Balduin Möllhausen
Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas – Band 2
Balduin Möllhausen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierundzwanzigstes Kapitel

Peacocks Erzählung – Änderung des Reiseplans – Reise zum Plateau hinauf – Schneesturm und Gewitter – Das Lager im Schnee – Aufenthalt von zwei Tagen – Schmelzen des Schnees – Aufbruch – Die San Francisco und Bill Williams Mountains – Die Lagune – Auffinden einer neuen Straße – Lager ohne Wasser – Einbiegen in eine Schlucht – Wanderung auf dem gefährlichen Felsenpfad – Unüberwindliche Hindernisse – Umkehr der Expedition – Zurücksenden der Herde zur Lagune – Neuer Versuch, den Colorado zu Fuß zu erreichen – Die Wanderung in die Schlucht hinab

»Wenn ich jetzt hohe Summen auf die Schnelligkeit eines Pferdes verwette oder gewinne«, begann Peacock, »oder wenn beim Scheibenschießen die Kugel über das Mein oder Dein entscheidet, dann denke ich oft voller Wehmut an meine Jugendzeit zurück, in der ich schon so bedeutende Anlagen zu der Leidenschaft des Wettens zeigte. Freilich hatten wir Knaben keine Büchsen oder Pferde, doch hatten wir andere Mittel, unsere Kräfte und Geschicklichkeit zu prüfen, wie zum Beispiel die Stockwette, bei der zwei Knaben sich gegenseitig abwechselnd mit einem dünnen Haselstock über die entblößten Schultern schlagen, bis einer derselben durch Weinen sich als Verlierender zu erkennen gibt.

Meine Heimat befand sich damals in Independence am Missouri, wo die meisten nach Santa Fé bestimmten Handelskarawanen ausgerüstet wurden. Obgleich ich erst ein Knabe von vierzehn Jahren war, hatte ich doch schon eine ausgebreitete Bekanntschaft unter den Führern oder Hauptleuten der Trains, und ich sehnte mich nach nichts mehr als nach dem ungebundenen Leben in der Prärie. Zur Zeit, als ich meinen Eltern entlief – denn daß ich ihnen entlief, darf ich nicht leugnen –, befand sich in Independence eine Karawane von etwa vierzig Wagen und einigen hundert Ochsen, die eben im Begriff stand, abzureisen. Der Wagenmeister der Kompanie war ein alter Bekannter meines Vaters und, wie ich genau wußte, mir vor allen anderen Knaben meines Alters zugetan. Auch ich liebte den Mann, der mir so viele Zaubergeschichten aus den Prärien erzählt hatte und dadurch den ersten Keim zu meiner Wanderlust legte, und faßte den Plan, meinen alten Freund nach den Rocky Mountains zu begleiten. Um aber nicht von ihm an meine Eltern und danach an einen Schulmeister ausgeliefert zu werden, verbarg ich mich so lange mit Hilfe meiner Kameraden, bis der Train wirklich abgereist war, und ohne dann weiter Abschied zu nehmen, folgte ich diesem nach.

Zwei Tage trieb ich mich in der Nähe der Wagen umher, ohne mich zu zeigen, und als ich dann glaubte, gegen das Zurücksenden gesichert zu sein, stellte ich mich plötzlich meinem Freund, dem Wagenmeister, vor. Dieser schien anfangs etwas verwundert; als ich ihn aber von meinen Absichten und Plänen in Kenntnis setzte, lachte er und gestattete mir, fernerhin bei ihm zu bleiben; ja er schickte sogar mit den nächsten Handelsreisenden, die uns begegneten, Nachrichten zurück an meine Eltern, so daß diese sich über mein Schicksal nicht weiter zu beunruhigen brauchten.

Meine Wünsche waren also endlich in Erfüllung gegangen, und mit leichterem Herzen als ich zog gewiß noch niemand über die Prärien. Wo ich nur Gelegenheit sah, meine schwachen Kräfte mit Erfolg anwenden zu können, da arbeitete ich mit Lust und Liebe, und dies trug sehr viel dazu bei, mir den Aufenthalt bei der Karawane angenehm zu machen. Meine erste Reise führte nicht nach Santa Fé, sondern nach einem weiter nördlich gelegenen Handelsposten, wo wir nach einer dreimonatigen Reise anlangten und wo ich auch den Winter verbrachte. Im Frühling reiste ich mit derselben Gelegenheit wieder an den Missouri zurück und hatte dort die Genugtuung, daß sich niemand mehr dem von mir selbst gewählten Beruf eines Präriereisenden entgegenstellte.

Mehrere Jahre gingen auf diese Weise dahin; ich sammelte mir die nötigen Erfahrungen, und mein achtzehntes Lebensjahr hatte ich noch nicht vollendet, als mir zum erstenmal die Führung eines Handelstrains übertragen wurde. Ich hatte Glück in meinen Spekulationen; nach einigen Jahren schon war ich im Besitz eines Kaufladens in Santa Fé, und da ich alljährlich selbst an den Missouri reiste, um dort meine Einkäufe zu ordnen, und auch selbst die Güter nach Santa Fé führte, anstatt wie so viele andere dieses Geschäft fremden Leuten zu übertragen, so mehrte sich mein kleines Vermögen schnell, und ich war auf dem besten Weg, ein reicher Mann zu werden.

Sieben Jahre hindurch führte ich, ohne erhebliche Verluste zu erleiden, meine Geschäfte sowohl in Independence als auch in Santa Fé, denn an ersterem Ort hatte ich ebenfalls einen Kaufladen eingerichtet, der von einem Kompagnon verwaltet wurde; dann aber brach Unglück über mich herein, das mich fast mein ganzes, schwer erworbenes Vermögen kostete. Ich hatte nämlich am Missouri ein junges, liebenswürdiges Mädchen kennengelernt, das, wo ich mich auch immer befinden mochte, meine ganze Seele erfüllte. Es war die Tochter keines reichen, wohl aber eines angesehenen und allgemein geachteten Bürgers, und sie hatte eine Erziehung genossen, vermöge derer sie weit über mir stand, und zwar so weit, daß ich mit Zagen meine Neigung zu ihr zu verbergen suchte. Sie vermochte es indessen in meinem Herzen zu lesen, und anstatt mir ob meiner Verwegenheit zu zürnen, neigte sie sich immer mehr zu mir hin und sagte mir endlich aus freien Stücken ihre Hand zu.

Wie glücklich ich war, brauche ich wohl nicht zu versichern, ich erwähne nur, daß ich mit doppeltem Eifer meine Geschäfte betrieb, um so bald als möglich in den Besitz von soviel Geld zu gelangen, als nötig war, mir und meiner zukünftigen jungen Frau ein sorgenfreies Leben am Missouri zu sichern.

Zu meinem Verderben lebte aber in Santa Fé eine junge Mexikanerin, die in ihrer Gestalt sehr viel Ähnlichkeit mit meiner Braut am Missouri hatte. Sie war sehr schön, und dabei hatte sie ein Paar schwarze Augen, die in dem Grad wild und feurig glänzten, als die meiner Verlobten blau und sanft waren. Genug, ich schreibe es der Ähnlichkeit in der Figur zu, daß ich während meines Aufenthalts in Santa Fé die Gesellschaft der jungen Mexikanerin suchte und daß allmählich ein mehr als freundschaftliches Verhältnis zwischen uns beiden entstand.

Meiner Braut am Missouri blieb ich nichtsdestoweniger treu, und ich dachte nie inniger und lebhafter an sie, als wenn ich den frischen roten Lippen der Mexikanerin Kuß auf Kuß raubte. Anders war es dagegen, wenn ich mich an der Seite des jungen, unschuldigen Wesens am Missouri befand und das Gespräch auf unsere baldige Vereinigung lenkte; denn in solchen glücklichen Stunden streiften meine Gedanken nie abwärts, und es gab für mich dann weder ein Santa Fé noch Mexikanerinnen, und ich ziehe daraus den Schluß, daß ich nicht, wie einige behaupten wollen, mein Herz zwischen Santa Fé und Independence teilte, sondern mit treuester Liebe an meiner Verlobten hing, selbst auch dann, wenn ich mich mit der schönen Mexikanerin lustig im wilden Fandango drehte und sie mit den schönsten seidenen Bändern aus meinem Laden schmückte.

Jahre gingen dahin, Jahre des Glücks und der Freude, und näher rückte die Zeit, die ich zur endlichen Verwirklichung meiner Pläne bestimmt hatte. Mit dem Ende des siebenten Jahres meiner Selbständigkeit erreichte aber das glückliche Leben sein Ende.

Fröhlich wie immer kehrte ich nach einer sechsmonatigen Abwesenheit nach Independence zurück und hatte eben die staubige Reisehülle abgestreift und mich in angemessenere Kleidung geworfen, um meine Braut zu begrüßen, als mir ein Brief von ihr überreicht wurde. Ich las ihn durch und überzeugte mich, daß nunmehr alle Begrüßungen überflüssig geworden waren. Ein guter Freund von mir hatte nämlich dem jungen Mädchen von meiner warmen Freundschaft für die hübsche Mexikanerin erzählt und es dabei nicht an den nötigen Ausschmückungen fehlen lassen, infolgedessen sie brieflich das zwischen uns bestehende Verhältnis auflöste und mir noch aufs wärmste Glück und Segen zu allen meinen Unternehmungen wünschte.

Mein nächstes Gefühl war das der Erbitterung gegen den falschen Freund und gegen mein Geschick, und ohne an eine Aussöhnung zu denken, beeilte ich mich, meine Geschäfte in Independence zu beendigen, und trat dann, zerfallen mit mir und mit der ganzen Welt, meine Rückreise nach Santa Fé an. Dort nun stürzte ich mich alsbald in einen Strudel wilder Vergnügungen, die meine pekuniären Verhältnisse zerrütteten, und um das Maß vollzumachen, erhielt ich wenige Monate darauf von Independence die Nachricht, daß mein Kompagnon dort mein Geschäft mit Schulden belastet habe und dann davongegangen sei. Independence sowie Santa Fé waren mir jetzt verhaßt, und ich sehnte mich weg von Orten, an die sich so trübe Erinnerungen knüpften.

Es fiel nicht schwer, einen Käufer zu finden, der mein Eigentum in Santa Fé für einen geringen Preis übernahm, und das gelöste Geld in der Tasche, begab ich mich mit nächster Gelegenheit zurück an den Missouri. In Independence fand ich meine Verhältnisse zerrütteter, als ich vermutet hatte, und es erforderte fast meine ganze in Santa Fé erworbene Habe, um mich dort mit meinen Gläubigern auseinanderzusetzen. Der Verlust des Geldes verursachte mir nur wenig Kummer, denn es blieb mir ja noch soviel, um mich zur Landreise nach Kalifornien auszurüsten, und Kalifornien erschien mir jetzt als der einzige Punkt der Erde, wo ich wieder glücklich werden konnte.

Die wenigen Freunde, die ich in Independence noch zählte, rieten mir von meinem Unternehmen ab, doch ebenso leicht hätten sie die Rocky Mountains von der Stelle reden können, als meinen Entschluß wankend machen. Ein eigentümlicher Trotz war nämlich in meine Brust eingezogen, ein Trotz, der mich veranlaßte, selbst wohlgemeinte Ratschläge zurückzuweisen und eigensinnig die selbstgewählte Bahn zu verfolgen. Der Abschied vom heimatlichen Boden wurde mir schwerer, als ein Mensch es ahnen konnte; wenn man aber glaubte, daß mein Trotz brechen und ich zerknirscht zurückkehren würde, so irrte man sich. Ich bin jetzt seit acht Jahren in Kalifornien gewesen, ich habe zwar viel an meine frühere Braut gedacht, doch sehnte ich mich nie wieder an den Missouri zurück. Sehr ruhig blieb ich, als ich nach einigen Jahren vernahm, daß sie, die einst ihr Geschick mit dem meinigen zu verflechten gedachte, die Gattin eines anderen geworden sei; es ist wahr, daß ich in einsamen Stunden mit einem Wehgefühl jener goldenen Zeiten gedenke, doch glücklicherweise ist das Leben eines kalifornischen Viehzüchters, das ich jetzt führe, zu bewegt, als daß noch viel Zeit bliebe, nutzlosen und schmerzvollen Erinnerungen nachzuhängen. Ich bin Viehzüchter mit Leib und Seele, und es steht wohl in Aussicht, daß ich dereinst als ein reicher Junggeselle sterbe und mein Hab und Gut meinen Freunden und Gefährten hinterlassen werde, weil ich weiß, daß diese am wenigsten dergleichen von mir erwarten.«

So etwa lautete Peacocks Geschichte, nur daß er zahlreiche Abenteuer aus seinem Reiseleben mit hineinverflocht, lauter Begebenheiten, deren Beschreibung unsere Aufmerksamkeit ständig fesselte und die unter der rauhen, leidenschaftlichen Hülle eines echten, vorurteilsvollen Kaliforniers gute und edle Regungen verrieten.

Wir waren eben im Begriff, das gemächliche Plätzchen vor dem Feuer mit dem Zelt zu vertauschen, als Lieutenant Ives sich zu uns gesellte, um uns mit seinen nächsten Reiseplänen bekannt zu machen. Gemäß diesen sollte die ganze Expedition bis an die Mündung des Colorado Chiquito vordringen, dort aber in zwei Hälften geteilt werden, und zwar so, daß Lieutenant Ives in Begleitung von Dr. Newberry, Egloffstein und einer entsprechenden Anzahl von Soldaten und Packknechten an der ersten geeigneten Stelle den Colorado Chiquito überschritt, um einen letzten Versuch zu wagen, den Lauf des Rio Colorado bis zu der Vereinigung des Grand River und des Green River aufwärts zu verfolgen. Peacock, der Kommandeur der Eskorte, und ich sollten dagegen mit dem größeren Teil der Expedition am Colorado Chiquito bis in die Nähe der San Francisco Mountains hinaufziehen, uns dann südlich wenden und an den Quellen des San Francisco River, Rio Verde genannt, unser Lager aufschlagen, um dort Lieutenant Ives mit seiner Abteilung, im Falle er nicht vor uns dort angekommen sein sollte, zu erwarten. Lieutenant Ives sowohl als ich waren mit der Umgebung der San Francisco Mountains bei Gelegenheit der Reise unter dem Kommando des Captain Whipple schon zu vertraut geworden, als daß ein gegenseitiges Verfehlen zu befürchten gewesen wäre, und dann bildeten diese alten Vulkane so hervorragende Landmarken, daß wir auf beiden Seiten ganz bequem unsere Bewegungen nach der Lage derselben hätten bestimmen können. Nach unserem Zusammentreffen an jenem Punkt sollte ohne Zeitverlust zu der Erforschung des Rio Verde geschritten werden, und dessen Lauf nachfolgend, würden wir dann zuletzt an den Rio Gila gelangt sein, und zwar in der Nähe der Dörfer der Pimo-Indianer. Von dort aus wäre dann Fort Yuma und demnächst San Franzisko unser Ziel gewesen.

Die Ausführung dieses Plans blieb indessen von der Beschaffenheit der Lebensmittel abhängig, denn stießen wir in nächster Zeit auf Hindernisse ernsterer Art, so konnten wir kaum darauf rechnen, unsere Reise weiter als bis an die Rocky Mountains auszudehnen, um von dort aus der nächsten Stadt am Rio Grande zuzueilen und einer möglicherweise eintretenden Not vorzubeugen. So anlockend auch die Erforschung des Rio Verde für uns alle war, so vermochte doch niemand die Zweifel zu unterdrücken, die er hinsichtlich der Ausführung dieses Plans hegte. Peacock wußte genau, daß die Lebensmittel kaum noch für einen Monat ausreichten; und daß wir in dieser Zeit nicht imstande sein würden, unsere Forschungen in dem schwer zugänglichen Gebiet zu beendigen, lag ziemlich klar zutage.

Von den besten Wünschen beseelt, verfügten wir uns endlich auf unser Lager, doch lange noch unterhielten wir uns von den schönen Bärenjagden, die in der Umgebung der San Francisco Mountains unserer harrten.

Eisigkalte Luft strömte uns entgegen, als wir am 8. April ins Freie traten; die Tiere waren zum Zweck eines frühen Aufbruchs schon herbeigetrieben worden, und rüstig schritt jeder an die sich täglich wiederholende Arbeit des Sattelns und des Packens. Unangenehm wurden wir durch die Nachricht berührt, daß Juckeye und der letzte Wallpay während der Nacht unbemerkt davongeschlichen seien. Die beiden Indianer hatten von allen Seiten stets die beste Behandlung erfahren, und ihr Verschwinden mußte uns um so mehr überraschen, als ihnen ein bedeutender Lohn für ihre Dienste zugesagt war und sie nun auf diesen verzichtet und dafür nur zwei wollene Decken mitgenommen hatten. Die Flucht schrieben wir daher weniger ihrer Böswilligkeit als dem winterlichen Klima und der so überaus rauhen Bodengestaltung zu, und wir suchten uns auf beste Art aus der Verlegenheit zu ziehen.

Es waren nämlich von der Quelle aus in nordnordöstlicher Richtung die schwachen Spuren eines Pfades sichtbar; auf diese wurde ein berittener Mexikaner gestellt, mit der Weisung, in einiger Entfernung vor dem Zug den Windungen genau zu folgen und so der Expedition gleichsam als Führer zu dienen. Sechs oder sieben Meilen gelangten wir ohne Schwierigkeiten und ohne wesentliche Abweichung von der ursprünglichen Richtung vorwärts. Der Pfad war stark ansteigend und führte durch eine Wildnis, deren starrer Charakter durch anmutige Abwechslung von niederen Zedern, hohen Tannen und freundlichen Lichtungen bedeutend gemildert wurde. Stufe auf Stufe des Hochlands erstiegen wir, und schnell näherten wir uns den winterlichen Regionen der Hochebene.

Bleifarbig wölbte sich in weitem Bogen der Himmel, hin und wieder senkte sich ein zartes Schneeflöckchen auf den breiten Rand der Filzhüte oder auf die struppigen Mähnen der Tiere; der Nordwestwind verstärkte sich, schneller aufeinander folgten die Flocken, und immer tiefer verschleierte sich die Fernsicht, bis sie sich zuletzt nur noch auf einen geringen Umkreis beschränkte. Obgleich der Schnee, der unmittelbar mit dem Boden in Berührung kam, Schlamm erzeugend zerging, mithin das Quecksilber im Thermometer nicht unter Null gesunken sein konnte, so wurde der unwegsame Boden doch bald mit einer drei Zoll tiefen Lage bedeckt, und wie mit weißen Tüchern verhüllt erschienen die dem Sturm zugewandten Seiten der Menschen und Tiere. Wir alle litten aufs empfindlichste, denn die vom schmelzenden Schnee genäßten Glieder erstarrten fast vor dem eisigen Wind, und wenn man sich durch die Bewegung des Gehens zu erwärmen suchte, dann war es, als ob man mit bloßen Füßen im kalten Morast wate. Das Schuhzeug befand sich nämlich allgemein in so mangelhaftem Zustand, daß es kaum soviel Schutz gewährte wie die indianischen Mokassins, zu denen ein Teil unserer Gesellschaft schon seine Zuflucht genommen hatte.

Ununterbrochen ansteigend legten wir mühsam Meile auf Meile zurück; in dichten Wolken wälzte sich der Schnee vor dem Sturm dahin; heftig rollte der Donner, doch die Blitze blieben unsichtbar in der verdüsterten, mit Flocken angefüllten Atmosphäre, und auf beängstigende Weise erbebte das geheimnisvolle Hochland wiederholt unter den erschütternden Schlägen des ungewöhnlichen winterlichen Gewitters.

Vierzehn Meilen hatten wir überwunden, als wir einiger weitverzweigter Zedernbäume ansichtig wurden, die zu unseren Zwecken geeignet erschienen; auch Gruppen von niederem Buschwerk, überragt von hohen Tannen, befanden sich in der Nähe, und in diesen willkommene Zufluchtsstätten für die Herde erkennend, beeilten wir uns, die notdürftigsten Vorbereitungen für die Nacht zu treffen.

Der Sturm raste unterdessen mit ungebrochener Heftigkeit fort, gefallener und fallender Schnee wirbelten lustig durcheinander; in langen Pausen grollte der ferne Donner, und erschreckt von dem unheimlichen Getöse oder ermattet von dem Kampf gegen die empörten Elemente drängten sich die Tiere, denen man als Erwärmungsmittel die Packsättel und Decken auf den wunden Rücken gelassen hatte, in enge Knäuel zusammen oder suchten zitternd und bebend ein spärliches Obdach unter den niederhängenden Zweigen der Zederngebüsche. Wir selbst ergriffen Axt und Schaufel, und mit viel Mühe gelang es uns endlich, ein kleines Feuer zu erzeugen, das, genährt durch dürres, kienreiches Holz, bald in mächtigen Flammen aufloderte, deren Wärme, weithin fühlbar, die vorbeiziehenden Flocken in ebenso viele Wassertropfen verwandelte.

Da standen wir denn im Kreis um den Scheiterhaufen, die Füße ruhten auf feuchtem, morastigem Boden, und während die Glut den ihnen zugewandten Kleidungsstücken heißen Dampf entlockte, lagerten sich auf der entgegengesetzten Seite Schneemassen, immer aufs neue die aufgetauten Glieder durchnässend und erkältend. Es dämmerte schon, als wir den letzten Pflock unseres Zeltes in den Boden trieben und die letzte Schaufel Schnee aus dem geschützten Raum entfernten. Unser Abendbrot war der einfachsten Art, doch mehr als nach wohlschmeckender Nahrung sehnten wir uns nach der erquickenden Ruhe zwischen den Pelzen und Decken, und mit einem Gefühl der Behaglichkeit beobachteten wir dann, wie die straff gespannte Leinwand sich vor der Gewalt des Sturms bog, und lauschten dem leisen Knistern, verursacht durch das Anprallen seiner Eisteilchen.

Tiefer Winter umgab uns, als wir am 9. April nach ungestörter Nachtruhe ins Freie traten. Der Sturm wehte zwar nicht mehr mit derselben Heftigkeit, aber Schnee fiel noch immer in Massen, so daß an diesem Tag an eine Fortsetzung der Reise nicht gedacht werden konnte. Die Luft war schneidend kalt, eine Eiskruste hatte den von den Hufen der Tiere gekneteten Morast überzogen, und die Kälte verursachte wohl am meisten, daß die verstreute Herde ihre Schlupfwinkel verließ und emsig nach dürrem Gras unter dem Schnee scharrte. Wir dagegen blieben an unser Zelt gefesselt, und der größte Teil des Tages ging damit hin, daß wir die verrosteten Waffen reinigten und wieder in brauchbaren Zustand versetzten.

Das Unwetter hielt gegen Abend endlich inne, und in schweres Gewölk trennte und sonderte sich der dunkle, einfarbige Schleier, der bereits seit mehreren Tagen über uns gehangen hatte. Die Masse des Schnees würde gewiß groß gewesen sein, wenn die untersten Schichten auf dem mit Wasser übersättigten Erdreich nicht zergangen wären; so aber deckte eine nur zwei bis drei Zoll tiefe Lage den aufgeweichten Boden, in den die Tiere bei jedem Schritt bis über die Fesselgelenke einsanken – ein Umstand, der sehr hindernd auf unsere Weiterreise zu wirken drohte.

In hellem Sonnenschein schwamm am 10. April die herrliche Schneelandschaft, deren Mittelpunkt unser Lager mit den rauchenden Feuern bildete; wie eine wogenförmige Ebene dehnte sich die weiße Fläche nach allen Richtungen aus, und auf dieser schoben sich malerische Gruppen immergrüner Bäume aneinander vorbei. Auch ein winterliches Bild hat seine Reize, und zwar nicht allein durch schon vorhandene anmutige Formen in der Umgebung und deren eigentümliches Kolorit, sondern auch durch feierliche Ruhe und lautlose Stille, die vorzugsweise in den Wildnissen über einer Schneedecke zu schweben scheinen, auf der der eigene Fußtritt gedämpft verhallt.

Die beschneite Hochebene war schön in den Frühstunden, als die schrägen Strahlen der Sonne die Schatten von Baum und Strauch lang ausreckten und wunderliche Figuren auf der reinen Fläche zeichneten; sie war schön, als die warme Mittagssonne den Schnee in den immergrünen Bäumen auflöste und jede Nadel mit einem schillernden Wassertröpfchen schmückte; sie war aber auch schön, als gegen Abend schweres, goldumsäumtes Gewölk am Horizont aufstieg und glühendes Rot die westliche Richtung bezeichnete. Ich saß im Gipfel eines hohen Baumes und ergötzte mich an dem prachtvollen Schauspiel; ich beobachtete, wie ein im Norden emporragendes Plateau und die fernen Baumgruppen sich in nächtliche Nebel hüllten und ihre Umrisse allmählich ineinander verschwammen; ich sah auch einen Fuchs, der sich in der Einsamkeit des Hochlands heimisch zu fühlen schien und mit komischen, aber vorsichtigen Sprüngen eine Maus verfolgte.

In grellem Widerspruch zu der endlosen Wildnis und zu der beängstigenden Einsamkeit, welche diese charakterisierte, stand das rege Treiben im nächsten Umkreis. Lustig flackerten ein Dutzend Feuer, kräftige Gestalten in abgetragenen, zerrissenen Kleidern und mit bärtigen Gesichtern reihten sich um diese; einzelne Leute schleppten trockenes Holz herbei, die Köche kneteten Brotteig, andere scharrten reinen Schnee zusammen, um bei dem schnellen Zergehen desselben am folgenden Morgen gegen Wassermangel gesichert zu sein. Überall aber nahm ich Frohsinn und Ausgelassenheit wahr, nur die Tiere standen traurig umher, und mißmutig krächzten ein paar Raben auf den nackten Zweigen einer vertrockneten Tanne, sie harrten ungeduldig auf unseren Aufbruch, um auf der verlassenen Lagerstelle nach fetten Bissen umherspüren zu können. Ich kletterte hinab von meinem luftigen Sitz, wo ich meine Erinnerung um einige schöne Bilder bereichert hatte, und lag bald darauf zwischen meinen Kameraden auf wohlriechenden Zedernzweigen vor dem knisternden Feuer.

Am 11. April rüsteten wir uns frühzeitig zum Aufbruch; der letzte Schnee war während der Nacht wie durch Zauber verschwunden, die Wolken, die am vorhergehenden Abend drohten, hatten sich verteilt, und der feuchte Boden rauchte und dampfte unter dem Einfluß der erwärmten Atmosphäre. Sehr beschwerlich war anfangs unsere Reise, denn nur unter den größten Anstrengungen vermochten die Tiere mit ihren Lasten auf dem morastigen Weg hinzuschreiten, und mehrfach mußte menschliche Hilfe angewandt werden, um halbversunkene Tiere wieder zum Stehen zu bringen. Einem alten Indianerpfad folgend, behielten wir die nordöstliche Richtung bei und gelangten nach Zurücklegung von sechs Meilen auf festeren Boden, wo wir, ohne auf weitere Schwierigkeiten zu stoßen, rüstig dahinzogen.

Der Charakter unserer Umgebung blieb während des ganzen Tages fast unverändert, nur die Lichtungen wurden häufiger und umfangreicher, und infolgedessen eröffnete sich uns auch eine freiere Fernsicht. So gewannen wir gegen Mittag einen Blick auf die San Francisco und die Bill Williams Mountains, deren beschneite Gipfel und Abhänge sich genau östlich vor uns erhoben. Sie waren noch über achtzig Meilen entfernt, doch traten ihre malerischen Formen hervor, erkennbar an den lichtblauen und weißen Flächen und Linien. Ich hielt an und begrüßte die stolzen Berge als alte Bekannte, und große Freude empfand ich bei dem Gedanken, bald wieder an ihren Abhängen jagen zu können.

Gegen Norden lag ein durchaus anderes Bild vor uns. Dort wurde nämlich der Horizont von einem Plateau begrenzt, das der scheinbar ununterbrochenen Ebene senkrecht entstieg. Dieses erstreckte sich weithin von Westen nach Nordosten und war an mehreren Stellen gespalten und durchbrochen, so daß die losgetrennten Teile als regelmäßige Türme und Wälle gegen den blauen Himmel kontrastierten. Je mehr wir uns dieser eigentümlichen Formation näherten und je deutlicher das Farbenspiel der schroffen Wände sich von dem duftigen Blau der ganzen Masse löste, um so mehr befestigte sich bei uns die Ansicht, daß wir uns den Betten größerer Gewässer näherten und daß dort am Fuß der eben bezeichneten Uferwand tief unten im Schoß der Erde der Kleine oder der Große Colorado fließe oder auch diese beiden Flüsse sich gerade an jenem Punkt vereinigten.

Kurz vorher, ehe wir der San Francisco Mountains ansichtig wurden, kamen wir an einem kleinen See vorbei; dieser schien den größten Teil des Jahres hindurch Wasser zu halten, doch keineswegs durch Quellen genährt zu werden. Wir befanden uns nämlich schon gegen neuntausend Fuß hoch über dem Meeresspiegel, also zu hoch, um unbedenklich, namentlich bei der Kenntnis der geologischen Formation des Bodens, die wir allmählich gewonnen hatten, dergleichen annehmen zu können. Eine massive Kalksteinlage deckte in jener Erhebung das Hochland in seiner ganzen Ausdehnung; diese befand sich nur wenige Fuß unter der Oberfläche des Bodens und bildete an jener Stelle eine bassinähnliche Senkung, die das Regen- und Schneewasser einer bedeutenden Fläche aufnahm. Wir tränkten hier die Tiere, und mit einer schwachen Hoffnung, in nächster Zeit wieder auf Wasser zu stoßen, verfolgten wir die alte Richtung.

Gegen Abend wurden wir plötzlich durch den Anblick einer alten Straße überrascht, die unseren Pfad von Westen nach Osten durchschnitt. Genaue Untersuchungen ergaben, daß ungefähr zwanzig schwerbeladene Wagen diese gebrochen und die gerade Richtung vom Colorado nach den San-Franzisko-Bergen gewählt hatten. Die Spuren waren schon einige Monate alt und sehr verwischt, weshalb wir die Zahl der dort getriebenen Pferde und Maultiere nicht festzustellen vermochten, doch deutete ein festgestampfter Pfad in der Mitte der Straße auf eine bedeutende Anzahl von Fußgängern und schwerem Vieh. Beales Straße hatten wir zu weit südlich gelassen, um sie mit diesen Spuren in Verbindung bringen zu dürfen, zumal da dieselben in ganz entgegengesetzter Richtung standen, und so glaubten wir denn nicht anders, als daß ein Trupp Mormonen den Großen Salzsee verlassen und die Ansiedlungen in Neu-Mexiko auf diesem Weg zu erreichen gesucht habe. Wir schmeichelten uns schon mit der Hoffnung, im Falle wir in der von uns eingeschlagenen Richtung auf unüberwindliche Hindernisse stoßen sollten, auf diese Weise zu einem geeigneten Übergangspunkt des Colorado geführt zu werden. Da wir uns nur noch in geringer Entfernung vom Strom befanden, so zweifelten wir doch sehr daran, ob wir bei einem Höhenunterschied von wenigstens siebentausend Fuß die zum Fluß hinabführenden Schluchten zugänglich für unsere Expedition finden würden.

Nach einem Marsch von siebzehn Meilen lagerten wir am Rand einer lichten Zedernwaldung. Das Wasser für unseren eigenen Gebrauch lieferten die gefüllten Fäßchen und Krüge, die Tiere dagegen waren nur auf erträgliches Gras angewiesen, und es wunderte uns daher nicht, als wir bei Tagesanbruch entdeckten, daß ein Teil der Herde unter dem Schutz der Dunkelheit den Weg zurück nach dem See eingeschlagen hatte. Die ausgesandten Mexikaner kehrten erst nach einigen Stunden mit den Flüchtlingen zurück, und es stand daher die Sonne bereits hoch am Himmel, als wir am 12. April unsere Weiterreise antraten.

Schon am vorhergehenden Tag waren die Tannen gänzlich aus unserer Umgebung verschwunden und die Zederngruppen niedriger und spärlicher geworden; an diesem Morgen nun genügte ein Ritt von wenigen Meilen, uns aus der Baumvegetation hinauszubringen. Die Schwellungen und Senkungen des Bodens wurden bedeutender, und von den Höhen vermochte das Auge ungehindert über weite Strecken zu streifen, auf denen nur hin und wieder einzelne Zedernbüsche wie verloren umherstanden. Die San Francisco und Bill Williams Mountains waren unseren Blicken wieder entzogen worden, dagegen erschienen im Westen die Gipfel blauer Gebirgszüge, und vor uns lag, in stets zunehmenden Dimensionen, das vielfach zerklüftete Plateau mit seinen grellfarbig, aber regelmäßig gezeichneten Uferwänden.

Beim Hinblick auf die kolossalen Wälle und auf die weite graue Fläche, wo überall eine ermüdende Einförmigkeit und Öde zutage trat, und bei dem Gedanken, daß dennoch die großartigsten und gewaltigsten aller Naturszenen vor uns liegen mußten, beschlich mich ein eigentümliches Gefühl der Ungeduld, aber auch der Besorgnis, indem ich bei jeder neuen Senkung erwarten konnte, den Boden tief gespalten zu sehen und von der Natur ein gebieterisches »Halt!« zu vernehmen. Doch bergauf und bergab zogen wir, über Hügelreihen und durch Talgründe; der Boden senkte sich mehr und mehr, und endlich beschränkte sich unsere ganze Aussicht auf die nahen runden Hügel. Gegen Mittag erst, nachdem wir unseren Tieren einen dürftigen Trunk aus einer mit Regenwasser gefüllten Felsenvertiefung verabreicht hatten, bog der Pfad in eine Schlucht ein, und derselben abwärts folgend, gelangten wir bald an sechshundert Fuß tief hinab. Wir befanden uns dort auf einer Kalksteinstrate, während Schichten fossiler Muscheln und Kalkstein sich zu beiden Seiten von uns hoch übereinandertürmten und die schrägen, zugänglichen Abhänge nach dem Plateau hinauf bildeten.

Nur auf eine kurze Strecke vermochten wir die enge Mitte der Schlucht als unseren Weg zu benutzen, dann aber hemmte ein vierzig Fuß tiefer Abgrund unsere Schritte, und an denselben hintretend, erkannten wir, daß die stürzenden Wasser hier die Lage des massiven Gesteins durchbrochen und sich dann mit wilder Zerstörungswut ihren Weg erweitert und abwärts gebahnt hatten. Wir begaben uns auf den kaum erkennbaren Pfad, der am äußersten Rand der Kalksteinschicht stets in derselben Höhe hinführte. Nach kaum hundert Schritten schon hatte die Tiefe der Schlucht, die sich unmittelbar neben dem Pfad öffnete, bis auf dreihundert Fuß zugenommen; weithin vermochten wir die horizontale Strate zu erkennen, doch nirgends erblickten wir eine Stelle, wo der Pfad hätte möglicherweise hinabführen können, und wohl schwindelte uns schon bei dem bloßen Gedanken, unsere Reise auf einem Weg fortsetzen zu müssen, der nur für Bergziegen und Antilopen geschaffen zu sein schien. Wir stiegen ab, um die Tiere am Zügel zu führen, schnallten die Sporen von den Füßen, und in die lange Reihe eintretend, begannen wir die gefährliche Wanderung. Wie an Tiefe, hatte die Schlucht auch in der Breite zugenommen, und die gegenüberliegende Uferwand bot uns zugleich ein Bild derjenigen, auf der wir uns befanden. Demnach bestanden beide aus gewaltigen, regelmäßig aneinandergereihten Felsentürmen mit hoher Bedachung, die schräg zur Deckschicht des Plateaus hinaufführte, während von der Gesteinslage, die unseren Weg bildete und deren Fortsetzung auf der anderen Seite deutlich hervortrat, eine einzige senkrechte Wand bis in die schauerliche Tiefe hinabreichte.

Es ist gewiß nicht meine Absicht, durch allzu genaue Beschreibung von mißlichen Lagen, in die man auf dergleichen Expeditionen nur zu leicht gerät, bewundernde Anerkennung für Geleistetes und Überstandenes ernten zu wollen; doch wenn ich in Gedanken mich in jene Regionen zurückversetze und mir alles, was ich damals sah und fühlte, vergegenwärtige, dann ist es mir, als ob ich eine Verpflichtung übernommen hätte, der nachzukommen mir die innigste Freude gewährt, weil es gilt, die schöne, erhabene Natur in ihren verschiedenen Formen und Gestalten und die gewaltige, sie belebende Kraft preisend als treuergebener Schüler zu beschreiben. Fahre ich dann fort, ans Wunderbare grenzende Erlebnisse zu schildern und gefahrdrohende Momente in der Erzählung mit lebhaften Farben zu schmücken, dann geschieht es, um darzulegen, wie gegenüber einer alles umfassenden Macht der Mensch in ein ohnmächtiges Nichts zusammensinkt; sei es nun der Mensch im Scheinglanz eingebildeter Größe und Unfehlbarkeit oder der Mensch im Urzustand; der Mensch auf der höchsten Stufe des Eigendünkels oder der geknechtete Sklave mit systematisch verkrüppelten Geistesfähigkeiten. Spurlos verschwinden Nationen von der Erde, nur die Werke und Lehren wirklicher Weiser dürfen kühn neben die erhabensten Naturbauwerke hingestellt werden als langdauernde Denkmale dahingeschiedener wahrer Größen.

Die lebhafte Unterhaltung in unserem Zug war plötzlich verstummt, lautlos schritt jeder in der bunten Reihe von Menschen und Tieren dahin, krampfhaft hielt die rechte Hand die schwere Büchse umklammert, während die linke, die Augen beschattend, den Rand des Hutes niederzog und der Fuß vorsichtig den Boden prüfte, ehe er das Gewicht des Körpers auf sich nahm. Man vernahm nur das Klappern der Hufe auf dem festen Gestein und einzelne Stimmen, welche die Maultiere je nach Umständen aufmunterten oder beruhigten; und wenn dann ein verwitterter Felsblock unter der ungewohnten Last aus seinen Fugen wich, geräuschlos weite Räume durchmaß und zerschellend mit dumpfem Klang tief unten aufschlug, dann durchzuckte ein leises Beben die Brust, und man erblickte kräftige Männer, die zagend wie Kinder sich niederkauerten, um einen Anfall von Schwindel zu besiegen. Doch die Tiere drängten immer wieder von neuem an, und aufgestört wurde jeder, der sich einer kurzen Rast hinzugeben gedachte.

Nur zeitweise wagte ich zur Seite zu blicken, wo sich neben dem Pfad, dessen Breite zwischen drei und zwölf Zoll wechselte, der über tausend Fuß tiefe Abgrund öffnete; und schaute ich dann hinab, wo ziegelfarbiges Gestein durch die Entfernung wie mit einem violetten Hauch überzogen war, dann schienen die gegenüberliegenden Türme und Mauern sich zu beleben; mit träger Bewegung schoben sie sich aneinander vorbei, die Felsmassen aber, die zu meiner rechten Seite hoch übereinandergetürmt lagen, neigten sich drohend über mich hin, und es war dann die höchste Zeit, auf einige Sekunden die Augen zu schließen, um die gleichsam wankende Umgebung wieder zum Stehen zu bringen. Es war ein langer und ermüdender Weg, den wir auf diese Weise zurücklegten, doppelt ermüdend, weil die Sonne mit sengender Glut das Gestein erwärmte und dessen grell beleuchtete Farben zugleich das Auge blendeten. Mit einigem Neid beobachtete ich die schwerbepackten Maultiere, die mit unerschütterlicher Ruhe an den Abgründen hinkletterten und nur gelegentlich stillstanden, um mit gerecktem Hals und gespitzten Ohren in die Tiefe hinabzuschauen, wie um dieselbe mit den Augen zu messen. Obgleich wir von der Sicherheit der Maultiere mehr überzeugt sein mußten als von der eigenen, so wagte doch niemand, außer einigen Mexikanern, die in den Gebirgen von Sonora groß geworden waren, sich dem Sattel anzuvertrauen, und auf die Gefahr, hinuntergedrängt zu werden, suchte jeder nach besten Kräften seinen Platz in dem langen Zug zu behaupten.

Zwei Meilen hatten wir überwunden, als wir eine Art Plattform erreichten, an deren westlichem Ende zwischen zwei der erwähnten Türme der Pfad in die Schlucht hinabbog. Ich befand mich zufällig unter den vordersten, und im Zickzack an dem steilen Abhang hinkletternd, gelangten wir gegen achtzig Fuß tief hinab, wo wir uns aber von der Unmöglichkeit überzeugten, anders als mittels Stricken unsere Reise fortzusetzen. Der Befehl zur Umkehr wurde erteilt und nicht ohne Mühe die Reihe der Packtiere auf dem gewundenen Pfad wieder zur Plattform hinaufgetrieben, wo glücklicherweise der größte Teil der Expedition noch versammelt war. Loses Gestein und Felsblöcke rollten uns zwar vielfach entgegen, doch ohne Unfall faßten wir endlich wieder festen Fuß und ordneten uns zur Wanderung zurück an den Abgründen hin. Hatte sich das Auge schon etwas an den grausigen Anblick gewöhnt und wurden die Anfälle von Schwindel und Übelkeit etwas seltener, so hatte dafür die Ungeduld der durstenden Herde zugenommen, die, in der Meinung, zum Wasser zurückgetrieben zu werden, auf wahrhaft drohende Weise drängte und nachschob. Auch die Sehnen an den Knien begannen zu schmerzen und zu erschlaffen, und krampfhaftes Zittern zuckte in den Waden. – So war denn der Rückweg nicht weniger gefährlich als die Hinreise, und ich muß gestehen, daß eine Art Wonnegefühl mich beseelte, als ich, bei dem ersten Abgrund angekommen, den Fuß wieder auf festen Boden stellte und das letzte Tier, das einen Teil unserer Sammlungen trug, in Sicherheit sah.

Über unseren nächsten Plan entschied ein kleines mit Wasser angefülltes Felsenbassin, das wir von oben herab am Fuße der ersten Abstufung entdeckten und das für unser Personal und vielleicht für drei oder vier Tiere einen hinreichenden Vorrat auf mehrere Tage zu enthalten schien. Peacock und einige Mexikaner wurden zunächst mittels Stricken hinabgelassen; die leeren Gefäße folgten auf dieselbe Weise nach und wurden gefüllt wieder heraufgezogen; die zum Wassertransport bestimmten Tiere wurden getränkt, worauf wir mit der ganzen Expedition in der Schlucht weiter aufwärts eilten und nach einem Marsch von ungefähr zwei Meilen an geeigneter Stelle das Lager aufschlugen.

Da wir uns überzeugt hatten, daß bei einem erneuten Versuch, mehr von diesem wunderbaren Terrain kennenzulernen, die Tiere uns nur von wenig oder gar keinem Nutzen sein konnten, so wurde auf Peacocks Rat die ganze Herde, mit Ausnahme der getränkten Tiere, noch an demselben Abend an den See zurückgesandt. Wir waren nun schon über dreißig Meilen von jenem Punkt entfernt, weshalb die zum Schutz der Herde bestimmten Mexikaner den Auftrag erhielten, erst nach zwei Tagen wieder zu uns zu stoßen. Wir selbst beabsichtigten, während dieser Zeit unsere Forschungen nach besten Kräften zu Fuß auszudehnen, um entweder an den Colorado selbst hinabzugelangen, oder wenigstens von der Höhe aus einen Blick auf ihn zu gewinnen.

Ich unternahm noch vor Einbruch der Nacht einen kleinen Ausflug in nördlicher Richtung, doch geriet ich bald in ein solches Labyrinth von Schluchten, daß ich kaum wieder hinauszufinden vermochte. Mehrfach entdeckte ich feuchte Stellen, wo in neuerer Zeit Wasser gestanden hatte, doch deutete nicht die geringste Spur auf die Nähe einer Quelle, und nur einzelne ganz alte, kaum erkennbare Abdrücke von den Hufen flüchtiger Antilopen und Hirsche erblickte ich auf den Höhen. Selbst das Heulen der Kojoten vermißte ich zur nächtlichen Stunde – der sicherste Beweis, daß sich weder Eingeborene noch Wild auf viele Meilen im Umkreis befanden.

Am 13. April in aller Frühe verließ eine Rekognoszierungsabteilung das Lager, um noch einmal die Wanderung in die wilde Schlucht zu unternehmen. Die Gesellschaft bestand aus Lieutenant Ives, Dr. Newberry, Egloffstein, Peacock, Lieutenant Tipton und mir nebst sechs Soldaten. Wir waren alle wohlbewaffnet, mit Mundvorrat und Wasser auf vierundzwanzig Stunden versehen, und führten mit Rücksicht auf die Bodengestaltung auch noch lange Stricke und Leinen mit uns. Wir erreichten bald die bekannte Zisterne, und da eben einige Arbeiter und Soldaten damit beschäftigt waren, Wasser zum Bedarf der im Lager Zurückbleibenden heraufzuziehen, so benutzten wir diese Gelegenheit, unsere Feldflaschen frisch zu füllen und uns noch durch einen Trunk von dem schönen, klaren Wasser zu laben. Hier war es, wo Dr. Newberry und ich uns von der übrigen Gesellschaft trennten, um den Versuch zu wagen, der Schlucht gleich von Anfang an zu folgen. Leicht gelangten wir an Stricken zu dem Wasservorrat hinab, und während unsere Gefährten hoch über uns auf dem Felspfad dahinzuschweben schienen, drangen wir immer tiefer abwärts.

Fortwährend umgab uns auf unserem gleichsam unterirdischen Weg die interessanteste und großartigste Formation, denn überhängende Felswände, ausgewaschene Höhlen, herabgestürzte kolossale Blöcke und glattes Geröll reihten sich in einem so furchtbar wilden Chaos aneinander, daß wir vor Erstaunen oftmals kaum Worte zu finden vermochten. Bald an Abgründen hinkriechend, bald an Stricken uns niederlassend, rückten wir indessen allmählich weiter; wohltuende Kühle begünstigte uns bei der schweren Arbeit, und immer mehr gaben wir uns der Hoffnung hin, die geheimnisvolle Schlucht, in die nie ein menschlicher Fuß, auch nicht der eines Indianers, gedrungen war, bis zu ihrer Erweiterung erforschen zu können. Plötzlich aber hemmte ein Abgrund unsere Schritte, ein Abgrund, der über hundert Fuß tief hinabreichte und dem andere, kleinere und größere Abstufungen fast unmittelbar folgten. Wir schauten hinab, wir prüften die Seitenwände, die aus der schauerlichen Tiefe weit über unseren Standpunkt senkrecht hinausragten, wir maßen unsere Leinen, aber alles blieb vergebens, unsere Kräfte und unsere Mittel reichten nicht aus, derartige Hindernisse zu besiegen, und mit einem gewissen Widerstreben entschlossen wir uns endlich zur Rückkehr. Wir befanden uns bald wieder bei dem Wasservorrat, die Strickleiter hing noch da, und kurze Zeit darauf standen wir auf derselben Stelle, wo wir uns in der Frühe von unseren Gefährten getrennt hatten.


 << zurück weiter >>