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Dreiunddreißigstes Kapitel

Beinahe drei Wochen waren seit dem zweiten Besuch Marnus vergangen, und es mußten mehr als vier Monate sein, seitdem ich ins Tal gekommen war, als eines Tages gegen Mittag, während alles im tiefen Schweigen lag, plötzlich Moh-Moh, der einäugige Häuptling, in der Tür erschien und, sich ein wenig vorbeugend – ich lag ja der Tür gegenüber –, leise zu mir sagte: »Toby pimi ina!« (Toby ist gekommen!)

Gütiger Himmel! Wer könnte meine Aufregung beschreiben? Ich sprang sogleich auf, ich fühlte den Schmerz nicht mehr, der mich eben noch verrückt gemacht hatte, und wild rief ich Kory-Kory, der neben mir lag. Alle Eingeborenen sprangen von ihren Matten; man sagte ihnen rasch, was geschehen war, und im nächsten Augenblick war ich auf dem Rücken Kory-Korys unterwegs nach dem Tai, von den aufgeregten Wilden, die mir folgten, umgeben.

Von den Einzelheiten, die Moh-Moh den anderen auf dem Wege wiederholte, konnte ich nur so viel begreifen, daß mein lang verlorener Gefährte in einem Boot gekommen war, das man gerade in die Bucht einfahren gesehen hatte. Natürlich wünschte ich aufs lebhafteste, sogleich ans Meer hinabgetragen zu werden, um ihn in jedem Falle zu treffen; aber das wollten die Wilden nicht gestatten, und wir setzten den Weg nach dem Hause des Königs fort. Als wir uns ihm näherten, wurden Mehivi und mehrere Häuptlinge auf dem Vorplatz sichtbar und riefen uns laut zu, hinaufzukommen.

Ich versuchte ihnen noch von unten klarzumachen, daß ich jetzt zum Strand hinabgehen würde, um Toby zu treffen; aber der König wollte nicht darein willigen und machte Kory-Kory ein Zeichen, mich ins Haus zu tragen. Widerspruch war ja vergeblich, und einige Augenblicke später war ich im Tai, umgeben von einer lärmenden Schar, die die eben eingetroffene Nachricht erörterte. Immer wieder hörte ich Tobys Namen und Ausrufe heftigen Erstaunens. Sie schienen die Tatsache seiner Ankunft noch zu bezweifeln. Jede neue Nachricht vom Strande versetzte sie in die lebhafteste Erregung.

Mich aber machte es halb verrückt, daß ich so im Ungewissen blieb, und leidenschaftlich bat ich Mehivi um die Erlaubnis, hinunterzugehen. Ob Toby nun angekommen war oder nicht, ich hatte ein Vorgefühl, daß mein Schicksal sich jetzt entscheiden mußte. Immer aufs neue wiederholte ich meine Bitte. Mehivi sah mich lange ernst an, aber endlich gab er, wenn auch widerwillig, meinem Drängen nach und gestattete es mir.

Von etwa fünfzig Eingeborenen begleitet, machte ich mich nun rasch auf den Weg und kam schnell vorwärts, da mich jeden Augenblick ein anderer auf den Rücken nahm und ich den, der mich eben trug, aufs dringendste zur Eile trieb. Keinen Augenblick kam mir jetzt ein Zweifel an der Wahrheit der Nachricht in den Sinn. Ich war nur von dem einen überwältigenden Gedanken erfüllt, daß eine Gelegenheit der Befreiung gekommen war, wenn die Wilden mich nicht hinderten.

Da man mir während meines ganzen Aufenthalts im Tal nicht gestattet hatte, ans Meer zu gehen, so hatte ich mir die Flucht immer auf diesem Wege vorgestellt. Auch Toby mußte, wenn er mich wirklich freiwillig verlassen hatte, seine Flucht zu Wasser bewerkstelligt haben, und je näher ich dem Strande kam, desto mehr gab ich mich nie empfundenen Hoffnungen hin. Daß ein Boot in die Bucht eingefahren war, war klar; warum sollte es nicht meinen Kameraden gebracht haben? Jedesmal, wenn wir eine Anhöhe erreichten, blickte ich eifrig aus, in der Hoffnung, ihn bereits kommen zu sehen.

Die aufgeregten Wilden, die mit ihren heftigen Gebärden und ihrem wilden Geschrei nicht weniger erregt schienen als ich, liefen mehr als sie gingen, und ich, der in ihrer Mitte dahin getragen wurde, mußte mich oft bücken, um die Äste zu vermeiden, die über den Weg ragten, und immer wieder bat ich die, die mich trugen, ihre Schritte noch zu beschleunigen.

So waren wir etwa vier oder fünf Meilen weit gekommen, als uns etwa zwanzig andere Eingeborene entgegenkamen, die sofort mit meinen Begleitern aufs lebhafteste zu verhandeln begannen. Ungeduldig bat ich den Mann, der mich eben trug, allein mit mir weiterzugehen, als Kory-Kory zu mir eilte und mir in drei verhängnisvollen Worten mitteilte, daß die ganze Nachricht sich als falsch erwiesen hatte, daß Toby nicht gekommen war: »Toby auli permi!« Nur Gott weiß, wie ich in dem körperlichen und geistigen Zustand, in dem ich mich befand, den Jammer, in den diese Mitteilung mich versetzte, überhaupt ertrug; ich hatte aus den Reden des neuangekommenen Trupps schon Ähnliches befürchtet; aber ich hatte gehofft, die Tatsache würde erst am Strand endgültig festgestellt werden. Nun sah ich sogleich voraus, was die Wilden tun würden. Sie hatten meinen Bitten nur so weit nachgegeben, daß sie mir ein freudiges Wiedersehen mit meinem lang verlorenen Gefährten nicht weigern wollten; nun, da sie wußten, daß er nicht gekommen war, fiel jeder Grund für sie fort. Ich wußte, sie würden mit mir umkehren.

Meine Befürchtungen waren nur zu wohlbegründet. Trotz meines Widerstrebens trugen sie mich in ein Haus in der Nähe und setzten mich dort auf die Matten nieder. Kurz darauf trennten sich mehrere von denen, die mit mir vom Tai gekommen waren, von den anderen, und gingen auf dem Wege nach dem Strande weiter. Die Zurückbleibenden, darunter Marheyo, Moh-Moh, Kory-Kory und Teinor, sammelten sich um das Haus und schienen auf die Rückkehr der anderen warten zu wollen.

Das bewies mir, daß jedenfalls Fremde, vielleicht Landsleute von mir, in die Bucht gekommen sein mußten. Der Gedanke machte mich wahnsinnig, und ohne mich um die Versicherungen der Eingeborenen, daß überhaupt keine Boote am Strande wären, zu kümmern, ohne auf die Schmerzen zu achten, die ich fühlte, sprang ich auf und versuchte zur Tür zu gelangen. Sogleich versperrten mir mehrere Männer den Weg und befahlen mir, mich wieder hinzusetzen. Ihre wilden Blicke sagten mir, daß Gewalt hier nichts nützen und ich mein Ziel nur durch Bitten erreichen konnte.

Ich wendete mich daher an Moh-Moh, der der einzige anwesende Häuptling war, und mit dem ich in letzter Zeit viel verkehrt hatte, und, meine wahre Absicht verbergend, suchte ich ihm begreiflich zu machen, daß ich immer noch glaubte, Toby sei unten am Strande. Ich beschwor ihn, mir zu gestatten, daß ich hinunterging und ihn begrüßte. Er versicherte mich wiederholt, daß niemand Toby gesehen hätte; ich tat, als verstünde ich ihn nicht, und setzte meine Bitten mit den deutlichsten und beredtesten Gebärden fort, bis der einäugige Häuptling ihnen nicht mehr widerstehen konnte. Er schien mich jetzt wie ein launisches Kind zu betrachten, gegen das er Gewalt zu gebrauchen nicht das Herz hatte und dem er seinen Willen lassen mußte. Er sprach einige Worte zu den Eingeborenen, die sogleich die Tür freigaben, und ich trat ins Freie.

Ich sah mich nach Kory-Kory um, aber mein bis dahin so treuer Diener war nirgends zu sehen. Ich wollte keine Zeit verlieren, jeder Augenblick schien kostbar, ich machte daher einem kräftigen Burschen, der in meiner Nähe stand, ein Zeichen, er möchte mich auf den Rücken nehmen; zu meinem Erstaunen schlug er es mir zornig ab. Ich wendete mich an einen anderen mit dem gleichen Ergebnis. Auch ein dritter Versuch blieb erfolglos, und nun begriff ich, warum Moh-Moh mir nachgegeben hatte und warum die anderen Eingeborenen sich so sonderbar benahmen. Offenbar hatte der Häuptling mir nur darum erlaubt, meinen Weg zum Strande fortzusetzen, weil er annahm, daß ich ihn ohne Hilfe doch nicht erreichen konnte.

Nun wußte ich, daß sie mich unbedingt gefangenhalten wollten und ich geriet in Verzweiflung; ich fühlte den Schmerz in meinem Bein kaum mehr, faßte einen Speer, der an dem vorspringenden Hausdach lehnte, stützte mich darauf und schritt den Pfad hinab, der an dem Hause vorüberführte. Zu meinem Erstaunen ließ man mich gehen und zwar allein; die Eingeborenen blieben alle vor dem Hause stehen und besprachen sich; ihre Unterredung wurde laut und heftig, und zu meiner unsagbaren Freude merkte ich, daß eine Meinungsverschiedenheit zwischen ihnen entstanden sein mußte; sie waren geteilter Ansicht, es hatten sich zwei Parteien gebildet; das ließ mich Günstiges hoffen.

Ich war aber noch keine zweihundert Schritte weitergegangen, als sie mir nachkamen und mich wieder umringten; sie waren aber noch in hitzigem Streit begriffen, so sehr, daß es schien, als würden sie im nächsten Augenblick handgemein werden. Während der Streit tobte, trat der alte Marheyo an meine Seite, und nie werde ich den gütigen Ausdruck seines Gesichts vergessen. Er legte mir die Hand auf die Schulter und mit besonderer Betonung sprach er ein einziges englisches Wort, das ich ihn gelehrt hatte: »Heimat!« Ich verstand ihn und drückte ihm meine Dankbarkeit aus. Fayaweh und Kory-Kory waren ihm gefolgt; beide weinten heftig, und zweimal mußte der alte Mann seinem Sohne befehlen, mich wieder auf den Rücken zu nehmen, ehe dieser es über sich brachte, ihm zu gehorchen. Der einäugige Häuptling wollte es verhindern, aber seine eigenen Anhänger, wie es mir wenigstens schien, erklärten sich gegen ihn.

So schritten wir weiter, und nie werde ich die jubelnde Freude vergessen, mit der ich zum erstenmal wieder das Donnern der Brandung am Strande hörte. Nicht lange, und ich sah die Wogen zwischen den Bäumen aufblitzen. Mit welchem Entzücken begrüßte ich den Anblick und die Töne des Ozeans! Jetzt konnte man auch das Schreien und Rufen der Menge am Strand deutlich hören, und mir war, als könnte ich die Stimmen meiner Landsleute unterscheiden.

Als wir den offenen Strand, der zwischen den Wäldern und dem Meere lag, erreichten, sah ich ein englisches Walfischboot, mit dem Bug seewärts gerichtet, nur wenige Faden vom Ufer entfernt liegen. Es war mit fünf Eingeborenen bemannt, die kurze Röckchen aus Kaliko trugen. Es sah aus, als ob sie eben aus der Bucht hinausruderten und ich nach soviel Not und Mühe dennoch zu spät gekommen wäre. Ich wollte schon verzweifeln, aber ein zweiter Blick belehrte mich, daß sie das Boot nur außerhalb der Brandung hielten; und im nächsten Augenblick hörte ich eine Stimme aus der Menge meinen Namen rufen.

Hinsehend, erkannte ich zu meiner unbeschreiblichen Freude die hohe Gestalt Karakoïs, eines Kanakas aus Puehu, der oft an Bord der »Dolly« gewesen war, als sie vor Nukuhiva lag. Er trug die grüne Jagdjacke mit den vergoldeten Knöpfen, die ein Offizier der »Reine Blanche«, des französischen Flaggschiffs, ihm geschenkt und die ich ihn immer tragen gesehen hatte. Ich erinnerte mich jetzt, daß der Kanaka mir oft gesagt hatte, seine Person sei in allen Tälern der Insel »Tabu«, und sein Anblick erfüllte mein Herz mit Jubel.

Er stand nahe am Uferrand; über den einen Arm hatte er eine große Rolle Baumwollstoff geworfen und hielt zwei oder drei Säcke aus Segelleinwand mit Schießpulver in der Hand, während er in der anderen eine Muskete trug, die er mehreren der Häuptlinge anzubieten schien. Diese aber wendeten sich verächtlich ab, sie schienen ihn loswerden zu wollen, mit heftigen Gebärden wiesen sie auf sein Boot und befahlen ihm, sich zu entfernen.

Der Kanaka aber blieb, und mir wurde sofort klar, daß er meine Freiheit zu erkaufen suchte. Laut rief ich ihm zu, er möge doch zu mir kommen, aber er erwiderte in gebrochenem Englisch, daß die Eingeborenen gedroht hätten, ihn mit ihren Speeren zu durchbohren, wenn er nur einen Fuß auf mich zu bewegte. Ich schritt noch immer weiter, von einer dichten Menge der Eingeborenen umringt, von denen mehrere mich angefaßt hielten; und mehr als ein Wurfspieß war drohend gegen mich gerichtet; aber ich sah ganz deutlich, daß selbst unter denen, die gegen mich waren, viele unentschlossen und besorgt aussahen.

Ich war noch etwa sechzig Schritt von Karakoi entfernt, als die Eingeborenen mich nicht weitergehen ließen, sondern mich zwangen, mich niederzusetzen, wobei sie mich noch immer an den Armen festhielten. Der Lärm und die Aufregung steigerten sich ins Zehnfache; ich sah auch, daß mehrere von den Priestern zur Stelle waren, die alle Moh-Moh und die anderen Häuptlinge sichtlich bestürmten, mich nicht fortzulassen. Und das verabscheute Wort »Runi! Runi!«, das ich an diesem Tage wohl tausendmal schon gehört hatte, erscholl jetzt von allen Seiten. Aber immer noch sah ich, daß Karakoi sich für mich bemühte, daß er kühn über die Sache mit den Wilden weiterverhandelte und sie zu locken suchte, indem er ihnen das Tuch und das Pulver hinhielt und den Hahn der Muskete einschnappen ließ. Aber was er auch sagte oder tat, die anderen schrien nur noch lauter und suchten ihn ins Wasser hinabzudrängen. Wenn ich bedachte, welchen übertriebenen Wert die Leute auf die Waren legten, die man ihnen zum Austausch für mich bot, und die sie jetzt so empört zurückwiesen, so erkannte ich aufs neue, wie unerbittlich ihr Entschluß war, mich hierzubehalten. Verzweifelt nahm ich all meine Kraft zusammen, schüttelte die Hände derer, die mich festhielten, ab, sprang auf die Füße und eilte auf Karakoï zu.

Dieser unüberlegte Schritt hätte fast mein Schicksal entschieden, denn in der Angst, daß ich entweichen könnte, stürzten sich mehrere der Eingeborenen mit einem gleichzeitigen wilden Schrei auf Karakoï, bedrohten ihn mit wütenden Gebärden und drängten ihn tatsächlich ins Wasser. Erschrocken über ihre Heftigkeit suchte der arme Kerl, der bis zum Gürtel in der Brandung stand, sie zu beruhigen; aber zuletzt bekam er Angst und winkte seinen Gefährten, heranzurudern und ihn aufzunehmen.

In diesem schrecklichen Augenblick, in dem ich bereits alle Hoffnungen aufgab, erhob sich ein neuer Streit zwischen den zwei Parteien, die mit mir heruntergekommen waren, und jetzt kam es wirklich zu einer Schlägerei, bei der Blut floß. In der Aufregung und Verwirrung, die darüber entstand, waren nur Marheyo, Kory-Kory und die arme süße Fayaweh bei mir geblieben, die sich krampfhaft schluchzend an mich klammerte. Ich fühlte: jetzt oder nie! Mit gerungenen Händen sah ich Marheyo flehend an und schritt den jetzt beinahe verlassenen Strand hinab. Tränen waren in den Augen des alten Mannes, aber weder er noch Kory-Kory versuchten mich zu hindern; ich erreichte den Kanaka, der meinen Bewegungen ängstlich gefolgt war, die Ruderer pullten das Boot so nahe ans Land, wie sie bei der Brandung wagen durften; ich schloß Fayaweh, die vor Kummer nicht sprechen konnte, noch einmal in die Arme und saß im nächsten Augenblick im Boot; Karakoï neben mir, der den Ruderern zuschrie, loszulegen. Marheyo, Kory-Kory und viele Weiber folgten mir ins Wasser; ich reichte, da ich ihnen anders meine Dankbarkeit nicht zeigen konnte, Kory-Kory die Muskete – der mich dabei wieder zu packen suchte –, warf dem alten Marheyo die Tuchrolle zu, wobei ich auf die arme Fayaweh wies, die trostlos am Ufer saß, und die Pulversäcke den nächsten jungen Damen, die alle eifrig danach griffen. Das Ganze dauerte keine zehn Sekunden, und noch ehe ich damit fertig war, hatte das Boot schon volle Fahrt, während der Kanaka laut gegen die überflüssige Verschwendung so wertvollen Gutes protestierte.

Die Eingeborenen hatten, obwohl mehrere natürlich gesehen hatten, was geschah, ihren Streit nicht sogleich abgebrochen, und das Boot war wohl schon mehr als hundert Schritt vom Strand entfernt, als Moh-Moh, und sechs oder sieben Krieger mit ihm, ins Wasser sprangen und ihre Wurfspieße nach uns schleuderten. Einige davon flogen dicht genug an uns vorbei; aber niemand war verwundet, und die Männer pullten tapfer darauf los. Aber obwohl wir bald außerhalb des Bereichs der Speere waren, kamen wir doch nur sehr langsam vorwärts; der Seewind kam heftig herein und die Flut war gegen uns, und ich sah, wie Karakoï, der das Boot steuerte, ängstliche Blicke auf eine vorspringende Landzunge am Ende der Bucht warf, an der wir vorüber mußten.

Ein oder zwei Minuten lang verharrten die Wilden in starrem Schweigen, dann zeigte der wütende Häuptling durch Gebärden, was er beschlossen hatte. Unter lauten Zurufen wies er mit seinem Tomahawk auf den Landvorsprung und rannte, von etwa dreißig Eingeborenen gefolgt, unter denen mehrere Priester waren, mit Windeseile in der gleichen Richtung, und alle brüllten »Runi! Runi!« Es war ganz klar, daß sie vom Vorgebirge ins Wasser springen und uns den Weg abschneiden wollten. Der Wind wurde jede Minute steifer und blies uns gerade entgegen, und das Meer hatte jenen kurzen, zornigen Wellenschlag, der das Rudern so erschwert. Wir waren noch zweihundert Schritte von der Landspitze entfernt, als die Wilden sich schon ins Meer stürzten, und fünf Minuten später konnten wir zwanzig der rasenden Halunken um uns haben. Dann war es mit uns aus, denn die Wilden sind nicht so erbärmliche Schwimmer wie die Leute bei uns, sondern im Wasser womöglich noch gefährlichere Gegner als auf dem Lande. Es kam auf die Kraftprobe an; unsere Eingeborenen pullten, daß die Riemen sich bogen, und die Schwimmer schossen, so hoch die See ging, mit fürchterlicher Geschwindigkeit durch das Wasser.

Als wir die Höhe des Vorgebirges erreicht hatten, hatten sie sich schon quer über unsern Kurs im Wasser zerstreut. Die Ruderer zogen ihre Messer und nahmen sie zwischen die Zähne; ich ergriff den Bootshaken. Wir wußten: gelang es ihnen, uns abzuschneiden, so packten sie die Ruder, faßten das Dollbord, brachten das Boot zum Kentern, und wir waren ihnen auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Das ist ein Manöver, das schon so mancher Bootsmannschaft in der Südsee zum Verhängnis geworden war.

Ein paar atemlose Sekunden vergingen, da sah ich Moh-Moh. Der riesige Insulaner, den Tomahawk zwischen den Zähnen, schoß durch das Wasser, daß es schäumte. Er war schon ganz nahe. Im nächsten Augenblick mußte er eines der Ruder ergriffen haben. Wohl schauderte im Augenblick mir selbst vor dem, was ich tat, aber jetzt war keine Zeit zu Mitleid oder Reue, mit aller Kraft stieß ich den Bootshaken nach ihm. Ich traf ihn gerade unter der Kehle und riß ihn unters Wasser. Es blieb mir keine Zeit, den Schlag zu wiederholen; ich sah ihn im Kielwasser des Boots wieder auftauchen; die Wut in seinem Blick werde ich nie vergessen.

Nur noch einer der Wilden erreichte das Boot. Er faßte das Dollbord, aber die Ruderer bearbeiteten seine Handgelenke so mit ihren Messern, daß er es loslassen mußte; in der nächsten Minute hatten wir alle überholt und waren in Sicherheit. Die ungeheure Aufregung, die mich bis dahin aufrechterhalten hatte, ließ jetzt nach und ohnmächtig fiel ich Karakoï in die Arme.

Ich will noch kurz erzählen, welche Umstände mir diese so unerwartete Flucht ermöglicht hatten. Der Kapitän eines australischen Schiffes, der in diesen fernen Meeren an Leutemangel litt, war in Nukuhiva eingefahren, um seine Mannschaft zu ergänzen. Aber er hatte nicht einen einzigen Mann auftreiben können, und wollte mit seiner Barke eben wieder unter Segel gehen, als Karakoï an Bord kam und dem enttäuschten Engländer mitteilte, daß die Wilden in der benachbarten Bucht von Taïpi einen amerikanischen Matrosen gefangenhielten; er erbot sich, wenn man ihn mit genügenden Handelsartikeln versähe, seine Befreiung ins Werk zu setzen. Der Kannaka hatte diese Kunde von Marnu, dem ich also tatsächlich meine Rettung verdanke; der Schiffer hatte den Vorschlag angenommen, und Karakoï kam mit fünf Eingeborenen von Nukuhiva, die alle »Tabu« waren, wieder an Bord der Barke, die wenige Stunden später hinübersegelte und auf der Einfahrt in die Taïpi-Bucht ihr Großmarssegel killen ließ. Das Boot mit der Mannschaft, die »Tabu« war, fuhr nach dem inneren Ende der Bucht, während das Schiff draußen hin und her geworfen wurde und seine Rückkehr abwartete.

Alles Weitere habe ich bereits erzählt, und es bleibt nur wenig hinzuzufügen. Als wir die »Julia« erreichten, wurde ich an Bord geschafft, und mein seltsames Aussehen sowie meine merkwürdigen Erlebnisse erregten allgemeines Interesse. Man sorgte für mich in menschenfreundlichster Weise, aber ich brauchte drei Monate, ehe ich meine volle Gesundheit wiedererlangte.

Das Geheimnis, das über dem Schicksal meines Freundes und Gefährten Toby lag, ist nie aufgeklärt worden. Ich weiß noch heute nicht, ob es ihm gelang, das Tal zu verlassen oder ob er von den Eingeborenen umgebracht wurde.


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