhig sprechen; er merkte sehr bald, wen er vor sich hatte. Dann, als die Aufzählung zu Ende war, fragte er Gottfried: »Habt ihr euch dem Mijnheer denn auch schon vorgestellt?«
»Namentlich noch keineswegs,« antwortete er; »aberst daß ich ein jroßes Lumen bin, das hat er bereits jemerkt.«
»So will ich diese Versäumnis nachholen. Mijnheer, hier sehen Sie zunächst den jungen Herrn Richard Stein, einen deutschen Gymnasiasten. Neben ihm sitzt unser Freund Tur-ning sti-king kuo-ngan ta-fu-tsiang – – –«
»Also ein Chinese! Vorhin sprach er doch deutsch!« meinte der Dicke.
»Von Haus aus ist er allerdings ein Deutscher. Da er aber jetzt aus dem Häuschen ist, so dürfen Sie ihn für einen Chinesen halten. Ferner sehen Sie hier meinen Spiritus familiaris, vom heiligen Femgerichte, eingetragen als Gottfried von Bouillon.«
»Ist das niet een tapperer Ritter?«
»Ja. Vor ungefähr achthundert Jahren hat er einen Kreuzzug gegen die Ungläubigen unternommen; jetzt aber kriecht er vor jedem Gläubiger zu Kreuze, sintemalen alle ihm zur Zahlung präsentierten Wechsel mit dem schönen Namen Gottfried Ziegenkopf querbeschrieben sind. Was nun mich selbst betrifft, so bin ich einfach der allbekannte Methusalem.«
»Von dem die Bibel vertalt?«
»Ja, von dem die Bibel verzählt, der Sohn Henochs und Vater des Lamech. Da ich aber weder Henoch noch Lamech gekannt habe, so möchte ich zuweilen an mir selbst verzweifeln. In solchen trüben Augenblicken nenne ich mich Fritz Degenfeld und nehme an, daß ich in einem deutschen Brauhause dem irdischen Dasein guten Morgen sagte. Ob Sie mich nun Degenfeld oder Methusalem nennen wollen, ist mir gleich; meine intimen Bekannten ziehen das letztere vor, was ich ihnen aus wohl erwogenen Gründen nicht verdenken kann.«
Mijnheer van Aardappelenbosch sah von einem zum andern. Er wußte nicht, was er denken solle. Hier ein Patriarch aus dem alten Testamente und dort ein Ritter aus der Zeit der Kreuzzüge, beide nach einer ihm unbegreiflichen Art gekleidet! Der dritte nun gar ein unechter Mandarin, der Bier wie Wasser trank. Ueber Richard brauchte er sich den Kopf nicht zu zerbrechen; aber die andern waren ihm rätselhaft, zumal die Ausdrücke des Methusalem und seines Wichsiers so dunkel waren, daß er den Sinn derselben nicht recht zu erfassen vermochte.
Degenfeld sah ihm das an und erlöste ihn aus seiner Pein, indem et ihm wohlwollend sagte: »Nicht wahr, Sie können nicht recht begreifen, wen Sie vor sich haben? Sie sollen bald Klarheit haben. Wo wohnen Sie?«
»Hier im Hotel, Mijnheer.«
»So nehmen Sie bei uns Platz, denn wir werden auch hier logieren!«
Er schob ihm zwei Stühle zusammen, und der Holländer ließ sich auf dieselben nieder.
»Hier logieren?« fragte Turnerstick. »Das fällt mir nicht ein! Wir müssen ja nach Kanton. Wir fahren mit dem Dampfboote.«
»Das geht wöchentlich nur zweimal. Ich habe mich beim Konsul erkundigt. Das nächste geht erst in drei Tagen ab.«
»Was? Wie? Und so lange sollen wir hier warten?«
»Ja, wenn wir es nicht vorziehen, uns auf einer chinesischen Dschunke einzuschiffen.«
»So thun wir das, wenn wir da auch viel langsamer vorwärts kommen.«
»Nun, eine Dschunke läuft ziemlich schnell, wenn sie guten Wind hat und mit der Flut aufwärts geht. Aber wollen Sie es wirklich wagen, sich einem solchen Fahrzeuge anzuvertrauen?«
»Warum nicht? Fürchten Sie sich?«
»Fürchten, nein, obgleich ich gelesen habe, daß man sich möglichst in acht nehmen solle, da es Dschunken gibt, denen nicht zu trauen ist. Aber ich denke an die Unreinlichkeit, welche uns sehr lästig werden könnte.«
»Pah! Werde die Kerls schon zur Reinlichkeit bringen. Bin ja Mandarin!«
»Wird man das glauben?«
»Will keinem raten, daran zu zweifeln! Wird überhaupt gar niemanden geben, der mich nicht für einen Mandarin hält. Ich mit meiner Kleidung, meiner persönlichen Würde, meinen tiefen Sprachkenntnissen und vortrefflichen Endungen. Wenn ich diesen Menschen mit meinem Kank-keng-king-kong-kung angesegelt komme, so verkriechen sie sich aus lauter Respekt in alle Löcher. Die Hauptsache ist nur, schnell eine Dschunke zu finden.«
»Habe mich auch in dieser Beziehung erkundigt. Mit der morgen Vormittag steigenden Flut segelt eine hier ab. Sie heißt Schui-heu, zu deutsch Königin des Wassers.«
»Schöner Name, der etwas verspricht. Eine Königin muß sauber sein. Unreinlichkeit werden wir also nicht zu befürchten haben. Und da eine Regentin sich nicht wohl mit Gesindel befassen kann, haben wir auch Sicherheit vor sonstigen Unbilden. Was hat sie geladen?«
»Allerlei Artikel. Etwas Spezielles konnte ich nicht darüber erfahren. Ich habe sie übrigens schon gesehen.«
»Sah sie schmuck aus?«
»Recht leidlich.«
»Und haben Sie mit dem Kapitän gesprochen? Das ist ja die Hauptsache.«
»Da haben Sie unrecht, obgleich Sie selbst Kapitän sind. Der eigentliche Kapitän oder Pilot, hier Ho-tschang genannt, hat mit der Ladung, mag dieselbe nun aus Gütern oder Menschen bestehen, gar nichts zu schaffen. Er hat sich allein nur mit der Leitung des Schiffes zu beschäftigen. Wer Fracht aufgeben oder selbst mitfahren will, hat sich an den Eigentümer der Dschunke oder dessen Superkargo zu wenden. Und das habe ich gethan.«
»Schon mit ihm abgeschlossen?«
»Nein, denn ich wußte nicht, ob ich Ihre Einwilligung erhalten würde. Uebrigens gefiel mir der Mann gar nicht so recht.«
»Warum?«
»Das kann ich eigentlich nicht sagen. Er hatte ein Gesicht, welches mir Mißtrauen einflößte, und seine allzu große Höflichkeit stieß mich ab.«
»Unsinn! Gesicht! Danach darf man gar nicht gehen. Mancher Schurke hat das einnehmendste Gesicht, und mancher Häßliche ist ein Ehrenmann. Und Höflichkeit muß sein. Ich wollte es keinem Sohne der Mitte raten, es daran fehlen zu lassen. Schließen Sie immerhin ab! Morgen segeln wir. Kennen Sie die Höhe des Passagepreises?«
»Das Fahrgeld wird hier sehr drolliger, aber ganz bezeichnender Weise Schui-kio genannt; das heißt wörtlich ›Wasserbeine‹. Die Geldstücke, welche man bezahlt, sind die Beine, mit denen man über das Wasser läuft. Der Mann verlangte pro Person nur einen Dollar bis Kanton. Auf dem Dampfer hätten wir das Vierfache zahlen müssen.«
»So segeln wir. Speisung ist nicht dabei?«
»Nein. Man hat hier eben für alles zu sorgen, auch für die Betten.«
»Brauche ich nicht. Schlafe so, wie ich es finde. Soll ich, wenn ich nach China will, etwa vorher zweihundert böhmische Gänse und ebensoviele Gänseriche rupfen und monatelang Federn schleißen, um dann hier von Gänseleberpastete nur träumen zu können, ohne sie wirklich verspeisen zu können. Das – – –«
»Oh!« unterbrach ihn der Holländer, indem et seufzend die Hände auf die Gegend seines Magens legte. »Eene knusperene gebraden gans of eend is klein, maar goed – eine knusperige gebratene Gans oder Ente ist zwar klein, aber gut!«
»Da haben Sie recht!« stimmte der Methusalem bei. »Leider haben wir es jetzt mit einer Dschunke, nicht aber mit einer gebratenen Martinsgans zu thun. Die Schui-heu ist das einzige Schiff, welches morgen aufwärts geht. Es fragt sich, ob wir es benutzen wollen. Der Superkargo gefiel mir nicht, aber ich füge mich den andern Stimmen.«
»Wir fahren,« sagte der Kapitän. »Hoffentlich ist Gottfried nicht dagegen?«
»Ich bin dabei,« meinte der Genannte. »Warum sollen wir hier hocken bleiben. Je eher wir abjondeln, desto eher werfen wir um, und dat ist doch auch eine jewisse Art von Vergnüjen.«
»Ja, Onkel Methusalem,« bat Richard. »Wollen hier nicht unsre Zeit verschwenden. Ich möchte gern sobald wie möglich am Ziele sein.«
»Gut, so werde ich nachher gehen, um die Passage fest zu machen und Lebensmittel einzukaufen, mit denen wir bis Kanton reichen.«
»Das ist meine Sache.« fiel Turnerstick ein. »Sie sind ja hier noch meine Gäste, und ich habe noch siebzehnhundert Li, ein wahres Vermögen für die hiesige Gegend.«
Der Methusalem lachte heimlich in sich hinein und. antwortete: »Wenn Sie darauf bestehen, so müssen wir uns freilich fügen.«
»Natürlich stehe ich fest auf meinem Willen.«
»Ohne Rücktritt?«
»Ohne zurückzutreten. Den Anfang will ich jetzt machen. Also wir logieren bis morgen hier im Hotel?«
»Ja, denn es ist das einzige anständige. Die andern Gasthäuser sind nur Spelunken.«
»Gut, es wird hier geblieben! Und damit der Wirt sogleich bemerkt, daß er feine Gäste hat, will ich jetzt das Bier bezahlen. Wir haben dreißig Flaschen.«
Auf den Tisch klopfend und sich nach dem Wirte umdrehend rief er: »Heda, Hoteliering, ich will bezahleng. Was kostang dreißing Flaschong?«
Der Wirt kam langsam herbei. Er hatte Turnerstick nicht verstanden, verbeugte sich tief und fragte: »What bid you, Sir – was befehlen Sie, Sir?«
»Bezahleng!«
»I can not understand.«
»Was? Sie könning mich nicht versteheng?« rief Turnerstick zornig. »Das ist mir unbegreifling! Ich drücküng mich doch deutling aus. Passeng Sie nur richting auf! Ich will bezahling!«
Der Wirt schüttelte verlegen den Kopf. Da sprang der Kapitän vom Stuhle auf und schrie erbost: »Habing Sie keine Ohreng? Ich will bezahlang, bezahleng, bezahling, bezahlong und bezahlung!«
Der Wirt fuhr erschrocken zurück. Sein Gesicht verriet, daß er ratlos sei; darum belehrte ihn der Methusalem in halblautem Tone: »He will to pay.«
»Ja, to pay, to payeng will ich, payeng, verstandung?« rief Turnerstick. »Aber Li, lauter Li will ich geben.«
Bei diesen Worten zeigte er auf die Geldschnuren, welche um seinen Hals hingen. Im Gesichte des Methusalem war der Ausdruck lustiger Spannung zu bemerken. Der Wirt verstand den Kapitän jetzt; er gab sich Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken, und sagte sehr höflich: »Thirty bottles, Sir? I beg, ten thousand Li!«
Turnerstick prallte zurück, als ob er einen Hieb in das Gesicht erhalten habe.
Wa–a–a–a–s?« fragte er. »Zehntausend Li?«
»Jawohl, zehntausend Li!« bestätigte der Methusalem.
»Das ist doch nur ein dummer Witz!«
»O nein, Kapitän, es ist Ernst.«
»Unmöglich! Bedenken Sie, zehntausend Li! Das ist ja unbegreiflich!«
»Es ist im Gegenteile leicht erklärlich. Zehntausend Li sind nach deutschem Gelde ungefähr sechzig Mark.«
»Also die Flasche zwei Mark?«
»Ja.«
»Die daheim fünfzehn Pfennige kostet!«
»Wir sind nicht daheim. Wir haben deutsches Bier getrunken, irre ich mich nicht, aus der Waldschlößchenbrauerei zu Dresden. Dieses Bier muß den Aequator zweimal passieren. Haben Sie denn noch nie so fern von der Heimat unser Bier gekostet?«
»Nein.«
»Nun, dann ist es eben kein großes Wunder, daß Sie sich um die betreffenden Preise nicht bekümmert haben.«
»Wußten Sie es denn?«
»Ja.«
»Und da verlangen Sie vierundzwanzig Flaschen! Das sind achtundvierzig Mark, die in noch nicht fünf Minuten durch die Gurgel gelaufen sind! Ihr Hund allein hat acht Mark vertrunken; das sind zwei Thaler zwanzig Groschen. Welche Verschwendung, da Sie den Preis gekannt haben!«
Der gute Turnerstick war eigentlich ein sparsamer Mann, wenn auch kein Filz. Sechzig Mark, sage zehntausend Li für Bier, das war ihm doch zu viel; darüber hatte ihn der Zorn ergriffen. Der Methusalem berücksichtigte das, indem er in ruhigem Tone meinte: »Meine Mittel erlauben mir das. Uebrigens war es ein Willkommentrunk, den ich nicht zu wiederholen beabsichtige, und ich konnte nicht wissen, daß Sie diese Zeche auf sich nehmen wollten. Jetzt denke ich, daß Sie die Absicht, zu bezahlen, aufgeben werden?«
Der Kapitän antwortete nicht. Er hatte behauptet, nicht zurücktreten zu wollen, aber die Summe war ihm doch zu hoch. Mijnheer van Aardappelenbosch war der Scene mit großem Interesse gefolgt. Seine Kenntnis der deutschen Sprache ermöglichte es ihm, jedes Wort zu verstehen. Um dem Kapitän, welcher vorher den großen Mund gehabt hatte und nun mit der Bezahlung zögerte, einen kleinen Hieb zu geben, sagte er zu dem Kellner, welcher ihn bedient hatte: »Oppasser, ik zull mijn gelag betalen, maar in Li – Kellner, ich will meine Zeche bezahlen, aber in Li!«
»Drie duizend en vijf hondert Li,« antwortete der Markeur.
»Zijn vijf Dollars, twintig Mark en tachtig feningen – sind fünf Dollars, zwanzig Mark und achtzig Pfennige.«
Er griff in die Tasche, zog die fünf Dollars und noch ein Trinkgeld heraus und gab es ihm. Turnerstick hatte alles verstanden. da die holländischen Zahlwörter den deutschen und englischen ähnlich klingen.
»Fast einundzwanzig Mark!« sagte er. »Das nenne ich Preise!«
»Ik heb goed ontbeten en goed gedronken; ik heb mij goed vermaakt en will dus ook gaarne goed betalen – ich habe gut gefrühstückt und gut getrunken; ich habe mich gut amüsiert und will also auch gern gut bezahlen,« antwortete der Dicke.
Turnerstick merkte den Stich. Er fühlte sich an der Ehre gepackt, zog seinen Beutel und sagte in spitzem Tone: »Das will ich auch, obgleich ich gar nicht gegessen und nur einige Schlucke Lagerbier getrunken habe. Hier sind fünfzehn Dollars! Das macht sogar noch mehr als die Zeche. Der Ueberschuß mag Trinkgeld sein. Ein chinesischer Mandarin läßt sich nicht lumpen.«
»Ganz recht!« lachte der Methusalem. »Wie lange haben wir uns noch als Ihre Gäste zu betrachten?«
»Bis zu diesem Augenblick; nun aber ist es aus.«
»Also treten Sie doch zurück?«
»Ja. Ich habe keine Lust, in China bankerott zu werden. Ich wollte für Sie bezahlen, so lange wir uns in Hongkong befinden; aber wir bleiben bis morgen hier, und wer weiß, wie hoch da die Pension zu stehen kommt.«
»Hier an der Wand ist es angeschlagen, pro Mann fünf Dollars ohne die Getränke.«
»Das wären zwanzig Dollars, und wenn Sie so forttrinken, wie Sie angefangen haben und sich dabei sogar von dem Neufundländer unterstützen lassen, so müßte ich, Wein und andres gar nicht gerechnet, nur für Bier dreihundert Mark bezahlen. Danke bestens! Unsereiner hat doch auch eine gute Gurgel, aber bei Euch läuft's ja wie durch Kellerlöcher. Eure Kehle ist das größte Leck, das es nur geben kann. Es zieht die ganze See ein und kann nie verstopft und kalfatert werden.«
»Und anstatt am Lecke pumpen wir unmoralischerweise an den Manichäern herum!« stimmte der Blaurote lustig ein.
»So ist es; geht mich aber nichts an. Uebrigens werden Sie am wenigsten an derartigen Pumpen gestanden haben.«
»Haben's auch nicht nötig,« bemerkte Gottfried von Bouillon. »Unsre finanzielle Konstitution hat kein Jebrechen aufzuweisen. In dieser Beziehung sind wir andern stets über jewesen, wat ich mit aller Fourore hiermit konstatieren muß. Also Ihre Leib- und Lieblingsjäste sind wir nun nicht mehr. Dat ist jut, denn nun können wir uns nach unsrem individuellen Jelüste und müssen uns nicht mehr nach Ihrem Jeldbeutel richten. Wie steht es mit das Fäßchen, oller Methusalem. Von wejen dem Salamander ist es freilich nichts; aberst wir könnten zur Abwechselung doch mal versuchsweise einen Turnerstick reiben.«
»Danke!« rief der Kapitän. »Ich mag nicht noch mehr gerieben werden. Ich habe auch ohnedies, wohin ich sehe, meinen grünen Aerger. Habe ich nicht das herrlichste Chinesisch gesprochen, ohne daß der Wirt mich verstehen wollte? Das war die strafwürdigste Auflehnung gegen meine Mandarinenwürde. Aber das Holländische des Mijnheer hat der Kellner gleich verstanden!«
»Weil dieser Mann des Niederländischen mächtig ist, wie leicht zu hören war,« erklärte Degenfeld. »Ich rate Ihnen, Ihren Groll schwinden zu lassen, aber – –«
»Aberst dat Fäßchen lassen wir nicht schwinden,« fiel ihm Gottfried, um Turnerstick zu ärgern, in die Rede. »Dat muß anjeschwommen kommen!«
»Bier gibt es hier nur in Flaschen; von einem Faß kann also überhaupt nicht die Rede sein!«
»So soll ich wohl vor Durst zu meinen Ahnen hinüberschmachten? So pflanze mir eine einsame Ranke Hopfen auf mein frühes Jrab, und denk dabei, an dich sei alles Malz verloren!«
Während dieser Wortfechterei hatte der Mijnheer dem Wirte heimlich einige Worte gesagt. Infolgedessen brachten die Kellner dreißig Bierflaschen herbei, welche sie in Reih und Glied auf den Tisch pflanzten.
»Wat ist dat?« rief Gottfried elektrisiert. »So einen halben Zug Garde du Corps lasse ich mich jefallen! Welcher ingeniale Stratege hat diese Helden ins Vordertreffen jeschickt?«
»Ik ben deze veldheer,« antwortete der Dicke. »Hier is het slagveld en de belegering, en wij zijn dappere krijgslieden. Jagen wij alzoo onze vyanden buiten veld – ich bin dieser Feldherr. Hier ist das Schlachtfeld und die Belagerung. Wir sind tapfere Kriegsleute. Jagen wir also unsre Feinde aus dem Felde!«
Sein fettes Gesicht strahlte in solcher Freundlichkeit, daß ihm seine Gastlichkeit unmöglich übel genommen werden konnte. Der Kapitän aber hatte ihm den vorhergehenden Stich noch nicht vergeben und sagte: »Wie, Mijnheer, Sie wollen uns traktieren? Das ist doch nur unter guten Bekannten gestattet. Sie aber sind uns völlig fremd.«
»Gerade weil ik Ihnen niet fremd bleiben will, habe ik Sie gebeten,« antwortete der Dicke ohne allen Groll. »Ik möcht so gaarne Ihr vriend sein und mit Ihnen nach Kanton reizen, weil ik sonst niet wieder so goede Gezelschap finde. Werden Sie mij das erlauben?«
»Natürlich, natürlich, lieber Freund!« antwortete der Methusalem. »Ich trinke zwar nicht gern aus andrer Leute Beutel, aber in dieser Weise und unter solcher Voraussetzung angeboten, kann ich die Gastfreundschaft nicht zurückweisen. Wollen's heut mal gelten lassen; deutsches Bier kriegt man in diesem Lande der Zöpfe nicht allemal! Hier meine Hand; wollen gute Kameradschaft halten!«
Er schüttelte dem Holländer die Hand. Auch Gottfried ergriff dieselbe, drückte sie begeistert und rief: »Hier auch die meinigen fünf Fingern; später drücke ich vielleicht sojar Ihr liebes Anjesicht an mein sanft wallendes Herz. Seien Sie einer von uns, und zwar der Dickste von allen! Ich bejrüße Sie als würdige Masche in unsrem Strumpfe. Möge Ihr Wohlthun nie erlahmen und Ihre Einsicht nie versiechen. Empfangen Sie im Jeiste meinen Bruderkuß und überdies die heilige Versicherung, daß Sie sowohl in Beziehung auf Ihr Jemüt wie auch in Betracht Ihres körperlichen Volumens herrlich jeeignet sind, dat jroße Leck zu verstopfen, von welchem unser ruhmesreicher Heimdall Turnerstick vorhin jesprochen hat! Und nun Jläser her, denn dat Jefecht soll bejinnen!«
»Neen, neen,« wehrte der Dicke ab. »Niet kleine Gläser! Ik will ook mal aus deze grooten Stamper trinken! Ik will zeigen, daß ik niet bloß essen, sondern ook trinken kann!«
Dieser Vorschlag wurde gern angenommen. Das Stammglas ging, immer wieder gefüllt, von einem zum andern; nur Richard wurde verschont, und der Neufundländer durfte fasten. Mijnheer van Aardappelenbosch trank gerade so wie die andern das Glas bis auf die Nagelprobe aus. Er gab in den wunderlichsten Worten seiner Freude Ausdruck, eine so gute »Reizegezelschap« gefunden zu haben.
»So wird aus dem Saulus ein Paulus!« lachte Gottfried vergnügt. »Erst nannten Sie sich unsern Feind und nun haben Sie uns Ihr janzes Herz zum Präsent jebracht. Wat hat Sie denn mit solche Alljewalt in unsern schönen Kreis jetrieben?«
»Daß Sie so wacker Bier trinken, das hat Ihnen mijne Vriendschap zugewandt, denn ik sage mij, daß Sie ook genau so goed essen können.«
»So viel Vleeschernes wie Sie? Hm!«
»Und sodann heb ik mij gesagt, daß Mijnheer Methusalem mij vielleicht gezond machen kann.«
»Wollen sehen!« nickte der Blaurote. »Dazu aber muß ich Sie erst näher kennen lernen; ich muß Sie beobachten, um den eigentlichen Sitz der Krankheit zu entdecken. Erst dann kann ich sie anfassen und vertreiben.«
»Gradd soo wie Mijnheer Gottfried den Lindeboomworm,« nickte der Dicke.
»Wen? Was? Einen Lindwurm? Gottfried, Gottfried, du scheinst dich in meiner Abwesenheit der Zügel zu entledigen! Ich muß sie straffer anziehen! Also in China wollen Sie bleiben, Mijnheer van Aardappelenbosch? Sich völlig da niederlassen!«
»Ja, das will ik, namelyk mijne Gezondheit wegen. Ik will eene Plantage kaufen, und finde ik niets, so lege ik eene an.«
»Aber wo?«
»Daß weiß ich nook niet; ich suche derhalve überall.«
»Sprechen und verstehen Sie denn Chinesisch?«
»Weniger als niets.«
»So ist es sehr gewagt von Ihnen, sich in das Innere des Landes zu begeben.«
»O, ik heb keene Furcht. Ik nehme eenen Dolmetscher mit. Onze Konsul geft mij eenen goeden. Ik brauche niet Sorgen zu hebben. Vor wen soll ik Angst hebben? Mijn Geld heb ik niet bei mij, und auf dem Rug Rücken trag ik twe Geweeren; Kruit Krautpulver und Kogels heb ik ook genug. Nun werd ik mij noch een Zwaard Schwert kaufen; das sind Wapens genug, um alle Vyanden in die Flucht zu schlagen.«
»Wissen Sie bereits, wohin Sie von Kanton aus gehen wollen?«
»Neen, ik word den Konsul fragen.«
»Mir scheint, Ihr Arzt hat Sie ins Blaue hineindirigiert. Hat er ein Interesse an Ihrer Entfernung gehabt?«
»Wohl niet, ofschoon zijn Schoonvader Schwiegervater mij die Plantage abgekauft heeft.«
»Da haben wir es! Sie sind ein lieber, vertrauensvoller Herr. Haben Sie Familie?«
»Ik heb keine Vrouw und keine Kinderen. Aber mijn Grootvader lebt noch in Nederland. Er wohnt bei mijne Zuster Schwester und hat eene sehr goede Unterkunft.«
»Wollen Sie denn nicht lieber zu diesen Verwandten in die Heimat gehen?«
»Neen. Nederland ist für mijne Gezondheit niet passend. Ik heb mijn Vaderland lieb, aber es ist dort niet benaauwd Warm genug. Ik kann da niet essen und niet trinken. Mijn geheele Ligchaam Ganzer Körper wird krank vom Hoofd Kopf bis zu den Voeten Füßen herab. Was nützt mij het Vleesch, wenn ik es niet essen kann, und de Genever, wenn ik ihn niet trinken darf? Ik werde dünn und immer dünner bis endlich wie eene Breinaald Stricknadel und de Armen und Beenen wie een Draad Zwirn so schwach. Ik sehe mijn Tod vorher vor de Oogen. Neen, ik wäre een ongelukkige Nijlpaard, wenn ik nach Nederland gehen wollte. Ik bleib hier, weil ik niet sterben will.«
»Haben Sie denn alles, was Sie hier zum Reisen brauchen?«
»Ik heb mijn Paspoort Paß und überall Krediet. Ik brauche niet mehr.«
»Nun, wir sind nicht besser ausgerüstet als Sie und wollen es miteinander versuchen. Da wir nun heut doch nicht abreisen können, so schlage ich vor, uns Hongkong anzusehen. Bei dieser Gelegenheit werde ich Ihnen die Dschunke zeigen, und Sie mögen dann bestimmen, ob wir ihr uns anvertrauen wollen. Gottfried, stopfe die Pfeife und fülle neues Wasser in den Ballon!«
»Dat könnte eijentlich der Kellner oder der Hausknecht machen. Hier bin ich anjenehmer und anjesehener Voyageur, mit dessen männlicher Würde sich dat Reinigen der ollen Pipe nicht vertragen dürfte.«
»Ach so! Du willst den Herrn spielen? Habe nichts dagegen, versuche es auf deine Weise; dann reise ich mit einem andern Wichsier. Kündigung haben wir nicht, also kannst du dich als Regenwurmjäger hier vermieten. Den Vorschuß, welchen du hast, will ich dir schenken.«
»Wat? Abjegangen soll ich werden? Dat fehlte mich jerade noch, daß ich hier im fremden Lande der Chinesigen als kindlicher Waisenknabe sitzen jelassen werden sollte. Da will ich mir doch lieber mit die jewohnte Bejeisterung über die jute Wasserpipe hermachen! Ich und meine Fagottoboe janz alleine hinter die chinesische Mauer! Davor soll mir dat alljütige Fatum ewig behüten. Ich verbleibe Ihr treuer Jottfried nebst Bouillon in tiefster Erjebenheit nach wie vor!«
Er öffnete eine der noch übrigen vollen Flaschen, trank sie aus und trollte sich dann mit der Pfeife aus dem Zimmer. Kurze Zeit später machte sich die Gesellschaft auf den Weg.
Es war wie immer: Voran der Hund, dann der Herr, die Spitze des Schlauches im Munde, und hinter ihm Gottfried von Bouillon mit Pfeife und Oboe. Ihnen folgte Richard im schmucken Wichs, und nach diesem schritten Turnerstick und Mijnheer van Aardappelenbosch nebeneinander her.
Der Kapitän hatte seinen kleinen, gegen den Holländer gehegten Groll aufgegeben. Der letztere war überhaupt ein Mann, dem man höchstens nur auf Minuten zürnen konnte.
Eigentlich braucht es gar nicht wieder erwähnt zu werden, daß ihr Erscheinen das größte Aufsehen erregte. Besonders spaßhaft nahm sich der Mijnheer neben dem Talmi-Mandarin aus. Er hatte sich nicht entschließen können, seine Gewehre und den Tornister im Hotel zu lassen; er trug die drei Gegenstände in der schon beschriebenen Weise auf dem Rücken und hatte darüber seinen Riesenschirm gespannt.
So wanderten sie langsam und gravitätisch nach dem Quai, um zu der Dschunke zu gelangen. Sie entfernten sich dabei aus der Gegend, in welcher die europäischen Schiffe vor Anker lagen.