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Illustration: O. Herrfurth

Rettung in Sicht.

Achtes Kapitel

In Not und Gefahr.

Als die Freunde einmal auf wenige Augenblicke ruhten und es infolgedessen still in der Kajüte wurde, vernahmen sie alle ein leises Klopfen an der Thür.

»Schui nguái – wer ist draußen?« fragte der Methusalem.

»Gu–ten A–bend!« erklang die Antwort, leise und indem die einzelnen Silben langsam und mit Bedacht ausgesprochen wurden, damit man die Worte deutlich verstehen könne.

»Was!« flüsterte der Student seinen Gefährten zu. »Das ist ja deutsch!«

»Ja,« nickte der Gottfried erstaunt. »Dat ist der traute Abendjruß unsrer jeliebten Muttersprache. Wie hat der sich in die olle Dschunke verirrt?«

»Jedenfalls handelt es sich um eine Falle, welche man uns stellt. Man kennt zufällig diese beiden deutschen Worte. Werden ja sehen!«

Und lauter antwortete er, gegen die Thür gerichtet: »Guten Abend! Wer ist draußen?«

»Ein Freund,« antwortete es ebenso leise wie vorher.

»Gut! Aber wer?«

»Ein Unglücklicher, der auch gefangen ist.«

Diese Worte wurden wieder so wie vorhin in ihre Silben abgeteilt und sehr langsam ausgesprochen, wie einer thut, welcher der betreffenden Sprache nicht ganz mächtig ist und doch gern verstanden sein will.

»Das glaube ich nicht,« sagte der Methusalem. »Was wollen Sie?«

»Hinein zu Ihnen.«

»Pah! Bleiben Sie in Gottes Namen draußen!«

»Ich bin wirklich Ihr Freund, das hören Sie ja daraus, daß ich deutsch spreche!«

»Ein Verräter sind Sie! Sie sind jedenfalls der Lump, welcher sich für einen Malaien ausgegeben hat.«

»Der Amerikaner, Ihr Diener? O nein! Ich bin ein Chinese.«

»Und sprechen doch deutsch!«

»Mein Herr hat es mich gelehrt.«

»Wer ist das?«

»Herr Sei-tei-nei in Hu-nan.«

»Das ist Schwindel,« bemerkte Degenfeld leise zu seinen Gefährten. »Sei-tei-nei ist kein chinesisches Wort und kein chinesischer Name.«

»Kenne das Wort auch nicht,« antwortete Turnerstick selbstbewußt. »Und einer, welcher alle chinesischen Dialekte so innehat wie ich, müßte es doch kennen, wenn es wirklich chinesisch wäre. Sei-tei-nei hat keine einzige von meinen fünf Endungen.«

»Sehr richtig!« lächelte der Student. »Man will es auf diese Weise mit uns versuchen, uns zutraulich machen. Das soll ihnen aber nicht gelingen. Freilich, wie so ein Halunke zu unsrer ehrlichen deutschen Sprache kommt, das kann ich nicht begreifen. Darum bin ich überzeugt, daß es der Yankee ist. Er gibt sich für einen Gefangenen aus und fordert Einlaß. Sobald wir aber öffneten, würden sich so viele hereindrängen, daß wir gar keinen Raum zur Gegenwehr fänden. Ich werde hören, was er weiter sagt. Die Chinesen würden einen Gefangenen wohl nicht frei umher laufen lassen, so daß er Gelegenheit fände, sich hierher zu schleichen und heimlich sich mit uns zu unterhalten.«

Gegen die Thür gewendet, fragte er weiter: »Wie kommen Sie denn in die Gefangenschaft der Seeräuber?«

»Ganz so wie Sie: Ich hielt sie für ehrliche Leute.«

»Wo trafen Sie die Dschunke?«

»Im Hafen von Schang-hai. Ich wollte in Geschäften nach Kanton und fuhr mit dem ›Schui-heu‹, weil man mir sagte, daß sie dorthin gehe. Erst unterwegs sah ich, unter welche Leute ich geraten war. Man ließ mir die Wahl zwischen dem Tode und dem Beitritt.«

»Hm! So sind Sie Seeräuber geworden?«

»Nur zum Scheine!«

»Und man läßt Sie frei umhergehen?«

»Nur auf hoher See, im Hafen aber nicht. In Hongkong bin ich in den Unterraum geschlossen worden; sobald man aber den Anker gezogen hatte, durfte ich herauf.«

»So! Wer ist bei Ihnen draußen vor der Thür?«

»Niemand.«

»Wirklich?«

»Kein Mensch. Ich bin ganz allein.«

»Aber man muß es doch sehen, daß Sie mit uns reden!«

»Nein. Die Laternen wurden ausgelöscht. Es brennt keine einzige, da kein uns begegnendes Schiff uns sehen oder gar anrufen soll.«

»Hm! Wo ist der Ho-tschang?«

»Der schläft. Die andern Offiziere auch. Nur der To-kung steht hinten am Steuer.«

»Und die Matrosen?«

»Es sind nur drei Wachen an Deck. Die andern sollen alle ruhen, weil es mit Tagesanbruch viel zu thun geben wird.«

»Werden Sie von diesen Wachen nicht beobachtet?«

»Nein. Einer steht oben am Innenbug; er kann mich also nicht sehen. Der zweite hält am Hintermast; seine Augen reichen nicht bis hierher. Und der dritte schläft am Mittelmast. Jedenfalls schlafen die beiden andern auch.«

»Sonderbar! Fühlt man sich denn vor uns so sicher, daß man uns nicht einmal einen Posten vor die Thür gibt?«

»Es wollte keiner her, weil Sie schießen. Man hat Ihre Thür so verrammelt, daß Sie nicht öffnen können.«

»Und da fordern Sie uns auf, Sie zu uns hereinzulassen? Sie widersprechen sich.«

»Nein, denn ich kann ja die Bambusstützen, welche man gegen die Thür gestemmt hat, wegnehmen. Sie dürfen mir vertrauen.«

»So! Was wollen Sie denn eigentlich bei uns?«

»Ich wollte Sie um Ihre Hilfe bitten, denn ich allein, ich selbst, bin zu schwach, um die Freiheit wieder zu erlangen.«

»Wir sind ja ebenso, wie Sie gefangen!«

»Freilich wohl! Aber nachdem, was ich von Ihnen gehört habe, besitzen Sie genug Mut, Entschlossenheit und Waffen, sich wieder zu befreien. Darum wollte ich mich so gern in Ihren Schutz begeben.«

»Das klingt alles sehr gut, aber ich darf Ihnen nicht trauen.«

»Sie dürfen es. Ich meine es ehrlich. Glauben Sie mir das!«

Da legte Gottfried dem Studenten die Hand auf den Arm und flüsterte ihm zu: »Dat klingt so jut und erbärmlich. Der Kerl kann mich leid thun. Wenn es wirklich an demjenigen ist, wie er sagt, so müssen wir uns seiner annehmen. Lassen Sie ihn also rin in die Bude, oller Methusalem!«

»Es ist zu gefährlich!«

»Jefährlich? Dat will mich nicht einleuchten. Wat kann uns so ein einzelner Mann anhaben?«

»Wissen Sie so genau, daß er allein ist?«

»Jenau freilich nicht; aberst es ist wat in seine Rede, wat mich ins Herze jeht. Und wenn er nicht allein wäre, wenn die janze Sippschaft bei ihm stände, so fürchte ich als Jottfried von Bouillon mir noch lange nicht. Habe ich damals Jerusalem erobert und den Seldschufen mein Jebiß jezeigt, so sollen die paar Chinesigen mich ooch nicht bange machen. Jewehre haben wir jenug. Wenn wir ihnen eine volle Salve jeben, reißen sie aus, wie die Dorfjungens, wenn der Herr Kantor kommt.«

»Du magst recht haben; aber ich möchte nicht noch mehr Blut vergießen.«

»Und vorhin haben Sie selbst gesagt: Auge um Auge, Schinken um Schinken, Schmer um Schmer!«

»Das war notwendig, um ihnen zu zeigen, was sie von uns zu erwarten haben.«

»Jut, so haben sie auch jetzt, wenn sie uns überrumpeln wollen, nur blaue Bohnen von uns zu erwarten. Ich bin übrigens überzeugt, daß der arme Teufel es wirklich ehrlich meint. Und wat verhindert Ihnen, dat Papier wegzunehmen und dann hinauszuschauen, wat für Jeister draußen sind?«

»Das ist richtig. Wollen sehen.«

Er trat leise an die Thür, entfernte eines der Papiere und blickte durch das Kugelloch. Es war so sternenhell auf dem Verdeck, daß er sich genau orientieren konnte. Es war niemand da. Erst als er das unterste der Papiere wegnahm, sah er den Mann, welcher draußen am Boden lag, das Gesicht nahe an die Thür gelegt. Er klebte die beiden Papiere wieder auf die Locher und sagte zu dem Wartenden: »Ich will es versuchen. Entfernen Sie also die Stützen!«

Gleich nach diesen Worten würde draußen ein stoßendes und schiebendes Geräusch hörbar, und dann öffnete der Methusalem die Thür, welche sich nur nach außen in ihren ledernen Angeln bewegte. Der Mann kam schnell herein, und der Student verriegelte die Thür sofort wieder. Dann musterte er den Eingetretenen.

Dieser war ein junger Mann von vielleicht vier- bis fünfundzwanzig Jahren. Er trug eine bessere Kleidung als die Matrosen und sogar deren Offiziere. Waffen sah man bei ihm nicht. Er ergriff die Hand des Methusalem und sagte in herzlichem Tone: »Ich danke Ihnen, mein Herr! Nun darf ich doch Hoffnung haben, wieder frei zu kommen.«

»Hm!« meinte der Student kopfschüttelnd. »Ein Chinese, welcher deutsch spricht und unter solchen Verhältnissen sich uns vorstellt, das ist ungewöhnlich. Sie sind doch Chinese?«

»Sogar Vollblutchinese!«

»Und weshalb sprachen Sie uns deutsch an? Wie erfuhren Sie, daß wir Sie verstehen würden?«

»Ich hörte, daß der Amerikaner zu dem Ho-tschang sagte, daß Sie Deutsche seien.«

»Haben Sie auch gehört, welche Absichten man mit oder vielmehr gegen uns hegt?«

»Sie sollen getötet werden.«

»Wann?«

»Sobald es Tag wird.«

»Und wie?«

»Man wird das Dach ihrer Kajüte einschlagen und Stinktöpfe hineinwerfen.«

»Alle Wetter! Gut, daß wir das erfahren! Bis dahin aber will man nichts unternehmen?«

»Nein. Wenn Sie dann je ausbrechen, so glaubt man, am Tage sich besser gegen Sie verteidigen zu können.«

»Also haben die Kerls doch Angst vor uns?«

»Sogar große Angst. Sie haben doch bereits mehrere getötet.«

»Also sind sie nicht nur verwundet, sondern wirklich tot! Nun, wir werden uns auch ferner unsrer Haut wehren. Jetzt müssen wir uns zunächst mit Ihnen beschäftigen. Was sind Sie denn eigentlich?«

»Kaufmann.«

»Was verkaufen Sie?«

»Kohlen.«

»Kohlen? Hm! Hier in China ein Kaufmann, welcher Kohlen verkauft! Das könnte mich wieder mißtrauisch machen, wenn Sie nicht ein so ehrliches Gesicht hätten. Sie gefallen mir, und ich möchte Ihnen gern mein Vertrauen schenken, wenn nur dieser sogenannte Herr Sei-tei-nei nicht wäre!«

»Was haben Sie gegen ihn?«

»Dieser Name ist nicht chinesisch!«

»Das ist richtig. Sprechen Sie vielleicht chinesisch?«

»Ja.«

»Nun, so werden Sie wissen, daß wir fremde Worte nach unsrer Weise aussprechen. Es fällt uns schwer, gewisse Konsonanten, wenn sie nebeneinander stehen, richtig hervorzubringen. So sagen wir zum Beispiel statt Christus Chi-li-su-tu-su und anstatt Spiritus Su-pi-li-tu-su.«

»Das weiß ich; aber Sie selbst sprechen diese beiden Worte doch richtig aus!«

»Nur weil ich mich jahrelang habe üben können. Der Name Sei-tei-nei ist auch deutsch, aber mit chinesischer Zunge ausgesprochen. Er heißt eigentlich ...«

»Halt!« unterbrach der Methusalem ihn schnell. »Sollte das möglich sein! Was ahne ich! Sie sprachen von Kohlen. Sie sprachen ferner von einem Herrn Sei-tei-nei, welcher in der Provinz Hu-nan wohnt! Sei-tei-nei! Da haben Sie ein ›ei‹ zwischen die Konsonanten und dann noch eines an das Ende des Wortes gesetzt, weil der einzige und eigentliche Vokal des einsilbigen Wortes eben auch ein ›ei‹ ist?«

»So ist es.«

»Der Name lautet also Stein?«

»Ja, Stein. Herr Stein ist mein Pi-li-ni-zi-pa-la, mein Prinzipal.«

»Wie ist sein Vorname?«

»Da-ni-ne-le, also Daniel.«

Da stieß Richard einen Schrei des Entzückens, aus, eilte auf den Chinesen zu, faßte ihn an der Hand und rief: »Stein – Daniel – ein Deutscher – in der Provinz Hu-nan – Sie kennen also meinen Oheim, den guten Onkel Daniel? Welch eine Ueberraschung, welches Entzücken! Das ist eine Fügung Gottes, welche mich ausserordentlich glücklich macht. Wie gut, daß wir Sie herein gelassen haben!«

Der Chinese sah den Jüngling erstaunt an und fragte ihn: »Wie? Was? Sie kennen den Herrn?«

»Natürlich! Er ist ja mein Oheim!«

»So sind Sie ... so haben Sie seinen Brief empfangen?«

»Ja. Wissen Sie von diesem Briefe?«

»Alles! Ich selbst habe ihn ja nach Kanton zu unserm Agenten gebracht.«

»Sie selbst. Sie selbst!«

»Ja, und jetzt wollte ich diesen Agenten besuchen, um ihn im Auftrage meines Prinzipals zu fragen, ob vielleicht eine Antwort eingelaufen sei! Dabei bin ich unter die Piraten geraten.«

»Ich selbst bin die Antwort. Ich bin, anstatt zu schreiben, sofort selbst abgereist. Onkel Methusalem hier that es nicht anders. Wir wollten nach Kantong zu dem Agenten, um uns zu erkundigen, welche Reisegelegenheit zu wählen sei.«

»Methusalem? Auch ein Onkel?« fragte der Chinese. »Diesen Namen habe ich noch nie gehört.«

»Er ist sehr selten,« antwortete der Rotblaue lachend. »Es hat, seit die Erde steht, nur ein einziger außer mir noch so geheißen und der ist nun leider endlich tot. Aber wer hätte so etwas denken können, als Sie heimlich an die Thür klopften! Nun soll mir jemand daran zweifeln, daß heut noch Wunder geschehen! Wir heißen Sie natürlich auf das herzlichste willkommen. Zwar befinden wir uns gegenwärtig in keiner angenehmen Lage, aber wir werden schon Mittel und Wege finden, uns aus derselben zu befreien, und dann werden wir sofort nach Hu-nan aufbrechen, oder genauer nach Ho-tsing-ting. So heißt doch wohl der Ort?«

»Ja, Herr.«

»Er scheint früher anders geheißen zu haben?«

»Er hat seinen jetzigen Namen erst, seit Herr Stein sich dort befindet.«

»Dachte es mir. Ting bedeutet eine kleine Stadt, und Ho-tsing heißt soviel wie Feuerbrunnen oder Feuerquelle. Der Ort würde also zu deutsch Feuerbrunnenstadt heißen. Wir wissen, daß Herr Stein eine Petroleumquelle entdeckt hat. Darum, als Sie seinen Namen nannten und von Kohlen sprachen, begann ich zu ahnen, daß Sie den meinen, welchen wir aufsuchen wollen.«

»Nicht nur Petroleum haben wir gefunden, sogar Gas. Das reine Brenngas strömt aus der Erde.«

»Aber nicht freiwillig, sondern infolgedessen, daß Herr Stein nachgebohrt hat?«

»Ja. Dem Bohrloche entströmte eine Luft, welche man verbrennen kann. Sie leuchtet viel besser als Lampen. – Aber gehören Sie alle zusammen? Sind Sie alle miteinander verwandt? Werden Sie alle nach Ho-tsing-ting reisen?«

»Alle, diesen einen Herrn ausgenommen, welcher uns wohl nicht so weit begleiten wird.«

Er zeigte auf den Dicken, welcher ebenso wie der Kapitän und der Gottfried der Scene mit größtem Interesse gefolgt war. Die Begegnung mit diesem Chinesen, welcher ein Beamter des Onkels Daniel war, war eine so ungewöhnliche, daß man zunächst fast gar nicht an die Gefährlichkeit der Lage dachte, in welcher man sich befand. Es gab so viel zu fragen und zu beantworten. Der Kapitän meinte kopfschüttelnd: »Es hat doch schon manches Schiff sehr unerwartet meinen Kurs gekreuzt, aber eine so seltsame Begegnung ist mir noch nicht vorgekommen!«

»Mich auch nicht,«« stimmte Gottfried bei. »Ich bin janz jerührt von diese Jüte des Schicksales. Ich möchte das Fatum beim Kopfe nehmen und mich von ihm einen Kuß jeben lassen. Kommen Sie her, oller Chinesige! Ich schüttle Sie die Hände und rufe Sie ein herzliches Tsching-tsching-tsching entjegen, wat in diesem Lande soviel heißt wie ›du bist mich erjebenst willkommen, oller Schwede! Ich bitte um Ihre Freundschaft und stelle mir selbst nebst Oboe Ihnen zur jeneigten Disposition.‹«

Er umarmte den Chinesen und küßte ihn auf die Wange. Darüber war der Dicke so gerührt, daß er sich eine Thräne aus dem Auge wischte und beinahe schluchzend sagte: »Ik been ook uw vriend. Hebt gij eene goede gezondheid?«

Der Chinese sah ihn fragend an, denn er hatte ihn nicht verstanden. Der Methusalem erklärte ihm: »Mijnheer von Aardappelenbosch versichert, daß er auch Ihr Freund sei, und erkundigt sich, ob Sie eine gute Gesundheit besitzen.«

»O, meine Gesundheit ist ausgezeichnet,« antwortete nun der Chinese.

»En mijne gezondheid is niet goed. Ik ben altijd onpasselijk – und meine Gesundheit ist nicht gut; ich bin immer krank (allzeit unpäßlich).«

Der Chinese wußte nicht recht, wie er zu dieser intimen Mitteilung komme. Er wollte eine Frage aussprechen, welche den Holländer vielleicht beleidigt hätte; glücklicherweise aber kam dieser ihm mit der Versicherung zuvor: »Gij alle zijt mijne vrienden. Ik reiz met naar Ho-tsing-ting. Gij zullt mij niet verliezen – Ihr alle seid meine Freunde. Ich reise mit nach Ho-tsing-ting. Ihr sollt mich nicht verlieren.«

Er reichte allen die fetten Hände und empfing von ihnen die Versicherung, daß dieser sein Entschluß ihnen außerordentlich angenehm sei. Darüber war er so erfreut, daß sein Gesicht vor Vergnügen glänzte.

Darauf kam man nun wieder auf die Gegenwart zu sprechen. Man befand sich ja in einer Lage, welche die größte Vorsicht und Aufmerksamkeit erforderte. Der Methusalem wagte es, die Thüre zu öffnen und herauszutreten. Als er wieder hereingekommen war und den Riegel vorgeschoben hatte, berichtete er: »Es ist wirklich kein Mensch zu sehen, diese Menschen sind außerordentlich nachlässig. Meinen sie denn, uns so sicher zu haben, daß sie sich gar nicht um uns zu kümmern brauchen?«

»So ist es,« antwortete der Chinese. »Wir befinden uns auf hoher See und können ihnen also nicht davonlaufen.«

»Aber sie uns auch nicht! Aus wie vielen Köpfen besteht die Bemannung?«

»Es sind über sechzig Leute.«

»So viele habe ich nicht gesehen.«

»Sie hielten sich verborgen.«

»Und wie sind sie bewaffnet?«

»Nach Ihren Begriffen herzlich schlecht, nach den unsrigen aber sehr gut. Daß sie mit Stinktöpfen versehen sind, haben Sie ja schon bemerkt?«

»Ja, und zwar zum Schaden dieser Leute.«

»Sodann sind Kanonen vorhanden.«

»Wir haben doch keine gesehen!«

»Sie stecken in den Kisten, welche sich unten im Raume befinden. Sobald der Tag anbricht, sollen sie aus diesen Hüllen genommen und aufgewunden werden. Erst dann wird die ›Wasserkönigin‹ als Raubdschunke zu erkennen sein.«

»So ist sie jetzt auf Raub ausgelaufen?«

»Ja. Erst sollen Sie ermordet werden, dann will der Ho-tschang auf Handelsdschunken Jagd machen. Der Raub wird dem Hui-tschu, dem Obersten der Genossenschaft gebracht.«

»Welcher Art sind diese Kanonen?«

»Von derjenigen, welche bei uns Pao genannt wird. Eine jede hat ihren Namen. Nach diesen Bezeichnungen müssen die Geschütze außerordentlich gefährlich sein. Es gibt da einen ›speienden Drachen‹, einen ›verschlingenden Tiger‹, einen ›fürchterlich imposanten Pao‹, einen ›siegerzwingenden‹, einen ›himmelstürmenden‹ und einen ›menschenfressenden Pao‹. Mit Ihren Geschützen sind aber diese Kanonen nicht zu vergleichen.«

»Und die Handwaffen?«

»Da gibt es Schwerter, Lanzen, Beile, Messer, Pfeile, Bogen und alte Pistolen. Außerdem Flinten verschiedenster Art.«

»Sind diese letzteren gut?«

»Nein. Man hat alte Luntenflinten. Diese werden Niaotsiang genannt, was soviel wie Vogelflinte bedeutet. Dann dreiläufige alte Gewehre. Sie führen den Namen San-yan-tschung, ›Flinte mit drei Oeffnungen‹, ferner gibt es Schloßflinten. Man nennt sie Tse-lai-ho-tsiang, ›von selbst losgehende Gewehre‹. Auch Schrotflinten hat man. Sie führen die Bezeichnung Sian-tsiang, ›dünne Flinten‹. Und endlich habe ich noch Windbüchsen gesehen. Man nennt sie Fung-tsiang, was soviel wie ›Windgewehr‹ bedeutet. In der Mandschusprache heißen sie Tschirgabuku miootschan, was man als ›Flinte mit eingesperrter Luft‹ übersetzen muß.«

»Nun, das ist ja eine ganze Masse von Mordwerkzeugen. Man möchte sich wirklich fürchten,« lachte der Blaurote.

»Und fürchten Sie sich wirklich?« fragte der Chinese besorgt.

Er sah den Studenten dabei ängstlich an. Die Chinesen sind keineswegs wegen ihres persönlichen Mutes berühmt, und dieser hier machte sehr wahrscheinlich keine Ausnahme. Er hatte zwar ein ganz ehrliches und vertrauenerweckendes Gesicht; aber er war klein und schmächtig und hatte keineswegs das Aussehen eines furchtlosen Mannes oder gar eines Helden. Es war von ihm schon eine sehr mutvolle Handlung gewesen, sich von den Piraten loszusagen und zu den Deutschen zu gehen. Das wäre wohl nicht geschehen, wenn er nicht von den letzteren Rettung erwartet hätte. Sollte diese Hoffnung etwa getäuscht werden? In diesem Falle hätte er es wohl für besser gehalten, bei den Chinesen zu bleiben. Um ihn in dieser Beziehung auf die Probe zu stellen, antwortete der Methusalem: »Ganz geheuer ist es mir natürlich nicht. Ueber sechzig Feinde, welche in dieser Weise bewaffnet sind! Was können wir gegen die Kanonen thun?«

»O wehe, Herr! halten Sie es für gefährlich?«

»Sehr!«

»So raten Sie mir wohl, mich lieber wieder fortzuschleichen, damit die Piraten gar nicht erfahren, daß ich bei Ihnen gewesen bin?«

»Ich kann Ihnen weder zu- noch abraten. Thun Sie, was Ihnen beliebt. Aber ich denke, daß Ihr Platz bei dem Neffen Ihres Prinzipals ist.«

»Da werde ich ja erschossen!«

»Pah! Glauben Sie das nicht! Ich habe Sie nur prüfen wollen und da leider erfahren, daß wir im Falle eines Kampfes auf Sie nicht allzusehr rechnen dürfen. Aber es kann nicht jeder ein großer Krieger sein; es muß auch Männer des Friedens geben, Kaufleute, Kohlenhändler und andere. Ich denke, daß wir Sie mit durchschleppen werden. Angst zu haben, fällt mir gar nicht ein. Wir sind zwar nur fünf Personen, aber mit sechzig Chinesen nehmen wir es schon noch auf. Oder, sagen Sie, Mijnheer, wollen wir etwa auch, um unser Leben zu retten, Seeräuber werden?«

»Ik niet,« antwortete der Gefragte. »Ich heb geweeren en een mes. Ich ben een groote veldheer – ich nicht. Ich habe Gewehre und ein Messer. Ich bin ein großer Feldherr.«

»Und du, Gottfried?«

»Na, wenn Sie mir fragen, so können Sie mich leid thun!« antwortete der Pfeifenträger zornig. »Eine Handvoll Chinesen werden doch mir nicht aus der Fassung bringen. Wenn die mit mich nach dem Monde wollen, so werfe ich sie alle runter in die Wolken. Diese Kerls blase ich mit meine Oboe an, daß sie nur so durch die Lüfte fliegen. Jottfried und Seeräuber! Wer mich so wat zumutet, der verdient die hellen Prüjel, und aber wat für welche!«

»Schön! Und Sie, Kapitän?«

»Auch mich fragen Sie?« meinte Turnerstick. »Wollen Sie mich kränken oder gar beleidigen?«

»O nein, ich halte es für meine Pflicht, Sie zu fragen, bevor wir einen Beschluß fassen, dessen Ausführung jedenfalls mit Gefahren verbunden ist.«

»So kann ich Ihnen weiter nichts sagen, als daß ich ein Seemann bin, der in Gefahren groß geworden ist.«

»Gut, so sind wir also einig. Was nun thun? Wir haben zwar noch Zeit, doch ist es besser, schon jetzt zu einem Plane zu kommen. Wo schlafen die Matrosen?«

Diese Frage war an den Chinesen gerichtet. Er antwortete: »Unten im Raume bei den Kanonen.«

»Schlafen sie stets da unten?«

»Ja.«

»So ist die Einrichtung eine ganz andre als auf unsern Schiffen. Drei Wachen und der Steuermann auf Deck und die andern alle unten. Das ist eine heillose Wirtschaft, besonders für einen Piraten. Ich habe gesehen, daß die Segel gesetzt sind, und da wir ruhiges Wetter und konstanten Landwind haben, so sind zwar keine Deckhände notwendig; aber wenn plötzlich eine Bö kommen sollte, was in diesen Gewässern häufiger vorkommt als anderwärts, so würde sich die Dschunke ganz gemächlich umlegen und mit uns in die Tiefe gehen. Wo schläft der Kapitän?«

»Gewöhnlich hier nebenan,« antwortete der Chinese. »Heute aber wagte er das nicht, da er Ihre Gewehre fürchtete. Die Kugeln dringen durch die dünne Wand. Er befindet sich mit dem Schiffsherrn und dem Priester in der hintern Kajüte.«

»Das ist gut. Aber sagen Sie mir zunächst, wie ich Sie nennen soll. Sie haben uns Ihren Namen noch nicht gesagt.«

»Mein Titelname ist Liang-ssi.«

Auf die Frage des Methusalem hatte der Chinese seinen Titelnamen genannt: Liang-ssi, zu deutsch: ›gute Geschäfte‹. Dieser Name ließ sehr leicht auf die Eigenschaften seines Trägers schließen; derselbe war jedenfalls ein tüchtiger Kauf- oder überhaupt Geschäftsmann. Kriegerischer Sinn war da nicht zu erwarten.

»Mich,« sagte der Student, »können Sie verschieden nennen. Ich heiße Degenfeld, zuweilen auch Methusalem. Wollen Sie sich aber lieber des Chinesischen bedienen, so rufen Sie mich ›Tsing-hung‹«.

»Tsing-hung?« fragte der Chinese erstaunt. »Das heißt ja der Blaurote!«

»Allerdings.«

»Nennt man Sie so?«

»Ja.«

»Weshalb?«

»Wegen meiner Nase.«

»Sonderbar! Ist das Ihr Titelname?«

»Nein, sondern mein Scheng ming.«

»Ihr Studentenname? Was haben Sie studiert?«

»Das, was Sie Tschu nennen.«

»Das heißt alles?«

»Ja. Ich hatte wenig Lust, aber sehr viel Zeit. Darum lernte ich alles, und kann nun nichts. Doch erlauben Sie mir Ihnen die Namen der andern Herren zu nennen! Dieser Herr ist Kapitän Turnerstick, welcher Name von einem Chinesen, der unsre Sprache nicht kennt, wie Tu-ru-ne-re-si-ti-ki ausgesprochen würde. Hier mein Diener Gottfried, welches letztere Wort wie Go-to-to-fi-ri-di lauten müßte. Eigentlich heißt er auch noch Ziegenkopf, womit ich Sie aber nicht behelligen darf, da ich sonst Zi-ge-ne-ko-po-fo zu sagen hätte. Und nun dieser, mein lieber Freund, heißt Aardappelenbosch. Wie würden Sie da als Prachtchinese sagen?«

»A-ra-da-pa-pe-le-ne-bo-scho,« antwortete der Chinese.

»Danke sehr, bin jetzt froh, daß ich nicht in Ihrem Reiche der Mitte geboren wurde! Und nun, mein lieber Kapitän, möchte ich auch von Ihnen etwas wissen. Wie viele Hände braucht so ein Ho-tschang, um mit oder auf der Dschunke ein Manöver ausführen zu lassen?«

»Da muß ich wissen, welches.«

»Wenden.«

»Wenden? Hm! Das kommt sehr auf den Wind an.«

»Ich meine den jetzigen.«

»Also Landwind. Wir gehen vor dem Winde. Eine solche Dschunke ist ein sehr ungehorsames Ding. Ankreuzen kann man nur ganz wenig. Warum fragen Sie?«

»Wir fahren nach Hong-kong zurück.«

»Nach – Hong – kong?« dehnte Turnerstick. »Sind Sie verrückt?«

»Wahrlich nicht.«

»Die Chinesen werden sich hüten, umzukehren!«

»Das denke ich auch. Wir fragen sie aber gar nicht.«

»Alle Teufel! Ich verstehe! Master Methusalem, das ist kühn!«

»Wenn auch! Dem Kühnen gehört ja die Welt.«

»Richtig! Welch ein Streich! So etwas wäre noch nie dagewesen.«

»Desto besser! Ich thue gern etwas, was andre nicht fertig bringen. Also, wie viele Hände brauchen Sie, wenn Sie das Kommando der ›Königin des Wassers‹ übernehmen?«

»Will sehen.«

Er öffnete leise die Thür, trat hinaus und sah sich um. Sein scharfes Seemannsauge erkannte den Wächter, welcher schlafend am großen Maste saß. Er prüfte das Schiff, die See, den Wind, kehrte dann in die Kajüte zurück und sagte: »Landwind und Ebbe, da ist bei dieser Takelung und mit den wenigen und schweren Mattensegeln nichts zu machen.«

»Wirklich gar nichts?«

»Ja. Höchstens könnte man die Segel fallen lassen, aber dennoch würde man durch die Ebbe weiter in See getrieben werden.«

»Können Sie nicht wenigstens beidrehen?«

»Ja, wir können uns eben vor Topp und Takel legen, aber es nützt uns nichts. Zwar ist die Dschunke in ihrer Art sehr gut gebaut. Ich müßte es doch versuchen, indem ich die Segel killen lasse und sie dann lähnlich brassen. Nehme ich, da Sie das nicht verstehen, dann selbst das Steuer, so kann ich es vielleicht fertig bringen, daß wir wenigstens keine Fahrt machen. Wir treiben dann nicht weiter in See und können warten bis früh der Seewind aufkommt und nachher die Flut eintritt. Mit beiden können wir dann nach Hong-kong zurück.«

»Gut, machen wir es so! Also wie viele Leute soll ich Ihnen zur Verfügung stellen?«

»Zur Verfügung? Können Sie denn die Matrosen so aus den Aermeln schütteln?«

»Ja.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Und doch ist es so leicht. Unser Freund Liang-ssi geht hinunter zu den Chinesen und schickt uns unter irgend einem Vorwande so viele wie Sie brauchen, herauf. Er muß sie einzeln wecken und ebenso einzeln schicken, damit unten keiner von dem andern etwas weiß. Die übrigen dürfen nicht erwachen. So wie die Kerls einzeln kommen, überwältigen wir sie. Dann sind sie gezwungen, zu thun, was wir wollen. Die andern nageln wir ein, daß sie nicht heraus können.«

»Herrlicher Gedanke! Methusalem, Sie sind ein Prachtkerl!«

»Ja,« stimmte der Dicke bei, »hij wil het gaanze scheep muisen – ja, er will das ganze Schiff mausen!«

»Ja, dat wollen wir!« fiel Gottfried lustig ein. »Donner und Doria, wat werden die daheim im Jeldbriefträger von Ninive für Jesichter machen, wenn wir ihnen erzählen, daß wir fünf Personen eine janze Dschunke mitsamt die Bemannung jestohlen und in die Westentasche davonjetragen haben! Ja, so wird es jemacht! Wat ich dabei thun kann, dat wird jern jeschehen!«

»Ist es nicht zu gefährlich?« fragte der Chinese.

»Nein,« antwortete der Methusalem.

»Aber ich soll die Leute heraufschicken?«

»Die werden Sie nicht fressen!« beruhigte ihn der Kapitän. »Sinnen Sie sich nur einen guten Vorwand aus!«

»Aber sie werden sich an mir rächen wollen!«

»Pah! Wir sorgen schon dafür, daß sie unschädlich gemacht werden und Ihnen nichts thun können. Gibt es Stricke hier in der Nähe?«

»Genug, in dem Behältnisse aber vor dieser Kajüte.«

»Dahinein da kann man nur von oben gelangen?«

»Ja.«

»Und da steht der Vorderposten, das ist unangenehm!«

»Gar nicht!«, sagte der Methusalem. »Ich werde gleich ein Wort mit dem Mann sprechen.«

»Sie wollen hinauf zu ihm?«

»Ja. Jedenfalls schläft auch er. Ich nehme ihn ein wenig bei der Kehle. Passen Sie 'mal auf! Gottfried mag mitgehen und sein Taschentuch als Knebel bereit halten.«

Die beiden verließen die Kajüte. Sie sahen die Leinen, an denen am Abende die Laternen gehangen hatten. Der Methusalem schnitt eine derselben ab, um sie als Fessel gebrauchen zu können. Er sah den schlafenden Mann am Großmaste sitzen.

»Komm, Gottfried,« sagte er. »Wir wollen erst diesen unschädlich machen.«

Sie schlichen sich zu ihm hin und kamen ganz an ihn heran, ohne daß er aufwachte.

»Ich fasse ihn bei der Kehle,« flüsterte der Student. »Er wird den Mund öffnen, um zu schreien oder Atem zu holen. Da steckst du ihm dein Taschentuch so weit wie möglich hinein.«

»Schön! Werde ihm jut bedienen!«

Sie nahmen sich noch Zeit, die lange Leine in kürzere Stücke zu schneiden; dann legte Degenfeld dem Manne die Hände um den Hals. Er wollte erschrocken auffahren und schreien. Im Nu schob ihm der Wichsier das Tuch in den Mund.

»So!« nickte der letztere. Der singt uns nun keine Quadrille vor. Soll ich ihn binden? Halten Sie ihm jetrost fest!«

Der so unzart Ueberraschte schlug mit den Händen und stieß mit den Füßen um sich, konnte aber nicht verhüten, daß Gottfried ihn so fesselte, daß er sich nicht mehr zu bewegen vermochte.

»Mit dem sind wir fertig,« meinte Degenfeld. »Nun nach vorn!«

Dort führte eine schmale Treppe neben der Kajüte auf das Dach derselben. Sie stiegen leise die Stufen hinan und sahen den Posten schlafend oben sitzen. Es erging ihm genau so, wie seinem Kameraden. Der Methusalem hatte sein Taschentuch herausgezogen, um ihn mit demselben zu knebeln; aber Gottfried sagte: »Lassen Sie es in der Tasche! Wir brauchen unsre Jelegenheitstücher selber. Ich schneide ihm ein Stück von seinem Schlafrocke ab. Dat wird dieselben Dienste thun.«

So geschah es. Dann stiegen die beiden wieder hinab, um den Kameraden zu sagen, daß ihr Vorhaben glücklich ausgeführt worden sei.

»Nun haben wir noch zwei,« meinte Turnerstick, »den Hinterposten und den Steuermann. Dabei muß ich sein, des Steuers wegen. Es ist geraten, es festzubinden. Wir können keinen Mann entbehren.«

Jetzt wurde zunächst Liang-ssi in das kleine Kämmerchen nach Stricken geschickt. Dann begaben sie sich alle nach dem Hinterteile des Schiffes, hier führte auch eine Treppe hinauf auf das hohe Quarterdeck. Auf den Stufen derselben saß die Wache und – – schlief. Sie wurde leicht und in derselben Weise wie die beiden andern bewältigt.

Dann galt es noch dem Steuermanne, welcher jedenfalls wach war. Deshalb konnte man seiner nicht so leicht Herr werden, und doch mußte alles Geräusch vermieden werden, da der Ho-tschang unter ihm schlief.

»Wie fangen wir es an?« fragte Turnerstick. »Wenn wir – ah, ich bin ja als Chinese angezogen; er wird mich also für einen der Leute halten. Passen Sie auf! Sobald ich ihn habe, kommen Sie mit den Stricken nach.«

»Greifen Sie aber ja fest zu, daß er nicht schreien kann!«

»Keine Sorge! Die Kehle, welche ich in meine Hand bekomme, bringt sicherlich keinen Laut hervor.«

Während die andern zurückblieben und nur heimlich über die Kante des Quarterdeckes lugten, stieg Turnerstick die wenigen Stufen hinan und ging stracks auf den To-kung zu. Dieser fragte ihn in mürrischem Tone, was er wolle. Er hielt ihn wirklich für eine der Wachen.

»Das kangst du noch frageng?« antwortete der Kapitän. »Ich will 'mal deinen Hals untersuching, Bursche. Da, warte, du erbärmlicher spitzbübischer Hallunking!«

Während er diese prachtvolle chinesische Antwort gab, legte er ihm die Seemannshände um den Hals und drückte denselben so fest zusammen, daß der Steuermann lautlos zusammenbrach. Er wurde gefesselt und geknebelt wie die andern.

»Das geht gut,« meinte Liang-ssi. »So leicht habe ich es mir nicht vorgestellt.«

»Na, so leicht, wie es den Anschein hat, ist es freilich nicht,« antwortete Gottfried. »Wenn Sie etwa dat Jejenteil behaupten, so versuchen Sie es nur einmal mit dem Ho-tschang, welcher nun wohl an die Reihe kommt. Da können Sie beweisen, daß Sie Mark und Enerjie besitzen.«

»Ich danke, ich danke! Ich würge keinen ab!«

»Wir auch nicht. Wir säuseln ihnen nur so ein bisken um die Gurjel, aberst leben lassen thun wir ihnen doch. Ich wenigstens habe keine Lust, mir als Mörder an den Galjen offknobeln zu lassen. So wat ist meine Passion nie nicht jewesen, weshalb ich mir noch jetzt des besten Wohlseins erfreue.«

Der Methusalem forderte den Chinesen auf, ihm zu zeigen, wo der Ho-tschang mit dem Eigentümer des Schiffes schlafe. Das war unterhalb des Steuers in der Achterkajüte. Auch der Priester befand sich dort.

Es waren Stellen da, an denen die dünne Wand nicht schloß. Ein Lichtschein drang durch die Fugen. Degenfeld trat hinzu und blickte hinein. Er konnte nicht den ganzen Raum sehen, erkannte aber doch die drei Männer, welche auf dicken Strohdecken schliefen, die auf dem Fußboden lagen. Von der niedrigen Decke hing eine Papierlaterne herab.

»Die Dummheit und Sorglosigkeit dieser Menschen sind wirklich fast noch größer als ihre Schlechtigkeit,« sagte er. »Sie müssen vollständig überzeugt sein, uns fest im Sacke zu haben. Uns so zu behandeln und dennoch wie die Ratzen zu schlafen, das ist stark! Sie verlassen sich allzu sehr darauf, daß sie unsre Thür verrammelt haben. Schläft die Mannschaft unter ihnen?«

»Nein,« antwortete Liang-ssi. »Die Leute liegen im Mittelraum, also mehr nach vorn.«

»So können wir immerhin ein wenig Lärm riskieren, welcher sich auch gar nicht vermeiden läßt, da sie sich eingeriegelt haben. Gibt es starke Nägel und einen Hammer?«

»Ja, da wo die Stricke lagen.«

»Holen Sie das, während wir hier diesen Herrschaften einen guten Morgen sagen!«

Der Chinese ging. Degenfeld probierte, an welcher Stelle der Thür sich innen der Riegel befand. Dann stemmte er sich gegen dieselbe und sprengte die Thür auf. Die drei Schläfer erwachten und richteten sich halb auf. Der Blaurote hatte seine beiden Revolver gezogen, Gottfried ebenso, Richard den seinigen auch. Turnerstick folgte diesem Beispiele, und der Dicke, welcher seine beiden Flinten um keinen Preis verlassen hatte, hielt dieselben drohend in beiden Händen.

»Bleibt sitzen, oder ihr bekommt die Kugeln!« herrschte der Methusalem die Erschrockenen an, natürlich in ihrer Muttersprache. »Wer einen Laut hören läßt, ohne daß ich es ihm erlaubt habe, der ist verloren!«

Die Gesichter, welche sie zeigten, hätte kein Maler wiedergeben können. Sie starrten die Eingetretenen so entsetzt an, als ob sie Geister vor sich hätten.

»Sie – Sie sind es?« stammelte endlich der Ho-tschang. »Was wollen Sie?«

»Uns für das Opium bedanken, welches ihr uns beigebracht habt.«

»Opium? Was meinen Sie?«

»Stellen Sie sich nicht unwissend! Sie haben uns Opium in das Getränk gethan, um uns zu betäuben!«

»Das ist nicht wahr! Wir wissen nichts davon.«

»Es ist wahr!«

»Nein, Herr! Aus welchem Grunde hätten wir das thun sollen?«

»Um uns zu ermorden.«

»Tien-na! Himmel! Halten Sie uns für Mörder?«

»Allerdings. Meint ihr, wir wissen nicht, daß eure ›Schui-Heu‹ eine Piratendschunke ist?«

»Herr, was sagen Sie! Ich werde sofort alle meine Leute kommen lassen, welche bezeugen können, daß wir ehrliche Menschen sind.«

Er wollte aufstehen. Der Methusalem hielt ihm den Revolver gegen die Stirn und gebot: »Sitzen bleiben, sonst schieße ich! Ich glaube wohl, daß Sie Ihre Leute gern rufen möchten, aber nur, um uns zu überwältigen.«

»Herr, Sie irren sich wirklich! Der Himmel und die Erde sind meine Zeugen, daß Sie sich irren. Wir sind Ihre Freunde, haben wir Sie nicht höflich und gastlich bei uns aufgenommen und Sie sogar zum Kong-pit eingeladen?«

»Eingeladen haben Sie uns, aber nur in der Absicht, uns das Opium mit guter Manier beizubringen. Wir wissen das sehr genau.«

»Das ist nicht wahr. Wer hat uns gegen Sie verleumdet? Wir haben es gut gegen Sie gemeint; aber Sie sind es, welche unsre Freundschaft mit Undank vergolten haben. Sie haben drei meiner Leute erschossen und dabei noch einen vierten verwundet!«

»So hat die eine Kugel sogar zwei getroffen; das freut mich außerordentlich. Und wenn wir Ihre Leute erschießen, legen Sie sich ruhig schlafen? Zeugt das nicht gegen Sie? Wären Sie wirklich die ehrlichen Menschen, für welche Sie sich ausgeben, so hätten Sie uns als Mörder behandeln müssen und nicht eher ruhen dürfen, bis Sie sich unser bemächtigt hatten.«

»Das haben wir ja gethan! Sie befinden sich doch in unsrer Gewalt, und wir haben Ihre Thür verrammelt.«

»Wie sehr wir uns in Ihrer Gewalt befinden, das sehen Sie jetzt. Und wann haben Sie die Thür verrammelt? Ehe wir schossen oder später? Warum haben Sie Löcher in unsre Thür gebohrt?«

»Um zu sehen, ob Sie schliefen.«

»Woher brauchten Sie das zu wissen? Auch das zeugt gegen Sie. Und warum schickten Sie dann einen Mann an der Schiffswand herunter nach unsrer Luke?«

»Weil Sie uns nicht erlaubten, durch die Thür zu sehen.«

»Alberne Ausrede und Lüge! Der Mann sollte einen Hi-thu-tschang zu uns hereinwerfen! Warum sind Sie nicht bis zum Vormittage in Hongkong geblieben?«

»Sind wir denn nicht mehr dort?«

Er machte zu dieser Frage ein so dreistes Gesicht, daß der Methusalem ihn empört anfuhr: »Verstellen Sie sich nicht! So ein Kerl wie Sie bringt es nicht fertig, uns zu täuschen. Wäre Ihre Dummheit nicht so sehr groß, daß ich geradezu Mitleid mit derselben fühle, so würde ich Ihnen mit den Händen in das Gesicht schlagen. Sie sind von Anfang an darauf ausgegangen, sich unser zu bemächtigen. Warum haben Sie uns durch den Amerikaner belauschen lassen?«

»Amerikaner? Wen meinen Sie?«

»Den Menschen, welcher sich für einen Malaien ausgeben mußte.«

»Das ist er ja auch!«

»Er wird uns das beweisen müssen! Dann, als er Ihnen unsre Reden mitgeteilt hatte, konnte Ihr Geist meine Frage allerdings sehr leicht beantworten.«

»Das kann er stets, der Geist ist allwissend.«

»Wirklich? Nun, ich habe es ja in der Hand, Ihnen das Gegenteil zu beweisen. Er hat Ihnen gesagt, daß Sie und wir alle glücklich nach Kanton kommen werden. Darin hat er sich nun leider doch geirrt, denn zwar wir werden Kanton sehen, Sie aber kommen nie im Leben wieder hin.«

»Wieso?«

»Weil man Sie in Hongkong ein wenig aufhängen wird, wie man mit Seeräubern zu verfahren pflegt.«

Der Ho-tschang blickte seine beiden Nachbarn an, als ob er Hilfe bei ihnen suche; sie wichen aber seinen Blicken aus und wagten auch nicht, ein Wort zu sprechen. Diese Menschen waren feig. Als er sah, daß sie ihm die Verteidigung überließen, beteuerte er: »Herr, alles, was Sie uns vorwerfen, beruht auf einem großen Irrtum, welcher sich sofort aufklären läßt, wenn Sie mir erlauben, meine Leute zu rufen.«

»Ich brauche nur einen einzigen von ihnen, und der ist hier. Wollen Sie leugnen, daß er Ihr Gefangener ist?«

Liang-ssi war eingetreten, nachdem er erst vorsichtig hereingesehen hatte. Als der Ho-tschang ihn erblickte, verstummte er, warf aber einen wütenden Blick auf ihn.

»Nun, antworten Sie doch? Wozu sind die Kanonen unten in den Kisten?«

»Sollen denn Kanonen in den Kisten sein?« lautete die freche Gegenfrage.

»Allerdings!«

»Führen Sie uns hinab, so werde ich Ihnen beweisen, daß dies eine Lüge ist!«

»Dazu habe ich keine Lust, weil Ihre ehrlichen Matrosen dort schlafen. Uebrigens brauche ich meine Worte gar nicht an Sie zu verschwenden; Sie antworten doch nur mit Lügen. Aber in Hongkong wird man Sie schon zum Geständnisse bringen.«

»Gut, so lassen Sie mich hinaus! Das Schiff scheint sich losgerissen zu haben und mit der Ebbe in See gegangen zu sein. Ich werde es zurückführen, und dann bringen Sie Ihre Klagen bei dem Hing-kuan Justiz-Mandarin an!«

»Diesen Rat werde ich nicht befolgen. Um die Dschunke nach Hongkong zurück zu bringen, brauchen wir Sie nicht. Und wenn wir dort angekommen sind, werden wir zwar Klage erheben, aber nicht bei Ihrem Kuan, sondern bei unsern Konsuls. Ihnen werden wir auch das Schiff ausliefern.«

Die Kerls erbleichten.

»Herr, das dürfen Sie nicht!« rief der Ho-tschang.

»Warum nicht? Weil es Ihnen dann schnell an den Hals geht? O, wir kennen das Rechtsverfahren Ihres Landes! Wir haben keine Lust, auf die Entscheidung von sechs Untergerichten zu warten und dann noch zu erfahren, daß der Tutscha-yuen Großuntersuchungsrichter oder der Ta-li-sse Kassationshof Sie doch noch laufen läßt. Sie sind Räuber; das beweisen wir. Sie haben uns, die wir Ausländer sind, ermorden wollen, also gehört die Angelegenheit vor die Vertreter der Länder, deren Bürger wir sind. Und diese Konsuls werden dafür sorgen, daß Ihnen der Strick bald um den Hals zu liegen kommt! Gottfried, Kapitän, binden Sie die Kerls!«

Diese letztere Aufforderung wurde natürlich in deutscher Sprache gesprochen.

»Ik bind ook met!« sagte der Mijnheer. »Ik ben ook daaraan – ich binde auch mit. Ich bin auch dabei.«

Und als die drei sich wehren wollten, hielt er dem Priester den Flintenlauf vor die Nase und rief: »Sluit den mond, gij heidensch geestelyke! Wilt gij eene kogel in het aangezigt hebben – schließe den Mund, du Heidengeistlicher! Willst du eine Kugel in das Gesicht haben?«

Das klang freilich drohend genug. Daneben stand der Methusalem mit den Revolvern und versicherte, bei einem etwaigen Hilferuf augenblicklich den Betreffenden zu erschießen. Das schüchterte die Chinesen so ein, daß sie sich binden und sogar auch knebeln ließen.

Nun galt es, sich der Mannschaft zu versichern. Turnerstick sagte, daß er höchstens zehn Mann zur Bedienung des Schiffes brauche. Die sollte Liang-ssi einzeln heraufschicken. Da bis jetzt alles so gut abgelaufen war, erklärte er sich dazu bereit und stieg durch die Mittelluke in den Raum hinab. Von seiner Klugheit hing das fernere Gelingen des Handstreiches ab. Hoffentlich war seine Verschlagenheit größer als sein Mut. Da er erklärt hatte, daß er die Leute zum Ho-tschang schicken werde, der ihn nach ihnen geschickt habe, so verbargen sich die fünf hinter mehreren großen Körben und leeren Kisten, an denen die Leute vorüber mußten. Stricke waren nach Bedarf vorhanden.

Der erste kam. Als er vorüber wollte, wurde er von Degenfeld und Gottfried gepackt. Der Schreck ließ ihn verstummen, und das übrige thaten die Drohungen, welche er zu hören bekam. Er wurde mit beiden Händen an den Vordermast gebunden.

Ebenso erging es den andern. Liang-ssi entledigte sich seiner Ausgabe auf das vortrefflichste. Er sagte einem jeden, daß er heimlich zum Ho-tschang kommen solle, ohne daß jemand es bemerken dürfe. Auf diese Weise schickte er nach und nach zehn Personen herauf, ohne daß die andern aufgeweckt wurden. Diese zehn wurden auf die beschriebene Weise festgenommen und an die Masten oder das Geländer gebunden.

Nach dem letzten kam er selbst wieder auf das Deck. Er fragte den Methusalem, ob dieser mit ihm zufrieden sei.

»Sie haben Ihre Sache weit besser gemacht, als ich es Ihnen zutraute,« antwortete Degenfeld. »Wie viele Ausgänge hat der Raum?«

»Nur diesen einen.«

»So nageln wir die Luke zu und wälzen einige von diesen schweren Körben darauf. Dann soll es keinem gelingen, den Deckel aufzusprengen.«

Nägel hatte der Chinese vorhin geholt. Als die Hammerschläge ertönten, erwachten natürlich die im Raume befindlichen Matrosen. Sie kamen die Lukentreppe herauf, um zu erfahren, was der Lärm zu bedeuten habe. Als sie nun erfuhren, daß die Luke vernagelt wurde, erhoben sie ein wildes Geschrei und versuchten, sie aufzusprengen, was ihnen aber nicht gelang. Sie konnten sich den Grund, weshalb der Ho-tschang dieses Experiment machte, nicht erklären, sagten sich aber, daß er jedenfalls eine Veranlassung dazu habe, und beruhigten sich durch den Gedanken, daß sie das Nähere bald erfahren würden. Ihr Rufen und Klopfen verstummte. Sie hatten sich wieder niedergelegt.

Dennoch beorderte der Methusalem Richard Stein an die Luke, um da als Wache zu bleiben, wozu der Knabe am besten verwendet werden konnte.

Jetzt war man so weit, daß der Kapitän seine Manöver beginnen konnte. Er stieg hinauf an das Steuer, um dieses zu regieren und von da aus seine Befehle zu erteilen, welche, wie er überzeugt war, den Matrosen sehr verständlich sein würden.

Diese letzteren sollten die Ausführung übernehmen und dabei von Degenfeld, Gottfried, dem Mijnheer und Liang-ssi überwacht werden. Wer sich nicht gehorsam zeigte, sollte augenblicklich erschossen werden. Dies wurde ihnen gesagt. Keiner von ihnen hatte eine Waffe, und die Fesseln wurden ihnen nur so weit gelockert, als unbedingt notwendig war. Darum sahen sie ein, daß sie sich fügen müßten, und verzichteten auf allen Widerstand. Jedenfalls war nebenbei ihre Verblüffung so groß, daß sie gar nicht auf den Gedanken kamen, sich zu wehren.

Turnerstick hatte dem Methusalem bedeutet, drei Matrosen an den Vor-, drei an den Hinter- und vier an den Großmast zu postieren. Diese Kräfte waren genügend, die Taue zu regieren, welche an die beiden Enden der Raaen, also an die Oberecken der Segel befestigt sind. Diese Taue werden bei uns Brassen genannt. Sie dienen dazu, die Segel horizontal zu bewegen, damit der Wind mehr oder weniger auf die Fläche derselben trifft. Die Brassen nach der Windseite heißen Luvbrassen; die andern werden Leebrassen genannt. Voll brassen heißt, die Segel so richten, daß sie den Wind senkrecht auf sich auffangen; in den Wind brassen oder lähnlich brassen heißt, die Segel so stellen, daß der Wind sie nur am Rande trifft.

Als der Kapitän sah, daß die Leute ihre Plätze eingenommen hatten, kommandierte er: »Hoiho, ihr Jungengs, aufpasseng, aufpassing, aufpassong!«

Sie blickten nach ihm hin, verstanden ihn aber nicht. Als er die Gesichter der Hinterbordmannen auf sich gerichtet sah, fuhr er fort: »All Hand an Steuerringbording! Nehmt die Leebrasseng! Holt scharf an! Fest ziehen, zieheng, ziehing, ziehung!«

Sie standen da und wußten nicht, was sie machen sollten.

»Alle Teufling, könnt ihr nicht höring! Könnt ihr nicht chinesisch verstehung! Gebt die Luvbrasseng frei, und holt im Lee fest an! Anholeng, anholing, anholung!«

Jetzt nahmen Degenfeld und Liang-ssi sich der Sache an, indem sie die Befehle des großen Chinologen verdolmetschten. Die Befehle wurden ausgeführt und zwar so leidlich, daß Turnerstick vom Steuer her fragte: »Nun, Master Methusalem, was sagt man jetzt zu meinem Chinesisch: Tüchtiger Kerl, der Heimdall Turnerstick, nicht? Kann in allen Dialekten kommandieren!«

»Ja, es ist erstaunlich!« antwortete Degenfeld.

»Habt mir's so gar nicht zugetraut, weiß es schon. Habe aber da mal Leute gefunden, welche das richtige Hochchinesisch im Kopfe haben. Paßt nur mal auf!«

Und mit donnernder Stimme gebot er weiter: »Jetzt ganz in den Wind die Brasseng, ganz, ganz, vollständig, vollständang, vollständung! Legt sie fest, festlegang, festleging – leging – legang!«

Da der Befehl den Leuten wieder verdolmetscht wurde, was Turnerstick entweder gar nicht hörte oder doch nicht beachtete, so wurde er vollzogen.

»So ist's brav; so ist's gut!« rief er. »Fällt schon ab nach Steuerbord, die alte Dschunke. Macht so fort, ihr Bursche, Bursching, Burscheng, Burschung!«

Ganz ebenso ging es bei den folgenden Kommandos. Er brachte es wirklich so weit, daß das Fahrzeug ohne Fahrt zu liegen schien, band das Ruder fest und kam dann herabgestiegen, um die Matrosen wieder anbinden zu lassen.

Er klopfte Degenfeld auf die Achsel und sagte in vergnügtem Tone: »Gar keine üblen Kerls, diese Chinesen! Habe es bisher gar nicht gedacht. Aber freilich ein deutliches Chinesisch muß man mit ihnen reden, sonst ist's eben nichts.«

»Dazu sind Sie ja der richtige Mann!«

»Will's meinen! Ja, meine Endungen, meine Endungen, bester Methusalem. Wenn doch auch Sie sich mit ihnen befreunden wollten! Dann könnten Sie sich diesen Leuten später auch mal verständlich machen.«

»Werde mich bemühen! Aber wie steht es? Die Dschunke macht doch einen Bogen?«

»Scheint nur so, scheint nur so. Sie liegt bei, ganz fest bei. Nun warten wir den Morgenwind, welcher bekanntlich nach dem Lande bläst, und die Flut ab. Dann geht's nach Hongkong zurück.«

»Sind wir weit davon entfernt?«

»Weiß es nicht genau. Habe keine Instrumente mit und kann mich auf die Karten dieses Ho-tschang nicht verlassen. Habe auch unser ›In die See stechen‹ ganz verschlafen. Vermute aber, daß wir uns noch vor der Mirs-Bai befinden. Muß den Morgen abwarten.«

»So wollen wir, da es nichts zu thun gibt, uns um unsre vier ersten Gefangenen bekümmern.«

»Ja, sie liegen ohne Aufsicht und könnten sich losmachen. Schaffen wir sie alle in die Kajüte, in welcher der Ho-tschang liegt. Da genügt ein Mann, sie zu bewachen.«

Dieser Vorschlag wurde ausgeführt. Dann wachte Richard an der Luke, Gottfried bei der Kajüte, und die andern beaufsichtigten die im Freien angebundenen Matrosen.

Was Hunderte für unmöglich gehalten hätten, war gelungen. Sechs Personen, Liang-ssi eingerechnet, hatten sich einer Piratendschunke bemächtigt, deren Bemannung eine zehnmal stärkere war. Die Freude darüber wirkte besser als alle Medizin. Die Reisenden fühlten keinen Kopfschmerz mehr; sie befanden sich so wohl, als ob es weder Sam-chu noch Opium gegeben habe.


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