George Meredith
Richard Feverel
George Meredith

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Elftes Kapitel.

In welchem der letzte Akt der Bakewell-Komödie mit einem Briefe schließt.

Von all den wichtigsten Akteuren in der Bakewell-Komödie erwartete Ripton Thompson den verhängnisvollen Morgen, welcher Toms Schicksal entscheiden sollte, in der trübseligsten Stimmung und litt in der Einbildung die furchtbarsten Schrecknisse. Als Adrian sich von ihm trennte, hatte er die Gelegenheit wahrgenommen, beiläufig von der Lage der Verbrecher im modernen Europa zu sprechen. Er hatte ihm erzählt, daß internationale Auslieferungsverträge jetzt das leisteten, was das römische Reich früher getan hätte, und daß ein Verbrecher bei den Wilden an der Küste des atlantischen Meeres, jetzt wie zu der Zeit der alten Skythen, nur eine unsichere Zuflucht und immer einen geheimen Abgesandten finden würde, der ihn aufsuchte.

Unter dem väterlichen Dache, unter dem Schutze des Gesetzes und fern von dem Einfluß seines gewissenlosen jungen Führers, überwältigte die bedenkliche Natur der Handlung, in die er verwickelt war, den armen Ripton durch ihr furchtbar verbrecherisches Aussehen. Es wurde ihm jetzt zum ersten Male recht klar, was er getan hatte. 98 »Es ist beinahe so schlimm wie Mord!« schrie es in seiner geängstigten Seele und er ging im Hause umher mit einem prickelnden Gefühl auf der Haut. Gedanken an Amerika und wie er sein Leben neu beginnen könnte, als unschuldiger Mann, hatten Riptons erregtes Gemüt durchkreuzt. Er schrieb an seinen Freund Richard und schlug ihm vor, alle verfügbaren Gelder zu sammeln, damit sie sich einschiffen könnten, im Falle, daß Tom sein Wort brechen oder der Zufall sie verraten sollte. Er wagte es nicht seiner Familie das Geheimnis anzuvertrauen, da Richard es ihm streng zur Pflicht gemacht hatte, jede derartige Schwäche zu vermeiden; und da er von Natur ehrlich und mitteilsam war, war ihm diese Beschränkung schmerzlich und er wurde melancholisch. Mama Thompson schrieb es der Liebe zu. Die Pandektentöchter neckten ihn mit Fräulein Klara Forey. Sein unaufhörliches Schreiben nach Raynham, sein Schweigen über alles und jedes dort, seine Appetitlosigkeit, seine Reizbarkeit, seine ungewohnte Neigung zu plötzlichem, flammendem Erröten, alles das wurde als sicheres Zeichen der Verliebtheit ausgelegt. Miß Letitia Thompson, die jüngste und hübscheste der Pandektentöchter, war von ihrer Mama für den Erben von Raynham bestimmt worden. Sie war bekannt mit diesen Plänen und hatte sich, obgleich sie erst fünfzehn Jahre alt war, nach Riptons Abreise ihrer glänzenden Zukunft angemessen gekleidet und Triller und Kadenzen in schmachtenden Tönen vor ihrem Stubenmädchen geübt, wobei dem kleinen Laufburschen das Herz im Leibe dahinschmolz. Da Ripton Miß Lettys unersättlichen Durst nach Auskunft über den jungen Erben nicht befriedigen konnte, rächte sie sich durch tägliche Quälereien und jagte ihm einmal, ganz ohne es zu beabsichtigen, einen fürchterlichen Schrecken ein. Als Herr Thompson nach dem Essen am Feuer saß und die Zeitung las, um 99 sich zu dem Schlaf auf seinem gewöhnlichen Posten vorzubereiten, und Mama Thompson mit ihrer gehorsamen weiblichen Nachkommenschaft von den Schwierigkeiten der Nadelkünste in Anspruch genommen war, die sie mit ihren Zungen begleiteten, stahl sich Fräulein Letty hinter Riptons Stuhl und schob zwischen ihn und sein Buch, groß und schön gemalt, den lateinischen Anfangsbuchstaben des Gegenstandes, von dem sie ihn ebenso erfüllt glaubte, wie sie selbst es war. Die unerwartete Erscheinung dieses anklagenden Anführers des Alphabets, dieses glänzende und beunruhigende »A«, das ihm kühn entgegenstarrte, ließ Ripton in seinen Stuhl zurücksinken, während das Schuldbewußtsein mit der gewohnten Unsicherheit, welche Farbe es bei der Entdeckung annehmen sollte, auf seinen eingefallenen Wangen von Röte zu Blässe, von Blässe zu Röte floh. Letty lachte triumphierend. »Amor,« das Wort, das sie im Sinne hatte, konnte sicherlich mit »Ausweisung« in Verbindung gebracht werden.

Die Ankunft eines Briefes an Ripton gab ihr indessen neue und mehr Erfolg versprechende Aussichten zum Studium. Denn kaum hatte Ripton sich in das Sendschreiben vertieft, als er in solch hellen Jubel ausbrach, daß das kleine Fräulein, die trotz ihrer schmachtenden Triller genug gesunden Menschenverstand besaß, meinte, dieses könnte sie für eine deutliche Erklärung halten. Der Knabe blieb nicht bei Tisch. Er besann sich darauf, daß er nicht allein war und eilte in sein Zimmer. Und nun beschäftigte sich Fräulein Lettys Scharfsinn damit, wie sie in den Besitz des Briefes gelangen könnte. Natürlich hatte sie Erfolg, denn sie machte sich wenig Gewissensbisse bei ihrer Jagd, und das Wild war nicht auf seiner Hut. Mit erstaunten Augen las sie folgenden merkwürdigen Inhalt: 100

»Lieber Ripton!

Wenn Tom verurteilt worden wäre, hätte ich den alten Blaize erschossen. Weißt Du, mein Vater stand hinter uns in der Nacht, als Klara den Geist sah, und hörte alles was wir sagten, ehe das Feuer ausbrach. Man muß gar nicht versuchen, irgend etwas vor ihm geheim zu halten. Da Du natürlich in einem furchtbaren Zustand bist, will ich Dir alles erzählen. Nachdem Du fort warst, hatte ich eine Unterredung mit Austin, und er beredete mich, zum alten Blaize zu gehen und ihn zu bitten, Tom frei zu geben. Ich ging, denn ich wollte alles was möglich war für Tom tun, nach dem, was Austin gesagt hatte, und ich wollte den alten Kerl hindern, das Schlimmste zu tun. Dann sagte er, wenn mein Vater das Geld bezahlen würde, und niemand seine Zeugen bestochen hätte, dann wäre es ihm gleich, wenn Tom freikäme; und dann ließ er seinen Hauptzeugen hereinkommen, der der Kampfhahn genannt wird und seinem Herrn sehr ähnelt; und der Kampfhahn fing an, mir Gesichter zu schneiden, und sagte, er hätte geschworen, daß er Tom Bakewell gesehen hätte, aber nicht mit seinem heiligen Eide. Er meinte, nicht auf die Bibel. Er könnte es schwören, aber nicht auf die Bibel. Ich mußte lachen und Du hättest sehen sollen, in welche Wut der alte Blaize geriet. Es war ein Hauptspaß. Dann hatten wir zu Hause eine Besprechung, Austin, Rady, mein Vater, Onkel Algernon, der wieder bei uns ist, und Dein Freund in Glück und Unglück R. D. F. Mein Vater sagte, er würde zum alten Blaize gehen und ihm sein Ehrenwort geben, daß wir uns nicht mit seinen Zeugen eingelassen hätten; und als er fort war, sprachen wir noch weiter, und Rady meinte, er solle lieber nicht zu 101 dem Bauern gehen. So wahr ich lebe, ich glaube, Rady hat den Kampfhahn bestochen. Ich lief also und holte meinen Vater ein, und sagte ihm, er solle nicht zum alten Blaize gehen, ich würde gehen, und würde alles widerrufen und ihm die Wahrheit sagen. Er wartete auf mich auf dem Feldwege. Was zwischen mir und dem alten Blaize vorging, ist nicht weiter wichtig. Er ließ mich bitten und betteln, daß er nicht weiter gegen Tom vorgehen wolle, und schließlich brachte er noch ein kleines Mädchen herein, eine von seinen Nichten, und sagte mir, sie wäre meine beste Freundin und ich sollte mich bei ihr bedanken. Ein kleines Mädchen, zwölf Jahre alt! Was für ein Recht hatte sie, sich in meine Angelegenheiten zu mischen. Verlaß Dich darauf, Ripton, immer wo Unfug geschieht, stecken Mädchen dahinter! Sie hatte die Unverschämtheit, eine Bemerkung über mein Aussehen zu machen und mich zu bitten, nicht unglücklich zu sein. Ich war natürlich höflich, aber ich habe sie nicht angesehen. Der Morgen kam also, und Tom wurde vor Sir Miles Papworth geführt. Sir Miles' Gicht hatte uns den Aufschub verschafft, sonst wäre Tom verhört worden, ehe wir Zeit hatten, etwas für ihn zu tun. Adrian wollte mich nicht hingehen lassen, aber mein Vater sagte, ich solle ihn begleiten, und er hielt mich die ganze Zeit bei der Hand. Ich werde mich wohl in acht nehmen, wieder solche Geschichten zu machen. Wenn man irgend etwas Anständiges getan hat, dann ist es einem gleich; wenn man aber unter Polizisten und Gerichtsbeamte gerät, dann schämt man sich. Sir Miles war sehr aufmerksam zu meinem Vater und zu mir und sehr hart gegen Tom. Wir saßen neben ihm, und Tom wurde hereingeführt. Sir Miles sagte zu meinem Vater, daß nichts in der Welt so sehr den gemeinen Schurken kennzeichne 102 als Brandstiftung. Was meinst Du dazu? Ich sah ihn scharf an und er sagte zu mir, er täte mir einen Dienst, wenn er Tom verhaften ließe und das Land von solch einem Burschen befreie, und Rady fing an zu lachen. Ich hasse Rady! Mein Vater sagte, sein Sohn hätte es noch nicht so eilig mit der Erbschaft und der Verwaltung eigenen Landes, und Sir Miles lachte auch. Anfangs dachte ich, man hätte uns entdeckt. Dann fingen sie an, Tom zu verhören. Der Kesselflicker war der erste Zeuge, und bewies, daß Tom gegen den alten Blaize gesprochen und auch etwas von dem Anstecken eines Heuschobers gesagt hätte. Ich wünschte, ich hätte mit ihm allein auf dem Wege nach Bursley gestanden. Unser Anwalt hier auf dem Lande, den wir für Tom genommen hatten, fing ein Kreuzverhör mit ihm an, und dann sagte er, er könnte nicht ganz genau die Worte beschwören, die zwischen ihm und Tom gefallen wären. Das glaube ich, daß er das nicht konnte! Dann kam ein anderer, welcher schwor, daß er gesehen hätte, wie Tom auf dem Gebiet des Bauern in der Nacht herumgeschlichen wäre. Dann kam der Kampfhahn und ich sah, wie er nach Rady hinblickte. Ich war furchtbar aufgeregt und Vater drückte mir die Hand. Stell Dir bloß vor, wie ich fühlen mußte, daß ein Wort von dem Burschen mich für mein ganzes Leben unglücklich machen konnte, und daß er falsch schwören mußte, um mir zu helfen. Das kommt davon, wenn man sich von der Leidenschaft fortreißen läßt. Mein Vater sagt, wenn wir das tun, dann suchen wir Hilfe beim Teufel. Dem Kampfhahn wurde also befohlen zu sagen, was er gesehen hätte, und im Augenblick wie er loslegte, fing Rady, der dicht neben mir stand, an sich zu schütteln, und ich weiß, daß er lachte, obgleich sein Gesicht so ernst 103 war wie Sir Miles'. Du hast in Deinem ganzen Leben nicht solchen Unsinn gehört, aber ich konnte nicht lachen. Er sagte, er glaubte, er wäre sicher, daß er jemand an dem Heuschober gesehen hätte, und Tom Bakewell wäre der einzige Mann, von dem er wüßte, daß er einen Groll gegen den Farmer Blaize hätte, und wenn der Jemand ein klein wenig größer gewesen wäre, dann würde es ihm nicht darauf ankommen, zu schwören, daß es Tom gewesen wäre, – und er wollte auch schwören, denn er wäre ganz sicher, es wäre Tom gewesen, nur war er kleiner und es war pechfinster zu der Zeit. Er wurde gefragt, zu welcher Zeit die Person sich von dem Heuschober weggestohlen hätte, und da fing er an sich den Kopf zu kratzen, und sagte, es wäre Abendbrotzeit gewesen. Und dann fragten sie ihn, um welche Zeit er Abendbrot äße, und er sagte: »Schlag neun Uhr;« und wir bewiesen, daß Tom um neun Uhr mit dem Kesselflicker in dem Gasthaus in Bursley getrunken hätte und Sir Miles fluchte und sagte, leider könne er Tom nicht verhaften, und als er das hörte, sah Tom mich an und ich sage, Tom ist ein nobler Bursche, und niemand soll über Tom spotten, so lange ich lebe. Merke Dir das. Sir Miles lud uns dann zum Essen ein, und Tom war gerettet, und wenn ich will, soll ich ihn haben und zu meinem Diener erziehen, und ich will. Und ich werde seiner Mutter Geld geben und sie reich machen, und er soll niemals bereuen, daß er mich kennen kernte. Hör mal, Rip! Der Kampfhahn muß mich gesehen haben, als ich die Streichhölzchen hineinsteckte. Als wir am Abend von Sir Miles fortgingen, er hat eine Menge Töchter mit roten Gesichtern, aber ich tanzte nicht mit ihnen, obgleich sie Musik machten und sehr lustig waren; ich hatte keine Lust dazu; ich war so glücklich, ich hätte 104 mich beinahe verraten. Als wir nach Hause ritten, sagte Rady zu meinem Vater, der Kampfhahn wäre kein solcher Narr, wie man dächte, und mein Vater sagte, man müßte in einem Zustand großer, persönlicher Erregung sein, wenn man diese Bezeichnung auf irgend einen Menschen anwendete, und Rady schwieg; und ich schlug mein Pony mit den Hacken vor Vergnügen. Ich glaube, mein Vater vermutet, was Rady getan hat, und billigt es nicht. Und er hätte gar nicht nötig gehabt es zu tun, und hätte beinahe alles verdorben. Mein lieber Austin geht nach Süd-Amerika. Mein Pony ist in ganz vorzüglichem Zustand. Mein Vater ist der klügste und beste Mensch in der Welt. Klara geht es etwas besser. Ich bin sehr glücklich. Ich hoffe, wir werden uns bald wiedersehen, mein lieber, alter Rip, und dann werden wir nicht wieder solche Geschichten machen, nicht wahr?

Ich verbleibe Dein geschworner Freund

Richard Doria Feverel.

PS. Ich bekomme eine hübsche Segeljacht. Leb wohl, Rip, vergiß nicht, daß Du boxen lernen mußt. Du darfst diesen Brief bei Strafe meiner Ungnade keinem von Deinen Freunden zeigen.

NB. Lady B. war, als ich ihr alles erzählte, sehr ärgerlich, daß ich nicht früher zu ihr gekommen war. Sie möchte alles in der Welt für mich tun. Nach meinem Vater und Austin habe ich sie am liebsten. Leb wohl, alter Rip.«

Nachdem die arme, kleine Letitia diese geistreiche Epistel, in der die Gesetze des Stils so großartig verachtet waren, dreimal durchgelesen hatte, steckte sie sie wieder in eine der Taschen von Riptons bester Jacke und 105 war sehr verliebt in den sorglosen Briefschreiber. Und so endete der letzte Akt der Bakewell-Komödie, nach welcher der Vorhang in dem Augenblicke fällt, als Sir Austin seinen Freunden erklärt, wie vorteilhaft sich das System seiner Erziehung von Anfang bis zu Ende darin bewährt habe.

 


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