Karl May
Der Scout
Karl May

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Diese Erwägungen mochten jetzt durch die Seele des Rothen gehen. Sollte er uns ermorden lassen, um dann seinem Vater sagen oder, falls er fiel, durch die Ueberlebenden wissen lassen zu müssen, daß er unfähig gewesen sei, sich zu beherrschen, daß er, um den Häuptling zu spielen, dem Freunde seines Vaters das Gastrecht verweigert und ihn und dessen Genossen wie Coyoten angeschnauzt habe? Auf solche Erwägungen hatte Old Death sicher gerechnet. Sein Gesicht zeigte nicht die mindeste Sorge, als er jetzt vor dem Rothen stand, die Finger am Drücker der beiden Revolver und ihm fest in die zornblitzenden Augen schauend.

»Fort wollt Ihr?« rief der Indianer. »Wo sind Eure Pferde? Ihr werdet sie nicht bekommen! Ihr seid umzingelt!«

»Und Du mit uns! Denk an das Angesicht des »weißen Bibers«! Wenn meine Kugel Dich trifft, so wird er nicht sein Haupt verhüllen und die Todtenklage über Dich anstimmen, sondern er wird sagen: Ich habe keinen Sohn gehabt. Der von Old Death erschossen wurde, war ein unerfahrener Knabe, welcher meine Freunde nicht achtete und nur der Stimme seines Unverstandes gehorchte. Die Schatten derer, welche wir mit Dir tödten, werden Dir den Eintritt in die ewigen Jagdgründe verwehren, und die alten Weiber werden ihren zahnlosen Mund öffnen, um den Anführer zu verspotten, welcher das Leben der ihm anvertrauten Krieger nicht schonte, weil er sich nicht selbst regieren konnte. Sieh, wie ich hier stehe! Sehe ich aus, als ob ich mich fürchte? Ich spreche nicht aus Angst so zu Dir, sondern weil Du der Sohn meines rothen Bruders bist, von dem ich wünsche, daß er seine Freude an Dir haben möge.

Nun entscheide! Ein falsches Wort an die Deinen, eine falsche Bewegung von Dir, und ich schieße; der Kampf beginnt!«

Der Häuptling stand wohl noch eine volle Minute völlig bewegungslos. Man sah ihm nicht an, was in seinem Innern vorging, denn die Farbe lag ihm dick wie Kleister auf dem Gesicht. Plötzlich aber ließ er sich langsam nieder, nestelte das Calummet von der Schnur und sagte:

»Der »große Bär« wird mit den Bleichgesichtern die Pfeife des Friedens rauchen.«

»Daran thust Du wohl. Wer mit den Schaaren der Apachen kämpfen will, darf sich nicht auch die Weißen zu Feinden machen.«

Wir setzten uns auch nieder.

Der »große Bär« zog seinen Beutel aus dem Gürtel und stopfte die Pfeife mit Kinnikinnik, das ist mit wilden Hanfblättern vermischter Tabak. Er brannte denselben an, erhob sich wieder, hielt eine kurze Rede, welche ich vergessen habe, in welcher aber die Ausdrücke Friede, Freundschaft, weiße Brüder sehr häufig vorkamen, that sechs einzelne Züge, stieß den Rauch gegen den Himmel, die Erde und die vier Windrichtungen und reichte die Pfeife dann Old Death. Dieser hielt auch eine sehr freundschaftliche Rede, that dieselben Züge und gab die Pfeife mir mit dem Bemerken, daß er für uns Alle gesprochen habe und wir nur die sechs Züge nachzuahmen hatten. Dann ging das Calummet zu Lange und dessen Sohn. Sam wurde übergangen, denn die Pfeife wäre nie wieder an den Mund eines Indianers gekommen, wenn ein Schwarzer daraus geraucht hätte. Doch war der Neger natürlich in unsern Friedensbund mit einbegriffen. Als diese Ceremonie vorüber war, setzten sich die Comanchen, welche bisher gestanden hatten, in einem weiten Kreise um uns nieder, und der Kundschafter mußte heran, um zu erzählen, wie er uns getroffen habe. Er stattete seinen Bericht ab und ließ dabei unerwähnt, daß er von Old Death gefangen genommen worden sei. Als er wieder abgetreten war, ließ ich Sam zu den Pferden führen, um mir Cigarren zu holen. Natürlich bekam von den Comanchen Niemand als nur der Häuptling eine, denn es hätte meiner »Häuptlingsehre« geschadet, wenn ich mich gegen gewöhnliche Krieger so brüderlich verhalten hätte. Der »große Bär« schien zu wissen, was eine Cigarre für ein Ding ist. Sein Gesicht zog sich ganz entzückt in die Breite, und als er sie ansteckte, stieß er bei den ersten Zügen ein Grunzen aus, wie ich es ähnlich dann gehört hatte, wenn sich eines jener bekannten lieblichen Thiere, von denen die Prager und westfälischen Schinken stammen, einmal recht urbehaglich an der Ecke des Stalles reibt. Dann fragte er uns in außerordentlich freundlicher Weise nach dem eigentlichen Zwecke unsers Rittes. Old Death hielt es nicht für nothwendig, ihm die Wahrheit zu sagen, sondern erklärte ihm bloß, daß wir einige weiße Männer ereilen wollten, welche nach dem Rio grande seien, um nach Mexico zu gehen.

»Da können meine weißen Brüder mit uns reiten,« meinte der Rothe. »Wir brechen auf, sobald wir die Fährte eines Apachen gefunden haben, welche wir suchen.«

»Und aus welcher Richtung soll dieser Mann gekommen sein?«

»Er war da, wo die Krieger der Comanchen mit den Aasgeiern der Apachen sprachen. Die Weißen nennen den Ort Fort Inge. Er sollte getödtet werden, aber er entkam. Doch hat er dabei einige Kugeln erhalten, so daß er nicht lange im Sattel hat bleiben können. Er muß hier in dieser Gegend stecken. Haben vielleicht meine weißen Brüder eine Fährte bemerkt?«

Es war klar, daß er den Apachen meinte, welchen Winnetou über den Fluß geführt und dort verbunden hatte. Von dem Letzteren wußte er gar nichts.

»Nein,« antwortete Old Death, und er sagte damit auch eigentlich keine Lüge, denn wir hatten keine Fährte, sondern nur einige Tapfen im Flusse gesehen. Es wäre der größte Fehler von uns gewesen, wenn wir Winnetou verrathen hätten.

»So muß dieser Hund tiefer abwärts am Flusse stecken. Weiter hat er nicht reiten können, wegen seiner Wunden, und weil die Krieger der Comanchen bereit standen, die Apachen diesseits des Flusses zu empfangen, falls sie vom Fort Inge entkommen sollten.«

Das klang ziemlich gefährlich für Winnetou. Ich war freilich der Ueberzeugung, daß die Comanchen die Spur im Flusse nicht finden würden, da unsere Pferde dieselbe ausgetreten hatten; aber wenn die Comanchen bereits vor vier Tagen in dieser Gegend hielten, so war leicht zu vermuthen, daß die beiden Apachen ihnen in die Hände gefallen seien. Daß der »große Bär« nichts davon wußte, war noch kein Beweis, daß es nicht geschehen sei. Der schlaue Scout, welcher an Alles dachte, machte die Bemerkung:

»Wenn meine rothen Brüder suchen, werden sie die Stelle finden, an welcher wir über den Fluß gekommen sind und einen Baum abgeschält haben. Ich habe eine alte Wunde, welche aufgebrochen ist, und mußte sie mit Bast verbinden. Das ist ein vortreffliches Mittel, welches mein rother Bruder sich merken mag.«

»Die Krieger der Comanchen kennen dieses Mittel, und sie wenden es stets an, wenn sie sich in der Nähe eines Waldes befinden. Mein weißer Bruder hat mir nichts Neues gesagt.«

»So will ich wünschen, daß die tapfern Krieger der Comanchen keine Veranlassung finden, dieses Mittel viel in Anwendung zu bringen. Ich wünsche ihnen Sieg und Ruhm, denn ich bin ihr Freund, und darum thut es mir leid, daß ich nicht bei ihnen bleiben kann. Sie haben hier nach der Fährte zu suchen, wir aber müssen schnell reiten, um die weißen Männer zu ereilen.«

»So werden meine weißen Brüder auf den »weißen Biber« treffen, welcher sich freuen wird, sie zu sehen. Ich werde ihnen einen Krieger mitgeben, welcher sie zu ihm führen mag.«

»Wo befindet sich Dein Vater, der berühmte Häuptling?«

»Wenn ich Old Death diese Frage beantworten will, so muß ich die Orte so benennen, wie die Bleichgesichter es thun. Wenn meine Brüder von hier aus nach Untergang reiten, so kommen sie an den Nebenfluß des Nueces, welcher Turkey-Creek, der Arm des Truthahns, genannt wird. Sodann müssen sie über den Chico-Creek, von wo an sich eine große Wüste bis zum Elm-Creek erstreckt. In dieser Wüste schweifen die Krieger des »weißen Bibers«, um Niemand über die Furth zu lassen, welche oberhalb des Eagle-Paß über den Rio del Norte geht.«

»Teufel!« entfuhr es dem Scout, doch setzte er schnell hinzu: »Das ist genau der Weg, welchen wir einschlagen müssen! Mein rother Bruder hat uns durch seine Mittheilung außerordentlich erfreut, und ich bin ganz glücklich, den »weißen Biber« wieder sehen zu können. Jetzt aber werden wir uns zur Ruhe begeben, um zeitig munter zu sein.«

»So werde ich meinen Brüdern selbst den Platz anweisen, an welchem sie sich niederlegen sollen.«

Er stand auf und führte uns zu einem starken, dicht belaubten Baume, unter welchem wir schlafen sollten. Dann ließ er unsere Sättel herbeiholen und die Decken dazu. Er war ein ganz Anderer geworden, seit er das Calummet mit uns geraucht hatte. Als er wieder fort war, untersuchten wir die Satteltaschen. Es fehlte uns nicht der geringste Gegenstand, was ich sehr anerkennenswerth fand. Wir machten die Sättel zu Kopfkissen und legten uns neben einander, uns in die Decken hüllend. Bald kamen die Comanchen auch, und wir bemerkten trotz der Dunkelheit, daß sie, sich zur Ruhe legend, einen Kreis um uns bildeten.

»Das darf keinen Verdacht bei uns erwecken,« meinte Old Death. »Sie thun das, um uns in ihren Schutz zu nehmen, nicht aber, um uns etwa an der Flucht zu verhindern. Hat man einmal mit einem Rothen die Friedenspfeife geraucht, so kann man sich auf ihn verlassen. Wollen indessen sehen, daß wir von ihnen fort kommen. Habe ihnen einen tüchtigen Bären aufgebunden wegen Winnetou, denn ich mußte sie von seiner Fährte wegbringen. Aber ich calculire, daß es ihm sehr, sehr schwer geworden sein wird, über den Rio grande zu kommen. Ein Anderer brächte es nicht fertig. Ihm allein traue ich es nicht zu. Aber doppelt bedenklich ist die Sache, da er einen Verwundeten mit hat. Zu solchen Berathungen werden gewöhnlich die erfahrensten Leute gesandt. Darum calculire ich, daß der Mann alt ist. Rechnen wir das Wundfieber dazu, welches er, besonders bei so einem Parforceritte bekommen muß, so ist es mir um ihn und Winnetou himmelangst. Na, wollen wir schlafen. Gute Nacht!«

Er wünschte gute Nacht! Ich fand sie aber nicht, denn von Schlaf war bei mir keine Rede. Wer sich einmal die Schenkel bis an das Kniee aufgeritten hat, so daß die Lederhose am wunden Fleische anklebt und noch dazu die schöne Aussicht hat, am nächsten Tage einen Ritt von fünfzig Meilen durch glühendes, wüstes Land machen zu müssen, der dürfte wohl nicht geträumt haben, daß er bei einem Glase Sect und mit einer Nummer des »Deutschen Hausschatzes« in der Hand im Schaukelstuhle sich wiege. In Folge dessen war ich schon munter, oder vielmehr noch immer munter, als sich der Osten zu lichten begann. Ich weckte die Gefährten, wobei meinerseits wohl ein wenig Bosheit mit im Spiele war. Hatte ich nicht schlafen können, sollten auch sie wach werden. Sie erhoben sich völlig geräuschlos, aber sofort standen auch sämmtliche Indianer um uns. Jetzt am Tage waren die Rothhäute besser zu betrachten als am Abend beim Scheine des spärlichen Feuers. Es überkam mich eine Art von Gruseln, als ich die abscheulich bemalten Gesichter und die abenteuerlich gekleideten Gestalten erblickte. Nur wenige von ihnen hatten ihre Blöße vollständig bedeckt. Viele von ihnen waren mit armseligen Lumpen behangen, welche von Ungeziefer zu strotzen schienen, aber Alle waren starke, kräftige Gestalten, wie ja grad der Stamm der Comanchen als derjenige bekannt ist, welcher die schönsten Männer hat. Von den Frauen darf man in dieser Beziehung freilich nicht reden. Die Squaw ist die verachtete Sklavin des Rothen. Sie darf nicht einmal mit ihm essen, sondern muß sich mit dem begnügen, was er übrig läßt, und alle Arbeit, selbst die schwerste ruht auf ihr. Der Mann lebt nur für die Jagd und den Krieg.

Der Häuptling fragte uns, ob wir »speisen« wollten, und brachte uns wirklich einige Stücke sehniges Fleisch, welches vom Pferde stammte und »zugeritten« war. Wir dankten unter dem Vorgeben, daß wir noch mit Vorrath versehen seien, obgleich derselbe nur noch aus einem ziemlich kleinen Stücke Schinken bestand. Auch den Mann, welcher uns begleiten sollte, stellte er uns vor, und es bedurfte keiner geringen diplomatischen Kunst des Scout, ihn davon abzubringen. Er verzichtete endlich darauf, als der Alte ihm erklärte, daß es eine Beleidigung für solche weiße Krieger sei, ihnen einen Führer mitzugeben. Das thue man Knaben oder unerfahrenen und ungeschickten Männern. Wir würden die Schaar des »weißen Bibers« schon zu finden wissen. Nachdem wir noch unsere Ziegenschläuche mit Wasser gefüllt und einige Bündel Gras für unsere Pferde aufgeschnallt hatten, brachen wir nach einigen kurzen Abschiedsworten auf. Auf meiner Uhr war es Vier.

Erst ritten wir langsam, um die Pferde in den Gang kommen zu lassen. Wir hatten noch grasigen Boden, doch wurde der Rasen immer dünner und unansehnlicher, hörte endlich ganz auf, und Sand trat an seine Stelle. Als wir die Bäume des Flußufers hinter uns nicht mehr sehen konnten, war es, als ob wir uns in der Sahara befänden: eine weite Ebene ohne die geringste Bodenerhebung, Sand, nichts als Sand und über uns die Sonne, die trotz der frühen Morgenstunde schon stechend niederschien.

»Nun können wir bald einen schnelleren Trab anschlagen,« meinte Old Death. »Wir müssen uns besonders am Vormittage sputen, weil wir da die Sonne hinter uns haben. Unser Weg geht genau nach Westen. Nachmittags scheint sie uns in das Gesicht; das strengt mehr an.«

»Kann man in dieser eintönigen Ebene, welche gar kein Merkzeichen bietet, nicht die Richtung verlieren?« fragte ich als ächtes Greenhorn. Old Death ließ ein mitleidiges Lachen hören und antwortete:

»Das ist schon wieder eine Eurer berühmten Fragen, Sir. Da oben, die Sonne, ist der sicherste Wegweiser, den es gibt. Unser nächstes Ziel ist der Turkey-Creek, ungefähr sechzehn Meilen von hier. Wenn es Euch recht ist, werden wir ihn in wenig über zwei Stunden erreichen.«

Es war mir nicht eben sehr recht, sechzehn Meilen in zwei Stunden zu machen, doch konnte ich nichts dagegen thun. Der Scout ließ sein Pferd erst in Trab und dann in Galopp fallen, und wir thaten dasselbe. Von jetzt an wurde nicht gesprochen. Jeder war darauf bedacht, seinem Pferde die Last zu erleichtern und es nicht durch unnöthige Bewegungen anzustrengen. Eine Stunde verging, noch eine, während welcher wir die Thiere zuweilen eine Strecke weit Schritt gehen ließen, damit sie verschnaufen konnten. Da deutete Old Death vor sich hin und sagte zu mir:

»Seht nach Eurer Uhr, Sir! Zwei Stunden und fünf Minuten sind wir geritten, und da haben wir den Nueces vor uns. Stimmt es?« Zu meinem Erstaunen stimmte seine Angabe fast ganz genau mit der Uhr.

»Ja seht, das Zifferblatt liegt Unsereinem sozusagen in den Gliedern. Ich will Euch sogar in finsterer Nacht sagen, wie viel Uhr es ist und werde höchstens um einige Minuten fehlen. Das lernt Ihr nach und nach auch.«

Ein dunkler Streifen bezeichnete den Lauf des Flusses, doch waren keine Bäume, sondern nur Büsche vorhanden. Wir fanden leicht eine zum Uebergange passende Stelle und kamen dann an den Turkey-Creek, welcher in dieser Gegend in den Rio Nueces mündet. Er hatte fast gar kein Wasser. Von da ging es nach dem Chico-Creek, den wir kurz nach neun Uhr erreichten. Sein Bett war ebenfalls fast trocken. Es gab nur hier und da eine schmutzige Lache, aus welcher ein armseliger Wasserfaden abwärts floß. Bäume oder Strauchwerk waren gar nicht vorhanden, und das spärliche Gras zeigte sich ganz vertrocknet. Am andern Ufer stiegen wir ab und gaben den Pferden Wasser aus den Schläuchen. Als Eimer wurde Will Lange’s Hut benutzt. Das mitgenommene Gras wurde von den Thieren schnell verzehrt, und dann ging es nach einer halbstündigen Rast wieder vorwärts nach dem Elm-Creek, unserm letzten Ziele. Auf dieser letzten Strecke zeigte sich, daß die Pferde ermüdet waren. Die kurze Rast hatte sie nur wenig gestärkt, und wir mußten im Schritt reiten.

Es wurde Mittag. Die Sonne brannte mit fast versengender Gluth hernieder, und der Sand war heiß und so tief, daß die Pferde in demselben förmlich wateten. Das erschwerte das Vorwärtskommen. Gegen zwei Uhr stiegen wir abermals ab, um den Pferden den Rest des Wassers zu geben. Wir selbst tranken nicht. Old Death litt es nicht. Er war der Meinung, daß wir den Durst viel leichter als sie ertragen könnten, die uns durch diesen Sand zu schleppen hätten.

»Uebrigens,« fügte er schmunzelnd hinzu, »habt Ihr Euch brav gehalten. Ihr wißt gar nicht, welche Strecken wir zurückgelegt haben. Ich sagte, daß wir erst am Abend am Elm-Creek sein wollten, aber wir werden ihn bereits nach zwei Stunden erreichen. Das ist ein Stückchen, welches uns nicht leicht Einer mit solchen Pferden nachmachen wird, zumal es unter uns Einen gibt, welcher auf dem Pferde sitzt wie eine Wäscheklammer auf der Leine.«

Er meinte mich, und er hatte Recht. Meine Haltung war nichts weniger als elegant oder malerisch zu nennen. Ich hielt die Beine weit vom Pferde ab und fühlte eine Art krampfhafter Ergebung, in welcher mir schließlich Alles gleichgültig war. Es war mir jetzt klar bewußt, wie recht gestern Old Death gehabt hatte, als er behauptete, daß im Westen von Poesie keine Rede sei. Nun bog der Alte ein wenig von der westlichen Richtung nach Süden ab.

»Ein wahres Wunder ist es,« erklärte er, »daß wir noch nicht auf die Fährte eines Comanchen gekommen sind. Sie haben sich jedenfalls mehr nach dem Flusse hingezogen. Welch eine Dummheit von ihnen, so lange Zeit nach dem entkommenen Apachen zu suchen. Wären sie stracks über den Rio grande hinüber, so hätten sie die Apachen überrascht.«

»Sie werden sich sagen, daß sie das auch jetzt noch thun können,« meinte Lange, »denn wenn Winnetou mit dem Verwundeten nicht glücklich hinübergekommen ist, so haben die Apachen keine Ahnung, daß die verrätherischen Comanchen ihnen so nahe sind.«

»Hm! Das ist nicht so ganz unrichtig, Sir. Grad der Umstand, daß wir die letzteren nicht sehen, macht mich für Winnetou besorgt. Sie schwärmen nicht mehr, sondern sie scheinen sich zusammengezogen zu haben. Das ist ein für die beiden Apachen sehr ungünstiges Zeichen. Vielleicht sind sie ergriffen worden.«

»Was wäre in diesem Falle das Schicksal Winnetou’s?«

»Das entsetzlichste, was sich nur denken läßt. Er würde nicht etwa getödtet oder während des Kriegszuges gemartert. Nein. Den berühmtesten Häuptling der Apachen gefangen zu haben, wäre für die Comanchen ein noch nie dagewesenes Ereigniß, welches in würdiger, das heißt fürchterlicher Weise gefeiert werden müßte. Er würde unter sicherer Bedeckung heimgeschafft nach den Weideplätzen der Comanchen, wo nur die Frauen, Knaben und Alten zurückgeblieben sind. Dort würde er außerordentlich gut gepflegt, so daß ihm nichts als die Freiheit fehlte. Die Frauen würden ihm jeden erfüllbaren Wunsch an den Augen ablesen. Wenn Ihr aber meint, daß es höchst freundlich von ihnen sei, den Gefangenen so gut zu pflegen, so irrt Ihr Euch ungeheuer. Man will den Gefangenen nur kräftigen, damit er später die Qualen so lange wie möglich zu ertragen vermag und nicht gleich bei der ersten Marter stirbt. Ich sage Euch, Winnetou müßte sterben, aber nicht schnell, nicht in einer Stunde, an einem Tage. Man würde seinen Körper mit wahrhaft wissenschaftlicher Vorsicht nach und nach zerfleischen, so daß viele Tage vergehen könnten, ehe der Tod ihn erlöste. Das ist ein eines Häuptlings würdiger Tod, und ich bin überzeugt, daß er bei all den ausgesuchten Qualen nicht eine Miene verziehen, sondern vielmehr seine Henker verspotten und verlachen würde. Es ist mir wirklich bange um ihn, und ich sage Euch aufrichtig, daß ich gegebenen Falls mein Leben wagen würde, ihn aus diesen Händen zu erretten, jedenfalls haben wir die Comanchen da westlich vor uns. Wir reiten etwas südlich ab, um zu meinem alten Freunde zu kommen, von welchem wir vielleicht erfahren werden, wie es am Rio grande steht. Wir bleiben die Nacht bei ihm.«

»Werden wir willkommen sein?«

»Ganz selbstverständlich! Sonst würde ich ihn gar nicht als Freund bezeichnen. Er ist Ranchero, ein Landwirth, ein ächter Mexicaner von unverfälschter spanischer Abkunft. Einer seiner Ahnen ist einmal von irgend wen zum Ritter geschlagen worden, und also bezeichnete auch er sich als einen Caballero, einen Ritter. Darum hat er auch seinem Rancho den wohlklingenden Namen Estanzia del Caballero gegeben. Ihn selbst habt Ihr Sennor Atanasio zu nennen.«

Nach diesen Erklärungen ging es wieder schweigend weiter. Unsere Pferde wieder in Galopp zu bringen, gelang uns nicht, sie sanken fast bis an die Kniee in den Sand. Nach und nach aber nahm die Mattigkeit derselben ab, und ungefähr vier Uhr Nachmittags begrüßten wir das erste Gräschen. Dann kamen wir über eine Prairie, auf welcher berittene Vaquero’s ihre Pferde, Rinder und Schafe bewachten. Unsere Thiere bekamen neues Leben; sie fielen von selbst in schnelleren Gang. Bäume erhoben sich vor uns, und endlich sahen wir etwas Weißes aus dem Grün uns entgegenschimmern.

»Das ist die Estanzia del Caballero,« sagte Old Death. »Ein ganz eigenartiges Bauwerk, genau nach dem Stile der Moqui- und Zunni-Bauten errichtet, die reine Festung, was in dieser Gegend sehr nothwendig ist.«

Wir kamen näher an das Gebäude und konnten die Einzelheiten desselben erkennen. Eine doppelt mannshohe Mauer zog sich um dasselbe. Sie war mit einem hohen, breiten Thore versehen, vor welchem eine Brücke über einen tiefen, jetzt aber wasserleeren Graben führte. Das Gebäude hatte eine kubische Gestalt. Das Erdgeschoß konnten wir nicht sehen, da es von der Mauer vollständig verdeckt wurde. Das Stockwerk trat von demselben zurück, so daß rundum Raum zu einer Galerie verblieb, welche mit weißem Zeltleinen überdeckt war. Von einem Fenster bemerkten wir nichts. Auf diesem würfelförmigen Stockwerke lag ein zweites von derselben Form. Die Grundfläche desselben war wieder kleiner als die des vorhergehenden, so daß abermals eine Galerie entstand, welche durch Leinwand beschützt wurde. So bestanden Erdgeschoß, erstes und zweites Stockwerk aus drei Mauerwürfeln, von denen der höhere immer kleiner war als der tiefer liegende. Die Mauern waren weiß angestrichen; die Leinwand hatte dieselbe Farbe, weßhalb das Gebäude weithinaus in die Ferne leuchtete. Erst als wir näher kamen, bemerkten wir an jedem Stockwerke rundum laufende Reihen schmaler schießschartenähnlicher Maueröffnungen, welche als Fenster dienen mochten.

»Schöner Palast!« lächelte Old Death. »Werdet Euch über die Einrichtung wundern. Möchte den Indianerhäuptling sehen, der sich einbildet, dieses Haus erstürmen zu wollen!«

Nun ritten wir über die Brücke an das Thor, in welchem eine kleine Oeffnung angebracht war. An der Seite hing eine Glocke, so groß wie ein Menschenkopf. Old Death läutete sie. Man konnte den Ton wohl über eine halbe Stunde weit hören. Bald darauf erschienen eine Indianernase und zwei wulstige Lippen an dem Loche. Zwischen den letzteren heraus ertönte es in spanischer Sprache:

»Wer ist da?«

»Freunde des Hausherrn,« antwortete der Scout. »Ist Sennor Atanasio zu Hause?«

Die Nase und der Mund senkten sich tiefer, zwei dunkle Augen schauten heraus, und dann hörten wir die Worte:

»Welche Freude! Sennor Death! Euch lasse ich natürlich sofort herein. Kommt, Sennores! Ich werde Euch melden.«

Wir hörten einen Riegel gehen; dann öffnete sich das Thor, und wir ritten ein. Der Mann, welcher uns geöffnet hatte, war ein dicker, ganz in weißes Leinen gekleideter Indianer, einer von den Indios fideles, das heißt gläubigen Indianern, welche sich im Gegensatze zu den wilden Indios bravos mit der Civilisation friedlich abgefunden haben. Er schloß das Thor, machte eine tiefe Verneigung, schritt dann gravitätisch über den Hof hinüber und zog dort an einem an der Mauer herabhängenden Draht.

»Wir haben Zeit, das Haus zu umreiten,« sagte Old Death. »Kommt mit, Euch das Bauwerk zu betrachten.«

Erst jetzt konnten wir das Erdgeschoß sehen. Auch an demselben zog sich eine Reihe kleiner Schußscharten rund um die vier Seiten. Das Gebäude stand in einem mauereingeschlossenen Hofe, der ziemlich breit und nicht gepflastert, sondern mit Gras bewachsen war. Außer den Schießscharten war kein Fenster zu sehen, und zu meinem Erstaunen gab es auch keine Thüre. Wir umritten das ganze Haus und kamen wieder an der vorderen Seite desselben an, ohne eine Thüre gefunden zu haben. Der Indianer stand noch wartend da.

»Aber wie kommt man denn in das Innere des Gebäudes?« fragte ich.

»Werdet es gleich sehen!« antwortete Old Death.

Da beugte sich von der auf dem Erdgeschosse befindlichen Gallerie ein Mann herab, um nachzusehen, wer unten sei. Als er den Indianer sah, verschwand sein Kopf wieder, und dann wurde eine schmale, leiterähnliche Treppe herabgelassen, an welcher wir emporsteigen mußten. Wer nun der Ansicht gewesen wäre, daß es hier im ersten Stocke wenigstens eine Thüre gebe, der hätte sich geirrt. Oben auf dem zweiten Geschosse stand wieder ein Diener, auch in weiß gekleidet, welcher von da oben eine zweite Leiter herabließ, auf welcher wir auf der Höhe des Hauses ankamen. Diese Plattform bestand aus mit Sand bedecktem Zinkblech. In der Mitte befand sich ein viereckiges Loch, welches die Mündung einer in das Innere führenden Treppe bildete.

»So wurde bereits vor Jahrhunderten in den jetzigen indianischen Pueblos gebaut,« erklärte Old Death. »Niemand kann in den Hof. Und wenn es einem Feinde gelingen sollte, über die Mauer zu kommen, so ist die Treppe emporgezogen, und er steht vor der thürlosen Mauer. In friedlichen Zeiten freilich kann man auch ohne Thor und Treppen herein- und heraufkommen, indem man sich auf das Pferd stellt und über die Mauer und auf die Gallerie klettert. In Kriegszeiten aber möchte ich es keinem rathen, dieses Experiment zu versuchen, denn man kann von dieser Plattform und der Gallerie aus, wie Ihr seht, die Mauer, das vor ihr liegende Terrain und auch den Hof mit Kugeln bestreichen. Sennor Atanasio wird an die zwanzig Vaqueros, Peons und Diener haben, von welchen jeder ein Gewehr besitzt. Wenn zwanzig solcher Leute hier oben ständen, müßten Hunderte von Indianern sterben, bevor der erste von ihnen über die Mauer käme. Diese Bauart ist hier an der Grenze von großem Vortheile, und der Haziendero hat nicht nur eine Belagerung ausgehalten und glücklich abgewehrt.«

Man konnte von der Höhe des Hauses weit nach allen Seiten sehen. Ich bemerkte, daß hinter dem Hause, gar nicht weit von demselben entfernt, der Elm-Creec, welcher auch Saus-Creec genannt wird, vorüber floß. Er hatte ein schönes, klares Wasser, und es war kein Wunder, daß er Fruchtbarkeit nach beiden Seiten verbreitete.

Wir stiegen, von einem Diener geführt, die Treppe hinab und gelangten da auf einen langen, schmalen Korridor, welcher vorn und hinten durch je zwei Schießscharten erleuchtet wurde. Zu beiden Seiten mündeten Thüren, und am hinteren Ende ging eine Treppe in das Erdgeschoß hinab. Um vom Hofe aus in dieses zu gelangen, mußte man also außen am Gebäude zwei Treppen hinauf- und im Innern desselben wieder zwei Treppen hinabsteigen. Es erschien mir das sehr umständlich, war aber in den Verhältnissen der Gegend wohlbegründet. Der Diener verschwand hinter einer Thüre und kehrte erst nach einiger Zeit zurück, um zu melden, daß Sennor der Capitano de Caballeria uns erwarte. Während dieser Wartezeit hatte Old Death uns aufmerksam gemacht:

»Nehmt es meinem alten Sennor Atanasio nicht übel, wenn er Euch ein wenig förmlich empfängt. Der Spanier liebt die Etikette, und der von ihm abstammende Mexicaner hat das behalten. Wäre ich allein gekommen, so wäre er mir längst entgegen geeilt. Da aber andere dabei sind, so gibt es jedenfalls einen Staatsempfang. Lächelt ja nicht, wenn er etwa in Uniform erscheint! Er bekleidete in seinen jungen Jahren den Rang eines mexicanischen Rittmeisters und zeigt sich noch heutigen Tages gern in seiner alten, längst antik gewordenen Uniform. Im Uebrigen ist er ein Prachtkerl.«

Jetzt kam der Diener, und wir traten in ein wohltuend kühles Gemach, dessen einst wohl kostbares Meublement jetzt vollständig verblichen war. Drei halbverschleierte Schießscharten verbreiteten ein gedämpftes Licht. Inmitten des Zimmers stand ein langer, hagerer Herr mit schneeweißem Haar und Schnurrbart. Er trug rothe, mit breiten Goldborten besetzte Hosen, hohe Reiterstiefel aus blitzendem Glanzleder mit Sporen, deren Räder die Größe eines silbernen Fünfmarkstückes hatten. Der Uniformfrack war blau und reich mit goldenen Bruststreifen verziert. Die goldenen Epauletten deuteten auf den Rang nicht eines Rittmeisters, sondern eines Generals. An der Seite hing ihm ein Säbel in stählerner Scheide, deren Schnallenhalter auch vergoldet waren. In der Linken hielt er einen Dreispitzhut, dessen Spitzen von goldenen Raupen strotzten; an der Seite war eine schillernde Agraffe befestigt, welche einen bunten Federstutz trug. Das sah aus wie Maskerade. Aber wenn man in das alte, ernste Gesicht und das noch frische, gütig blickende Auge sah, konnte man es nicht über das Herz bringen, heimlich zu lächeln. Als wir eingetreten waren, schlug er die Absätze sporenklirrend zusammen, richtete sich stramm empor und sagte:

»Guten Tag, meine Herren! Ihr seid sehr willkommen!«

Das klang sehr steif. Wir andern verbeugten uns stumm. Old Death antwortete ihm in englischer Sprache:

»Wir danken, Sennor Capitano de Caballeria! Da wir uns in dieser Gegend befanden, so wollte ich meinen Begleitern gern die ehrenvolle Gelegenheit geben, Euch, den tapfern Streiter für Mexico’s Unabhängigkeit, kennen zu lernen. Gestattet, sie Euch vorzustellen!«

Bei diesen schmeichelhaften Worten ging ein befriedigtes Lächeln über das Gesicht des Haziendero. Er nickte zustimmend und sagte:

»Thut es, Sennor Death! Es ist mir eine große Freude, die Sennores kennen zu lernen, welche Ihr zu mir bringt.«

Old Death nannte unsere Namen, und der Caballero reichte Jedem von uns, sogar dem Neger die Hand und lud uns dann zum Sitzen ein. Der Scout fragte nach Sennora und Sennorita, worauf sofort der Haziendero eine Thüre öffnete und die beiden schon bereit stehenden Damen eintreten ließ. Die Sennora war eine sehr schöne, freundlich dreinschauende Matrone, die Sennorita ein liebliches Mädchen, ihre Enkelin, wie wir später erfuhren. Beide waren ganz in schwarze Seide gekleidet, als ob sie so eben im Begriffe gestanden hätten, bei Hof zu erscheinen. Old Death mochte nur vor Uniformen Respect haben. Er eilte auf die Damen zu und schüttelte ihnen die Hände so herzhaft, daß mir bange wurde. Die beiden Lange’s versuchten es, eine Verbeugung zu Stande zu bringen. Sam grinste am ganzen Gesichte und rief:

»O Missis, Missus, wie schön, wie Seide!«

Ich aber glänzte über sie alle hinaus. Bereits beim Absteigen vom Pferde war es mir schwer geworden, auf den Erdboden zu kommen. Meine Beine waren steif und schwerfällig, so daß mir schon das Treppensteigen sehr schwer geworden war. Jede Bewegung, durch welche die Lederhose in Mitwirkung gezogen wurde, verursachte mir Schmerzen, und nun sollte ich zwei in rauschende Seide gekleidete Damen begrüßen! Ich nahm mir vor, wie ein echter Vollblutindianer allen Schmerz zu verbeißen, trat auf die Sennora zu, nahm ihre Hand auf die Spitzen meiner Finger, bückte mich, wie ich meinte, mit überwältigender Eleganz auf dieselbe nieder und zog sie an die Lippen. Die Dame ahnte nicht, daß ich bei dieser Verbeugung die Zähne zusammenbeißen mußte. Sie nahm meine Höflichkeit so wohlwollend auf, daß sie mir ihre Wange darreichte, um auf derselben den Beso de cortesia, den Ehrenkuß, zu empfangen, was eine große Auszeichnung für mich war. Ganz dasselbe wiederholte sich bei der Sennorita. Nun wurde wieder Platz genommen. Natürlich kam die Rede sofort auf den Zweck unsers Rittes. Wir erzählten das, was wir für nöthig hielten, auch unser Zusammentreffen mit den Comanchen. Die Herrschaften hörten uns mit der größten Aufmerksamkeit zu, und ich bemerkte, daß sie einander bezeichnende Blicke zuwarfen. Als wir geendet hatten, bat Sennor Atanasio um eine Beschreibung der beiden Männer, welche wir suchten. Ich zog die Photographien hervor und zeigte sie ihnen. Kaum hatten sie dieselben gesehen, so rief die Sennora:

»Sie sind es, sie sind es! Ganz gewiß! Nicht wahr, lieber Atanasio?«

»Ja,« stimmte der Caballero bei, »sie sind es wirklich. Sennores, die Männer waren in vergangener Nacht bei mir.«

»Wann kamen und wann gingen sie?«

»Sie kamen spät des Nachts und waren ganz ermüdet. Einer meiner Vaqueros hatte sie getroffen und brachte sie mir. Sie schliefen sehr lang und erwachten erst nach der Mittagszeit. Es ist drei Stunden her, daß sie fort sind.«

»Schön! So holen wir sie morgen sicher ein. Wir werden ihre Spur jedenfalls finden.«

»Gewiß, Sennor, werdet Ihr das. Sie wollten von hier aus nach dem Rio grande, um denselben oberhalb des Eagle-Passes, ungefähr zwischen dem Rio Moral und dem Rio las Moras zu überschreiten. Uebrigens werden wir noch von ihnen hören. Ich habe ihnen einige Vaqueros nachgeschickt, welche Euch ganz genau sagen werden, wohin sie geritten sind.«

»Warum habt Ihr ihnen diese Leute nachsenden müssen?«

»Weil diese Menschen mir meine Gastfreundschaft mit Undank belohnt haben. Sie haben mir, als sie fortgeritten sind, den Vaquero einer Pferdetruppe mit einer fingirten Botschaft gesandt und während seiner Abwesenheit sechs Pferde gestohlen, mit denen sie eiligst fort sind.«

»Schändlich! So waren die beiden Männer nicht allein?«

»Nein. Es war eine Schaar verkleideter Truppen bei ihnen, welche angeworbene Rekruten nach Mexico zu bringen hatten.«

»So glaube ich nicht, daß Eure Leute die Pferde wiederbringen werden. Sie sind zu schwach gegen diese Diebe.«

»O, meine Vaqueros wissen ihre Waffen zu gebrauchen, und ich habe die energischsten Kerls ausgewählt.«

»Haben Gibson und William Ohlert von ihren Verhältnissen und Plänen gesprochen?«

»Kein Wort. Der erstere war sehr lustig und der letztere sehr schweigsam. Ich schenkte ihnen alles Vertrauen. Ich wurde gebeten, ihnen die Einrichtung meines Hauses zu zeigen, und da haben sie sogar den verwundeten Indianer gesehen, den ich vor Jedermann verstecke.«

»Ein verwundeter Rother? Wer ist er, und wie kommt Ihr zu ihm?«

Der Caballero ließ ein überlegenes Lächeln sehen und antwortete:

»Ja, das ist sehr interessant für Euch, Sennores! Ich beherberge nämlich den Unterhändler der Apachen, von dem Ihr vorhin erzähltet, welchen Winnetou droben am Rio Leona verbunden hat. Es ist der alte Häuptling Inda-nischo.«

»Inda-nischo, der »gute Mann«, welcher diesen Namen mit Recht trägt! Der älteste und klügste, friedliebendste Häuptling der Apachen! Den muß ich sehen.«

»Ich werde ihn Euch zeigen. Er kam in einem sehr schlimmen Zustande bei mir an. Ihr müßt wissen, daß der berühmte Winnetou mich kennt und stets bei mir einkehrt, wenn er in diese Gegend kommt, denn er weiß, daß er mir vertrauen darf. Er hatte von Fort Inge aus den andern Häuptling eingeholt. Dieser hatte eine Kugel in den Arm und eine zweite in den Schenkel bekommen. Am Rio Leona hat Winnetou ihn verbunden; dann sind sie sofort wieder aufgebrochen. Aber den alten, verletzten Mann hat das Wundfieber gewaltig gepackt, und die Comanchen sind quer durch die Wüste geschwärmt, um ihn aufzufangen. Wie Winnetou es fertig gebracht hat, ihn trotz dieser Hindernisse bis hierher zu meiner Estanzia del Caballero zu bringen, das ist mir noch jetzt ein Räthsel, so etwas kann eben nur Winnetou leisten. Aber hier ging es nicht weiter, denn Inda-nischo hatte sich nicht mehr im Sattel halten können, so schwach war er gewesen und so hatte ihn das Fieber geschüttelt. Er hatte sehr viel Blut verloren gehabt und ist über siebzig Jahre alt.«

»Man sollte es nicht für möglich halten! Von Fort Inge bis hierher bei solchen Wunden im Sattel zu bleiben! Der Weg, den sie geritten sind, beträgt mehr als hundertsechzig englische Meilen. Bei so einem Alter kann das nur ein Roter aushalten. Bitte, weiter!«

»Er kam des Abends hier an und läutete. Ich ging selbst hinab und erkannte Winnetou. Er erzählte mir Alles und bat mich, seinen rothen Bruder in Schutz zu nehmen, bis er abgeholt werde; er selbst müsse schleunigst über den Rio grande, um seine Stämme von dem Verrathe und der Annäherung der Comanchen zu benachrichtigen. Er sagte, wenn es ihm gelungen sei, mit dem Verwundeten den Feinden zu entwischen, so reiche seine List und Kühnheit nun auch aus, die Apachen zu erreichen. Ich gab ihm meine beiden besten Vaquero’s mit, um zu erfahren, ob es ihm gelingen werde, durchzukommen. Sie sollten ihn begleiten und mir dann Nachricht bringen.«

»Nun,« fragte Old Death gespannt. »Ist er dann hinüber?«

»Ja. Und das hat mich außerordentlich beruhigt. Er ist sehr klug gewesen und nicht oberhalb des Rio Moral, wo die Comanchen stehen, sondern unterhalb desselben über den Rio grande gegangen. Freilich gibt es dort keine Furth; der Fluß ist sehr reißend, und es ist ein lebensgefährliches Wagniß, hindurch zu schwimmen. Trotzdem sind meine Vaquero’s mit ihm hinüber und haben ihn noch soweit begleitet, bis sie Sicherheit hatten, daß er den Comanchen nicht mehr begegnen könne. Nun hat er die Apachen benachrichtigt, und diese werden die Feinde richtig empfangen. Jetzt aber kommt mit zu dem alten Häuptlinge, wenn es Euch recht ist, Sennores.«

Alle standen auf. Auch ich mußte mich von meinem Stuhle trennen – leider! Ich fuhr mit einem einzigen verzweifelten Ruck empor und verabschiedete mich von den Damen mit einer Verbeugung, welche, wie ich gar fühlte, von einem schmerzlichen Zucken meines Gesichtes begleitet war. Unten angekommen, befanden wir uns in einem ganz ähnlichen wie dem oberen Corridore. Wir traten durch die hinterste Thüre.

Da lag in einem sehr kühlen Raume der alte Häuptling. Das Fieber hatte nachgelassen, aber er war so schwach, daß er kaum sprechen konnte. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen, und die Wangen waren eingefallen. Einen Arzt gab es nicht; aber der Caballero sagte, Winnetou sei ein Meister in der Behandlung von Wunden. Er habe heilsame Kräuter aufgelegt und streng verboten, die Verbände zu öffnen. Sobald das Wundfieber vorüber sei, habe man nichts mehr für das Leben des Kranken zu befürchten, für welchen nur der starke Blutverlust und das Fieber gefährlich seien. Als wir die Thüre wieder hinter uns und die Treppen vor uns hatten, stieß ich unwillkürlich einen lauten Seufzer aus. Der Haziendero blieb stehen und fragte:

»Fehlt Euch etwas, Sennor? Das war ein sehr schweres Athemholen.«

Ich fühlte, daß ich erröthete. Ohne daß ich es wollte, schweifte mein Blick die Treppe empor. Old Death errieth, was mich so tief bewegte. Er sagte lachend:

»Mein junger Freund hat Angst vor dieser Treppe. Er ist das Reiten nicht gewöhnt, und wir haben nun in einer Tour über vierhundert Meilen zurückgelegt. Da ist es kein Wunder, wenn das Treppensteigen Qualen verursacht.«

»Muth gefaßt! meinte der Haziendero. »Da soll Euch gleich geholfen werden, lieber Freund. Lassen wir einstweilen Treppensteigen und nehmt ein Bad.«

Das war mir sehr lieb, denn meine Schenkel schmerzten sehr. Er führte mich durch zwei verborgene Thüren auf den Hof; die beiden stiegen wieder hinauf. Ich ahnte nicht, wie wichtig es in kurzer Zeit werden sollte, daß der Haziendero uns die beiden Thüren gezeigt und mir den guten Rath, mich zu baden, gegeben hatte. Als die beiden die erste Gallerie erreicht hatten, stieß der Caballero einen Ruf aus und kam eilens wieder herabgestiegen. Er mußte Jemand draußen gesehen haben, denn er ging nach dem Thore, um es zu öffnen. Als ich hinausblickte, sah ich fünf Reiter im Galoppe nahen, welche dann über die Brücke herein in den Hof kamen. Sie prächtige, kraftvolle Gestalten, die Leute, welche er den Pferdedieben nachgeschickt hatte.

»Nun?« fragte er. »Ihr habt die Pferde nicht?«

»Nein,« antwortete einer. »Wir waren ihnen bereits ganz nahe. Sie hatten unsern Fluß eben überschritten, und wir sahen aus den Spuren, daß wir sie in einer Viertelstunde einholen mußten. Da aber kamen wir plötzlich auf eine Fährte von vielen Pferden, welche von rechts her mit der ihrigen zusammenfiel. Sie waren also mit den Comanchen zusammengestoßen. Wir folgten ihnen nach und bald sahen wir Alle vor uns. Es waren weit über fünfhundert Comanchen, und an eine solche Uebermacht konnten wir uns nicht wagen.«

»Ganz recht. Das Leben sollt Ihr nicht an einige Pferde setzen. Haben die Comanchen die Weißen freundlich behandelt?«

»Um das zu erkennen, konnten wir nicht weit genug an sie heran.«

»Wie ritten sie?«

»Gegen den Rio grande.«

»Also von hier aus vorwärts. So haben wir nichts zu fürchten. Es ist gut. Geht zu Euren Herden!«

Der gute Caballero befand sich in einem großen Irrthume. Es war viel zu fürchten, denn die Comanchen hatten von Gibson, wie wir dann erfuhren, gehört, daß der verwundete Apachenhäuptling sich auf der Hazienda del Caballero befinde. In Folge davon hatten sich sofort eine Anzahl rother Krieger aufgemacht, im schärfsten Galoppe nach der Hazienda zu reiten, um den Häuptling gefangen zu nehmen und Sennor Atanasio für seine apachenfreundliche Gesinnung zu bestrafen. Der letztere stieg ruhig die Treppe empor, und bald kam ein Peon herab, welcher mich bat, mit ihm zu kommen. Er führte mich zum Thore hinaus und an den Fluß. Oberhalb der Hazienda war eine Furth, wie man an den Brechungswellen des Wassers sah. Unterhalb dieser Furth aber war der Strom sehr tief. Da blieb der Peon stehen. Er hatte einen weißleinenen Anzug auf dem Arme und eine Flasche in der Hand.

»Hier Sennor,« sagte er. »Das wird für Euch gut sein. Wenn Ihr gebadet habt, zieht Ihr statt der ledernen Hose diese leinerne an, die Kleidungsstücke, welche Ihr jetzt ablegt, kann ich gleich mitnehmen. Wenn Ihr das Bad beendet habt, so läutet die Glocke; man wird Euch öffnen.«

Er entfernte sich mit meinen Kleidern, und ich sprang in das Wasser. Nach der Hitze des Tages und der Anstrengung des Rittes war es eine wahre Wonne, im tiefen Strome zu tauchen und zu schwimmen. Wohl über eine halbe Stunde war ich im Wasser gewesen, als ich es endlich verließ, um dem Rathe des Peons gemäß die Flasche zu gebrauchen und dann den interimistischen Anzug anzulegen. Eben war ich damit fertig, als mein Blick auf das gegenüberliegende Ufer fiel. Zwischen die Bäume hindurch konnte ich von meiner Stelle aus nach aufwärts blicken, wo der Fluß eine Krümmung machte. Da sah ich eine lange Schlange von Reitern kommen, einer hinter dem andern, wie die Indianer so gern reiten. Schnell rannte ich nach dem Thore und läutete. Der Peon, welcher auf mich gewartet hatte, öffnete.

»Schnell zum Caballero!« sagte ich. »Indianer kommen von jenseits des Flusses auf die Hazienda zu.«

»Wie viele?«

»Wohl über fünfzig.«

Der Mann war bei meinen ersten Worten sichtlich erschrocken; als ich ihm jetzt diese Zahl nannte, nahm sein Gesicht einen beruhigteren Ausdruck an.

»Nicht mehr?« fragte er. »Nun, da haben wir ja nichts zu befürchten. Mit fünfzig und auch noch mehr Rothen nehmen wir es schon noch auf, Sennor. Wir sind jederzeit auf so einen Besuch vorbereitet. Ich kann nicht hinauf zum Caballero, denn ich muß den Vaquero’s augenblicklich Nachricht bringen. Hier habt Ihr Eure Sachen wieder, die ich doch nicht mitnehmen kann. Riegelt hinter mir das Thor zu, und eilt zu Sennor Atanasio. Zieht aber hinter Euch die Treppen empor!«

»Wie steht es mit unsern Pferden? Sind dieselben in Sicherheit?«

»Ja, Sennor. Wir haben sie hinaus zu den Vaquero’s geschafft, damit sie weiden können. Das Lederzeug aber wurde in das Haus getragen. Die Thiere können Euch nicht genommen werden.«

Jetzt eilte er fort. Ich schloß hinter ihm das Thor und stieg die beiden Treppen hinauf, die ich natürlich hinter mir emporzog. Eben als ich auf die Plattform kam, sah ich Sennor Atanasio mit Old Death aus dem Innern des Hauses auf derselben erscheinen. Der Haziendero erschrak nicht im mindesten, als ich ihm die Ankunft der Indianer und die Anzahl derselben meldete. Er fragte mich sehr ruhig:

»Zu welchem Stamme gehören sie?«

»Das weiß ich nicht. Ich konnte die Bemalung der Gesichter nicht erkennen.«

»Nun, wir werden es bald sehen. Entweder sind es Apachen, welche Winnetou getroffen und abgeschickt hat, den verwundeten Häuptling zu holen, oder es sind Comanchen. In diesem Falle hätten wir es wohl nur mit einer Recognoscirungs-Abtheilung zu thun, welche uns fragen will, ob wir vielleicht Apachen gesehen haben. Sie werden sofort wieder fortreiten, wenn sie unsere Antwort erhalten haben.«

»Sie scheinen mir aber doch feindliche Absichten zu haben« sagte Old Death. »Ich gebe Euch den Rath, so schnell wie möglich die Maßregeln der Abwehr zu treffen.«

»Das ist bereits geschehen. Jeder meiner Leute weiß, was er für einen solchen Fall zu thun hat. Seht, da draußen rennt der Peon zu den nächsten Pferden. Er wird eins derselben besteigen, um die Vaquero’s zu benachrichtigen. In höchstens zehn Minuten haben diese die Heerden zusammengetrieben. Zwei von ihnen bleiben bei den Thieren, um dieselben zu bewachen, die Andern machen Front gegen die Rothen. Ihre Lasso’s sind gefährliche Waffen, denn ein Vaquero ist weit geübter als ein Indianer. Ihre Büchsen tragen weiter als die Bogen oder alten Gewehre der Wilden. Sie haben sich vor fünfzig Indianern nicht zu fürchten. Und wir hier auf der Estanzia sind ja geschützt. Kein Rother kommt über die Mauer. Uebrigens darf ich doch auf Euch zählen. Ihr seid mit dem Schwarzen fünf wohlbewaffnete Männer. Dazu komme ich mit acht Peons, welche sich im Gebäude befinden, macht in Summa vierzehn Mann, Da möchte ich die Indianos sehen, denen es gelingen könnte, das Thor zu sprengen. O nein, Sennor! Die Rothen werden ganz friedlich die Glocke läuten, ihre Erkundigung an den Mann bringen und sich dann wieder entfernen. Wenn der Kundschafter vierzehn gut bewehrte Männer hier oben stehen sieht, so wird er Respect bekommen. Die Sache ist vollständig ungefährlich.«

Old Death’s Gesicht drückte einen Zweifel aus. Er schüttelte den Kopf und sagte:

»Ich habe da einen Gedanken, welcher mir bedenklich erscheint. Ich bin überzeugt, daß wir es nicht mit Apachen, sondern mit Comanchen zu thun haben. Was wollen sie hier? Eine bloße Recognition kann sie nicht herführen, denn befände sich ein Trupp feindlicher Apachen hier, so müßten das die Spuren ausweisen. Dazu brauchte man nicht hier Nachfrage zu halten. Nein, die Bande hat einen ganz bestimmten Grund, grad hierher zu Euch zu kommen, Sennor, und das ist der verwundete Häuptling, welcher sich bei Euch befindet.«

»Von ihm wissen sie ja nichts! Wer soll es ihnen gesagt haben?«

»Gibson, eben der Mann, welchen wir verfolgen und der bei Euch gewesen ist. Ihr habt ihm ja den Apachen gezeigt. Er hat ihn den Comanchen verrathen, um sich den Stamm geneigt zu machen. Wenn das nicht stimmt, so will ich keinen Augenblick länger Old Death genannt werden, Sennor. Oder zweifelt Ihr daran?«

»Es ist möglich. In diesem Falle werden die Comanchen uns zwingen wollen, den Verwundeten auszuliefern.«

»Allerdings. Werdet Ihr es etwa thun?«

»Auf keinen Fall! Winnetou ist mein Freund. Er hat mir den »guten Mann« anvertraut, und ich darf und will dieses Vertrauen rechtfertigen. Die Comanchen werden den Verwundeten nicht bekommen. Wir wehren uns!«

»Das bringt Euch in die allergrößte Gefahr. Zwar wird es uns gelingen, die Fünfzig abzuwehren; aber sie werden um das Zehnfache verstärkt zurückkehren, und dann seid Ihr wohl verloren.«

»Das steht in Gottes Hand. Mein Winnetou gegebenes Wort werde ich auf alle Fälle halten.«

Da streckte Old Death dem Sennor die Hand entgegen und sagte:

»Ihr seid ein Ehrenmann, und Ihr sollt auf unsere Hilfe rechnen dürfen. Der Anführer der Comanchen ist mein Freund. Vielleicht gelingt es mir dadurch, den Schlag von Euch abzuwenden. Habt Ihr Gibson die geheimen Thüren in den Mauern etwa auch gezeigt?«

»Nein, Sennor.«

»Das ist sehr gut. So lange die Rothen diese Eingänge nicht kennen, werden wir uns ihrer erwehren können. Nun kommt herab, damit wir die Waffen holen.«

Während meiner Abwesenheit waren meinen Gefährten Zimmer angewiesen worden, in welche man ihre und auch meine Habseligkeiten geschafft hatte. Dahin gingen wir. Der Raum, welcher für mich bestimmt war, lag an der vordern Seite des Hauses und bekam sein Licht durch zwei der erwähnten Schießscharten. Dort hing mein Gewehr. Als ich es von der Wand nehmen wollte, fiel mein Blick hinaus in das Freie, und ich sah die Indianer unter den Bäumen hervorkommen, da, wo oberhalb der Hazienda die Furth war. Sie hatten dieselbe durchritten und kamen nun im Galopp auf das Gebäude zu, nicht heulend, wie es sonst ihre Gewohnheit ist, sondern in heimtückischer Stille, welche mir bedrohlich erschien. Es waren Comanchen, wie ich an den Farben der bemalten Gesichter erkannte. Im Nu hielten sie draußen an der Mauer, welche so hoch war, daß man die Reiter nun nicht mehr sehen konnte. Sie waren mit Lanzen, Bogen und Pfeilen bewaffnet. Nur der Vorreiter, welcher wahrscheinlich der Anführer war, hatte eine Flinte in der Hand gehabt. Einige von ihnen hatten lange Gegenstände hinter ihren Pferden her geschleift. Ich hielt in meiner Unerfahrenheit dieselben für Zeltstangen, mußte aber sehr bald einsehen, daß ich mich geirrt hatte. Natürlich verließ ich sofort das kleine Stübchen, um die andern zu benachrichtigen. Als ich in den Corridor trat, kam mir Old Death aus dem mir gegenüberliegenden Raume entgegen.

»Achtung!« schrie er. »Sie kommen über die Mauer. Sie haben sich junge Bäume als Leitern mitgebracht. Schnell auf die Plattform!«

Aber das ging gar nicht so rasch, wie er es wünschte. Die Peons befanden sich ein Stockwerk tiefer als wir, wo die Dienerschaft gewöhnlich ihren Aufenthaltsort hatte, und auch wir beide wurden verhindert, schnell empor zu steigen, denn zugleich mit dem Caballero traten dessen beide Damen auf den Corridor heraus und bestürmten uns mit den Ausdrücken ihrer Angst vor dem Ueberfalle. Wohl über zwei Minuten verflossen, bevor wir die Treppe hinter uns hatten, in einer solchen Lage eine kostbare Zeit. Die böse Folge des Zeitverlustes zeigte sich sofort, als wir auf die Plattform gelangten, denn da schwang sich bereits der erste der Indianer über den Rand derselben. Ihm folgte schnell ein zweiter, dritter, vierter. Wir hatten unsere Waffen in den Händen, konnten ihnen aber nun den Zutritt nicht mehr verwehren, wenn wir sie nicht geradezu niederschießen wollten.

»Richtet die Gewehre auf sie! Laßt sie nicht heran!« gebot Old Death. »Wir müssen vor allen Dingen Zeit gewinnen.«

Ich zählte zweiundfünfzig Rothe, von denen bis jetzt kein Einziger einen Laut ausgestoßen hatte. Wir waren von ihnen vollständig überrumpelt worden. Aber sie wagten sich doch nicht sogleich an uns heran, sondern standen am Rande der Plattform und hielten ihre Bogen und Pfeile in den Händen. Die Lanzen hatten sie unten zurückgelassen, da sie durch dieselben beim Klettern gehindert worden wären. Der Caballero trat ihnen einige Schritte entgegen und fragte in jenem Gemisch von Spanisch, Englisch und Indianisch, welches im dortigen Grenzgebiete zur Verständigung gebraucht wird:

»Was wollen die rothen Männer bei mir? Warum betreten sie mein Haus, ohne mich vorher um Erlaubniß zu fragen?«

Der Anführer, welcher vorher seine Flinte auf dem Rücken trug, sie aber jetzt in die Hand genommen hatte, trat einige Schritte vor und antwortete:

»Die Krieger der Comanchen sind gekommen, weil das Bleichgesicht ihr Feind ist. Die Sonne des heutigen Tages ist die letzte, welche er gesehen hat.«

»Ich bin kein Feind der Comanchen. Ich liebe alle rothen Männer, ohne zu fragen, zu welchem Stamme sie gehören.«

»Das Bleichgesicht sagt eine große Lüge. In diesem Hause ist ein Häuptling der Apachen versteckt. Die Hunde von Apachen sind die Feinde der Comanchen. Wer einen Apachen bei sich aufnimmt, ist unser Feind und muß sterben.«

»Caramba! Wollt Ihr mir etwa verbieten, irgend Jemand bei mir aufzunehmen, wenn es mir gefällt? Wer hat hier zu gebieten, Ihr oder ich?«

»Die Krieger der Comanchen haben dieses Haus erstiegen, sind also Herren desselben. Gib uns den Apachen heraus! Oder willst Du leugnen, daß er sich bei Dir befindet?«

»Zu leugnen fällt mir gar nicht ein. Nur derjenige, welcher sich fürchtet, sagt eine Lüge; ich aber habe keine Angst vor den Comanchen und will Euch also offen – – –«

»Halt!« unterbrach ihn Old Death in gedämpftem Tone. »Macht keine Dummheit, Sennor!«

»Meint Ihr, daß ich leugnen soll?« fragte der Mexicaner.

»Selbstverständlich. Die Lüge ist eine Sünde; das gebe ich ja zu; aber die Wahrheit wäre hier der reine Selbstmord, und ich frage Euch, was sündhafter ist, eine Unwahrheit zu sagen, oder sich selbst umzubringen?«

»Selbstmord? Was vermögen diese Leute gegen unsere vierzehn Gewehre?«

»Viel, da sie einmal hier oben sind. Die Mehrzahl von ihnen würde allerdings fallen; aber wir bekämen auch so einige Pfeile und Messerklingen in den Leib, Sennor. Und selbst wenn wir siegen, so holen die Ueberlebenden die andern von den Fünfhundert herbei. Laßt mich einmal machen! Ich werde mit ihnen reden.«

Er wendete sich an den Anführer der Rothen:

»Die Worte meines Bruders versetzen uns in Erstaunen. Wie kommen die Comanchen auf den Gedanken, daß sich ein Apache hier befindet?«

»Sie wissen es,« antwortete der Gefragte kurz.

»So wißt Ihr mehr als wir.«

»Willst Du sagen, daß wir uns irren? Darin sagst Du eine Lüge.«

»Und Du sagst da ein Wort, welches Du mit dem Leben bezahlen mußt, wenn Du es wiederholst. Ich lasse mich nicht einen Lügner nennen. Du siehst unsere Gewehre auf Dich gerichtet. Es bedarf nur eines Winkes von mir, so stürzen so viele Deiner Leute, wie wir an der Zahl sind, in den Tod.«

»Aber die Andern würden Euch ihnen nachsenden. Da draußen befinden sich noch viele Krieger der Comanchen, mehr als zehn mal zehn mal fünf. Sie würden kommen und dieses Haus von der Erde vertilgen.«

»Sie würden nicht über die Mauer kommen, denn wir sind nun gewarnt. Wir würden sie von hier oben aus mit so viel Kugeln begrüßen, daß keiner von ihnen übrig bliebe.«

»Mein weißer Bruder hat ein großes und breites Maul. Warum redet er zu mir? Ist etwa er der Besitzer dieses Hauses? Wer ist er und wie nennt er sich, daß er es wagt, mit dem Anführer der Comanchen zu reden?«

Old Death machte eine wegwerfende Handbewegung:

»Wer ist der Anführer der Comanchen? Ist er ein berühmter Krieger, oder sitzt er bei den Weisen des Rathes? Er trägt nicht die Feder des Adlers oder des Raben in seinem Haare, und ich sehe auch kein anderes Abzeichen der Häuptlinge an ihm. Ich aber bin ein Häuptling der Bleichgesichter. Von welchem Stamme der Comanchen seid Ihr denn, daß Ihr erst fragen müßt, wer ich bin? Mein Name lautet Koscha-pehve, und ich habe die Pfeife des Friedens geraucht mit Oyo-koltsa, dem Häuptling der Comanchen. Auch habe ich gestern mit seinem Sohne Avat-Vila gesprochen und die Nacht bei seinen Kriegern geschlafen. Ich bin ein Freund der Comanchen, aber wenn sie mich einen Lügner nennen, so werde ich ihnen mit einer Kugel antworten.«

Durch die Reihe der Rothen ging ein leises Murmeln. Ihr Anführer wendete sich zu ihnen zurück und sprach leise zu ihnen. Den Blicken, mit denen sie Old Death betrachteten, war es anzusehen, daß sein Name einen großen Eindruck auf sie gemacht hatte. Nach einer kurzen Berathung wendete sich der Anführer wieder zu dem Scout:

»Die Krieger der Comanchen wissen, daß der »alte Tod« ein Freund des »weißen Bibers« ist, aber seine Worte sind nicht diejenigen eines Freundes. Warum verheimlicht er uns die Anwesenheit des Apachen?«

»Ich verheimliche nichts, sondern ich sage Euch offen, daß er sich nicht hier befindet.«

»Und doch haben wir ganz genau erfahren, daß Indanischo hier ist, und zwar von einem Bleichgesichte, welches sich in den Schutz der Comanchen begeben hat.«

»Wie ist der Name dieses Bleichgesichtes?«

»Der Name ist nicht für den Mund der Comanchen gemacht. Er klingt wie Ta-hi-ha-ho.«

»Etwa Gavilano?«

»Ja, so lautet er.«

»So haben die Comanchen einen großen Fehler begangen. Ich kenne diesen Mann. Er ist ein Bösewicht und hat die Lüge auf seiner Zunge. Die Krieger der Comanchen werden es bereuen, ihn unter ihren Schutz genommen zu haben.«

»Mein Bruder irrt sich sehr. Das Bleichgesicht hat uns die Wahrheit gesagt. Wir wissen, daß Winnetou den »guten Mann« gebracht hat und dann über den Avat-bono entkommen ist. Aber wir eilen ihm nach und werden ihn für den Marterpfahl einfangen. Wir wissen, daß der »gute Mann« an einem Arme und einem Beine verwundet ist. Wir wissen sogar ganz genau den Ort, an welchem er sich befindet.«

»Wenn das wahr ist, so sage mir denselben!«

»Man steigt von hier aus zweimal in die Tiefe des Hauses hinab, bis wo es viele Thüren rechts und links von einem schmalen Gange gibt. Dann öffnet man zur linken Hand die letzte Thüre. Dort liegt der Apache auf dem Lager, welches zu verlassen er keine Kräfte hat.«

»Das Bleichgesicht hat Dich belogen. Du würdest an dem beschriebenen Orte keinen Apachen finden.«

»So laß uns hinabsteigen, um nachzuforschen, wer die Wahrheit spricht, Du oder das Bleichgesicht.«

»Das werde ich freilich nicht. Dieses Haus ist da für diejenigen Leute, welche es mit der Erlaubniß des Besitzers betreten, nicht aber für solche, welche es feindlich überfallen.«

»Nach diesen Deinen Worten müssen wir glauben, daß der Apache sich hier befindet. Der »weiße Biber« hat uns befohlen, ihn zu holen, und wir werden gehorchen.«

»Du irrst wieder. Ich verweigere Euch die Erfüllung Deines Wunsches nicht, weil sich der Apache etwa hier befindet, sondern weil Dein Verlangen eine Beleidigung für mich ist. Wenn Old Death Euch sagt, daß Ihr belogen worden seid, so habt Ihr es zu glauben. Wollt Ihr Euch trotzdem den Eingang erzwingen, so versucht es immerhin! Sehr Ihr denn nicht ein, daß ein Einziger von uns genügt, den Eingang zu vertheidigen? Wenn er hier unten an der Treppe steht, so kann er Jeden von Euch niederschießen, welcher es wagen wollte, da hinab zu steigen. Ihr habt uns in feindlicher Absicht überfallen; darum weisen wir Euch zurück. Geht hinunter vor das Thor und bittet um Einlaß, wie es sich gehört, so werden wir Euch vielleicht als Freunde empfangen!«

»Der »alte Tod« gibt einen Rath, welcher sehr gut für ihn selbst ist, aber nicht für uns. Wenn er ein gutes Gewissen hat, so mag er uns in das Haus steigen lassen. Thut er das nicht, so werden wir hier an dieser Stelle bleiben und einen Boten absenden, um die ganze Schaar der Comanchen herbei zu holen. Dann wird er wohl gezwungen sein, uns eintreten zu lassen.«

»Gewiß nicht! Selbst wenn tausend Comanchen kämen, so könnte doch immer nur einer hier hinab und müßte es augenblicklich mit dem Leben bezahlen. Uebrigens wird es Dir nicht gelingen, einen Boten abzusenden, denn sobald er den Schutz der Mauer nicht mehr hat, werde ich ihn von hier aus mit meiner Kugel niederstrecken. Ich bin ein Freund der Comanchen, aber Ihr seid als Feinde gekommen und werdet als solche behandelt.«

Während des ganzen Herüber- und Hinüberredens waren unsere Gewehre auf die Indianer gerichtet gewesen. Obgleich es ihnen gelungen war, die Plattform zu ersteigen, befanden sie sich gegen uns doch im Nachtheile. Das sah ihr Anführer gar wohl ein, und darum begann er wieder, leise mit ihnen zu verhandeln. Aber auch unsere Lage war keine beneidenswerthe. Old Death kratzte sich bedenklich hinter den Ohren und sagte:

»Die Geschichte ist außerordentlich fatal. Die Klugheit verbietet uns, die Comanchen feindlich zu behandeln. Holen sie die andern herbei, so ist es um uns geschehen. Ja, wenn wir den Apachen verstecken könnten, daß es unmöglich wäre, ihn zu finden! Aber ich kenne dieses Haus genau und weiß, daß kein solches Versteck vorhanden ist.«

»So schaffen wir ihn hinaus!« sagte ich.

»Hinaus?« lachte der Alte. »Seid Ihr des Teufels, Sir? Auf welche Weise denn?«

»Habt Ihr die beiden heimlichen Thüren vergessen? Sie befinden sich auf der hintern Seite, während die Comanchen vorn stehen und also nichts bemerken können. Ich schaffe ihn hinaus in das Gebüsch am Flusse, bis sie fort sind.«

»Dieser Gedanke ist freilich nicht schlecht,« sagte Old Death. »An diese Thüren habe ich gar nicht gedacht. Hinaus zu bringen wäre er wohl; aber wie nun, wenn die Comanchen draußen Wächter aufgestellt haben?«

»Das glaube ich nicht. Viele über fünfzig sind es nicht. Einige müssen doch bei den Pferden bleiben, welche vorn an der Mauer stehen. Da ist es nicht zu erwarten, daß sie auch hinten Leute hingestellt haben.«

»Gut, so können wir es versuchen, Sir. Ihr und einer der Peons mögt die Sache übernehmen. Wir werden es so einrichten, daß sie Euch nicht hinabsteigen sehen, und auch dann stellen wir uns so zusammen, daß sie uns nicht zählen und also bemerken können, daß Zwei von uns fehlen. Die Damen mögen Euch helfen, und wenn Ihr hinaus seid, das Schränkchen wieder vorschieben.«

»Und noch einen Vorschlag. Könnten wir nicht grad die Damen in die Krankenstube bringen? Wenn die Rothen sehen, daß die Frauen da wohnen, werden sie doppelt überzeugt sein, daß sich kein Indianer dort befunden hat.«

»Ganz recht!« bemerkte Sennor Atanasio. »Ihr braucht nur einige Decken zu legen und aus den Zimmern meiner Frau und Tochter die Hängematten hinab zu schaffen. Haken zum Aufhängen derselben sind in jeder Stube des Hauses vorhanden. Die Damen mögen sich hineinlegen. Ihr aber findet für den Apachen das beste Versteck gleich unterhalb der Stelle des Flusses, an welchem Ihr vorhin gebadet habt. Dort hängen dichte blühende Petunienranken bis in das Wasser herab, unter denen wir unsern Kahn versteckt haben. Legt Ihr den Apachen hinein, so kann kein Comanche ihn finden. Petro mag mit Euch gehen. Erst wenn Ihr zurückgekehrt seid, werden wir den Indianern erlauben, das Innere des Hauses zu betreten.«

Ich stieg mit dem Peon, welcher Petro hieß, hinab, wo die beiden Damen voller Sorge auf die Entwickelung des Ereignisses warteten. Als wir ihnen mittheilten, um was es sich handle, waren sie uns zur Ausführung unseres Vorhabens schnell behilflich. Sie selbst trugen Decken und Hängematten herbei. In eine der erstren wurde der Apache gewickelt. Als er hörte, daß die Comanchen da seien, um nach ihm zu suchen, sagte er mit schwacher Stimme:

»Inda-nitscho hat viele Winter gesehen, und seine Tage sind gezählt. Warum sollen die guten Bleichgesichter sich seinetwegen ermorden lassen? Sie mögen ihn den Comanchen überantworten, ihn aber vorher tödten. Er bittet sie darum.«

Er hatte in dem bereits erwähnten Jargon gesprochen, welchen ich sehr leicht verstand. Ich antwortete ihm nur durch ein energisches Kopfschütteln. Dann trugen wir ihn aus der Stube. Das Schränkchen wurde zur Seite gerückt und der Transport des Verwundeten glücklich bis hinaus vor die Mauer bewerkstelligt. Bisher hatte uns Niemand gesehen. Draußen gab es Strauchwerk, welches uns für den Augenblick verbarg. Zwischen diesem und dem nahen Flusse aber zog sich ein freier Streifen hin, den wir quer zu durchschreiten hatten. Ich lugte vorsichtig hinaus und gewahrte zu meiner Enttäuschung einen Comanchen, welcher am Boden saß und Lanze, Köcher und Bogen vor sich liegen hatte. Er hatte die hintere Seite der Mauer zu bewachen, ein Umstand, welcher die Ausführung unsers Planes unmöglich zu machen schien.

»Wir müssen wieder zurück, Sennor,« sagte der Peon, als ich ihm den Rothen zeigte. »Wir könnten ihn zwar tödten, aber das würde die Rache der andern auf uns laden.«

»Nein, tödten auf keinen Fall. Aber es muß doch möglich sein, ihn zu entfernen, ihn fort zu locken.«

»Das glaube ich nicht. Er wird seinen Posten nicht verlassen, bis er abgerufen wird.«

»Und doch habe ich einen Plan, welcher mir vielleicht gelingt. Du bleibst hier versteckt; ich aber lasse mich von ihm sehen. Sobald er mich bemerkt, thue ich, als ob ich erschrecke, und fliehe. Er wird mich verfolgen.«

»Oder Euch einen Pfeil in den Leib geben.«

»Das muß ich freilich riskiren.«

»Thut es nicht, Sennor! Es ist zu gewagt. Die Comanchen schießen mit ihren Bogen ebenso sicher, wie wir mit den Büchsen. Wenn Ihr flieht, kehrt Ihr ihm den Rücken zu und könnt den Pfeil nicht sehen und ihm ausweichen.«

»Ich fliehe über den Fluß. Wenn ich auf dem Rücken schwimme, sehe ich ihn schießen und tauche sofort nieder. Er wird glauben, daß ich irgend etwas gegen die Seinen im Schilde führe und mir wahrscheinlich in’s Wasser folgen. Drüben mache ich ihn für uns unschädlich; ich betäube ihn durch einen Hieb auf den Kopf. Du verläßest diesen Platz nicht eher, als bis ich zurückkehre. Ich habe vorhin beim Baden das Petuniengerank gesehen und weiß also, wo der Kahn sich befindet. Ich werde denselben holen und grad gegenüber anlegen.«

Der Peon gab sich Mühe, mich von meinem Vorsatze abzubringen, aber ich durfte nicht auf seine Einwendungen hören, da ich nicht wußte, in welcher andern Weise wir den uns ertheilten Auftrag ausführen könnten. Ich verließ also die Stelle, an welcher wir uns befanden. Um dieselbe nicht zu verrathen, schlich ich mich eine Strecke im Gebüsch an der Mauer hin und trat dann hervor, mir den Anschein gebend, als ob ich um die Ecke gekommen sei. Der Comanche sah mich nicht sofort. Bald aber drehte er mir das Gesicht zu und sprang schnell auf. Ich wendete mein Gesicht halb ab, damit er dasselbe später nicht erkennen möge. Er rief mir zu, stehen zu bleiben, und als ich nicht gehorchte, riß er den Bogen vom Boden auf, einen Pfeil aus dem Köcher und spannte den ersteren. Einige rasche Sprünge, und ich hatte das Ufergebüsch erreicht, noch ehe er schießen konnte. Ich sprang augenblicklich in das Wasser und legte mich, nach dem andern Ufer zu schwimmend, auf den Rücken. Nach wenigen Augenblicken brach er durch das Gesträuch, sah mich und zielte. Der Pfeil flog von der Sehne, und ich tauchte sofort nieder. Ich war nicht getroffen. Als ich wieder emporkam, sah ich ihn erwartungsvoll mit vorgebeugtem Körper am Ufer stehen. Er bemerkte, daß ich unverwundet sei. Einen zweiten Pfeil hatte er nicht bei sich, da der Köcher liegen geblieben war. Da warf er den Bogen fort und sprang in das Wasser. Das war es, was ich wollte. Um ihn zu locken, gab ich mir den Anschein, als ob ich ein schlechter Schwimmer sei, und ließ ihn ziemlich nahe an mich heran kommen. Dann tauchte ich nieder und arbeitete mich möglichst rasch flußabwärts. Als ich wieder emportauchte, befand ich mich ganz in der Nähe des Ufers. Er hielt weit oberhalb von mir und schaute, wo ich wieder an die Oberfläche kommen werde. Jetzt hatte ich den beabsichtigten Vorsprung, schwamm an das Ufer, erstieg dasselbe und sprang zwischen den Bäumen weiter, aber dem Wasserlaufe entgegen. Ich sah eine sehr starke, moosbewachsene Lebenseiche stehen, welche für meinen Zweck paßte. Ungefähr fünf Schritte von ihr entfernt, rannte ich vorüber, noch eine Strecke weit, schlug dann einen Bogen und kehrte zu ihr zurück, um mich hinter ihr zu verstecken. Eng an den Stamm geschmiegt, erwartete ich die Ankunft des Rothen, welcher auf alle Fälle meinen sehr sichtbaren Spuren folgte. Ich war gelaufen, wie ich es vor anderthalb Stunden für geradezu unmöglich gehalten hätte. Da kam er angesaust, triefend vor Nässe wie ich und laut keuchend, den Blick auf meine Fährte gerichtet. Er sprang vorüber, ich natürlich nun hinter ihm her. Sein lautes Keuchen hinderte ihn, meine Schritte zu hören, zumal ich nur mit den Fußspitzen auftrat. Ich mußte weite Sprünge machen, um ihn einzuholen. Dann noch ein tüchtiger Satz prall auf seinen Körper, so daß er mit voller Wucht nach vorn zu Boden stürzte. Da kniete ich schon auf ihm und hatte ihn beim Halse. Zwei Faustschläge auf den Schädel, und er bewegte sich nicht mehr. Unweit der Stelle, an welcher er lag, war eine Platane umgebrochen. Sie lag nach der Seite des Flusses, dessen Wasser vielleicht zwei Ellen unter ihren verdorrten Wipfeln dahinflossen. Das gab eine ganz vortreffliche Gelegenheit, wieder in den Fluß zu kommen, ohne eine Fährte zu hinterlassen. Ich stieg auf den Stamm und lief auf demselben hin, bis ich mich über dem Wasser befand, in welches ich sprang. Fast grad gegenüber sah ich die Blüthen der Petunien leuchten. Dorthin schwamm ich, band das Boot los, stieg ein und ruderte nach der Uferstelle, an welcher der Apache eingenommen werden sollte. Dort hing ich das Boot an eine Wurzel und stieg aus. Wir mußten uns beeilen, fertig zu werden, bevor der Comanche wieder zu sich kam. Der Apache wurde nach dem Kahne getragen und ihm mit Hilfe der Decke und seiner Kleider ein passables Lager gemacht. Der Peon kehrte sofort zur Mauer zurück. Ich ruderte den Kahn wieder unter die Petunien, band ihn dort fest, schwamm wieder zurück und entledigte mich des leinenen Anzuges, um denselben auszuringen. Als ich ihn wieder angelegt hatte, suchte ich mit dem Auge das jenseitige Ufer ab, ob der Comanche bereits erwacht war und unser Thun beobachtet habe. Ich konnte aber trotz aller Anstrengung nichts von dem Feinde sehen. Indessen war kaum eine Viertelstunde vergangen. Ich erhielt von der Sennora einen trockenen Anzug und konnte nun jedem Comanchen in das Gesicht lachen, welcher hätte behaupten wollen, daß ich außerhalb des Hauses und sogar im Flusse gewesen sei.

Nun legten sich die Damen in ihre Hängematten, und wir gingen hinauf auf die Plattform, natürlich nachdem wir unsere Waffen wieder an uns genommen hatten. Die beiden Parteien befanden sich noch in Unterhandlung. Old Death war bei der Behauptung geblieben, daß die Durchsuchung des Hauses eine Beleidigung für ihn und den Haziendero sei. Als ich ihm kurz mittheilte, daß der Apache in Sicherheit sei, gab er langsam nach und erklärte endlich, daß es fünf Comanchen erlaubt sein solle, sich zu überzeugen, daß der Apache sich nicht hier befinde.

»Warum nur fünf?« fragte der Anführer. »Ist nicht Einer von uns wie der Andere? Was Einer thut, sollen Alle thun. Old Death kann uns Vertrauen schenken. Wir werden nichts berühren. Keiner von uns wird etwas stehlen.«

»Gut! Ihr sollt sehen, das wir großmütig sind. Ihr sollt Alle in das Haus dürfen, damit sich Jeder überzeugen kann, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Aber ich verlange, daß Ihr vorher alle Eure Waffen ablegt, und daß wir den, welcher eine Person oder eine Sache ohne unsere Erlaubniß anrührt, hier behalten dürfen, um ihn zu bestrafen.«

Die Rothen beriethen sich über diese Forderung und gestanden sie uns dann zu. Sie legten ihre Bogen, Köcher und Messer ab und stiegen dann hinter einander ein. Schon ehe ich mit Petro fortgegangen war, hatten die Vaquero’s draußen auf der Ebene gehalten, gut beritten und bewaffnet, die Blicke zu uns herauf gerichtet. Sie hatten auf ein Zeichen ihres Herrn gewartet und sich nur deßhalb ruhig verhalten, weil dieses nicht gegeben wurde.

Von uns vierzehn Männern waren der Haziendero und Old Death bestimmt, den Comanchen alle Räume zu öffnen. Zwei blieben auf der Plattform zurück, und je fünf kamen in die beiden Corridore zu stehen, um mit den Waffen in den Händen jeder etwaigen Ausschreitung der Rothen sofort entgegen zu treten. Ich stand mit im untern Corridor und stellte mich an die Thüre der Stube, in welcher der Apache gelegen hatte. Die Comanchen kamen stracks herab und auf diese Thüre zu. Old Death öffnete dieselbe. Es war den Indianern anzusehen, daß sie überzeugt waren, den »guten Mann« da zu sehen. Anstatt dessen aber sahen sie die beiden Damen, welche lesend in den Hängematten lagen.

»Uff!« rief der Anführer enttäuscht. »Da sind die Squaws!«

»Ja,« lachte Old Death. »Und da soll der Häuptling der Apachen liegen, wie das Bleichgesicht gelogen hat. Tretet doch ein, und sucht nach ihm!«

Der Blick des Anführers durchflog den Raum; dann antwortete er:

»Ein Krieger tritt nicht in das Wigwam der Frauen. Hier ist kein Apache. Mein Auge würde ihn erblicken.«

»So sucht in den andern Räumen!«

Ueber eine Stunde dauerte es, bevor die Indianer ihre Untersuchung beendet hatten. Als sie keine Spur des Gesuchten fanden, kehrten sie noch einmal zurück. Die Damen mußten die Stube verlassen, welche nun noch einmal auf das Genaueste durchforscht wurde. Die Rothen hoben sogar die Decken und Matratzen empor, welche direkt auf dem Boden lagen. Auch diesen letzteren untersuchten sie, ob es da vielleicht eine hohle Stelle gebe. Endlich waren sie überzeugt, daß der Gesuchte sich nicht auf der Estanzia befinde. Als der Anführer dies eingestand, sagte Old Death:

»Ich habe es Euch gesagt, aber Ihr glaubtet es nicht. Ihr habt einem Lügner mehr Vertrauen geschenkt als mir, der ich ein Freund der Comanchen bin. Wenn ich zu dem »weißen Biber« komme, werde ich mich bei ihm beschweren.«

»Will mein weißer Bruder denn zu ihm? So kann er mit uns reiten.«

»Das ist nicht möglich. Mein Pferd ist ermüdet; ich kann erst morgen weiter reiten; die Krieger der Comanchen aber werden schon heut diese Gegend verlassen.«

»Nein. Wir bleiben hier. Die Sonne geht zur Ruhe, und wir reiten nicht des Nachts. Wir brechen bei der Ankunft des Tages auf, und da kann mein Bruder mit uns wandern.«

»Gut! Aber ich begleite Euch nicht allein. Es sind noch vier Gefährten bei mir.«

»Auch sie werden dem »weißen Biber« willkommen sein. Meine weißen Brüder mögen uns erlauben, in dieser Nacht in der Nähe dieses Hauses zu ruhen.«

»Dagegen habe ich nichts,« antwortete der Mexicaner. »Ich habe Euch bereits gesagt, daß ich ein Freund der rothen Männer bin, wenn sie friedlich zu mir kommen. Um Euch das zu beweisen, werde ich Euch ein Rind schenken, welches geschlachtet werden soll. Ihr mögt Euch ein Feuer anbrennen, um es zu braten.«

Dieses Versprechen machte einen sehr guten Eindruck auf die Comanchen. Sie waren jetzt wirklich überzeugt, uns unrecht gethan zu haben, und zeigten sich von ihrer friedfertigsten Seite. Freilich mochte dazu am meisten das Ansehen beitragen, in welchem Old Death bei ihnen stand. Sie hatten wirklich nichts angerührt und verließen nun das Haus, ohne von uns dazu aufgefordert zu werden. Die Treppen waren hinabgelassen und das Thor stand offen. Einige bewaffnete Peons blieben als Wächter auf der Plattform zurück. Man durfte trotz des veränderten Benehmens der Rothen keine Vorsicht versäumen. Wir Andern gingen mit hinab, und nun kamen auch die Vaquero’s herbei und erhielten den Befehl, ein Rind einzufangen. Die sämmtlichen Pferde der Comanchen standen an der vordern Seite der Umfassungsmauer. Drei Posten hatten bei ihnen gehalten. Auch an der andern Seite war eine Wache aufgestellt gewesen. Diese Leute wurden jetzt herbeigeholt. Der eine von ihnen war derjenige, den ich über den Fluß gelockt hatte. Sein sehr unzureichendes Gewand war noch naß. Er war auf seinen Posten zurückgekehrt und hatte noch keine Gelegenheit gehabt, dem Anführer das Geschehene zu melden. Jetzt trat er zu ihm und erzählte es ihm, doch so, daß wir Weißen nichts hörten. Er schien mit seinem Berichte zu Ende zu sein, als sein Auge auf mich fiel. Wegen der Bemalung seines Gesichtes konnte ich keine Veränderung seiner Züge bemerken, aber er machte eine Bewegung des Zornes, deutete auf mich und rief dem Anführer einige indianische Worte zu, deren Bedeutung ich nicht verstand. Der Letztgenannte betrachtete mich mit drohend forschendem Blicke, trat auf mich zu und sagte:

»Das junge Bleichgesicht ist vorhin über den Fluß geschwommen! Du hast diesen rothen Krieger niedergeschlagen?«

Old Death nahm sich meiner an, indem er herbeitrat und den Anführer fragte, was er mit seinen Worten wolle. Der Gefragte erzählte, was geschehen war. Der Alte aber lachte lustig auf und sagte:

»Die rothen Krieger scheinen sich nicht darauf zu verstehen, die Angesichter der Weißen zu unterscheiden. Es fragte sich überhaupt, ob es ein Bleichgesicht gewesen ist, welches dieser Sohn der Comanchen gesehen hat.«

»Ein Weißer war es,« antwortete der Betreffende in bestimmtem Tone. »Und kein anderer als dieser hier. Ich habe sein Gesicht gesehen, als er schwimmend auf dem Rücken lag. Auch hatte er dasselbe weiße Gewand an.«

»So! In den Kleidern ist er über den Fluß geschwommen? Dein Anzug ist noch naß. Der seinige müßte es auch noch sein. Fühle ihn aber an, so wirst Du Dich überzeugen, daß er vollständig trocken ist.«

»Er hat den nassen ausgezogen und im Hause einen andern angelegt.«

»Wie ist er hineingekommen? Haben nicht Eure Krieger hier an dem Thore gestanden? Kein Mensch kann in das Haus oder aus demselben, ohne diese Treppen zu besteigen, an welchen sämmtliche Krieger der Comanchen standen. Kann mein junger Gefährte also außerhalb des Hauses gewesen sein?«

Sie gaben das zu, und der überlistete Posten war endlich auch selbst der Meinung, daß er sich geirrt habe. Als dann der Haziendero bemerkte, es treibe sich seit einiger Zeit eine Bande von Pferdedieben in dieser Gegend herum, zu denen der Mensch jedenfalls gehöre, so war die Angelegenheit erledigt. Nur der Umstand blieb räthselhaft, daß keine Spur vorhanden gewesen war, aus welcher man hätte ersehen können, nach welcher Richtung dieser Mann davongegangen sei. Um dieses Räthsel zu lösen, ritt der Anführer mit dem Posten und einigen andern durch die Furth und dann nach der betreffenden Stelle. Glücklicher Weise aber begann es bereits dunkel zu werden, so daß eine genaue Untersuchung des Ortes nicht mehr stattfinden konnte. Old Death, der Schlaue, nahm mich mit sich, um am Fluße entlang zu spazieren. Die Augen auf die Reiter am jenseitigen Ufer gerichtet und uns scheinbar nur mit diesen beschäftigend, gingen wir langsam fort und blieben bei den Petunien stehen. Dort sagte der Alte so leise, daß nur ich und der im Kahne Befindliche es hören konnten:

»Old Death steht da mit dem jungen Bleichgesichte, welches den »guten Mann« hier versteckt hat. Erkennt mich der Häuptling der Apachen vielleicht an der Stimme?«

»Ja,« lautete die ebenso leise Antwort.

»Die Comanchen glauben jetzt, daß sich der »gute Mann« nicht hier befindet. Sie werden beim Anbruche des Tages fortreiten. Aber wird mein Bruder es so lange im Kahne aushalten können?«

»Der Apache hält es aus, denn der Duft des Wassers erquickt ihn, und das Fieber wird nicht wiederkehren. Der Häuptling der Apachen möchte aber gern wissen, wie lange Old Death mit seinen Gefährten hier bleibt.«

»Wir reiten morgen mit den Comanchen fort.«

»Uff! Warum gesellt sich mein Freund zu unsern Feinden?«

»Weil wir einige Männer suchen, welche bei ihnen zu finden sind.«

»Werden die weißen Männer auch mit Kriegern der Apachen zusammentreffen?«

»Das ist leicht möglich.«

»So möchte ich dem jungen Krieger, welcher sein Leben wagte, um mich hier zu verbergen, gern ein Totem geben, welches er den Söhnen der Apachen zeigen kann, um ihnen stets willkommen zu sein. Old Death ist ein schlauer und erfahrener Jäger; ihn werden die Hunde der Comanchen nicht ertappen, wenn er mir, sobald es dunkel geworden ist, ein Stück weißes Leder und ein Messer bringt. Vor Anbruch des Tages kann er dann das Totem abholen, welches ich während der Nacht anfertigen werde.«

»Ich werde beides bringen, das Leder und das Messer. Wünschest Du noch Anderes?«

»Nein. Der Apache ist zufrieden. Möge der gute Manitou stets über die Pfade Old Death’s und des jungen Bleichgesichtes wachen.«


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