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Fortsetzung 24

Es lag Etwas in der Art und Weise des Deutschen, was selbst Napoleon imponirte. Er trat einen Schritt zurück und antwortete:

»Monsieur, Sie sprechen sehr verwegen!«

»Nicht verwegener, als wie ich handelte, als es galt, Ihr Leben zu vertheidigen.«

»Ah!«

Es lag in diesem knirrschend hervorgestoßenen Laute eine ganze Welt von gewaltsam zurückgedrängten Empfindungen. Das war ganz der Corse, der am Liebsten zum Dolche gegriffen hätte.

»Monsieur,« sagte er. »Sie haben mir Ihre That vorgeworfen und vorgerechnet, wir sind also quitt. Sie können gehen.«

»Ich werde gehen, sobald es hier Niemand mehr giebt, der meiner Hilfe bedarf.«

»Ich befehle es Ihnen!« stampfte der Kaiser.

Der Deutsche sah ihn ruhig vom Kopfe bis zu den Füßen an und sagte lächelnd:

»Majestät, haben Sie über dieses Leben zu gebieten? Ist Mademoiselle Richemonte Ihr Weib oder Ihre Braut? Selbst in diesen beiden Fällen dürften Sie es nicht wagen, ihr Leben auf die Schleuder eines unmotivirten Zornes zu legen. Sie sind hier Mensch, und ich bin Arzt; selbst wenn Sie hier Kaiser wären, würde ich als Arzt mehr zu befehlen haben.«

Da warf ihm Napoleon einen vernichtenden Blick zu und sagte:

»Ich werde Sie hinausbringen lassen.«

Da schüttelte Königsau den Kopf so stolz und verächtlich, wie ein Löwe seine Mähne schüttelt. Dann sagte er.

»Und ich werde einen Jeden niederschießen, der es wagt, mich zu entfernen, bevor ich freiwillig gehe.«

»Ah! Auch mich?«

»Jeden ohne Ausnahme.«

Da trat der Kaiser mit zwei Schritten an das Bett, faßte Margots Hand und sagte:

»Margot, sagen Sie ihm, daß er gehen soll.«

Da überflog ein leichtes Lächeln ihre Engelszüge, und leise klang es:

»Er wird nicht gehen; er ist zu stolz!«

Da trat Bertha, die Tochter der Wirthin, zu der Verwundeten, bog sich zu ihr nieder und flüsterte ihr leise zu. Margot nickte. Dann sagte Bertha laut:

»Ich bin im Kloster der Barmherzigen gewesen; ich verstehe es, Wunden zu verbinden, und habe einen Balsam, der alle Wunden sehr schnell heilt.«

Da fragte Frau Richemonte:

»Kind, soll sie Dich verbinden?«

Alle waren gespannt auf die Antwort, welche sie geben würde.

»Wenn es der Herr Capitän erlaubt,« flüsterte sie mit halblauter Stimme.

Da sagte Königsau:

»Mademoiselle weiß, was sie dem Arzte schuldig ist. Ich gehe, da ich glaube, sie befindet sich in guten Händen und unter discreten Augen.«

Er wendete sich um, machte dem Kaiser eine sehr tiefe und sehr zeremonielle Verbeugung und schritt zur Thür hinaus. Es blieb nun Napoleon nichts Anderes übrig, als ihm zu folgen. Draußen sprach er einige Worte mit Jan Hoorn, die Niemand hörte, und dieser trat sodann zu Königsau.

»Majestät läßt Ihnen sagen, Herr Capitän,« sagte er, »daß kein Platz in den drei Wagen mehr vorhanden ist.«

Königsau gab keine Antwort. Er nickte blos.

Napoleon ging seinem Untergange entgegen, und nicht nur seinem politischen und militärischen, das hatte er heute bei diesem außerordentlichen Vorgange bewiesen. Seine eigene Leidenschaft, sein eigener Wille hatte Gesetz sein sollen.

Der Deutsche ging seitwärts am Hause hin. Dort stand Florian, der Kutscher.

»Kommen Sie heimlich mir nach!« sagte er.

Er schritt noch eine Strecke weiter und blieb dann stehen. Bald stand der treue Mann vor ihm.

»Was giebt es?« fragte er.

»Etwas Unglaubliches,« antwortete Hugo.

»Was?«

»Der Kaiser ist in Margot verliebt.«

»Das sieht ein Jeder.«

»Er wollte beim Verbande zugegen sein.«

»Ah! Sind Kaiser auch neugierig!«

»Wie es scheint! Ich wollte es nicht dulden, und so geriethen wir zusammen.«

»Donnerwetter! Ein deutscher Lieutenant und französischer Kaiser! Das wirft kein schlechtes Licht auf unser Vaterland.«

»Ja. Deutschland kann mit mir zufrieden sein.«

»Nachdem Sie ihm das Leben gerettet haben.«

»Pah, der ganz gewöhnliche Dank, beim Kaiser grade so wie beim Feldhüter! Ich hatte übrigens auf ganz und gar nichts gerechnet.«

»Aber nun können Sie rechnen.«

»Gewiß.«

»Auf allerhöchste Ungnade und so weiter.«

»Sie ist bereits eingetroffen.«

»In wiefern?«

»Ich darf nicht weiter mitfahren.«

»Donnerwetter! Ist das möglich?«

»Er hat es mir durch Jan Hoorn sagen lassen.«

»So fahre ich auch nicht weiter mit. Wir finden Jeanette mit den Beinen.«

»Gewiß. Aber ich möchte auch keinen Schritt ohne Vorwissen der Baronin thun. Wollen Sie mir einen kleinen Gefallen erweisen?«

»O, gar zu gern, Monsieur.«

»Der Kaiser wird den Eingang mit Argusaugen bewachen. Schleichen Sie sich einmal hinter dem Hause herum, und versuchen Sie, durch die hintere Thür eintreten zu können. Sie sagen der Baronin oder Madame Richemonte einfach, daß ich nicht weiter mitfahren darf. Man wird Ihnen dann schon einen Auftrag an mich ertheilen.«

»Schön! Das ist Alles?«

»Ja.«

»Sonst wirklich nichts?«

»Nein, lieber Florian.«

»O weh! Ich dachte, ich solle den Kaiser auf Fausthandschuhe fordern. Das wäre mir ein wahres Gaudium gewesen. Ich gehe also. Wo treffe ich Sie?«

»Hier.«

»Gut. Warten Sie.«

Er verschwand im Dunkel der Nacht. Es dauerte eine geraume Zeit, ehe er wieder kam. Endlich hörte Königsau leise Schritte, und die feste Gestalt des Boten tauchte vor ihm auf.

»Nun?« fragte er.

»Getroffen.«

»Wen?«

»Erst Frau Richemonte und dann die Baronin selbst.«

»Was lassen sie mir sagen?«

»Kommen Sie.«

»Wohin?«

»Nach Jeanette.«

»Fällt mir gar nicht ein.«

»Warum nicht?«

»Ich weiche diesem Franzmanne keinen Schritt, wo es sich um Margot handelt.«

»Aber es handelt sich doch gar nicht um sie!«

»Um wen sonst?«

»Sie denken, der Kaiser setzt sich zu ihr in den Wagen?«

»Ja. Lachen Sie nicht, Florian! Ich bin nicht im Geringsten eifersüchtig. Selbst wenn er ganz allein mit ihr im dunklen Fond des Wagens säße, würde sie doch lieber sterben, als sich ungestraft beleidigen lassen; aber ich will ihn nicht meinen lassen, daß sich seine Herrschaft auch über die Bewegungen dieses Mädchens erstreckt.«

»Nun, ich habe Ihnen zu sagen, daß er sich nicht zu ihr in den Wagen setzen wird.«

»Ah, wirklich?«

»Ja.«

»Wie wollen Sie das anfangen?«

»Sie werden Bertha Marmont mitnehmen.«

»Geht das?«

»Warum, nicht? Das Mädchen versteht ganz ausgezeichnet mit Kräutern und Säften umzugehen. Sie werden sie mit nach Jeanette nehmen, wo sie scheinbar als Krankenpflegerin bleiben wird, bis der Kaiser abgereist ist.«

»Gut. Und ich?«

»Sie habe ich zum jungen Herrn Baron zu führen, der Ihnen ein Zimmer anweisen soll, welches ich ihm zu bezeichnen habe.«

»Was ist es für ein Zimmer?«

»Ein Eck-, Erker- und Wendeltreppenzimmer, ein ganz verfluchtes Zimmer, von wo aus man allüberall hinkommen kann.«

»Ah, das ist mir lieb.«

»Mir auch.«

»Warum?«

»Weil ich Sie da sehr leicht besuchen kann. Ueberhaupt scheint die gnädige Frau dieses Zimmer Ihnen nicht ohne alle Absicht gegeben zu haben.«

»Denken Sie?«

»Ja, kommen Sie nur. Laufen wir. Ich kann Ihnen das Alles unterwegs sagen. Wir müssen so bald wie möglich nach Hause kommen, und da wir nicht die Straße zu gehen brauchen, so treffen wir eher ein als die Wagen.«

Er schritt sehr rasch voran und bog dann in einen Seitenweg ein, welcher grad so breit war, daß zwei Personen neben einander gehen konnten.

»Oder fürchten Sie sich, einen Richteweg durch den Wald zu gehen?« lachte er.

»Pah! Ich hätte ja für alle Fälle meine Pistolen.«

»Ja, und Sie hätten ferner auf alle Fälle mich. Dem alten Florian thut kein Mensch Etwas, und wer bei ihm ist, der ist auch mit sicher.«

»Also, wie steht es mit diesem Erker- und Treppenzimmer?«

»Nun, erstens kann ich Sie da besuchen, ohne daß es Jemand bemerkt, denn grad aus dem Stalle geht eine kleine Wendeltreppe da in die Höhe. Zweitens können Sie von da aus Mademoiselle Margot besuchen, so oft Sie wollen und ohne daß Jemand es beobachtet. Und drittens – das ist die Hauptsache.«

»Was?«

»Das ist ja eben die Pfiffigkeit der Frau Baronin.«

»Sie machen mich immer neugieriger.«

»Nun, von Ihrem Zimmer geht die Wendeltreppe hinauf auf das platte Steindach des Hauptgebäudes. Es giebt zwar noch einen zweiten, größeren Zugang da hinauf, aber der ist stets verschlossen, und den Schlüssel dazu soll Ihnen der gnädige Herr auch aushändigen. Sie sehen also, wie gut die gnädige Frau es mit Ihnen meint.«

»Ich gestehe Ihnen offen, daß ich das noch nicht so ganz einsehe.«

»So muß ich Ihnen zu Hilfe kommen, mein lieber Herr Seecapitän.«

»Thun Sie das.«

»Nun, zunächst den Schlüssel zum Hauptzugange, zum platten Dache bekommen Sie nicht zu Ihrem Gebrauche, sondern nur zum Beweise, daß man ein höchst ehrliches Spiel mit Ihnen treibt. Man will Ihnen damit sagen, daß Sie der Einzige sind, der da oben Zutritt hat, und daß Sie sich da oben herumtummeln können, so viel Sie wollen und ohne zu befürchten, beobachtet zu werden.«

»Warum das? Ist die Aussicht da oben gar so prächtig?«

»Ausgezeichnet.«

»Aber warum diese Heimlichkeit dabei?«

»Weil die Aussicht am Besten ist, wenn man sie heimlich genießt.«

»Sprechen Sie deutlicher.«

»Nun, ich muß Ihnen sagen, daß es sehr gut für Sie ist, mich heut getroffen zu haben, denn ich bin fast der einzige Diener, der das Alles kennt. Die Zimmer, welche eine Treppe hoch liegen, haben nämlich in der Mitte des Plafonds Ventilationslöcher, welche alle hinaus auf das platte Dach gehen. Sie sind mit runden Einsätzen verschlossen, welche man vom Dache aus fortnehmen kann, ohne daß es im Zimmer bemerkt wird, so täuschend ist die Malerei der Decke.«

»Hm. ich beginne zu begreifen.«

»Nicht wahr? Sie sind jetzt so eine Art von Diplomat –«

»Das stimmt.«

»Diplomaten wollen hören und sehen.«

»Und zwar viel, möglichst Alles.«

»Und was Andre nicht zu hören und zu sehen bekommen.

Nimmt man nun da oben die Einsätze weg, so kann man nicht nur die betreffenden Räume vollständig bis in die kleinste Ecke überblicken, sondern man kann auch jedes Wort hören, was da gesprochen wird.«

»Auch leise Worte?«

»Ja, die Zimmer sind darnach gebaut. Der Schall läuft an den stumpfen, abgerundeten Ecken in die Höhe bis zu dem Loche.«

»Das ist ja ganz außerordentlich vortheilhaft.«

»Ja. Aber das Allervortheilhafteste werden Sie noch zu hören bekommen.«

»Was wird das sein, lieber Florian?«

»Horchen Sie gut auf. Der Kaiser wird nämlich mit dem Generaladjutanten und den Marschällen da oben einquartiert.«

»Ah!« rief Königsau höchst erfreut.

»Nicht wahr? General Drouet wohnt auch bereits droben. Und nun noch eins, bester Herr Seecapitän aus Berlin. Sie werden nämlich nur von einem einzigen Menschen bedient, und rathen Sie, wer das sein wird.«

»Doch Sie?«

»Natürlich. So, jetzt wissen Sie Alles. Ist Ihnen das genug?«

»O, mehr als genug!«

»Wenn Sie mich haben wollen, sei es nun bei Tag oder bei Nacht, so ziehen Sie an einer Glockenschnur, welche sich in Ihrem Zimmer befindet. Es ertönt keine Glocke, sondern ich erhalte unten im Stalle ein Zeichen, welches kein Anderer versteht. Bemerken Sie nun, was die Baronin meint?«

»Ich hoffe es zu ahnen.«

»Sie will, Sie sollen recht oft auf dem platten Dache spazieren gehen, verstanden? Sie ist eine Deutsche, und der junge Herr liebt Deutschland; damit ist Alles gesagt. Jetzt aber wird der Wald alle und der Weg geht schmal über das Feld. Gehen Sie nun hinter mir, Monsieur.«

Der brave Kutscher lief voran, und Königsau folgte ihm. So gelangten sie an den Meierhof, aber nicht an die Zugangs- sondern an die hintere Seite.

»Können Sie klettern?« fragte Florian.

»Ich hoffe, es Ihnen gleich zu thun.«

»So kommen Sie über diesen Zaun hinweg.«

In zwei Augenblicken waren sie drüben; dann meinte der Kutscher:

»Wir könnten zwar ganz gut durch das Thor gehen; aber ich denke, daß man doch nach Ihnen fragen wird, und da liebe ich es, solche neugierige Leute im Unklaren zu lassen. Kommen Sie mit nach dem Stalle.«

»Ich denke wir gehen zum Baron?«

»Sie werden ihn schon sprechen.«

Sie schritten durch einen breiten Garten, an welchen die hintere Seite des Stalles stieß. Dort gab es ein kleines Thürchen, welches Florian öffnete. Als sie eingetreten waren, befanden sie sich in der Abtheilung, in welcher sich ein großer, hoher Futterkasten befand. Der Kutscher bückte sich und zog einen Riegel aus dem unteren Theile des Kastens. Sofort ließ sich der Letztere bewegen, und es wurde hinter ihm, da, wo er an die Wand gestoßen hatte, eine thürähnliche Oeffnung sichtbar, welche jetzt im Lichte der Stallaterne desto dunkler erschien.

»Das ist die Wendeltreppe,« sagte Florian.

»Und die kennen blos Sie? Aber Sie können leicht überrascht werden!«

»Gar nicht. Dieser Theil des Stalles ist von dem anderen abgeschlossen und steht unter meiner alleinigen Verwaltung. Wenn ich vorn zuschließe, bin ich sicher. Ich bitte Sie, einige Augenblicke zu warten.«

Er schritt nach der vorderen Thür, welche er von Innen öffnete. Als er hinaus auf den Hof getreten war, verschloß er sie von Außen.

Königsau hatte doch einige Minuten zu warten. Als dann der brave Mensch zurückkehrte, befand sich der junge Baron bei ihm. Dieser kam schnell auf ihn zu, streckte ihm beide Hände entgegen und sagte:

»Willkommen, Herr Capitän! Florian hat mir soeben in ganz kurzen Umrissen mitgetheilt, was geschehen ist. Ich habe Ihnen Unendliches zu danken. Leider höre ich, welch außerordentliche Gäste wir bekommen; da giebt es Hals über Kopf Vorbereitungen. Ich werde Sie aber baldigst sprechen, um Ihnen zu danken.«

»Bitte, Herr Baron, keinen Dank!« bat Königsau aufrichtig. »Darf ich Ihnen Ihre Pistolen zur Verfügung stellen. Sie haben mir gute Dienste geleistet.«

»Herr Capitän, diese Waffen nehme ich unmöglich wieder – – –«

»O doch!« fiel der Deutsche ein.

»Nein, auf keinen Fall. Sie haben damit Personen gerettet, welche mir unendlich theuer sind. Ich bitte wirklich dringend, die Pistolen als ein Andenken an den heutigen Tag und als ein Zeichen meiner Ergebenheit zu behalten. Uebrigens habe ich Ihnen diese Schlüssel zu übergeben.«

»Danke,« sagte Königsau einfach, indem er die Pistolen wieder zu sich steckte und die Schlüssel entgegennahm.

»Florian wird Sie in Ihrer Wohnung einweisen. Wird Mama bald kommen?«

»Ich hoffe es,« sagte der Lieutenant, und an sein heutiges Gespräch mit der hübschen Bertha denkend, fügte er hinzu: »Daß Mademoiselle Margot verwundet ist, wissen Sie bereits?«

»Mein Gott, Ja. Florian hat es mir gesagt. Ists gefährlich?«

»Nein, ich befürchte es nicht. Uebrigens wird sie von einer ganz tüchtigen Pflegerin begleitet.«

»Ach, wer wäre das?« fragte der Baron ahnungslos.

»Ein einfaches, aber, wie es mir scheint, recht braves, gutes und auch schönes Mädchen, nämlich die Tochter der Wittwe Marmont, welche im Walde die kleine Schänke besitzt.«

Der Baron wechselte jäh die Farbe.

»Was?« rief er. »Bertha Marmont?«

»Ja, Bertha wurde sie, glaube ich, genannt.«

»Das ist ein Wunder, ein großes, großes Wunder! Wie ist das gekommen?«

»Wir mußten dort einkehren, um einen Verband anzulegen, und da hat sich die junge Dame jedenfalls so brauchbar erwiesen, daß die gnädige Frau es vorgezogen hat, sie nach Jeanette einzuladen.«

»Das ist eine Neuigkeit, welche mich fast mehr als überrascht, welche mich fast verblüfft. Aber ich verschwatze hier meine und Ihre Zeit. Sie kennen die Verhältnisse und werden mir nicht zürnen, wenn ich Sie bitte, Ihnen meine Aufwartung später machen zu dürfen. Adieu, Herr Capitän.«

»Adieu, Herr Baron.«

Was den jungen Mann so verblüffte, war Königsau sehr leicht begreiflich. Es hatte kein anderes Mittel gegeben, den Kaiser von Margot fern zu halten, als ihr diese Pflegerin an die Seite zu geben. Darum allein hatte sie Zutritt zu dem Meierhofe gefunden, aus keinem anderen Grunde.

Florian ließ seinen Herrn zum Stalle hinaus, verschloß hinter demselben die Thür und kehrte dann zu Königsau zurück. Er brannte ein kleines Laternchen an und bat dann den Lieutenant, ihm zu folgen.

Sie traten in die Treppenöffnung. Die Wendelstufen führten steil und eng empor. Oben betrat man einen kleinen Bodenraum, welcher da über dem Stalle lag, wo dieser an das Hauptgebäude stieß.

Aus diesem Bodenraume führte eine Thür in das Letztere.

»Sie haben den Schlüssel,« bemerkte Florian.

Er nahm ihn aus der Hand des Lieutenants und öffnete die Thür. Als sie eintraten, kamen sie in ein mittelgroßes Zimmer, welches zwei Fenster hatte. Gegenüber dem jetzigen Eingange gab es eine Thür.

»So, das ist Ihr Wohnzimmer, Herr Capitän,« sagte Florian.

Der Lieutenant blickte sich um. Ein Sopha, vier Stühle, ein Tisch, ein Schreibtisch, Spiegel mit Toilette, das war das ganze Meublement. Es war kein feines Zimmer, aber es war recht wohnlich und behaglich. Jetzt schob er den breiten Vorhang im Hintergrunde zurück und gewahrte da ein schwellendes Bett. Am Fußende desselben führte eine Wendeltreppe empor.

»Ah, das ist der Weg zum Dache?« fragte er.

»Ja, der andere Schlüssel schließt.«

»Und dort jene Thür?«

»Kommen Sie, Herr Capitän.«

Er öffnete die Thür und ließ ihn eintreten. Es war ein Schlaf- und Ankleidezimmer, jedenfalls einer Dame gehörig, denn es war hier jener feine, nervenprickelnde Parfüm zu bemerken, welcher der stete Begleiter des schönen Geschlechtes zu sein pflegt.

»Wer wohnt hier?« fragte er.

»Wollen Sie nicht rathen?« fragte der Kutscher lächelnd.

»Ah! Ist's möglich? Rathe ich recht?«

»Nun, wie rathen Sie?«

»Margot?«

»Margot, Mademoiselle Margot, ja, sie schläft hier, Und nebenan hat sie den Wohnraum. Sie sehen, Herr Capitän, daß Ihr Zimmer Ihnen nur unter gewissen Voraussetzungen gegeben werden konnte. Es ist kein Zimmer für einen Officier. Sie sind jedenfalls ganz anderen Comfort gewöhnt; aber wenn Sie an die Vortheile denken, welche Ihnen die Wendeltreppe bietet, so werden Sie der Frau Baronin verzeihen, daß sie für dieses Mal Ihren feinen Geschmack so wenig berücksichtigt hat. Und mir bitte ich auch nicht bös zu sein.«

Der alte Kutscher stand da, mit einem Gesichte so treu und gut, so pfiffig und schlau, so selbstbewußt und überlegen, daß Königsau sagte:

»Aber Florian.«

»Was, Herr Capitän?«

»Der Teufel werde in Ihnen klug.«

»Der nun nicht, wenn nur Sie in mir klug werden; das ist die Hauptsache.«

»O, ich beginne wahrhaftig, nun bald gescheidter zu werden! Wer Sie vorher hörte, wer Sie so dummfeig auf dem Bocke sitzen sah und Sie jetzt nun reden hört, der kennt Sie ja gar nicht mehr! Der Hofmeister des feinsten Hauses kann sich ja gar nicht besser ausdrücken als Sie! Und nun das jetzige Gesicht gegen Ihr früheres! Florian, Florian, Sie sind ein ganz verfluchter Schlauberger.«

Da nickte der Alte mit dem Kopfe und antwortete.

»Monsieur, es wird auch häufig gebraucht! Durchschnittlich ist es besser, man wird für dümmer gehalten als man ist. Es schmeichelt zwar der Selbstliebe nicht, aber es bringt reichliche Zinsen. So, nun wollen wir die Thür von Mademoiselle Margot verschließen und einmal nach dem Dache gehen.«

Er riegelte zu und wollte sich dann nach der Wendeltreppe wenden, aber Königsau faßte ihn beim Arme und sagte in bittendem Tone:

»Florian, wollen Sie es mir wohl gestehen?«

»Was?« schmunzelte der Alte.

»Daß ich dieses Zimmer, diese herrliche Nachbarschaft und die unbezahlbaren Chancen da droben auf dem Dache nur Ihnen zu verdanken habe?«

»Nur mir?« sagte der Alte, das erste Wort betonend. »Nein, da rathen Sie falsch, Herr Capitän. Ich will Ihnen die Wahrheit sagen: Ich gelte in diesem Hause Etwas; der alte Kutscher hat oft mehr zu sagen als der junge Herr. Man erfüllt gern meine Wünsche, wenn es nur so ziemlich möglich ist. Ich hatte den Narren an Ihnen gefressen und an unserer Margot noch mehr, Sie sind ein Paar, wie die lieben Engel im Himmel es nicht besser zusammensuchen können, und darum habe ich alter Kerl mich zu Ihrem Beschützer aufgeworfen. Auch die Baronin hat sehr schnell Respect vor Ihnen bekommen. Wie Sie heute unter den Vagabunden aufgeräumt haben, das thut Ihnen so leicht Keiner nach, und noch kühner muß, den Reden der Baronin nach, das gewesen sein, was Sie dann mit dem Kaiser gehabt haben. Sie ist ganz starr und steif vor Angst gewesen; aber ihr Respect ist gewachsen. Sie ist förmlich stolz auf Sie. Zu alledem sind wir gut Deutsch gesinnt, und da wir Ihnen gern dienlich sein wollen, und den Lauschapparat nun einmal besitzen, so bat ich die Gnädige für Sie um dieses Zimmer. Sie willigte auch sofort mit Freuden ein. Das Höchste aber, was sie gethan hat, Ihnen zu Liebe gethan hat nämlich, ist, daß sie die Bertha Marmont mitbringt. Anders war das Ding ja nicht zu machen, sonst hätte sich der Kaiser auf alle Fälle zu Margot in den Wagen gesetzt.«

»Ist sie denn gar so schlimm auf diese Bertha Marmont zu sprechen?«

»Ja, weil der junge Herr seinen Narren an dem Mädchen gegessen hatte. Das ist aber nun wohl vorüber, seit Margot sich hier befindet.«

»Ah, wirklich?«

»Ja, jetzt ist er nämlich bis über den Kopf in Ihre Margot verliebt. Er hat gar keine Ahnung davon, daß Sie ihr Verlobter sind. Er hat eingewilligt, Ihnen dieses Zimmer zu geben, weil er überzeugt ist, daß die Thür stets fest verschlossen bleibt, daß Sie nur auf Politik sinnen und gar nicht an das Mädchen denken.«

»So wird er ein wenig braußen und sich dann lachend darein ergeben. Er ist keine böse, sondern im Gegentheil eine gutmüthige, ziemlich oberflächliche Natur. Sie brauchen also keine Sorge zu haben, wenigstens keine allzu große. Jetzt aber wollen wir auf das Dach steigen, wenn es Ihnen beliebt.«

Sie stiegen an dem Bette vorüber und die Wendeltreppe empor. Sie war oben mit einer gußeisernen Platte verschlossen, welche genau in die Fugen paßte und mit dem Schlüssel zu öffnen war, den Königsau von dem Baron erhalten hatte.

Das Dach war hier eben und mit einer ungefähr vier Fuß hohen, steinernen Balustrade versehen. Als sie oben standen, meinte der Kutscher:

»Nehmen Sie sich in Acht, daß Sie sich an den Erhöhungen, in denen sich die Ventilationslöcher befinden, nicht stoßen. Ich werde sie Ihnen zeigen.«

Er ergriff ihn bei der Hand und führte ihn nun von einem dieser Löcher, welche jetzt allerdings verschlossen waren, zum andern. Er zeigte ihm, wie die Oeffnung derselben zu bewerkstelligen sei und sagte dann:

»Ich kann Ihnen zwar jetzt nicht genau mittheilen, in welche Zimmer die Gäste zu vertheilen sind; aber wenn Sie die Plattform später betreten und durch die Löcher hinabblicken, werden Sie ja selbst sehen, wo sich die Herren befinden. Nur ersuche ich Sie, dabei recht vorsichtig zu verfahren.«

»Wohl weil ich leicht bemerkt werden könnte?«

»Allerdings. Man hat Ihnen hier recht willkommene Chancen geboten. Benutzen Sie dieselben so, daß die geheimen Vorrichtungen unentdeckt bleiben. Jetzt wissen Sie Alles, was ich Ihnen zu sagen habe. Ich gehe und werde Sorge tragen, daß es Ihnen an nichts Nöthigem mangelt.«

Sie stiegen wieder vom Dache herab, worauf Königsau die Treppenöffnung wieder mit der Eisenplatte verschloß. Er blieb, während Florian sich nach seinem Stalle begab, in seinem Zimmer zurück, löschte dann sein Licht aus, um seine Anwesenheit möglichst unbemerkbar zu machen, und öffnete das Fenster.

An demselben postirt, konnte er alle Passanten beobachten.

Er hatte eine ziemliche Weile auf diesem Posten gestanden, als die Wagen ankamen. Es eilten Diener mit Windlichtern herbei, und dabei entwickelte sich auf dem Hofe eine sehr rege Geschäftigkeit, aber die Lichter verbreiteten doch nur einen so ungenügenden Schein, daß die Einzelnheiten dem Beobachter entgingen.

Jetzt warf Königsau sich auf das Bett, um eine Zeit verstreichen zu lassen. Er mußte sich sagen, daß die Belauschung der Angekommenen ihm jetzt noch keinen Nutzen bringen könnte. Erst nachdem eine geraume Weile vergangen war, stieg er wieder auf das Dach hinauf. Er begab sich zu dem Ventilator, welcher der Treppenöffnung am Nächsten lag. Das Loch desselben war, wie bereits erwähnt, mit einer Art Spund verschlossen, den man von oben leicht entfernen konnte.

Er zog denselben vorsichtig heraus und blickte dann durch die Oeffnung hinab. Was er da erblickte, erregte seine vollste Theilnahme.

Er sah das Schlafgemach der Geliebten unter sich. Sie lag bleich und angegriffen auf dem Bette, und ihre Mutter befand sich bei ihr. Ein Militärarzt, welcher zum Hauptquartier des Generals Drouet gehörte und auf dem Schlosse anwesend gewesen war, hatte auf Napoleons speciellen Befehl sich zu der Patientin begeben müssen. Er hatte die Wunde untersucht und kunstgerecht behandelt. Jetzt stand er in Begriff, sich zu entfernen.

»Es ist nicht die mindeste Gefahr vorhanden, Madame,« sagte er in beruhigendem Tone zu Frau Richemonte. »Mademoiselle wird baldigst genesen.«

»Ich danke Ihnen, mein Herr,« antwortete die Angeredete. »Ihre Worte gewähren mir die Beruhigung, deren wir nach der Aufregung dieses Abends so sehr bedürfen.«

»Ja, Ruhe ist das Beste, was ich Ihnen für Mademoiselle empfehlen kann. Meiden Sie jede Aufregung. Die Verletzung ist keineswegs eine schlimme; aber bei einer Dame hat das Wundfieber immer mehr zu bedeuten als bei einem Manne.«

Er ging, und nun nahm die Mutter die Hand ihrer Tochter in die ihrige.

»Mein armes Kind,« sagte sie liebevoll. »Ich bin ganz glücklich, daß die Verletzung eine so wenig gefährliche ist; die Kugel konnte Dich ja sehr leicht tödten; aber dennoch befinde ich mich in nichts weniger als einer ruhigen Stimmung.«

»Meinetwegen, Mama?« fragte Margot.

»Ja! Natürlich!«

»O, da darfst Du keine Sorge haben. Du hast ja gehört, was der Arzt sagte. Meine Befürchtungen sind ganz andere.«

»Du hast Befürchtungen? Welche denn, liebes Kind?«

»Hugo – – –« antwortete das schöne Mädchen.

»O, die Baronin hat uns ja versichert, daß ihm nichts geschehen kann. Er ist so gut versteckt, daß kein Franzose ihn finden wird.«

»Das ist es nicht, was ich meine. Aber stelle Dir die unglücklichen Gedanken vor, welche ihn peinigen werden.«

»Du meinst, er hat Angst, entdeckt zu werden?«

Obgleich Margot sich sehr angegriffen fühlte, leuchteten ihre Augen stolz auf.

»Angst?« sagte sie. »Ich glaube nicht, daß Hugo jemals Angst empfinden kann. Er hat dies nur zu oft und sehr bewiesen. Er wird an den Kaiser denken.«

»Du willst sagen, daß ihn das Interesse, welches der Kaiser für Dich gezeigt hat, beunruhigen werde?«

»Gewiß, liebe Mama. Dieses Interesse ist ein so auffälliges gewesen, daß es meine größte Besorgniß erweckt.«

»Eine plötzliche Gefühlsaufwallung, mein Kind. Weiter nichts.«

»Glaube dies nicht! Hugo war der Retter des Kaisers und der Marschälle. Einem Lebensretter dankt man einer momentanen Aufwallung wegen nicht in der Weise, wie es heute von Seiten Napoleons geschehen ist.«

»Mein Gott, man soll doch nicht etwa glauben, daß die Theilnahme des Kaisers eine mehr als vorübergehende, eine ernstliche ist?«

»Ich möchte das nicht hoffen, bin aber überzeugt, daß Hugo diese Ansicht hegen wird. Und doch kann er von meiner Liebe und Treue so fest überzeugt sein.«

Frau Richemonte blickte nachdenklich vor sich hin. Die Mutter einer schönen Tochter ist zu entschuldigen, wenn es für sie einmal einen Augenblick giebt, in welchem sie geneigt ist, auf die Grundlage dieser Schönheit ein kleines Luftschloß zu errichten.

»Du liebst ihn also wirklich so treu und innig?« fragte sie.

»Ja, Mama.«

»So, daß Nichts Dich in Deiner Liebe beirren könnte? Nichts, gar nichts?«

»Gar nichts.«

»Auch nicht der Gedanke an die Zukunft?«

»Gerade der Gedanke an die Zukunft ist es ja, welcher meine Liebe mir als das größte Glück der Erde erscheinen läßt. O, Mama, Dein Kind wird sehr, sehr glücklich sein.«

Sie zog die Hand der Mutter an die Brust, welche sich bei dem Gedanken an den Geliebten wonnig hob und senkte.

»Aber, man darf auch einmal weniger phantastisch sein, Margot,« sagte Frau Richemonte. »Das Leben ist ernst; die Prosa des selben ist weit mächtiger als die Poesie, welche Alles gern in einem Lichte erscheinen läßt, welches zwar im ersten Augenblick hell und verführerisch aufflackert, dann aber desto rascher verlischt, so daß das spätere Dunkel desto schwärzer und trauriger erscheint.«

Margot blickte die Sprecherin befremdet an.

»Aber, Mama, ich verstehe Dich nicht,« sagte sie.

»Liebes Kind, ich meine, daß Herr von Königsau ein Subalternofficier ist.«

»O, er wird bald avanciren.«

»Aber er wird nie Kaiser sein.«

Jetzt ging eine Art von Schreck über die Züge des schönen Mädchens.

»Habe ich recht gehört?« fragte sie.

»Urtheile nicht vorschnell, Kind. Der Kaiser schenkt Dir seine Theilnahme. Weißt Du, was das zu bedeuten hat?«

»Ja. Das hat zu bedeuten, daß Gott mir die Gabe der Schönheit verliehen hat, welche für mich nur den Zweck hat, den Geliebten glücklich zu machen.«

»Du würdest also gegebenen Falles die Theilnahme des Kaisers zurückweisen?«

»Sobald sie beleidigend werden könnte, gewiß. Oder wäre es möglich, daß Du von Deinem Kinde eine andere Ansicht haben könntest?«

Diese Worte waren im Töne kindlicher Liebe und doch eines leisen Vorwurfes gesprochen. Frau Richemonte blickte ihrer Tochter tief in die schönen, treuen Augen und antwortete dann:

»Ich habe nur den Wunsch, Dich glücklich zu sehen, Margot.«

»Nun, der äußere Glanz wird nie im Stande sein, mich glücklich zu machen.«

»So gehört Dein ganzes Vertrauen, Deine ganze Hoffnung allein Herrn Königsau?«

»Ja, ganz allein, Mama.«

»So beschämst Du mich beinahe, mein liebes Kind. Ich kenne Dich so genau und glaubte dennoch dem Gedanken Raum geben zu dürfen, daß der Glanz, welcher die Person eines Kaisers, eines mächtigen Herrschers umgiebt, Einfluß auf Dich haben könne.«

»Dieser Glanz steht im Begriff, zu verbleichen.«

»Du glaubst an den Sieg Deutschlands?«

»Von ganzem Herzen.«

»So gebe Gott, daß Du Dich nicht täuschest.«

In diesem Augenblicke öffnete sich leise die Thür, und Bertha Marmont trat ein.

»Darf ich stören?« fragte sie bescheiden.

»Was bringen Sie, mein Kind?« antwortete Frau Richemonte.

»Der Herr Baron de Sainte-Marie ist draußen.«

»Er will mit mir sprechen?«

»Er läßt fragen, ob es ihm erlaubt sei, Mademoiselle sein Beileid zu bezeugen. Es ist ihm, da er mit den hohen Herren beschäftigt war, noch nicht möglich gewesen, dies thun zu können.«

»Was meinst Du, mein Kind?« fragte Frau Richemonte ihre Tochter.

Es ging eine leise Röthe über das blasse Gesicht Margots. Sie warf einen forschenden Blick über das Arrangement ihres Lagers und sagte dann:

»Der Baron ist unser Gastfreund und Verwandter; wir sind ihm Rücksicht schuldig.«

»Du willst ihn empfangen?«

»Ja, er mag eintreten.«

»So werde ich mich einstweilen zurückziehen.«

Da sagte Margot schnell, beinahe hastig:

»Nein. Bitte, bleibe bei mir.«

»Wie Du denkst, liebe Margot. Er kann es übrigens gar nicht übel nehmen, die Mutter bei der kranken Tochter zu finden. Bitte, lassen Sie ihn eintreten.«

Diese letzteren Worte waren an Bertha gerichtet. Das Gesicht des Mädchens war sehr ernst, fast besorgt. Sie warf einen unruhigen Blick auf die schöne Patientin und entfernte sich dann. Einen Augenblick später trat der Baron ein.

Er hatte seine Verwandte während ihrer Anwesenheit auf dem Meierhofe täglich oft gesehen, aber nicht in der gegenwärtigen Situation. Sie lag im leichtesten Nachtgewande in den Kissen, und die Blässe ihres Angesichtes verdoppelte den Eindruck, welchen sie bereits auf ihn gemacht hatte.

Er verbeugte sich höflich vor Mutter und Tochter und sagte, zur ersteren gewendet:

»Verzeihung, liebe Tante, daß ich es wage, im innersten Damengemache Zutritt zu suchen. Aber ich bin so besorgt um Margot, daß ich mich auf alle Fälle selbst überzeugen wollte, ob meine Angst um sie eine begründete ist.«

Er gab Frau von Richemonte die verwandtschaftliche Bezeichnung Tante; dies rückte ihn den Damen näher und gab ihm das Recht, vertraulicher mit ihnen zu verkehren, als es ihm sonst wohl gestattet gewesen wäre.

»O bitte,« antwortete die Angeredete freundlich. »Wir erkennen die Freundlichkeit, welche Sie uns erweisen, dankbar an.«

»Wie geht es der lieben Cousine?«

»Gott sei Dank, besser als man erwartet hatte.«

»Darf sie sprechen?«

»Es wurde ihr nicht verboten.«

Er trat langsam an das Bette, ergriff Margots Rechte und drückte sie an seine Lippen.

»Liebe Margot, Sie glauben nicht, wie sehr ich erschrocken bin, als ich hörte, daß Sie verwundet seien,« sagte er. »Ich wünschte im ersten Augenblicke, daß die Kugel mich selbst an Ihrer Stelle getroffen hätte.«

Margot entzog ihm leise die Hand und fragte lächelnd:

»Sie wünschten das im ersten Augenblicke?«

»Ja, bei Gott, ich wünschte das,« antwortete er.

»Aber im zweiten Augenblicke?«

»Auch noch.«

»Und im Dritten?«

»O, ich wünsche es ja jetzt noch,« antwortete er, halb verlegen und halb in einer Art von schwärmerischer Begeisterung.

»Ich danke ihnen, lieber Cousin,« sagte die Patientin freundlich. »Ich bin überzeugt, daß Sie die Wahrheit sprechen.«

Sein Blick ruhte wie trunken auf ihr. Er konnte sich dem Eindrucke, den ihre Schönheit auf ihn machte, nicht entziehen; er gab sich auch gar keine Mühe, sich zu beherrschen. Er ergriff abermals ihre Hand, zog dieselbe an seine Lippen und sagte:

»Der Augenblick, an welchem ich von Ihrer Verwundung hörte, wird mir unvergeßlich sein.«

»Ist Ihr Gedächtniß wirklich ein so treues?«

»In Beziehung auf Sie, Jedenfalls. Dieser Augenblick ist ja einer der wichtigsten meines Lebens.«

An wiefern, lieber Cousin?« fragte Margot ahnungslos.

»Weil er mir Aufschluß über mich gegeben hat. Ich habe da erkannt, wie theuer, wie werth Sie mir sind.«

»Ich hoffe allerdings, daß es Ihnen nicht ganz gleichgiltig ist, ob man Ihre Cousine erschießt oder nicht, Herr Baron!«

Diese Worte sagte Frau Richemonte. Sie ertheilte ihnen einen scherzenden Klang, welcher ihn erkälten sollte. Sie hatte mit scharfem Auge erkannt, daß er im Begriffe stehe, die schönste Liebeserklärung vom Stapel zu lassen. Er aber bemerkte oder beachtete ihre Absicht nicht im Geringsten; denn er fuhr fort:

»O bitte, liebe Tante, ich meine das anders, ganz anders! Nicht so allgemein, nicht so blos verwandtschaftlich. Ich habe vielmehr erkannt, daß mein Herz, mein ganzes Leben unserer Margot gehört.«

»Cousin!« sagte da Margot erschrocken.

»Ja,« antwortete er. »Ich hoffe, daß Du es mir glauben wirst. Ich fühle, daß ich ohne Dich nicht leben kann.«

Er machte Anstalt, vor dem Bette niederzuknieen, blieb aber doch stehen, als er eine Armbewegung Margots sah, in welcher sich Schreck ausdrückte.

»Du scherzest,« sagte sie.

»Scherzen? O, ich bitte Dich im Gegentheile, es so ernst wie möglich zu nehmen.«

Sie blickte ihm in das hübsche, jugendliche Gesicht, und über das ihrige glitt ein leises Lächeln, als sie ihm sagte:

»Du dauerst mich da sehr, lieber Cousin.«

»Warum?« fragte er befremdet.

»Weil Du sterben mußt.«

»Sterben? Ich? In wiefern?« fragte er erblassend. »Hältst Du mich für krank?«

»Das nicht. Aber sagtest Du denn nicht soeben, daß Du ohne mich nicht leben kannst?«

»Allerdings.«

»Nun, also wirst Du sterben müssen.«

Er blickte sie starr an, trat einen Schritt zurück und fragte:

»Wie? Verstehe ich Dich recht?«

»Wie hast Du mich verstanden?«

»Ich verstehe Dich dahin, daß Du mich nicht liebst.«

»O, ich liebe Dich freilich; Du bist ja mein Cousin.«

Er machte eine Geberde des Unwillens und antwortete:

»So meine ich es nicht.«

»Wie denn?«

»Nicht als Cousin sollen Sie mich lieben, sondern anders, ganz anders. Ich will von Ihnen als Bräutigam, als Mann geliebt sein.«

Ihr Lächeln wurde noch schalkhafter als vorher.

»So werden Sie doch sterben müssen,« sagte sie im Tone des Bedauerns.

»Ah!« seufzte er.

»Ja, ohne Gnade und Barmherzigkeit.«

»Das soll heißen, ich kann Ihr Bräutigam nicht sein?«

Da schlug er ganz überrascht die Hände zusammen und rief:

»Mein Himmel, da falle ich ja wie aus den Wolken!«

»Bitte, thun Sie sich dabei keinen Schaden.«

»Wollen Sie meiner spotten?« fragte er sehr ernsthaft.

»Nein, lieber Cousin. Aber wie es scheint, haben Sie es für eine ganz und gar ausgemachte Sache gehalten, daß Sie mein Bräutigam werden?«

»Allerdings,« antwortete er rasch.

»Das überrascht mich sehr.«

»Warum?«

»Sie hätten sich vorher informiren sollen, ob Sie da auf kein Hinderniß stoßen.«

»Welch ein Hinderniß sollte denn da möglich sein?«

»O, das größte, welches es geben kann: ein Bräutigam.«

Es war beinahe belustigend anzusehen, wie er jetzt vor Erstaunen den Mund öffnete.

»Das wäre allerdings ein ganz bedeutendes Hinderniß!« sagte er verblüfft.

»Welches Sie natürlich gelten lassen.«

»Nun, haben Sie denn einen Bräutigam, Margot?«

»Bereits längst!«

»Donnerwetter! Dem Kerl drehe ich den Hals – – – ah, verzeihen Sie! Aber ich glaube wirklich, daß Sie nur ein wenig Scherz treiben!«

Jetzt schüttelte sie sehr ernst ihr schönes Köpfchen und sagte:

»Nehmen Sie es nicht übel, lieber Cousin. Sie sind da ein wenig zu unvorsichtig vorgegangen. Sie sind Baron, wohlhabend und von leidlich angenehmem Aeußeren; die Damen sind Ihnen daher stets freundlich entgegen gekommen, und das hat in Ihnen die Ansicht hervorgebracht, daß Sieg und Gegenliebe bei Ihnen ganz selbstverständlich sei. Darum ist es Ihnen auch gar nicht eingefallen, zu fragen, ob Ihnen jemals ein Nein geantwortet werden könne. Ich bedauere Sie, aber ich bin überzeugt, daß Sie nicht unglücklich sein werden.«

»Unglücklich? Ich bin es im höchsten Grade!« versicherte er rasch.

»In diesem Augenblicke?« lächelte sie.

»O, ganz gewiß, auch für immer.«

»Nein, dazu ist Ihr Gemüth zu elastisch.«

»Gemüth? Elastisch? Cousine, ich versichere Ihnen, daß ich in diesem Augenblicke gar kein Gemüth mehr habe. Mein Herz ist total gebrochen.«

Da ließ sie, trotzdem sie krank war, ein helles, silbernes Lachen hören.

»Dieses arme Herz,« scherzte sie im Tone des Bedauerns. »Ich hoffe jedoch, daß es zu repariren sein wird.«

Da trat er einen Schritt zurück und fragte mit finsterem Stirnrunzeln:

»Machen Sie sich etwa über mich lustig?«

Jetzt legte ihm Frau Richemonte beruhigend die Hand auf den Arm.

»Bitte, nehmen Sie diese Angelegenheit nicht so sehr tragisch,« bat sie ihn.

»Aber sie ist ganz und gar nicht komisch,« antwortete er. »Bei einem gebrochenen Herzen von Reparatur zu sprechen, das ist, gelinde ausgedrückt, gefühllos.«

»Nicht ganz, lieber Cousin.«

»Oder gar malitiös!«

»Das noch weniger. Margot wird sich nicht irren, wenn sie annimmt, daß die Constitution Ihres Herzens eine stärkere sei, als Sie selbst denken und glauben.«

»Das muß sich erst finden. Also Margot hat wirklich einen Bräutigam?«

»Ja.«

»Seit wann?«

»Seit geraumer Zeit bereits.«

»Also schon in Paris?«

»Ja.«

»Das beruhigt mich einigermaßen. Hätte Sie hier einen Anderen außer mich lieben gelernt, so würde dies die größte Ehrenkränkung für mich sein. Da sie jedoch ihr Herz verschenkt hat, ehe sie mich kennen lernte, so bin ich ja gar nicht beleidigt worden. Zu beklagen ist es aber auf jeden Fall; denn wir wären sehr glücklich mit einander gewesen.«

*


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