Karl May
Der Scout
Karl May

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Wir kehrten jetzt wieder zurück. Keinem war es aufgefallen, daß wir eine Minute lang am Fluße gestanden hatten. Der Alte erklärte mir:

»Eine große Seltenheit ist es, daß ein Weißer das Totem eines Indianerhäuptlings bekommt. Ihr habt viel Glück, Sir! Die Handschrift des »guten Mannes« kann Euch von großem Nutzen sein.«

»Und Ihr wollt es wirklich wagen, ihm das Leder und Messer zu besorgen? Wenn Ihr dabei von den Comanchen erwischt werdet, so ist es um den Apachen und Euch geschehen!«

»Unsinn! Haltet Ihr mich für einen Schulknaben? Ich weiß stets sehr genau, was ich wagen kann und was nicht.«

Der Anführer der Indsmen kehrte unverrichteter Sache zurück. Die Spur war nicht mehr deutlich zu erkennen gewesen.

Früh wurde ich von Old Death geweckt. Er gab mir ein viereckiges Stück weiß gegerbtes Leder. Ich betrachtete dasselbe und konnte nichts Besonderes bemerken, denn einige feine Einschnitte auf der glatten Seite des Leders schienen mir ganz bedeutungslos zu sein.

»Das ist das Totem?« fragte ich. »Ich kann nichts Außerordentliches an ihm entdecken.«

»Ist auch nicht nöthig. Gebt es dem ersten Apachen, der Euch begegnet, und er wird Euch darüber aufklären, welchen Schatz Ihr besitzt. Die Schrift dieses Totem ist jetzt noch unsichtbar, weil der »gute Mann« keine Farbe bei sich hatte. Aber wenn Ihr es einem Apachen gebt, wird er die Einschnitte färben, worauf die betreffenden Figuren erkennbar sein werden. Doch laßt dieses Leder um Gotteswillen nicht einen Comanchen sehen, da man Euch für einen Freund der Apachen halten würde. Jetzt zieht Euch um, und kommt hinab. Die Comanchen sind in kurzer Zeit zum Aufbruche bereit.«

Die Wilden waren beschäftigt, ihr Frühmahl zu halten, welches aus den gestern Abend übrig gebliebenen Fleischresten bestand. Dann holten sie ihre Pferde zusammen, um sie am Flusse zu tränken. Dies geschah glücklicher Weise oberhalb der Stelle, an welcher der Apache versteckt lag. Nun kam auch der Haciendero mit seinen beiden Damen zum Vorscheine, welche vor den Rothen nicht mehr die mindeste Sorge sehen ließen. Als er unsere Pferde sah, welche von den Vaquero’s herbeigebracht wurden, meinte er kopfschüttelnd zu Old Death:

»Das sind keine Pferde für Euch, Sennor. Ihr wißt, welchen Werth ein gutes Pferd besitzt. Dieser Sennor Lange und sein Sohn gehen mich nichts an, ebenso wenig der Neger. Ihr aber seid ein alter Freund von mir, und da Ihr diesen jungen Herrn so in Euer Herz geschlossen habt, so habe ich ihm auch das meinige geöffnet. Ihr Beide sollt bessere Pferde haben.«

Wir nahmen das Anerbieten das Hazienderos dankend an. Auf seinen Befehl fingen die Vaquero’s zwei halbwilde Pferde ein, welche wir an der Stelle der unserigen nehmen mußten. Dasjenige, welches ich bisher geritten hatte, war von der Cultur beleckt gewesen; das neue aber machte mir in den ersten Tagen viel zu schaffen, und ich hatte alle Anstrengung zu machen, mich nicht vor den Comanchen zu blamiren und vor – Old Death, auf dessen Gesicht immer ein leises, ironisches Grinsen erschien, wenn das feurige und widerwillige Thier mich für einen Augenblick aus der Haltung brachte, welche der männlichen Würde angemessen ist. Die Sonne hatte den Horizont noch nicht erreicht, als wir über den Elm-Creek setzten und dann im Galoppe nach Westen flogen, voran wir fünf mit dem Anführer der Comanchen, und dessen Leute hinter uns her. Ich hatte dabei ein Gefühl der Unsicherheit, denn es war mir immer, als müsse mir ein Pfeil oder eine Lanze in den Rücken fahren. Die auf ihren kleinen, struppigen, mageren und doch so ausdauernden Pferden sitzenden Indianer machten in ihrer Bewaffnung, Bemalung und der ganzen Art und Weise, sich zu geben, nicht den Eindruck, als ob wir uns ihnen anvertrauen könnten. Old Death beruhigte mich aber darüber, als ich eine darauf bezügliche Bemerkung machte. Noch war nicht darüber gesprochen worden, wann und wo wir den Haupttrupp der Comanchen treffen würden. Jetzt erfuhren wir, daß derselbe nicht etwa angehalten habe, um die Rückkehr der abgesandten fünfzig zu erwarten, sondern daß der Anführer der letzteren den Befehl erhalten hatte, den »guten Mann« auf der Hazienda gefangen zu nehmen und unter einer Bedeckung von zehn Mann nach den Dörfern der Comanchen zu schicken, wo der Marterpfahl seiner wartete. Die übrigen vierzig sollten im Eilritte nach dem Rio grande kommen und dort der Spur des Haupttruppes folgen, um zu demselben zu stoßen. Da der »weiße Biber« von Gibson erfahren hatte, daß Winnetou über den Fluß entkommen sei und die Apachen natürlich sofort alarmiren werde, so hielt er die größte Eile für geboten, um die Feinde doch noch zu überraschen, bevor sie sich im Vertheidigungszustande befanden. Für uns kam es vor allen Dingen darauf an, Gibson noch bei den Comanchen zu finden. Hatte ich diesen Mann und William Ohlert fest, so konnte ich umkehren und brauchte mich um die Feindseligkeiten der Indianer nicht weiter zu bekümmern.

Nach ungefähr zwei Stunden kamen wir an die Stelle, an welcher sich unsere indianischen Begleiter gestern von der Hauptschaar getrennt hatten. Im Süden von uns lag am Rio grande der Eagle-Paß mit Fort Dunkan, welches die Rothen zu vermeiden hatten. Nach abermals zwei Stunden zeigten sich spärliche Grasspuren, und wir hatten die Nueces-Wüste hinter uns. Die Fährte, welcher wir folgten, bildete eine schnurgerade Linie, welche von keiner andern gekreuzt wurde; die Comanchen waren unbemerkt geblieben, Der Boden schmückte sich nach und nach mit einem intensiveren Grün, und endlich sahen wir im Westen Wald auftauchen. Das verkündete die Nähe des Rio grande del Norte.

»Uff!« meinte der Anführer im Tone der Erleichterung. »Kein Bleichgesicht ist uns begegnet, und Niemand wird uns verwehren, sogleich über den Fluß zu gehen. Die Hunde der Apachen werden uns bald bei sich sehen und vor Schreck heulen beim Anblicke unserer tapfern Krieger.«

Wir ritten eine Zeit lang langsam unter Platanen, Ulmen, Eschen, Hackberies und Gummibäumen hin, und dann erreichten wir den Fluß. Der »weiße Biber« war ein guter Führer der Seinen. Die meilenweite Spur, welche uns als Wegweiser gedient hatte, führte linienrecht auf die Stelle zu, an welcher es eine Furth gab. Der Rio grande war hier sehr breit; hatte aber wenig Wasser. Nackte Sandbänke ragten aus demselben hervor, aber sie bestanden aus losem Triebsande, in welchem es gefährliche Stellen gab, wo man leicht versinken konnte. Hier am Ufer hatten die Comanchen während der verflossenen Nacht ihr Lager aufgeschlagen, wie man aus den Spuren ersehen konnte. Wir mußten annehmen, daß sie ebenso zeitig wie wir aufgebrochen seien; aber so schnell hatten sie nicht reiten können wie wir, denn sie befanden sich nun im Streifgebiete der Apachen und waren in Folge dessen zu Vorsichtsmaßregeln gezwungen, durch welche ihrer Schnelligkeit Abbruch geschehen mußte. So sah man, daß ihr Uebergang über den Fluß nicht ohne große Vorsicht bewerkstelligt worden war. Zahlreiche Fußstapfen bewiesen, daß einige von ihnen abgestiegen seien, um die trügerischen Sandablagerungen zu untersuchen. Die gangbaren Stellen waren mit in den Boden gesteckten Zweigen bezeichnet worden. Für uns war es leichter, hinüber zu kommen, da wir nur ihren Spuren zu folgen brauchten. Der Fluß wurde durch die Bänke in mehrere Arme getheilt, welche unsere Pferde zu durchschwimmen hatten. Drüben hatten wir wieder eine schmale Baum- und Strauchregion zu durchqueren, welchem Gras und endlich wieder Sand folgte. Wir befanden uns in der zwischen dem Rio grande und der Bolson de Mapimi gelegenen Region, welche so recht zum Umherstreifen wilder Indianerhorden geeignet ist. Eine weite Sandebene, welche nur durch große oder kleinere Kaktusstrecken unterbrochen wird. Durch diese Ebene führte die sehr deutliche Spur in beinahe westlicher, nur ein wenig nach Süden geneigter Richtung. Aber wenn ich der Ansicht gewesen war, daß wir die Comanchen heute erreichen würden, so hatte ich mich geirrt. Der durch die Pferdehufe weit nach hinten geschleuderte Sand bewies uns, daß sie sich großer Eile befleißigt hatten. Gegen Mittag durchkreuzten wir eine schmale, niedrige und öde Hügelkette, worauf nun wieder dieselbe sandige Ebene folgte.

Ich mußte die Ausdauer der indianischen Pferde bewundern. Der Nachmittag war weit vorgeschritten, und doch zeigten sie noch keine Spur von Ermüdung. Die drei Gäule von Lange, Sohn und dem Neger konnten nur mit Mühe folgen. Old Death’s und mein Pferd aber bewiesen, daß wir bei dem Tausche sehr im Vortheile gewesen waren. Schon drohte es dunkel zu werden, als wir zu unserm Erstaunen sahen, daß die Fährte plötzlich ihre bisherige Richtung änderte. Vor ungefähr einer Viertelstunde hatten wir den von San Fernando nach Baya führenden Reitweg durchschnitten; jetzt brach die Spur nach Südwesten ab. Warum? Es mußte ein Grund dazu vorhanden gewesen sein. Old Death erklärte es uns. Man sah aus den Hufeindrücken, daß die Comanchen hier gehalten hatten. Grad von Norden her stieß die Fährte zweier Reiter auf diejenige der Rothen. Der Alte stieg ab, untersuchte die erstere und sagte dann:

»Hier sind zwei Männer, welche Indianer waren, zu den Comanchen gekommen. Sie haben ihnen eine Nachricht gebracht, welche die Krieger des »weißen Bibers« veranlaßt hat, ihre Richtung zu ändern. Wir können nichts als dasselbe thun.«

Der Anführer stieg auch ab und bestätigte die Ansicht des Alten, nachdem er die Fährte untersucht hatte. Wir wendeten uns in Folge dessen auch nach Süden. So lange es möglich war, die Fährte zu erkennen, ritten wir, denn es sollte heute eine möglichst große Strecke zurückgelegt werden. Selbst als es dämmerte, waren die Huftapfen noch von der glatten Sandfläche zu unterscheiden. Dann aber verlief Alles schwarz in schwarz. Wir wollten halten. Da blies mein Pferd die Nüstern auf, wieherte laut und rannte mit mir fort. Ich war ein zu wenig guter Reiter, um es wieder in meine Gewalt zu bekommen. Kein Zügel half, kein Zuruf und kein Schenkeldruck. Er ging ganz regelrecht mit mir durch. Und hinter mir her folgten in voller Carrière die Comanchen. Ich hörte hinter mir Old Death’s lachende Stimme:

»Halloh, Sir, haltet Euch fest im Sattel! Das Thier hat Durst im Leibe und den Teufel dazu. Es merkt, daß es von einem Greenhorn geritten wird und hat Euch den Respect aufgesagt. Ich calculire, daß es uns an irgend ein Wasser führen wird.«

So ging es in rasendem Laufe eine Strecke vorwärts. Stärkeres Dunkel stieg vor mir auf. Zweige oder etwas Aehnliches schlugen mich in das Gesicht. Ein weiterer Satz des Pferdes – ein Geräusch, wie wenn etwas Schweres in das Wasser geworfen wird – ich wurde aus dem Sattel geschleudert, überschlug mich in der Luft und flog in tiefes Wasser, wo ich untertauchte. Krampfhaft die Flinte festhaltend, arbeitete ich mich wieder empor. Ich konnte nicht sehen, ob ich mich in einem fließenden oder stehenden Gewässer befand und wo sich das Ufer befand. Ich konnte nichts anderes thun, als mich auf der Oberfläche halten. Da knickte, krachte und prasselte es. Huftritte erschollen. Freudenrufe der Comanchen ließen sich hören, daß Wasser gefunden sei. Ueber Alle aber vernahm ich Old Death’s Stimme:

»Hollah, Sir, wo befindet Ihr Euch? Da ist Wasser, und das Pferd steht mitten drin. Der Reiter aber ist nicht zu sehen.«

»Hier bin ich; ich komme gleich,« antwortete ich.

»Na, laßt Euch gefälligst herausangeln.«

Da faßte mich Jemand am Arme, und ich hörte den Neger sagen:

»Massa keine Angst vor Wasser! Neger Sam gut schwimmen, sehr gut. Retten seinen Massa aus großen Fluß.«

Der brave Kerl war meinetwegen in’s Wasser gesprungen. Ich brauchte ihn gar nicht. Das Pferd stand am Ufer, bis an den Leib im Wasser. Ich aber war ein Stück weiter hinüber, wo es tiefer war, geschleudert worden. Ich brauchte nur zweimal mit den Armen und Beinen auszustreichen, so fand ich Grund. In Lebensgefahr hatte ich mich also nicht befunden, aber blamirt war ich im höchsten Grade. Ein Pferd durchgehen lassen und dann noch gar abgeworfen zu werden, das ist bei den Rothen eine ungeheure Schande. Nach einem so anstrengenden und heißen Ritte, wie dem heutigen, war das aufgefundene Wasser eine wahre Erquickung für Menschen und Thiere. In kurzer Zeit war ein Lagerplatz gewählt; die Rothen stellten Wachen auf und ließen die Thiere unter Aufsicht derselben weiden. Wir Weißen setzten uns zu einander, wobei ich aus Schamgefühl mich sehr ruhig verhielt. Old Death erging sich in Berechnungen, was für ein Wasser es sei, an welches wir so unerwartet gerathen waren, und kam endlich zu der Ueberzeugung, daß es der Morelos sei, welcher bei Fort Dunkan in den Rio grande fließt. Ich brachte die Nacht etwas feucht zu, in Folge dessen ich mich am Morgen ein wenig mehr als bloß erfrischt fühlte. Die nun angestellte Untersuchung ergab, daß wir uns an einem ganz hübschen Wasserlaufe befanden, über den nicht weit von uns die Comanchen geschwommen waren. Wir thaten dasselbe und folgten ihrer Spur von Neuem. Um die Mittagszeit wendete sich die Fährte nach Westen, und wir sahen in dieser Richtung nackte Berge vor uns aufsteigen. Old Death machte ein bedenkliches Gesicht. Von mir über die Ursache desselben befragt, antwortete er:

»Die Geschichte gefällt mir nicht. Ich kann den »weißen Biber« nicht begreifen, daß er sich in diese Gegend wagt. Wißt Ihr etwa, was für eine schöne Gegend da vor uns liegt?«

»Ja, die Bolson de Mapimi.«

»Und kennt Ihr diese Wüste?«

»Nein. Auch gehört habe ich von ihr nichts Näheres.«

»Weil man überhaupt nicht viel über sie zu sagen weiß. Diese Mapimi ist ein wahrer Mehlwürmertopf, aus welchem zu allen Zeiten die wilden Völkerschaften hervorgebrochen sind, um sich räuberisch auf die angrenzenden Länder zu werfen. Dabei dürft Ihr aber nicht etwa denken, daß es ein fruchtbares Land sein müsse, weil es eine solche Menschenzahl ausbrütet. Aber man hat immer die Erfahrung gemacht, daß wüste Gegenden der Ausgangspunkt von Völkerwanderungen sind. Den Stämmen, die da oben auf dieser Hochebene und in den Schluchten, Gründen und Thälern wohnen, ist nicht beizukommen. Ich weiß ganz genau, daß sich mehrere Horden der Apachen dort festgesetzt haben. Ist es die Absicht der Comanchen, diese zu überfallen, so können sie mir ungeheuer leid thun, nicht die Apachen, sondern die Comanchen. Im Norden streifen die Apachen zwischen dem Rio del Norte und dem Rio Pecos, und den ganzen Nordwesten bis über den Gila hinüber haben sie inne. Die Comanchen wagen sich also in eine Falle, welche sehr leicht über ihnen zuklappen kann.«

»O wehe! Da stecken auch wir mit drin!«

»Ja, aber ich fürchte mich nicht allzu sehr. Wir haben den Apachen nichts gethan, und so hoffe ich, daß sie uns nicht feindselig behandeln. Im Nothfalle wird Euer Totem von guter Wirkung sein.«

»Ist es nicht unsere Pflicht, die Comanchen zu warnen?«

»Versucht es doch einmal, Sir! Sagt einem Dummen zehnmal, daß er dumm sei, er glaubt es dennoch nicht. Ich habe vorhin dem Anführer gesagt, was ich denke. Er schnauzte mich ab, und sagte, er habe der Spur des »weißen Bibers« zu folgen. Wenn wir das nicht thun wollten, so stehe es uns frei, zu reiten, wohin es uns behebe.«

»Das war grob!«

»Ja, die Comanchen nehmen keinen Cursus in Anstandslehre und Conversation. Soll mich wundern, wenn sich da oben nicht irgend etwas über uns zusammenbraut. Ueber die Grenze sind wir herüber; ob und wie wir wieder hinüber kommen, das steht in einem Buche gedruckt, welches ich noch nicht gelesen habe.« – – –

Fünftes Kapitel. Durch die Mapimi.

Die Worte des alten Scout hatten nicht geringen Eindruck auf mich gemacht. Ich war der sichern Ueberzeugung gewesen, Gibsons noch im Bereiche der Vereinigten Staaten habhaft zu werden. Nun mußte ich ihm nach Mexico und sogar in die allergefährlichste Gegend dieses Landes folgen.

Der Weg, welcher erst hatte eingeschlagen werden sollen, um Chihuahua zu erreichen, berührt den Norden des wüsten Gebietes der Mapimi und führt meist durch freies, offenes Land. Nun aber hatten wir uns südlich wenden müssen, wo Gefahren uns erwarteten, denen wir wohl kaum gewachsen waren. Zu diesen niederschlagenden Gedanken trat die körperliche Ermüdung, deren sich selbst die Comanchen nicht mehr erwehren konnten. Wir hatten von der Hazienda del Caballero aus einen wahren Parforceritt gemacht. Den Rothen war das getrocknete Fleisch ausgegangen, welches ihren Proviant gebildet hatte, und auch wir besaßen nur noch wenig von dem Speisevorrathe, welchen uns der Haziendero hatte einpacken lassen. Das Terrain stieg nach und nach höher an. Wir erreichten Berge, welche wir am Mittage gesehen hatten, steinige Massen ohne alles pflanzliche Leben. Wir wandten uns zwischen ihnen hindurch, immer nach Süden. Zwischen den steilen Abhängen war die Hitze noch größer als draußen auf der freien Ebene. Die Pferde verlangsamten ihre Schritte immer mehr. Auch der Haupttrupp der Comanchen war hier sehr langsam geritten, wie man aus den Spuren ersah. Ueber uns schwebten mehrere Geier, welche uns seit Stunden gefolgt waren, als ob sie erwarteten, daß unsere Erschöpfung ihnen eine Beute bringen werde. Da färbte sich plötzlich, als wir um eine Felsenecke schwenkten, der Süden dunkler. Dort schien es bewaldete Berge zu geben, und sofort fielen die Pferde, als ob auch sie diese Bemerkung gemacht hätten, in lebhafteren Schritt. Das Gesicht Old Death’s heiterte sich auf.

»Jetzt ahne ich, wohin wir kommen,« sagte er. »Ich rechne, daß wir uns in der Nähe des Flußgebietes des Rio Sabinas befinden, welcher aus der Mapimi herabkommt. Wenn die Comanchen sich entschlossen haben, seinem Laufe aufwärts zu folgen, so hat die Noth ein Ende. Wo Wasser ist, gibt es Wald und Gras und wohl auch Wild, selbst in dieser traurigen Gegend. Wollen den Pferden die Sporen zeigen. Je mehr wir sie jetzt anstrengen, desto eher können sie sich ausruhen.«

Die Fährte hatte sich wieder ostwärts gewendet. Wir gelangten in eine lange, schmale Schlucht, und als dieselbe sich öffnete, sahen wir ein grünes Thal vor uns liegen, welches durch einen Bach bewässert wurde. Nach diesem Bache stürmen und dort aus dem Sattel springen, war eines. Selbst wenn die Comanchen sich hätten beherrschen wollen, so hätten sie doch ihren Pferden den Willen lassen müssen. Aber als die letzteren getrunken hatten, saßen wir gleich wieder auf, um weiter zu reiten. Der Bach ergoß sich nach kurzer Zeit in einen größeren, welchem wir aufwärts folgten. Derselbe führte uns in einen Canon, dessen steile Wände stellenweise mit Büschen bewachsen waren. Als wir diesen durchritten hatten, kamen wir an grünenden Berglehnen vorüber, deren Färbung unseren geblendeten Augen wohl that. Mittlerweile hatte es zu dunkeln begonnen, und wir mußten uns nach einem Lagerplatz umsehen. Der Anführer der Comanchen bestand darauf, noch ein Stück weiter zu reiten, bis wir auch Bäume finden würden, und wir mußten uns seinem Willen fügen. Die Pferde stolperten über Steine, welche im Wege lagen. Fast war es Nacht; da wurden wir plötzlich angerufen. Der Anführer gab seine Antwort in freudigem Tone, denn der Ruf war in der Sprache der Comanchen erfolgt. Wir blieben halten. Old Death ritt mit dem Anführer vor, kehrte aber bald zurück und meldete:

»Die Comanchen lagern vor uns. Ihrer Fährte nach war das Zusammentreffen jetzt noch nicht zu erwarten. Aber sie haben sich nicht weiter gewagt, ohne die Gegend zu erkunden. Darum haben sie sich hier gelagert und am Mittag Kundschafter ausgeschickt, welche bis jetzt noch nicht zurückgekehrt sind. Kommt vor! Ihr werdet sogleich die Lagerfeuer sehen.«

»Ich denke, daß auf einem solchen Kriegszuge keine Lagerfeuer angebrannt werden,« sagte ich.

»Das Terrain wird es ihnen erlauben. Da sie Kundschafter vor sich her gesandt haben, so sind sie sicher, daß sich kein Feind in der Nähe befindet, welcher die Feuer sehen kann.«

Wir ritten vorwärts. Die Schlucht war zu Ende, und wir sahen wohl gegen zehn Feuer brennen, nicht mit hohen, sondern gedämpften Flammen, wie es bei Indianern stets der Fall ist. Es schien ein runder, baumleerer Thalkessel zu sein, welchen wir vor uns hatten. Die Höhen stiegen, so viel ich bei der Dunkelheit erkennen konnte, rundum steil an, ein Umstand, welchen die Comanchen als günstig für ihre Sicherheit zu betrachten schienen.

Die Rothen, bei denen wir uns befunden hatten, ritten stracks auf das Lager zu, während uns bedeutet wurde, zu warten, bis man uns holen werde. Es dauerte eine ziemliche Weile, bis einer kam, um uns zum Häuptlinge zu führen, der seinen Platz am mittleren Feuer hatte, um welches die andern im Kreise brannten. Er saß in Gesellschaft von zwei Männern, welche wohl ausgezeichnete Krieger waren. Sein Haar war grau, aber lang und in einen Schopf gebunden, in welchem drei Adlerfedern befestigt waren. Er trug Moccassins, schwarze Tuchhose, Weste und Jacke von hellerem Stoffe und hatte ein Doppelgewehr neben sich liegen. Im Gürtel sah man eine alte Pistole. Messer und ein Stück Fleisch hielt er in den Händen, legte aber, als er uns sah, beides weg. Er war eben mit dem Essen beschäftigt gewesen. Der Geruch gebratenen Pferdefleisches lag in der Luft. Dicht neben der Stelle, an welcher er saß, murmelte ein Quell aus der Erde hervor. Wir waren noch nicht von den Pferden gestiegen, so hatte sich schon ein weiter Kreis eng an einander stehender Krieger um uns gebildet, unter denen ich mehrere weiße Gesichter bemerkte. Man bemächtigte sich sofort unserer Pferde, um sie fort zu schaffen. Da Old Death es geschehen ließ, ohne Einspruch zu erheben, konnte ich nichts Gefährliches darin sehen. Der Häuptling stand auf und die beiden andern mit ihm. Er trat Old Death entgegen, reichte ihm ganz nach Art der Weißen die Hand und sagte in freundlich ernstem Tone:

»Mein Bruder Old Death überrascht die Krieger der Comanchen. Wie hätten sie ahnen können, ihn hier zu treffen. Er ist willkommen und wird mit uns gegen die Hunde der Apachen kämpfen.«

Er hatte, wohl damit auch wir ihn verstehen könnten, im Mischjargon gesprochen. Old Death antwortete in eben demselben:

»Der weise Manitou leitet seine rothen und bleichen Kinder auf wunderbaren Wegen. Glücklich ist der Mann, welcher auf jedem dieser Wege einem Freunde begegnet, auf dessen Wort er sich verlassen kann. Wird der »weiße Biber« auch mit meinen Gefährten die Pfeife des Friedens rauchen?«

»Deine Feinde sind auch meine Feinde, und wen Du liebst, den liebe ich auch. Sie mögen sich an meine Seite setzen und aus dem Calummet des Häuptlings der Comanchen den Frieden trinken.«

Old Death setzte sich nieder, und wir folgten seinem Beispiel. Nur der Schwarze trat zur Seite, wo er sich ebenfalls im Grase niederließ. Die Rothen standen stumm und bewegungslos wie Statuen im Kreise. Die Gesichtszüge der einzelnen Weißen zu erkennen, war mir unmöglich. Der Schein des Feuers reichte dazu nicht aus. Oyo-koltsa band sein Calummet vom Halse, stopfte den Kopf desselben voll Tabak aus dem Beutel, welcher ihm am Gürtel hing, und brannte ihn an. Nun folgte fast ganz genau dieselbe Ceremonie, welche beim Zusammentreffen mit seinem Sohne stattgefunden hatte. Dann erst gewannen wir die Gewißheit, keine Feindseligkeiten seitens der Comanchen befürchten zu müssen.

Während wir vor dem Lager warten mußten, hatte der Anführer der Fünfzig dem Häuptling über uns Mittheilung gemacht, wie wir jetzt aus dem Munde des letzteren hörten. Er bat Old Death, ihm nun auch seinerseits zu erzählen, wie die Angelegenheit sich zugetragen habe. Der Alte that es in einer Weise, daß weder auf uns, noch auf Sennor Atanasio ein Mißtrauen fallen konnte.

Der »weiße Biber« blickte eine Zeit lang sinnend vor sich nieder und sagte dann:

»Ich muß meinem Bruder Glauben schenken. Selbst wenn ich zweifeln wollte, finde ich in seiner Erzählung nichts, woraus ich schließen könnte, daß er mich täuschen will. Aber auch dem andern Bleichgesicht muß ich trauen, denn er hat keinen Grund, die Krieger der Comanchen zu belügen, und eine Lüge würde ihm das Leben kosten. Er befindet sich bei uns und hätte sich längst von uns entfernt, wenn er uns die Unwahrheit gesagt hätte. Ich kann also nichts Anders denken, als daß Einer von Euch sich getäuscht hat.«

Das war sehr scharfsinnig gedacht, nämlich von seinem Standpunkte aus. Old Death mußte vorsichtig sein. Wie leicht konnte der Häuptling auf den Gedanken kommen, noch einmal eine Abtheilung zurückzusenden, um den Haziendero des Nachts zu überraschen! Am allerbesten war es, eine glaubliche Erklärung des vermutheten Irrthums zu geben. Das dachte auch der Scout. Darum sagte er:

»Eine Täuschung liegt allerdings vor; aber nicht ich, sondern das Bleichgesicht wurde getäuscht. Wo wäre der Mann, welcher Old Death zu täuschen vermöchte! Das weiß mein rother Bruder auch.«

»So mag mein Bruder mir sagen, wie sich die Sache zugetragen hat!«

»Zunächst muß ich da sagen, daß der Häuptling der Comanchen selbst getäuscht worden ist.«

»Von wem?« fragte der »weiße Biber« indem er plötzlich ein sehr ernstes Gesicht machte.

»Von den sämmtlichen Bleichgesichtern, welche Du bei Dir hast, vermuthe ich.«

»Auf eine Vermuthung darf ich nicht hören. Gib mir den Beweis! Wenn die mich täuschen, mit denen wir die Pfeife des Friedens geraucht haben, so müssen sie sterben!«

»Also nicht nur die Friedenshand hast Du ihnen gegeben, sondern sogar das Calummet mit ihnen geraucht? Wäre ich bei Dir gewesen, so hätte ich Dich gehindert, es zu thun. Ich werde Dir den verlangten Beweis geben. Sage mir, wessen Freund Du bist, etwa des Präsidenten Juarez?«

Der Gefragte machte eine wegwerfende Handbewegung und antwortete:

»Juarez ist eine abgefallene Rothhaut, welche in Häusern wohnt und das Leben der Bleichgesichter führt. Ich verachte ihn. Die Krieger der Comanchen haben ihre Tapferkeit dem großen Napoleon geliehen, welcher ihnen dafür Waffen, Pferde und Decken schenkt und ihnen die Apachen in die Hände gibt. Auch die Bleichgesichter sind Napoleon’s Freunde.«

»Das ist eben eine Lüge. Damit haben sie Dich getäuscht. Sie sind nach Mexico gekommen, um Juarez zu dienen. Hier sitzen meine Gefährten als Zeugen. Du weißt doch, wen der große, weiße Vater in Washington in seinen Schutz genommen hat?«

»Juarez.«

»Und daß drüben jenseits der Grenze Soldaten angeworben werden, welche man auf heimlichen Wegen an Juarez herüber sendet, weißt Du auch. Nun, zu La Grange wohnt ein Mexicaner, welcher Sennor Cortesio heißt. Wir selbst sind bei ihm gewesen, und diese beiden Männer waren seine Nachbarn und Freunde. Er selbst hat es ihnen und uns gesagt, daß er viele Männer für Juarez anwirbt, und am Tage, bevor wir zu ihm kamen, einige der bei Dir befindlichen Weißen zu Soldaten des Juarez gemacht hat. Die Andern aber sind Truppen, welche die Angeworbenen begleiten müssen. Du bist ein Feind des Juarez und hast doch mit seinen Soldaten die Pfeife des Friedens geraucht, weil sie Dich belogen haben.«

Das Auge des Häuptlings flammte zornig auf. Er wollte sprechen, doch Old Death fiel ihm in die Rede:

»Laß mich vor Dir sprechen! Also diese Bleichgesichter sind Soldaten des Juarez. Sie kamen auf die Hazienda des Sennor Atanasio, der ein Freund Napoleon’s ist. Er hatte einen hohen, alten Anführer der Franzosen als Gast bei sich. Die Bleichgesichter hätten diesen Mann getödtet, wenn sie ihn erkannt hätten. Darum mußte er sich krank stellen und sich niederlegen. Man bestrich sein Gesicht mit dunkler Farbe, um ihm das Aussehen eines Indianers zu geben. Als nun die Bleichgesichter ihn sahen und fragten, wer er sei, wurde geantwortet, er sei der »gute Mann«, der Häuptling der Apachen.«

Der Häuptling zog die Augenbrauen hoch. Er glaubte dem Erzähler, war aber doch so vorsichtig, zu fragen:

»Warum sagte man grad diesen Namen?«

»Weil die Apachen es mit Juarez halten. Die Bleichgesichter mußten also in diesem Manne einen Freund erkennen. Und er war alt und hatte graues Haar, welches er nicht verbergen konnte. Man wußte, daß der »gute Mann« auch graues Haar hat; darum gab man ihm den Namen dieses Apachen.«

»Uff! Jetzt verstehe ich Dich. Dieser Sennor muß ein sehr kluger Mann sein, daß er auf eine solche Ausrede gekommen ist. Aber wo war der Anführer des Napoleon, als meine Krieger kamen? Sie haben ihn nicht gesehen.«

»Er war bereits wieder fort. Du siehst also, es ist nur eine Ausrede gewesen, daß Winnetou den »guten Mann« gebracht habe. Die Bleichgesichter haben das geglaubt. Dann sind sie auf Dich und Deine Krieger gestoßen. Sie haben gewußt, daß die Comanchen Freunde der Franzosen sind, und sich also auch für deren Freunde ausgegeben.«

»Ich glaube Dir, aber ich muß einen sichern Beweis haben, daß sie Anhänger des Juarez sind, sonst kann ich sie nicht bestrafen, denn sie haben aus unserm Calummet geraucht.«

»Ich wiederhole, daß ich Dir diesen Beweis geben werde. Vorher aber muß ich Dir sagen, daß sich unter diesen Bleichgesichtern zwei Männer befinden, welche ich gefangen nehmen will.«

»Warum?«

»Sie sind unsere Feinde, und wir haben unsere Pferde viele Tage lang auf ihrer Spur gehabt.«

Das war die beste Antwort. Hätte Old Death eine lange Erzählung über Gibson und William Ohlert gemacht, so hätte er das nicht erreicht, was er mit den kurzen Worten »Sie sind unsere Feinde« erreichen konnte. Das zeigte sich sofort, denn der Häuptling sagte:

»Wenn sie Deine Feinde sind, so sind sie auch die unserigen, sobald wir ihnen den Rauch des Friedens wieder genommen haben. Ich werde Dir die Beiden schenken.«

»Gut! So laß den Anführer der Bleichgesichter hierher kommen! Wenn ich mit ihm rede, so wirst Du bald erkennen, wie Recht ich habe, wenn ich behaupte, daß er Anhänger des Juarez ist.«

Der Häuptling winkte. Einer seiner Krieger kam herbei und erhielt den betreffenden Befehl. Er schritt auf einen Weißen zu, sagte ihm einige Worte, und dann kam dieser zu uns, eine hohe, starke Gestalt mit bärtigem Gesicht und von martialischem Aussehen.

»Was soll ich?« fragte er, indem er uns mit einem finstern, feindseligen Blicke maß. Ich war jedenfalls von Gibson erkannt worden, und dieser hatte ihm gesagt, daß von uns nichts Gutes zu erwarten sei. Meine Neugierde, zu hören, wie Old Death seinen Kopf aus der Schlinge ziehen werde, war nicht gering. Der alte, pfiffige Scout sah dem Frager mit sehr freundlichem Blicke in das Gesicht und antwortete auf das höflichste:

»Ich habe Euch von Sennor Cortesio in La Grange zu grüßen, Sennor.«

»Kennt Ihr ihn denn?« fragte der Mann schnell, ohne zu ahnen, daß er soeben an eine sehr gefährliche Angel beiße.

»Natürlich kenne ich ihn,« meinte der Alte. »Wir sind Freunde seit langer Zeit. Leider kam ich zu spät, um Euch bei ihm zu treffen, doch gab er mir die Richtung an, in welcher wir Euch treffen könnten.«

»Wirklich? So müßt Ihr freilich ein guter Freund von ihm sein. Welche Richtung nannte er?«

»Die Furth zwischen dem Las Moras und Rio Moral, und dann über Baya und Tabal nach Chihuahua. Ihr seid allerdings von dieser Route ein wenig abgewichen.«

»Weil wir unsere Freunde, die Comanchen, trafen.«

»Eure Freunde? Ich denke, die Krieger der Comanchen sind Eure Gegner!«

Der Mann kam ganz sichtlich in große Verlegenheit; er räusperte sich und hustete, um Old Death ein Zeichen zu geben, welcher aber nichts zu bemerken schien. Old Death fuhr fort:

»Ihr haltet es ja mit Juarez; die Comanchen aber kämpfen für die Franzosen.«

Jetzt hatte sich der Mexicaner gefaßt. Er erklärte:

»Sennor, da irrt Ihr Euch sehr. Auch wir stehen auf der Seite der Franzosen.«

»Und schafft Angeworbene aus den Vereinigten Staaten nach Mexico?«

»Ja, aber für Napoleon.«

»Ah so! Also Sennor Cortesio wirbt für Napoleon an?«

»Natürlich! Für wen anders?«

»Ich denke, für Juarez.«

»Das fällt ihm gar nicht ein!«

»Schön! Ich danke Euch für diese Aufklärung, Sennor! Ihr könnt jetzt wieder an Euern Platz zurückkehren.«

Ueber das Gesicht des Mannes zuckte es zornig. Sollte er sich von diesem unscheinbaren Menschen wie ein Untergebener fortweisen lassen?

»Sennor,« sagte er, »woher habt Ihr das Recht, mich so einfach in dieser Weise gehen zu heißen?«

»An diesem Feuer sitzen nur Häuptlinge und hervorragende Personen.«

»Ich bin ein Offizier!«

»Des Juarez?« fragte Old Death schnell emporfahrend.

»Ja – nein, nein, Napoleons, wie ich bereits sagte.«

»Nun, soeben habt Ihr Euch glanzvoll versprochen. Ein Offizier, zumal in solchen Verhältnissen, sollte seine Zunge doch besser bewahren können. Ich bin mit Euch fertig, Ihr könnt gehen.«

Der Offizier wollte noch etwas sagen. Da aber machte der Häuptling eine gebieterisch fortweisende Armbewegung, welcher er gehorchen mußte.

»Nun, was sagt mein Bruder jetzt?« fragte Old Death.

»Sein Gesicht klagt ihn an,« antwortete der »weiße Biber«, »aber auch das ist noch kein Beweis.«

»Du bist aber überzeugt, daß er Offizier und bei jenem Sennor Cortesio gewesen ist?«

»Ja.«

»Er muß also zu der Partei gehören, für welche Cortesio anwirbt?«

»So ist es. Beweise mir aber, daß dieser Mann für Juarez anwirbt, so bin ich befriedigt!«

»Nun, hier ist der Beweis.«

Er griff in die Tasche und zog den Paß hervor, welcher mit »Juarez« unterschrieben war. Er öffnete ihn und fuhr fort:

»Um uns selbst zu überzeugen, daß Cortesio für Juarez arbeitet und daß alle Bleichgesichter, welche zu ihm kommen, Freunde von Juarez sind, haben wir so gethan, als ob auch wir uns anwerben lassen wollten. Er hat uns angenommen und Jedem von uns einen Paß gegeben, welcher mit dem Namen Juarez unterzeichnet ist. Mein Gefährte kann Dir den seinigen ebenfalls zeigen.«

Der Häuptling nahm den Paß und betrachtete ihn genau. Ein grimmiges Lächeln glitt über sein Gesicht.

»Der »weiße Biber« hat nicht die Kunst der Weißen gelernt, auf dem Papiere zu sprechen,« sagte er; »aber er kennt das Zeichen ganz genau, welches er hier sieht, es ist das Totem des Juarez. Und unter meinen Kriegern ist ein junger Mann, ein Halbblut, welcher als Knabe viel bei den Bleichgesichtern gewesen ist und die Kunst versteht, das Papier sprechen zu lassen. Ich werde ihn rufen.«

Er rief laut einen Namen aus. Ein junger, hell gefärbter Mann trat herbei und nahm auf einige Worte des Häuptlings den Paß in die Hand, kniete neben dem Feuer nieder und las, zugleich übersetzend, die Worte vor. Ich verstand ihn nicht; aber Old Death’s Gesicht wurde heller und immer heller. Als der Halbwilde geendet hatte, gab er den Paß mit sichtlichem Stolz, eine solche Kunst ausgeübt zu haben, zurück und entfernte sich. Old Death steckte den Paß ein und fragte:

»Soll auch mein Gefährte den seinigen zeigen?«

Der Häuptling schüttelte den Kopf.

»Weiß mein rother Bruder nun, daß diese Bleichgesichter ihn belogen haben und seine Feinde sind?«

»Er weiß es nun ganz gewiß. Er wird seine hervorragendsten Krieger sofort versammeln, um mit ihnen zu berathen, was geschehen soll.«

»Soll ich an dieser Berathung Theil nehmen?«

»Nein. Mein Bruder ist klug im Rathe und muthig bei der That; aber wir brauchen ihn nicht, denn er hat bewiesen, was er beweisen wollte. Was nun zu geschehen hat, ist nur Sache der Comanchen, welche belogen worden sind.«

»Noch Eins. Es gehört zwar nicht zu der bisherigen Angelegenheit, ist aber von großer Wichtigkeit für uns. Warum ist mein rother Bruder so weit südwärts gezogen? Warum wagt er sich hinauf auf die Höhen der Wüste?«

»Die Comanchen wollten erst weiter nördlich reiten; aber sie haben erfahren, daß Winnetou mit großen Schaaren nach dem Rio Conchos ist, und daß in Folge dessen die Dörfer der Apachen hier unbewacht stehen. Wir haben uns daher schnell nach Süden gewendet und werden hier eine so große Beute machen, wie noch keine heimgeschafft wurde.«

»Winnetou nach dem Rio Conchos! Hm! Ist diese Nachricht zuverlässig? Von wem hast Du sie? Wohl von den zwei Indianern, welche nordwärts von hier auf Euch trafen?«

»Ja. Ihr habt ihre Fährte gesehen?«

»Wir sahen sie. Was für Indianer waren es?«

»Sie sind vom Stamme der Topia, Vater und Sohn.«

»Befinden sie sich noch bei Dir, und darf ich mit ihnen sprechen?«

»Mein Bruder darf Alles thun, was ihm gefällt.«

»Auch mit den beiden Bleichgesichtern sprechen, welche Du mir ausliefern wirst?«

»Wer soll Dich daran hindern?«

»So habe ich nur noch eine Bitte: Erlaube mir, um das Lager zu gehen! Wir sind in Feindesland, und ich möchte mich überzeugen, daß Alles zu unserer Sicherheit Erforderliche geschehen ist.«

»Thue es, obgleich es nicht nöthig ist. Der »weiße Biber« hat das Lager und die Wachen geordnet. Auch sind unsere Kundschafter vor uns. Also ist alles in Ordnung.«

Seine Freundschaft für Old Death mußte sehr groß sein, da er sich nicht beleidigt fühlte durch das Verlangen des Scout, selbst nach den getroffenen Sicherheitsmaßregeln zu sehen. Die beiden vornehmen Comanchen, welche vollständig wortlos bei ihm gesessen hatten, erhoben sich jetzt und schritten in gemessener Haltung davon, um die Theilnehmer der Berathung zusammen zu holen. Die andern Comanchen nahmen nun wieder an ihren Feuern Platz. Die beiden Lange’s und Sam bekamen einen Platz an einem derselben angewiesen und drei tüchtige Stücke gebratenen Pferdefleisches vorgelegt. Old Death aber nahm mich beim Arme und zog mich fort nach dem Feuer, an welchem die Weißen allein saßen. Als man uns dort kommen sah, stand der Offizier auf, kam uns zwei Schritte entgegen und fragte in englischer Sprache in feindseligem Tone:

»Was hatte denn eigentlich das Examen zu bedeuten, Master, welches Euch beliebte, mit mir anzustellen?«

Der Alte grinste ihn freundlich an und antwortete:

»Das werden Euch nachher die Comanchen sagen; darum kann ich mir die Antwort ersparen. Uebrigens befinden sich unter Euch Pferdediebe. Sprecht ja nicht in einem so hochtrabenden Tone mit Old Death! Es stehen sämtliche Comanchen zu mir und gegen Euch, so daß es nur eines kleinen Winkes von mir bedarf, und es ist um Euch geschehen.«

Er wendete sich mit stolzer Gebärde von ihnen ab, blieb aber stehen, um mir Gelegenheit zum Sprechen zu lassen. Gibson und William Ohlert saßen ebenfalls in der Runde. Der letztere sah außerordentlich leidend und verkommen aus. Seine Kleidung war zerrissen und sein Haar verwildert. Die Wangen waren eingefallen, und die Augen lagen tief in ihren Höhlen. Er schien weder zu sehen noch zu hören, was um ihn vorging, hatte einen Bleistift in der Hand und ein Blatt Papier auf dem Knie liegen und stierte in einemfort auf dasselbe nieder. Mit ihm hatte ich zunächst nichts zu thun. Er war willenlos. Darum wendete ich mich an seinen Verführer:

»Treffen wir uns endlich, Master Gibson? Hoffentlich bleiben wir von jetzt an für längere Zeit beisammen.«

Er lachte mir geradezu in das Gesicht und antwortete:

»Mit wem redet Ihr denn da, Sir?«

»Mit Euch natürlich!«

»Nun, so natürlich ist das wohl nicht. Ich ersehe nur aus Eurem Blicke, daß ich gemeint bin. Ihr nanntet mich Gibson, glaube ich?«

»Allerdings.«

»Nun, so heiße ich nicht.«

»Seid Ihr nicht in New-Orleans vor mir davongelaufen?«

»Master, bei Euch rappelt es wohl unter dem Hute! Ich bin weder ein Irrenarzt, noch heiße ich Gibson.«

»Ja, wer so viele Namen hat, kann sehr leicht einen von ihnen verleugnen. Nanntet Ihr Euch nicht in New-Orleans Clinton? Und in La Grange hießt Ihr wieder Sennor Gavilano?«

»Das ist allerdings mein richtiger und eigentlicher Name. Was wollt Ihr überhaupt von mir? Ich habe nichts mit Euch zu schaffen. Laßt mich in Ruhe! Ich kenne Euch nicht!«

»Glaube es. Ein Polizist kommt zuweilen in die Lage, nicht erkannt zu werden. Mit dem Leugnen entkommt Ihr mir nicht. Ihr habt Eure Rolle ausgespielt. Ich bin Euch nicht von New-York aus bis hierher gefolgt, um mich von Euch auslachen zu lassen. Ihr werdet mir von jetzt an dahin folgen, wohin ich Euch führe.«

»O! Und wenn ich es nicht thue?«

»So werde ich Euch hübsch auf ein Pferd binden, und ich denke, daß das Thier mir dann gehorchen wird.«

Da fuhr er auf, zog den Revolver und schrie.

»Mann, sagt mir noch ein solches Wort, so soll Euch der Teufel auf – – –«

Er kam nicht weiter. Old Death war hinter ihn getreten und schlug ihm den Gewehrkolben auf den Arm, daß er den Revolver fallen ließ.

»Führt nicht das große Wort, Gibson!« sagte der Alte. »Es befinden sich hier Leute, welche sehr im Stande sind, Euch den großen Mund zu stopfen!«

Gibson hielt sich den Arm, wendete sich um und schrie:

»Herr, soll ich Euch das Messer zwischen die Rippen geben? Meint Ihr, weil Ihr Old Death heißt, soll ich mich vor Euch fürchten?«

»Nein, mein Junge, fürchten sollst Du Dich nicht; aber gehorchen wirst Du. Wenn Du noch ein Wort sagst, welches mir in die Nase fährt, so niese ich Dich mit einer guten Büchsenkugel an. Hoffentlich wissen es uns die Gentlemen Dank, wenn wir sie von so einem Halunken befreien, wie Ihr seid.«

Sein Ton und seine Haltung waren nicht ohne Einfluß auf Gibson. Dieser meinte bedeutend kleinlauter:

»Aber, ich weiß ja gar nicht, was Ihr wollt. Ihr verkennt mich. Ihr verwechselt mich mit einem Andern!«

»Das ist sehr unwahrscheinlich. Du hast ein so ausgesprochenes Spitzbubengesicht, daß es nie mit einem andern verwechselt werden kann. Und übrigens sitzt der Hauptzeuge gegen Dich hier neben Dir.«

Er deutete bei diesen Worten auf William Ohlert.

»Der? Ein Zeuge gegen mich?« fragte Gibson. »Das ist wieder ein Beweis, daß Ihr mich verkennt. Fragt ihn doch einmal!«

Ich legte William die Hand auf die Schulter und nannte seinen Namen. Er erhob langsam den Kopf, stierte mich verständnißlos an und sagte nichts.

»Master Ohlert, Sir William, hört Ihr mich nicht?« wiederholte ich. »Euer Vater sendet mich zu Euch.«

Sein leerer Blick blieb an meinem Gesichte haften, aber er sprach kein Wort. Da fuhr Gibson ihn in drohendem Tone an:

»Deinen Namen wollen wir hören. Nenne ihn sofort.«

Der Gefragte wendete den Kopf nach dem Sprecher und antwortete halblaut in ängstlichem Tone wie ein eingeschüchtertes Kind:

»Ich heiße Guillelmo.«

»Was bist Du?«

»Dichter.«

Ich fragte weiter:

»Heißest Du Ohlert? Bist Du aus New-York? Hast Du einen Vater?« Aber alle Fragen verneinte er, ohne sich im mindesten zu besinnen. Man hörte, daß er abgerichtet war. Es war gewiß, daß, seit Ohlert sich in den Händen dieses raffinirten Mannes befand, sich sein Geist mehr und mehr umnachtet hatte.

»Da habt Ihr Euern Zeugen!« lachte der Bösewicht. »Er hat Euch bewiesen, daß Ihr Euch auf einem falschen Wege befindet. Also habt die Gewogenheit, uns von jetzt an ungeschoren zu lassen!«

»Will ihn doch um etwas Besonderes fragen,« sagte ich. »Vielleicht ist sein Gedächtniß doch noch stärker als die Lügen, die Ihr ihm eingepaukt habt.«

Mir war ein Gedanke gekommen. Ich zog die Brieftasche hervor, durch deren Verschluß das Wasser beim heutigen Bade nicht gedrungen war. Ich hatte das Zeitungsblatt mit Ohlert’s Gedicht in derselben, nahm es heraus und las langsam und mit lauter Stimme den ersten Vers. Ich glaubte, der Klang seines eigenen Gedichtes werde ihn aus seiner geistigen Unempfindlichkeit reißen. Aber er blickte fort und fort auf sein Knie nieder. Ich las den zweiten Vers, ebenso vergeblich. Dann den dritten:

»Kennst Du die Nacht, die auf den Geist Dir sinkt,
Daß er vergebens um Erlösung schreit,
Die schlangengleich sich um’s Gedächtniß schlingt
Und tausend Teufel in’s Gehirn Dir speit?«

Die letzten beiden Zeilen hatte ich lauter als bisher gelesen. Er erhob den Kopf; er stand auf und streckte die Hände aus. Ich fuhr fort:

»O sei vor ihr ja stets in wachen Sorgen – – –
Denn diese Nacht allein hat keinen Morgen!«

Da schrie er auf, zu mir hinspringend und nach dem Blatte greifend. Ich ließ es ihm. Er bückte sich zu dem Feuer nieder und las selbst, laut, von Anfang bis zu Ende. Dann richtete er sich auf und rief in triumphirendem Tone, so daß es weit durch das nächtlich stille Thal schallte:

»Gedicht von Ohlert, von William Ohlert, von mir, von mir selbst! Denn ich bin dieser William Ohlert, ich selbst. Nicht Du heißest Ohlert, nicht Du, sondern ich!«

Die letzten Worte waren an Gibson gerichtet. Ein fürchterlicher Verdacht stieg in mir auf. Gibson befand sich im Besitze von William’s Legitimationen – sollte er, trotzdem er älter als dieser war, sich für ihn ausgeben wollen? Sollte er – – –? Aber ich fand keine Zeit, diesen Gedanken auszudenken, denn der Häuptling kam, ganz die Rathsversammlung und seine Würde vergessend, herbeigesprungen, stieß William auf den Boden nieder und gebot:

»Schweig, Hund! Sollen die Apachen hören, daß wir uns hier befinden? Du rufst ja den Kampf und den Tod herbei!«

William Ohlert stieß einen unverständlichen Klageruf aus und sah mit einem stieren Blick zu dem Indianer empor. Das Aufflackern seines Geistes war plötzlich wieder erloschen. Ich nahm ihm das Blatt aus der Hand und steckte es wieder zu mir. Vielleicht gelang es mir mit Hilfe desselben später wieder, ihn zum Bewußtsein seiner selbst zu bringen.

»Zürne ihm nicht!« bat Old Death den Häuptling. »Sein Geist ist umnachtet. Er wird fortan ruhig sein. Und nun sage mir, ob diese beiden Männer die Topia’s sind, von denen Du zu mir sprachest!«

Er deutete auf zwei indianisch gekleidete Gestalten, welche mit an dem Feuer der Weißen saßen.

»Ja, sie sind es,« antwortete der Gefragte. »Sie verstehen die Sprache der Comanchen nicht gut. Du mußt mit ihnen in der Sprache der Grenze reden. Aber sorgt dafür, daß dieser Weiße, dessen Seele nicht mehr vorhanden ist, sich still verhalte, sonst muß ich ihm den Mund verbinden lassen!«

Er kehrte wieder zu dem Feuer der Berathung zurück. Old Death entfernte sich noch nicht, ließ vielmehr seinen Blick scharf und forschend über die beiden Indianer gleiten und fragte den Aeltesten von ihnen:

»Meine rothen Brüder sind von dem Hochlande von Topia herabgekommen? Sind die Krieger, welche da oben wohnen, die Freunde der Comanchen?«

»Ja,« antwortete der Mann. »Wir leihen unsere Tomahawks den Kriegern der Comanchen.«

»Wie kommt es aber, daß Eure Fährte vom Norden herbei führte, wo nicht Eure Brüder wohnen, sondern diejenigen, welche die Feinde der Comanchen sind, die Llanero- und Taraconapachen?«

Diese Frage schien den Indianer in Verlegenheit zu setzen, was man deutlich sehen konnte, weil weder er, noch sein Sohn eine Malerei im Gesicht trug. Er antwortete nach einer Weile:

»Mein weißer Bruder thut da eine Frage, welche er sich sehr leicht selbst beantworten kann. Wir haben das Kriegsbeil gegen die Apachen ausgegraben und sind nach Norden geritten, um den Aufenthaltsort derselben auszukundschaften.«

»Was habt Ihr da gefunden?«

»Wir haben Winnetou gesehen, den größten Häuptling der Mapimi-Apachen. Er ist mit allen seinen Kriegern aufgebrochen, um den Krieg über den Rio Conchos zu tragen. Da kehrten wir zurück, dies den Unsern zu melden, damit dieselben sich beeilen möchten, über die Dörfer der Apachen herzufallen. Wir trafen dabei auf die Krieger der Comanchen und haben sie hierher geführt, damit auch sie das Verderben über unsere Feinde bringen möchten.«

»Die Comanchen werden Euch dankbar dafür sein. Aber seit wann haben die Krieger der Topia’s vergessen, ehrliche Leute zu sein?«

Es war klar, daß der Alte irgend einen Verdacht gegen die Beiden hegte; denn er sprach zwar sehr freundlich mit ihnen, aber seine Stimme hatte eine eigenthümliche Färbung, einen Klang, welchen ich stets an derselben beobachtet hatte, wenn er die heimliche Absicht hegte, Jemand zu überlisten. Den vermeintlichen Topia’s waren seine Fragen sehr unbequem. Der jüngere blitzte ihn mit feindseligen Augen an. Der ältere gab sich alle Mühe, freundlich zu antworten, doch hörte man, daß seine Worte nur widerstrebend über seine Lippen kamen.

»Warum fragt mein weißer Bruder nach unserer Ehrlichkeit?« sagte er jetzt. »Welchen Grund hat er, an ihr zu zweifeln?«

»Ich habe nicht die Absicht, Euch zu kränken. Aber wie kommt es, daß Ihr nicht bei den Kriegern der Comanchen sitzet, sondern Euch hier bei den Bleichgesichtern niedergelassen habt?«

»Old Death fragt mehr, als er sollte. Wir sitzen hier, weil es uns so gefällt.«

»Aber Ihr erweckt dadurch die Meinung, daß die Comanchen die Topia’s verachten. Es sieht ganz so aus, als ob sie Vortheil von Euch ziehen wollen, Euch aber nicht erlauben, bei ihnen zu sitzen.«

Das war eine Beleidigung. Der Rothe brauste auf:

»Sprich nicht solche Worte, sonst hast Du mit uns zu kämpfen. Wir haben bei den Comanchen gesessen und sind nun zu den Bleichgesichtern gekommen, um von ihnen zu lernen. Oder ist es vielleicht verboten, zu erfahren, wie es in den Gegenden und Städten der Weißen zugeht?«

»Nein; das ist nicht verboten. Aber ich an Eurer Stelle würde vorsichtiger verfahren. Dein Auge hat den Schnee vieler Winter erblickt; darum solltest Du wissen, was ich meine.«

»Wenn ich es nicht weiß, so sage es mir!« erklang es höhnisch. Da trat Old Death nahe zu ihm hin, bückte sich ein wenig zu ihm nieder und fragte in fast strengem Tone:

»Haben die Krieger der Comanchen mit Euch die Pfeife des Friedens geraucht, und habt Ihr auch den Rauch des Calummets durch Eure Nasen geblasen?«

»Ja.«

»So seid Ihr streng verpflichtet, nur das zu thun, was zu ihrem Vortheile dient.«

»Meinst Du etwa, daß wir dies nicht thun wollen?«

Die Beiden sahen einander scharf in die Augen. Es war, als ob ihre Blicke sich umkrallen wollten, um mit einander zu ringen. Dann antwortete Old Death:

»Ich sehe es Dir an, daß Du mich verstanden und meine Gedanken errathen hast. Wollte ich dieselben aussprechen, so wäret Ihr beide verloren.«

»Uff!« rief der Rothe, indem er emporsprang und zu seinem Messer griff. Auch sein Sohn richtete sich drohend auf und zog den Tomahawk aus dem Gürtel. Old Death aber beantwortete diese feindlichen Bewegungen nur mit einem ernsten Kopfnicken und sagte:

»Ich bin überzeugt, daß Ihr Euch nicht lange bei den Comanchen befinden werdet. Wenn Ihr zu denen zurückkehrt, welche Euch ausgesandt haben, so sagt ihnen, daß wir ihre Freunde sind. Old Death liebt alle rothen Männer und fragt nicht, zu welchem Stamme sie gehören.«

Da zischte ihm der Andere die Frage entgegen:

»Meinst Du vielleicht, daß wir nicht zu dem Stamme der Topia’s gehören?«

»Mein rother Bruder mag bedenken, wie unvorsichtig es von ihm ist, diese Frage auszusprechen. Ich habe meine Gedanken verschwiegen, weil ich nicht Dein Feind sein will. Warum verräthst Du sie selbst? Stehst Du nicht inmitten eines fünfhundertfachen Todes?«

Die Hand des Rothen zuckte mit dem Messer, als ob er zustoßen wolle. »Sage mir also, wofür Du uns hältst!« forderte er den Alten auf:

Dieser ergriff den Arm, dessen Hand das Messer hielt, zog den Indianer ein Stück beiseite, bis hin zu mir und sagte leise, doch so, daß ich es hörte, ein paar Worte in der Sprache der Indianer zu ihm. Natürlich kannte ich die Bedeutung derselben nicht. Später erklärte mir Old Death, daß sie deutsch lauten: »Ihr seid Apachen.« Old Death’s Worte waren von großer Wirkung, der Indianer trat einen Schritt zurück, riß seinen Arm aus der Hand des Alten, zückte das Messer zum Stoße und sagte:

»Hund, Du lügst!«

Old Death machte keine Bewegung, den Stoß von sich abzuwehren. Er raunte dem Aufgeregten leise zu:

»Du willst den Freund Winnetou’s tödten?«

War es der Inhalt dieser Worte oder war es der scharfe, stolze Blick des Alten, welcher die beabsichtigte Wirkung hervorbrachte, kurz und gut, der Indianer ließ den Arm sinken. Er näherte seinen Mund dem Ohre Old Death’s und sagte drohend:

»Schweig!«

Dann wendete er sich ab und setzte sich wieder nieder. Sein Gesicht war so ruhig und von undurchdringlichem Ausdrucke, als ob gar nichts geschehen sei. Er sah sich durchschaut, aber es war ihm nicht die geringste Spur von Mißtrauen oder Furcht anzusehen. Kannte er Old Death so genau, um ihm keinen Verrath zuzutrauen? Oder wußte er sich aus irgend einem anderen Grunde sicher? Auch sein Sohn setzte sich ganz ruhig neben ihm nieder und steckte den Tomahawk wieder in den Gürtel. Die beiden Apachen hatten es gewagt, sich als Führer an die Spitze ihrer Todfeinde zu stellen, eine Kühnheit, welche bewundernswerth war. Wenn ihre Absicht gelang, so waren die Comanchen dem sichern Verderben geweiht. Wir wollten nun die Gruppen verlassen, aber eine unter den Comanchen entstehende Bewegung veranlaßte uns, stehen zu bleiben. Wir sahen, daß die Berathung zu Ende war. Die Teilnehmer hatten sich erhoben, und den Rothen war von ihrem Häuptlinge ein Befehl geworden, in Folge dessen auch sie ihre Feuer verließen und einen dichten Kreis um dasjenige bildeten, an welchem wir uns befanden. Die Weißen wurden von ihnen eingeschlossen. Der »weiße Biber« trat in würdevoller Haltung in den Kreis und erhob den Arm, zum Zeichen, daß er sprechen wolle. Tiefes Schweigen herrschte rundum. Die Weißen ahnten noch nicht, was jetzt kommen werde. Sie waren aufgestanden. Nur die beiden vermeintlichen Topia’s blieben sitzen und blickten ruhig vor sich nieder, als ob der Vorgang sie gar nichts angehe. Auch William Ohlert saß noch auf seinem Platze und starrte auf den Bleistift, den er wieder in den Fingern hielt.

Jetzt begann der Häuptling in langsamer, schwer betonter Rede:

»Die Bleichgesichter sind zu den Kriegern der Comanchen gekommen und haben ihnen gesagt, daß sie ihre Freunde seien. Darum wurden sie von ihnen aufgenommen und haben mit ihnen die Pfeife des Friedens geraucht. Jetzt aber haben die Comanchen erfahren, daß sie von den Bleichgesichtern belogen wurden. Der »weiße Biber« hat Alles, was für sie und was gegen sie spricht, genau abgewogen und mit seinen erfahrensten Männern berathen, was geschehen soll. Er ist mit ihnen darüber einig geworden, daß die Bleichgesichter uns belogen haben und unsere Freundschaft und unsern Schutz nicht länger verdienen. Darum soll von diesem Augenblicke an der Bund mit ihnen aufgehoben sein und die Feindschaft soll an die Stelle der Freundschaft treten.«

Er hielt für einen Augenblick inne. Der Offizier ergriff schnell die Gelegenheit, indem er fragte:

»Wer hat uns verleumdet? Jedenfalls sind es die vier Männer gewesen, welche mit ihrem Schwarzen gekommen sind, eine Gefahr über uns heraufzubeschwören, welche wir nicht verdient haben. Es ist von uns bewiesen worden, und wir wiederholen es, daß wir Freunde der Comanchen sind. Die Fremden aber mögen den Beweis bringen, daß sie es ehrlich mit unsern rothen Brüdern meinen! Wer sind sie, und wer kennt sie? Haben sie Böses über uns gesprochen, so verlangen wir, es zu erfahren, um uns vertheidigen zu können. Wir lassen uns nicht richten, ohne angehört worden zu sein! Ich bin Offizier, also ein Häuptling unter den Meinen. Ich kann und muß verlangen, an jeder Berathung, welche über uns stattfinden soll, Theil nehmen zu dürfen!«

»Wer hat Dir die Erlaubniß gegeben, zu sprechen?« fragte der Häuptling in strengem, stolzem Tone. »Wenn der »weiße Biber« redet, so hat Jeder zu warten, bis er ausgesprochen hat! Du verlangst, gehört zu werden. Du bist gehört worden, als Old Death vorhin mit Dir sprach. Es ist erwiesen, daß Ihr Krieger von Juarez seid. Wir aber sind Freunde von Napoleon; folglich seid Ihr unsere Feinde. Du fragst, wer diese vier Bleichgesichter seien, und ich sage Dir: sie sind tapfere, ehrliche Krieger. Wir kannten Old Death viele Winter vorher, bevor wir Eure Gesichter erblickten. Du forderst, an unserer Berathung Theil nehmen zu dürfen. Ich sage Dir, daß selbst Old Death nicht die Erlaubniß dazu erhalten hat. Die Krieger der Comanchen sind Männer. Sie bedürfen nicht der Klugheit der Bleichgesichter, um zu wissen, was klug oder unklug, was richtig oder falsch ist. Ich bin jetzt zu Euch getreten, um Euch zu sagen, was wir beschlossen haben. Ihr habt das ruhig anzuhören und kein Wort dazu zu sagen, denn – –«

»Wir haben das Calummet mit Euch geraucht,« unterbrach ihn der Offizier. »Wenn Ihr uns feindselig behandelt, so –«

»Schweig, Hund!« donnerte ihn der Häuptling an. »Du hattest jetzt eine Beleidigung auf den Lippen. Bedenke, daß Ihr von über fünfhundert Kriegern umgeben seid, welche bereit sind, dieselbe augenblicklich zu rächen! Ihr habt das Calummet nur in Folge einer Täuschung, einer Lüge bekommen. Aber die Krieger der Comanchen kennen den Willen des großen Geistes. Sie achten die Gesetze, welche bei ihnen herrschen, und wissen, daß Ihr Euch noch jetzt unter dem Schutze des Calummets befindet und daß sie Euch als Freunde behandeln müssen, bis Ihr aus demselben getreten seid. Roth ist der heilige Pfeifenthon, aus welchem das Calummet geschnitten wird. Roth ist die Farbe des Lichtes, des Tages und der Flamme, mit welcher das Calummet in Brand gesteckt wird. Ist sie erloschen, so gilt der Friede, bis das Licht von Neuem erscheint. Wenn das Licht des Tages beginnt, ist die Ruhe vorüber und unser Bund zu Ende. Bis dahin seid Ihr unsere Gäste. Dann aber wird Feindschaft sein zwischen uns und Euch. Ihr sollt hier sitzen und schlafen, und Niemand wird Euch berühren. Aber sobald der Tag zu grauen beginnt, sollt Ihr davonreiten in der Richtung, aus welcher Ihr mit uns gekommen seid. Ihr sollt einen Vorsprung haben von einer Zeit, welche Ihr fünf Minuten nennt; dann werden wir Euch verfolgen. Ihr sollt bis dahin alles behalten und mitnehmen dürfen, was Euch gehört; dann aber werden wir Euch tödten und es uns holen. Die Beiden aber unter Euch, welche Old Death für sich haben will, sollen zwar auch bis dahin unsere Gäste sein, weil sie auch das Calummet mit uns rauchten; aber sie werden nicht mit Euch reiten dürfen, sondern hier bleiben als Gefangene Old Death’s, welcher mit ihnen machen kann, was ihm beliebt. Das ist der Beschluß, den Ihr hören sollt. Der »weiße Biber«, der Häuptling der Comanchen, hat gesprochen!«

Er wendete sich ab.

»Was?« rief Gibson. »Ich soll ein Gefangener dieses alten Mannes sein? Ich werde – –«

»Seid still!« unterbrach ihn der Offizier. »Es ist an den Anordnungen des Häuptlings nichts mehr zu ändern. Ich kenne die Rothen. Uebrigens bin ich überzeugt, daß der gegen uns gezielte Schlag auf die Verleumder zurückfallen wird. Noch ist es nicht Morgen. Bis dahin kann sehr viel geschehen. Vielleicht ist die Rache näher, als man denkt.«

Sie setzten sich wieder nieder, wie sie vorhin gesessen hatten. Die Comanchen aber nahmen ihre Sitze nicht wieder ein, sondern verlöschten ihre Feuer und lagerten sich in einem vierfachen Kreis um die Weißen, so daß diese von allen Seiten eingeschlossen waren. Old Death nahm mich aus diesem Kreise hinaus. Er wollte recognosciren gehen.

»Meint Ihr, daß wir Gibson nun sicher haben, Sir?« fragte ich ihn.

»Wenn nicht etwas Unerwartetes geschieht, so kann er uns nicht entgehen,« antwortete er.

»Am allerbesten wäre es wohl, wir bemächtigten uns der Beiden sofort?«

»Das ist unmöglich. Die verteufelte Friedenspfeife macht uns zu schaffen. Vor dem Anbruche der Morgenröthe werden die Comanchen nicht dulden, daß wir Hand an Gibson legen. Dann aber können wir ihn kochen oder braten, mit oder ohne Gabel verzehren, ganz wie es uns beliebt.«

»Ihr spracht von etwas Unerwartetem. Befürchtet Ihr so etwas?«

»Leider! Ich calculire, daß sich die Comanchen von den beiden Apachen in eine gefährliche Falle haben locken lassen.«

»So haltet Ihr sie in der That für Apachen?«

»Ihr sollt mich aufhängen dürfen, wenn sie keine sind. Zunächst kam es mir verdächtig vor, als ich hörte, daß zwei Topia’s vom Rio Conchas her gekommen seien. Das darf man wohl einem rothen Comanchen, nicht aber so einem alten Scout weiß machen, wie ich bin. Als ich sie dann sah, wußte ich sofort, daß mein Verdacht mich nicht irre geführt habe. Die Topia’s gehören zu den halbcivilisirten Indianern. Sie haben einen weichen, verschwommenen Gesichtsausdruck. Nun seht Euch dagegen diese scharfen, spitzen, kühn geschnittenen Züge der zwei Rothen an! Und gar dann, als ich sie sprechen hörte! Sie verriethen sich sofort durch die Aussprache. Und dann, als ich dem Einen in’s Gesicht sagte, daß er ein Apache sei, hat mir da nicht sein ganzes Verhalten Recht gegeben?«

»Könnt Ihr Euch nicht täuschen?«

»Nein. Er nannte Winnetou den »größten Häuptling der Apachen«. Wird ein Feind der Apachen sich eines Ausdruckes bedienen, welcher eine solche Ehre und Auszeichnung enthält? Ich wette mein Leben, daß ich mich nicht irre.«

»Ihr habt allerdings gewichtige Gründe. Aber wenn Ihr wirklich Recht haben solltet, so sind diese Leute geradezu zu bewundern. Zwei Apachen, welche sich in eine Schaar von über fünfhundert Comanchen wagen, das ist mehr als ein Heldenstück!«

»O, Winnetou kennt seine Leute!«

»Ihr meint, daß er sie gesandt hat?«

»Jedenfalls. Wir wissen von Sennor Atanasio, wann und wo Winnetou den Rio grande überschwommen hat. Er kann unmöglich schon am Rio Conchos sein, zumal mit seinen sämmtlichen Kriegern. Nein, wie ich ihn kenne, so ist er direkt nach der Bolson de Mapimi geritten, um seine Apachen zu sammeln. Er hat sofort verschiedene Späher ausgesandt, um die Comanchen aufzusuchen und in die Mapimi zu locken. Während diese ihn am Rio Conchos vermuthen und die Dörfer der Apachen für von aller Vertheidigung entblößt halten, erwartet er sie hier und wird über sie herfallen, um sie mit einem einzigen Schlage zu vernichten.«

»Alle Wetter! Dann sitzen wir mitten drin; denn die beiden Apachen betrachten uns als ihre Feinde!«

»Nein. Sie wissen, daß ich sie durchschaut habe. Ich brauchte dem »weißen Biber« nur ein einziges Wort zu sagen, so müßten sie eines gräßlichen Todes sterben. Daß ich das nicht thue, ist ihnen der sicherste Beweis, daß ich ihnen nicht nur nicht feindlich, sondern sehr freundlich gesinnt bin.«

»So begreife ich nur Eins noch nicht, Sir! Ist es nicht Eure Pflicht, die Comanchen zu warnen?«

»Hm! Ihr berührt da einen verteufelt heiklen Punkt. Die Comanchen sind Verräther und halten es mit Napoleon. Sie haben die unschuldigen Apachen mitten im Frieden überfallen und elendiglich hingemordet. Das muß nach göttlichem und menschlichem Rechte bestraft werden. Aber wir haben die Friedenspfeife mit ihnen geraucht und dürfen nicht an ihnen zu Verräthern werden.«

»Da habt Ihr freilich sehr Recht. Aber meine ganze Sympathie gehört diesem Winnetou.«

»Die meinige auch. Ich wünsche ihm und den Apachen alles Gute. Wir dürfen seine zwei Leute nicht verrathen; aber dann sind die Comanchen verloren, auf deren Seite wir auch stehen müssen. Was ist da zu thun? Wir befinden uns in einer schlimmen Lage.«

»Könnten wir nicht Winnetou’s Ueberfall vereiteln, ohne seine beiden Leute zu opfern?«

»Ich wüßte nicht, wie das anzufangen wäre. Ja, wenn wir Gibson und Ohlert hätten, so könnten wir unsers Weges ziehen und die beiden Feinde sich selbst überlassen.«

»Nun, das wird ja morgen früh der Fall sein.«

»Oder auch nicht. Es ist wohl möglich, daß wir morgen Abend grad um diese Stunde in den ewigen Jagdgründen sowohl mit Apachen wie mit Comanchen einige Dutzend Biber fangen oder gar einen alten Büffelstier tödten und verzehren.«

»Ist die Gefahr so nahe?«

»Ich denke es, und dazu habe ich zwei Gründe. Erstens liegen die nächsten Dörfer der Apachen nicht allzu weit von hier, und Winnetou darf doch die Comanchen nicht zu nahe an diese kommen lassen. Und zweitens führte dieser mexicanische Offizier Reden, welche mich irgend einen Streich für heute vermuthen lassen.«

»Sehr wahrscheinlich. Wir können uns auf das Calummet der Comanchen und auch auf mein Totem verlassen, zumal Winnetou Euch kennt und auch mich bereits gesehen hat. Aber wer zwischen zwei Mühlsteine kommt, selbst wenn er von dem einzelnen Steine nichts zu befürchten hat, der wird eben zermahlen.«

»So gehen wir entweder nicht dazwischen, oder wir sorgen dafür, daß sie nicht anfangen, zu mahlen. Wir recognosciren jetzt. Vielleicht ist es trotz der Dunkelheit möglich, irgend etwas zu sehen, was meinen Gedanken eine kleine Erleichterung gibt. Kommt leise und langsam hinter mir her! Wenn ich nicht irre, so bin ich schon einmal in diesem Thale gewesen; darum calculire ich, daß ich mich schnell zurecht finden werde.«

Es zeigte sich so, wie er vermuthet hatte. Wir befanden uns in einem kleinen, fast kreisrunden Thalkessel, dessen Breite man sehr leicht in fünf Minuten durchlaufen konnte. Er hatte einen Eingang, durch welchen wir gekommen waren, und einen Ausgang, welcher ebenso schmal wie der vorige war. Da hinaus waren die Kundschafter geschickt worden. In der Mitte des Thales befand sich das Comanchenlager. Die Wände des kleinen Kessels bestanden aus Fels, welcher steil anstieg und die Gewähr zu geben schien, daß Niemand da weder hinauf noch herab könne. Wir waren rundum gegangen und an den Posten vorübergekommen, welche sowohl am Ein- als auch am Ausgange standen. Jetzt näherten wir uns dem Lager wieder.

»Fatal!« brummte der Alte. »Wir stecken ganz richtig in der Falle, und es will mir kein Gedanke kommen, wie man sich da losmachen könne. Müßten es machen wie der Fuchs, der sich das Bein wegbeißt, mit dem er in das Eisen getappt ist.«

»Könnten wir den »weißen Biber« nicht so weit bringen, daß er das Lager sofort verläßt, um ein anderes aufzusuchen?«

»Das wäre das Einzige, was wir versuchen könnten. Aber ich glaube nicht, daß er darauf eingeht, ohne daß wir ihm sagen, daß er zwei Apachen bei sich hat. Und das wollen wir absolut vermeiden.«

»Vielleicht seht Ihr zu schwarz, Sir. Vielleicht sind wir hier ganz sicher. Die beiden Punkte, durch welche man herein kann, sind ja mehr als zur Genüge mit Wachen besetzt.«

»Ja, zehn Mann hüben und zehn Mann drüben, das sieht ganz gut aus. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß wir es mit einem Winnetou zu thun haben. Wie der sonst so kluge und vorsichtige »weiße Biber« auf den dummen Gedanken gekommen ist, sich grad in so einem eingeschlossenen Thale festzusetzen, das ist ein Räthsel. Die beiden Apachenkundschafter müssen ihm ein ganz gewaltiges X für das richtige U an’s Kamisol geschrieben haben. Ich werde mit ihm sprechen. Sollte er bei seiner Meinung bleiben und es passirt etwas, so halten wir uns möglichst neutral. Wir sind Freunde der Comanchen, müssen uns aber auch hüten, einen Apachen zu tödten. Na, da haben wir das Lager, und dort steht der Häuptling. Kommt mit hin zu ihm!«

Man erkannte gegen das Feuer hin den »weißen Biber« an seinen Adlerfedern. Als wir zu ihm traten, fragte er:

»Hat mein Bruder sich überzeugt, daß wir uns in Sicherheit befinden?«

»Nein,« antwortete der Alte.

»Was hat er an diesem Ort auszusetzen?«

»Daß er einer Falle gleicht, in der wir Alle stecken.«

»Mein Bruder irrt sich sehr. Dieses Thal ist keine Falle, sondern es gleicht ganz genau einem solchen Orte, den die Bleichgesichter Fort nennen. Es kann kein Feind herein.«

»Ja, zu den Eingängen vielleicht nicht, denn dieselben sind so eng, daß sie durch zehn Krieger der Apachen leicht vertheidigt werden können. Aber können sie von den Höhen nicht herabsteigen?«

»Nein. Sie sind zu steil.«

»Hat mein rother Bruder sich hiervon überzeugt?«

»Sehr genau. Die Söhne der Comanchen sind am hellen Tage hierher gekommen. Sie haben Alles untersucht. Sie haben die Probe gemacht, an dem Fels empor zu klettern; es ist ihnen aber nicht gelungen.«

»Vielleicht ist es leichter, von oben herab als von unten hinauf zu kommen. Ich weiß, daß Winnetou klettern kann wie das wilde Dickhornschaf der Berge.«

»Winnetou ist nicht hier. Die beiden Topia’s haben es mir gesagt.«

»Vielleicht haben sie sich geirrt; haben sie es vielleicht von Jemand erfahren, der es selbst nicht genau wußte.«

»Sie haben es gesagt. Sie sind Feinde Winnetou’s, und ich glaube ihnen.«

»Aber, wenn es wahr ist, daß Winnetou auf Fort Inge war, so kann er nicht schon hier gewesen sein, seine Krieger gesammelt haben und sich bereits jenseits des Rio Conchos befinden. Mein Bruder möge die kurze Zeit mit dem langen Wege vergleichen.«

Der Häuptling senkte nachdenkend das Haupt. Er schien zu einem Resultate gekommen zu sein, welches mit der Meinung des Scout übereinstimmte, denn er sagte:

»Ja, die Zeit war kurz, und der Weg ist lang. Wir wollen die Topia’s noch einmal fragen.«

Er ging nach dem Lagerfeuer, und wir folgten ihm. Die Weißen blickten uns finster entgegen. Seitwärts von ihnen saßen Lange, sein Sohn und der Neger Sam. William Ohlert schrieb auf sein Blatt, taub und blind für alles Andere. Die vermeintlichen Topia’s blickten erst auf, als der Häuptling das Wort an sie richtete:

»Wissen meine Brüder ganz genau, daß – – –«

Er hielt inne. Von der Höhe des Felsens erklang das ängstliche Kreischen eines kleinen Vogels und gleich darauf der gierige Schrei einer Eule. Der Häuptling lauschte, Old Death auch. Als ob er damit spielen wolle, ergriff Gibson einen neben ihm liegenden Ast und stieß mit demselben in das Feuer, daß es einmal kurz und scharf aufflackerte. Er wollte es zum zweiten Male thun, wobei die Augen sämmtlicher Weißen befriedigt auf ihn gerichtet waren; da aber that Old Death einen Sprung auf ihn, riß ihm den Ast aus der Hand und rief drohend:

»Das laßt bleiben, Sir! Wir müssen es uns verbitten!«

»Warum?« fragte Gibson zornig. »Darf man nicht einmal das Feuer schüren?«

»Nein. Wenn da oben die Eule schreit, so antwortet man nicht hier unten mit diesem vorher verabredeten Zeichen.«

»Ein Zeichen? Seid Ihr denn toll?«

»Ja, ich bin so toll, daß ich einem Jeden, der es wagt, noch einmal in dieser Weise in das Feuer zu stoßen, sofort eine Kugel durch den Kopf jagen werde!«

»Verdammt! Ihr gebärdet Euch ganz so, als ob Ihr hier der Herr wäret!«

»Der bin ich auch, und Ihr seid mein Gefangener, mit dem ich verteufelt kurzen Prozeß machen werde, wenn mir Eure Physiognomie nicht mehr gefällt. Bildet Euch ja nicht ein, daß Old Death sich von Euch täuschen läßt!«

»Das, das muß man sich bieten lassen? Müssen wir das wirklich, Sennores?«

Diese Frage war an die Andern gerichtet. Old Death hatte seine beiden Revolver in den Händen, ich ebenso. Im Nu standen die beiden Lange’s und Sam neben uns, auch mit den Revolvern. Wir hätten auf Jeden geschossen, der so unvorsichtig gewesen wäre, nach seiner Waffe zu greifen. Und zum Ueberflusse rief der Häuptling seinen Leuten zu:

»Legt Alle die Pfeile an!«

Im Nu hatten die Comanchen sich erhoben, und Dutzende von Pfeilen waren auf die Weißen gerichtet, welche inmitten der auf sie gerichteten Spitzen saßen.

»Da seht Ihr es!« lachte Old Death. »Noch schützt Euch das Calummet. Man hat Euch sogar die Waffen gelassen. Aber sobald Ihr nur die Hand nach einem Messer streckt, ist es aus mit dem Schutze, in welchem Ihr noch steht.«

Da ertönte das Gekreisch und der Eulenruf abermals, hoch, grad wie vom Himmel herab. Die Hand Gibsons zuckte, als ob er nach dem Feuer greifen wolle; aber er wagte doch nicht, es zu thun. Nun wiederholte der Häuptling seine vorher unterbrochene Frage an die Topia’s:

»Wissen meine Brüder ganz genau, daß Winnetou sich jenseits des Conchos befindet?«

»Ja, sie wissen es,« antwortete der Aeltere.

»Sie mögen sich besinnen, bevor sie mir Antwort geben!«

»Sie irren sich nicht. Sie waren in den Büschen versteckt, als er vorüberzog, und haben ihn gesehen.« Und nun fragte der Häuptling noch weiter und der Topia antwortete prompt. Schließlich sagte der »weiße Biber«:

»Deine Erklärung hat den Häuptling der Comanchen befriedigt. Meine weißen Brüder mögen wieder mit mir gehen!«

Diese Aufforderung war an Old Death und an mich gerichtet; aber der erstere winkte den beiden Lange’s, mit zu kommen. Sie thaten es und brachten auch Sam mit.

»Warum ruft mein Bruder auch seine andern Gefährten herbei?« fragte der Häuptling.

»Weil ich denke, daß ich sie bald brauchen werde. Wir wollen in der Gefahr beisammen stehen.«

»Es gibt keine Gefahr.«

»Du irrst. Hat Dich der Ruf der Eule nicht auch aufmerksam gemacht? Ein Mensch stieß ihn aus."

»Der »weiße Biber« kennt die Stimme aller Vögel und aller Thiere. Er weiß sie zu unterscheiden von den nachgemachten Tönen aus der Kehle des Menschen. Das war eine wirkliche Eule.«

»Und Old Death weiß, daß Winnetou die Stimmen vieler Thiere so getreu und genau nachahmt, daß man sie von den wirklichen nicht zu unterscheiden vermag. Ich bitte Dich, vorsichtig zu sein! Warum schlug dieses Bleichgesicht in das Feuer? Es war ein verabredetes Zeichen, welches zu geben er beauftragt war.«

»So müßte er es mit den Apachen verabredet haben, und er kann doch mit ihnen nicht zusammengetroffen sein!«

»So hat es ein Anderer mit ihnen verabredet, und dieses Bleichgesicht hat den Auftrag erhalten, das Zeichen zu geben, damit der eigentliche Verräther sich durch dasselbe nicht vor Euch bloßstelle.«

»Meinst Du, daß wir Verräther unter uns haben? Ich glaube es nicht. Und selbst wenn dies der Fall wäre, so brauchten wir die Apachen nicht zu fürchten, denn sie können nicht an den ausgestellten Posten vorüber und auch nicht zu den Felsen herab.«

»Vielleicht doch. Mit Hilfe der Lassos können sie sich von Punkt zu Punkt herablassen, denn es ist – – – horch!«

Der Eulenruf erscholl abermals, und zwar nicht von der Höhe aus, sondern von weiter unten.

»Es ist der Vogel wieder,« meinte der Comanche ohne alle Beunruhigung. »Deine Sorge ist sehr überflüssig.«

»Nein. Alle Teufel! Die Apachen sind da, mitten im Thale. Hörst Du?«

Von dem Ausgange des Thales her erscholl ein lauter, schriller, erschütternder Schrei, ein Todesschrei. Und gleich darauf erzitterte die stille Luft des Thales von dem vielstimmigen Kriegsgeheul der Apachen. Wer dasselbe auch nur ein einziges Mal vernommen hat, der kann es nie, nie wieder vergessen. Kaum war dieses Geschrei erschollen, so sprangen alle Weißen am Feuer auf.

»Dort stehen die Hunde,« rief der Offizier, indem er auf uns deutete. »D’rauf auf sie!«

»Ja d’rauf!« kreischte Gibson. »Schlagt sie todt!«

Wir standen im Dunkeln, so daß sie ein sehr unsicheres Zielen hatten. Darum zogen sie es vor, nicht zu schießen, sondern sich mit hochgeschwungenen Gewehren auf uns zu werfen. Jedenfalls war dies vorher verabredet, denn ihre Bewegungen waren so schnell und sicher, daß sie nicht die Folge einer augenblicklichen Eingebung sein konnten. Wir standen höchstens dreißig Schritte von ihnen entfernt. Aber dieser zu durcheilende Raum gab Old Death Zeit zu der Bemerkung:

»Nun, habe ich nicht Recht? Schnell in die Höhe mit den Gewehren! Wollen sie gehörig empfangen.«

Sechs Gewehre richteten sich auf die gegen uns Anstürmenden, denn auch der Häuptling hielt das seinige in der Hand. Unsere Schüsse krachten – zweimal aus den Doppelbüchsen. Ich hatte keine Zeit, zu zählen, wie viele getroffen niederstürzten. Auch die Comanchen waren aufgesprungen und hatten ihre Pfeile den Kerls von der Seite zu- und in den Rücken geschickt. Ich sah nur noch, daß Gibson trotz seines auffordernden Rufes nicht mit auf uns eingedrungen war. Er stand noch am Feuer, hatte Ohlert’s Arm ergriffen und bemühte sich, ihn vom Boden empor zu zerren, Mein Auge konnte diese beiden nur für einen Augenblick erfassen. Weitere Beobachtungen waren unmöglich, denn das Geheul war schnell näher gekommen, und jetzt drangen die Apachen auf die Comanchen ein.

Da der Schein des Feuers nicht weit genug reichte, so konnten die Ersteren nicht sehen, wie viel Feinde sie vor sich hatten. Die Letzteren standen noch immer im Kreise, doch wurde dieser augenblicklich durchbrochen und durch den Anprall auf der einen Seite aufgerollt. Schüsse krachten, Lanzen sausten, Pfeile schwirrten, Messer blinkten. Dazu das Geheul der beiden gegnerischen Schaaren und der Anblick des Chaos dunkler, mit einander ringender Gestalten, welche das Aussehen wüthender Teufel hatten! Allen Apachen voran war einer mit gewaltigem Stoße durch die Linie der Comanchen gedrungen. Er hatte in der Linken den Revolver und in der Rechten den hoch erhobenen Tomahawk. Während jede Kugel aus dem ersteren mit Sicherheit einen Comanchen niederstreckte, sauste das Schlachtbeil wie ein Blitz von Kopf zu Kopf. Er trug keine Auszeichnung auf dem Kopfe, auch war sein Gesicht nicht bemalt. Wir sahen dasselbe mit größter Deutlichkeit. Aber auch wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, so hätte die Art und Weise, in welcher er kämpfte, und der Umstand, daß er einen Revolver hatte, uns errathen lassen, wer er sei. Der »weiße Biber« erkannte ihn ebenso schnell wie wir.

»Winnetou!« rief er. »Endlich habe ich ihn! Ich nehme ihn auf mich.«

Er sprang von uns fort und in das Kampfgewühl hinein. Die Gruppen schlossen sich so dicht hinter ihm, daß wir ihm nicht mit den Augen folgen konnten.

»Was thun wir?« fragte ich Old Death. »Die Comanchen erwarten natürlich von uns, daß wir uns am Kampfe gegen ihre Feinde betheiligen.«

Der Scout antwortete nicht sogleich. Er überflog den Kampfplatz mit prüfendem Blicke, und erst dann sagte er:

»Sie brauchen uns nicht. Die Apachen sind in der Minderzahl; sie werden aufgerieben werden, wenn sie sich nicht schnell davon machen. Gehen wir zu den Pferden, damit kein Stampedo entsteht.«

Unter Stampedo versteht man ein Scheuwerden oder auch absichtliches Scheumachen der Pferde, so daß diese fliehen. Wir waren gezwungen, einen weiten Bogen zu machen. Die Andern gingen viel schneller als ich. Ich konnte den Blick nicht von dem Kampfgewühl wegbringen. Ich hörte einen lauten Ruf. Einige Indianer lösten sich von der kämpfenden Menge, um zu fliehen. Es waren Apachen. Nicht aus Angst vor ihnen, sondern um ihnen nicht hinderlich zu sein, bog ich noch viel weiter aus, damit sie mich nicht sehen und dadurch etwa zu einem Umwege verleitet werden sollten. Sie rannten nach dem Ausgange des Thales zu und entkamen im Dunkel der Nacht. Andere folgten ihnen. Die Apachen hatten eingesehen, daß sie der Uebermacht nicht gewachsen seien. Sie brachen durch die Reihen der Comanchen, um zu fliehen. Ich hatte den Rand des Thales erreicht und schritt an denselben hin. So mußte ich unbemerkt zu den Pferden kommen. Da ertönte vom Kampfplatz her ein fürchterliches Geheul.

»Ihm nach, ihm nach!« hörte ich die Stimme des »weißen Bibers«. »Er darf uns nicht entkommen!«

Ich blieb stehen und blickte hinüber. Das Feuer war fast zertreten, dennoch sah ich, daß der Platz leer wurde, indem Alle nach dem Ausgange des Thales eilten. Jeder schrie aus Leibeskräften, so daß ein wahrhaft höllischer Lärm entstand. Da hörte ich eilige Schritte. Eine dunkle Gestalt tauchte grad vor mir auf, sprang augenblicklich auf mich ein und warf mich zu Boden. Der Mann kniete auf mir und legte mir die Hände um den Hals, so daß ich keinen Laut ausstoßen konnte. Ich bemerkte, daß es ein Indianer sei, wohl ein Apache, der hatte fliehen wollen und dabei auf mich gestoßen war. Er wollte mich erwürgen, ohne irgend ein Geräusch zu verursachen. Der Mann besaß eine ungeheure Körperstärke. Seine Finger lagen wie eiserne Klammern um meinem Halse. Nur List konnte mich retten. Ich machte einige convulsivische Bewegungen und streckte mich lang aus, wodurch in ihm der Glaube erweckt wurde, daß mir der Athem ausgegangen sei. Jetzt löste er seine rechte Hand von meinem Halse, jedenfalls um nach dem Messer zu greifen, es mir in das Herz zu stoßen und mir dann den Scalp zu nehmen. Mit der Linken hielt er mich noch fest, aber ich konnte doch einen Athemzug thun. Diesen Augenblick mußte ich benutzen. Ich bäumte mich empor und warf ihn ab. Er flog zur Seite auf den Boden und ich schnellte mich auf ihn, um nun meinerseits ihn beim Halse zu nehmen. Da erhielt ich einen Stoß gegen das Kinn, so daß mir der Kopf in den Nacken flog – ein Knirschen und Prasseln in meiner linken Kinnlade – ich achtete nicht darauf. Er hatte mir das Messer von unten herauf in dieselbe gestoßen; die Klinge war, wie sich später herausstellte, in die Mundhöhle gedrungen, ohne glücklicher Weise die Zunge zu verletzen. Ich hatte ihn bei der Kehle und drückte ihm dieselbe so zusammen, daß seine Hand sich vom Griffe des Messers löste. Es blieb mir in der Wunde stecken. Er faßte meine Hände, um sie los zu bringen, er versuchte, mich abzuwerfen, vergebens. Für mich handelte es sich um Tod oder Leben, und ich nahm alle Kraft zusammen, mich zu retten.

Keiner von uns beiden hatte bis jetzt ein Wort oder auch nur einen Laut hören lassen, jeder war nur darauf bedacht, den Feind nicht aufkommen zu lassen. Er machte es mir ungeheuer schwer und entwickelte eine Gewandtheit, welche fast noch größer war, als seine Körperkraft. Mit aalglatten Bewegungen suchte er mir zu entschlüpfen. Aber es gelang ihm nicht. Endlich wurden seine Bewegungen langsamer und schwächer, und seine Hände lösten sich von den meinigen. Er lag still.

Das konnte eine List sein wie vorhin von meiner Seite. Ich nahm also meine Hände nur vorsichtig von seinem Halse. Er war indessen wirklich bewußtlos. Jetzt hätte ich ihn tödten oder binden und den Comanchen übergeben können; aber ich war gewillt, weder das eine noch das andere zu thun – er sollte entkommen. Zunächst zog ich mir das Messer aus der Wunde, welche sogleich stark zu bluten begann. Dann betastete ich ihn, da es zu dunkel war, ihn betrachten zu können. Welche Ueberraschung; ich hatte – – Winnetou besiegt! Um ihn zu verhindern, beim Erwachen irgend eine Handlung vorzunehmen, welche ihm zum Nachtheile gereichen konnte, so band ich ihm die Hände und Füße zusammen, zog ihn zum nächsten Baume, richtete ihn in sitzende Stellung auf und befestigte ihn da mit dem Lasso an dem Stamme.

Der Kampf war noch nicht zu Ende. Die Apachen hatten bemerkt, daß Winnetou noch nicht entkommen sei. Um ihm Zeit zu geben, hatten sie sich in dem engen Ausgange festgesetzt, wohin die Comanchen ihnen nicht folgen konnten. Die letzteren schickten zwar ihre Pfeile in das dichte Gewühl, jedenfalls aber ohne Erfolg, da die Apachen wohl zu klug waren, Deckung zu suchen. Ich eilte zu den Pferden, wo ich Old Death fand, dem ich meine Heldenthat berichtete.

»Winnetou?« fuhr er erstaunt auf. »Das muß ein Irrthum sein, denn Ihr hättet ein teufelsmäßiges Glück gehabt. Und verwundet seid Ihr? So kommt schnell zum Feuer!«


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