George Meredith
Richard Feverel
George Meredith

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Zweiunddreißigstes Kapitel.

Die Prozession des Kuchens.

Man muß zugeben, Adrian trug die Neuigkeiten, die er gehört hatte, mit anerkennenswerter Uneigennützigkeit und bewundernswerter Unterdrückung jeder Regung, die unter der Würde eines Philosophen war. Wenn man jenen glücklichen Punkt der Weisheit erreicht hat, von 387 welchem aus man die ganze Menschheit als Narren sieht, dann mögen diese winzigen Geschöpfe doch so viel neue Bewegungen machen, wie sie wollen, man wundert sich nicht mehr über sie: ihr würdiges Benehmen ist ebenso komisch wie ihre Albernheit und ihre Leidenschaften sind noch komischer. Auf dieser geistigen Höhe hatte der weise Jüngling sein Schloß gebaut und schon von früher Zeit an darin gewohnt. Erstaunen erschütterte niemals die Grundpfeiler, auch verleitete ihn der Neid auf größere Höhen niemals die Sicherheit seiner Festung zu verlassen, denn für ihn gab es keine. Er sah, wie Gaukler an Leitern Höhen erstiegen, die ihn überragten, er sah Luftballons, die sich zu himmlischen Höhen aufschwangen; aber die einen kamen eiligst wieder herab und die andern waren der Barmherzigkeit der Winde preisgegeben; während er ruhig auf seinem sichern Boden blieb, frei von Ehrgeiz, seine Moral nach den Gesetzen einrichtete, sein Gewissen nach seiner Moral und sein Betragen nach seinem Gewissen. Nicht daß er sich freiwillig von seinen Mitmenschen abgeschlossen hätte: im Gegenteil, sein einziges Vergnügen bestand in ihrer Gesellschaft. Allein zu sein war ihm ziemlich langweilig, was bei einem Manne natürlich ist, der nur eine Sache sieht. Das Studium der verschiedenen lebenden Exemplare dieser einen Sache regte ihn genügend an, um ihm das Leben als amüsantes Spiel erscheinen zu lassen, und es gewährte ihm ein großes Vergnügen, bei andern die Fähigkeiten zu beobachten, die er selbst verwirkt hatte, um sich in seiner erhabenen Stellung halten zu können. So zum Beispiel: – Erstaunen über des jungen Richard Tollheit: obgleich er es selbst nicht empfand, so lag ihm doch viel daran, die Wirkung auf seine geliebten Verwandten zu beobachten. Mit seinem Stück Kuchen im Arm, das die Strafe herbeiführen sollte, malte er sich die verschiedenen Äußerungen des Erstaunens, 388 Erschreckens, Abscheus aus; fühlte auch vorübergehend etwas persönlichen Kummer in der Aussicht darauf. Denn sein Gebieter hatte eine Reise geplant, die mit Paris anfangen, in den Alpen gipfeln und sich nach Rom zu abstillen sollte; eine entzückende Reise, auf der man Richard die Heerstraße der Geschichte zeigen und ihn der Gefahr weiterer unwürdiger Neigungen entreißen wollte, um seinen Geist ganz und gar zu erfrischen und zu beleben. Das hatte man in Richards Abwesenheit geplant, um ihn zu überraschen.

Nun war ein Reiseplan für Adrian, was für gewöhnliche junge Männer Frauenliebe ist. Es ersetzte ihm diese Torheit. Es war seine Romantik, sozusagen; jenes gehobene Gefühl der Vorfreude, das uns in der Jugend als flüchtiger Renner bis in die Lüfte erhebt, und welches, wenn wir älter werden und zu schwer für die Atmosphäre, sich zu einem Steckenpferd verhandelt, das, wenn auch ein eigensinniges Tier, doch ein ruhiges Pferd ist und uns in langsamerem Schritt dem Totengräber entgegen trägt. Adrian war niemals gereist. Er war sich bewußt, daß seine Romantik sehr irdischer Art und mit Unbequemlichkeiten verknüpft war, die sich nur vermeiden ließen mit Hilfe des einen mächtigen Talismans, den sein Patron besaß. Ihm würden die Alpen kaum großartig erschienen sein, ohne einen dienstbeflissenen Gastwirt im Vordergrund; er mußte auf des Mammons königlichen Kissen ruhen können, um geziemend über die alte Welt zu moralisieren. Das Aufsuchen des Vergnügens auf Kosten des Behagens, wie toll Verliebte um ihre Herrin werben mit der Aussicht auf eine Hütte und eine Brotkruste, das erschien Adrian gleich den Leiden des Bettlerstandes. Seine süße Herrin sollte, wie es seinen erhabenen Empfindungen angemessen war, in Glanz und Pracht die seine werden, oder gar nicht. Infolge dessen hatte der weise Jüngling 389 lange eine fruchtlose Leidenschaft gehegt und es sprach für seinen großen Geist, daß er in dem Augenblick, in dem seine Wünsche gekrönt werden sollten, mit einem so vorübergehenden Gefühl von Verdruß zusehen konnte, wie die prächtigen kunstvollen Erzeugnisse der Pariser Küche und die römischen Altertümer in wesenlosen Schein zerfielen. Sicherlich hätten sich wenig Philosophen in demselben Augenblick so ohne zu klagen geringeren Vergnügungen zugewandt.

Hippias erhielt das erste Stück Kuchen.

Er saß an dem Fenster seines Hotels und las. Er hatte sein Frühstück mit mehr als gewöhnlichem Erfolg heruntergekämpft und sah dem Diner bei Foreys mit weniger als gewöhnlicher Ängstlichkeit entgegen.

»Ah! freue mich, daß du kommst, Adrian,« sagte er, und dehnte seine Brust. »Ich fürchtete schon, ich würde fahren müssen. Das ist liebenswürdig von dir. Nun können wir zusammen durch den Park gehen. Es ist wirklich gefährlich, allein durch die Straßen zu gehen. Nach meiner Meinung gibt es jetzt das ganze Jahr über Apfelsinenschalen, und das wird nicht aufhören, wenn die Gesetzgebung der Sache nicht ein Ende macht. Ich kann dich versichern, ich glitt gestern nachmittag in Piccadilly auf einem Stück Apfelsinenschale aus, und dachte bestimmt, ich würde fallen! Ich rettete mich nur wie durch ein Wunder.«

»Du hast guten Appetit, hoffe ich?« fragte Adrian.

»Ich denke, ich werde Appetit bekommen nach einem kleinen Spaziergang,« zirpte Hippias. »Ja, ich glaube, ich bin jetzt schon etwas hungrig.«

»Ich bin entzückt, das zu hören,« sagte Adrian und fing an, das Paket auf seinen Knien auszupacken.

»Wie würdest du das Wort ›Torheit‹ definieren?« Er hielt im Auspacken inne, um die Antwort abzuwarten.

390 »Hm!« Hippias dachte nach; er war stolz darauf, wie ein Orakel zu sprechen, wenn ihm solche Fragen gestellt wurden. »Ich denke, ich würde es definieren als ein Ausgleiten.«

»Ausgezeichnete Definition. Mit andern Worten: ein Stück Apfelsinenschale; einmal darauf und Leben und Glieder sind in Gefahr, und man rettet sich nur durch ein Wunder. Du mußt das dem Pilger einliefern. Und wie sollte das Monument der Torheit aussehen?«

Hippias dachte wieder nach. »Das ganze menschliche Geschlecht, einer auf der Schulter des andern.« Er kicherte über die alles umfassende Bitterkeit des Beispiels.

»Sehr gut,« applaudierte Adrian, »oder in Ermangelung dessen könnte man ein Symbol für die Sache nehmen, zum Beispiel so etwas, wovon ich dir hier ein Stück mitgebracht habe.«

Adrian enthüllte den Kuchen.

»Das ist das Monument der Torheit in tragbarem Zustande – was?«

»Kuchen,« rief Hippias und legte sich in seinen Stuhl zurück, um seinem starken Abscheu den nötigen Nachdruck zu verleihen. »Du gehörst zu denen, die davon essen. Wenn ich – wenn ich mich nicht irre,« er sah näher hin, »so ist die schädliche Zusammensetzung, die in dieser Weise ausgeschmückt ist, das, was man Hochzeitskuchen nennt. Es ist heilloses Gift! Wen beabsichtigst du damit zu morden? Wozu trägst du solches Zeug mit dir herum?«

Adrian klingelte und ließ ein Messer bringen. »Um dir den dir zukommenden richtigen Anteil daran zu überreichen. Man hat doch nun einmal Freunde und Verwandte und kann sich vor ihnen selbst durch ein Wunder nicht retten. Es ist ein Gebrauch, welcher vielleicht unbewußt den inneren Zynismus der menschlichen Natur verrät, wenn Leute, die sich einbilden, den Gipfel irdischer 391 Glückseligkeit erreicht zu haben, dieses Zeichen der Achtung an ihre Freunde austeilen, wahrscheinlich mit der Absicht (er nahm dem Kellner das Messer aus der Hand und ging an den Tisch, um den Kuchen zu schneiden), ihre Freunde in den Stand zu setzen (diese Gebilde müssen sehr zart geschnitten werden – jede einzelne Korinthe und jedes feine Gewürz hängt mit seinem Nachbar zusammen – ein Hochzeitskuchen ist augenscheinlich der zivilisierteste aller Kuchen und nimmt ebensowohl Teil an den Übeln wie an den Vorteilen der Zivilisation!). Ich wollte sagen, sie schicken uns zweifellos dieses Liebeszeichen (wir werden die Krümel abwiegen müssen, damit jeder sein richtiges Teil erhält), damit wir ihren Zustand der Seligkeit besser beurteilen können, indem wir einige Stunden im Fegefeuer zubringen. Dies ist nun, soweit ich es ohne Wagschale abmessen kann, dein Teil, mein lieber Onkel!« Er schob die Ecke des Tisches, auf dem der Kuchen lag, Hippias zu.

»Fort damit!« bedeutete ihn Hippias mit großer Heftigkeit und sprang von seinem Stuhle auf. »Ich will nichts davon haben, sage ich dir! Es ist mein Tod! Es ist noch fünfzigmal schlimmer als die abscheuliche Zusammenstellung im Weihnachtspudding! Welcher Narr ist es denn gewesen? Wer wagt es mir den Kuchen zu schicken? Mir! Es ist eine Beleidigung!«

»Du bist ja nicht gezwungen, vor dem Diner davon zu essen,« sagte Adrian und zeigte rückwärts nach der Ecke des Tisches, »aber deinen Anteil mußt du haben und auch zu verzehren scheinen. Einer, der so viel dazu beigetragen hat, die Heirat zustande zu bringen, kann sich mit gutem Gewissen nicht weigern, auch die Früchte davon zu genießen. Junge Mädchen wärmen es, wie ich höre, zuerst unter ihrem Kopfkissen und träumen dann von der Hochzeit – er soll leichter verdaulich sein, wenn man ihn auf 392 die Art genießt. Es ist ein ausgezeichneter Kuchen, und bei meiner Ehre, du hast dazu beigetragen, ihn zu machen – das hast du wirklich! Und da hast du ihn nun.«

Wieder wurde der Tisch Hippias zugeschoben. Er rannte geschickt um ihn herum, warf sich auf ein Sofa und rief ganz erschöpft: »Da hast du's! . . . Jetzt ist mein Appetit für heute ganz fort!«

»Dann soll ich also Richard sagen, daß du keinen Bissen von seinem Kuchen anrühren willst?« sagte Adrian, stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch und sah den Onkel an.

»Richard?«

»Ja, dein Neffe: mein Vetter Richard! Dein Gefährte, seit du in der Stadt bist. Er hat sich verheiratet, weißt du. Verheiratet, heute morgen in der Gemeinde-Kirche in Kensington, mit Heiratskonsens, um halb zwölf Uhr, oder zwanzig Minuten vor zwölf. Verheiratet und ist nach der Insel Wight gegangen, um dort seine Flitterwochen zu verbringen: ein entzückender Platz für einen Aufenthalt von einem Monat. Ich habe dir mitzuteilen, daß dank deiner Beihilfe die Sache vom Stapel gegangen ist!«

»Richard verheiratet!«

Es gab doch sicherlich manches, was man darüber denken oder dagegen sagen konnte, aber der Verstand des armen Hippias war durch den Schreck ganz entkräftet. Seine Hand fuhr an seine Stirne, strich darüber hin, um diesen Sitz des Verstandes zu besänftigen, und fiel wieder herab.

»Du warst doch sicherlich ganz eingeweiht? Du wolltest ihn doch so gerne in der Stadt unter deiner Aufsicht haben.«

»Verheiratet?« Hippias sprang auf, jetzt hatte er es: »Aber er ist ja noch nicht mündig! er ist ja noch ein Kind!«

393 »Das ist er. Aber das Kind ist trotz alledem verheiratet. Lüge nur wie ein Mann und bezahle deine Gebühren – was kommt es dann darauf an? Jeder, der Beinkleider trägt, kann in unserm edlen Vaterlande den Konsens erhalten. Und die Interessen der Moralität verlangen es, daß es nicht schwer gemacht wird. Ist es wahr – kannst du irgend jemand davon überzeugen, daß du nichts davon gewußt hast?«

»Ha! was für ein schändlicher Spaß! Ich wünschte, du ließest deine Possen an andern aus,« sagte Hippias zornig und sank auf das Sofa zurück. »Du hast mich für den ganzen Tag zu schanden gemacht, die Versicherung kann ich dir geben.«

Adrian setzte sich, um ihm ganz sanft und allmählich Glauben einzuflößen und sein Werk künstlerisch zu vollenden. Er hatte die Genugtuung zu sehen, wie sein Onkel Qualen über Qualen durchzumachen hatte, bis ihm schließlich vor Schuldbewußtsein der Angstschweiß ausbrach und er ausrief: »Das erklärt sein Benehmen mir gegenüber. Der Junge muß eine Schlauheit besitzen, die beinahe teuflisch ist! Ich fühle – – ich fühle es grade hier,« er fuhr mit der Hand über sein Zwerchfell.

»Ich bin dieser Welt von Narren nicht gewachsen,« fügte er mit matter Stimme hinzu und schloß die Augen. »Nein, ich kann nicht dinieren. Essen? ha! – nein, gehe ohne mich!«

Bald darauf ging Hippias zu Bett und sagte zu sich selbst, als er sich auszog: »Da sieht man, was bei unsern feinen Plänen herauskommt! Armer Austin!« Und als das Kissen sich um seine Ohren legte, »ich bin nicht sicher, ob ein Tag Fasten mir gut tun wird!« Der Dyspeptiker hatte seine Philosophie teuer erkauft, er hatte das Recht von ihr Gebrauch zu machen.

394 Adrian setzte seine Kuchenprozession fort.

Er erspähte seinen melancholischen Onkel Algernon in Hyde Park, wo er sich Appetit anzureiten versuchte und aussah, als wenn die Hoffnung, der er nachjagte, ebenso lahm wäre, wie er selbst. Der Kapitän konnte nicht vorüber reiten, ohne nach dem unförmlichen Paket zu fragen.

»Ich hoffe, ich trage es auffallend genug?« sagte Adrian. »Es ist darin eingeschlossen, was die Unruhe des Landes besänftigen wird. Nun können die Frauen und Mädchen des fröhlichen Englands ruhig schlafen. Ich habe schon halb und halb daran gedacht, es auf einer Stange zu befestigen und eine Musikbande zu engagieren, die damit herumzieht. Dies ist der Hochzeitskuchen unsers teuern Richard. Verheiratet heute morgen um halb zwölf Uhr mit Heiratskonsens in der Gemeindekirche zu Kensington; da sein eigner Ring verloren gegangen war, verwendete er den Ring der tränenreichen Hauswirtin seiner schönen Braut, die nahe am Altar stand. Seinen Abschiedsgruß an dich aus seinem Junggesellenleben und den ihren, als Mädchen, kannst du hier auf der Stelle in Empfang nehmen, wenn du es für passend findest, und je nach deinen Kräften verdauen.«

Algernon pfiff durch die Zähne. »Des Rechtsanwalts Thompson Tochter!« sagte er. »Ich traf sie neulich, irgend wo hier in der Nähe. Er stellte mich ihr vor. Ein hübsches, kleines Frauenzimmer.«

»Nein,« verbesserte ihn Adrian. »Es ist Miß Desborough, ein römisch-katholisches Milchmädchen. Es erinnert einen an das Hirtenleben in England zur Zeit der Plantagenets! Das sieht ihm ganz ähnlich, daß er sie als Thompsons Tochter vorstellt und sich selbst als den Sohn des Teufels. Indessen, nun ist das wilde Füllen in 395 Hymens Ketten und der Kuchen geschnitten. Willst du deinen Bissen haben?«

»Ach, um Himmels willen! – doch nicht jetzt!«

Algernon hatte eine ungewöhnlich nachdenkliche Miene.

»Weiß es der Vater?«

»Noch nicht. Er wird es heute abend um neun Uhr erfahren.«

»Dann muß ich ihn um sieben sprechen. Sage ihm nicht, daß du mich gesprochen hast.« Er nickte ihm zu und spornte sein Pferd an.

»Der braucht Geld!« sagte Adrian und setzte sich mit dem Brennstoff, den er bei sich trug, wieder in Bewegung.

Die Frauen sollten seine Freude krönen, erwog er nachdenklichen Gemütes. Er hatte sie zum letzten Angriff aufgespart. Die lieben offenherzigen Geschöpfe! Magenkrankheit würde nicht ihren scharfen Schrei der Entrüstung abschwächen, Selbstsucht nicht ihre Ohnmachtsanfälle aufhalten. Auf eine Durchschnittsfrau konnte man sich verlassen. Wohl konnte das Manuskript des Pilgers von ihr sagen: »Sie liegt immer an den Brüsten der Natur;« was nicht als Kompliment gemeint war. Jede Frau bleibt eine Eva durch alle Jahrhunderte, wohingegen das Manuskript des Pilgers uns glauben machen will, daß der Adam im Manne vorsichtiger geworden ist, wenn auch vielleicht nicht weiser, und so schwach er auch ist, doch durch die Zeit etwas gelernt hat. Man kann die Meinung des Pilgers wahrscheinlich so auffassen, daß der Mann wächst und die Frau nicht.

Jedenfalls hoffte Adrian auf einen natürlichen Chorus, wie man ihn in der Kinderstube hört, wenn ein Spielzeug verloren gegangen ist. Er wußte ganz genau, was Mrs. Dorias mütterliche Vorausbestimmungen waren und daß Klara in bester Form zu kindlichem Gehorsam bereit war. Sie waren nur ein armseliges Paar, um 396 seine mephistophelische Laune zu befriedigen, aber Mrs. Doria war so gut wie zwanzig andere und die beiden würden die verschiedene Art, wie Frauen und Mädchen eine Enttäuschung aufnehmen, zum Ausdruck bringen, während er von den sie umgebenden Forey-Mädchen und andern weiblichen Familienmitgliedern erwartete, daß sie die feineren Schattierung und Ausläufer einer Bewegung weiter entwickeln würden, der gegenüber kein weibliches Wesen kalt bleiben konnte.

Es ging alles gut. Er bewerkstelligte es sehr geschickt, den Kuchen unbeachtet an eine auffallende Stelle im Salon zu bringen und ging dann fröhlich zum Diner hinunter. Ein großer Teil der Unterhaltung drehte sich um Richard. Mrs. Doria fragte ihn, ob er etwas von ihm gesehen oder gehört hätte.

»Ob ich ihn gesehen habe? nein! Gehört von ihm? ja!« sagte Adrian. »Ich habe von ihm gehört. Ich hörte von ihm, daß er unbeschreiblich glücklich wäre, und ein solch gutes Frühstück gegessen hätte, daß das Mittagessen für ihn unmöglich wurde; Rotwein und kaltes Huhn, Kuchen und –«

»Kuchen zum Frühstück!« fielen sie alle ein.

»Das scheint grade jetzt seine Liebhaberei zu sein.«

»Was für ein wunderbarer Geschmack!«

»Du weißt doch, daß er nach einem System erzogen ist.«

Ein flotter, junger Forey versuchte das System und den Kuchen in ein jämmerliches Wortspiel zusammen zu bringen. Adrian, der Wortspiele haßte, sah ihn scharf an, und die Gesellschaft schwieg, da man erwartete, daß er sprechen würde; er sagte aber nichts, und der junge Mann zog sich errötend aus der Unterhaltung zurück, durch seinen eignen Witz vernichtet.

Mrs. Doria bemerkte schlecht gelaunt: »Es wird wohl 397 Fisch-Kuchen gewesen sein. Ich wünschte, er verstände seine Verpflichtungen der Verwandtschaft gegenüber etwas besser.«

»Ob er sie versteht, das kann ich nicht sagen,« bemerkte Adrian, »aber ich kann euch versichern, daß er sehr energisch damit beschäftigt ist, sie auszudehnen.«

Der weise Jüngling machte Anspielungen, sobald sich nur eine Gelegenheit bot, um seine liebe Verwandte allmählich aufzuregen und auf den Anblick des Kuchens vorzubereiten. Man fand aber seine Bemerkungen nicht vielsagender und geheimnisvoller als gewöhnlich.

»Hatte er seine Verabredung in dem Hause dieser Grandisons?« fragte Mrs. Doria mit einem feindlichen Ausdruck des Mundes.

Adrian erhitzte die Unwissenden noch mehr, indem er antwortete: »Lassen die Grandisons einen Küster an der Türe stehen?«

Mrs. Dorias feindselige Gefühle gegen Mrs. Grandison ließ sie diese Antwort als satirische Offenherzigkeit auffassen und sie sagte: »Das werden sie wohl tun.«

»Und haben sie einen Kuraten immer bei der Hand?«

»Ach, ich glaube ein Dutzend.«

Der alte Mr. Forey riet seinem witzigen Enkelsohn Clarence, dem Hause weit aus dem Wege zu gehen, wo man im Augenblick über ihn verfügen und ihn versorgen könnte, und man scherzte weiter über denselben Gegenstand.

Die Foreys gaben gute Diners; und der alte Herr hielt an der vortrefflichen, alten Sitte fest, die Damen aus dem Zimmer zu führen, sobald sie ihre Nahrung erhalten hatten, sie durften mit den Blumen und dem Dessert nur grade noch ein Lächeln tauschen und verschwanden dann in schöner Einigkeit, worauf die tapfern Männer es sich in ihren Westen bequemer machten, und 398 sich zu dem eigentlichen Geschäft der Tafel zurechtsetzten, sicher, daß sie eine Stunde für sich hatten, zum Trinken und zum traulichen Gespräche. Adrian nahm sich einen Stuhl neben Brandon Forey, einem Rechtsanwalt von Ruf.

»Ich wollte dich fragen,« sagte er, »ob jemand, der vor dem Gesetz noch ein Kind ist, sich rechtlich binden kann.«

»Wenn er alt genug ist, um seine Unterschrift unter ein Dokument zu setzen, glaube ich, kann er es,« gähnte Brandon.

»Ist er verantwortlich für seine Handlungen?«

»Ich zweifle nicht, daß wir ihn hängen lassen könnten.«

»Was er also für sich selbst tun kann, könnte auch das Gesetz für ihn tun?«

»Nicht ganz so viel, aber beinahe.«

»Zum Beispiel kann er heiraten?«

»Das ist kein Verbrechen, wie du weißt.«

»Und die Heirat ist gültig?«

»Das kann man bestreiten.«

»Ja, und die Griechen und Trojaner können fechten. Sie kann also gültig bleiben?«

»Durch Wasser und Feuer!«

Der Patriarch des Tisches rief Adrian zu, daß er das Kreisen der Rotweinflasche aufhielte.

»Ich bitte tausendmal um Verzeihung!« sagte Adrian. »Die Umstände müssen mich entschuldigen. Die Tatsache ist, daß mein Vetter Richard sich heute morgen mit einem Milchmädchen verheiratet hat, und daß ich zu erfahren wünschte, ob das vor dem Gesetz Gültigkeit hat.«

Es war amüsant zu beobachten, mit welch männlicher Gleichgültigkeit die Nachricht aufgenommen wurde. Nichts Kräftigeres ließ sich hören, als ein »Zum Teufel auch« und »Ein Milchmädchen«!

399 »Ich hielt es für besser, die Damen in Ruhe speisen zu lassen,« fuhr Adrian fort. »Ich wollte erst die Möglichkeit haben, meine Tante trösten zu können –«

»Ja, aber – ja, aber« – pustete der alte Herr, der der Aufgeregteste war – »he, Brandon? Er ist noch ein Knabe, dieser junge Esel! Willst du etwa sagen, ein Junge kann hingehn und heiraten, wenn es ihm beliebt, und jedes Frauenzimmer, das ihm paßt, und die Heirat soll gültig sein? Wenn ich das denken sollte, dann würde ich jedes Frauenzimmer aus meinem Haushalte entfernen. Das würde ich! von der Haushälterin an bis zum Küchenmädchen. Ich würde keine Frau in seine Nähe kommen lassen, bis – bis –«

»Bis der junge Grünschnabel grau geworden wäre?« warf Brandon ein.

»Bis er wüßte, woraus die Frauen bestehen,« schloß der alte Herr sehr heftig seine Rede. »Was glauben Sie, daß Feverel dazu sagen wird, Mr. Adrian?«

»Er hat grade das System versucht, das Sie vorschlugen, Mr. Forey – ein System, das nicht mit der kräftigen Wirkung der Neugierde in jugendlichen Gemütern rechnet. Ich fürchte, es ist der schlimmste Weg zur Lösung des Problems.«

»Natürlich ist es das,« sagte Clarence, »nur ein Narr« – –

»In deinem Alter, mein lieber Clarence,« befreite ihn Adrian aus seiner Verwirrung, »ist es natürlich, daß dir der Gedanke an eine einsame, abgeschlossene Männlichkeit etwas ungeheuerlich erscheint, und wir erwarten von dir nicht, daß du die ganze Fülle der Weisheit erkennst, die darin liegt. Du folgst einem Extrem, wir dem andern. Ich will damit nicht sagen, daß nicht auch ein Mittelweg existiere. Die Geschichte der Menschheit zeigt unsere mühsamen Anstrengungen einen zu finden, aber 400 sie haben sich immer wieder in Askese oder Lockerheit aufgelöst, in Wirkung und Gegenwirkung. Die moralische Frage ist: wenn ein nichtsnutziger, kleiner Mann sich infolge seiner Nichtsnutzigkeit von seiner Torheit befreit, kann sich dann auch ein törichter kleiner Mann infolge seiner Torheit von seiner Nichtsnutzigkeit retten?«

Ein Gespräch, wie es Männern von Welt eigentümlich ist, folgte auf diese Verspottung des jungen Clarence. Dann wurde der Kaffee gereicht und ein Diener flüsterte Adrian zu, daß Mrs. Doria Forey ausdrücklich wünschte, mit ihm zu sprechen. Adrian zog es vor, nicht allein zu ihr zu gehen. »Gut,« sagte er und schlürfte seinen Kaffee. Sie sprachen weiter, suchten die Tiefen des Gesetzes in Brandon Forey zu ergründen, und erhielten nichts als ein hohles Echo aus dieser tiefen Höhle. Er wollte nicht zugeben, daß die Heirat ungültig wäre: er wollte nicht zugeben, daß sie nicht aufgehoben werden könnte. Er glaubte es nicht, doch glaubte er, daß es lohnen würde, den Versuch zu machen. Eine vollzogene oder noch nicht vollzogene eheliche Gemeinschaft wären zwei verschiedene Dinge.

»Meiner Treu,« sagte Adrian, »nimmt das Gesetz auch darauf Rücksicht? Das ist ja beinahe menschlich!«

Es kam wieder eine Botschaft an Adrian, daß Mrs. Doria Forey ganz ausdrücklich wünschte mit ihm zu sprechen.

»Was kann denn los sein?« rief er und freute sich, daß sich sein Glaube an die Frauen stärkte. Der Kuchen war ohne Zweifel explodiert und hatte seine Wirkung getan.

Das zeigte sich, als die Herren wieder die Gesellschaft der Damen aufsuchten. Alle jüngeren Damen standen um den Tisch herum, auf dem der Kuchen lag; man hatte Zwischenräume gelassen, daß sich auch die Sitzenden an dem Anblick laben und Erklärungen und Vermutungen 401 dazwischen werfen konnten, die immer neue Stürme des Erstaunens über die unerklärliche Erscheinung herauf beschworen. Sie traten ein mit der halb schuldbewußten Miene von Männern, die sich klar darüber sind, daß sie aus einer gröberen Atmosphäre kommen, und stellten sich auch um den Gegenstand allgemeiner Neugierde.

»Hierher, Adrian!« rief Mrs. Doria. »Wo ist Adrian? Bitte, komm' hierher. Sag' mir! Wo kommt der Kuchen her? Wem gehört er? Was soll er hier? Du weißt alles, denn du hast ihn gebracht. Klara sah, daß du ihn in das Zimmer brachtest. Was bedeutet das? Ich verlange eine aufrichtige Antwort. Mach mich nicht ungeduldig, Adrian!«

Mrs. Doria war wirklich so gut, wie zwanzig andere. Ihre schnellgehäuften Fragen und ihre erhöhte Gesichtsfarbe zeigten deutlich, daß der Verdacht gezündet hatte.

»Es war wirklich meine Pflicht, ihn zu bringen,« behauptete Adrian.

»Antworte mir!«

Der weise Jüngling verneigte sich. »Unbedingt. Dieser Kuchen kommt aus dem Hause einer Person, einer weiblichen Person mit dem Namen Berry. Er gehört zum Teil dir, zum Teil mir, zum Teil Klara und den übrigen Mitgliedern unserer Familie, nach dem Prinzip gleicher Teilung: zu welchem Zwecke er hier ist . . .«

»Ja! Sprich!«

»Er bedeutet, meine liebe Tante, was diese Art von Kuchen gewöhnlich bedeutet.«

»Das war also das Frühstück! Und der Ring! Adrian! Wo ist Richard?«

Noch klammerte sich Mrs. Doria daran, das ungeheuer Schreckliche nicht zu glauben.

Aber als Adrian ihr sagte, daß Richard die Stadt verlassen hätte, versank ihre schwankende Hoffnung. »Der 402 elende Junge hat sich zugrunde gerichtet!« sagte sie und setzte sich zitternd nieder.

»Oh, dieses System!« Mrs. Doria ließ die zarten Ausdrücke des Tadels, die die sanften Damen statt des Fluchens gebrauchen, auf das System herniederregnen. Sie zögerte nicht, es auszusprechen, daß ihr Bruder erhalten hätte, was er verdiente. Eigensinnig, krankhaft schwach, wie er war, hatte die Gerechtigkeit ihn ereilt. Nun würde er es erkennen! Aber um welchen Preis! Mit welchem Opfer!

Mrs. Doria befahl Adrian, ihre Furcht zu bestätigen.

Mit traurigem Ton wiederholte der weise Jüngling Mrs. Berrys Worte: »Er hat geheiratet heute morgen um halbzwölf Uhr, oder zwanzig Minuten vor zwölf, mit Heiratskonsens in der Gemeindekirche zu Kensington.«

»Das war also seine Verabredung!« murmelte Mrs. Doria.

»Das war der Kuchen zum Frühstück!« hauchte ein anderes weibliches Wesen.

»Und das war der Ring!« rief eine dritte.

Die Männer schwiegen und machten lange Gesichter.

Klara stand kalt und ruhig da. Sie und ihre Mutter vermieden einander anzusehen.

»Ist es die abscheuliche Person vom Lande? Adrian?«

»Das glückliche Fräulein ist, wie ich leider sagen muß, das papistische Milchmädchen,« sagte Adrian mit ernsten wohlerwogenen Worten.

Nun entstand ein allgemeines Gesumme unter den weiblichen Wesen, aus dem heraus Mrs. Doria rief: »Brandon!« Sie war eine Frau von Energie. Ihre Gedanken setzten sich sofort in Taten um.

»Brandon,« sie zog den Rechtsanwalt etwas beiseite, »können sie nicht verfolgt und getrennt werden? Ein 403 Knabe! es ist wirklich eine Schande, wenn man es zuläßt, daß er so in die Netze einer ränkesüchtigen Kreatur fällt und sich unwiderruflich ruiniert. Können wir es nicht tun, Brandon?«

Der würdige Rechtsanwalt hatte große Lust zu lachen, antwortete aber auf ihre Fragen: »Nach dem, was ich von dem jungen Burschen höre, würde ich es für ein gefährliches Unternehmen halten.«

»Ich spreche von dem Gesetze, Brandon. Können wir nicht von einem deiner Gerichtshöfe einen Befehl erhalten, sie zu verfolgen und sogleich zu trennen?«

»Noch heute abend?«

»Ja!«

Brandon bedauerte sagen zu müssen, daß das entschieden nicht möglich wäre.

»Du könntest doch einen deiner Richter aufsuchen, Brandon.«

Brandon versicherte sie, daß die Richter sehr schwer arbeiteten und einer wie der andere nach Tische fest schliefen.

»Willst du es denn morgen tun, als erstes, ganz früh? – Willst du es mir versprechen, Brandon? – Oder mit einem Magistratsbeamten. Ein Magistratsbeamter könnte ihnen einen Polizisten nachschicken. Mein lieber Brandon! Bitte! – bitte, hilf uns in dieser schrecklichen Lage. Mein armer Bruder wird den Tod davon haben. Ich glaube, er könnte alles andere eher vergeben als das. Du hast keine Vorstellung davon, was seine Ansichten über Familie sind.«

Brandon winkte Adrian bedeutungsvoll zu, daß er ihm zu Hilfe kommen solle.

»Was ist, Tante?« fragte der weise Jüngling. »Du willst sie verfolgen und von wilden Polizisten auseinander reißen lassen?«

404 »Morgen,« warf Brandon mit eigentümlicher Betonung ein.

»Wird das nicht – grade etwas zu spät sein?« meinte Adrian.

Mrs. Doria seufzte bei dem Erlöschen ihres letzten Hoffnungsfunkens.

»Du siehst ein,« sagte Adrian.

»Ja! ja!« Mrs. Doria wünschte keine weiteren Erläuterungen von ihm. »Bitte sei ruhig, Adrian, und laß mich sprechen. Brandon! Es kann nicht sein! es ist ganz unmöglich! Kannst du hier stehen und mir sagen, der Knabe ist gesetzlich verheiratet? ich werde es niemals glauben! Das Gesetz kann nicht so schmachvoll schlecht sein, daß es einem Knaben – noch einem reinen Kinde – gestattet, etwas so Abgeschmacktes zu tun. Großvater!« sie winkte den alten Herrn heran. »Großvater, bitte veranlasse du Brandon dazu, daß er spricht. Diese Juristen wollen niemals reden. Er könnte es aufhalten, wenn er wollte. Wenn ich ein Mann wäre, glaubst du, daß ich dann hier stünde?«

»Ja, meine Liebe,« der alte Mann watschelte heran, um sie zu beruhigen. »Ich bin ganz deiner Meinung. Ich glaube, er weiß ebensowenig wie du oder ich. Meine Meinung ist, daß sie alle nichts wissen, bis eine Streitfrage aufgeworfen wird und sie vor Gericht erscheinen. Ich wünschte, wir hätten einige weibliche Juristen.«

»Um den bankerotten Perückenarbeitern aufzuhelfen?« fragte Adrian. »Sie würden dann einen reichen Vorrat von Perücken halten müssen.«

»Und du kannst noch scherzen, Adrian!« sagte seine Tante in vorwurfsvollem Ton. »Aber ich will mich nicht schlagen lassen. Ich weiß – ich bin fest davon überzeugt, daß kein Gesetz es jemals einem Knaben gestatten kann, Schande auf seine Familie zu bringen und sich selbst so 405 zugrunde zu richten, und nichts kann mich davon überzeugen, daß es so ist. Und nun sage nur, Brandon, und bitte, antworte direkt auf meine Fragen und bitte, vergiß, daß du mit einer Frau sprichst. Kann mein Neffe von den Folgen seiner Torheit gerettet werden? Ist, was er getan hat, gesetzlich? Ist er für sein Leben gebunden durch das, was er als Knabe getan hat?«

»Ja – hm –« Brandon atmete durch die Zähne »Hm – du siehst, Helen, die Sache ist so sehr delikat.«

»Du sollst das vergessen,« bemerkte Adrian.

»A – hm! ja!« fuhr Brandon fort. »Vielleicht wenn du sie aufhalten und trennen könntest, ehe die Nacht einbricht, und gewisse Tatsachen eidlich beschwören . . .«

»Ja?« die eifrige Frau versuchte seine zögernden Worte zu beschleunigen.

»Ja – hm! ja – in dem Falle . . .«

»Oder wenn er ein Irrsinniger wäre, wenn man beweisen könnte, daß er nicht bei Verstand gewesen ist.«

»Ach! ich persönlich zweifle gar nicht daran, daß er toll ist, Brandon.«

»Ja! also in dem Falle . . . oder wenn sie von verschiedenen religiösen Bekenntnissen wären.« –

»Sie ist Katholikin!« warf Mrs. Doria freudig ein.

»Ja! also in dem Falle – – Einwendungen könnten gegen die Form der Heirat gemacht werden . . . man könnte beweisen, daß sie nur fingiert wäre . . . Oder wenn er noch nicht – – – sagen wir noch nicht achtzehn Jahre alt wäre . . .«

»Viel mehr kann er nicht sein,« rief Mrs. Doria. »Ich denke,« sie schien nachzusinnen, und wandte sich dann unsicher werdend an Adrian. »Wie alt ist Richard?«

Der freundliche weise Jüngling konnte es nicht übers Herz bringen, ihr den eingebildeten Strohhalm fortzureißen, an den sie sich klammerte.

406 »Ach, was das anbetrifft, sollte ich denken,« murmelte er, fand es aber doch ratsamer sich zu ducken und den Kopf abzuwenden, um sich zu verbergen. Mrs. Doria ging über das, was er vermutete, hinweg.

»Ja! also dann – –« nahm Brandon seine Rede mit einem Achselzucken wieder auf, welches ausdrücken sollte, daß er sich immer noch zu nichts verpflichtete, als sich Klaras Stimme aus dem Stimmengewirr der Cousinen hören ließ: »Richard ist heute neunzehn Jahre und sechs Monate alt, Mama!«

»Unsinn, Kind!«

»Es ist so, Mama,« Klaras Stimme war sehr ruhig.

»Unsinn, sage ich dir. Wie kannst du das wissen.«

»Richard ist ein Jahr und neun Monate älter als ich, Mama.«

Mrs. Doria bekämpfte die Tatsache nach Jahren und schließlich nach Monaten. Klara war zu stark für sie.

»Wunderliches Kind!« redete sie das Mädchen innerlich an, das Strohhalme verächtlich zurückwies, während sie im Ertrinken war.

»Aber es bleibt noch die Religion!« tröstete sie sich, und setzte sich, um nachzudenken.

Die Männer lächelten ausdruckslos.

Man schlug vor, Musik zu machen. Es gibt Zeiten, zu denen sanfte Musik keinen Reiz hat, wenn man sie nur dazu gebraucht, um schreckliche Pausen auszufüllen. Angelika Forey trommelte auf dem Klavier und sang: »Ich bin eine lachende Gitana« . . . ha – ha, Mathilda Forey und ihre Cousine Mary Branksburne vereinigten ihre Stimmen, um durch Gesang alle jungen Leute einzuladen zu: »Eilen in die Laube, die Liebe gebaut« und den weisen Leuten Trotz zu bieten, aber die weisen Leute waren in der Majorität und man findet sehr wenig Versammlungsplätze, wo sie es nicht sind; so fiel der glühende 407 Appell des britischen Balladendichters in den Schoß der Leere, an die er sich wandte. Man bat Klara, etwas zum besten zu geben. Das wunderliche Mädchen ging ruhig zum Klavier und blätterte in einem Notenbuch. Klara sang ein kleines irisches Lied. Nachdem sie ihre Pflicht erfüllt hatte, ging sie wieder vom Klavier fort. Mütter werden in diesen Sachen selten durch ihre Töchter getäuscht; aber Klara täuschte ihre Mutter, und Mrs. Doria beharrte nur in ihrem unendlichen Mitleid mit ihrer Tochter, um mehr Berechtigung für ihr Mitleid mit sich selbst zu haben – eine nicht ungewöhnliche Form des Gefühls, denn es gibt keinen Gaukler, der dem Herzen gleichkommt, von dem die Balladendichter mit so viel Kühnheit singen. Vergessen wir nicht, daß Jahre der Selbstverleugnung, Jahre eines reifenden Planes in einer Minute vernichtet worden waren, und durch dieses System, welches sie beinahe zu dem Zustand dauernder Heuchelei erniedrigt hatte. Sie hatte genug Bitterkeit erfahren, um darüber nachzusinnen, und man konnte ihr Mitleid mit sich selbst entschuldigen.

Aber selbst nachdem sie ruhiger geworden war, bewahrte ihre energische Natur Mrs. Doria davor alles aufzugeben. Strohhalme waren doch immer noch Strohhalme, und je gebrechlicher sie erschienen, desto fester klammerte sie sich an sie.

Sie stand von ihrem Stuhle auf, verließ das Zimmer und rief Adrian zu, ihr zu folgen.

»Adrian,« sagte sie, indem sie sich in der Vorhalle zu ihm wandte, »du nanntest das Haus, wo dieser schreckliche Kuchen – – wo er heute morgen war. Ich wünsche, daß du mich sofort zu jener Frau führst.«

Der weise Jüngling hatte persönliche Dienste nicht in seine Berechnung gezogen. Er hatte gehofft an dem Abend noch Zeit zu finden für den letzten Akt der Oper, 408 nachdem er die Komödie des wirklichen Lebens genügend genossen hätte.

»Meine liebe Tante . . .« fing er liebenswürdig an einzuwenden.

»Schicke nach einem Wagen und nimm deinen Hut,« sagte Mrs. Doria.

Es blieb ihm nichts anders übrig, als zu gehorchen. Er stimmte innerlich dem Urteilsspruch des Pilgers zu, daß Frauen praktische Geschöpfe wären, und überlegte bei sich, daß die Verwandtschaft mit einem jungen Narren sehr ärgerlich und lästig sein könnte. Mrs. Doria entschädigte ihn indessen.

Was Mrs. Doria eigentlich tun wollte, machte sich das praktische Geschöpf selbst nicht recht klar, aber ihre Energie verlangte entschieden danach, sich in irgend einer Weise zu betätigen, und ihr Instinkt trieb sie zu der Missetäterin, an der sie ihren Zorn auslassen konnte. Sie brauchte irgend jemand, auf den sie ärgerlich sein, irgend jemand, den sie schelten konnte. Sie wagte es nicht, ihren Bruder direkt zu schelten; ihn würde sie trösten müssen. Adrian war ihr Gefährte im Heucheln dem System gegenüber und würde sie, das wußte sie bestimmt, auf ein peinlich zartes, wenn auch höchst philosophisches Gebiet bringen, wenn sie den Fall mit ihm erörtern würde. So fuhr sie zu Bessy Berry nur, um zu fragen, wohin ihr Neffe geflohen wäre.

Wenn eine sanftmütige Frau, und diese sanftmütige Frau noch dazu eine Sünderin, einer Frau von Energie gegenübergestellt wird, dann kommt sie nicht viel zum Kämpfen und begegnet keiner Barmherzigkeit. Bessy Berrys Gläubiger kam an diesem Abend in weiblicher Gestalt zu ihr. Da erkannte sie ihn in seinem ganzen Schrecken. Bis dahin war er nur vor ihr erschienen als ein körperloses Wesen ihrer Einbildungskraft, das 409 männliche Eigenschaften besaß und die spezifisch männliche Eigenschaft hatte, durch Tränen gerührt und schließlich besänftigt zu werden. In weiblicher Gestalt war ihr Gläubiger wirklich schrecklich. Und doch, wäre es nicht so spät am Abend gewesen, Bessy Berry würde eher gestorben sein, als daß sie offen erzählt hätte, ihre Kinder wären nach der Insel Wight geeilt, um sich dort ihr Nest zu machen. Sie hatten einen weiten Vorsprung, sie konnten von ihren Verfolgern nicht mehr erreicht werden, sie waren sicher, und sie erzählte, was sie zu erzählen hatte. Sie erzählte mehr, als weise war. Sie erwähnte ihre früheren Dienste in der Familie und ihre kleine Pension. Ach! ihre kleine Pension! Ihr Gläubiger war gekommen, ohne Zahlung zu erwarten – war gekommen, wie Gläubiger in solchen Stimmungen zu kommen pflegen, um ihr Mütchen an ihr zu kühlen – wie die familiäre Redensart ist. Mrs. Doria stürzte sich sofort auf die Pension.

»Das hat natürlich nun ein Ende,« sagte sie im ruhigsten Ton, und Berry bat nicht weiter um das kleine Stückchen Brot. Sie bat nur um ein wenig Schonung für ihre Gefühle.

Wahre Bewunderer der Frauen sollten dieser Szene lieber fern bleiben. Es war zweifellos sehr traurig für Adrian, daß er gezwungen war, ein Zeuge zu sein. Mrs. Doria war nicht großmütig. Der Pilger mag unrecht haben, wenn er behauptet, daß ihr Geschlecht nicht wächst: aber daß seine Art Krieg zu führen barbarisch ist und sich noch nach der ganz ursprünglichen oder wilden Katzen-Methode richtet, müssen wir zugeben. Vollständige Vernichtung, und nichts geringeres als das, begleitete die arme Berry an jenem Abend zu Bett, und bis zum Morgen hatte sie sich auf ihrem Kissen verblutet.

Nachdem diese Szene vorüber war, führte Adrian 410 Mrs. Doria wieder nach Hause. Während ihrer Abwesenheit waren augenscheinlich Mäuse an dem Kuchen gewesen. Die anwesenden Damen und Herren schoben es auf die gierigen Mäuse, die man beschuldigte, geschmaust zu haben und zu Bett gegangen zu sein.

»Ich gönnen es ihnen von Herzen,« sagte Mrs. Doria. »Es ist eine Posse, diese ganze Heirat, und Adrian hat sich ganz zu meiner Auffassung bekehrt. Ich würde kein Atom davon anrühren. Sie wurden ja mit dem Ring einer verheirateten Frau getraut! Kann das vielleicht auch gesetzlich sein, wie ihr meint? Ach ich bin überzeugt! Sprecht mir nicht davon. Austin kommt morgen zur Stadt, und wenn er seinen Prinzipien treu bleibt, wird er sogleich Maßregeln ergreifen, um seinen Sohn von dieser Schande zu retten. Ich brauche keinen juristischen Rat. Ich folge dem gesunden Menschenverstand, dem gesunden Anstandsgefühl. Diese Heirat ist ungültig.«

Mrs. Dorias schöner Plan war so sehr zu einem Teil ihres Lebens geworden, daß sie ihn nicht aufgeben konnte. Sie brachte Klara zu Bett, küßte sie und weinte über sie, was sie nicht getan haben würde, wenn sie das seltsame Kind besser gekannt hätte, und sagte: »Der arme Richard! mein lieber armer Junge! wir müssen ihn retten, Klara! wir müssen ihn retten!« Bei dieser Gelegenheit zeigte von den beiden die Mutter am meisten, daß ihr Eisen fehle. Klara lag in ihren Armen starr und regungslos, eine ihrer Hände festgeschlossen. Alles was sie sagte war: »Ich wußte es schon am Morgen, Mama.«

Sie schlief ein und hielt Richards Trauring fest umschlossen.

Mittlerweile hatten es alle erfahren, die für das System interessiert waren. Der Honigmond verbreitete sein friedliches Licht. Geht nicht das Glück um wie ein Medium? Besitzen wir sehr viel davon, so müssen 411 andere arme Herzen nach dem seufzen, was ihnen genommen ist. Wenn wir ausgegangen sind und uns das Glück als Straßenräuber erbeutet haben, dann werden gewisse unerforschliche Gesetze sicherlich in Bewegung sein, um uns vor die Verbrecherschranke zu führen, früher oder später. Wer kennt die Flitterwochen, die nicht irgend jemandes Glück gestohlen hätten? Richard Turpin zog aus und sang der Welt entgegen: »Geld oder Leben!« Richard Feverel tat dasselbe und setzte nur »Glück« statt »Geld« – Worte, die häufig als Synonyma gebraucht werden. Den Schatz, den er brauchte, wollte er auch erringen und war auf die Art ebenso gut ein Straßenräuber wie sein Namensbruder Dick, und diejenigen, die ihn bis jetzt noch nicht als Helden erkannt haben, mögen ihn nun in diesem Lichte betrachten. Mittlerweile sieht die Welt, der er sein Glück geraubt hat, außerordentlich ruhig und schön aus. Aus seinem Schatze tönt ihm eine liebliche Melodie entgegen. Natur und Weltordnung haben keine wärmeren Bewunderer, als einen fröhlichen Straßenräuber oder einen jungen Mann, der seinen Schatz errungen hat.

 


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