Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebzehntes Kapitel

Mit der wiederkehrenden Gesundheit und neuem Seelenfrieden gewann alles für mich ein neues Interesse. Ich suchte mir die Zeit mit allen Genüssen, die für mich erreichbar waren, zu vertreiben. Mit den Mädchen zu baden, war eine meiner Hauptbelustigungen. Manchmal erfreuten wir uns in den Wassern eines winzigen Sees, zu dem der Hauptfluß des Tales sich erweiterte. Diese fast kreisförmige Wasserfläche hatte einen Durchmesser von etwa sechshundert Schritt und war von unbeschreiblicher Schönheit. An den Ufern wogten überall die üppigen Massen tropischen Laubwerks, und hoch darüber sah man gelegentlich den säulenartigen Stamm einer Kokospalme, von dessen Krone die anmutigen Zweige wie wehende Straußfedern herunterhingen.

Die Anmut und Leichtigkeit, mit der die Mädchen des Tales sich im Wasser bewegten, und ihre Vertrautheit mit dem Element war geradezu erstaunlich. Bald glitten sie dicht unter der Oberfläche hin, scheinbar ohne Hand oder Fuß zu bewegen; jetzt warfen sie sich auf die Seite und schossen durch das Wasser, und plötzlich schnellten sie sich empor, so daß man ihre Gestalt eine Sekunde lang durch die Luft schießen sah; jetzt tauchten sie tief ins Wasser, und im nächsten Augenblick stiegen sie blitzschnell zur Oberfläche empor.

Ich erinnere mich, daß ich einmal unter eine Schar dieser Flußnymphen tauchte und, auf meine größere Kraft vertrauend, die eine oder die andere unter Wasser zu ziehen suchte. Ich mußte meine Kühnheit bald bereuen: die amphibischen jungen Geschöpfe umschwärmten mich wie eine Schar von Delphinen, packten mich an allen Gliedern und tauchten mich unter, bis ich mich bei den seltsamen Geräuschen, die in meinen Ohren brausten, und den übernatürlichen Gesichten, die vor meinen Augen tanzten, im Lande der Geister glaubte. Ich hatte sowenig Aussichten gegen sie wie ein schwerfälliger Walfisch, der von einer Unzahl von Schwertwalen von allen Seiten angegriffen wird. Als sie mich endlich losließen, schwammen sie lachend nach allen Richtungen davon und spotteten meiner schwerfälligen Versuche, sie einzuholen.

Es befand sich kein Boot auf dem See; aber auf meine Bitten und zu meinem persönlichen Gebrauch holten einige der jungen Leute von Marheyos Haushalt unter der Aufsicht und Leitung des unermüdlichen Kory-Kory ein leichtes und schön geschnitztes Kanu vom Meere herauf. Es wurde auf die Wasserfläche des Sees gesetzt, auf dem es anmutig schwamm. Aber leider hatte es nicht die Folgen, die ich erwartet hatte. Die süßen Nymphen, die früher mit mir im See gespielt hatten, flohen sogleich aus seiner Nähe. Das verbotene Fahrzeug, das unter strengem Tabu stand, machte auch das Wasser, in dem es lag, zu einem verbotenen Wasser.

Einige Tage hindurch begleiteten mich Kory-Kory und ein oder zwei andere junge Leute zum See, und während ich in meinem leichten Kanu umherpaddelte, schwammen sie mir schreiend und im Wasser spielend nach. Aber das war nicht, was ich gewollt. Ich begann der Sache rasch müde zu werden und sehnte mich nach der angenehmen Gesellschaft der Seejungfrauen, in deren Abwesenheit das Schwimmen und Rudern gleich langweilig war. Eines Morgens teilte ich meinem treuen Diener meinen Wunsch mit. Der Brave sah mich einen Augenblick verwirrt an, dann schüttelte er feierlich den Kopf, murmelte »Tabu! Tabu!« und bedeutete mir, daß, solange das Kanu nicht entfernt würde, ich die Rückkehr der jungen Damen nicht erwarten könnte. Gerade das wollte ich aber nicht; ich wollte nicht nur das Kanu behalten, sondern ich wollte, daß die schöne Fayaweh mit mir darin auf dem See umherfahre. Dieser Vorschlag verletzte Kory-Korys Anstandsbegriffe aufs schwerste.

Er tobte dagegen: es wäre eine Sache, zu ungeheuerlich, als daß man sie sich überhaupt vorstellen dürfte, denn es widerspräche allen religiösen Geboten. Aber obgleich ein »Tabu« eine kitzlige Sache war, beschloß ich, seine Widerstandskraft auf die Probe zu stellen. Ich befragte den Häuptling Mehivi, der mir meine Absicht auszureden versuchte, aber ich gab nicht nach; meine Bitten wurden nur noch dringender. Schließlich hielt er mir einen langen und zweifellos sehr gelehrten und beredten Vortrag über die Geschichte und das Wesen des Tabu, insbesondere in diesem speziellen Fall, und gebrauchte dabei die merkwürdigsten Worte, die, nach ihrer Länge und nach ihrem Klang zu schließen, vermutlich theologische Fachausdrücke waren. Aber sie überzeugten mich nicht, zum Teil vermutlich, weil ich kein einziges Wort davon verstand, vor allem aber, weil ich um die Welt nicht begreifen konnte, warum ein Weib nicht ebensogut in einem Kanu sitzen sollte wie ein Mann. Schließlich schien er vernünftiger zu werden und deutete mir an, daß er aus besonderer Liebe zu mir die Priester befragen und sehen wollte, was sich machen ließe.

Wie die Priesterschaft von Taïpi die Sache mit ihrem Gewissen vereinigte, das weiß ich nicht; aber Tatsache ist, daß Fayaweh schließlich von diesem Tabu dispensiert wurde. Ich glaube nicht, daß etwas Ähnliches sich jemals im Tal ereignet hatte; aber es war hohe Zeit, den Eingeborenen ein wenig Galanterie beizubringen, und ich hoffe, mein Beispiel hat wohltätig gewirkt. Es war doch wirklich lächerlich, daß die reizenden Geschöpfe wie Enten durchs Wasser paddeln mußten, während all die großen stämmigen Kerle in Kanus über die Oberfläche schossen.

Am ersten Tag nach Fayawehs Emanzipation machten wir einen entzückenden Ausflug auf dem See, die Dame, Kory-Kory und ich. Mein eifriger Kammerdiener trug eine Kalebasse mit Poï-Poï, ein halbes Dutzend geschälter junger Kokosnüsse, drei Pfeifen, ebenso viele Yamswurzeln und außerdem einen Teil des Weges noch mich auf seinem Rücken vom Hause nach dem See. Es war eine gehörige Last; aber Kory-Kory war für seine Größe ungewöhnlich stark und besaß ein kräftiges Rückgrat. Wir hatten einen höchst angenehmen Tag, mein treuer Diener bediente das Ruder, und wir glitten sacht unter den Schatten des überhängenden Dickichts am Ufer entlang. Fayaweh und ich lagen im Boot, die zarte Schöne setzte von Zeit zu Zeit die Pfeife an die Lippen und blies die milden Tabakwölkchen von sich, die ihr frischer Atem noch duftender machte. Es mag anderen sonderbar erscheinen, ich aber finde, daß nichts einem jungen und schönen Frauenzimmer vorteilhafter steht als das Rauchen. Wie entzückend sind die Damen von Peru, wenn sie in ihren bunten Grashängematten zwischen zwei Orangenbäumen schaukeln und dabei eine duftige Zigarre genießen! Aber Fayaweh sah noch viel entzückender aus, wenn sie in ihrer feingeformten olivfarbenen Hand das lange gelbe Pfeifenrohr mit dem seltsam geschnitzten Kopf hielt und von Zeit zu Zeit leichte Rauchwölkchen lässig aus Mund und Nase blies.

Wir verbrachten so mehrere Stunden im Boot, und wenn ich zu dem glühenden tropischen Himmel empor und dann wieder in die durchsichtigen Tiefen unter mir blickte und mein Auge von der zauberhaften Landschaft, die mich umgab, auf die grotesk tätowierte Gestalt Kory-Korys fiel und zuletzt Fayawehs nachdenklichen Blicken begegnete, dann war mir, als ob ich träumte oder in ein Feenreich entrückt wäre, so unwirklich erschien mir alles.

Dieses liebliche Wasser war der kühlste Platz im Tal, und ich verbrachte von nun an dort die heißeste Stunde des Tages regelmäßig. An der einen Seite des Sees endete eine lange, allmählich weiter werdende Schlucht, die bis zu den Höhen, die das Tal umgaben, emporführte. Wenn der kräftige Passatwind auf die Bergwände traf und um ihre Gipfel wirbelte und kreiste, dann wurde manchmal ein Luftstrom durch die tiefe Schlucht ins Tal hinabgetrieben, der die sonst ruhige und glatte Oberfläche des Sees kräuselte.

Eines Tags, wir hatten schon eine Weile umhergerudert, schiffte ich Kory-Kory aus und paddelte das Kanu nach der Windseite des Sees. Als ich wendete, schien Fayaweh, die mit mir war, plötzlich einen glücklichen Gedanken zu haben. Mit einem wilden Ruf des Entzückens riß sie das weite Tappakleid, das zum Schutze gegen die Sonne über ihrer Schulter geknüpft war, vom Leibe, breitete es wie ein Segel aus und stand mit erhobenen Armen kerzengerade an der Spitze des Kanus. Wir amerikanischen Seeleute sind auf unsere geraden und sauberen Rundhölzer stolz, aber einen hübscheren kleinen Mast als den, den Fayaweh machte, hat es noch nie in irgendeinem Fahrzeug gegeben.

Im nächsten Augenblick schwoll der Tappastoff im Wind, Fayawehs langes braunes Haar flog, das Kanu glitt schnell durch das Wasser und schoß auf den Strand zu. Am rückwärtigen Ende des Bootes sitzend, lenkte ich seinen Lauf mit meinem Ruder, bis es das sanft ansteigende Ufer hinaufschoß und Fayaweh leicht ans Land sprang, während Kory-Kory, der unser Manöver mit vieler Bewunderung verfolgt hatte, entzückt in die Hände klatschte und wie ein Wahnsinniger brüllte. Dies wurde nun noch viele Male wiederholt.

Der Leser wird wohl schon bemerkt haben, daß ich Fräulein Fayawehs erklärter Verehrer war. Aus dem Kaliko, den ich vom Schiff mitgebracht hatte, wurde für das reizende Mädchen ein Kleid gemacht. Es war allerdings eine leichte Kleidung, etwa wie die eines Ballettmädchens; und wenn die Verhüllung dieser Damen zumeist etwa in Ellenbogenhöhe beginnt, die meiner Inselschönheit begann bei der Taille und endete in genügender Höhe über dem Boden, um die bezauberndsten Knöchel zu zeigen.

Der Tag, an dem Fayaweh dieses Kleid zum ersten Male trug, wurde dadurch denkwürdig, daß ich eine neue Bekanntschaft machte. Es war Nachmittag, und ich lag im Hause, als ich von draußen einen großen Lärm hörte; aber da ich nun an das wilde Hallo, das fast beständig durch das Tal scholl, gewöhnt war, so achtete ich nicht sehr darauf, bis der alte Marheyo ungewöhnlich aufgeregt hereinstürzte und die erstaunliche Nachricht brachte: »Marnu pimi!«, was übersetzt bedeutete, daß ein Individuum namens Marnu sich dem Hause näherte. Der wackere Alte erwartete offenbar, daß diese Nachricht mir einen ungeheuren Eindruck machen würde; er blieb eine ganze Weile stehen und sah mich ernst an, als wollte er sehen, wie ich mich in so einem Fall benehmen würde. Da ich aber vollkommen unbewegt blieb, schoß der alte Herr mit ebensolcher Eile wieder aus dem Hause, wie er gekommen war.

Marnu, Marnu, dachte ich, den Namen habe ich noch nie gehört. Muß vermutlich eine angesehene Persönlichkeit sein, nach dem ungeheuren Lärm zu schließen, den die Eingeborenen machen; denn das gewaltige Lärmen kam jeden Augenblick näher und näher, und »Marnu! Marnu!« rief jede Stimme.

Ich kam zu dem Schluß, daß irgendein wilder Krieger von Rang, der bisher noch nicht die Ehre einer Audienz gehabt hatte, mir bei dieser Gelegenheit seine Aufwartung machen wollte. So eitel war ich durch die außerordentlich ehrenvolle Behandlung geworden, an die man mich gewöhnt hatte, daß ich halb geneigt war, diesen Marnu zur Strafe für seine Lässigkeit recht kühl zu empfangen – da kam die aufgeregte Menge in Gesichtsweite, und ich erblickte einen der merkwürdigsten Menschen, die ich jemals gesehen.

Der Fremde konnte nicht älter als fünfundzwanzig Jahre sein und war ein wenig über Mittelgröße; wäre er um ein Haar länger gewesen, das unvergleichliche Ebenmaß seiner Gestalt wäre weniger vollkommen geworden. Seine nackten Glieder waren außerordentlich schön und seine Gestalt so elegant, seine Wangen so jugendlich und bartlos, daß er ein geeignetes Modell für einen polynesischen Apollo geboten hätte. In der Tat erinnerte mich das reine Oval seines Angesichts und die Regelmäßigkeit seiner Züge an ein antikes Bild. Nur daß an Stelle der Ruhe des Kunstwerks hier eine Wärme und Lebendigkeit des Ausdrucks war, wie man sie nur in der glücklichen Natur der Südseeinseln findet. Marnus Haare waren reich gelockt und braun und fielen in kleinen dichten Löckchen über Hals und Schläfen. Löckchen, die, wenn er beim Sprechen lebhafter wurde, auf und nieder tanzten. Seine Wangen waren zart wie die einer Frau, sein Gesicht war auch nicht durch die leiseste Tätowierung entstellt, wenn auch auf seinem ganzen übrigen Körper phantastische Figuren gezeichnet waren, die jedoch, während man sonst nur eine zusammenhangslose Bildnerei sieht, nach einem Plan angelegt schienen.

Insbesondere die Tätowierung auf seinem Rücken fiel mir auf. Der Künstler, der sie ausgeführt hatte, mußte ein Meister in seinem Beruf sein. Der Wirbelsäule entlang war der schlanke, spitz zulaufende und gleichsam mit Rauten besetzte Stamm des wundervollen »Artubaumes« gezeichnet. Zu beiden Seiten breiteten sich, am Stamm wechselnd angeordnet, die anmutigen Zweige aus, die mit ihren Blättern überhingen. All dies äußerst sicher gezeichnet und aufs feinste ausgearbeitet. Diese Tätowierung war das beste Kunstwerk, das ich bisher in Taïpi gesehen. Brust, Arme und Beine waren mit einer unendlichen Menge verschiedenartiger Figuren besetzt, von denen aber jede einzelne im Hinblick auf den Gesamteindruck entworfen schien. Die ganze Tätowierung war in glänzendem Blau ausgeführt, das gegen die helle Olivenfarbe der Haut eine einzigartige und geradezu elegante Wirkung hervorrief. Ein schmaler Gürtel aus weißem Tappa, kaum zwei Zoll breit, von dem vorne und rückwärts breite Quasten herunterhingen, bildete das ganze Kostüm des Fremden.

Er kam, umringt von den Eingeborenen; unter dem einen Arm trug er eine kleine Rolle heimischen Tuches, in der anderen Hand hielt er einen langen, reich verzierten. Speer. Sein ganzes Gehaben war das eines Reisenden, der weiß, daß er einen angenehmen Aufenthalt vor sich hat. Jeden Augenblick wendete er sich vergnügt zu der ihn umgebenden Menge und schien auf ihre unaufhörlichen Fragen stets eine überraschende Antwort bereit zu haben, so daß sie sich in unwiderstehlichem Gelächter krümmten.

Sein Benehmen und seine außerordentliche Erscheinung, die der der anderen Eingeborenen mit ihrem kahlgeschorenen Schädel und tätowierten Gesicht so ungleich war, machte auf mich solchen Eindruck, daß ich, als er das Haus betrat, unwillkürlich aufstand und ihm einen Sitz auf den Matten neben mir anbot. Aber ohne meiner Höflichkeit die geringste Beachtung zu schenken, ja, als ob er die Tatsache meiner Existenz nicht bemerkte, schritt der Fremde an mir vorbei und warf sich am entferntesten Ende des langen Lagers nieder, das quer durch das einzige Gemach von Marheyos Wohnung lief. Wenn eine anerkannte Schönheit im ganzen Stolz ihrer Anmut und Macht irgendwo auf der öffentlichen Promenade von einem verächtlichen Dandy geschnitten würde, sie könnte nicht empörter sein, als ich bei dieser unerhörten Mißachtung war. Ich fühlte ein grenzenloses Erstaunen. Das Benehmen der Wilden hatte mich gewöhnt, von jedem, der neu ankam, die gleiche ungewöhnliche Neugier und Achtung zu erwarten. Sein auffallendes Benehmen vermehrte meinen Wunsch, zu erfahren, wer dieser merkwürdige Fremde sein mochte, der jetzt alle Aufmerksamkeit auf sich zog.

Teinor setzte eine Kalebasse mit Poï-Poï vor ihn; der Fremde bediente sich, tat aber zwischen jedem Bissen irgendeinen raschen Ausruf, der eifrig aufgenommen und von der Menge, die jetzt das ganze Haus erfüllte, wiederholt wurde. Der Eifer, mit dem die Eingeborenen sich um ihn bemühten, und daß sie mich im Augenblick vollständig vernachlässigten, verletzte mich aufs tiefste. Tommos Herrlichkeit ist dahin, dachte ich, und je früher er das Tal verläßt, desto besser. Das war meine Empfindung, diktiert von jenem großartigen Grundsatz, der allen heroischen Seelen eignet, dem tiefen Entschluß, entweder das größte Stück Pudding zu bekommen oder ganz zu verzichten.

Als Marnu, der alle so ausschließlich anzog, seinen Hunger gestillt und ein paar Züge aus einer Pfeife getan hatte, die ihm gereicht wurde, begann er eine Ansprache, die die Aufmerksamkeit der Hörer aufs äußerste fesselte.

Sowenig ich noch von der Sprache verstand, begriff ich doch aus seinen lebhaften Gebärden und dem wechselnden Ausdruck seiner Züge, der von den Gesichtern um ihn her wie aus ebenso vielen Spiegeln widerstrahlte, leicht, welche Leidenschaften er in ihnen zu entflammen suchte. Aus der häufigen Wiederholung der Worte »Nukuhiva« und »Freni« – »Franzosen« – und einiger anderer Worte, deren Sinn ich kannte, schloß ich, daß er Ereignisse berichtete, die sich in den anderen Buchten der Insel zugetragen hatten. Aber woher er das alles wußte, begriff ich nicht, wenn er nicht etwa eben von Nukuhiva kam. Sein Aussehen – er war staubbedeckt von der Wanderung – ließ das vermuten, aber dann war wieder seine freundliche Aufnahme durch die Taïpis nicht zu erklären.

Jedenfalls hatte ich noch nie eine so machtvolle natürliche Beredsamkeit erlebt. Die Anmut der Stellungen, die sein geschmeidiger Körper annahm, die eindrucksvollen Gebärden seiner nackten Arme, das Feuer seines Blicks vor allem, ergaben vereint mit dem beständig wechselnden Klang seiner Stimme eine Wirkung, auf die der vollendetste Redner hätte stolz sein können. Jetzt sprach er, auf der Matte ruhend, gelassen auf seinen Arm gestützt, und erzählte die Übergriffe der Franzosen in allen Einzelheiten, ihre unerwünschten Besuche in den benachbarten Buchten, die er der Reihe nach aufzählte, Happar, Puerka, Nukuhiva, Teior; plötzlich sprang er auf, stürzte mit geballten Fäusten und leidenschaftlich verzerrtem Gesicht vor, eine Flut wütender Schmähungen ausstoßend. Dann wurde seine Stellung eine gebieterische, als er die Taïpis ermahnte, diesen Übergriffen entgegenzutreten. Mit triumphierenden wilden Blicken erinnerte er sie daran, daß der Schrecken ihres Namens sie bis jetzt vor einem Angriff bewahrt hatte, und mit höhnischer Verachtung und in schneidender Ironie schilderte er die großartige Unerschrockenheit der Franzosen, die mit fünf Kriegskanus und mehreren hundert Mann die nackten Krieger dieses Tales nicht anzugreifen gewagt hatten.

Der Eindruck, den er auf seine Zuhörer machte, war außerordentlich; mit funkelnden Augen und am ganzen Körper zitternd sahen sie ihn an, als hörten sie die Stimme eines Propheten.

Aber es zeigte sich, daß Marnus Fähigkeiten ebenso mannigfach wie groß waren. Kaum hatte er seine leidenschaftliche Rede beendet, als er sich wieder auf die Matte fallen ließ und jeden einzelnen in der Menge beim Namen nannte und ihn scherzhaft ansprach, mit einem Humor, der mir zwar fast völlig unverständlich war, aber die ganze Versammlung mit lautem Entzücken erfüllte.

Er hatte für jeden ein Wort, wendete sich blitzschnell von einem zum anderen, machte irgendeinen raschen Witz, auf den schallendes Gelächter folgte. Er sprach zu den Frauen wie zu den Männern. Gott weiß, was er zu ihnen sagte, aber jedenfalls sah ich sie lächeln und erröten, wenn er sprach. Ich glaube gern, daß Marnu mit seiner bildhübschen Erscheinung und seinem gewinnenden Wesen ein schlimmer Verführer für die einfachen Mägdlein der Insel war.

Während der ganzen Zeit hatte er mich auch nicht eines Blicks gewürdigt. Es schien, als ob er meine Gegenwart überhaupt nicht bemerkt hätte. Ich konnte mir dieses ungewöhnliche Benehmen nicht erklären. Ich sah, daß er ein Mann von nicht geringem Ansehen unter den Eingeborenen war, daß er ungewöhnlich begabt sein mußte und mehr wußte als die Bewohner des Tals; eben darum fürchtete ich, daß er aus irgendeinem Grunde mir abgeneigt war und seinen mächtigen Einfluß dazu verwenden konnte, mir zu schaden.

Es war klar, daß er nicht im Tal zu Hause war, aber woher mochte er kommen? Auf allen Seiten waren die Taïpis von feindlichen Stämmen umgeben; wie war es möglich, daß er, wenn er zu einem von diesen gehörte, mit solcher Herzlichkeit aufgenommen wurde?

Die Erscheinung des rätselhaften Fremden machte die Sache für mich noch verworrener. Ein untätowiertes Gesicht und einen ungeschorenen Kopf hatte ich noch niemals in irgendeinem Teil der Insel gesehen, und ich hatte auch immer gehört, daß das Gegenteil das unentbehrliche Kennzeichen eines Marquesas-Kriegers war. Die ganze Sache war mir vollkommen unverständlich, und ich erwartete die Lösung mit nicht geringer Sorge.

Aus gewissen Zeichen argwöhnte ich, daß er nunmehr Bemerkungen über mich machte, obschon er sich sorgfältig hütete, meinen Namen auszusprechen oder nach der Richtung zu schauen, in der ich lag. Plötzlich erhob er sich von den Matten, auf denen er gelegen hatte, und kam, immer mit den anderen sprechend, auf mich zu, wobei jedoch sein Blick den meinen absichtlich mied; zuletzt setzte er sich, kaum zwei Schritte von mir entfernt, nieder. Ich hatte mich noch nicht von meinem Erstaunen erholt, als er sich plötzlich umwendete und mit dem liebenswürdigsten Ausdruck und anmutigster Gebärde mir seine rechte Hand bot. Natürlich erwiderte ich seine Höflichkeit, und sowie unsere Hände sich berührten, beugte er sich zu mir und murmelte mit musikalischer Stimme auf englisch: »Wie Ihnen gehen? Wie lang sind Sie schon in dieser Bucht? Sie lieben diese Bucht?«

Wenn mich drei Happar-Speere zugleich durchbohrt hätten, ich hätte nicht mehr emporfahren können als bei diesen einfachen Fragen. Einen Augenblick war ich so betäubt vor Überraschung, daß ich antwortete, ohne zu wissen, was ich sprach; aber sowie ich meine Selbstbeherrschung wiedergewann, schoß mir der Gedanke durch den Kopf, daß ich von diesem Menschen etwas über Toby hören könnte, was die Eingeborenen mir, wie ich argwöhnte, absichtlich verbargen.

Ich befragte ihn daher über das Verschwinden meines Gefährten, aber er behauptete, nichts davon zu wissen. Dann fragte ich ihn, woher er käme. Von Nukuhiva, antwortete er. Als ich mein Erstaunen aussprach, sah er mich einen Augenblick an, als genieße er meine Verwirrung, und rief dann mit seiner seltsamen Lebhaftigkeit: »Ah! mich tabu! – mich gehen Nukuhiva – mich gehen Teior – mich gehen Taïpi – mich gehen überall – niemand mich was tun – tabu!«

Diese Erklärung würde mir gleichfalls unverständlich gewesen sein, hätte sie nicht meine Erinnerung an eine seltsame Sitte der Inselbewohner wachgerufen, von der ich schon gehört hatte. Obschon das Land im Besitz verschiedener Stämme ist, deren gegenseitige Feindseligkeit beinahe jeden Verkehr zwischen ihnen unmöglich macht, so weiß man doch Beispiele, daß jemand, der mit irgendeiner Person eines Tales, dessen Bewohner mit seinem Stamm im Kriegszustand leben, freundliche Beziehungen angeknüpft hat, sich unter bestimmten Einschränkungen ungestraft in das Gebiet seines Freundes wagen darf, in dem er unter anderen Umständen als Feind behandelt worden wäre. Das so geschützte Individuum gilt als »tabu« und seine Person bis zu einem gewissen Grade als unverletzlich. So hatte auch dieser Fremde Zutritt zu allen Tälern der Insel.

Ich war sehr neugierig, zu erfahren, woher er Englisch sprach, und befragte ihn darüber. Zuerst wich er aus irgendeinem Grunde aus, später aber sagte er mir, daß er als Knabe von dem Kapitän eines Handelsschiffs mit zur See genommen worden und drei Jahre bei ihm geblieben war; einen Teil dieser Zeit hatte er in Sydney in Australien gelebt und war bei einem späteren Besuch auf der Insel von dem Kapitän auf seine Bitte bei seinen Landsleuten gelassen worden. Sein Verkehr mit den Weißen hatte die natürliche rasche Auffassungsgabe des Wilden außerordentlich gesteigert, und seine teilweise Kenntnis der fremden Sprache verschaffte ihm eine große Überlegenheit über seine minder gebildeten Landsleute.

Als ich den nunmehr so leutseligen Marnu fragte, warum er mich nicht früher angeredet hatte, erkundigte er sich seinerseits eifrig, was ich von seinem Verhalten gedacht hätte. Ich erwiderte, ich hätte in ihm einen großen Häuptling oder Krieger vermutet, der schon viele weiße Männer gesehen und es nicht der Mühe wert gehalten, einen armen Seemann zu beachten. Er schien sehr geschmeichelt, daß ich eine so hohe Meinung von ihm gefaßt, und gab mir zu verstehen, daß er sich absichtlich so benommen hatte, um meine Überraschung, wenn er mich anspräche, zu vermehren.

Er wünschte nun von mir zu hören, wie ich ins Taïpi-Tal gekommen wäre. Er hörte mich mit sichtlichem Interesse an, aber als ich auf das noch unerklärte Fernbleiben meines Kameraden kam, versuchte er von anderem zu sprechen, als wäre das ein Gegenstand, den er nicht zu berühren wünschte. Es war, als ob alles, was mit Toby zusammenhing, bestimmt gewesen wäre, mich mißtrauisch und besorgt zu machen. Ich konnte den Verdacht nicht loswerden, daß Marnu die Unwahrheit sprach, als er nichts über sein Schicksal zu wissen behauptete; dieser Verdacht weckte die schrecklichsten Befürchtungen für mich selber, die ich für eine Zeit losgeworden war, aufs neue.

Gerade darum war es mein Wunsch, mir den Schutz des Fremden zu sichern und in seinem Geleit nach Nukuhiva zurückzukehren. Aber als ich dies andeutete, erklärte er es sogleich für ganz undurchführbar und versicherte, daß die Taïpis niemals zugeben würden, daß ich das Tal verließe. Obschon dies nur meine eigenen Eindrücke bestätigte, vermehrte es meinen Wunsch, aus einer Gefangenschaft zu entkommen, die zwar erträglich, ja in mancher Hinsicht wonnevoll sein mochte, aber zuletzt doch zu einem schrecklichen Ende führen konnte.

Toby war ebenso freundlich behandelt worden wie ich, und doch hatte all ihre Freundschaft für ihn mit seinem geheimnisvollen Verschwinden ein Ende gehabt. Es konnte mir ebenso ergehen. Ich erneuerte daher meine Bitte; aber Marnu erklärte mir noch entschiedener, daß jede Flucht ausgeschlossen sei, und wiederholte, daß die Taïpis es nie zugeben würden. Vergeblich fragte ich ihn, aus welchen Gründen sie mich hier gefangenhielten; Marnus Ton wurde sogleich wieder geheimnisvoll, und meine Befürchtungen begannen mich aufs neue zu quälen. Ich beschwor ihn, bei den Eingeborenen für mich zu sprechen und sie dazu zu bewegen, mich gehen zu lassen. Er schien sehr abgeneigt, gab aber zuletzt soweit nach, daß er mit mehreren Häuptlingen darüber sprach, die uns übrigens wie alle anderen während unseres ganzen Gesprächs scharf im Auge behalten hatten. Sein Verlangen begegnete der heftigsten Mißbilligung, die sich in zornigen Blicken und Gebärden wie in einem Strom leidenschaftlicher Worte äußerte, die an ihn und mich gerichtet wurden. Marnu schien den Schritt zu bereuen, den er getan; es gelang ihm bald, die Taïpis einigermaßen zu beruhigen, und der Lärm ließ nach.

Ich aber sah mit bitterem Gefühl diesen neuerlichen Beweis für den unabänderlichen Beschluß der Eingeborenen. Marnu sagte mir mit sichtlicher Besorgnis, daß er zwar Zutritt zur Bucht hätte und freundlichen Empfang fände, sich aber nicht erlauben dürfte, sich in ihre Angelegenheiten zu mischen; täte er dies noch länger, so würden die Taïpis sich nicht weiter an das Tabu zu halten brauchen, das ihn, wenn er nichts dergleichen täte, vor den Folgen der Feindschaft, die sie gegen seinen Stamm empfanden, schützte.

In diesem Augenblick wurde er von Mehivi in zornigem Ton unterbrochen; zweifellos bedeutete er ihm, nicht weiter mit mir zu sprechen und sich nach der anderen Seite des Hauses zu begeben. Marnu sprang sogleich auf, bat mich noch rasch, ihn nicht mehr anzureden und vor allem, wenn mir mein Leben lieb sei, mit keinem Wort mehr von der Abreise zu sprechen, und zog sich, da der Häuptling seinen Befehl bereits mit zorniger Stimme wiederholte, zurück und setzte sich in einiger Entfernung nieder.

Ich aber sah mit nicht geringer Sorge in den Gesichtern der Eingeborenen denselben wilden Ausdruck, der mich damals im Tai erschreckt hatte. Sie warfen argwöhnische Blicke auf Marnu und mich; die Unterredung die wir in einer für sie unverständlichen Sprache führten, war ihnen offenbar verdächtig geworden, sie schienen zu glauben, daß wir bereits Maßnahmen verabredet hätten, um ihre Wachsamkeit zu täuschen.

Das lebhafte Mienenspiel dieser Menschen drückt jede Seelenregung wunderbar aus, die nervöse Beredsamkeit ihres Ausdrucks und ihrer Gebärden ersetzt reichlich die Unvollkommenheit ihrer Sprache. Ich konnte in ihrem wechselnden Ausdruck all die Leidenschaften deutlich wahrnehmen, die jetzt unerwartet in ihnen wach geworden waren.

Ich begriff, daß Marnus Warnung ernst zu nehmen war; und ich sprach, wiewohl es mich große Anstrengungen kostete, zu Mehivi in leichtem und heiterem Ton, um jeden schlimmen Eindruck wettzumachen. Aber der erzürnte Häuptling war nicht so leicht zu besänftigen. Er wies meine Freundlichkeit mit jenem finsteren Ausdruck zurück, den ich schon einmal geschildert, und ließ mich durch sein ganzes Benehmen sein Mißfallen und seinen Groll fühlen.

Marnu, der mir nützlich sein wollte, bemühte sich auf der anderen Seite des Hauses, die Menge mit seinen Späßen zu unterhalten; aber er hatte damit nicht mehr den gleichen Erfolg wie vorher, und da all seine Bemühungen vergeblich blieben, erhob er sich ernst, um zu gehen. Niemand versuchte ihn zurückzuhalten, er nahm seine Rolle Tappa und seinen Speer, trat auf das Pai-Pai, winkte der schweigenden Menge mit der Hand zum Abschied, warf mir noch einen Blick zu, in dem Mitleid und Vorwurf sich mischten, und trat rasch hinaus. Ich sah seine Gestalt im Dunkel des Haines verschwinden und blieb in großer Niedergeschlagenheit zurück.


 << zurück weiter >>