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Das verlassene Feuer brannte nur noch ganz spärlich, doch reichte es für den Alten aus, meine Wunde zu untersuchen.
»Etwas weiter nach innen, und er hätte Euch die Zunge zerstochen,« sagte er. »So aber ist die Geschichte gar nicht gefährlich. Der Stich wird Euch für Einige Zeit am Sprechen und Kauen hindern; das ist aber auch Alles. Führt mich jetzt zu dem Apachen.«
Als wir bei demselben ankamen, saß er noch so am Baume, wie ich ihn verlassen hatte; aber das Bewußtsein war ihm zurückgekehrt, denn er empfing uns mit den Worten:
»Die weißen Verräther mögen mich losbinden. Ich werde ihnen nicht entfliehen. Sie mögen mich den Hunden der Comanchen übergeben, damit dieselben mich zerfleischen. Mein Todesgesang wird ein Triumph über sie sein.«
»Ja, ich werde Winnetou losbinden,« sagte ich.
Ich wollte noch etwas hinzufügen, aber er fiel schnell ein:
»Das Bleichgesicht kennt Winnetou trotz der Dunkelheit? Warum hat er mich nicht getödtet?«
»Wie sollte ich den berühmten Häuptling der Apachen, deren Freund ich bin, tödten!«
»Unser Freund willst Du sein? Und doch hast Du oder Deine weißen Genossen uns ein falsches Zeichen gegeben!«
»Wie meinst Du das?«
»Ihr habt das Feuer nur ein einziges Mal aufleuchten lassen, als ich die Stimme der Eule erschallen ließ, und doch solltet Ihr es für jedes Hundert der Comanchen einmal thun. Unsere Feinde waren weit über fünf hundert; ich aber mußte glauben, daß nur hundert Feinde vorhanden seien.«
»Ah, das also war es! Davon wußten wir nichts.«
»Ihr habt es gewußt!«
»Nein. Du verkennst uns,« entgegnete ich und erzählte kurz, wie wir zu den Comanchen gekommen; ich schloß mit den Worten: »Hier hast Du Dein Messer. Du bist frei.«
Ich hatte ihn während meiner Worte losgebunden und gab ihm nun sein Messer zurück. Er sprang auf.
»Ist’s wahr?« fragte er. »Du willst Winnetou frei geben, obgleich sein Messer Dich getroffen hat?«
»Ja. Du kannst gehen, wohin Du willst. Wir werden Dich aus dem Thale führen, ohne daß die Comanchen Dich sehen können.«
»Winnetou bedarf keines Führers, denn er kennt diesen Ort genau. Er hört den Kampfruf seiner Krieger und muß sich ihnen zeigen. Er wird den beiden Bleichgesichtern dankbar sein, so lange er lebt. Sie mögen sich von den Comanchen trennen, denn diese Verräther sind dem Tode geweiht. Uff!«
Als er das nächste Wort sagte, sahen wir ihn schon nicht mehr. Er eilte fort.
»Alle Wetter! So schnell sollte das nicht gehen!« meinte der Alte. »Ich hatte noch Einiges mit ihm zu reden. Wer weiß, ob es ihm gelingt, zu entkommen. Ihr hättet ihn nicht so schnell losbinden sollen, so daß er gezwungen war, uns Rede und Antwort zu stehen. Bedenkt doch, daß wir so viel von ihm zu erfahren hatten! Kommt! Wollen wieder zu den Pferden gehen. Habe ein wenig Verbandzeug in der Satteltasche, und will sehen, ob ich Euch das Loch da unten im Kinn verstopfen kann.«
Als wir an der betreffenden Stelle anlangten, waren die beiden Lange’s und Sam, welche sich vorhin dort befunden hatten, nicht mehr da. Sie hatten sich wohl zu den Comanchen begeben, um nach dem Verlaufe des Scharmützels zu sehen. Erst nach geraumer Zeit hatte der Alte in der Dunkelheit sein Pferd unter den andern herausgefunden. Dann stellte es sich heraus, daß es ihm eben dieser Dunkelheit wegen unmöglich war, mich richtig zu verbinden. Wir wollten also nach dem Feuerplatze gehen, um den Brand neu anzufachen, damit der Scout besser sehen könne. Noch hatten wir denselben nicht ganz erreicht, da hielt mich der Alte am Arme zurück, deutete vorwärts, wo ein brennender Ast noch ein leidliches Flämmchen gab, und sagte:
»Seht Ihr dort die geschäftigen Gestalten! Alle Teufel! Ich glaube gar, das sind Apachen!«
Ich strengte die Augen an und bemerkte allerdings eine Anzahl dunkler Gestalten, welche sich dort sehr eifrig hin und her bewegten.
»Sollten das wirklich Apachen sein?« fragte ich. »Das wäre ein ungeheures Wagniß.«
»Zuzutrauen ist es ihnen, da sie sich unter dem Befehl Winnetou’s befinden. Sie werden Ihre Todten fortschaffen wollen, damit dieselben nicht von den Comanchen scalpirt werden können, denn ein Scalpirter hat in den ewigen Jagdgründen seinen Sieger in alle Ewigkeit als Sklave zu bedienen. Das ist der Glaube der Indianer, und darum wagen sie stets Alles, dem Feinde ihre Gefallenen zu entreißen. Aber wie sind diese Apachen in das Thal zurückgekommen, welches sie vorhin fliehend verließen? Mir wird himmelangst um die Comanchen. Sie werden ihren Verrath theuer bezahlen müssen. Jetzt können wir nicht mehr zum Feuer. Wir müssen wieder zurück.«
Wir zogen uns eine Strecke zurück und ließen uns in das Gras nieder. Der Scout versicherte mir, mit seinen geübten Augen von hier aus die Apachen noch erkennen zu können. Mir freilich war dies nicht möglich. Hinten am Ausgange wurde noch immer gekämpft, wie das Geschrei, welches von den Indianern bei jedem Pfeilschuß ausgestoßen wird, uns verrieth. Zehn Minuten mochten wir so gelegen haben, als Old Death mich aufforderte, mit zum Feuer zu kommen. Wir stolperten über die zahlreich dort umher liegenden Leichen zu dem Feuer, in welchem der Ast noch leicht flackerte. Old Death suchte die umherliegenden Holzreste zusammen und blies das Feuer wieder an. Jetzt sahen wir, daß alle die Todten scalpirt waren, ein schrecklicher Anblick für mich, der ich so etwas zum ersten Male sah. Meine Wunde war schnell verbunden; dann begaben wir uns zu den Kämpfenden. Die Comanchen standen zerstreut, weil sie sonst den Pfeilen der Gegner ein gutes Ziel geboten hätten. Wir suchten den Häuptling auf.
»Wo bleiben meine weißen Brüder?« fragte er. »Ich habe nicht gesehen, daß sie mit uns kämpften.«
»Der Häuptling der Comanchen hat keine Zeit gehabt, uns zu beobachten. Auch wir haben tapfer gekämpft. Mein Gefährte ist sogar verwundet worden. Ich habe ihn verbunden.«
»So mag mir mein Bruder meine Worte verzeihen. Die Apachen sind uns entkommen; aber morgen mit dem Frühesten werde ich sie verfolgen und vernichten.«
»Meinst Du, daß Dir das wirklich gelingen werde?« fragte Old Death.
»Ganz gewiß! Denkt mein Bruder etwa anders als ich? So irrt er sich.«
»Hast Du nicht, als ich Dich vorhin warnte, auch gesagt, daß ich mich irre? Ich habe dieses Thal eine Falle genannt. Vielleicht wird es Dir unmöglich, sie zu verlassen.«
»Laß nur den Tag erscheinen, dann sehen wir die Feinde, die wenigen, welche übrig geblieben sind, und werden sie schnell erlegen. Jetzt sind sie durch die Dunkelheit geschützt.«
»So ist es doch unnöthig, auf sie zu schießen! Wenn Ihr Eure Pfeile verschossen habt, so gibt Euch dieses Thal zwar Holz genug, neue zu fertigen; aber habt Ihr auch Eisenspitzen dazu? Vergeudet Eure Vertheidigungsmittel nicht! Und wie steht es mit den zehn Kriegern der Comanchen, welche den Eingang des Thales bewachten? Befinden sie sich noch dort?«
»Nein; sie sind hier. Der Kampf hat sie herbeigelockt.«
»So sende sie unverzüglich wieder hin, damit Dir wenigstens der Rückzug offen bleibt!«
»Die Sorge meines Bruders ist ganz überflüssig. Die Apachen sind durch den Ausgang geflohen. Zum Eingange aber kann keiner gelangen.«
»Und doch rathe ich Dir, es zu thun. Die zehn Mann können Dir hier nichts nützen; dort sind sie nöthiger als hier.«
Der Häuptling folgte dieser Aufforderung, freilich mehr aus Achtung für Old Death als aus Ueberzeugung, daß diese Maßregel eine nothwendige sei. Bald stellte es sich heraus, wie recht der Alte gehabt habe; denn als die Zehn den betreffenden Befehl erhalten hatten und fort waren, ertönten vom Eingang des Thales her zwei Büchsenschüsse, welchen ein wildes Geheul antwortete. Einige Minuten später kehrten zwei von den zehn zurück, um zu melden, daß sie mit zwei Kugeln und vielen Pfeilen empfangen worden seien; sie beide seien die einzigen Uebriggebliebenen.
»Nun, habe ich mich abermals geirrt?« fragte der Scout, »Die Falle ist hinten und vorn geschlossen, und wir stecken drin.«
Der »weiße Biber« fand keine Erklärung. Er fragte im betroffenen Tone:
»Uff! Was soll ich thun?«
»Verschwende nicht die Kräfte und die Waffen Deiner Leute! Stelle je zwanzig oder dreißig Mann gegen den Aus- und Eingang des Thales, um diese beiden Punkte bewachen zu lassen. Die übrigen Leute mögen sich zurückziehen, um zu ruhen, damit sie früh gute Kräfte haben. Das ist das Einzige und wohl auch das Beste, was man Dir rathen kann.«
Dieses Mal befolgte der Häuptling den Rath sofort. Dreißig Comanchen blieben hier halten. Dreißig andere wendeten sich gegen den Eingang, und die Uebrigen kehrten nach dem Lagerplatze zurück, wo sie beim Anblick ihrer scalpirten Brüder ein entsetzliches Wuthgeheul ausstießen. Als wir dort anlangten und die Leichen zählten, fanden wir über dreißig todte Comanchen und acht Weiße, aber eines Apachen Leiche war nicht zu sehen. Der »weiße Biber« konnte sich das nicht erklären, er hielt es für Zauber, während wir unterrichtet waren. Old Death sagte zu mir:
»Wo mögen die Bleichgesichter nur geblieben sein?«
Erst jetzt dachte ich an diese. Nur die Todten lagen da; die Uebrigen waren verschwunden. Auch Gibson und William Ohlert waren fort.
»Das ist schlimm!« rief ich aus. »Die Kerle haben sich zu den Apachen in Sicherheit gebracht.«
»Ja, und dort sind sie natürlich gut aufgenommen worden, da sie es mit den beiden Kundschaftern, den vermeintlichen Topia's gehalten haben.«
»So ist uns Gibson abermals verloren!«
»Nein. Wir haben das Totem des »guten Mannes«; die Apachen kennen mich; Winnetou hat Euch sein Leben und seine Freiheit zu verdanken; also versteht es sich ganz von selbst, daß wir von ihm als Freunde angenommen werden. Dann werde ich es schon so weit bringen, daß Gibson und Ohlert uns ausgeliefert werden. Wir verlieren einen Tag, das ist Alles.«
»Aber wenn nun die Beiden sich auf und davon machen?«
»Das glaube ich nicht. Sie müßten quer durch die Mapimi, und das können sie nicht wagen... Aber, was ist denn das?«
Ein Haufe der Comanchen stand beisammen. Aus der Mitte desselben erklang ein markerschütterndes Stöhnen und Wimmern. Wir gingen hinzu und sahen einen Weißen, welcher nicht todt, sondern wieder zu sich gekommen war. Er hatte einen Lanzenstich durch den Unterleib erhalten, von hinten her, also von einem Comanchen, als die Weißen auf uns eindrangen, war von den Apachen dann für todt gehalten und scalpirt worden.
Old Death kniete zu ihm nieder und untersuchte seine Wunde.
»Mann,« sagte er, »Ihr habt vielleicht noch zehn Minuten zu leben. Macht Euer Herz leicht, und geht mit keiner Lüge in die Ewigkeit. Ihr habt es mit den Apachen gehalten?«
»Ja,« antwortete der Gefragte wimmernd.
»Ihr wußtet, daß wir in dieser Nacht überfallen werden sollten?«
»Ja. Die beiden Topia's hatten die Comanchen zu diesem Zwecke hierher geführt.«
»Und Gibson sollte das Zeichen mit dem Feuer geben?«
»Ja, Sir. Eigentlich mußte er so oft in das Feuer schlagen, als es hundert Comanchen waren. Dann hätte Winnetou sie nicht heute, sondern erst morgen an einem andern Orte angegriffen, weil er heute nur hundert Mann bei sich hatte. Morgen aber stoßen die Uebrigen zu ihm.«
»Dachte es mir. Daß ich Gibson verhindert habe, noch viermal in das Feuer zu stöbern, hat die Apachen veranlaßt, uns jetzt schon zu überfallen. Nun aber haben sie die Ausgänge besetzt. Wir können nicht fort, und morgen wird sich dieses Thal zu einem offenen Grabe gestalten, in welchem wir langsam abgeschlachtet werden.«
»Wir werden uns wehren!« knirschte der Häuptling, welcher dabei stand, grimmig. »Dieser Verräther hier aber soll als räudiger Hund in die Jagdgründe gehen, um dort von den Wölfen gejagt zu werden, daß ihm der Geifer in Ewigkeit von der Zunge trieft.«
Er zog sein Messer und stieß es dem Verwundeten in’s Herz.
»Thorheit!« rief Old Death zornig. »Du brauchtest an ihm nicht zum Mörder zu werden. Seine Strafe wäre noch schlimmer gewesen, wenn er noch kurze Zeit als Scalpirter hätte leben müssen.«
»Ich habe ihn getödtet, und nun ist seine Seele die Sklavin der meinigen. Wir aber wollen jetzt Kriegsrath halten. Die Krieger der Comanchen haben nicht Lust, zu warten, bis die Hunde der Apachen in Menge herbei gekommen sind. Wir können noch heut’ in der Nacht durch den Ausgang dringen.«
Er setzte sich mit seinen Unteranführern an dem Feuer nieder. Old Death mußte auch Theil nehmen. Ich saß mit Lange, dessen Sohn und dem Neger so weit vom Feuer entfernt, daß ich nichts hören konnte, zumal die Verhandlung in unterdrücktem Tone geführt wurde. Doch ersah ich aus den Zügen und lebhaften Handbewegungen des Scout, daß dieser nicht der Meinung der Indianer war. Er schien die seinige lebhaft zu vertheidigen, doch ohne Erfolg. Endlich sprang er zornig auf, und ich hörte ihn sagen:
»Nun, so rennt in Euer Verderben! Ich habe Euch bereits wiederholt gewarnt, ohne gehört zu werden. Ich habe stets recht gehabt und werde es auch dieses Mal haben. Macht, was Ihr wollt. Ich aber und meine Gefährten, wir bleiben hier zurück.«
»Bist Du zu feig, um mit uns zu kämpfen?« fragte einer der Unteranführer.
Old Death machte eine heftige Bewegung gegen ihn und wollte ihm eine strenge Antwort geben, besann sich aber und sagte ruhig:
»Mein Bruder muß erst seinen Muth beweisen, bevor er mich nach dem meinigen fragen darf. Ich heiße Old Death, und das ist genug gesagt.«
Er kam zu uns und setzte sich da nieder, während die Rothen noch eine Weile fort beriethen. Endlich waren sie zu einem Entschlusse gekommen und standen von ihren Sitzen auf. Da ertönte von jenseits der das Lagerfeuer rund umgebenden Comanchen eine laute Stimme:
»Der »weiße Biber« mag hierher sehen. Meine Büchse ist sehr hungrig auf ihn.«
Aller Augen wendeten sich nach der Stelle, von welcher aus die Worte ertönten. Dort stand Winnetou, hoch aufgerichtet mit angeschlagenem Gewehre. Die beiden Läufe desselben blitzten nach einander auf. Der »weiße Biber« stürzte getroffen nieder und neben ihm einer der Unterhäuptlinge:
»So werden sterben alle Lügner und Verräther!« erklang es noch. Dann war der Apache verschwunden. Das war so schnell geschehen, daß die Comanchen gar nicht auf den Gedanken gekommen waren oder vielmehr gar nicht Zeit gefunden hatten, aufzuspringen. Nun aber fuhren sie Alle empor und stürzten nach der Gegend, in welcher er verschwunden war. Nur wir vier blieben zurück. Old Death trat zu den beiden Häuptlingen. Sie waren todt.
»Welch ein Wagniß!« rief Lange. »Dieser Winnetou ist ein wahrer Teufel!«
»Pah!« lachte Old Death. »Das Richtige kommt noch. Paßt einmal auf!«
Kaum hatte er die Worte gesagt, so hörten wir ein durchdringendes Geheul.
»Da habt Ihr es!« meinte er. »Er hat nicht nur die beiden Häuptlinge für ihre Verrätherei bestraft, sondern auch die Comanchen fortgelockt in den Bereich der Seinigen. Die Pfeile der Apachen werden ihre Opfer fordern. Horcht!«
Der scharfe, dünne Knall eines Revolvers war zu hören, drei-, fünf-, achtmal hinter einander.
»Das ist Winnetou,« meinte Old Death. »Er bedient sich seiner Revolver. Ich glaube, der Kerl steckt mitten unter den Comanchen, ohne daß sie ihm etwas anhaben können!«
Dem alten Westmanne waren solche Ereignisse etwas ziemlich Gewöhnliches. Sein Gesicht war so ruhig, als ob er im Theater den Verlauf eines Stückes verfolge, dessen Aufbau und Schluß ihm schon bekannt war. Ich aber fühlte ein gelindes Entsetzen über die Art und Weise, Menschenleben zu vernichten. Die Comanchen kehrten zurück, da es ihnen nicht gelungen war, Winnetou zu treffen; anstatt dessen aber brachten sie mehrere der Ihrigen getragen, welche todt oder verwundet waren. Civilisirte Leute hätten sich dabei sowohl aus Theilnahme, als auch aus Klugheit ruhig verhalten. Die Rothen aber heulten und brüllten, als ob sie gepfählt werden sollten, und tanzten mit um die Köpfe geschwungenen Kriegsbeilen um die Leichen.
»Ich würde das Feuer auslöschen lassen, und mich an Stelle dieser Kerle sehr ruhig verhalten,« sagte Old Death. »Sie heulen ihren eigenen Todesgesang.«
»Was ist denn eigentlich im Kriegsrathe beschlossen worden?« fragte Lange.
»Sich nach Westen durchzuschlagen und zwar sofort.«
»Welche Dummheit! Da gehen sie ja den Apachen, welche hier eintreffen sollen, grad entgegen.«
»Das wohl nicht, Master, denn es wird ihnen nicht gelingen, durch zu kommen. Allerdings, wenn es ihnen glückte, so hätten sie Winnetou hinter sich und die von ihm erwarteten Hilfstruppen vor sich; sie befänden sich also in der Mitte und würden aufgerieben. Aber sie glauben die Apachen in der Minderzahl und sind gewiß, dieselben vernichten zu können. Uebrigens wissen sie, daß der Sohn des »weißen Bibers« mit seiner Schaar, welche wir getroffen haben, nachkommen wird; das verdoppelt ihre Zuversicht. Nun werden sie erst recht vor Begierde brennen, den Tod der beiden Häuptlinge zu rächen. Aber die Comanchen sollten den Anbruch des Tages erwarten und dann nach der andern Seite durchbrechen, rückwärts, woher wir gekommen sind. Am Tage sieht man den Feind und die Hindernisse, welche derselbe einem bereitet. Aber meine Ansicht drang nicht durch. Uns freilich kann es gleichgiltig sein, was sie thun. Wir machen nicht mit.«
»Das werden uns die Comanchen übel nehmen.«
»Habe nichts dagegen. Old Death hat gar keine Lust, sich nutzlos den Kopf einzurennen. Horcht! Was war das?«
Die Comanchen heulten noch immer, so daß sich nicht bestimmen ließ, welcher Art das Geräusch gewesen war, welches wir soeben gehört hatten.
»Diese Thoren!« zürnte Old Death. »Winnetou ist ganz der Mann, den unzeitigen Lärm, den sie da vollführen, sich zu nutze zu machen. Vielleicht legt er Bäume nieder, um den Ausgang zu verschließen, denn es klang ganz wie das Krachen und Prasseln eines fallenden Baumes. Ich möchte darauf schwören, daß keiner von den Comanchen entkommen wird, eine schreckliche aber gerechte Strafe dafür, daß sie mitten im Frieden ahnungslose Indianerortschaften überfallen und sogar die Abgesandten ermordet haben. Wenn es Winnetou gelingt, die Ausgänge zu verschließen, so kann er seine Leute zurückziehen, hier im Thale zusammennehmen und die Unvorsichtigen von hinten angreifen. Ich traue ihm das zu.«
Endlich war die vorläufige Todtenklage zu Ende, und die Comanchen verhielten sich still, traten zusammen und erhielten die Weisungen des Unteranführers, welcher nunmehr den Befehl übernahm. Dann hoben sie die Todten auf, welche bei der Verfolgung Winnetou’s gefallen waren, und trugen sie fort. Diejenigen Leichen aber, welche scalpirt worden waren, ließen sie liegen, denn deren Seelen waren nicht mehr für die ewigen Jagdgründe zu retten.
»Sie scheinen jetzt aufbrechen zu wollen,« sagte Old Death. »Wir müssen zu unsern Pferden, damit sie sich nicht etwa an denselben vergreifen. Master Lange, geht mit Eurem Sohne und Sam hin, um sie zu holen. Wir beide bleiben hier, denn ich vermuthe, daß der Häuptling uns noch eine kleine Rede halten wird.«
Er hatte Recht. Als die drei fort waren, kam der jetzige Anführer langsamen Schrittes auf uns zu und sagte:
»Die Bleichgesichter sitzen ruhig an der Erde, während die Comanchen sich zu ihren Pferden begeben. Warum stehen sie nicht auch auf?«
»Weil wir noch nicht erfahren haben, was von den Comanchen beschlossen worden ist.«
»Wir werden das Thal verlassen.«
»Aber es wird Euch nicht gelingen, hinaus zu kommen.«
»Old Death ist wie eine Krähe, deren Stimme stets häßlich klingt, Die Comanchen werden Alles niederreiten, was sich ihnen in den Weg stellt.«
»Sie werden nichts und Niemand niederreiten als sich selbst. Wir aber bleiben hier.«
»Ist Old Death nicht unser Freund? Hat er nicht die Pfeife des Friedens mit uns geraucht? Ist er nicht verpflichtet, mit uns zu kämpfen? Die Bleichgesichter sind tapfere und kühne Krieger. Sie werden uns begleiten und sich an unsere Spitze stellen.«
Da stand Old Death auf, trat ganz nahe an den Comanchen heran, lachte ihm in das Gesicht und antwortete:
»Mein Bruder hat einen schlauen Gedanken. Die Bleichgesichter sollen voranreiten, um den Rothen den Weg zu öffnen und dabei unterzugehen. Wir sind Freunde der Comanchen, aber wir haben nicht ihren Häuptlingen zu gehorchen. Wir sind zufällig auf sie getroffen, aber wir haben uns nicht verpflichtet, an ihrem Kriegszuge Theil zu nehmen. Wir sind muthig und tapfer; mit diesen Worten hat mein Bruder die Wahrheit gesagt. Wir halfen unsern Freunden bei jedem Kampfe, welcher mit Sinn und Ueberlegung geführt wird; aber wir nehmen nicht Theil an Plänen, von denen wir schon vorher wissen, daß sie mißlingen werden.«
»So werden die Weißen nicht mitreiten? Ich hatte sie für tapfere Leute gehalten!«
»Wir sind es. Aber wir sind auch vorsichtig. Wir sind die Gäste der Comanchen. Wann ist bei ihnen die Sitte aufgekommen, ihre Gäste, die sie doch beschützen sollten, grad an die Spitze zu stellen, wo der Tod unvermeidlich ist? Mein Bruder ist schlau, aber wir sind nicht dumm. Auch mein Bruder ist ein sehr tapferer Krieger, und darum bin ich überzeugt, daß er seinen Leuten voranreiten wird, denn das ist die Stelle, wohin er gehört.«
Der Rothe wurde verlegen. Seine Absicht, uns zu opfern, um sich zu retten, war sehr unverfroren. Als er sah, daß er bei uns nicht durchkam, wurde er nicht nur verlegen, sondern auch zornig. Sein bisher ruhiger Ton wurde strenger, als er sich erkundigte:
»Was werden die Bleichgesichter thun, wenn die Comanchen fort sind? Werden sie sich etwa den Apachen anschließen?«
»Wie wäre das möglich, da mein Bruder die Apachen doch vernichten will! Es sind also gar keine vorhanden, denen wir uns anschließen könnten.«
»Aber es werden welche nachkommen. Wir dürfen nicht dulden, daß die Bleichgesichter hier zurückbleiben. Sie müssen mit uns fort.«
»Ich habe bereits gesagt, daß wir bleiben.«
»Wenn die Weißen nicht mit uns gehen, müssen wir sie als unsere Feinde betrachten.«
»Und wenn die Rothen uns als solche ansehen, werden wir sie auch als Feinde behandeln.«
»Wir werden ihnen ihre Pferde nicht geben.«
»Und wir haben sie uns bereits genommen. Da werden sie uns eben gebracht.«
In der That kamen unsere Freunde gerade mit unsern Pferden heran. Der Häuptling zog die Brauen finster zusammen und sagte:
»So haben die Weißen also bereits ihre Vorkehrungen getroffen. Ich sehe, daß sie uns feindlich gesinnt sind und werde sie von meinen Kriegern gefangen nehmen lassen.«
Der Scout ließ ein kurzes, unheimlich klingendes Lachen hören und antwortete:
»Der Häuptling der Comanchen täuscht sich sehr in uns. Ich habe dem »weißen Biber« bereits gesagt, daß wir hier bleiben werden. Wenn wir diesen Entschluß nun ausführen, so enthält er nur das, was ich gesagt habe, aber nicht die mindeste Feindseligkeit gegen die Comanchen. Es ist also gar kein Grund vorhanden, uns gefangen zu nehmen.«
»Wir werden es aber dennoch thun, wenn die Weißen mir nicht sofort versprechen, mit uns zu reiten und sich an unsere Spitze zu stellen.«
Der Blick Old Death's schweifte forschend umher. Ueber sein Gesicht glitt jenes Grinsen, welches bei ihm stets anzeigte, daß er im Begriffe stehe, Jemandem eine Schlappe beizubringen. Wir drei standen am Feuer. Wenige Schritte von uns hielten die andern mit den Pferden. Kein einziger Comanche befand sich mehr in der Nähe. Sie waren alle zu ihren Pferden gegangen. Old Death sagte in deutscher Sprache, so daß der Comanche seine Worte nicht verstehen konnte:
»Wenn ich ihn niederschlage, dann schnell auf die Pferde und mir nach, dem Eingange des Thales zu, denn die Comanchen befinden sich auf der andern Seite.«
»Mein Bruder mag nicht diese Sprache reden. Ich will wissen, was er seinen Gefährten zu sagen hat.«
»Das soll der Häuptling sofort erfahren. Ihr habt heute wiederholt meinen Rath mißachtet und seid durch den darauf folgenden Schaden selbst jetzt noch nicht klug geworden. Ihr geht dem sichern Tode entgegen und wollt uns zwingen, Euch und uns selbst hinein zu führen. Ihr kennt, wie es scheint, Old Death noch immer nicht. Meinst Du, ich ließe mich zwingen, etwas zu thun, was ich zu unterlassen beschlossen habe? Ich sage Dir, daß ich mich weder vor Dir, noch all Deinen Comanchen fürchte. Du willst uns gefangen nehmen? Merkst Du denn nicht, daß Du Dich in meiner Hand befindest. Sieh diese Waffe! Nur die kleinste Bewegung, so schieße ich Dich nieder!«
Er hielt ihm den Revolver entgegen. Der Indianer wollte nach seinem Messer greifen; aber sofort saß ihm Old Death's Waffe auf der Brust.
»Die Hand weg!« donnerte ihn der Alte an. Jener ließ die Hand sinken.
»So! Ich mache keinen Spaß mit Dir. Du zeigst Dich als Feind von uns, und so gebe ich Dir die Kugel, wenn Du mir nicht augenblicklich gehorchst!«
Die bemalten Züge des Rothen kamen in Bewegung. Er blickte sich forschend um, aber Old Death bemerkte:
»Suche nicht Hilfe von Deinen Leuten! Selbst wenn sie sich hier befänden, würde ich Dich niederschießen. Deine Gedanken sind so schwach, wie diejenigen eines alten Weibes, deren Gehirn vertrocknet ist. Du bist von Feinden eingeschlossen, denen Ihr unterliegen müßt, und doch schaffst Du Dir in uns weitere Feinde, welche noch mehr zu fürchten sind, als die Apachen. Wie wir bewaffnet hier stehen, schießen wir hundert von Euch nieder, bevor ein Pfeil von Euch uns erreichen kann. Willst Du Deine Leute mit aller Gewalt in den Tod führen, so thue es. Für uns aber gelten Deine Befehle nicht.«
Der Indianer stand eine kurze Weile schweigend. Dann sagte er:
»Mein Bruder muß bedenken, daß meine Worte nicht so gemeint waren!«
»Ich nehme Deine Worte, wie sie klingen. Was Du mit denselben meinst, das geht mich nichts an.«
»Nimm Deine Waffe weg, und wir wollen Freunde bleiben!«
»Ja, das können wir. Aber bevor ich die Waffe von Deiner Brust nehme, muß ich Sicherheit haben, daß es mit Deiner Freundschaft ehrlich gemeint ist.«
»Ich habe es gesagt, und mein Wort gilt.«
»Und soeben noch sprachst Du davon, daß Du Deine Worte anders meinst, als sie klingen. Man kann sich also auf Deine Rede und Dein Versprechen nicht verlassen.«
»Wenn Du mir nicht glaubst, so kann ich Dir keine weitere Sicherheit geben.«
»O doch. Ich verlange von Dir, daß Du mir Deine Friedenspfeife gibst und – –«
»Uff!« rief der Indianer, ihn erschrocken unterbrechend. »Das Calummet gibt man nicht weg.«
»Ich bin damit aber noch gar nicht zufrieden. Ich verlange nicht nur Dein Calummet, sondern auch Deine Medizin.«
»Uff, uff, uff! Das ist unmöglich!«
»Du sollst mir beides nicht für immer geben, nicht schenken. In dem Augenblicke, in welchem wir uns friedlich trennen, erhältst Du es wieder.«
»Kein Krieger gibt seinen Medizinbeutel aus der Hand!«
»Und doch verlange ich ihn. Ich kenne Eure Sitte. Habe ich Dein Calummet und Deine Medizin, so bin ich Du selbst und jede Feindseligkeit gegen uns würde Dich um die Freuden der ewigen Jagdgründe bringen.«
»Und ich gebe sie nicht her!«
»Nun, so sind wir also fertig. Ich werde Dir jetzt die Kugel geben und Dir dann auch Deinen Scalp nehmen, so daß Du nach Deinem Tode mein Hund und Sklave wirst. Ich werde meine linke Hand dreimal erheben. Beim dritten Male schieße ich, wenn Du mir nicht gehorchst.«
Er erhob die Hand zum ersten, und zum zweiten Male, während er mit der Rechten den Revolver noch immer auf das Herz des Rothen gerichtet hielt. Schon war die dritte Handbewegung halb vollendet, da sagte der Indianer:
»Warte! Wirst Du mir beides wiedergeben?«
»Ja.«
»So sollst Du es haben. Ich werde – –«
Er erhob die Hände, wie um nach dem Medizinbeutel und der Pfeife, welche beide er um den Hals hängen hatte, zu greifen.
»Halt!« fiel Old Death ihm in die Rede. »Nieder mit den Händen, sonst schieße ich! Ich traue Dir erst dann, wenn ich diese beiden Gegenstände wirklich besitze. Mein Gefährte mag sie Dir von dem Halse nehmen, um sie mir an den meinigen zu hängen.«
Der Comanche ließ die Hände wieder sinken. Ich nahm ihm die Sachen ab und hing sie Old Death um, worauf dieser den ausgestreckten Arm mit dem Revolver zurückzog.
»So!« sagte er. »Jetzt sind wir wieder Freunde, und mein Bruder mag nun thun, was ihm beliebt. Wir werden hier zurückbleiben, um abzuwarten, wie der Kampf ausfällt!«
Der Häuptling hatte wohl noch nie eine solche Wuth wie jetzt gefühlt. Seine Hand fuhr nach dem Messer, aber er wagte doch nicht, dasselbe heraus zu ziehen. Doch that er wenigstens das eine, in zischendem Tone hervorzustoßen:
»Die Bleichgesichter sind jetzt sicher, daß ihnen nichts geschieht, aber sobald sie mir das Calummet und die Medizin zurückgegeben haben, wird Feindschaft zwischen ihnen und uns sein, bis sie am Marterpfahle gestorben sind!«
Er wendete sich um und eilte von dannen.
»Wir sind jetzt so sicher wie in Abrahams Schooß,« sagte der Scout, »trotzdem aber wollen wir keine Vorsichtsmaßregel unterlassen. Wir bleiben nicht hier beim Feuer, sondern ziehen uns nach dem Hintergrunde des Thales zurück und warten da ganz ruhig ab, was nun geschehen wird. Kommt, Mesch’schurs, nehmt die Pferde mit!«
Jeder nahm sein Pferd am Zügel. So begaben wir uns in die bezeichnete Gegend, wo wir die Pferde anpflockten und uns am Fuße der Thalwand unter den Bäumen niederließen. Das Feuer leuchtete vom verlassenen Lagerplatze her. Rundum herrschte tiefe Stille.
»Warten wir die Sache ab,« sagte der Scout. »Ich vermuthe, daß der Tanz sehr bald beginnen werde. Die Comanchen werden unter einem satanischen Geheul losbrechen, aber mancher von ihnen wird seine Stimme zum letzten Male erhoben haben. Da – da habt Ihr es ja schon!«
Das Geheul, von welchem er gesprochen hatte, erhob sich jetzt, als ob eine Heerde wilder Thiere losgelassen worden sei.
»Horcht! Hört Ihr einen Apachen antworten?« fragte der Alte. »Gewiß nicht. Die sind klug und machen ihre Arbeit in aller Stille ab.«
Die Felswände gaben das Kriegsgeschrei in vervielfachter Stärke zurück, ebenso wiederholte das Echo die beiden Schüsse, welche jetzt fielen.
»Das ist wieder Winnetou's Silberbüchse,« sagte der Scout, »ein sicheres Zeichen, daß die Comanchen angehalten werden.«
Wenn abgeschossene Pfeile und geworfene Lanzen einen Schall oder Knall verursachten, so wäre das Thal ganz gewiß jetzt von einem wilden Getöse erfüllt gewesen. So hörten wir nur die Stimmen der Comanchen und die fortgesetzten Schüsse Winnetou's. Das dauerte wohl gegen zwei Minuten. Dann aber erklang ein mark- und beindurchdringendes »Iwiwiwiwiwiwi« zu uns herüber.
»Das Apachen sein!« jubelte Sam. »Haben gesiegt und Comanchen zurückgeschlagen.«
Jedenfalls hatte er Recht; denn als dieses Siegesgeheul verklungen war, trat tiefe Stille ein, und zu gleicher Zeit sahen wir am Feuer die Gestalten von mehreren Reitern erscheinen, zu denen sich mehrere und immer mehrere gesellten. Es waren die Comanchen. Der Durchbruch war nicht gelungen. Für einige Zeit herrschte beim Feuer eine außerordentliche Verwirrung. Wir sahen, wie Menschen herbeigetragen wurden, welche todt oder verwundet waren, und das bereits erwähnte Klagegeheul hob jetzt von Neuem an. Old Death rückte in größtem Aerger auf seinem Platze hin und her und schimpfte in allen Tonarten über die Unvernunft der Comanchen. Nur eins erwähnte er beifällig, nämlich, daß sie eine Schaar von Posten in der Richtung der beiden Ausgänge fortschickten, denn das war eine ganz nöthige Vorsichtsmaßregel. Als nach langer Zeit die Todtenklagen verstummt waren, schienen die Comanchen sich zu einer Berathung niedergesetzt zu haben. Von da an verging wohl eine halbe Stunde; dann sahen wir mehrere der Krieger sich von dem Lager entfernen und in der Richtung nach der hinteren Seite des Thales zerstreuen, wo wir uns befanden.
»Jetzt werden wir gesucht,« sagte Old Death. »Sie haben wohl eingesehen, welche Dummheiten sie begangen haben, und werden nicht zu stolz sein, auf unsern Rath zu hören.«
Einer der ausgesandten Boten kam in unsere Nähe. Old Death hustete leise. Der Mann hörte es und kam herbei.
»Sind die Bleichgesichter hier?« fragte er. »Sie sollen an das Feuer kommen.«
»Wer sendet Dich?«
»Der Häuptling.«
»Was sollen wir dort?«
»Eine Berathung soll abgehalten werden, an welcher die Bleichgesichter dieses Mal Theil nehmen dürfen.«
»Dürfen? Wie gütig von Euch! Sind wir es endlich einmal werth, von den klugen Kriegern der Comanchen angehört zu werden? Wir liegen hier, um zu ruhen. Wir wollen schlafen. Sage das dem Häuptlinge! Eure Feindschaft mit den Apachen ist uns von jetzt an sehr gleichgiltig.«
Jetzt legte sich der Rothe auf's Bitten. Das blieb nicht ohne Erfolg auf den gutherzigen Alten, denn er sagte:
»Nun wohl, wenn Ihr ohne unsern Rath keinen Weg der Rettung findet, so sollt Ihr ihn haben. Aber es beliebt uns nicht, uns von Eurem Häuptlinge kommandiren zu lassen. Sage ihm, daß er her zu uns kommen solle, wenn er mit uns sprechen will.«
»Das thut er nicht, denn er ist ein Häuptling.«
»Höre, Mann, ich bin ein viel größerer und berühmterer Häuptling als er. Ich kenne nicht einmal seinen Namen. Sag ihm das!«
»Auch kann er nicht gehen, selbst wenn er wollte, weil er am Arm verwundet ist.«
»Seit wann gehen die Söhne der Comanchen nicht mehr auf den Beinen, sondern auf den Armen? Wenn er nicht zu uns kommen will, so mag er bleiben, wo er ist. Wir brauchen ihn und Euch alle nicht!«
Das war in einem so entschiedenen Tone gesprochen, daß der Rothe nun doch meinte:
»Ich werde ihm die Worte Old Death's mittheilen. Vielleicht kommt er doch.«
»So sage ihm aber, daß er allein kommen soll. Zu einer langen Berathung unter Vielen habe ich keine Lust. Nun gehe!«
Der Mann entfernte sich. Wir sahen ihn nach dem Feuer gehen und dort in den Kreis der Krieger treten. Eine geraume Zeit verging, ehe etwas geschah. Endlich sahen wir, daß eine Gestalt sich in der Mitte der Sitzenden erhob, das Lagerfeuer verließ und auf uns zukam. Er trug Adlerfedern auf dem Kopfe.
»Schaut, er hat dem todten »weißen Biber« den Häuptlingsschmuck abgenommen und sich selbst angelegt. Jetzt wird er mit größter Grandezza herbeisteigen.«
Als der Häuptling näher kam, sahen wir, daß er allerdings den linken Arm in einem Riemen trug. Der Ort, an welchem wir uns befanden, mußte ihm ganz genau beschrieben worden sein, denn er kam grad auf denselben zu und blieb vor uns stehen. Er hatte wohl erwartet, angeredet zu werden, denn er sagte nichts. Old Death aber blieb ruhig liegen und schwieg. Wir Andern verhielten uns natürlich ganz ebenso.
»Mein weißer Bruder ließ mich bitten, zu ihm zu kommen?« fragte der Rothe nun doch.
»Old Death hat nicht nöthig, zu einer Bitte nieder zu steigen. Du wolltest mit mir sprechen. Also Du bist es, welcher zu bitten hat, wenn überhaupt von einer Bitte die Rede sein kann. Jetzt aber werde ich Dich sehr höflich ersuchen, mir Deinen Namen zu sagen. Ich kenne ihn noch nicht.«
»Er ist bekannt über die ganze Prairie. Ich werde der »flinke Hirsch« genannt.«
»Ich bin auf allen Prairien gewesen, habe aber trotzdem diesen Namen nicht gehört. Du mußt sehr heimlich damit umgegangen sein. Nun aber, da ich ihn gehört habe, erlaube ich Dir, Dich zu uns zu setzen.«
Der Häuptling trat einen Schritt zurück. Erlauben wollte er sich nichts lassen; aber er fühlte sehr wohl, daß die Umstände ihn zwangen, nachzugeben. Darum ließ er sich langsam und gravitätisch Old Death gegenüber nieder, und nun erst richteten wir uns in sitzende Stellung auf. Erwartete der Comanche, daß der Scout das Gespräch beginnen werde, so hatte er sich geirrt. Letzterer behielt seine angenommene Gleichgiltigkeit bei, und der Rothe mußte anfangen:
»Die Krieger der Comanchen wollen eine große Berathung abhalten, und die Bleichgesichter sollen an derselben Theil nehmen, damit wir ihren Rath hören.«
»Das ist überflüssig. Ihr habt meinen Rath schon oft gehört und doch nie befolgt. Ich aber bin gewohnt, daß meine Worte Beachtung finden, und so werde ich von jetzt an meine Gedanken für mich behalten!«
»Will mein Bruder wohl bedenken, daß wir seiner Erfahrung bedürfen!«
»Ah, endlich! Haben die Apachen Euch belehrt, daß Old Death doch klüger war, als alle fünfhundert Comanchen? Wie ist Euer Angriff ausgefallen?«
»Wir konnten nicht durch den Ausgang, denn er war mit Steinen, Sträuchern und Bäumen versperrt.«
»Dachte es mir! Die Apachen haben die Bäume mit ihren Tomahawks gefällt, und Ihr hörtet es nicht, weil Ihr Eure Todten zu laut beklagtet. Warum habt Ihr das Feuer nicht verlöscht? Seht Ihr denn nicht ein, daß Ihr Euch dadurch in großen Schaden bringt?«
»Die Krieger der Comanchen mußten thun, was berathen worden war. Jetzt wird man etwas Klügeres beschließen. Du wirst doch mit uns sprechen?«
»Aber ich bin überzeugt, daß Ihr meinen Rath abermals nicht befolgen werdet.«
»Wir befolgen ihn.«
»Wenn Du mir das versprichst, so bin ich bereit, ihn Euch zu geben.«
»So komme mit mir zum Feuer!«
»Ich danke! Dorthin komme ich nicht. Es ist eine große Unvorsichtigkeit, ein Feuer zu unterhalten, denn da können die Apachen sehen, was bei Euch geschieht. Auch habe ich keine Lust, mich mit Deinen Rothen herum zu streiten. Ich werde sagen, was ich denke, und Du kannst thun, was Dir beliebt.«
»So sage es!«
»Die Apachen befinden sich nicht nur an den beiden Ausgängen des Thales, sondern sie sind im Thale selbst. Sie haben sich da vorn fest gesetzt und die Ausgänge verbarrikadirt. So können sie sich nach links und rechts wenden, ganz wie es ihnen nöthig erscheint. Sie zu vertreiben, ist unmöglich.«
»Wir sind ihnen ja weit überlegen.«
»Wie viele Krieger habt Ihr bereits eingebüßt?«
»Der große Geist hat viele von uns zu sich gefordert. Es sind schon über zehnmal zehn. Und auch Pferde sind zu Grunde gegangen.«
»So dürft Ihr in dieser Nacht nichts mehr unternehmen, weil es Euch grad so ergehen würde, wie das letzte Mal. Und am Tage werden die Apachen sich so aufstellen, daß sie Euch mit ihren Waffen, Ihr aber nicht sie mit den eurigen erreichen könnt. Dann werden auch die Schaaren eintreffen, nach denen Winnetou gesandt hat, und es sind nachher mehr Apachen als Comanchen vorhanden. Ihr seid dem Tode geweiht.«
»Ist das wirklich die Meinung meines Bruders? Wir werden seinen Rath befolgen, wenn er uns zu retten vermag.«
»Da Du von Rettung sprichst, so hast Du hoffentlich eingesehen, daß ich Recht hatte, als ich dieses Thal eine Falle nannte. Wenn ich über die Sache nachdenke, so finde ich zwei Wege, auf denen die Rettung versucht werden könnte, aber auch nur versucht, denn ob sie wirklich gelingen wird, das kann ich nicht wissen. Der erste ist, daß Ihr versucht, ob es möglich ist, an den Felsen empor zu klettern. Aber Ihr müßtet dafür den Anbruch des Tages abwarten; die Apachen würden Euch somit sehen und sich jenseits des Thales auf Euch werfen. Dort sind sie Euch überlegen, weil Ihr Eure Pferde nicht mitnehmen könnt. Es gibt also nur noch ein Mittel, Euch zu retten. Tretet in Unterhandlung mit den Apachen!«
»Das thun wir nicht!« brauste der Häuptling auf. »Die Apachen würden unsern Tod verlangen.«
»Das verdenke ich ihnen auch nicht, weil Ihr ihnen Grund dazu gegeben habt. Ihr habt mitten im Frieden ihre Dörfer ueberfallen, ihre Habe geraubt, ihre Weiber und Töchter fortgeführt und ihre Krieger getödtet oder zu Tode gemartert. Ihr habt dann ihren Abgesandten das Wort gebrochen und sie ermordet. So schändliche Thaten schreien um Rache, und es ist darum gar kein Wunder, daß Ihr keine Gnade von den Apachen zu erwarten habt. Du siehst das selbst ein und gibst damit zu, daß Ihr ganz unverantwortlich an ihnen gesündigt habt.«
Das war höchst aufrichtig gesprochen, so aufrichtig, daß der Häuptling für eine ganze Weile verstummte.
»Uff!« stieß er dann hervor. »Das sagst Du mir, mir, dem Häuptling der Comanchen!«
»Ich würde es Dir sagen, auch wenn Du der große Geist selber wärest. Es war eine Schändlichkeit von Euch, in dieser Weise an den Apachen zu handeln, welche Euch nichts zugefügt hatten. Was thaten Euch ihre Gesandten, daß Ihr sie tödtetet? Was thaten sie Euch wieder, daß Ihr den jetzigen Kriegszug unternehmt, um Tod, Verderben und Schande über sie zu bringen? Antworte mir!«
Der Indianer stieß erst nach längerer Zeit grimmig hervor:
»Sie sind unsere Feinde.«
»Nein. Sie lebten im Frieden mit Euch, und kein Abgesandter von Euch hat ihnen die Botschaft gebracht, daß Ihr das Kriegsbeil gegen sie ausgegraben habt. Ihr seid Euch Eurer Schuld sehr wohl bewußt. Darum hegst Du die Ueberzeugung, daß Ihr keine Gnade zu erwarten habt. Und doch wäre es möglich, einen leidlichen Frieden mit ihnen zu schließen. Es ist ein Glück für Euch, daß Winnetou ihr Anführer ist, denn er trachtet nicht nach Blut. Er ist der einzige Häuptling der Apachen, welcher sich vielleicht zur Milde gegen Euch entschließen könnte. Sendet einen Mann an ihn, um eine Unterhandlung herbeizuführen. Ich selbst will mich sogar bereit finden lassen, zu gehen, um ihn nachgiebig für Euch zu stimmen.«
»Die Comanchen werden lieber sterben, als die Apachen um Gnade bitten.«
»Nun, das ist Eure Sache. Ich habe Dir jetzt meinen Rath erteilt. Ob Du ihn befolgest oder nicht, das ist mir außerordentlich gleichgiltig.«
»Weiß mein Bruder keine andere Hilfe? Er redet zu Gunsten der Apachen; also ist er ein Freund derselben.«
»Ich bin allen rothen Männern wohlgesinnt, so lange sie mich nicht feindselig behandeln. Die Apachen haben mir nicht das geringste Leid getan. Warum soll ich ihr Feind sein? Aber Ihr habt uns feindselig behandeln wollen. Du wolltest uns gefangen nehmen. Nun wäge ab, wer größeres Anrecht auf unsere Freundschaft hat, Ihr oder sie!«
»Du trägst mein Calummet und meinen Medizinbeutel, also ist das, was Du sagst, grad so, als ob es meine Worte seien. Darum darf ich Dir nicht die Antwort geben, welche ich Dir geben möchte. Dein Rath taugt nichts. Du hast damit die Absicht, uns in die Hände der Apachen zu bringen. Wir werden nun selbst wissen, was wir zu thun haben.«
»Nun, wenn Ihr das wißt, warum willst Du dann meinen Rath haben? Wir sind fertig und haben nichts mehr zu besprechen.«
»Ja, wir sind fertig,« stimmte der Comanche bei. »Aber bedenke wohl, daß Du trotz des Schutzes, unter welchem Du jetzt noch stehst, unser Feind bist. Du darfst mein Calummet und meine Medizin nicht behalten. Du wirst sie hergeben müssen, ehe wir diesen Ort verlassen, und dann wird Alles über Dich kommen, was Du veranlasset hast.«
»Well! Ich bin einverstanden. Was über mich kommen soll, erwarte ich mit großer Ruhe. Du hast Old Death gedroht, sogar mit dem Tode am Marter-Pfahle. Ich wiederhole, daß wir mit einander fertig sind, und Du kannst gehen.«
»Uff!« stieß der Häuptling wild hervor. Dann wendete er sich ab und kehrte gemessenen Schrittes nach dem Feuer zurück. Wir konnten seine Gestalt nicht mit unsern Blicken verfolgen, denn unsere Aufmerksamkeit wurde auf einer andern Seite in Anspruch genommen, auf einer Seite, von woher wir es gar nicht gedacht hatten. Kaum hatte sich nämlich der Comanche von uns entfernt, so raschelte es hinter uns, und eine dunkle Gestalt erhob sich, welche da zwischen uns und der Felswand gelegen hatte. Im Nu war Old Death auf den Beinen und wir mit ihm.
»Meine Brüder mögen still sein,« sagte die Gestalt. »Ich bin ein Freund der Bleichgesichter.«
»Wer bist Du?« fragte Old Death.
»Erkennst Du den nicht, dem Ihr vorhin das Leben schenktet, obgleich er sich in Eurer Gewalt befand?«
»Winnetou?« fragte der Alte erstaunt. »Alle Teufel! Nur Winnetou könnte es fertig bringen, sich hinter Old Death zu schleichen, ohne von ihm bemerkt zu werden. Das ist ein Meisterstück, welches ich mir nicht fertig zu bringen getraue.«
»Winnetou hat gelernt, wie die Schlange zu kriechen, welche selbst vom leisesten Ohre nicht gehört wird.«
»Aber Du begibst Dich ja in eine ganz außerordentliche Gefahr! Du hast Dich durch die Posten und dann noch bis hierher schleichen müssen und mußt auch wieder zurück.«
»Nein, das habe ich nicht. Die Bleichgesichter sind meine Freunde, und ich kann ihnen mein Vertrauen schenken. Dieses Thal liegt im Gebiete der Apachen, und Winnetou hat es zu einer Falle eingerichtet für Feinde, welche etwa bei uns eindringen wollen. Diese Felswände sind nicht so unwegbar wie es scheint. Die Apachen haben einen schmalen Pfad angelegt, welcher in der Höhe mehrerer Männer rund um das Thal läuft. Durch einen Lasso kommt man leicht hinauf und wieder herab. Die Comanchen sind durch meine Kundschafter in diese Falle gelockt worden und sollen darin untergehen.«
»Ist ihr Tod denn wirklich beschlossen?«
»Ja. Winnetou hat Dein Gespräch mit dem Häuptling gehört und aus demselben ersehen, daß Du Dich zur Seite der Apachen neigest. Du hast gesagt, was die Comanchen an uns verbrochen haben, und gibst es zu, daß wir diesen vielfältigen Mord zu rächen haben.«
»Aber müssen deßwegen Ströme Blutes fließen?«
»Du hast selbst gehört, daß die Comanchen weder ihre Sünde bekennen, noch das thun wollen, was Du ihnen riethest und was die Klugheit ihnen gebietet. So mag nun ihr Blut über sie selbst kommen. Die Apachen werden ein Beispiel geben, wie sie den Verrath zu bestrafen wissen. Das müssen sie thun, um vor Wiederholungen sicher zu sein.«
»Es ist grauenhaft! Doch fühle ich keinen Beruf, meinen Rath abermals vor Ohren hören zu lassen, welche desselben gar nicht zu bedürfen vermeinen.«
»Du würdest abermals nicht gehört. Ich vernahm aus Deinen Worten, daß Du die Heiligthümer des Häuptlings besitzest. Wie bist Du zu ihnen gekommen?«
Old Death erzählte es. Als er geendet hatte, sagte Winnetou:
»Da Du ihm versprochen hast, sie ihm wiederzugeben, so mußt Du Dein Wort halten. Du wirst sie ihm gleich jetzt geben und zu uns kommen. Ihr werdet als Freunde bei uns aufgenommen werden. Winnetou wurde während seines Lebens zum ersten Male besiegt; sein Leben und sein Scalp gehörten diesem jungen Manne, der ihm weder das eine, noch den anderen genommen hat. Ihr könnt von dem Häuptlinge der Apachen Alles verlangen, was er vermag. Er wird es Euch geben.«
»Gleich jetzt sollen wir zu Euch kommen?«
»Ja. Winnetou hat sich aufgemacht, um Euch das zu sagen und Euch zu seinen Apachen zu holen. In drei Stunden werden über sechshundert Krieger der Apachen hier ankommen. Viele von ihnen haben Gewehre. Ihre Kugeln streichen über das Thal weg, und Euer Leben ist nicht mehr sicher.«
»Aber wie sollen wir es anfangen, zu Euch zu kommen?«
»Das fragt Old Death?«
»Hm, ja! Wir setzen uns auf die Pferde und reiten zum Lagerfeuer. Dort gebe ich dem Häuptlinge seine Heiligthümer zurück, und dann sprengen wir fort, den Apachen entgegen. Die im Wege stehenden Posten reiten wir nieder. Wie aber kommen wir über die Barrikaden hinweg?«
»Sehr leicht. Wartet nur, wenn ich hier fort bin, noch zehn Minuten, bevor Ihr aufbrecht. Dann werde ich rechts, am Ausgange des Thales stehen und Euch empfangen.«
Er huschte davon. Wir standen da und sahen uns trotz der Dunkelheit erstaunt in die Gesichter.
»Na, was sagt Ihr nun?« fragte Old Death.
»Ein außerordentlicher Mann!« antwortete Lange.
»Darüber gibt es gar keinen Zweifel. Wäre dieser Mann ein Weißer, ein Soldat, er könnte es bis zum Feldherrn bringen. Und wehe den Weißen, wenn es ihm in den Sinn käme, die Rothen um sich zu versammeln, um ihre angestammten Rechte zu verfechten. Er aber liebt den Frieden und weiß, daß die Rothen trotz allen Sträubens dem Untergange gewidmet sind, und verschließt die fürchterliche Last dieser Ueberzeugung still in seiner Brust. Na, setzen wir uns also auf zehn Minuten wieder nieder.«
Es blieb so ruhig im Thale, wie es in der letzten halben Stunde gewesen war. Die Comanchen beriethen noch. Nach zehn Minuten stand Old Death wieder auf und stieg in den Sattel.
»Macht genau das nach, was ich thue!« sagte er.
Langsamen Schrittes ritten wir bis zum Lagerplatze. Der Kreis der Comanchen öffnete sich, und wir ritten in denselben hinein. Wären die Gesichter nicht bemalt gewesen, so hätten wir gewiß das größte Erstaunen in denselben bemerken können.
»Was wollt Ihr hier?« fragte der Häuptling, indem er aufsprang. »Weßhalb kommt Ihr zu Pferde?«
»Wir kommen als Reiter, um den tapfern und klugen Kriegern der Comanchen eine Ehre zu erweisen. Nun, was werdet Ihr also thun?«
»Die Berathung ist noch nicht zu Ende. Aber steigt ab! Ihr seid unsere Feinde, und wir dürfen nicht zugeben, daß Ihr zu Pferde seid. Oder kommst Du vielleicht, mir meine Heiligthümer zurück zu bringen?«
»Wäre das nicht sehr unklug von mir gehandelt? Du hast ja gesagt, daß von dem Augenblicke an, an welchem Du Dein Eigenthum zurück hast, Feindschaft zwischen Euch und uns sein solle, bis wir am Marterpfahle sterben.«
»So wird es sein. Ich habe es gesagt, und ich halte Wort. Der Zorn der Comanchen wird Euch vernichten!«
»Wir fürchten uns so wenig vor diesem Zorne, daß ich die Feindschaft gleich jetzt beginnen lasse. Da hast Du Deine Sachen! Und nun seht, was Ihr uns thun könnt!«
Er riß die beiden Gegenstände vorn Halse und schleuderte sie weit von sich. Zugleich spornte er sein Pferd an, daß es in einem weiten Bogen über das Feuer wegsetzte und drüben eine Bresche in die Reihen der Comanchen riß. Sam, der Neger, war der erste hinter ihm. Er ritt den Häuptling nieder. Wir andern drei folgten augenblicklich. Zehn oder fünfzehn Comanchen wurden umgeritten, dazu einer der draußen dem voranstürmenden Old Death im Wege stehenden Posten; dann flogen wir über die ebene Grasfläche hin, verfolgt von einem unbeschreiblichen Wuthgeheul unserer bisherigen so unzuverlässigen Freunde.
»Uff!« rief uns eine Stimme entgegen. »Anhalten! Da steht Winnetou!«
Wir parirten die Pferde. Vor uns stand eine Anzahl Apachen, welche unsere Thiere an den Zügeln nahmen, als wir abgestiegen waren. Winnetou geleitete uns nach der Enge, welche aus dem Thale führte. Dort war bereits Platz gemacht worden, so daß wir und auch die Pferde einzeln passiren konnten.
Als wir die Barrikade hinter uns hatten, wurde der Ausgang breiter, und bald sahen wir einen hellen Schein. Die Enge öffnete sich, und nun erblickten wir ein schwach brennendes Feuer, an welchem zwei Rothe bei einem improvisirten Bratspieße hockten. Sie entfernten sich ehrerbietig, als wir uns näherten. Auch die andern Apachen zogen sich zurück, als sie unsere Pferde angepflockt hatten. In einiger Entfernung weidete eine ganze Schaar von Pferden, bei denen Wächter standen. Das hatte fast einen militärischen Anstrich. Die Bewegungen der Apachen waren so exact und sicher, fast wie einexerzirt gewesen.
»Meine Brüder mögen sich an das Feuer setzen,« sagte Winnetou. »Ich habe ein Stück Lende des Büffels braten lassen. Sie können davon essen, bis ich wiederkehre.«
»Bleibst Du lange fort?« fragte Old Death.
»Nein. Ich muß in das Thal zurück. Die Comanchen könnten sich von dem Zorne über Euch haben fortreißen lassen, sich meinen Kriegern zu nähern. Da werde ich ihnen einige Kugeln geben.«
Er entfernte sich. In Matagorda hatte er das schönste Englisch gesprochen. An diesem Platze bediente er sich des hier gebräuchlichen Indianermischmasch. Er schien bei seiner Anwesenheit im Lande der Seinigen die Spuren der Kultur abzustreifen.
Old Death ließ sich behaglich am Feuer nieder, zog das Messer und untersuchte den Braten. Er war ausgezeichnet. Der Alte und ich hatten überhaupt noch nicht gegessen, und auch von den Andern war das Pferdefleisch der Comanchen nur gekostet worden. Das große Stück Lende schrumpfte sehr schnell zusammen. Da kehrte Winnetou zurück; er ließ sich von mir das Totem zeigen und vervollkommnete es durch einige Schnitte. Er schwor mir, weil ich ihn nicht getödtet, ewige Freundschaft.
Dann fragte er: »Aber warum haben sich meine Brüder so feindselig gegen die Weißen verhalten, welche sich bei den Comanchen befanden?«
»Gegen sie im Allgemeinen hatten wir keine Feindschaft. Nur einen von ihnen suchten wir, welcher ein großer Bösewicht ist und den ich schon seit langer Zeit verfolge, ohne ihn ergreifen zu können.«
»Welcher war es? Wurde er mit getödtet, oder ist er entkommen?«
»Er entkam, denn wir fanden ihn nicht bei den Todten.«
»Die Weißen kamen zu mir. Sie alle haben mir ihre Namen genannt.«
»Er hat mehrere Namen, denn er ist ein Verbrecher, der sich hinter verschiedene Namen verstecken muß. Er nennt sich Gibson, Clinton und auch Gavilano.«
»Gavilano? Ja, er war dabei.«
»Wo befinden sich die Weißen, denen es gelang, zu entkommen?« fragte ich.
»Sie sind fort.«
»Fort?« rief der Alte erschrocken. »Auch dieser Gavilano mit?«
»Ja.«
»Und ein junger Mann, welcher ein sehr trauriges Gesicht machte?«
»Sein Geist war krank. Auch er ist fort.«
»Tausend Teufel! So ist er uns abermals entkommen! Wir müssen ihnen sofort nach!«
In seinem Eifer sprang der Alte auf. Winnetou aber sagte:
»Mein Bruder mag sich wieder niedersetzen. Die Bedachtsamkeit ist oft schneller als die größte Eile.«
»Das ist richtig,« stimmte der Scout bei. »Aber wie kommt Winnetou dazu, diese Leute so schnell zu entlassen, noch während der Nacht?«
»Sie hatten Eile. Sie hatten mit den Comanchen einen großen Umweg zu machen. Sie wollten nach Chihuahua zu den Kriegern von Juarez. Winnetou liebt Juarez; darum unterstützte er sie, schnell fort zu kommen.«
»Aber Gavilano hat mit Juarez ganz und gar nichts zu thun!«
»Das erfuhr ich auch. Aber Gavilano sagte, er habe einen armen Freund nach Chihuahua in das Haus zu bringen, in welchem kranke Seelen wieder gesund gemacht werden. Der junge Weiße sei bei den Comanchen viel kränker geworden, und wenn man sich nicht beeile, so werde er gar nicht mehr zu heilen sein. Ich gab Allen frische Pferde und Proviant. Auch gab ich ihnen zwei Führer mit, welche den Weg über die Mapimi nach Chihuahua genau kennen.«
»Das ist ein Schlag für uns. Frische Pferde, Proviant und geschickte Führer! Hat Winnetou vielleicht mit ihnen die Pfeife des Friedens geraucht?«
»Nein, Winnetou ist nicht so leichtsinnig, wie die Häuptlinge der Comanchen. Er prüft sehr streng, bevor er sein Calummet an die Lippen eines Andern gibt.«
»So ist noch immer Glück beim Unglück. Ich hoffe, daß Du auch uns unterstützest, damit es uns vielleicht gelinge, die Schelme einzuholen.«
»Das kann ich Dir erst dann versprechen, wenn ich weiß, wessen Ihr diesen Gavilano anklagt.«
»Du sollst es sofort erfahren.«
Er erzählte ihm, was zu erzählen war. Als er geendet hatte, sagte Winnetou:
»Mein Herz hat keine Freude darüber, daß Ihr mich so schnell verlassen wollt. Aber Ihr müßt es thun, und so darf ich Euch nicht zurückhalten.«
»Ja, wir brechen sofort auf.«
»Warte! Old Death hat viele Jahre erlebt, aber er ist noch leicht von Blut wie ein Jüngling. Was Ihr braucht, das kann ich Euch nicht jetzt geben, sondern erst dann, wenn die erwarteten Krieger angekommen sind.«
»Das dauert nach dem, was Du vorhin sagtest, noch zwei Stunden! Das ist allzu lang.«
»Nein. Ihr sollt diesen Verzug wieder einholen. Ich gebe Euch mehrere meiner Leute mit, welche Euch auf einem andern Weg begleiten werden, wo Ihr die Weißen einholt, bis nach Chihuahua, noch weiter, so lange Ihr ihrer Hilfe bedürft.«
»Dafür sind wir Dir sehr dankbar. Ich bin zwar auch eine Strecke nach der Mapimi hinauf gekommen, aber so weit hinein und hinüber denn doch nicht.«
»Eure Pferde taugen nicht für diesen Ritt, weil sie die Ebene gewöhnt sind. Ich werde Euch an ihrer Stelle andere geben, welche in der Mapimi geboren und geritten worden sind. Wenn nicht etwas ganz Unvorhergesehenes geschieht, so habt Ihr am Mittag des zweiten Tages die Weißen eingeholt.«
Da kam ein Apache aus dem Thale gelaufen und meldete:
»Die Hunde der Comanchen haben das Feuer verlöscht und sind vom Lagerplatze fort. Sie haben einen Angriff vor.«
»Sie werden wieder abgewiesen werden, wie vorher,« antwortete Winnetou. »Wenn meine weißen Brüder mitkommen, werde ich sie dahin stellen, von wo aus sie Alles hören können.«
Wir standen natürlich sofort auf. Er führte uns in die Enge zurück, fast bis an die Barrikade. Dort gab er ein am Felsen niederhängendes Lasso in Old Death's Hand und sagte:
»Turnt Euch an dem Riemen empor, zweimal so hoch, wie ein Mann ist. Dort werdet Ihr Sträucher finden und hinter ihnen den Weg, von welchem ich Euch gesagt habe. Ich kann nicht mit hinauf, sondern muß zu meinen Kriegern.«
Er nahm etwas da am Felsen Lehnendes mit sich. Es war seine Büchse.
»Hm!« brummte der Scout. »An so einem dünnen Lasso zwölf Fuß empor zu kriechen! Ich bin doch keine Affe, der gelernt hat, zwischen Lianen herum zu klettern. Wollen es versuchen.«
Es gelang ihm doch. Ich folgte ihm, und auch die Anderen kamen nach, freilich nur mit Schwierigkeit. Der Felsen trug da einen Baum, um dessen Stamm der Lasso geschlungen war. Daneben standen Sträucher, welche den Steig verdeckten, Da es so dunkel war, daß wir uns anstatt der Augen des Gefühles oder vielmehr des Tastsinnes bedienen mußten, tappten wir uns mit Hilfe der Hände eine kleine Strecke fort, bis Old Death stehen blieb. An den Felsen gelehnt, warteten wir nun, was kommen werde. Mir schien es, als ob die Stille des Todes auf dem Thale liege. So sehr ich mein Ohr anstrengte, ich konnte nichts hören, als ein leises Schnüffeln, welches aus der Nase Old Death’s kam. Daß der Alte weit mehr bemerkte als ich, der ich eben weder etwas sah, noch etwas hörte oder roch, das bewies er, indem er mir zuflüsterte:
»Dumme Kerle, die Comanchen! Meint Ihr nicht, Sir?«
Ich wußte nicht, weßhalb er sie so nannte.
»Na, ist das eine Frage! Riecht Ihr nichts?«
»Nein.«
»Da drüben rechts riecht es nach Pferden, nach Pferden, welche sich bewegen. Das ist nämlich etwas ganz Anderes, als Pferde, welche unbeweglich stehen. Ueber stillstehenden Pferden liegt der Geruch dick und unbeweglich; man kann die Nase, so zu sagen, hineinstoßen. Sobald aber die Pferde sich bewegen, kommt auch er in Bewegung, wird feiner und flüssiger und leicht davongetragen. So unglaublich es klingen mag, der Westmann merkt aus der Dichtheit oder Dünne dieses Geruches, ob er stehende oder laufende Pferde vor sich hat. Natürlich ruhige Luft vorausgesetzt. Jetzt kommen nun von da rechts solche leichte Pferdelüftchen herüber, und meinen alten Ohren war es auch, als ob sie das Stolpern eines Pferdehufes vernommen hätten, leicht und dumpf wie auf Grasboden. Ich calculire, daß die Comanchen jetzt sich leise nach dem Eingange hinziehen, um da durchzubrechen.«
Da hörten wir eine helle Stimme rufen:
»Ntsa-ho!«
Dieses Wort bedeutet »Jetzt«. Im Augenblicke darauf krachten zwei Schüsse – Winnetou's Silberbüchse. Revolverschüsse folgten. Ein unbeschreibliches Geheul erscholl zu uns herauf. Wilde Indianerrufe schrillten über das Thal; Tomahawks klirrten. Der Kampf war ausgebrochen.
Er währte nicht lange. Durch das Schnauben und Wiehern der Pferde und das Wuthgeschrei der Comanchen brach sich das siegreiche »Iwiwiwiwiwi« der Apachen Bahn. Wir hörten, daß die ersteren sich in wilder Flucht zurückzogen. Ihre Schritte und das Stampfen ihrer Pferde entfernten sich nach der Mitte des Thales hin.
»Habe ich es nicht gesagt!« meinte Old Death. »Eigentlich hätte man mit losschlagen sollen. Die Apachen halten sich wundervoll. Sie schießen ihre Pfeile und stechen mit ihren Lanzen aus sicheren Verstecken hervor. Die Comanchen sind dicht gedrängt, sodaß jeder Pfeil, jeder Speer, jede Kugel Winnetou's treffen muß. Und nun, da die Feinde sich zurückziehen, sind die Apachen klug genug, ihnen nicht zu folgen. Sie bleiben in ihrer Deckung, denn sie wissen, daß die Comanchen ihnen nicht entgehen können. Warum also sich in das Thal wagen!«
Auch in der Beziehung befolgten die Comanchen jetzt Old Death's Rath, daß sie sich nach dem Mißerfolge ruhig verhielten. Ihr Geheul war verstummt, und da das Feuer nicht mehr brannte, ließen sie ihre Gegner über ihre Bewegungen im Unklaren. Wir warteten noch eine Weile. Es wollte sich nichts Neues begeben. Da hörten wir unter uns Winnetou's gedämpfte Stimme:
»Meine weißen Brüder können wieder herabkommen. Der Kampf ist vorüber und wird auch nicht wieder losbrechen.«
Wir kehrten zu dem Lasso zurück und ließen uns an demselben hinab. Unten stand der Häuptling, mit dem wir uns wieder hinaus zu dem Feuer begaben.
»Die Comanchen versuchten es jetzt auf der andern Seite,« sagte er. »Es ist ihnen ebensowenig geglückt. Sie werden von Neuem bewacht und können nichts unternehmen, ohne daß Winnetou es erfährt. Die Apachen sind ihnen gefolgt und liegen in einer langen Linie, welche von einer Seite des Thales bis zur andern reicht, im Grase, um Alles scharf zu beobachten.«
Während er das sagte, hielt er den Kopf nach der rechten Seite geneigt, als ob er auf etwas horche. Dann sprang er auf, so daß das Feuer seine Gestalt hell beleuchtete.
»Warum thust Du das?« fragte ich ihn.
Er deutete hinaus in die finstre Nacht und antwortete:
»Winnetou hat gehört, daß dort ein Pferd auf steinigtem Weg strauchelte. Es kommt ein Reiter, einer meiner Krieger. Er wird absteigen wollen, um zu untersuchen, wer hier am Feuer sitzt. Darum bin ich aufgestanden, damit er bereits von Weitem erkennen möge, daß Winnetou sich hier befindet.«
Sein feines Gehör, welches mich geradezu in Erstaunen versetzte, hatte ihn nicht getäuscht. Es kam ein Reiter im Trabe herbei, hielt bei uns sein Pferd an und stieg ab. Der Häuptling empfing ihn mit einem nicht sehr freundlichen Blick. Er tadelte ihn wegen des von dem Pferde gemachten Geräusches.
Der Gescholtene stand in aufrechter und doch ehrerbietiger Haltung da, ein freier Indianer, der aber gern die größere Begabung seines Anführers anerkennt.
»Sie kommen,« antwortete er.
»Wie viele Pferde?«
»Alle. Es fehlt kein einziger Krieger. Wenn Winnetou ruft, bleibt kein Apache bei den Frauen zurück.«
»Wie weit sind sie noch von hier?«
»Sie kommen mit dem Grauen des Tages an.«
»Gut. Führe Dein Pferd zu den andern, und setze Dich zu den Wachen, um auszuruhen!«
Der Mann gehorchte augenblicklich. Winnetou hielt auf Disciplin und Subordination. Seine Krieger durften, so schien es mir, nur dann zu ihm sprechen, wenn sie von ihm gefragt wurden. Er setzte sich wieder zu uns nieder, und wir mußten ihm von unserm Aufenthalte auf der Hazienda del Caballero und dann auch von dem Ereignisse in La Grange erzählen. Darüber verging die Zeit, und vom Schlafen war natürlich keine Rede. Der Häuptling hörte unsere Erzählung an und warf nur zuweilen eine kurze Bemerkung oder Frage ein. So wich allmählich die Nacht, und die Morgendämmerung begann. Da streckte Winnetou die Hand nach Westen aus und sagte:
»Meine weißen Brüder mögen sehen, wie pünktlich die Krieger der Apachen sind. Dort kommen sie.«
Ich sah nach der angegebenen Richtung, bemerkte aber nichts. Der Nebel lag wie ein grauer, wellenloser See im Westen und schob seine undurchsichtigen Massen buchten- und busenartig zwischen die Berge hinein. Ein Geierpaar, außer welchem ich keine Spur eines lebenden Wesen entdecken konnte, schwebte in der Luft. Old Death sah es mir an, daß ich vergeblich nach den angekündigten Apachen ausschaute. Er sagte:
»Seid Ihr abermals ein Greenhorn, Sir? Ich vermuthe, daß Ihr die Rothen nicht seht.«
»Das ist richtig, Master; aber ich frage Euch, ob Ihr sie vielleicht erblickt.«
»Nein, denn sie stecken im dicksten Nebel; aber erstens zeigt uns der Flug der Geier, daß da drüben irgend etwas Lebendiges vorhanden ist, was sich in der Richtung auf uns zu bewegt. Und zweitens theilen die Reiter ihre Bewegungen dem Nebel mit. Wenn Ihr Euch das Nebelmeer genau betrachtet, so werdet Ihr auf der Oberfläche desselben einen schmalen Streifen bemerken, welcher ungefähr eine englische Meile von hier aus beginnt und sich bis hinein zwischen die beiden vor uns liegenden Berge zieht. Das ist die lange Reitlinie der Apachen, von denen nach ihrer bekannten Weise immer einer hinter dem andern reitet. Ihr erseht hieraus, in welcher Gefahr ein Ungeübter hier sehr leicht gerathen kann. Ihr zum Beispiele würdet von den Apachen vollständig überrascht werden, denn der Nebel ist so dicht, daß Ihr sie erst sehen würdet, wenn es zur Flucht zu spät ist. Der Nebelstreif und die Geier sagen mir, daß die Apachen in spätestens fünf Minuten hier sein werden.«
Er hatte Recht. Der Streif verlängerte sich zusehends in der Richtung auf uns, bis er da verschwand, wo die Reiter sich in gleicher Terrainhöhe mit uns befanden. Dann bemerkte ich nach kurzer Zeit jenen Pferdegeruch, von welchem Old Death während der Nacht mit mir gesprochen hatte, und endlich sahen wir einen Reiter aus dem Nebel hervorkommen, hinter ihm die lange, lange Einzelreihe seiner Kameraden.
Als er uns erblickte, hielt er für einen Augenblick an. Dann erkannte er Winnetou und kam in kurzem Trabe auf uns zu. Er war ein Häuptling, denn er trug zwei Adlerfedern im Haarschopfe. Keiner dieser Reiter hatte ein wirkliches Zaumzeug; sie alle führten ihre Pferde am Halfter, und doch war die Lenkung, als sie jetzt im eleganten Galoppe heran kamen, um in fünffacher Reihe Aufstellung zu nehmen, eine so sichere, wie man sie selbst bei einer europäischen Kavallerie nur selten trifft. Die Meisten von ihnen waren mit Gewehren bewaffnet, und nur Wenige trugen Bogen, Lanze und Köcher. Der Anführer sprach eine kurze Weile mit Winnetou, doch konnte ich kein Wort verstehen. Dann gab der letztere einen Wink, und im Nu saßen die Krieger ab. Diejenigen, welche keine Gewehre besaßen, bemächtigten sich der Pferde, um dieselben zu beaufsichtigen. Die Andern schritten in die Enge hinein. Der Lasso, an welchem wir zum Pfade emporgeklettert waren, hing noch dort, und ich sah, daß sich Einer nach dem Andern an demselben hinaufschwang. Das ging Alles so still, geräuschlos und exact vor sich, als ob es lange vorher eingehend besprochen worden sei. Winnetou stand ruhig da, um die Bewegungen der Seinigen mit aufmerksamem Blicke zu verfolgen. Als der letzte von ihnen verschwunden war, wendete er sich zu uns:
»Meine weißen Brüder werden nun erkennen, daß die Söhne der Comanchen verloren sind, wenn ich es so befehle.«
»Wir sind davon überzeugt,« antwortete Old Death. »Aber will Winnetou wirklich das Blut so vieler Menschen vergießen?«
»Haben sie es anders verdient? Was thun die weißen Männer, wenn einer von ihnen gemordet worden ist? Suchen sie nicht nach dem Mörder? Und wenn er gefunden worden ist, so treten ihre Häuptlinge zusammen und halten einen Rath, um das Urteil zu sprechen und ihn tödten zu lassen. Könnt Ihr die Apachen tadeln, wenn sie nichts als nur dasselbe thun?«
»Ihr thut ja nicht dasselbe!«
»Kann mein Bruder das beweisen?«
»Ja. Wir bestrafen den Mörder, indem wir ihn tödten. Du willst aber auch diejenigen erschießen lassen, welche gar nicht dabei waren, als Eure Dörfer überfallen wurden.«
»Sie tragen ganz dieselbe Schuld, denn sie sind damit einverstanden gewesen. Auch waren sie dabei, als die gefangenen Apachen am Marterpfahle sterben mußten. Sie sind nun die Männer unserer Frauen und Töchter und die Besitzer unseres Eigenthums, unserer Pferde, welche uns geraubt wurden.«
»Aber Mörder kannst Du sie nicht nennen!«
»Ich weiß nicht, was Old Death will. Bei seinen Brüdern gibt es außer dem Morde noch andere Thaten, welche mit dem Tode bestraft werden. Die Westmänner schießen jeden Pferdedieb nieder. Wird einem Weißen sein Weib oder seine Tochter geraubt, so tödtet er alle, welche zu dieser That in Beziehung stehen. Da drin im Thale befinden sich die Besitzer unserer geraubten Frauen, Mädchen und Pferde. Sollen wir ihnen dafür etwa das geben, was die Weißen ein Kreuz oder einen Orden nennen?«
»Nein; aber Ihr könnt ihnen verzeihen und Euer Eigenthum zurücknehmen.«
»Pferde nimmt man zurück, aber Frauen nicht. Und verzeihen? Mein Bruder spricht wie ein Christ, welcher stets nur das von uns fordert, dessen gerades Gegentheil er thut! Verzeihen die Christen uns? Haben sie uns überhaupt etwas zu verzeihen? Sie sind zu uns gekommen und haben uns die Erde genommen. Wenn bei Euch einer einen Grenzstein weitersetzt, oder ein Thier des Waldes tödtet, so steckt man ihn in das finstere Gebäude, welches Ihr Zuchthaus nennt. Was aber thut Ihr selbst? Wo sind unsere Prairien und Savannen? Wo sind die Heerden der Pferde, Büffel und anderer Thiere, welche uns gehörten? Ihr seid in großen Schaaren zu uns gekommen, und jeder Knabe brachte ein Gewehr mit, um uns das Fleisch zu rauben, dessen wir zum Leben bedurften. Ein Land nach dem andern entriß man uns ohne alles Recht. Und wenn der rothe Mann sein Eigenthum vertheidigte, so wurde er ein Mörder genannt, und man erschoß ihn und die Seinigen. Du willst, ich soll meinen Feinden verzeihen, denen wir nichts zu Leid gethan haben! Warum verzeiht denn Ihr es uns nicht, Ihr, die Ihr uns Alles zu Leide thut, ohne daß wir Euch Veranlassung dazu gegeben haben? Wenn wir uns wehren, so thun wir unsere Pflicht; dafür aber bestraft Ihr uns mit dem Untergange. Was würdet Ihr sagen, wenn wir zu Euch kämen, um Euch unsere Art und Weise aufzuzwingen? Wollten wir es erzwingen, so wie Ihr es bei uns erzwungen habt, so würdet Ihr uns bis auf den letzten Mann tödten oder uns gar in Eure Irrenhäuser stecken. Warum sollen wir nicht ebenso handeln dürfen? Aber dann heißt es in aller Welt, der rothe Mann sei ein Wilder, mit dem man weder Gnade noch Barmherzigkeit haben dürfe; er werde nie Bildung annehmen und müsse deßhalb verschwinden. Habt Ihr durch Euer Verhalten bewiesen, daß Ihr Bildung besitzet? Ihr zwingt uns, Eure Religion anzunehmen. Zeigt sie uns doch! Die rothen Männer verehren den großen Geist in einer und derselben Weise. Jeder von Euch aber will in anderer Weise selig werden. Ich kenne einen Glauben der Christen, welcher gut war. Diesen lehrten die frommen Patres, welche in unser Land kamen, ohne uns tödten und verdrängen zu wollen. Sie bauten Missionen bei uns und unterrichteten unsere Eltern und Kinder. Sie wandelten in Freundlichkeit umher und lehrten uns Alles, was gut und nützlich für uns war. Das ist nun viel anders geworden. Diese frommen Männer haben mit uns weichen müssen, und wir mußten sie sterben sehen, ohne Ersatz für sie zu erhalten. Dafür kommen jetzt Andersgläubige von hundert Sorten. Sie schmettern uns die Ohren voller Worte, die wir nicht verstehen. Sie nennen sich gegenseitig Lügner und behaupten doch, daß wir ohne sie nicht in die ewigen Jagdgründe gelangen können. Und wenn wir, von ihrem Gezänk ermüdet, uns von ihnen wenden, so schreien sie Ach und Wehe über uns und sagen, sie wollen den Staub von ihren Füßen schütteln und ihre Hände in Unschuld waschen. Dann währt es nicht lange, so rufen sie die Bleichgesichter herbei, welche sich bei uns eindrängten und unsern Pferden die Weide nahmen. Sagen wir dann, daß dies nicht geschehen dürfe, so kommt ein Befehl, daß wir abermals weiter zu ziehen haben. Das ist meine Antwort, welche ich Dir zu geben habe. Sie wird Dir nicht gefallen; aber Du an meiner Stelle würdest noch ganz anders sprechen. Howgh!«
Mit diesem letzteren indianischen Bekräftigungsworte wendete er sich von uns ab und trat um einige Schritte zur Seite, wo er, in die Ferne blickend, stehen blieb. Er war innerlich erregt und wollte das überwinden.
Während er sprach, war sein Blick mehr auf mich als auf Old Death gerichtet gewesen. Es war ganz so, als ob er vorzugsweise zu mir reden wolle. Später erfuhr ich von ihm selbst, daß es seine Absicht gewesen sei, mich über das richtige Verhältniß zwischen Weißen und Rothen aufzuklären. Bald kehrte Winnetou zu uns zurück und sagte zu Old Death:
»Ich habe meinem Bruder eine lange Rede gehalten. Er wird mir Recht geben, denn er ist ein Mann, welcher gerecht und billig denkt. Dennoch will ich ihm gestehen, daß mein Herz nicht nach Blut trachtet. Meine Seele ist milder als meine Worte es waren. Ich glaubte, die Comanchen würden mir einen Unterhändler senden. Da sie es nicht thun, brauchte ich kein Erbarmen mit ihnen zu haben, aber dennoch will ich ihnen einen Mann senden, welcher mit ihnen reden soll.«
»Das freut mich ungemein,« rief Old Death. »Ich hätte diesen Ort in sehr trüber Stimmung verlassen, wenn alle diese Leute ohne einen Versuch, sie zu retten, getödtet worden wären. Ich trage ja auch einen Theil der Schuld, daß sie in Deine Hände gerathen sind.«