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Fortsetzung 38

Ein kleines Thongefäß, mit Fett gefüllt, in welchem ein Docht steckte, bildete eine Lampe, deren Licht gerade hinreichend genug war, die Gegenstände im Innern der Hütte zu erkennen. Der Sohn des todten Heiligen hatte das Lager zur Seite geschoben und war damit beschäftigt, mit einem spatenartigen Werkzeuge den Boden aufzugraben. Da ertönten plötzlich, so daß er erschrocken emporfuhr, hinter ihm die lauten Worte:

»Mesalcheer – guten Abend.«

Er drehte sich um und sah zwei bewaffnete Beduinen am Eingange stehen. So sehr erschreckt er war, er faßte sich doch schnell und antwortete:

»Allah jumessik! Was wollt Ihr?«

»Wir kommen, um einige Worte mit Dir zu sprechen,« antwortete Richemonte.

»Tretet näher.«

Sie traten ein, und nun fragte der Capitän, auf das Loch deutend:

»Was thust Du hier?«

»Ich grabe die Grube für den Todten, welcher draußen vor der Thüre liegt,« antwortete er, schnell gefaßt.

»Wer ist dieser Todte?«

»Mein Vater, der fromme Marabut Hadschi Omanah.«

»Du lügst.«

»Du irrst! Ich sage keine Lüge.«

»Und dennoch lügst Du.«

»Ich kenne Euch nicht; Ihr seid Fremde; darum will ich Euch verzeihen. Ein Mann eines der nahe wohnenden Stämme würde anders sprechen. Aber auch für Euch ziemt es sich nicht, den Mann, unter dessen Dach Ihr tretet, einen Lügner zu nennen. Die Leiche eines Marabut heiligt den Ort, an dem sie sich befindet, Ihr aber entweiht und entheiligt ihn.«

Er hatte sehr ernst und furchtlos gesprochen; der Capitän aber antwortete ganz in seiner vorigen Weise:

»Ich wiederhole, daß Du lügst. Ich kenne den Mann, dessen Leiche ich da draußen liegen sah.«

»Wenn Du ihn besser kennst als ich, der ich sein Sohn bin, so sage mir, wer Du meinst, daß er sei.«

»Jetzt ist er nichts als Staub und Erde. Vorher aber war er der Baron Alban de Sainte-Marie,« sagte Richemonte in französischer Sprache.

»Allah!« rief der junge Mann erschrocken.

»Der Mörder seines eigenen Weibes.«

Die Augen Arthurs öffneten sich vor Entsetzen fast übermäßig weit.

»Der seine eigene Mutter beraubte und bestahl.«

»Wer seid Ihr?« stieß der Ueberraschte hervor.

»Ich bin Derjenige, von Dem er Dir vorhin erzählt hat.«

»Ah! Ihr habt uns belauscht?«

»Ja. Hast Du Dir den Namen Richemonte gemerkt?«

»Des französischen Capitäns? Ja.«

»Ich bin es.«

»Gott schütze mich!«

»Ja, Gott schütze Dich!« rief jetzt der Andere. »Aber er wird es nicht vermögen, Dich, den abtrünnigen Muselmann, zu schützen.«

Er zog blitzesschnell seine Pistole hervor, zielte und drückte ab. Der Schuß krachte weit in die Nacht hinaus. Arthur de Sainte-Marie stürzte lautlos mit zerschmetterter Stirn zur Erde. Der Capitän beugte sich über ihn nieder und untersuchte ihn.

»Ausgezeichnet gemacht, mein Junge!« sagte er. »Die Kugel ist ihm bis in's kleine Gehirn gedrungen. Er war sofort todt und hat nicht viel zu leiden gehabt. Auch das ist der Tod eines Heiligen.«

Der Mörder aber drehte sich scheu zur Seite. Er wagte kaum, einen Blick auf sein unschuldiges Opfer zu werfen.

»Du meinst, ich habe gut getroffen?« fragte er, um nur Etwas zu sagen.

»Ja.«

»So schaffe ihn hinaus.«

»Warum?«

»Ich mag den Kerl nicht vor Augen haben. Dieses Loch im Kopfe, diese krampfhaft geballten Fäuste, diese starren, fürchterlichen Augen!«

Er schüttelte sich, als ob es ihn fröstele.

»Hasenherz! Aber es ist dennoch wahr. Wir müssen ihn hinausschaffen, um Platz zu haben, seine begonnene Arbeit fortzusetzen. Fasse an!«

»Thue es allein!«

»Meinetwegen! Ich brauche mich nicht zu fürchten und zu scheuen, denn ich bin es nicht, der ihn erschossen hat. Ich bin unschuldig an diesem Blute.«

Diese Worte trafen den Andern wie ein Donnerschlag.

»Du unschuldig?« fragte er. »Hast Du nicht die ganze Sache angestellt?«

»Pah! Mußt Du thun, was Andere sagen? Wenn ich Dir rathe, Dir selbst eine Kugel durch den Kopf zu jagen, wirst Du es auch thun? Ein Jeder trägt die Verantwortung seines Thuns. Die Gründe dazu liegen in ihm selber, wenn auch zehnmal der Anstoß von Außen kommen sollte. Ich wünsche übrigens nicht, daß Du mir noch einmal zu hören giebst, ich sei es, der Dich zu diesem Morde veranlaßt habe.«

In diesem Augenblicke begann die Taktik, welche er dann später auch auf Schloß Ortry zu befolgen pflegte. Er faßte den Erschossenen bei den Armen und schleifte ihn auf dem Rücken hinaus vor die Thür. Wieder eingetreten, untersuchte er das Loch und gebot dann seinem Gefährten:

»Nun, was soll die Pistole noch in der Hand? Der Geruch des Blutes hat Dich wohl um die Besinnung gebracht? Hier, grabe weiter, Junge!«

Der Andere gehorchte, ohne eine Widerrede zu versuchen. Er steckte die Pistole in die Tasche, ergriff den Spaten und begann zu graben. Bereits nach kurzer Zeit stieß er auf etwas Hartes.

»Hier wird es sein,« meinte er monoton.

»So schaff die Erde weg! Ich bin begierig, zu sehen, was es ist.«

Dies geschah, und nun zeigte es sich, daß ein großer, vasenartiger Topf, welcher mit einem thönernen Deckel belegt war, in der Erde steckte.

Der Capitän nahm den Deckel ab. Ein ziemlich dickes Papierheft kam zum Vorscheine. Richemonte öffnete es, beleuchtete es mit der Lampe und blätterte darin umher.

»Die Aufzeichnungen des alten Sünders,« sagte er. »Sie behandeln die Zeit von dem Tage an, an welchem er Jeanette verließ, um seinem Mädchen nachzulaufen, bis einige Jahre vor seinem Tode. Weiter!«

Unter dem Hefte befand sich ein alter, wollener Lappen. Als dieser entfernt worden war, entfuhr den beiden Männern ein Ausruf der freudigsten Ueberraschung. Was sie sahen, war kostbares, mit Perlen und Edelsteinen besetztes Geschmeide, unter welchem der Topf mit lauter englischen Guineen angefüllt war.

»Alle Teufel, das ist mehr, als ich dachte!« rief Richemonte erfreut.

»Das ist ein großer Reichthum,« meinte der Andere, den Inhalt des Topfes mit gierig funkelnden Augen musternd.

Er wollte die Hand darnach ausstrecken, allein der Capitän schob ihn zurück und sagte im gebieterischen Tone:

»Halt, mein Junge! Das ist vor der Hand noch nichts für Dich.«

»Ah! Bin ich nicht Ben Hadschi Omanah, der Baron de Sainte-Marie?«

»Du sollst es erst werden!«

»Dann ist das Alles mein Eigenthum!«

»Natürlich! Bis dahin aber werde ich es in meine eigene Verwahrung nehmen. Ich kenne Dich. Sobald Du Geld in der Tasche hast, bekommt es Flügel. Du bist im Stande, Deiner Liama hier den ganzen Kram für einen einzigen Kuß an den Hals zu werfen.«

»So verrückt bin ich allerdings wohl nicht!«

»Vorsicht bleibt Vorsicht! Ich will Dir erlauben, Dich her zu setzen, um mit zu zählen. Eingesteckt aber wird kein einziges dieser Goldstücke. Was wir für die nächste Zeit brauchen, das habe ich in Biskra erhalten.«

»Aber was soll denn mit diesem Schatze geschehen?«

»Vergraben wird er, bis wir mit Königsau fertig sind. Dann holen wir ihn und kehren nach Frankreich zurück, um zu sehen, ob dort die Verhältnisse unserem Vorhaben günstig sind.«

»Wollen wir nicht die Thüröffnung verschließen?«

»Warum?«

»Es ist doch immerhin eine Ueberraschung im Bereiche der Möglichkeit!«

»Pah, wer soll kommen. Draußen liegen die beiden Todten, Einer hüben und der Andere drüben. Sie halten so gut Wache, daß kein Mensch herein kann. Komm her, Junge, wollen an unsere Arbeit gehen.«

Zunächst wurde der Schmuck besichtigt. Er bestand aus vielen Gegenständen und repräsentirte einen wirklich hohen Werth. Dann zählten die beiden Mörder die Goldstücke; es waren ihrer gegen drei Tausend.

»Dieser heilige Marabut ist wirklich ein großer Spitzbube gewesen,« meinte Richemonte. »Bescheiden hat er sich bei dem Diebstahl ganz und gar nicht aufgeführt. Desto besser aber ist das für uns, die wir seine dankbaren Erben sind. Er mag in Allah ruhen und selig werden!«

»Es ist wirklich zu verwundern,« sagte sein Gefährte, »daß seine Mutter sich keine Mühe gegeben hat, wieder zu dem Ihrigen zu gelängen!«

»Zu verwundern? O nein! Es beweist das blos, daß sie viel Stolz und Ehrgefühl besessen hat, daß sie zweitens den Sohn wirklich aus dem Herzen gerissen hat, und daß sie drittens reich genug war, diesen Verlust verschmerzen zu können. Du siehst also ein, daß es sich sehr der Mühe verlohnt, Baron de Sainte-Marie zu werden.«

»Ob die alte Frau wohl noch leben wird?«

»Wer kann das wissen. Frauen haben oft ein zähes Leben. Wahrscheinlich aber ist sie gestorben. Sie war bereits damals die Jüngste nicht mehr.«

»Wo vergraben wir diese Sachen? Hier oben?«

»Fällt mir gar nicht ein! Unten im Dickicht liegen sie sicherer.«

»Und was thun wir mit den Leichen?«

»Den Marabut mag man in Gottes und Allahs Namen immerhin finden. Wir legen ihn in die Hütte, natürlich nachdem wir dieses interessante Loch zuvor wieder zugeworfen haben. Den Andern aber müssen wir irgendwo verscharren, wo er niemals entdeckt werden kann.«

»Wenigstens nicht eher, als bis er zur Unkenntlichkeit verwest sein wird, da ich es bin, der für ihn zu gelten hat. Machen wir, daß wir aus der Hütte hinauskommen. Die Lampe ist fast ganz herabgebrannt, und im Dunkeln mag ich nicht hier bleiben.«

»Ja, machen wir das Loch zu!«

Diese Arbeit wurde schnell beendet. Das fest getretene Erdreich wurde wieder mit dem Moose des Lagers bedeckt, und dann holte der Capitän den Marabut herbei, den er darauf legte.

»So!« sagte er. »Die Thür werden wir ihm nicht zumauern, wie er es sich bedungen hat. Er wollte nur einen einzigen Sonnenstrahl täglich haben, wir sind aber Christen und gönnen ihm mehr.«

»Und der Andere?«

»Der muß liegen bleiben, bis der Morgen anbricht. In der nächtlichen Dunkelheit ist es ganz unmöglich, eine solche Arbeit vorzunehmen.«

»Und wo bleiben wir bis dahin?«

»Draußen irgendwo unter den Bäumen. Vom Schlafe ist keine Rede.«

»Diesen Schatz nehmen wir doch mit uns?«

»Ja, obgleich er hier bei den Todten sicher aufgehoben sein würde. Aber, alle Wetter, da hätten wir ja beinahe die Hauptsache vergessen!«

»Was?«

»Die Legitimationen, welche der junge Marabut zu sich gesteckt hat. Wenn wir sie mit ihm vergraben wollten, so würde es Dir wohl verteufelt schwer werden, den Baron de Sainte-Marie zu spielen.«

»Er hat sie in die Innentasche seiner Kutte gesteckt. Ich habe es gesehen.«

»So nimm sie heraus.«

»Das kannst Du ebenso gut.«

»Abermals Hasenherz!«

»Spotte immerhin. Am hellen Tage und im offenen Kampfe, da stelle ich meinen Mann, des Abends oder gar des Nachts aber mag ich von Leichnamen nichts wissen. Es ist das ein alter Grundsatz von mir.«

»Ja, Feiglinge pflegen in dieser Beziehung die festesten Grundsätze zu haben. Ich will hinausgehen, die Papiere zu holen. Siehe Du inzwischen, ob vielleicht noch Blutflecke zu vertilgen sind. Wer morgen kommt, darf nichts ahnen. Man muß denken und annehmen, daß der Alte gestorben ist, während der Junge sich auf einer Excursion auswärts befindet.«

Die Papiere wurden gefunden. Der Capitän steckte sie zu sich. Als nun auch noch einige sichtbare Blutspuren vertilgt worden waren, löschten die Beiden die Lampe aus und begaben sich mit dem Topfe unter den Bäumen nach dem Orte hin, wo sie bereits vorhin, als ihre Belauschung beendet gewesen war, miteinander gesessen hatten.

Sie fühlten trotz der Länge ihres anstrengenden Rittes nicht die mindeste Müdigkeit. Das heutabendliche Erlebniß hatte ihre Nerven angestrengt, so daß auch keine Spur von Schläfrigkeit zu bemerken war.

Sie versuchten, sich die Zeit durch leise geführte Gespräche zu vertreiben, wozu ihnen allerdings Stoff genug geboten war. Während einer Pause fragte der Jüngere den Capitän:

»Lebt Deine Schwester Margot noch?«

»Ich weiß es nicht.«

»Und ihr Mann?«

»Jener verfluchte Hugo von Königsau, der Günstling des alten Blüchers? Ihm habe ich viel Malheur zu verdanken. Ich wollte, daß ihn der Teufel hätte! Ob er ihn aber schon hat, das kann ich nicht sagen, da ich so lange Zeit nicht wieder drüben gewesen bin.«

»Ob der Lieutenant von Königsau, den wir jetzt so freudig überraschen wollen, wirklich ein Verwandter von ihm ist?«

»Natürlich! Er ist ein Sohn von ihm und meiner Schwester. Wenn dieser Laffe wußte, daß sein lieber Onkel ihm unterwegs auflauert, um ihn um einige Tropfen Blutes und verschiedene Kameelladungen leichter zu machen. Ich glaube, daß endlich, endlich meine Zeit begonnen hat. Ich habe Jahrzehnte lang vergebens auf sie gehofft und gewartet, und sie ist nicht gekommen. Ich habe gedarbt und gekämpft fast ein ganzes Menschenalter, ohne daß meine Hoffnung erfüllt worden ist. Jetzt aber leuchtet mir die Erfüllung meiner Wünsche. Rache will ich haben, Rache an diesem Königsau und ihrer ganzen Sippe, und auch, wo möglich, Rache an der ganzen Nation dieser vermaledeiten Deutschen, deren Anwesenheit in Paris ich es zu verdanken habe, daß Andre, welche damals neben mir dienten, heute bereits die Marschallsinsignien tragen. Vielleicht giebt der Satan, wenn ich wieder im Vaterlande wohne, diesen Deutschen die gehörige Portion Verblendung, einen Krieg mit uns zu beginnen; dann werde ich Alles, Alles thun, um Blut fließen zu sehen, Blut, Blut und Blut.«

Wäre es nicht dunkel gewesen, so hätte man an ihm jenes Zähnefletschen beobachten können, welches bei ihm stets ein Zeichen grimmiger Aufregung war. Er befand sich jetzt in der Stimmung, in welcher er sich am Wohlsten fühlte.

»Wer hätte gedacht,« meinte sein Gefährte, »daß wir heute so rasch zum Ziele kommen würden!«

»Und zu welch' einem Ziele! Zwei Sainte-Marie's sind todt, und ein Richemonte wird Baron! Das ist überschwänglich mehr, als selbst die kühnste Hoffnung erwarten konnte. Wir können zufrieden sein.«

»Welche Nachricht wirst Du dem Gouverneur Cavaignac bringen?«

»Bringen? Keine. Ich werde sie ihm schicken.«

»Durch wen?«

»Durch den Commandanten von Biskra, zu dem wir reiten.

Es hat sich durch unser heutiges Abenteuer so Vieles geändert, daß auch ich meinen Plänen eine andere Richtung geben muß. Es wird dies der letzte Dienst sein, den wir dem Gouverneur erweisen. Ich habe die Spionage satt.«

»Wird er erfahren, wer der Marabut eigentlich gewesen ist?«

»Wo denkst Du hin! Er wird erfahren, daß er den frommen Hadschi Omanah nicht mehr zu fürchten brauche, weil dieser heute gestorben ist.«

»Und unsern Lohn?«

»Werden wir sicher erhalten. Ich hole ihn mir nach dem Ueberfall der Karawane des Deutschen.«

»Mir recht. Noch aber ist mir nicht klar, wie wir die Beni Hassan in den Verdacht bringen wollen, den Deutschen überfallen zu haben.«

»Das laß nur meine Sorge sein. Der Plan dazu ist in meinem Kopfe so ziemlich fertig. Er harrt nur noch der Ausführung und des Gelingens.«

»Ich mache aber die strenge Bedingung, daß dieser Saadi, der Geliebte Liama's, sterben muß.«

»Am liebsten ließe ich den ganzen Stamm vernichten und Deine süße Liama zu allererst. Du wirst sehen, wohin Du Dich in dieser Liebesblindheit tasten wirst. Ich habe meine Schuldigkeit gethan und Dich gewarnt; jetzt siehe Du zu, ob Du auch im Stande sein wirst, die voraussichtlichen Folgen Deiner Starrköpfigkeit auf Deine eignen Achseln zu nehmen.«

»Das laß nur immerhin meine Sorge sein,« antwortete der Andere so kurz wie möglich, »Du sollst gar nicht das Glück genießen, die Folgen dieses dummen Streiches, wie Du ihn nennst, mit genießen zu können.«

Mit dieser etwas scharfen Entgegnung wurde das Gespräch abgebrochen. – –

Noch stieg der Duft der Wüste empor; noch wehte es leise, leise in den Zweigen, wie Flügelschlag einer fliehenden Seele; noch lächelten die Funken des Südens herab, als ob es kein Ereigniß gegeben habe, durch welches die Ruhe und der tiefe Frieden des heiligen Berges in so entsetzlicher Weise gestört worden sei. Als Arthur auf Wunsch des sterbenden Vaters betete:

»Mein Leben und mein Ende
Ist Dein. In Deine Hände
Befehl ich, Vater, meinen Geist!«

hatte sein Schmerz und sein gewaltsam niedergehaltenes Schluchzen nur diesem Vater gegolten, und doch hatte er sein eigenes Sterbegebet gesprochen. Er hatte die Wüste verlassen sollen, um nach dem Heimathslande seines Vaters zu pilgern; nun aber war er mit diesem Vater eingegangen in eine Heimath, welche höher und herrlicher ist als alle Stätten der Erde. – – –

Kaum begann im Osten der Horizont sich leise aufzuhellen, so machten die beiden Mörder sich an die Arbeit, den Topf mit dem Golde und den Kostbarkeiten einzugraben. Sie fanden bereits nach kurzem Suchen einen außerordentlich gut passenden Ort, an welchem sie den geraubten Schatz für voraussichtlich nur kurze Zeit der Erde anvertrauten. Einige nur ihnen in die Augen fallende Kennzeichen dienten zur Bezeichnung dieser Stelle, und sodann begaben sie sich wieder nach der Hütte des Marabut.

Sie traten nochmals in das Innere, um sich nun auch beim Lichte des heranbrechenden Morgens zu überzeugen, daß keine Spur ihrer schaurigen That vorhanden sei. Dann ergriffen sie die Leiche des Ermordeten, um sie im tiefen Walde zu verscharren, zu welchem Zwecke sie den in der Hütte vorgefundenen Spaten mitnahmen. Auch dieses unheimliche Geschäft wurde rasch und zu ihrer Zufriedenheit beendet. Dann machten sie sich auf den Weg, um ihre zurückgelassenen Pferde aufzusuchen. Sie fanden dieselben an Ort und Stelle und trabten bald, da die Thiere sich mittlerweile ziemlich erholt hatten, munter dem Osten zu, in welcher Richtung Biskra, ihr nächstes Ziel, zu suchen war. – –

Zum besseren Verständnisse des nun Folgenden ist ein kurzer Rückblick auf diejenigen Personen nöthig, deren Erlebnisse gewiß das größte Interesse des freundlichen Lesers in Anspruch genommen haben.

Der alte »Marschall Vorwärts« hatte nach der siegreichen Schlacht bei Waterloo Frankreich zum zweiten Male niedergeworfen. Paris war erobert und ein erneuter Frieden geschlossen worden. Dieser Frieden hatte Napoleon seinen Thron und – seine Freiheit gekostet: Er war nach der Insel St. Helena verbannt worden, von wo eine Rückkehr nicht so leicht zu bewerkstelligen war, als von dem so nahe gelegenen Elba.

An diesem Niederringen der Cohorten des großen Corsen hatte Hugo von Königsau leider nicht mit Theil nehmen können. Er war von den Folgen der fürchterlichen Hiebwunde Monate lang an das Lager gefesselt worden. Lange, lange Zeit hatte er in völliger Bewußtlosigkeit gelegen. Diese war zunächst in einen apathischen, dann in einen traumhaften Zustand übergegangen, und erst später hatte es hier und da einen kurzen, lichten Augenblick gegeben, an welchem das Auge des Schwerkranken mit Bewußtsein an der Gestalt seiner Pflegerinnen gehangen hatte.

Diese Pflegerinnen waren seine aus Berlin herbei geeilte Mutter, Frau Richemonte und ihre Tochter Margot, seine Geliebte.

Er erkannte sie alle Drei. Er lernte, sich von Stunde zu Stunde besser und deutlicher auf Alles, was früher geschehen war, besinnen. Seine Erinnerung reichte bis zu seiner Ankunft auf dem einsamen Hofe, wo der brave Kutscher Florian seine Geliebte in Sicherheit gebracht hatte. Aber, eigenthümlich im allerhöchsten Grade, weiter konnte er sich nicht besinnen, so sehr er seinen leidenden Kopf auch anstrengte.

Und selbst als die Aerzte ihn für hergestellt erklärten, war in diesem Punkte sein Gedächtniß noch immer nicht geheilt.

Er wußte ganz genau, daß er nach dem Hofe gekommen war, um die Kriegskasse an einer andern, sicheren Stelle zu verbergen. Er hatte auch den Situationsplan bei sich, den er gezeichnet hatte, er wußte den Ort, an welchem die Kasse zuerst verborgen gewesen war, ganz genau; seine erste Excursion nach seiner Genesung führte ihn hinauf nach der Schlucht, wo er bei der dort vorgenommenen Nachgrabung auch die Leichen der beiden Mörder fand; er besaß sogar noch das über die Ermordung des Barons de Reillac abgefaßte und von seinen Untergebenen unterzeichnete Protocoll – aber dennoch blieb es ihm vollständig unmöglich, sich auf das zu besinnen, was in der Zeit von ungefähr innerhalb zwölf Stunden vor seiner Verwundung geschehen war.

Er kannte die Namen Aller, welche bestimmt gewesen waren, ihn nach der Schlucht zu begleiten und ihm bei der Ausgrabung der Kasse behilflich zu sein. Er hielt genaueste Nachforschung und erfuhr, daß sie nie wieder zurückgekehrt seien.

So sah er sich gezwungen, nach Berlin zu gehen, ohne in dieser wichtigen Angelegenheit Klarheit gewonnen zu haben.

Auch Blücher kehrte nach dem Friedensschlusse nach der Hauptstadt Preußens zurück. Er wurde natürlich sofort von Königsau aufgesucht und Jener empfing denselben mit seiner herkömmlichen, freundlichen Derbheit.

»Guten Morgen, mein Junge!« meinte der Marschall. »Ich hörte, Du hättest einen solchen Schmiß über den Kopf erhalten, daß der Teufel an jedem Augenblicke bereit gewesen sei, Dich zu holen?«

»Ja, es war ein verfluchter Schmiß, Excellenz,« antwortete Hugo.

»Der Teufel hat aber doch auf Dich verzichten müssen? Na, das ist gut, das freut mich! Quecken, Heederich, Sauerampfer und anderes Unkraut verliert sich nicht so leicht; das habe ich an mir selber hundertmal erfahren.«

»Aber eine verdammte Geschichte war es doch, Durchlaucht!«

»Hm! Ja! So ein Hieb wirft Einen aufs Bette. Da giebt's rothrussisches Seifenpflaster, Weiermüllers Universalpflaster, Schwarzburger Zugpflaster, gelben Zug, rothen Theakel, Heinswalder Canaillenpflaster, Braußebeutel, Rhicinusöl, Brechmittel, Purganzen und lauter solches verfluchtes Zeug, was einen Kranken nur noch elender macht, anstatt ihm auf die Socken zu helfen. Ich kenne das, o, ich kenne das sehr genau. Mir aber dürfen diese Pflasterkasten nicht wieder an den Corpus. Wenn ich einmal meinen letzten Athem schnappe, so will ich ohne Medicin gen Himmel fahren.«

»Mag sein, Excellenz. Aber das ist es nicht, was mich am Meisten geärgert hat.«

»Nicht? Nun, was hat Dich denn sonst gewurmt?«

»Zweierlei.«

»Laß es hören!«

»Erstens, daß ich nicht weiter mitmachen konnte.«

»Ja, das ist allerdings für einen jeden braven Kerl eine verflucht unangenehme Geschichte; aber man muß sich mit Lakritzensaft drein finden.«

»Das ist nicht so leicht, Excellenz.«

»Aber man bringt es dennoch fertig.«

»Ja, wenn man sich über Verschiedenes hinwegzusetzen vermag.«

Blücher klopfte seine Thonpfeife an der Ecke des Tisches aus, so daß die noch klimmende Asche auf den Teppich fiel und ihn versengte, blickte den Lieutenant von der Seite forschend an und fragte:

»Ueber Verschiedenes? Was wäre das wohl, he?«

»Nun,« antwortete Hugo etwas zögernd, »das versäumte Avancement zum Beispiel.«

Der Alte nickte bedächtig und wohlwollend.

»Hm, ja, das ist allerdings wahr,« sagte er. »So etwas ist zum Ohrfeigen-Kriegen. Aber da kann man doch wohl ein wenig nachhelfen. Du hast uns ganz famose Dienste geleistet. Du hast uns hundertmal mehr genützt, als wenn Du Compattant geblieben wärst. Laß mich sorgen, mein Junge. Ein Wort, welches der alte Blücher sagt, wird schon noch gelten. Meinst Du nicht auch?«

»Ich denke es,« antwortete Königsau lächelnd.

»Na, also! Ich wollte es ihnen auch nicht gerathen haben, eine Empfehlung von mir in den Winkel zu schmeißen. Ich bin in solchen Dingen ein ganz curioser Kauz. Aber, was ist denn nun das Andere, worüber Du Dich so ärgerst?«

»Die Kriegskasse, Excellenz.«

»Die Kriegskasse? Alle Wetter, ja! Ich detachirte Dich doch mit einer kleinen Anzahl von Leuten, um diese alte Sparbüchse anderweit in Sicherheit zu bringen. Du kamst nicht wieder, und ich mußte weiter, immer hinter diesem Bonnaparte her, um ihm zu zeigen, was deutsche Hiebe für Beulen machen. Dann hörte ich, daß Du verwundet worden seist. Wie ist es denn mit der Kasse geworden?«

»Ja, das weiß ich nicht, Excellenz.«

»Nicht?« fragte Blücher verwundert. »So bist Du verwundet worden, noch ehe Du zur Kriegskasse kamst?«

»Nein, später.«

»Aber, da mußt Du doch wissen, ob Du sie gefunden hast!«

»Jedenfalls habe ich sie gefunden.«

»Und anderswo vergraben?«

»Ich denke es.«

»Ich denke es? Alle Teufel, was ist das für ein dummes Wort! Hier kann es ja gar nichts zu denken geben!«

»Eigentlich nicht, Durchlaucht. Aber ich habe es leider vergessen.«

»Vergessen? Das mit der Kriegskasse?«

»Ja.«

»Alles? Den ganzen Schwamm?«

»Ja.«

»Mensch! Kerl! Bist Du denn ein Kind, so etwas Wichtiges zu vergessen?«

Königsau deutete an die blutrothe Narbe, welche sich über den ganzen Kopf und noch über die Stirn bis auf die Nasenwurzel herab zog, und antwortete:

»Ich kann nicht dafür, Excellenz. Diese da ist schuld.«

»Die Wunde?«

»Ja.«

»Heiliges Donnerwetter! Hat sie Dich um das Gedächtniß gebracht?«

»Leider! Ich bin nicht im Stande, mich auf das zu besinnen, was in der Nacht vor meiner Verwundung geschehen ist.«

»Du hast Dir keine Mühe gegeben, mein Junge!«

»O doch, und welche Mühe! Ich habe ganze Tage und Nächte durchgedacht, gesonnen und gegrübelt. Die Erinnerung aber hat nicht kommen wollen.«

»Partout nicht?«

»Nein.«

»Das ist wunderbar! Es ist Dir da irgend ein Rad im Kopfe ausgeschnappt, oder der Hieb hat Dir einen Theil des Gedächtnißkastens lädirt. So etwas läßt sich nicht wieder flicken oder zusammenkleistern. Aber oben bist Du gewesen, wo die Kasse vergraben lag?«

»Ja.«

»Und die Leute mit Dir?«

»Jedenfalls.«

»Und die Kasse habt Ihr herausgenommen?«

»Ich denke es.«

»Wenn Du das nur gewiß wüßtest.«

»Ich denke, daß es so ist. Ich bin nach meiner Genesung oben gewesen und habe gefunden, daß die Kasse nicht mehr vorhanden war.«

»Es kann sie auch ein Anderer gefunden und gehoben haben.«

»Hm, wahrscheinlich ist es nicht, obwohl aber doch möglich.«

»Möglich doch? Wieso?«

»Ich traue diesem Capitän Richemonte nicht.«

»Ah, diesem Kerl! War er denn oben?«

Königsau machte ein etwas verlegenes Gesicht, zuckte die Achsel und antwortete:

»Höchst wahrscheinlich.«

»Wieder höchst wahrscheinlich! Donnerwetter! Junge, ich bin mit Dir ganz und gar nicht zufrieden! Was thue ich mit einer Wahrscheinlichkeit? Gewißheit will ich haben.«

»Nun, vielleicht kann ich auch diese geben. Es ist nämlich fast für sicher anzunehmen, daß ich es gewesen bin, der die Kasse exhumirt hat, denn ich habe einen Situationsplan gezeichnet und später bei mir gefunden, welcher jedenfalls den Ort anzeigen soll, an welchem ich das Geld wieder versteckt habe.«

»Ah! Hast Du ihn noch?«

»Ja.«

»Her damit.«

»Hier ist er.«

Blücher nahm das Papier und betrachtete es genau.

»Der Plan ist gut und deutlich. Hier Fichten, dort Birken und drüben einige Kiefern. Hier ein Kreuz – jedenfalls die Stelle, wo Ihr die Kasse wieder eingegraben habt. Das muß doch zu finden sein.«

»Ich habe vergebens gesucht.«

»Ah, Du hast gesucht?«

»Ja, Tage lang.«

»Aber den Ort nicht gefunden?«

»Nein.«

»Die Fichten, Birken und Kiefern auch nicht, mein Junge?«

»Nein. Ich kann mich absolut nicht besinnen, in welcher Richtung wir uns damals von der Schlucht aus gehalten haben.«

»Das ist eine verdammte, ganz und gar miserable Geschichte. Das ist eine Geschichte, bei welcher einem sogar die Pfeife ausgehen kann.«

Er legte die Pfeife fort, welche er sich vorher neu gestopft und angebrannt hatte. Mit dem Plane in der Hand, ging er nachdenklich in dem Zimmer auf und ab. Dann warf er ihn auf den Tisch und sagte:

»Na, Du kannst jedenfalls nicht dafür. Der verfluchte Hieb hat Dein Gehirn bankerott gemacht; da ist nichts daran zu ändern. Aber wo sind die Anderen, welche dabei waren? Sie müssen sich doch besinnen können!«

»Ich habe nach ihnen geforscht. Es lebt Keiner mehr.«

»Hols der Teufel! Sie sind in den späteren Kämpfen gefallen?«

»Nein, sondern wohl noch während jenes Tages. Das Haus, von welchem unsere Excursion ausging, wurde von Franzosen überfallen, wobei ich meinen Hieb erhielt. Preußische Husaren kamen zu Hilfe und fanden später in der Richtung nach den Bergen zu gerad so viele erschossene Männer, als ich bei mir gehabt hatte.«

»Fand man nichts bei ihnen, was einen Anhalt hätte geben können, wer sie gewesen sind?«

»Nein. Sie waren vollständig ausgeplündert.«

»Das ist fatal! Na, wir haben wenigstens einen Trost dabei, nämlich den, daß wir die Kasse auch dann nicht bekommen würden, falls Du es ganz genau wüßtest, wo sie verborgen liegt.«

»Nicht? Ich würde es in diesem Falle für nicht schwer halten, sie zu holen, Excellenz.«

»Diebstahl, mein Junge! Sie liegt auf französischem Grund und Boden. Aber meintest Du nicht, daß dieser Capitän Richemonte mit Euch oben in den Bergen gewesen sei?«

»Ja.«

»Woraus schließest Du das?«

»Weil ich hier ein Document habe, nach welchem er da oben den Baron de Reillac ermordet hat. Ich selbst bin Zeuge gewesen. Hier nun steht klar und deutlich, daß wir die Leiche Reillacs gefunden haben, und daß Richemonte bei ihr stand. Auch sind die Gegenstände verzeichnet, welche er bei sich trug, die aber Reillac gehörten.«

»Ihr habt sie ihm doch abgenommen?«

»Das versteht sich.«

»Wo sind sie?«

»Ich habe sie später in meinem Besitze gefunden und habe sie noch.«

»Aber wie es scheint, ist Euch Richemonte selbst entkommen?«

»Entweder ist er uns entkommen, oder wir haben ihn freiwillig gehen lassen, Excellenz.«

»Das Letztere wäre eine unendliche Dummheit von Euch gewesen.«

»Entschuldigung, Excellenz! Ich möchte es doch nicht so bezeichnen!«

»Nicht? Warum nicht, he?«

»Es gilt, zu bedenken, daß wir uns in Feindes Land befanden.«

»Ach so! Hm! Ja! Ihr wart gleichsam Spione; wenigstens befandet Ihr Euch heimlich mitten unter einer feindlichen Bevölkerung. Da war es allerdings nicht gerathen, den Kerl zu arretiren.«

»Vielleicht könnte man ihn noch jetzt beim Schopfe nehmen.«

»Noch jetzt? Ah, ja! Das ist wahr; würde man Reillacs Leiche finden?«

»Jedenfalls.«

»Hm! Der Gedanke ist nicht schlecht. Beweise hätten wir auch, nämlich das, was Du gesehen hast, Eure Unterschriften und dann die Gegenstände, welche Reillac gehörten und die Ihr ihm abgenommen habt.«

»O, es giebt noch mehr Beweise, Excellenz.«

»Welche?«

»Margot hat einen Brief von ihm erhalten, in welchem er ihr mittheilt – – –«

Blücher machte eine schnelle Bewegung und unterbrach ihn:

»Margot! Ah, Donnerwetter! An dieses alte Mädel habe ich gar nicht gedacht! Wie dumm von mir! Wo steckt sie denn eigentlich?«

»Hier in Berlin bei meiner Mutter.«

»So! Die muß ich besuchen, und das sehr bald, mein Junge.«

Königsau räusperte sich ein wenig und sagte dann:

»Es war jetzt meine Absicht, Ew. Excellenz zu einem solchen Besuche ganz gehorsamst einzuladen.«

»Wirklich? Giebt es vielleicht eine besondere Bewandtniß dabei?«

»Allerdings, Durchlaucht.«

»Welche?«

»Hochzeit.«

»Hochzeit? Kreuzmillionensternhagel! Du willst heirathen, Alter?«

»Ja.«

»Die Margot?«

»Natürlich!«

»Wenn denn?«

»Uebermorgen ist die Trauung.«

»Schon übermorgen? Da schlage doch das Wetter drein! Wie kann ich bis dahin mit dem Hochzeitsgeschenk fertig werden! Bis übermorgen kriege ich ja weiter nichts zu haben als höchstens eine Kohlenschaufel, einen Kinderkorb und einen Strauß von Aurikeln und Lindenblüthen! Kerl, warum habe ich das denn nicht eher erfahren?«

»Excellenz sind ja so eben erst in Berlin angekommen.«

»Das ist wahr! Aber höre, hast Du bereits einen Brautführer?«

»Ja.«

»Wer ist es?«

»Lieutenant von Wilmersdorf.«

»Der Wilmersdorf?« fragte der Marschall. »Wirklich der?«

»Ja, Durchlaucht.«

»Donnerwetter! Warum denn diesen Kerl?«

»Er ist ein guter Freund von mir.«

»Unsinn! Freund hin, Freund her! Es giebt noch andere Leute, die Deine und Margots Freunde sind. Nicht jeder Freund hat das Zeug, ein tüchtiger Brautführer zu sein. Hast Du Dir den Wilmersdorf denn einmal ganz genau angesehen, he?«

»Sehr oft,« antwortete Hugo unter einem ahnungsvollen Lächeln.

»Diese dünnen krummen Beine!«

»Hm! Nicht sehr schlimm.«

»Stumpelnase.«

»Ein Wenig!«

»Drei Haare im Schnurrbart!«

»Vielleicht doch einige mehr, Excellenz!«

»Unsinn! Da siehe mich einmal dagegen an! Hier, guk her!«

Er drehte sich einige Male um seine eigene Achse und fuhr dann fort:

»Habe ich etwa dünne Beine?«

»Nein, Excellenz,« antwortete Königsau.

»Oder sind sie krumm?«

»Nicht im Mindesten!«

»Ist meine Nase stumpelig?«

»O nein.«

»Oder fehlt es meinem Barte an Melissengeist?«

»Excellenz haben allerdings kein solches Frühbeetmittel nöthig.«

»Na also. Oder ist dieser Lieutenant von Wilmersdorf etwa ein honnetterer Kerl als ich?«

»Das glaube ich nicht.«

»Du glaubst es nicht? Ah, Du glaubst es blos nicht. Sieh doch einmal an! Kerl, mache mir keine dummen Witze, sonst heirathe ich Dir die Margot vor der Nase weg! Ich sage Dir: Wäre ich fünfzehn Jahre jünger, so müßte sie meine Frau werden. Da ich aber nun einmal das Pech habe, so ein alter Methusalem zu sein, so will ich wenigstens das Vergnügen haben, ihr Brautführer zu sein. Verstanden?«

»Zu Befehl, Excellenz!«

»Zu Befehl? Lauf zum Kukuk mit Deinem Befehl! Diese Geschichte soll nicht durch einen Armeebefehl erzwungen werden. Liegt Dir nichts daran, so thue den Schnabel auf.«

»O, Durchlaucht, es gereicht mir ja nicht blos zur größten Ehre, sondern es gewährt uns auch das innigste Glück, Ihren Wunsch zu erfüllen!«

»Na also! Endlich nimmt der Mensch drei Zoll Verstand an. Nun führe ich die Margot bis in die Ehe, und dieser Lieutenant von Wilmersdorf mag Hunde führen bis Bautzen. Aber sagtest Du nicht, daß dieser Richemonte an Margot geschrieben hätte?«

»Ja, bereits dreimal.«

»Ah. Wie kann sie sich mit diesem Kerl in Briefwechsel stellen!«

»Das fällt ihr gar nicht ein.«

»Aber sie hat ihm doch geantwortet?«

»Nein.«

»Wo befindet er sich jetzt?«

»Für zwei Wochen in Straßburg.«

»Habt Ihr seine Adresse?«

»Ja. Er erwartet dort unsere Antwort.«

»Das ist gut. Da wissen wir, wo der Herr Urian zu finden ist. Was schreibt er denn?«

»Margot soll mich verlassen und zu ihm kommen.«

»Der Kerl ist verrückt! Das Mädel wird Dich eben aufgeben!«

»O, er giebt einen sehr gewichtigen Ueberredungsgrund an.«

»Da bin ich doch neugierig.«

»Margot ist arm; er aber will, sobald sie mich verläßt und zu ihm kommt, sie zu einer reichen, ja zu einer steinreichen Erbin machen.«

»Sapperlot! Welcher Krösus ist denn gestorben?«

»Reillac.«

Blücher fuhr erstaunt zurück.

»Reillac?« fragte er in einem unendlich gedehnten Tone.

»Ja.«

»Natürlich ist er todt! Aber, er ist es, den sie beerben soll?«

»Er und kein Anderer.«

»Da sollen doch gleich tausend Bomben platzen! Wie geht das zu?«

»Wissen Euer Excellenz, daß Baron Reillac sehr, sehr reich war?«

»Ja. Aber er war reich, weil er ein großer Schuft war. Er machte den Gurgelabschneider und sammelte sich als Armeelieferant Millionen, während die armen Soldaten hungern mußten und in Lumpen gingen.«

»Erinnern sich Excellenz auch noch meiner früheren Mittheilung, daß Napoleon Margot gesehen hatte?«

»Ja, er hatte ein Auge auf sie geworfen, oder auch wohl alle beide.«

»Nun, es ist im Plane gewesen, daß Reillac sie heirathen solle.«

»Der? Dem sollte ein heiliges Wetter auf den Leib fahren, aber kein solches Prachtmädel, wie die Margot ist. Aber hätte der Kaiser denn dazu seine Einwilligung gegeben?«

»Natürlich! Von diesem ist ja der Plan ausgegangen.

Margot sollte als Baronin de Reillac am kaiserlichen Hofe Zutritt erhalten.«

»Ah, damit Napoleon Gelegenheit erhalte, sie zuweilen beim Kopfe zu nehmen? Das mag er sich vergehen lassen! Jetzt mag er auf St. Helena Käse reiben, aber an solche Sachen mag er ja nicht denken.«

»Richemonte hat die Hand dabei im Spiele gehabt. Er schreibt, daß Reillac gestorben sei, ohne einen nahen Erben zu hinterlassen.«

»Was geht das Margot an?«

»Er schreibt ferner, daß er die schriftliche Einwilligung des Kaisers zur Verheirathung Margots mit Reillac in den Händen habe.«

»Ah. Das galt damals als vollzogene Verlobung!«

»Auch jetzt noch?«

»Hm. Kommt auf Umstände an. Ich bin kein Advocat oder Rechtswurm.«

»Ferner hat Reillac ein Testament hinterlassen.«

»Doch? Also giebt es einen Erben.«

»Ja.«

»Wer ist es?«

»Eben Margot.«

»Heiliges Pech! Margot? In wiefern denn?«

»Reillac hat seine Verlobung oder die kaiserliche Einwilligung dadurch erkauft, daß er für den Fall seines Todes Margot als unumschränkte Erbin seiner sämmtlichen Hinterlassenschaft einsetzte.«

»Welch ein Glück für Euch, oder welch eine Schande für Euch.«

»Kein Glück, sondern eine Schande, wenn Margot acceptirte.«

»Richtig, mein Junge. Du bist ein tüchtiger Kerl und hast Ehre im Leibe. Aber wo befindet sich das Testament?«

»Richemonte hat es.«

»Wird es ächt sein?«

»Es müßte geprüft werden.«

»Dem Kerl ist Alles zuzutrauen. Aber ein Esel ist er doch, ein großer Esel.«

»In wiefern, Excellenz?«

»Er will mit diesem Testamente Margot zu sich locken?«

»Ja, wie ich bereits sagte.«

»Wenn sie ihm aber nicht folgt – –?«

»So soll sie keinen Genuß davon haben.«

»Unsinn. Es wäre leicht, ihm das Testament abzunehmen. Dazu sind die Behörden da, und eben darum ist er ein großer Esel, mein Junge.«

»O, Durchlaucht, er würde das Testament versteckt halten und sagen, daß er die Unwahrheit gesagt habe, er würde behaupten, daß die Erfindung von dem Testamente nur eine Lockung gewesen sei.«

»Das ist allerdings richtig. Was sagt Margot dazu?«

»Sie will natürlich nichts von ihm wissen.«

»Und von der Erbschaft?«

»Auch nichts.«

»Brav. Ihr habt zwar Beide kein Vermögen, aber ich will schon für ein rasches Avancement sorgen, und dann leidet Ihr ja keine Noth.«

Die Züge Königsaus verdüsterten sich.

»O, Excellenz,« sagte er, »mit dem Avancement wird es vorüber sein.«

»Vorüber?« fragte Blücher. »Warum?«

Königsau deutete zum zweiten Male nach der Narbe und antwortete:

»Hier liegt der Grund.«

»Donnerwetter! Ist so eine ehrenvolle Narbe etwa ein Schandfleck?«

»Ganz und gar nicht.«

»So brauchst Du Dich doch auch nicht wegen ihr zu schämen, fort zu dienen.«

»Zu schämen? Ganz und gar nicht, Durchlaucht!«

»Nun, und dennoch soll sie der Grund sein, daß es mit dem Avancement vorüber ist? Das begreife, wer da will, ich aber nicht.

Königsau lächelte trübe, beinahe bitter.

»Haben Excellenz nicht vorhin selbst gesagt, daß in meinem Kopfe irgend ein Rad zersprungen sei?« fragte er.

*


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