Johannes Richard zur Megede
Quitt!
Johannes Richard zur Megede

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Sechzehntes Kapitel.

Es ist nichts mit der Landwirtschaft!« – Die Klage war allgemein und gerecht. Aengstliche Regierungspräsidenten fuhren beruhigend durch das Land, aßen tadellose Diners bei Landräten, sprachen viel von Wegverbesserungen und Königstreue, wenn sie aber auf die heikeln Lebensfragen kamen, auf den mangelnden Kredit, die niederen Getreidepreise, da wurden sie kühl oder machten geheimnisvolle Handbewegungen in der Richtung nach Berlin, als wenn der grüne Tisch da oben in allernächster Zeit etwas ganz Besonderes aushecken würde. Wenige glaubten, alle murrten. Die Bauern kratzten sich hinterm Ohr und gingen knurrend an die Sparsäckel. Man sah auch viele gerunzelte Herrenstirnen, selten knallte der Sektpfropfen, und Sauer verschenkte in Landwirtschaftsversammlungen fast ausschließlich einen kaum genießbaren Rotspohn. Natzfeld hatte wieder einen Riesencoup mit Pferden gemacht, doch wer dem Dandy auch nur mit dem Worte »Remontekommission« aufwartete, konnte liebloser Ausfälle gegen das Kriegsministerium sicher sein. Die Wolle lohnte kaum das Scheren, und die ihre Johannizinsen mit der Rapsernte zu decken pflegten, klagten über den stetig sinkenden Preis der 37 Oelfrucht. Die großen Herren mußten sich einschränken, und die kleinen verhandelten viel mit lichtscheuem Wuchergesindel. Von Prinz Lack hatten die Orschauer Edelfräulein wenig. Er war viel unterwegs, präsidierte den Protestversammlungen und sprach in so scharfem Tone gegen die Regierung, daß Frau Domat vorsichtig jede Berührung mit ihm mied. Anfangs hatte ihm das der Landadel verdacht, jetzt fühlte er sich langsam wieder zu dem kalten Spötter hingezogen, der von dem alten Recken im Sachsenwalde in langer Audienz empfangen und sehr gnädig behandelt worden war. Die Unzufriedenheit wuchs. Ein hoher Beamter wurde auf Reisen geschickt. Auch Prinz Lack ward der Ehre dieses hohen Besuches gewürdigt. Ein Gang durch die Ställe, über den Hof bot den erfreulichen Anblick edelsten Zuchtmaterials und hoher wirtschaftlicher Einsicht.

»Na, Sie verdienen doch noch was bei der Landwirtschaft?« fragte leicht ironisch die Excellenz.

Natzfeld zuckte die Achseln. »Als ›Pferdekupscheller‹ und Viehhändler allerdings.« Dabei glitt sein kaltes Auge über die weiten Koppeln und Kälbergärten hinweg auf das üppige Saatfeld und die schweren Ackerschollen, die Ochsen gemächlich pflügten. Ein polnisches Lied klang herüber, ein vorübergehender Knecht bot einen polnischen Gruß. Der hohe Herr spitzte die Ohren. Da sagte Natzfeld eisig: »Ja, Excellenz, zu deutschen Arbeitern langt's nicht mehr. Das Polenpack hier futtert schon am frühen Morgen Schnaps und kalte Kartoffeln – Vater, Mutter, Säugling. Sie gedeihen ja auch auf ihre Weise. Aber ein Zeichen der Zeit ist's doch, daß ein ostpreußischer Großgrundbesitzer hier kaum noch existieren kann, ohne der polnischen Sprache mächtig zu sein. 38 Ich für meine Person beklage mich nicht. Das Minus im Körnerbau deckt der Schacher immer wieder; aber die tausend andern, die armen Kerls, bei denen es weder mit dem Gelde noch mit der Intelligenz zur Großzucht reicht, und die auch leben wollen, wo bleiben die mit der Halmfrucht, wenn der Morgen Roggen die Produktionskosten kaum noch deckt? . . . Ja, wo bleiben die, Excellenz? . . . – Mich als Muster der Landwirtschaft aufstellen zu wollen, würde ebenso falsch sein, als eines einzigen waghalsigen, glücklichen Häuserspekulanten wegen die Häuserspekulation als ein besonders solides Element unsers wirtschaftlichen Lebens zu begrüßen.«

Der hohe Beamte wollte noch bis morgen bleiben, fuhr jedoch schon am Abend ab und machte bei Domats orakelhafte Andeutungen von junkerlicher Ueberhebung und mangelnden großen Gesichtspunkten. Die kluge Frau knickste und lächelte und küßte später inbrünstig den roten Wappenvogel, welchen ihr dicker Gatte erhielt, nachdem er auf einem Kriegerverein sein unbedingtes Vertrauen zu der Regierung, stotternd, an einer ganz unpassenden Stelle, hervorgekehrt hatte.

Und dabei meinte es der Himmel so gut. Ein goldiger Frühling lag über dem ostpreußischen Lande. Aus den Parks und Bauerngärten blühte und duftete es, der Storch spazierte majestätisch durch die tiefgrüne Saat, ihm erschienen die Froschschenkel schmackhafter als seit Jahren. In den Obstplantagen lag die keusche Blütenpracht wie großflockiger Oktoberschnee auf Baum und Strauch. Sehr alte Leute konnten sich eines solchen feuchtwarmen Frühlings absolut nicht mehr erinnern, und Schuljungen machten ernstlich den Versuch, das Gras wachsen zu sehen.

39 Der Graf Wilnein war viel im Feld, Marie seine treue Begleiterin. Doch wenn sie bewundernd auf die weiten Roggenschläge sah, über deren sattgrünen Sammet bei Sonnenuntergang feuchter Dunst in duftendem Gewölk hinwogte, zeigte der Alte mißmutig auf die gelben Spitzen des Gerstenfeldes am Walde, denen der Nachtfrost das vorzeitige Frühlingsahnen etwas gedämpft hatte. »Gewiß, Mieze, es steht ja alles sehr gut – aber der superkluge Hasso wird doch recht behalten: Und wenn wir das zwanzigste Korn bauen, wir kommen doch nur auf die Kosten!«

Sie hörte zu und nickte stumm. Sie war überhaupt stiller geworden. Der Graf merkte es nicht. Er hatte so viel zu denken! Hatte die Zeit sich wirklich ganz verändert? Tüchtigere Leute zogen vom Gut, schlechtere kamen. Es war nicht einmal Unzufriedenheit, es war ein ungewisser Wandertrieb, der den Wechsel liebte. Was an der alten, lieben Scholle noch klebte, das waren alte, gebrechliche Menschen und kinderreiche Familien, die schwer unterkamen. Doch die kräftige Jugend ging gleich nach der Einsegnung in den Westen, in die Bergwerke oder in die großen Fabriken. Wenige hielt eine Art Sentimentalität, ein gesundes Heimatgefühl, das die Mehrheit nicht mehr kannte. Die liebten noch den Pferdestall, den Geruch reifen Getreides, die langen Winterabende in den Gesindestuben, die Sommerarbeit in der freien Luft. Und auch die nahm ihm der »Kanton« in der besten Kraft; die Stadt . . . die Kasernen – sie waren ihm fast immer verloren. Schon seit Jahren sah er das mähliche Abebben und hoffte heimlich auf die Flutwelle, die das vom Westen Geraubte zurücktragen würde. Jeder Knecht, der 40 wegzog, machte ihm ein Wehgefühl. Und er war doch immer mit der Zeit gegangen, in den Löhnen, in der Behandlung; er wollte noch weiter gehen, viel weiter, die Leute sollten nur erkennen, daß er und sie zusammengehörten, daß er nicht als Herr über ihnen, sondern mit ihnen leben wollte. Die Unruhe lag in der Zeit, im sozialen Werden; der Kopf sagte ihm das oft, das Herz wollte es nicht begreifen. Auch zur Tochter sprach er manchmal darüber, sie empfand es nicht ganz mit, sie war ja noch so jung, ein ganzes Leben lag vor ihr, nur ihr Herrengefühl empörte sich über die undankbare Masse. Und dann war's ja Frühling, Frühling, wo jeder den Wandertrieb fühlt, und jedem die Flügel wachsen! Sie freute sich auf die weiten, einsamen Ritte durch Wald und Feld. Und gerade jetzt lahmte der Reitfuchs; es war nicht schlimm, eine unbedeutende Sehnenzerrung. »Zwei Tage im Hofteich, und er ist wieder auf Deck,« entschied der Graf. Die Comtesse hielt sehr darauf, daß dem Liebling das kühle Bad nicht so langweilig wurde, und brachte ihm regelmäßig junges Gras oder Zucker. Heute sollte der letzte Tag der Kur sein. Die Sonne sank. Ueber die stahlgraue Wasserfläche strich kühlend ein frischer Abendwind. Die Comtesse stand am Ufer und freute sich an dem jugendgrünen Laub der Birken im Roßgarten daneben. Das tiefe Grün der Tannen dahinter stach so köstlich davon ab, und die Sonne spielte so freundlich auf den Wiesen und den braunen Stämmen. Die Dorfjugend raste im tobenden Spiele bis zu ihr. Schreien, Lachen, klappernde Holzpantoffeln, fliegende Zöpfe – die Jungens rissen die Mützen ab und machten seltsame Reverenzen, die Mädchen knicksten und steckten die 41 Hand in den Mund. Ein Flachskopf, den die tolle Jagd wohl zu weit getrieben hatte, jagte im Schwung vorüber und grüßte nicht. Sie kannte die Kinder alle, doch dies Gesicht war ihr fremd.

»Komm her, du!« befahl sie. Eine vor Aufregung glühende, schweißtriefende Gestalt schob sich linkisch näher. »Wie heißt du?«

»Domat . . . Fräulein,« kam es zögernd zurück. Der Name weckte bei der Comtesse eine Fülle unangenehmer Erinnerungen. Dieser Junge hatte sich damals in die Gampeschkeimer Kirche eingeschlichen, dem hatte Loja den höhnischen Rat gegeben, und obgleich das Kind dabei ganz unschuldig war, schien ihr doch sein Gesicht jetzt unangenehm und dreist.

»So, mein Jungchen, erstens wirst du hier eine Viertelstunde stehen mit abgezogener Mütze – und dann gewöhne dir die Bauernmanieren ab: ich bin für dich immer die gnädige Comtesse!« Darauf that der Blondkopf gehorsam, wie sie befahl. Die Jugend stand schweigend von ferne. Als die Comtesse nach Hause ging, schien es ihr, als blase der Abendwind sehr kalt.

Der Junge stand noch immer mit abgezogener Mütze im Zuge da. 42

 


 


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