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Zweiter Brief.

E Es dürfte keinem Zweifel unterworfen sein, meine gnädige Freundin, daß die sichersten und unerschütterlichsten Säulen des katholischen Priesterthums von jeher und bis zu dieser Stunde die drei Tugenden der freiwilligen Armuth, der Keuschheit und des Gehorsams waren. Erst als sie im Laufe der Zeit von dem ätzenden Gifte der Habsucht, der Unmäßigkeit und des Eigenwillens zu bröckeln begannen, war die Reformation möglich, und konnte die unbedachtsame Aeußerung Luthers: »daß derlei Tugenden schier allzumal auch ein Hund und Sau täglich üben können« Walchsche Ausg. XIV., 291., in diesem Priesterthum selbst Anklang und Bewunderung finden.

Ja, sind diese Tugenden für die sittliche Befestigung und Begründung der christlichen Menschheit im Allgemeinen und nicht für das Priesterthum allein, doch so groß und einflußreich, daß sie auch einzeln genommen zu den erstaunenswerthesten Resultaten führen. Lassen Sie uns nur einen Augenblick bei der Tugend des Gehorsams verweilen. Diese, und keine der beiden übrigen geloben und haben unsere Kriegsheere bis diesen Tag gelobt. Und nichts destoweniger war auch diese einzelne Tugend schon im Stande, es sind jetzt drei Jahre, die ganze civilisirte Welt vor der Habsucht, der Unmäßigkeit und dem Eigenwillen des Socialismus zu retten. Denn ohne das Militair und seinen Gehorsam, wo wäre da das Christenthum, ja wo wäre da unsere gesammte Gesittung geblieben?

Darum ist auch von jeher der Gehorsam zur ersten und sichersten Grundlage aller sittlichen Erziehung überhaupt gemacht worden, und nur unsere dumm-kluge Zeit, um mit Luther zu reden, ist theilweise von dieser ewigen Basis abgewichen, und hin und wieder kam es wohl so weit, daß besorgte Aeltern keine andere Schule wissen, um ihre Söhne Gehorsam lehren zu lassen, als – das Militair. Und in der That, nur wer erst Gehorsam gelernt, kann befehlen lernen, und wird »der Trost seiner Mutter,« wie die Schrift Sirach 3, 7 so wahr und rührend sagt. Darum verehrte Gräfin! lassen Sie Ihren einzigen Sohn Leonce vor Allem »gehorchen« lernen, wie der fromme Klausner Ihren flüchtigen und verwilderten Ahnherrn, zu dem wir uns jetzt wieder mit lehrreichem Interesse zurückwenden, und ihn also fortfahren lassen:

Ankunft und Erziehung Hagers bei einem frommen Klausner.

Und kann man nu leichtlich greifen, daß ich auch im Lauf nit gefeiert hab, als ich den Wald erreichet! Rennete immer weiters, bis es so dunkel ward, daß ich nichtes mehr an und mich sehen konnte. Dieweil nun aber eine wilde Sau vor mir aufschnarchte, auch die Ohreulen zu heulen begunnten, verspürte ich einen also starken Gräuel, daß mir die Haare auf dem Haupte krochen! Tappete dahero mit den Händen, bis ich einen gerechten Baum fand, mit langen und dichten Zweigen über der Erden, in dem ich mich verbergen möchte. Und als solches letztlich beschehen, setzte ich den Essenstopf mit dem Auerhuhn an seine Wurzel, nahm aber die Armbrust mit mir gen oben, verzehrte alsbald das Brod, so mir die gute Magd verehret, und schliefe auch letztlich so wacker ein, daß die Sonne hoch am Himmel stund, als ich Widder erwachete. Aber au wehe! mein Essenstopf war zerbrochen, und von dem Auerhuhn lagen nur noch die Federn streuens hin und her auf dem Boden; so daß ich judicirete: ein Unthier hätt es die Nacht gefressen. Sorgete darumb nicht wenig, wie ich ein Frühstück erhalten und aus dem dunklen Wald gelangen möchte, als ich es plötzlich aus dem Baum, in dem ich die Nacht gesessen, mit lauter und menschlicher Stimme beten hörte:

» Ave Maria, gratia plena!«

Solches verwunderte mich auf das Höchste; ward aber keines Menschen drinnen gewahr, wohl aber eines grauen Vögleins, bei einer Tauben groß, so in dem Baume saß und betete. Davor ward mir wieder also grauen, daß ich zitterte und bebete. Denn weil ich viel von verzauberten Wäldern gehöret, gläubete ich, allhier wäre auch ein verzäuberter Wald, also daß ich auf meine Knie fiel und ausrief: »ja, Herr Vogel, ich kann auch noch das Ave Maria von Altensteig her!« es laut betende.

Aber mein Vogel floge von dannen, denn ein klein grau Männeken mit einem schloweißen Bart trat aus dem Dickicht herfür, wovor ich abermalen also erschrack, (dieweil ich ihn vor den Zäuberer hielt), daß ich noch auf den Knieen liegende ausrief: ach Herr Zäuberer, wandelt mich doch auch nicht in solchen Vogel umb! So bleibt der Mann ebenmäßig für Verwunderung stehen, und da er mich laut schlucken hörte, fräget er: in welchen Vogel mein Sohn? ich bin nit ein Zäuberer, sondern ein armer Waldbruder. Sprich ich: in solchen Vogel, der das Ave Maria beten kann.

Spricht der Mann: ei, hast du meinen Staar gesehen? wo war er, wo ist er blieben? ich suche ihn seit Tagesanbruch. Siehe zu, daß du ihn mir greifest, so will ich's dir danken! Solches gab mir wieder ein steifen Muth; schauete dem Vogel nach, und weil mir, wie vorbereget, im Klettern es Niemand nicht zuvor that, gewinne ich letztlich nach vieler Mühe das fromme Vöglein, bring es dem Manne wieder, und frag noch immer zweifelmüthig; ist er denn aber kein verzäuberter Mensch?

Hierauf gab der Klausner lachend zur Antwort: nein mein Sohn, es ist kein Mensch, sondern ein natürlicher Vogel, und hab ich ihm dies Gebet nur gelernet, damit in dieser gottlosen Zeit, wo der Mensch der Mutter Gottes nit mehr die Ehre giebet, die unvernünftige Creatur sie ihr geben möge.

Sprich ich: aber unser lutherischer Pfaffe sagt: Das wär papistische Abgötterei.

Hierauf examinirte er mich, wer der Pfaffe wär, wer ich wär und woher ich käme, und als er von meinem Vatern hörete, freuete er sich und sprach, daß er ihn gar wohl gekennet, und sein Waffenbruder im Bauernkrieg von anno 25 gewesen. Sein Name wär Julius, ein Freiherr von Althan. Sölle mit ihm kommen in seine Klause; er wölle sehen, wie mir etwan zu rathen.

Und war die Klause gar lustig an einem Bach in der Forst gelegen, woselbsten zween Zicklein weideten, so gleich angesprungen kamen und dem guten Mann die Hände lecketen. Stund vor der Thüren die Statua des heiligen Antonius, und drinnen hatte es zween sonderliche Kämmerlein, so mit Crucifixen und allerlei Bilden geschmücket waren. Ueber der Hütten aber war ein Thürmlein, in dem eine kleine Glocke hing, und drinnen ringsumher Beuten Bienenstöcke. stunden.

Solches sahe voll Verwunderung an, und als er mir zum Imbiß Butter, Käse, Brod und Honig aufgetragen, gefiel mir das Leben; gläubete, es käme alle Tage so, und bat den guten Mann mich vor einen Jungen zu behalten, anerwegen ich aus diesem dunklen Forst wieder zu meinem Vatern zu kommen, wohl verzagete.

Hierauf gab er zur Antwort, in währendem er den Staaren wieder in seinen Käfigt setzete: Du siehst aber wohl, daß ich keines Jungen bedürftig, denn meine Zicklein und Immen weiden sich selbsten, was wolltest du also allhie?

Sprich ich: von Euch was rechtschaffenes lernen, mein Vater, denn ich sich wohl, wie dumm noch ich vor einen Junker bin.

Solches gefiel ihme und sprach: es wird schwer angehen, inmaaßen die Bauern, so mir Brod und allerlei Fleisch zu bringen gewohnt gewesen, alle Tage immer mehr eines Theils hussitisch und eins Theils lutherisch werden, und ich besorge, daß ich letztlich werde selbsten hungern müssen.

Ei, gieb ich zur Antwort: ich hab ja ein Armbrust guter Vater, und schieß uns genug des Gewildes. Darauf ward er hinterdenklich und sprach zuletzt: so mags sein, dafüro du mir Gehorsam in allen Punkten gelobest. Und als ich ihm solches in seine Hände zugesaget, spricht er weiters: hier hast du Feuer, verbrenne zuvor deine Armbrust, daß ichs sehe.

Auwehe! ein lieber Ding hatte nit, denn meine Armbrust; hätte mir ehender ein Auge ausgerissen und ihm geben! aber dieweil er sprach, als ich laut zu schlucken begann: »Junker! was hast du in meine Hände gelobet?« nahm ich das Feuer, und verbrannte heulend all mein Kleinod. Und war solches kaumb geschehen, als er in sein Kämmerlein ging und mir ein weit gerechtere Armbrust hohlete, sprechend: weil du gehorsam gewest, solltu diese haben, dieweil mir die Augen vergangen seind, umb sie zu gebrauchen. Sprich was hastu nun gehabt von deinem Gehorsam, hastu Nutzen gehabt, oder Schaden?

So gieb ich jauchzende zur Antwort: gar großen Nutzen mein Vater; worauf er repliciret: siehe und lerne mein Sohn: also wird es immer sein in deinem ganzen Leben. Denn wenn dir etwan dein Gehorsam auch ferner so schwer fiele, als heute, also daß du weinen und heulen müßtest, um ihn zu üben, glaube mir: er ist nimmer verloren, und du gewinnest großen Nutzen daran bei Gott und Menschen, im Himmel wie auf Erden.

Also hub der gute Klausner seine Information an, und begunnte ich auch bald meine Studia bei ihm, insonderheit in der Religion, wobei er wacker auf den lutherischen Pfaffen schalt, daß er das Ave Maria ein abgöttisch Gebet genennet, da es doch weiter Nichtes wär, als die Wort so der Engel Gabriel zur Maria gesprochen, und wir in solchem Gebet uns der Menschwerdung des ewigen Wortes und unserer Erlösung freueten: Item, was billiger wär, als diejenige zu ehren, so der Engel geehret, ja die ewige Majestät Gottes selbsten also hoch geehret, daß er uns in ihr das Heil bereitet, und sie zur zweiten Evam gemacht, aus welcher alle Geschlechter des Lebens ausgegangen, wie aus der ersten Eva alle Geschlechter des Todes.

Solliches Alles gefiel mir wohl und lernete fleißig; aber der Geiz des guten Vatern gefiel mir nicht. Denn, obschon ich gar viel mit meiner saubern Armbrust an Hirschen, Rehen und anderem Gewild erlegete, aßen wir davon doch keinen Bissen! besondern ich mußte Alles nach dem Städtlein Rosenberg tragen und dorten an den reichen Burgherrn verkaufen. Und war dieses der Vater von dem jungen Rosenberg, so anno 1578 im Jenner die große, vielbeschrienene Hochzeit hielte, so nimmer ihres Gleichen unter allem Adel gehabt, wie ich hier gleich notiren will, damit ich es nachgehends nicht etwan überwische. Denn sie hat mehr gekostet, als ein ganz Fürstenthum, und ist der böhmische Adel allein mit 600 Pferden eingeritten. Es sind vertrunken mehr denn 6405 Eimer Weins aller Art, 12,887 Scheffel Waizen zu Mehl gebrauchet, item an Pferdefutter 13 Wispel Roggen und 64 Wispel Hafers. Und so ists ebenmäßig in Allem gewest; denn daß ich von dem vielen Gewilde schweige, hat man allein 2687 Hammel und 22,687 Stück Krammetsvögel verzehret; das nenne ich eine Hochzeit! Siehe Leben des Ritters v. Schweinichen herausgegeben von Büsching I, 319.

Zu dem Vatern dieses beregeten jungen Herren also mußte ich alles Wild tragen, so ich schoß, und legete sich der alte Waldbruder immer fein säuberlich das Geld in den Schimmelpott, damit er einen Zehrpfennig hätt, wie er sagete, wenn alle Welt luthrisch und hussitisch würde. Denn er hätte Gott gelobet, nimmer diesen Wald und diese Stätte zu verlassen, und wölle Gehorsam leisten. Vor das Fleisch, so ich geschossen, empfing ich, wenns hoch kam, etwan nur ein Endeken Wurst bei eines Fingers Länge, so die Bauern zu bringen pflogen und davor den guten Mann um sein Gebet anlagen. Da ich nun im besten Wachsthum war und immer einen Hunger, wie der Wulf im kalten Winter hätte, ärgerte mich das Ding nit wenig, und kehrete noch einmal meine alte Bosheit zurücke. Denn was thät ich? Ich vernagelte dem heiligen Antonius draußen vor der Klausen sein Maul, und als mein Herr es entwahr wurde und fragte: warumb hastu dieses gethan? gab ich boshaft zur Antwort: er hat mich darumb gebeten, sprechende: er möchte sonst Euch für Hunger den Wildbraten verspeisen, so er alle Tage sich vor der Nasen fürüber tragen säh. – Als ich solches gesprochen und vor mir selbsten erschracke, blieb der gute Mann ganz geruhlich und gab zur Antwort: harre ein wenig! ging darauf in sein Kämmerlein und kam flugs mit einer Geissel, woran eiserne Spitzen waren, und einem Stecken zurücke, legete Beides vor mich auf die Erde, und hube also an:

Mein Siegmund, ich gläubete schon die Bosheit wäre aus dir gefahren wie Satanas aus dem Stummen. Aber ich sich wohl, ich habe mich geirret. Daß du mich gekränket, der ich dir doch von derselben Speise geben, deren ich nieße, und also weder deines hungrigen Leibs noch deiner hungrigen Seelen vergessen, vergieb ich dir: daß du aber Gott, der dich aus der Faust des Tyrannen und seiner Gesellen so wunderbar gerettet, nunmehro selbst in diesem seinem Heiligen gekränket, davor sollt und mußtu genugthun.

Nu merke: allhie liegt erstlich die Geißel; mit selbiger schlägest du dir also lange auf deinen Rücken und betest das Ave Maria, bis ich sag: es ist genug! Willtu dieses nit, – und ist dir dein Fleisch lieber, als das Wohlgefallen deines Gottes: so nimm diesen Stecken, und lauf augenblicks aus meiner Hütten, du böser Schelm!

Als ich hierauf zu bitten anhube: er wölle es mir nur noch einmal schenken; es wäre mir leid, und wär ich vor mir selbsten erschrocken, als das Wort mir aus dem Mund gefahren, gab er zur Antwort: das ist die luthersche Maulreu so leichtlich zu üben: ich aber will mit der heiligen Kirchen die Fleischreu, denn St. Paulus spricht nicht: ich schlage ein groß Maulwerk auf, sondern er spricht 1 Cor. am neunten: ich schlage meinen Leib blau und halte ihn als einen Knecht, daß ich nit verwerflich werde. Denn das bedeuten in der That v 27 die griechischen Wörter ὑπωπιάζω und δουλαγωγῶ und nicht wie Luther in abgeschwächter Uebersetzung hat »ich betäube und zähme.« Besinne dich, ich gieb dir eine Viertelstunde Frist, ob du willt luthrisch oder katholisch bereuen. Also sprechende ging er aus der Hütten, und betete gar beweglich für mich draußen vor dem Bilde des Heiligen, daß ich jedes Wort vernahme, mir alsbald mein Herze brach und ich ausrief: kummet nur widder mein Vater, ich will mich gar gerne geißeln!

So kam er auch gleich wieder zurücke, hieß mich das Wamms und das Hemde abziehen, und die Geißel mit starker Hand ergreifen.

Aber als ich etzliche Mal hingelanget, und das Ave Maria angehoben, hob mein Vogel im Käfigt auch sein Ave Maria zu beten an, worauf ich heulend sprach: höret mein Vater, auch die dumme Creatur bittet die heilige Jungfrau für mich; ich dächte es wäre genug!

Aber er gab zur Antwort: mit nichten, nimm du die Geißel wieder, oder den Stecken, worauf ich mir ein Herz fassete, die Zähne zusammenbiß und also meinen Rücken schlug, daß das Blut bald bei mir auf die Erden niederrieselte. Erst als solches geschehen sprach er: es ist genug, vor dieses Mal, hüthe dich vors zweite! und ging eilends aus der Klausen, in währendem er laut die Wort aus dem Vater unser sprach: vergieb uns unsre Schuld, als wir vergeben unsern Schuldigern, und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns vor dem Uebel.

Also wurde meinem Trotz der Kopf abgebissen, daß ich fortan nimmer wieder meinen zweiten Vater betrübete, wiewohl ich bald darauf gläubete, er würde die Geissel abermals herfürlangen. Denn dieweil der Herr v. Rosenberg ein Reh bei mir bestellet (merke: es waren bei zwo Meilen, daß ich immer das Gewilde zu ihm zu tragende hätte) und ich den ganzen Tag über nichts Sonderliches verspürete, ward ich in der Dämmerung auf dem Heimweg gewahr, daß sich ein grau Ding vor mir in der Ferne reget. Gläube also, es sei ein Reh, doch au wehe, als ich hinschieße, fallt unser Zicklein blöckend zu Boden, so im vollen Euter ginge. Ei, ich meine, daß ich gezittert hätte; doch mußt ichs dem guten Vater sagen, welcher mir aber ganz geruhlich zur Antwort gab: das ist schlimm, denn nunmehro werden wir uns mit der Milch des andern Zickleins allein genügen müssen.

Solch sanfter Hochmuth Für Großherzigkeit. rührte mich also, daß ich zu weinen begunnte, worauf er verwundert sprach: mein Sigmund, was weinstu?

Ach, sprich ich, mein Vater, daß Ihr es so gut mit mir meinet! ich gläubete, Ihr würdet widder die Geißel herfürlangen. Hierauf gab er lächelnde zur Antwort: nicht also mein Knabe; wenn du aus Bosheit das Zicklein erschossen, sollt's deinem Fleisch schon leid werden; anerwogen du es aber aus Versehen gethan, und solches ein Uebel ist, deme auch die Beßten alle Tag unterworfen, geschiehet dir Nichtes, und kann ichs etwan nur bedauern.

Solche Gnad und Gutheit erbarmete mich also, daß ich ihm seine Hand küßete, und aufs Neue Gehorsam gelobete, als ich denn auch hielt, wiewohl mir Nichtes in meinem Leben schwerer worden. Denn wir waren in der Fastenzeit, und dieweil es an Milch gebrach und unsere Atzung fast nur allein aus Brod und kaltem Wasser bestunde, freuete mich wie ein König, als ich ein Rehe geschossen und der gute Vater sprach: dieses wollen wir uns zum heiligen Osterfest selbsten braten. Ei wie lustig drehete ich am Ostermorgen den Spieß, und konnte kaum der Zeit erharren, bis es gahr wurde, und ich den Braten auf den Tisch trug.

Aber au wehe! nachdem ich das gratias gebetet, spricht mein Vater: Siegmund, der Köhler so du kennest, und kaumb wieder auf seinem Lager genesen, hat Nichtes zu Ostern. Was meinstu, könntestu um deinen armen Bruder noch wohl einen Tag fasten, und dich an dem Worte deines Erlösers sättigen: ich bin hungrig gewesen und ihr habt mich gespeiset? Siehe, ich bin auch hungrig; aber ich tritt dem armen Mann mein Theil ab, was meinstu, willtu es auch thun?

Als er solches gesprochen, hube ich an zu weinen und sprach: ach Gott, mich hungert auch gar zu sehr! Spricht er: ich gläubs dir, aber den armen Kerl wird auch hungern, dieweil er so lange krank gelegen. Wann er satt ist, giebet auch der Heide, aber wann er hungrig ist, giebet nur der Christe. Bistu ein Christ mein Siegmund? wohlan so bring ihm diesen Braten und dieses Brod! Hierauf gab ich zur Antwort: so verbindet mir erst mit dem Fazinettlein Serviette. mein Maul; denn alles Wasser so ich im Leibe habe, läuft mir in meinen Mund, und möchte ich die Kost ihme verunreinigen.

Solches that er lächelnde, und machte ich mich stöhnend auf den Weg, der nit allzu fern war; und frohlockete der arme Mann noch über die reiche Gab vor ihn und sein Weib (denn Kinder hatte er nicht); als mein Vater ins Kämmerlein trat, und nachdem er gesehen, daß ich den Braten in Wahrheit nicht angerühret, druckte er mich zum ersten Male an sein Herze und sprach: nu sich ich, mein Siegmund, aus dir wird ein Mann! und hierauf zum Köhler: mein Freund, wir seind gekommen, mit dir das Ostermahl zu halten; ich achte wir wollen uns Alle sättigen mit Speis und Trank, zoge hierauf einen güldenen Becher und eine Flasche Weins aus der Taschen, und rief: eia, heute ist Ostern, lasset uns fröhlich sein; der Herr ist wahrhaftig auferstanden, und Simoni erschienen!

Also ward ich nun zum andern Male gewahr, wie mein Gehorsam in Gnade umbgeschlagen, und kann man achten, wie ich mich gefreuet.

Nunmehro aber kam bald die Erdbeerenzeit, wo meines Vatern seine kleine Päte, Julia von Althan aus Murstetten, unweit von Altensteig gelegen, ihn heimzusuchen pflegete, so einst meine liebe Hausfrau werden sollte, was ich aber dazumalen noch nit wußte. Und muß ich erstlich notiren, wie kürzlich das Ding mit meinem Vatern gewachsen gewest, daß er als ein hoher und fürnehmer Freiherr, ein armer Waldbruder worden, so ich aber dazumalen auch noch nit wußte, und erst nachgehends von seiner Sippschaft in Erfahrung gezogen.

Merkend also: Besagter Waldbruder hatte eine junge, gar feine Braut, Eugenia von Pötting geheißen, und war ein Junker vom Hofe Maximiliani primi. Seine Hochzeit war allbereits bestallet, als Anno 18 die Lästerschrift Lutheri Wir werden auf dieses charakteristische Schriftstück, welches sich in der Altenburger Ausgabe Tom. I. S. 68 ff. befindet, späterhin noch einmal zurückkommen. wider Sylvestrum Prieritatem in den Druck ausging, und dieweil der boshafte Münch darinnen den Pabst, Cardinäl und Bischoffe und das ganze Geschwürme der Römischen Sodoma wie Diebe, Mörder und Ketzer mit Strang, Schwert und Feuer zu strafen vermahnet, obgleich ihme noch kein Mensch denn dieser einige Sylvester ein Haar gekrümmet oder wider ihne geschrieben: thut die kaiserliche Mäjestät sothane Bosheit, wie sie nie in teuschen Landen erhöret, also verdrießen, daß Sie mit dem Fuß auf die Erden gestampfet, und vorberegtem Julio, meinen lieben Vatern, dieweil er ein trefflich guter Reuter gewest, alsobald befohlen von Augsburg gen Rom aufzubrechen, und unserm heiligen Vater Pabst die Frechheit besagten Münches nächst kaiserlichem Begleitschreiben fürzustellen.

Reitet auch mein guter Vater gleich abe, aber als er nach etzlichen Wochen zurückekehret, au wehe! will seine Braut nit mehr mit ihm Hochzeit haben, besondern mit seinem Bruder Georgio von Althan, der ihme in währendem die schöne Braut abgeschwätzet.

Solches hat den guten Mann also betrübet, daß er zu Gott gelobet, nunmehro auch nimmer ein ander Weibsbild zu freien, sondern als ein armer Waldbruder vor die Sünden seiner ungetreuen Braut zu beten und zu büßen sein Lebelang. Ist darumb weit wegk von Murstetten, gen Böheimb gangen, und nur einmal widder bei seinem Bruder Georgio eingekehret, wie wohlen dieser ihn alle Jahre mit seiner reuhaften Hausfrauen Eugenia von Pötting in seiner Klausen heimbgesuchet, allwo ihm dann Beede Hände und Füße geküsset, daß er ihnen die Missethat, so sie an ihm begangen, vergeben, und fortfahren möge, vor sie zu beten.

Solches hat er auch immer williglich zugesaget, ist aber wie bemerket, niemalen widder gen Murstetten kommen, denn an dem Täuftage seiner kleinen Päten Julia von Althan.

Selbiges Kindlein nun, als es ziemlich herangewachsen und seiner ungetreuen Muttern im Antlitz so gleich worden, wie eine Rose der andern, hat ihm gar besonders am Herzen gelegen, und hat ers mit seinen Aeltern ausgemachet, daß sies ihm alle Jahre in der Erdbeerenzeit haben mitbringen müssen, wo ers dann immer etzliche Wochen bei sich behalten und sein gepfleget, bis seine Aeltern es sich widder durch einen getreuen Knecht haben heimführen lassen.

Kamen also eines Tags Vorbenannte auch wieder mit der kleinen Julia an, so dazumalen ein feines Mägdlein bei 12 Jahren war. Und als der Ritter mit seiner Hausfrauen von ihrem Rollwagen gestiegen und mein Vater ihnen entgegentrate, fielen sie beede auf ihr Angesicht und küsseten seine Füße, worauf er sie aber alsbald aufhobe und an sein Herz druckte. Hatten ein Rechtschaffenes an allerlei Zehrung mitgebracht, item zween lebendige Zicklein, worüber mich gar sehr freuete, verstehe: von wegen ihrer Milch.

In währendem ihr Vater und Mutter aber dem guten Klausner zu Füßen lagen und um seinen Seegen baten, sprung die kleine Julia gleich zu mir heran, faßte mich bei der Hand und sprach: ei du gefällst mir, wie heißtu? bist du hier bei dem Ohm? wie alt bist du? und was sie sonsten schwätzete, in währendem sie mich hinwiederum fragete: ob sie auch mir gefiel, und von selbsten erzählete, wie sie hieß und wie alt sie sei.

Aber nachdem als mein Vater seinen Sippen fürgestellet, wie das Ding mit mir gewachsen, mußte ich auf sein Geheiß die Armbrust nehmen und auf die Jagd gehen, wo die kleine Julia mitwollte, so ihr aber mein Vater verbot, worauf sie zu weinen begunnte.

Spricht selbiger: wie kommts Muhme, daß ihr mir immer wieder das Dirnlein verziehet, wenn ichs auf einen guten Weg gebracht? Ach, ich sorge Bruder, es wird eine schlechte Nonne werden. Und zur Kleinen sprach er, so da stund und schluckete: wie sagt die heilige Jungfrau? worauf sie die Händeken faltete und zur Antwort gab: siehe ich bin des Herrn Magd, mir geschehe, wie du gesaget hast. Spricht er: War sie also gehorsam oder ungehorsam? Giebt sie schluckende zur Antwort: sie war gehorsam, ille: weinete sie auch? illa: nein, sie hat nit geweinet. Ille: pfui, und du wolltest ungehorsam sein und dazu noch weinen? bleib allhie, und wird dir die Zeit lang, so spring hinaus an den Bach, und suche dir Blümleins.

Solches gefiel ihr, hob alsbald an laut zu lachen und sprang hinaus.

Als ich nu am Abend von meiner Jagd heimbkehrete, waren ihre Aeltern schon widder abgefahren, hatten aber versprochen, meinem Vatern Botschaft und Nachrichtungen von mir zu überbringen, was mir angenehm zu hören war.

Des andern Tages mußten wir gleich einzeln in die Schul, und wurd es immer so gehalten, daß in währendem sie ihre Lection thät, ich auf die Jagd ging, und wenn ich die Lection thät, sie der Zicklein hüthete, sie melkete, der Bienen wartete, oder was sonsten zu thun war. Am Feierabend aber und sonsten, wenn es die Zeit ergab, lief das kleine Mägdlein mir immer nach, wo ich ging, pflückte mir Kränze und Blümlein aller Art, auch Erdbeeren, so am Bach wie ein roth-scharlaken Kleid zu beeden Seiten stunden, wovor ich ihr von der Jagd auch immer etwas mitbrachte, als Nester, Eier, kleine Vöglein oder ein Schifflein von Borke, so ich unterwegs geschnitzet, und das sie, immer fröhlich in die Hände klatschende den Bach nidderrennen ließ. Saßen auch ofte am Bach und baueten uns Häuser von Steinleins oder griffen Krebse, so es alldorten viele in den Uferlöchern hatte. Denn ich weiß nit, wie es kam, daß ich schon jetzund ein merklich Wohlgefallen an der kleinen Magd verspürte, und Alles behalten, was sie sagte und thät, da mir doch auf der Sauburg die jungen Mägdlein immer ein Abscheu in meinen Augen gewest waren. Auch ware sie sehr schmeichelhaft, was aber bald ein bös Ende vor sie genommen hätt. Denn dieweil sie des Morgens, wann sie ausgeschlafen, dem Ohm immer den Hals mit ihren Aermleins umfaßete und ihn küßete, hielt sies bei mir auch also.

Dieweil ich aber nun schon ein weidlich strammer Bengel war, acht ich, daß es mein Vatern verdroßen. Ließ es aber etzliche Tage hingehen. Weilen sie jedoch auch anhub, mich also zu umhalsen, wann ich Abends von der Jagd, oder vom Rosenberg heimkehrete, und dabei für Freuden in die Hände klatschete und tanzete, verbot er ihr: sie sölle mich gar nit mehr küssen.

Illa. Warumb aber soll ich ihn denn nicht mehr küssen, lieber Ohm?

Ille. Weil ichs nit haben will. Du kannst mich küssen; oder magst du den Mündel ( denn also nennete sie mich immer) lieber küssen, als deinen Ohm?

Illa ( sich besinnende) ja, mich will bedünken, ich mag ihn lieber küssen.

Ille. Warumb magst du aber den Mündel lieber küssen?

Illa. Ei, er hat nicht, einen alten, grauen, scharfen Bart, wie Ihr.

Ille. Gut; so küssest du fortan weder den Mündel, noch mich.

Solch Gebot hatte sie aber des anderes Morgens schon widder vergessen, kummt alsbald im Anwesen des Ohms angesprungen und umbhalset mich, nach wie zuvor. Hierauf hob ihr Ohm an, sie mit dem Finger zu bedräuen und sprach: willtu gehorsam sein, du wildes Ding! Was sagte Maria zu dem Engel? faltet sie gleich widder ihre Händlein und betet: »siehe, ich bin des Herrn Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast.« Spricht er: du thust aber nit, wie dir gesaget worden.

Sie hätts nur vergessen; wolle auch in Zukunft daran denken. Das wäre nicht genug; dieweilen sie ungehorsam gewest, müsse sie leiden, und sölle 3 Stunden allhie auf eim alten Stuhl fein stille sitzen; mit Niemand nicht, weder mit ihme noch mit Mündel reden, auch die Augen nit aufheben, besondern das Sanduhr ansehen. Stellet hierauf das Sanduhr auf die Erden und setzet sie auf den Stuhl, in währendem er anhebet mich zu informiren.

So saß sie auch bei einer halben Stunden stille, und schauete wie das Sand niederrann; alsbald aber huben die Thränen an, aus ihren langen seidinen Wimpern wie Erbisen groß herfürzubrechen, liefen das feine Näslein nieder, und träufelten also heftig über die rosenrothen Lippen in ihren Busen, wie drunten der Sand in das Eich-Glas. Solches erbarmete mich also, daß ich auch zu weinen begunnte und sprach: lieber Vater, schenket's Ihr nur noch einmal, sehet, wie sie weinet.

Hierauf gab er zur Antwort: wenn du vor sie Bürge wirst und auf deinen Gehorsam gelobest, es mir alsogleich zu sagen, wann sie etwann wieder ungehorsam wird und dich küsset, will ich ihr die Straf vor dieses Mal erlassen; aber vergisset sies wieder, wird sie einen gar ungnädigen und unholdseligen Ohm haben, und ihre Straf doppelt sein. Nu kann man leichtlich greifen, daß ich solches mit Freuden gelobete, und ging das Ding eine ganze Weil gut. Dieweil ich aber eins Abends ein jung Reh in meinen Armen mit zu Hause brachte, so ich gegriffen und sie sich füttern sollte, begab es sich, daß ich sie unfern der Klausen auf eim Baumstamm sitzende fand, wie sie vor mich ein Kränzlein wand, wenn ich zu Hause käme. Setze mich also bei ihr nieder und sprich: sieh Julia was hab ich dir mitgebracht; das soll deines sein.

Hierüber war ihre Freude also groß, daß sie das Kränzlein fahren ließ, und mich wieder mit ihren beeden Armen umbhalsen wollte.

Als ich solches sahe, erschrack ich heftiglich, sprung in die Höhe und ließ, wie sie den Kranz, also jählings das Rehe fahren, daß es gleich sich aufmachete und davon sprang. Sieh, sprich ich alsbald, ihme mit dem Finger nachweisende, das ist vor deinen Ungehorsam. Hat der Vater nicht in Wahrheit Recht, daß Gehorsam immer eitel Gnade und Segen, Ungehorsam aber eitel Ungnade und Unsegen bringe? Was wird dein Ungehorsam dir nun weiteres bringen, wann ich unserm Vatern sagen muß, daß du mich abermalen hast küssen wollen? Hierauf hub sie an zu schlucken und zu bitten, ich möchte es ihme doch nit sagen, als unser Vater, so Alles hinter einem Eichbaum stehende angehöret, schon selbsten herfürtrat, mich höchlichst belobete, dem Dirnlein aber mit harten Worten anbefahl, sofort aus seinen Augen in die Klause zu gehen, bis er käm und sie strafen würd. Belobete hierauf abermalen meinen Gehorsam und sprach: ich würde nunmehro schon an mir selbsten erfahren haben, wie schwer sich der Mensch an den Gehorsam gewöhnte, der doch gleichwohl der Brunnquell aller christlichen und menschlichen Tugend sei. Noch schwerer würds denen Weibern. Denn dieweilen durch ein Weib von Anbeginn die Sünde zuerst in die Welt gekommen, wären sie annoch zur Sünde weit mehr geneiget, denn der Mann, und von Jugend auf Nichtes denn Lüge, Ungehorsam, Unbeständigkeit, Wankelmuth und Leichtfertigkeit. Hätten alle lange Röcke und kurzen Verstand; darumb sölle ich mich Zeitlebens für denen Weibern hüthen, insonderheit wann ich zu männlichen Jahren gelanget, wo sies alle mit uns machen wöllten, wie weiland Eva mit Adam.

Ach, daß ich ihm auch hierinne gefolget wär, so würd es besser umb mich stehen, wie man weiters hören wird!

Doch, umb wieder auf das Dirnlein zu kommen; so waren wir kaum in die Klause getreten, allwo es saß und schluckete und zitterte, gar schwerer Straf gewärtig, als der gute Ohm sprach: dieweil du abermalen, obschon nit aus Bosheit, besondern aus Leichtfertigkeit in Versuchung gerathen bist, Siegmund dich aber durch seinen Gehorsam vor der wirklichen Uebertretung gerettet, soll sein Gehorsam auch deinem Ungehorsam zu Gute kommen und magstu dir deine Strafe vor dieses Mal selbsten wählen.

So schwieg sie ein Weil stille, und da der Ohm auch stille schwieg und sie steif ansahe, hub sie sich letzlich schluckende vom Stuhl und suchte im Winkel bei der Thüren, wo viele Stecken stunden, so einstheils dem Ohm und mir gehöreten, einstheils die Bauern, wenn sie Zehrung brachten, allhie vergessen. Suchete darunter, bis sie meinen Lieblingsstecken funde, auf den sie mit einfältiger Hand ein Kreuz geschnitzet, reichet ihn dem Ohm, lässet sich auf die Knie und hält ihm ihren Rücken hin indem sie spricht: nu schlaget lieber Ohm, denn ich habs wohl verdienet!

Solches schnitt mir widder durch mein Herze, hub heimblich an zu weinen und schauete auf den Ohm, was er thun würd. Denn ich gläubete, er würds ihr sicher schenken; aber er hob in Wahrheit den Arm auf und strafete sie mit 3 Schlägen, doch also linde, als wenn der Stecken ein Rohrhalm gewesen wär, und darauf vermahnte er sie zu Bette zu gehen, 3 pater noster und 3 Ave Maria zu beten, und Gott umb ein gehorsames und verständiges Herze zu bitten.

Am andern Morgen kam aber schon widder der Rollwagen mit eim Knecht und Magd von ihrem Vatern, so sie heimführen sollte. Da gabs ein groß Wehklagen, als es zum Abschied kame, und ihr Ohm sie zum Wagen geleitete. Küßete sie hierauf herzinnig und daß sie ja artig und fromm werden möge, wenn sie ums Jahr widderkäm, was sie auch zu thun versprach. Doch als sie nun auch zu mir sich kehrete, und dieweil sie mich nit zu küssen wagte, mir das kleine Händeken gab und abermalen für Traurigkeit zitterte, wie den Abend zuvor für Furcht, sprach der gute Ohm: jetzt zum Abschied magst du ihn auch wohl küssen, wie du mich geküsset hast; worauf sie auch gleich mit beeden Armen um meinen Hals fiel und sprach: umb ein Jahr komm ich wieder lieber Mündel. Sammle mir nur fleißig glatte Steine und Nester, daß ichs fürfinde, wann ich wiederkomme. Und hierauf mußte die Magd Alles, was ich ihr an Steinen, Eiern, Nestern etc. allbereits eingesammblet, und so sie Alles fein säuberlich aufgehoben, auf den Wagen tragen, worüber der Schelm von Gutscher lachete als ers sah, und für sich selbsten mümmelte: »Na, die wird halter im Leben nicht a Nunn!« wie er denn auch wahr gesaget.

So waren wir nun wieder Beede das Jahr allein, außer daß etliche Bauern kämen, so aber auch mit ihren Gaben immer karger wurden, wie mein guter Vater vorausgesaget. Lernete fleißig, wiewohl ich im Schreiben, wie oben bemerket, gar liederlich zurückeblieb, angesehen das Papier theuer war, und es mein Vater darumb nicht käufete. Mußte auf große Baumblätter, Rinde, item auf den Sand des Baches schreiben, und Dinten hatten wir auch nit, denn von dem Ruß im Schornstein. Sonsten zur Jagd wurd ich immer geschickter, schoß gar viel des Gewildes und im Winter stellete ich Fallen vor das Pelzwild, und hätte eine wilde Katze mich schier fast umgebracht, wie ich annoch notiren muß. Und achte ich: daß es ein wunderliches Vorzeichen des barmherzigen Gottes gewest, wies die böse Perpetua von Sala nachgehends mit mir machen würd. Doch das lasse ich bis an seinen Ort. Das Ding mit der Katzen aber anlangende, war solches also gewachsen.

In den ersten Tägen des Jänners, bei annoch offenem Wetter, hatt ich oftermalen an eim kleinen See ein gar gräuliches Geschreie und seltsamliches Gemümmel derer wilder Katzen gehöret, dieweilen alsdann der Baumrutter Kater. auf die Brunst gehet. Aber die Bestien ließen sich nimmer von mir nahe kommen. Eins Tags aber wurd ich entwahr: daß dicht vor mir ein Baumrutter nach eim Rohr-Hühnlein langet, und selbiges im Maul nahe am See auf eim Eichbaum klettert, in dem ein hohler Ast war. Alsogleich hab ich mein Armbrust zur Hand, und in währendem er in das Loch kreucht, so zum Glück wenig Fuß über der Erden war, scheuß ich ihn also, daß er prustet. So mein ich Narr, er wäre bald verendet, klettre ihm nach und greif mit dem Handschuh in das Loch. Aber au wehe! die Bestia beißt mir durch den Handschuh bis auf den Knochen in mein Hand, und als ich sie schreiende herfürziehe, hänget sie daran, wie ein Blutigel, hinten im Steiß meinen Pfeil tragende.

So zieh ich alsogleich mit der andern Hand mein Messer, machs mit dem Maul offen, und schneide meim Baumrutter wacker über die Nasen, daß er zwar die Hand losließ, aber mit den Tatzen mir davor gleich also in das Angesicht hauete, daß ich vom Baume und ins kalte Wasser fiele. Mein Baumrutter noch immer auf mir. Dieweil ich aber das Messer festgehalten und nicht verloren, stoß ichs ihme ins Herz, worauf er alsbald verreckete. Denn wär mir das Messer entfallen, wär die Bestie mein wohl mächtig worden, und ich unter ihren Tatzen oder auch im kalten Wasser elendiglich umgekommen. Mein guter Vater entsatzte sich, als ich zu Hause kam, dieweil in währendem mein Kopf schon wie ein Immenrumpf angeschwollen, legete mir aber alsbald fürtreffliche Kräuter auf die Wunden, daß es in Kurzem besser ward.

So kam nu widder die Erdbeerenzeit, und eins Tags, als der Vater zum Köhler gangen, fuhr der Rollwagen seines Brudern mit der kleinen Julia auch heuer vor die Klause, als ich just Holz spaltete. Aber die Mutter war von wegen ihrer Schwachheit zu Hause verblieben. Streckete das kleine Dirnlein mir alsogleich beede Arme entgegen, schreiende: Mündel, da bin ich widder! ei Mündel, wie groß bistu worden; hastu mir auch schöne, bunte Steine gesuchet? und was sie sonst in ihrer Freude schwätzete. Hatte aber sider der Zeit alle Ermahnungen ihres Ohms vergessen; denn als der Wagen stille hielte, war sie auch schon umb meinen Hals, und jubilirete, daß sie auch größer worden wär.

So hatt ich nu ein merklich Hinterdenken, ob ichs ihrem Ohm sagete, daß sie mich übermalen geküsset, und wollts schon für heute bewenden lassen. Aber als er heimbkehrete, sagt ichs ihm doch, bittende, er wöll es ihr mildiglich schenken, worauf er zur Antwort gab, dieses mag billig geschehen, denn von jetzo an bleibet das Dirnlein gänzlich bei mir, umb sie zu einer rechtschaffenen Nonnen aufzuziehende, dieweil ich sieh, daß sie immerdar wieder in Murstetten in die alte Kerbe hauen lernet. Was aber dich anbelanget, so habe ich dich Alles gelehret, was ich selbsten weiß, und magstu dich mit den andern Junkern wohl messen, nur im Schreiben bist du liederlicher, und mußtu dich annoch weiters vervollenkommen. Darumb fährest du heute noch mit meim Bruder gen Altensteig, und hab ich deinem Vatern allbereits geschrieben: wie ich zu Gott verhoffete, aus dir würde ein Mann werden, so du fortführest in die Wege zu wallende, die ich dir gewiesen. Mußte ihm solches mit der Faust versprechen, und darauf hingehen und mein Bündlein schnüren.

So war ich nu gar traurig, und brachte dem guten Vatern Alles zurücke, so er mir gelehnet; aber er schenkete mir Allens und auch die Armbrust, was mir eine große Freude in meiner Trübsal war. Noch trauriger als ich, war aber das Dirnlein, und kann man vor sich selbsten abnehmen, welchen kläglichen Abschied ich nunmehro von meim guten Vatern, von dem Dirnlein, wie von der Klausen genommen, in der ich zwo Jahre zugebracht, und mir gute, adeliche Sitten zugeleget. Au wehe, das war vor mich die erste bittere Nuß!

Unterwegens mußt ich dem alten Freiherrn Alles erzählen, wies mir ergangen, so ihne fast verwunderte, und kamen wir des vierten Tags ohne sonderliche Ebenteuer in Murstätten an, von wannen ich mich alsbald aufmachete zur Burg meines lieben Vatern. –

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