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Fortsetzung 27

Der Capitän Richemonte erzählte sein Unglück weiter.

Der Kaiser hörte ihm zu und sagte dann:

»Ihr Debüt ist nicht nach Wunsch ausgefallen. Ich hoffe, daß Ihre späteren Bemühungen von Erfolg sein werden.«

»Majestät, ich stelle alle meine Kräfte zu Diensten.«

Der Kaiser nickte zufrieden.

»Hat man noch anderweite Nachforschungen angestellt?« fragte er.

»Ja. ich komme von der Wache, wo ich erfuhr, daß General Drouet die Durchsuchung des ganzen Meierhofes angeordnet hat. Aber auch dies ist vergeblich gewesen.«

»So mögen alle diese unnützen Bemühungen eingestellt werden. Man hat das Beste gethan, wenn man für jetzt die Damen einfach isolirt. Sie haben das in der Hand. Meine Intentionen kennen Sie. Und um allen Eventualitäten zuvor zu kommen, wird man es angemessen finden, die junge Dame baldigst zu verheirathen.«

Richemonte verbeugte sich.

»Dürfte ich die Bitte um eine kleine Andeutung aussprechen?« fragte er.

»Sie sprachen zu mir von Baron Reillac?«

»Allerdings, Majestät.«

»Er liebt Ihre Schwester?«

»Er hat sich alle Mühe gegeben, mich davon zu überzeugen.«

Da legte der Kaiser nach seiner eigenthümlichen Weise die Hände auf den Rücken und schritt langsam und nachdenklich im Zimmer auf und ab. Erst nach einer längeren Weile blieb er vor Richemonte stehen, faßte diesen beim Knopfe seiner Uniform und fragte:

»Ich denke, daß man sich auf Sie verlassen kann?«

»Mein Leben gehört Euer Majestät!« antwortete der Capitän.

»Werden Sie eine Vollmacht auszuführen verstehen, wenn Sie nur im allerhöchsten Nothfalle die Erlaubniß haben, sich auf dieselbe zu berufen?«

»Ich denke es, Sire.«

»So sage ich Ihnen, daß Ihre Schwester bereits in den nächsten Tagen die Frau des Baron de Reillac sein soll!«

»Ich stehe zu Befehl, Majestät, obgleich ich überzeugt bin, einen nicht geringen Widerstand zu finden.«

»Von welcher Seite?«

»Von Seite meiner Schwester zunächst.«

»Sie werden ihn überwinden, denn Sie sind der Bruder. Und sodann?«

»Von Seiten der – Behörde,« antwortete Richemonte zögernd.

Napoleon zog die Stirn in Falten.

»Die Behörde bin ich!« sagte er.

»Ich habe diese Ueberzeugung, Sire. Aber ich bedarf des Jawortes meiner Schwester. Ich befürchte, daß sie es mir verweigert.«

»Warten Sie!«

Der Kaiser trat an den Tisch, legte sich ein Blatt Papier zurecht und schrieb. Dann reichte er die Zeilen dem Capitän.

»Lesen Sie!« befahl er.

Richemonte gehorchte. Kaum hatte er einen Blick auf das Papier geworfen, so nahm sein Gesicht den Ausdruck des Triumphes an.

»Wird dies genügen?« fragte Napoleon selbstbewußt.

»O, man wird sich beeilen, die Ordre Ew. Majestät zu erfüllen.«

»Ich bin überzeugt davon. Haben Sie noch Wünsche?«

»Keinen als den, daß mir die Huld meines Kaisers erhalten bleibe.«

»Das ist Ihre eigene Sache. Ich weiß treue Diener zu belohnen. Die Lösung Ihrer Aufgabe ist mit pecuniären Opfern verbunden. Ich werde Befehl geben, Ihnen die nöthigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Jedenfalls aber werde ich Sie vor meiner Abreise noch einmal sprechen.«

»Dürfte ich morgen nach Sedan zu Reillac reiten, Sire?«

»Thun Sie es. Aber sorgen Sie dafür, daß während Ihrer Abwesenheit keine Ihrer Maßregeln verabsäumt werde.«

Der Kaiser machte die Bewegung der Entlassung, und der Capitän entfernte sich mit einer tiefen Verneigung. Jetzt war er seines Sieges sicher. Er hatte eines jener Papiere in den Händen, vor denen sich die höchsten Behörden beugen mußten, gegen welche es keinen Widerstand, keine Appellation gab und gegen welche alle Paragraphen aller Gesetze schweigen mußten.

Königsau hatte sich kein Wort von dieser Unterredung entgehen lassen. Er wartete noch, bis er sah, daß der Kaiser im Begriff stand, zur Ruhe zu gehen. Dann erhob er sich aus seiner liegenden Stellung.

Fast hätte er einen Schrei der Ueberraschung ausgestoßen, denn er bemerkte eine Gestalt, welche dicht neben ihm stand.

»Pst,« sagte dieselbe. »Erschrecken Sie nicht!«

»Ach, Florian, treue Seele! Aber ich denke, die Treppe ist fort?«

»Ja, sie ist fort. Sie liegt gut aufgehoben im Garten. Doch habe ich Ihnen bereits gesagt, daß noch ein Hauptaufgang nach dem Dache führt.«

»Welch ein Glück, daß man nicht daran gedacht hat, ihn zu benutzen, um mich hier zu suchen.«

»Allerdings. Gerade das Klügste haben diese Kerle unterlassen.«

»Ich wäre vielleicht verloren gewesen.«

»Noch nicht, Herr Lieutenant. Ich stand bereits auf der Lauer und hätte ihnen ein Mittel an die Hand gegeben, zu verschwinden.«

»Welches?«

»Dieses.«

Er trat einige Schritte zurück und nahm einen langen Gegenstand in die Höhe, in welchem Königsau eine Leiter erkannte.

»Sie hätten mit Hilfe dieser Leiter in Ihr Zimmer verschwinden können,« sagte der Kutscher. »Haben Sie gut aufgepaßt?«

»O, ich habe viel, sehr viel gehört.«

»Was Ihnen Nutzen bringt?«

»Ja. Ich habe mit Mademoiselle Margot und ihrer Mutter zu sprechen. Werde ich dies wagen dürfen?«

»Warum nicht?«

»Es steht ein Posten vor ihrer Thür.«

»Vor der Thür, ja, aber doch nicht im Zimmer. Sie werden leise sprechen. Uebrigens kann ich ja herunter gehen und mich mit dem Manne unterhalten, um seine Aufmerksamkeit abzulenken. Aber sagen Sie, ob Sie beabsichtigen, noch längere Zeit hier zu bleiben.«

»O nein. Ich muß fort, schleunigst fort.«

»Etwa noch während dieser Nacht?«

»Ja.«

»Das ist zu gefährlich.«

»Warum?«

»Man hat reitende Boten nach Ihnen ausgeschickt.«

»Hm. Und dennoch muß ich. Es hängt viel, sehr viel davon ab. Ich muß sofort zu Blücher.«

»Das ist etwas Anderes. Das besiegt ein jedes Bedenken.«

»Wenn ich mich verkleiden könnte.«

»Warum nicht? Ah, da kommt mir ein sehr guter Gedanke. Wissen Sie, welche Verkleidung die beste sein würde?«

»Nun, welche?«

»Sie legen französische Officiersuniform an.«

»Dieser Vorschlag ist allerdings höchst acceptabel. Aber woher soll ich eine Uniform nehmen?«

»Stehlen.«

»Florian!«

»Ah, pah. Sie wird gemaust. Wie wollen wir sie sonst bekommen? Oder wollen Sie vielleicht einem der Generäle eine Staatsvisite machen, um ihn zu bitten, Ihnen eine Uniform zu leihen?«

»Das ist richtig. Uebrigens wäre hier ein jedes Bedenken lächerlich. Aber wer soll der Bestohlene sein? Er muß meine Figur haben.«

»Er hat sie auch.«

»Wer?«

»Ist es Ihnen recht, als Major zu reiten?«

»Gewiß! Warum nicht? Es ist ja ein Avancement.«

»Nun, der Adjutant, welcher gekommen ist, ist ein Dragonermajor. Er hat sich müde geritten und sogleich schlafen gelegt. Er schnarcht wie eine Ratze und wird nicht aufwachen. Ich schleiche mich hinein und nehme ihm seine ganze Uniform weg.«

»Aber im Falle des Erwischens?«

»Da spreche ich, daß ich ihm die Sachen reinigen will.«

»Das geht. Aber ein Pferd?«

»Wird versorgt. Sie sollen keinen alten Ziegenbock reiten.«

»Gut. Aber nun die Hauptsache, das Schwierigste: Margot muß mit und ihre Mutter auch.«

»Donnerwetter,« fuhr es dem Kutscher heraus.

»Ja, das ist ganz und gar nothwendig.«

»Darf ich fragen warum?«

»Der Kaiser will sie in den nächsten Tagen verheirathen.«

»Mit wem?«

»Mit dem Baron Reillac.«

»Den soll der Teufel holen. Aber Mademoiselle Margot wird doch unmöglich ja sagen!«

»Sie soll gezwungen werden. Richemonte hat des Kaisers Befehl oder Vollmacht in der Tasche.«

»Dann müssen die Damen allerdings fort, und zwar noch diese Nacht. Können sie reiten?«

»Ja. Ich habe von Margot gehört, daß sie Reitunterricht erhalten hat. Auch Mama ist früher gezwungen gewesen, mit ihrem Manne auszureiten.«

»Aber als Mann, oder als Dame zu reiten, das ist ein Unterschied.«

»Ah! Auch eine Verkleidung der Damen?«

»Natürlich. Sie müßten als Ihre Diener gehen,«

»So werden sie versuchen, sich im Herrensattel zurecht zu finden. Aber wie steht es mit der Kleidung?«

»Wird auch gestohlen.«

»Florian, Florian! Man ist ja ein recht großer Spitzbube.«

»O, aus Liebe für Sie und Mademoiselle Margot stehle ich die Kirche von Notre Dame und schleppe sie von Paris bis nach Sibirien.«

»Auch Pferde?«

»Ja. Ich werde für zwei recht geduldige und doch schnellfüßige Gäule sorgen. Aber wohin wird die Reise gehen?«

»Ich muß nach Lüttich, oder Namur.«

»So weit können die Damen unmöglich mit.«

»Das ist leider allzu wahr. Der Weg ist zu weit.«

»Das ist noch nicht das Schlimmste. Die Straße ist jetzt vom Militär belebt. Man würde in den beiden Reitern sofort Frauen erkennen.«

»Ich könnte zwar Schleichwege reiten; aber es ist die größte Eile nothwendig, um zur rechten Zeit zu Blücher zu gelangen.«

»Was thut man da?« fragte der Kutscher nachdenklich. »Hm, vielleicht finde ich einen guten Rath. Es fragt sich, ob Sie mir beistimmen.«

»So werde ich ja hören.«

»Ich habe in Gedinne einen Gevatter, eine gute treue Seele. Er wohnt einsam am Waldesrande, und keine Verrätherei wäre da zu befürchten.«

»Die Damen sollen zu ihm?«

»Ja, als Besuch, als entfernte Verwandte.«

»Das erfordert viel Vertrauen.«

»Ich garantire für ihn.«

»Ist er französisch gesinnt?«

»Er ein geborener Holländer und haßt die große Nation.«

»Aber die Damen so ganz allein bei ihm, an einem fremden Ort. Der Krieg kann sich in jene Gegend ziehen.«

»Desto besser.«

»Warum?«

»Die Deutschen werden siegen. Stellen sie sich dann dort ein, so sind die Damen erst recht geborgen. Uebrigens werde ich bei ihnen bleiben, wenn sie es wünschen, um ganz sicher zu sein.«

»Wird die Baronin es erlauben?«

»Sie würde es sofort erlauben; aber ich reite mit, ohne sie zu fragen.«

»Warum?«

»Hm! Ich denke, es ist besser, die Herrschaft erfährt jetzt gar nichts. Sie hat dann auch nichts zu verantworten.«

»Das ist richtig. Also werde ich jetzt zu den Damen gehen, um mit Margot zu sprechen. Es fragt sich, ob sie sich als Verwundete stark genug fühlt.«

»Die Noth bricht Eisen. Ich hoffe, daß es gehen wird.«

»Wie lange reiten wir bis Gedinne?«

»Es sind ungefähr fünf deutsche Meilen. Ich weiß nicht, wie die Damen reiten, und überdies werden wir doch gezwungen sein, Seitenwege einzuschlagen. Wir reiten über Sedan und Bouillon: dann werfen wir uns links in die Berge. Sie können ja später wieder die Heerstraße gewinnen, um rasch vorwärts zu kommen.«

»Gut, ich nehme diesen Vorschlag, an. Es ist zunächst die Hauptsache, die beiden Damen diesem Capitän Richemonte aus den Augen zu rücken. Dieses Gedinne ist ein einsamer Ort?«

»Ganz und gar einsam. Mein Gevatter hat ein kleines Stübchen im oberen Geschoß. Dort können die Damen wohnen, ohne daß Jemand das Geringste über ihre Anwesenheit erfährt. Also jetzt werde ich den Spitzbuben machen. Nehmen Sie unterdeß die Leiter und besuchen Sie Mademoiselle Margot.«

Er schlich sich leise fort. Königsau öffnete die Treppenluke, durch welche man in sein Zimmer gelangte, ließ die Leiter, welche gerade paßte, hinab und stieg hinunter. Unten horchte er an der Thür, welche zu Margots Zimmer führte. Er vernahm ein leises Flüstern. Worte waren nicht zu unterscheiden, doch hatte er die Ueberzeugung, daß keine fremde Person sich mit in dem Zimmer befinde.

Er klopfte leise an. Man horchte. Dies merkte er daraus, daß das Flüstern verstummte. Jetzt drückte er die Klinke nieder und öffnete die Thür um eine schmale Spalte. Er sah Margot im Bette liegen und ihre Mutter neben ihr sitzen. Sonst war Niemand zu sehen.

»Pst. Keinen Laut der Ueberraschung!« warnte er leise.

Nun erst stieß er die Thür vollends auf und trat ein. Margots bleiche Wangen rötheten sich, und ihre bisher matten Augen blitzten auf vor Freude.

»Hugo!«

Bei diesem Worte streckte sie ihm beide Arme entgegen. Er trat heran zu ihr, und da schlang sie die Arme um seinen Nacken und zog ihn zu sich nieder, so daß seine Wange an ihre Brust zu liegen kam.

»Mein Gott, was wagen Sie!« sagte ihre Mutter im Flüsterton. »Es steht ein Posten vor der Thür.«

»Tritt er ein?« fragte er.

»Er hat es noch nicht gethan; aber er kann es in jedem Augenblick versuchen.«

»Das wollen wir ihm unmöglich machen.«

Er befreite sich leise aus der Umschlingung der Geliebten, glitt nach der Thür hin und schob den Innenriegel vor.

»Wenn man es merkt, daß wir verriegelt haben, wird man doppelt mißtrauisch sein,« bemerkte die Mutter.

»Das schadet nichts,« antwortete er. »Bevor Sie öffnen, bin ich längst wieder verschwunden.«

»Wohin, mein Hugo?« fragte Margot.

»Hinauf auf das Dach.«

»Bist Du dort sicher?«

»Vollständig. Der brave Florian wacht über mich. Aber sage mir, mein Leben, wie Du Dich befindest.«

»Ich war sehr matt; jetzt aber bin ich wieder sehr stark,« antwortete sie mit einem glückseligen Lächeln in dem schönen Gesichte.

»Hast Du Schmerzen?«

»Die Wunde fühle ich nicht; doch um Dich habe ich Wehe.«

»Um mich? Warum?«

»Daß Du um meinetwillen solche Beleidigungen und Kränkungen zu erdulden hast. Du warst so stark, so gut und kühn, und zum Dank dafür trachtet man Dir nach dem Leben.«

Er nahm ihr Köpfchen an seine Brust, blickte ihr tief in die Augen und sagte im innigsten Tone:

»Ein Wort, ein Blick von Dir macht das Alles wieder gut.«

»Hast Du mich wirklich so lieb?«

»Ja, unendlich!«

»Und ich Dich ebenso. Darum ist mir so bange um Dich, mein Hugo. Wenn man Dich ergreift, so bist Du verloren.«

»Habe keine Angst! Man wird mich nicht ergreifen.«

»Ich hoffe es; denn Du wirst Dich hier verbergen, bis der Weg rein und frei ist.«

»Leider ist mir dies unmöglich, meine Margot.«

»Warum?«

»Weil ich diese Nacht wieder fort muß.«

»Mein Gott, wie gefährlich! Hugo, ich lasse Dich nicht fort.«

Sie umschlang ihn fester als bisher mit ihren Armen.

»Und dennoch wirst Du mich sofort fortlassen, wenn ich Dir sage, daß die Pflicht mich dazu zwingt.«

»Diese böse Pflicht, von welcher Ihr Männer doch immer redet. Ist es denn wirklich Eure Pflicht, Euch aus einer Gefahr immer in die andere zu stürzen?«

»Zuweilen, ja. Der Mensch ist zu keiner Stunde seines Lebens sicher, und ein Officier darf dies mit noch größerer Berechtigung von sich sagen. Uebrigens gilt es, unserem Freunde einen hochwichtigen Dienst zu erweisen.«

»Welchem Freunde?«

»Dem Marschall.«

»Ah, unserm Vater Blücher! Seinetwegen mußt Du fort?«

»Ja. Er hat mich ausgesandt, um so viel wie möglich über die Absichten unserer Feinde zu erfahren. Jetzt muß ich schleunigst zu ihm zurück.«

»Hast Du Etwas erfahren?«

»Ja.«

»Wichtiges?«

»Höchst Wichtiges. Ich habe die sämmtlichen Pläne Napoleons belauscht.«

»Mein Gott, welch ein Glück für Dich! Ja, dann ist es wahr, daß Du zu dem Marschall mußt. Aber mit welcher Gefahr ist das verbunden!«

Und ihr Köpfchen innig an ihn schmiegend, fügte sie hinzu:

»Ich wollte sehr, daß ich sie mit Dir theilen könnte.«

Da strich er ihr mit der Hand zärtlich über das reiche Haar und antwortete:

»Wenn Dir dieser Wunsch in Erfüllung ginge, mein Leben?«

Sie hob schnell die Augen zu ihm empor und fragte:

»Wie meinst Du das, Hugo?«

»Ich meine, ob Du, wenn Du gesund wärest, den Muth hättest, mich zu begleiten?«

»O, den habe ich. Ich könnte an Deiner Seite den Donner der Schlachten ruhig ertragen. Glaubst Du mir das?«

»Ich glaube es; denn Du hast es ja bereits bewiesen.«

»Ich bewiesen? Wann und wo?«

»In Paris. Da bist Du mir schützend nachgefolgt, als ich überfallen werden sollte. War das nicht muthig?«

»O, das war kein Muth. Das war nur der Stimme des Herzens gefolgt.«

»Das beweist eben, daß Du ein muthiges Herz hast. Also Du würdest auch heut die Gefahr mit mir theilen?«

»O wie gern.«

»Aber Du bist krank. Du bist zu schwach.«

»Wenn es nothwendig wäre, würde ich schon stark dazu sein.«

»Wirklich?«

»Gewiß.«

»Nun, so will ich Dir sagen, daß es vielleicht nothwendig sein wird.«

»Was Sie sagen!« fiel da die Mutter ein. »Sie meinen, daß wir veranlaßt sein könnten, Jeanette zu verlassen?«

»Leider, meine liebe Mama.«

»Aus welchem Grunde? Ah, ich vermuthe ihn!«

Sie begleitete diese Worte mit einem halb und halb mißbilligenden Blicke.

»Ich bin überzeugt, daß Sie sich irren,« sagte er.

»Ich errathe sicher das Richtige.«

»Versuchen wir es einmal.«

»Sie sind ein wenig eifersüchtig, mein lieber Herr von Königsau.«

»Nicht im Mindesten!«

»O doch! Und Sie denken, der Titel eines Kaisers sei wohl im Stande, ein Mädchenherz zu verwirren.«

»Dieses Mädchenherz müßte nicht so stark sein wie das Herz meiner Margot, für welche es geradezu beleidigend sein würde, wenn ich Eifersucht fühlen sollte.«

»Ich danke Dir, Hugo,« sagte Margot. »Der Grund ist also ein anderer?«

»Ja, es droht Dir von Seiten des Kaisers eine große Gefahr.«

»Also doch eine Art von Eifersucht!« lächelte Frau Richemonte.

»O nein. Es ist gegen Margot ein Plan im Werke, den zu belauschen ich so glücklich war. Daß Capitän Richemonte hier Estafettenkommandant geworden ist, wissen Sie vielleicht, Mama?«

»Ja. Er hat es uns selbst gesagt.«

»In dieser seiner Eigenschaft ist er mit ungewöhnlicher Macht ausgerüstet. Man hat ihm zu gehorchen, ohne ihn zunächst zur Verantwortung ziehen zu können. Und außerdem hat ihm der Kaiser den Befehl ertheilt, Sie hier gefangen fest zu halten.«

»Doch weil man Sie hier vermuthet?«

»Nein, sondern weil man Margot mit dem Baron Reillac vermählen will.«

Margot fuhr rasch empor.

»Mit diesem Menschen?« fragte sie.

»Ja.«

»Wer will mich zwingen?«

»Dein Bruder, und zwar im Auftrage des Kaisers.«

»Kein Kaiser hat die Macht dazu.«

»O doch, liebe Margot. Ich habe gesehen und gehört, daß Napoleon Deinem Bruder eine schriftliche Vollmacht überreicht hat. Es stehen ihm alle Behörden zur Verfügung, Dich auf irgend eine Weise zu dieser Vermählung zu zwingen.«

»Mein Gott! Ist das wirklich wahr?« fragte die Mutter.

»Ja, leider!« antwortete er. »Morgen wird der Capitän nach Sedan reiten, um Reillac zu benachrichtigen.«

»Aber zu welchem Zwecke soll ich die Frau dieses Mannes werden?« fragte Margot.

»Ich muß Dir sagen, liebe Margot, daß Reillac als Dein Mann den strengen Befehl erhalten würde, Dich nicht eher anzurühren, als bis der Kaiser es ihm erlaubt.«

Margot erglühte.

»Schütze mich, Hugo!« bat sie.

»Ich bin bereit dazu, meine Margot. Doch kann ich Dir nur dann Schutz gewähren, wenn Du Jeanette mit mir zugleich verlässest.«

»Noch diese Nacht, Hugo?«

»Ja.«

»Ich gehe mit.«

Frau Richemonte war ganz blaß geworden.

»Das ist doch noch zu prüfen,« sagte sie. »Ich setze nicht den mindesten Zweifel in die Wahrheit dessen, was Sie sagen, lieber Sohn; denn Sie haben Alles selbst gehört?«

»Alles.«

»Nun gut, Aber giebt es wirklich kein anderes Mittel, als diese Flucht?«

»Ich weiß keins.«

»Wenn wir nun an die Großmuth des Kaisers appelliren?«

»Wie großmüthig er ist, hat er an mir bewiesen, Mama!«

»Das ist allerdings wahr. Aber ist die Flucht denn möglich?«

»Ich denke, ja.«

»Wir sind ja gefangen; wir werden bewacht.«

»Diese Wohnung hat noch einen andern Ausgang.«

»Auch ich soll mich an der Flucht betheiligen?«

»Ich bitte Sie darum.«

»Wohin werden Sie uns bringen? Zu Blücher?«

»Das ist für jetzt unmöglich. Der Kaiser hat heut Marschordre ertheilt, und morgen sind alle Militärcolonnen in Bewegung. Wir würden nicht so weit durchkommen. Florian hat mir einen braven Mann empfohlen, bei dem Sie ganz sicher sein würden. Er wird uns selbst begleiten.«

»Wohin?«

»Nach Gedinne.«

»Das ist nach Givet zu; also müssen wir durch Sedan, grade durch die Franzosen hindurch. Ist das nicht zu gefährlich?«

»Nein. Ich reise als französischer Major.«

»Und wir?«

»Als meine Diener.«

Frau Richemonte blickte ihm erstaunt, ja betroffen in das Angesicht.

»Als – Ihre Diener?« fragte sie.

»Ja.« »Sie scherzen.«

»Es ist im Gegentheil mein völligster Ernst. Männerkleidung müssen Sie anlegen, weil bereits morgen früh, sobald man Ihre Flucht bemerkt, überall nach zwei Damen geforscht werden wird.«

»Welch ein Fall.«

»Welch ein Abenteuer!« sagte Margot. »Ich als Dein Diener.«

»Aber wie reisen wir?« fragte ihre Mutter. »Zu Wagen?«

»Nein. Das wäre zu auffällig und zu beschwerlich. Wir werden reiten.«

»In Männerkleidung?«

»Ja.«

Es wurde Königsau schwer, Frau Richemonte zur Annahme seines Planes zu bewegen. Margot hingegen freute sich förmlich darauf.

»Wenn geht es fort?« fragte sie.

»Florian wird uns benachrichtigen. Aber sage, ob Du nicht zu schwach zu einem solchen Ritt sein wirst?«

»Ich fühle mich stark genug dazu.«

»Gott wolle es, daß Du Dich nicht täuschest.«

»Weiß meine Cousine bereits davon?« fragte Frau Richemonte.

»Nein. Sie und Niemand darf etwas wissen, damit keine Verantwortlichkeit auf Jemand fällt.«

So weit war das Gespräch gekommen, als die Thür, durch welche Königsau eingetreten war, leise geöffnet wurde. Florian trat ein, einen mächtigen Pack Kleidungsstücke mit sich schleppend.

»Da ist Alles, was wir brauchen,« flüsterte er.

»Mein Majorsanzug?« fragte der Lieutenant.

»Ja. Und hier zwei andere Anzüge für die Damen.«

»Werden sie passen?« fragte Margot.

»Hm, das ist sehr fraglich. Ich habe sie im Finstern gestohlen, und dabei ist es nicht gut möglich, genau Maaß zu nehmen.«

»Gestohlen?« fragte Frau Richemonte erschrocken.

»Ja, Madame.«

7

»Aber, warum denn stehlen?«

»Weil auf andere Weise das Nöthige nicht zu bekommen wäre.«

»Aber da sind wir ja straffällig?«

»Machen Sie sich da keine große Sorge, liebe Mama,« bat Königsau. »Wir fliehen, um der Gefangenschaft und noch Anderem zu entgehen; da darf man es mit den Nebensachen nicht so streng nehmen. Aber hier sehe ich doch auch Frauenkleider.«

»Ja,« antwortete Florian. »Ich habe für jede der Damen einen Anzug mitgebracht, wie er von den wohlhabenden Mädchen und Frauen dieser Gegend getragen wird.«

»Auch gestohlen?«

»Nein. Ein solches Raubgenie bin ich denn doch nicht ganz. Ich habe mir diese Sachen nur ein Wenig geborgt.«

»Von wem?«

»Von der Wirthschafterin.«

»So ist sie in den Plan eingeweiht worden?«

»O nein. Ich habe ihr gesagt, daß es sich um einen kleinen Hochzeitsscherz handele, und da ich sonst nicht sehr spaßhaft bin, so hat sie es geglaubt.«

»Aber wozu Frauenkleider, Florian?«

»Das ist doch sehr einfach. Am Tage müssen die Damen in ihrer Verkleidung einem jeden auffallen, der Augen hat. Die Militärsachen sind nur da, um durch Sedan zu kommen, dann werden wir weiter sehen. Uebrigens dürfen die Damen nur in Frauenkleidern nach Gedinne kommen. Jetzt will ich gehen, um zu sehen, auf welche Weise wir am Leichtesten zu den nöthigen Pferden kommen.«

»Halten Sie es für möglich, daß Capitän Richemonte nochmals hierher kommt, um zu revidiren?« fragte Frau Richemonte.

»Ich halte es sogar für sehr wahrscheinlich.«

»Aber dann wird er vielleicht diese Kleider bemerken.«

»Nein. Ich werde den Herrn von Königsau bitten, sie mit hinauf auf das Dach zu nehmen, um dort auf mich zu warten. Ich habe die Sachen jetzt nur gebracht, damit Sie sich dieselben einmal betrachten können.«

Er ging. Auch Königsau kehrte nach einiger Zeit auf das Dach zurück. Er hatte die Kleider mitgenommen und wartete nun auf die Rückkehr des braven Kutschers, welcher es so gut verstanden hatte, ihn vorher über seine Pfiffigkeit zu täuschen.

Es war fast gegen Mitternacht, als ein einzelner Reiter vor dem Thore hielt. Es war sehr finster geworden.

»Wer da?« fragte die dort postirte Schildwache.

»Armeelieferant de Reillac,« lautete die Antwort.

»Kann passiren!«

Der Baron ritt in den Hof ein und stieg da vom Pferde. Als er sein Thier an eine Zaunlatte angebunden hatte, begab er sich nach dem Wachtlocal, welches sehr leicht dadurch zu erkennen war, daß es erleuchtet war. Als er dort eintrat, fuhr er erstaunt einen Schritt zurück.

»Sie hier, Capitän?« fragte er.

Wirklich befand sich Capitän Richemonte augenblicklich bei dem Wachthabenden. Er hatte sich fest vorgenommen, diese Nacht nicht zu schlafen, sondern ohne Unterlaß um den Meierhof zu patrouilliren. Es war doch möglich, daß Königsau, falls er sich hier befand, ihm dabei in die Hände lief.

»Und Sie hier, Baron?« gegenfragte Richemonte.

»Allerdings. Ich erfuhr, daß der Kaiser hier abgestiegen sei und ritt hierher, um am Morgen um eine Audienz zu bitten.«

»In Lieferungssachen?« fragte Richemonte lachend.

»Natürlich.«

»Sie wollen bitten, die Schlachtochsen nicht gar so fett kaufen zu müssen.«

»Und die Stiefel nicht gar so lang,« fügte der Wachthabende hinzu.

»Scherzen Sie immerhin,« meinte Reillac. »Mir ist die Sache so ernst. Bei mir stehen Millionen auf dem Spiele. Heut kam die Ordre zum Marschieren. Ich habe mir die Befehle des Hauptquartieres einzuholen, glaubte aber nicht, Sie hier zu finden, Capitän.«

»O, ich bin überall da, wo es gilt, Ihnen einen Dienst zu erweisen,« antwortete Richemonte.

Reillac blickte ihn einigermaßen verblüfft an.

»Sie mir?« fragte er.

Allerdings war gewöhnlich er es gewesen, welcher dem Capitän Dienste geleistet hatte.

»Ja, ich Ihnen,« antwortete der Gefragte ruhig.

»Welcher Dienst wäre das?«

»Wollen Sie es erfahren, so folgen Sie mir nach meiner Wohnung.«

»Sie haben eine Wohnung hier?«

»Ja. Oder soll ich als Etappencommandant nicht auf der Etappe wohnen dürfen?«

»Etappencommandant? Von Jeanette?«

»Ja.«

»Und ich vermuthete Sie in der Nähe der feindlichen Aufstellungen.«

»Von dort bin ich zurückgekehrt. Doch kommen Sie.«

Er nahm ihn am Arme und führte ihn nach dem Zimmer, welches er sich hatte anweisen lassen. Dort angekommen, brannte er sich eine Cigarre an und warf sich mit der Miene eines gemachten Mannes auf das Sopha.

»Setzen Sie sich, Baron!« sagte er in der Weise eines Gönners, der gerade einmal bei guter Laune ist.

Der Armeelieferant nahm langsam Platz, betrachtete sich kopfschüttelnd sein Gegenüber und sagte dann:

»Capitän, mit Ihnen ist Etwas vorgegangen!«

»Allerdings!« nickte Richemonte.

»Aber was?«

»Vieles! Und ich hoffe, daß auch noch Verschiedenes mit mir vorgehen wird.«

»Wie kommen Sie dazu, Etappencommandant von Jeanette zu werden?«

»Pah! Wie kommen Sie dazu, Armeelieferant zu werden?«

»Ich habe das Geld für diesen Posten.«

»Und ich habe das Geschick zu meinem Posten.«

»Donnerwetter, Sie scheinen seit Kurzem an Selbstbewußtsein zugenommen zu haben. Wie kommt das?«

»Das werden Sie vielleicht erfahren. Vorher aber eine Frage.«

»Fragen Sie.«

»Können Sie mir zehntausend Franks borgen?«

»Nicht zehn Sous.«

»Warum nicht? Haben Sie kein Geld?«

»Geld habe ich, aber für Sie nicht. Sie sind ein Blutegel, welcher immerwährend saugt, ohne jemals Etwas zurückzugeben.«

»Nun gut, so will ich Ihnen sagen, daß ich nur im Scherze sprach. Ich brauche Ihr Geld nicht mehr!«

»Das glaube Ihnen der Teufel, aber ich nicht! Es hat in Ihrem Leben nicht einen einzigen Augenblick gegeben, an welchem Sie nicht Geld gebraucht hätten.«

»Das ist leider sehr wahr; heute aber ist der Augenblick gekommen.«

»Vom Himmel herabgefallen?« hohnlächelte der Baron.

»So ziemlich!« antwortete der Capitän ruhig.

»Gratulire.«

»Danke.«

»Vielleicht kommt dann auch einmal die Zeit, in welcher Sie an Ihre Accepte denken, welche ich noch immer in den Händen habe.«

»Ich denke eben jetzt daran.«

»Haben Sie vielleicht den edlen Vorsatz, sie einzulösen?«

»Warum sollte ich ihn nicht haben?«

»Donnerwetter, dazu gehört viel Geld.«

»Pah. Die Chatoulle des Kaisers steht mir zur Verfügung.«

»Sie schwärmen, theurer Capitän.«

»Sie sind ein großer Esel, geliebter Baron.«

»Warum?«

»Weil Sie mir nicht zutrauen, auch einmal auf einen grünen Zweig zu kommen. Glauben Sie, der Kaiser hätte mich so ohne alle Veranlassung auf den gegenwärtigen verantwortlichen Posten gesetzt?«

»Das ist wahr. Sie müssen ihm bedeutende Dienste geleistet haben.«

»Allerdings,« nickte der Capitän gewichtig.

»Darf man fragen, welche?«

»Das bleibt zunächst Geheimniß. Ich deute nur an, daß ich mich einige Tage lang in der Nähe des feindlichen Hauptquartieres aufhielt.«

»Hm. Das Weitere läßt sich errathen. Der Etappenposten ist also erklärt, aber das mit der kaiserlichen Chatoulle leuchtet mir noch nicht ein.«

»Meinetwegen. Mir ist es ziemlich gleichgiltig, ob Sie erleuchtet sind oder nicht. Da Sie mir aber einige Dienste erwiesen haben, will ich Sie doch fragen, ob ich Ihnen in irgend einer Weise dankbar sein kann.«

Der Baron sperrte unwillkürlich den Mund weit auf.

»Sie thun ja ganz außerordentlich einflußreich, Capitän,« sagte er.

»Bin es auch!« antwortete Richemonte kurz.

»Nun, so zahlen Sie zunächst Ihre Accepte.«

»Werde es nächstens thun.«

»Oder, noch lieber wäre es mir, und Ihnen vielleicht auch – hm! –«

Er hielt zögernd inne, den Capitän mit dem Auge musternd.

»Nun, sprechen Sie weiter!« sagte dieser.

»Ich meine, daß es vortheilhafter wäre, wenn Sie mich in der bereits so oft angedeuteten Weise bezahlen könnten.«

»Welche Weise wäre das?« fragte der Capitän zurückhaltend.

»Ich denke dabei an Margot.«

»Ah! So haben Sie noch immer nicht verzichtet?«

»Spielen wir nicht Theater. Sie kennen meine Absichten nur zu gut.«

»Diese Absichten dürften bei der allerhöchsten Protection, deren ich mich jetzt erfreue, nicht mehr hoffnungslos sein.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Bis jetzt noch gar nichts. Lassen Sie uns vorher das Nöthige strikt formuliren. Sie beabsichtigen noch, meine Schwester zu heirathen?«

»Ja.«

»Was geben Sie mir, wenn ich diese Heirath zu Stande bringe?«

»Ich zerreiße die Wechsel.«

»Welchen Nutzen bringt die Ehe meiner Schwester?«

»Ich setze ihr im Falle meines Todes ein großartiges Wittwengehalt aus.«

»Pah. Haben Sie viel Verwandte?«

»Sehr wenig und entfernte.«

»So mache ich die Bedingung, daß meine Schwester im Falle Ihres Todes Ihre Universalerbin wird.«

»Capitän, Sie verlangen viel.«

»Und Sie nicht weniger. Meine Schwester ist ein Vermögen werth.«

»Es ließe sich allerdings noch weiter darüber sprechen.«

»Sprechen? O nein, Baron. Ich sage Ihnen ganz aufrichtig, daß ich ganz und gar nicht Lust habe, in dieser Angelegenheit blos Worte zu verlieren.«

»Sie wollen Thaten? Also welche?«

»Sie geben mir ein Document darüber, daß meine Schwester Ihre Universalerbin wird – – –«

»Natürlich nach der Hochzeit.«

»Natürlich vor der Hochzeit. Nach derselben wäre es zu spät, und ich habe ganz und gar die Absicht, so sicher wie möglich zu gehen.«

»Gut; ich stimme bei. Weiter?«

»Sie zerreißen meine sämmtlichen Accepte.«

»Natürlich nach der Hochzeit.«

»Nein, sondern auch vor der Hochzeit. Ich gehe am liebsten sicher.«

»Ich ebenso. Wie nun, wenn ich heute die Accepte zerreiße, und morgen erfahre ich, daß aus der bereits geplanten Verbindung wieder nichts wird?«

»Ich gebe Ihnen Sicherheit.«

»Welche?«

»Würde Ihnen der Befehl des Kaisers genügen?«

»Donnerwetter! Natürlich vollständig.«

»Nun gut, so zerreißen Sie die Wechsel.«

»Sie wollen doch nicht sagen, daß der Kaiser diesen Befehl geben wird?«

»Nein, sondern ich will nur sagen, daß er ihn bereits gegeben hat.«

Diese Worte waren mit so kalter Ueberlegung gesprochen, daß der Baron sich von seinem Stuhle erhob und schnell fragte:

»Hölle und Teufel! Sind Sie recht gescheidt oder nicht?«

»Ich wenigstens halte mich nicht für ganz dumm. Aber Sie?«

»Nun, für dumm halte auch ich Sie nicht, aber für ziemlich leichtsinnig.«

»So glauben Sie, daß ich ihnen jetzt einen blauen Dunst vormache?«

»Das glaube ich allerdings, wie ich Ihnen ganz aufrichtig gestehe.«

»Ich werde Ihnen beweisen, daß ich die Wahrheit sage.«

Die Leidenschaft, welche der Baron für Margot fühlte, prägte sich in seinem ganzen Gesichte aus, als er mit demselben rasch näher fuhr.

»Beweisen Sie es!« sagte er.

»Ich bin bereit, Ihnen den schriftlichen Befehl des Kaisers zu zeigen und auch nach demselben zu handeln, stelle aber zwei Bedingungen.«

»Welche?«

»Sie geben mir gleich jetzt Ihre Unterschrift, daß meine Schwester Ihre Universalerbin wird, und Sie reiten gleich jetzt nach Sedan, um mir noch vor Anbruch des Tages meine Wechsel zur Verfügung zu stellen.«

»Warum diese Hast?«

»Weil der Kaiser bereits früh abreist. Begreifen Sie nicht, daß ich Sie ihm als den Verlobten meiner Schwester vorstellen will?«

Die Augen des Barons glühten vor Begierde.

»Das ist wahr, Capitän?« fragte er.

»Ja, vollständig wahr.«

»Nun, so werde ich Ihnen die Unterschrift geben, sobald Sie mir die Ausfertigung des Kaisers zeigen, und dann sofort nach Sedan reiten, um Ihnen die Wechsel zu bringen.«

»Sie haben sie nicht mit?«

»Nein.«

»Sie geben mir Ihr Ehrenwort, daß Sie Ihre Versprechungen halten?«

»Mein Ehrenwort,« antwortete der Baron unter eifrigem Kopfnicken.

»Nun, so sehen Sie einmal.«

Der Capitän zog seine Brieftasche hervor, öffnete dieselbe und nahm das Blatt heraus, welches er von dem Kaiser erhalten hatte. Der Baron griff darnach und verschlang die Worte mit weit geöffneten Augen. Dann hielt er das Document gegen das Licht, um es zu prüfen.

»Es ist ächt, ächt, ächt!« rief er triumphirend. »Margot wird meine Frau, endlich, endlich, endlich! Alle Teufel, wie will ich sie in der ersten Zeit dafür strafen, daß ich so lang warten mußte.«

»Thun Sie das, Baron. Sie hat es verdient.«

»O, aber dann soll sie den Himmel auf der Erde haben.«

»Und Sie die Hölle in diesem Himmel. Zeigen Sie wieder her.«

Er nahm dem Barone das Document wieder aus der Hand.

»Ich darf es nicht behalten?« fragte dieser.

»Wozu? Haben Sie es nicht gelesen, daß mir die Vollmacht ertheilt wird, die Arrangements zu treffen?«

»Allerdings.«

»Und haben Sie die von mir gestellten Bedingungen bereits erfüllt?«

»Muß es wirklich gleich sein?«

»Ja. Die Gegenwart des Kaisers muß benutzt werden.«

»So geben Sie Papier her. In welcher Form wünschen Sie meine Erklärung niedergeschrieben?«

»Ganz kurz. Sie sagen, daß meine Schwester Ihre Universalerbin sei, indem Sie die Absicht haben, dieselbe zu Ihrer Frau zu machen.«

Vor Freude und Entzücken über die zu erwartende Erfüllung seines so lange Zeit vollständig vergeblichen Wunsches dachte der Baron gar nicht daran, diese so ganz und gar verfängliche Wortstellung und Ausdrucksweise einer Prüfung zu unterwerfen. Er schrieb, wie es ihm angegeben worden war, und setzte seinen Namen und das Datum darunter.

»So! Genügt das?« fragte er.

»Vollständig,« antwortete der Capitän.

Sein Auge ruhte wie dasjenige eines Raubthieres auf diesem wichtigen Documente, als er es zusammenfaltete und in seine Brieftasche steckte.

»Haben Sie bereits mit Margot gesprochen?« fragte der Baron.

»Ja.«

»Kennt sie den Willen des Kaisers?«

»So ziemlich.«

»Und wie verhält sie sich dazu?«

»Mehr passiv als activ.«

»So haben wir ja bereits mehr als halb gewonnen! Und die Mutter?«

»O, die ist noch leichter zu zähmen als die Tochter! Ich habe dem Kaiser ganz einfach die Wahrheit gesagt.«

»Welche Wahrheit meinen Sie?«

»Daß die beiden Damen sich bisher gegen Ihre Huldigungen sträubten.«

»Donnerwetter! War dies nicht blamirend für mich?«

»Ganz und gar nicht. Sie sind weder schön noch jung; es läßt sich also begreifen, daß ein lebensfrisches Mädchen einen feschen Husarenofficier Ihnen vorzieht. Wo liegt da die Blamage?«

»Sie sind fast mehr als aufrichtig, Capitän.«

»O, ich gebe der Sache nur die richtigen Worte.«

»Sie kommen aber da sehr leicht in die Gefahr, für grob gehalten zu werden.«

»Das bin ich auch zuweilen wirklich.«

»Wie zum Beispiel grade jetzt.«

»Meinetwegen. Unter Freunden rechnet man nicht so streng, und daß ich Ihr Freund bin, glaube ich Ihnen bewiesen zu haben.«

»Und nebenbei handelten Sie in Ihrem eigenen Interesse.«

»Ich leugne dies gar nicht, obgleich mein Interesse es gar nicht erforderte, Margot so scharf auf die Folter zu nehmen, wie es geschehen ist.«

»Was meinen Sie? Was ist geschehen?«

»Margot ist meine Gefangene.«

»Alle Teufel! Warum?«

»Um sie zur Raison zu bringen. Sie giebt entweder ihr Jawort freiwillig, und dann wird die Hochzeitsceremonie öffentlich und in solenner Weise vorgenommen werden. Oder sie verweigert es, und dann wird sie in ihrem Zimmer Ihre Frau, ohne gefragt zu werden.«

»Hat dies Geltung?«

»Wer kann gegen des Kaisers Befehl?«

»Allerdings! Aber man kann doch zuweilen nicht wissen, was – – –«

»Pah!« unterbrach ihn rasch der Capitän. »Ich habe Vollmacht, nach Belieben zu handeln. Kann Margot nicht krank sein? Kann sie nicht vom Schlage getroffen und der Sprache beraubt worden sein? Lassen Sie mich nur machen.«

»Capitän, Sie sind bei Gott ein ausgezeichneter Kerl. Sie sind werth, mein Schwager zu sein.«

»Danke! Dieses Compliment bringt mich ganz und gar nicht um den Verstand. Uebrigens muß ich Sie fragen, ob Sie bereits wissen, was dem Kaiser heut unterwegs passirt ist.«

»Ich habe es in Sedan erzählen hören. Er ist überfallen worden.«

»Was hat man über seine Rettung gesagt?«

»Viel Abenteuerliches. Ein junger Mensch soll ihn gerettet haben, ein wahrer Roland, ein Goliath, welcher die Räuber niedergemäht hat wie Halme.«

»Unsinn! Wissen Sie, wer dieser Goliath gewesen ist?«

»Nun?«

»Sie kennen ihn sehr genau; denn auch Sie haben mit ihm zu thun gehabt, und zwar in Paris: ich meine nämlich Königsau.«

Der Baron schüttelte ungläubig den Kopf.

*


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