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Siebzehntes Kapitel

Im Unterkunftshaus war nicht viel los. Die meisten Gäste waren schon zu Bett gegangen. Es schienen in dieser Nacht lauter seriöse Partien zu sein, lauter Frühaufsteher, Kletterer oder Langstreckenläufer. Es waren keine Hüttenhocker da, wie die Hüttenwirte sie sich wünschten. Und von den zwei Schwimmerinnen und Jauchzerinnen war nichts zu sehn.

In einer Ecke saß ein smarter junger Mann im Alter von neunzehn bis vierzig Jahren. Er schrieb Ansichtskarten und lächelte zuweilen geschmeichelt vor sich hin, wenn ihm ein originelles Bonmot gelungen war. Meistens aber sah er drein, als habe er die Welt durchschaut und als melancholischen Mist erkannt. Sein Pullover war kubisch gemustert, ein Magazingedicht in Lila und Gelb. Von Beruf war er, wie man auf den ersten Blick sah, entweder Friseur oder Vertreter, Vertreter von Motorrädern oder von Enthaarungscreme, oder ein erfolgreicher mondäner Schriftsteller, er konnte seinen Beruf nicht verleugnen.

Außer ihm war nur noch ein sächsisches Ehepaar mittleren Alters da. Das brach aber grade auf, um sich zur Ruhe zu begeben, als Xaver und Glenn die Veranda betraten. Es beguckte die zwei Ankömmlinge sehr interessiert. Es wäre wohl gern noch ein wenig geblieben, um sich mit ihnen über die Natur zu unterhalten. Aber es hatte bereits gezahlt und sich von seinem Tisch erhoben, nichts mehr zu machen. Man konnte nur noch sehn, daß der Mann Direktor war, Direktor einer Bar oder eines Bestattungsinstituts, ferner daß er sein Leben lang schwer geschuftet hatte und daher über eine unantastbare politische Gesinnung verfügte, entweder rechts oder links, im übrigen ein Liebhaber von englischen Manieren, Kaffee Hag und illustrierten Zeitungen. Von der Frau konnte man in diesen zwei Minuten nur sehn, daß die Liebkosungen ihres Gatten ihr weit zum Hals heraushingen. Unter der Tür sagte er zu ihr: »Siehste, das is nu das berühmte Hüddenläben.«

Und zu allem Unglück setzte sich sofort die Hüttenkellnerin an den Tisch der zwei Freunde und zeigte Xaver, mit dem sie gut bekannt war, die Stelle an ihrem Hals, die noch immer eiterte. Sie war im Frühling an einem Kropf, welcher nach innen gewachsen war, operiert worden, und die Narbe ging und ging nicht zu. Jawohl, wie man auf den ersten Blick sah, eiterte die Stelle unter dem schwarzsamtenen Halsband, das sie willig zurückschob, noch immer. Nicht mehr viel, höchstens zwei Zentimeter waren's noch, aber es eiterte.

Sie hieß Marie, Marie Jennerwein, gebürtig vom Jennerweinhof in der Riß. Die Fremden, die sie analysierten, kamen zu dem Resultat, sie wäre dreißig Jahre alt, herrlich blöd und naturverbunden, äußerst sinnlich und dennoch ihrem wilden Schatz treu; aber Xaver wußte, daß sie erst zweiundzwanzig Jahre zählte und ein eiskaltes Luder war. Den ganzen Tag mußte sie neben der Bedienerei und Einkassiererei mit ihrer Urwüchsigkeit hausieren gehn, um die Trinkgelder fett zu machen. Denn sie wollte im Herbst heiraten, einen Zigarettenladenbesitzer in Tölz, und es fehlte noch allerlei an der Aussteuer, die ihr Bräutigam verlangte. Die Nähmaschine fehlte noch, ein paar Spitzenkopfkissen und Morgenröcke, das Radio, das Büfett, das Geld für die Hochzeitsreise an die Riviera.

Ja, es war anstrengend, den ganzen Tag über, der Betrieb hier. Die Saison war gut, aber es war schwer verdientes Geld. Sie war als sehr grob berühmt, also mußte sie jetzt schon den vierten Sommer lang sehr grob mit den Touristen sein. Außerdem verlangte der Wirt, daß sie jeder kommenden Partie entgegenjauchzte, während sie jeder scheidenden Partie nachjauchzen mußte, dies allerdings nur, wenn's keine Knicker gewesen waren. Und wie oft hatte sie schon den »Auerhahn« und »Die Liebe im Saustall« vorgetragen? Hier, bei Xaver, konnte sie Mensch sein und ihren Hals zeigen. Sie war sehr abgekämpft heute abend. Der Aufbruch der Gäste geschah immer auf einen Schub – wenn ein Gast »Zahlen!« rief, dann wußte sie, daß in der nächsten Minute die ganze Veranda »Zahlen!« rief – soeben erst war sie mit der Abendkassa fertig geworden. Zudem war sie heute nicht wohl.

Sie hörten sich alles an, so teilnahmsvoll wie möglich. Sogar die zwei Gläser mit Rotwein tranken sie leer, obwohl dieser chemische Tiroler eine Sünde war nach Papa Fergus' reinem Burgunder. Dann gingen sie wieder, ohne die elegante Verbeugung des Motorradenthaarungscremeschriftstellers zu erwidern. Der Heimweg war schön, aber es war ein Reinfall gewesen. So war's immer im Leben der Menschen, sie hätten sich's denken können: der Weg war schön, das Ziel war Humbug.

Aber als sie am andern Morgen erwachten, waren sie bester Laune. Obwohl heute nicht seine Schicht war, hatte Glenn den Kaffee bereits gekocht, als Xaver herunterkam. Der hatte verschlafen. Die Sonne stand schon hoch. Der brasilianische Trank war bereits serviert, auf dem Tisch vor der Hütte, und duftete ihm lockend entgegen, als er verwuschelt angestolpert kam.

Sogar frische Butter und gekümmelten Topfenkäse hatte Glenn schon von der Alm geholt. Überhaupt, schwer war Glenn schon im Schwung, gewaschen und gekämmt und zähnegeputzt. Aber Xaver setzte sich zu ihm, so wie er war, und behauptete, daß nur Dilettanten an einem Rasttag Toilette machten und Zähne putzten. Die Kenner, sagte er, verunstalteten sich und ihren heiligen Dunstkreis vor einem Genuß, wie's dieser Kaffee war, unter keinen Umständen mit der lächerlichen Hygiene dieses männermordenden Jahrhunderts.

Dennoch war er damit einverstanden, daß sie sich nach dem Frühstück gegenseitig die Haare schnitten. Erstens war nicht ausgeschlossen, daß die zwei Schwimmerinnen und Jauchzerinnen doch noch einmal auftauchten; oder wenn nicht sie, ein paar andere weibliche Wesen; und mit den Frisuren, die sie jetzt trugen, waren ihre Chancen bei den Damen gleich Null. Zweitens gehörte sich dieser Schnitt vor der Nordwand sowieso, damit sie bei der heißen Arbeit im Fels nicht allzusehr schwitzten unter ihren skandalösen Pelzen. »Man trägt im Fels sehr wenig Pelz«, dichtete Xaver und begann bei Glenn mit der Prozedur.

Zuerst wollte er es auf die russische Manier machen. Danach nahm man einen Kochtopf, stülpte ihn dem andern über den Kopf und schnitt alle Haare weg, die über den Rand standen. Aber Glenn sagte, er würde ihm nachher das Haar in Jugendstilmustern und Mäandern schneiden, wenn er sich keine rechte Mühe gäbe. Tatsächlich war derjenige der Dumme, der den andern zuerst schnitt. Denn der zweite konnte ihn dann doppelt so fest zwicken und doppelt so schlecht schneiden.

»Au!« schrie Glenn immer wieder. »Sie dummer Hund, Sie dummer!« Es war eine ganz stumpfe Schere.

»Der Herr werden zufrieden sein«, sagte Xaver. »Lauter sehr schöne Treppen. Sehr bequem zum Hinaufsteigen.«

»Das kann ich mir denken.«

»Wenn der Herr wünschen, höre ich jetzt auf? Die eine Hälfte ist fertig. Gut. Schluß.« Er legte die Schere weg und setzte sich an den Kaffeetisch, als wäre seine Arbeit getan.

Glenn sagte kein Wort und blieb verbissen sitzen, bis sein Friseur von selber wiederkam und sich an die andere Seite machte. Aber als es fertig war, kam die Rache.

»Au!« schrie Xaver immer wieder. »Sie Narr, Sie sind ja wahnsinnig!« Die Schere schnitt jetzt überhaupt nicht mehr, es war das reinste Geflügelrupfen.

»Der Herr werden zufrieden sein«, sagte Glenn. »Ein sehr origineller Schnitt. In der Mitte kommt alles weg, über den Ohren bleibt alles dran, prima Eselschnitt.«

»So fühlt sich's auch an, Sie Schuft.«

»Ein Meisterwerk!« Es ging zu Ende. »Schampoon gefällig? Massage mit ein wenig Butter? Lavendel, Portugal, Birkenwasser? Gekümmelte Topfenkäspomade? Maniküre, Pediküre?«

»Scheißiküre«, sagte Xaver und versuchte im Spiegel zu sehn, ob er wirklich so schlimm verunstaltet war, wie es sich während des Schneidens angefühlt hatte.

Nein, es stellte sich heraus, daß das Werk sehr gut gelungen war, an den beiderseitigen Schädeln. Es waren keine Treppen zu entdecken. Xaver rasierte sich noch, während Glenn seinen Bart richtete, danach bearbeiteten sie sich gegenseitig noch ein wenig im Nacken, mit der kleinen Maschine, die Glenn zum Bartschneiden gebrauchte, danach konnten sie sich beglückwünschen: sie waren bereit, die Damen zu empfangen, die heroischen und die schwülen, die trockenen und die feuchten.

Tatsächlich, kurz vor dem Mittagessen, tauchten die zwei Schwimmerinnen und Jauchzerinnen wieder auf. Sie kamen vom Unterkunftshaus heruntergeschlenkert, Arm in Arm, obwohl das auf dem schmalen Weg nicht sehr bequem sein konnte – stoppten an dem Teich, berieten sich, blickten zur Alm herauf, da war aber nichts zu sehn, denn die zwei Männer beobachteten es von der Stube aus – warfen ihre Rucksäcke ab, entnahmen ihnen die Trikots, stiegen wieder zu dem keuschen Umziehfelsen empor.

Es war Glenns Sache, den Anschluß herzustellen. Erstens, behauptete er, war Xaver als Ehemann zu plump für diese Dinge. Ehemänner, vor allem glückliche Ehemänner, behauptete er, brächten infolge ihrer staatlich gesicherten Rückzugsstellung nicht den verzweifelten Kampfesmut auf, den die Weiber vorgespielt bekommen wollten. Und zweitens mußte Xaver den Lunch kochen. Er bekam den Auftrag, die doppelte Portion, als vorgesehn war, zu bereiten, auf alle Fälle. Und er sollte es zudem einen Prunk- und Teufelslunch werden lassen: mit starkem erotischem Einschlag am Salat, mit viel Seele am Reis und der Tomatensauce, mit schwerem sex-appeal an den Frankfurter Würstchen.

Es war ein sehr einfacher Trick. Nachdem man mit dem Zeißglas noch einmal nachgeprüft hatte, ob alles stimmte – ob es auch wirklich so frische Dinger waren, wie's nach der gestrigen Schwimmerei und Jauchzern geschienen hatte, und keine abgelagerte Charkuterieware, kein altes Plüsch oder Barchent, keine tote Kunstseideproduktion – und siehe, die Prüfung verlief gut, ja, es waren zwei lebendige Wesen, mit frischen, gebräunten Gesichtern, die Größere schwarzhaarig, die Kleinere rötlichbraun –, da schob Glenn los und nahm als Köder mit: erstens die riesige Korbflasche mit Kölnischem Wasser, die sie sich bei ihrem Einzug in ihre Räuberhöhle spendiert hatten, und aus der sie sich nach ihren Kletterfahrten wuschen, es war nicht mehr viel drin, aber die Verpackung wirkte pompös – zweitens ein frisches Frottiertuch mit aparten gelben Streifen – drittens Xavers dicke englische Badeseife mit dem bestrickenden Verbenaduft – und viertens, auf dem blau emaillierten Almteller mit der altmodischen Lokomotive im Grund, zwei Butterbrote, belegt mit Brunnenkresse. Mit all dem beladen, stapfte er zum Teich hinab, ohne nach rechts oder links zu sehn. Zwischen den zwei Rucksäcken am Teichrand stellte er den Köder ab, ohne die Nixen – sie steckten gerade mitten im Becken und hielten betroffen im Kreischen und Spritzen inne – eines Blickes zu würdigen. Danach kam er wieder zur Alm heraufgestapft, als wäre nichts geschehn.

»Sie sind aber wirklich eine kitschige Sau«, begrüßte ihn Xaver.

»Mein Gott«, erwiderte er und zuckte die Achseln, »die Weiber wollen es nicht anders. Bedanken Sie sich gefälligst bei unsrer Weiberliteratur dafür, nicht bei mir. Was nicht in einem von den Büchern stehn könnte, welche den Weibern von unsrer Halben-Männer-halben-Weiberepoche geliefert werden, das zählt nicht bei ihnen.«

»Ich denke, es ist zu Ende mit der Halben-Männer-halben-Weiberepoche?« sagte Xaver.

»Ist es auch«, sagte Glenn und sah dabei gespannt auf den Teich und auf den Köder hinunter. »Aber die Weiber wissen es noch nicht. Und die literarischen Lakaien der Weiber wissen es auch noch nicht, weder die halbseidenen noch die ganz feinen – da, was hab ich gesagt? Bitte?«

Tatsächlich schien man dort drunten anzubeißen. Man stieg aus dem Wasser und begrüßte die Bescherung mit einem Lachen, das sehr verheißungsvoll zur Alm heraufklang. Der Köder wurde angenommen. Es bestand jetzt nur noch die Gefahr, daß der Trick nicht anders als mit einem spröden, von drunten heraufgerufenen Dankeschön quittiert würde, und daß die Mädchen abdampften, indem sie das Handtuch und den Teller einfach am Teichrand liegenließen, nachdem sie sich bedient hatten.

Aber nein, sie kamen den Weg zur Alm heraufspaziert, nachdem sie sich umgezogen hatten und für bange fünf Minuten außer Sicht geraten waren. Die eine trug das Handtuch, die andre trug den leer gegessenen Teller.

»Besten Dank!« sagte die Schwarze lachend, während die Rötlichbraune verträumte Augen machte.

»Ich bin nämlich der Bademeister hier«, sagte Glenn, »ich bin verantwortlich für das Wohl meiner Badegäste.«

»So«, sagte die Schwarze schnippisch, aber die andere schwieg noch immer und versuchte mit frommem Glotzen herauszufinden, was für Gesellen das hier wohl wären. »Und der da ist der zweite Bademeister?« fragte die Schwarze und deutete auf Xaver.

Xaver lachte ein ziemlich blödes Lachen, aber Glenn sagte: »Nein, das ist der Koch – marsch, geh an die Arbeit, du, du bist ja ein feiner Koch, wegen dieser zwei krummhachsigen Bankiersgattinnen brauchst du nicht meinen Lunch anbrennen zu lassen.«

Die Mädchen brachen in entrüstetes Gelächter aus, und Xaver verschwand mit breitem Grinsen in der Hütte. Aber Glenn hatte auch hier wieder den richtigen Köder zu legen verstanden. Sie waren weder krummbeinig, noch verheiratet, noch aus der Bankbranche, das sah man. Also mußte man ihnen Gelegenheit geben, ihren schönen Wuchs, ihre innere und äußere Freiheit, ihre Seelenhaftigkeit jenseits der Bankbranche zu beweisen. Damit bekam man sie am schnellsten an die Angel. Denn die Weiber jener Epoche, zwar hatten sie die Macht erlangt und die Männchen zu ihren Lakaien erniedrigt, aber sie fühlten sich nicht wohl dabei, es war keine in sich selbst beruhende Macht, es mußte immer wieder bewiesen werden.

Als Xaver eine Stunde später das Essen auftrug, war das Abenteuer schon angekurbelt. Es waren zwei Studentinnen. Die Schwarze studierte Medizin und hieß Emmi Riemann. Die Rötlichbraune studierte alles mögliche Zeug durcheinander, Kunstgeschichte, Physik, Sprachen, sie hatte sich noch nicht für ein bestimmtes Fach entschieden, sie nahm auch Tanzunterricht, und es war nicht ausgeschlossen, daß sie Tänzerin würde, Lena Mendel war ihr Name. Schließlich akzeptierten sie die Einladung zum Mittagessen, behaupteten aber, sofort nach dem Essen abmarschieren zu müssen. Sie wollten unbedingt vor Abgang des letzten Zuges die Talstation erreichen, denn sie würden in München am Zug erwartet. Von wem? Von zwei Liebhabern natürlich? Erraten, Bademeister, just so war's.

Das Essen fand großen Beifall. Xaver wurde als ein neuer Brillat-Savarin gefeiert. Vor allem Glenn, der doch sonst immer seine eigene Kochkunst herausstrich und Xavers Gerichte beschimpfte, konnte sich nicht genug tun in Lob und Dank. Aber Xaver fühlte ganz genau, daß es nur aus Mitleid geschah: er war, im Gegensatz zu Glenn, sehr täppisch mit den Damen und bekam keinen rechten Kontakt mit ihnen. Er machte eine unglückliche Figur bei dieser Flirterei, darüber war er sich selber klar.

Als die zwei Mädchen in der Hütte verschwanden – sie übernahmen das Spülen und den großen Familienkaffee, zu dem sie sich hatten überreden lassen –, zog Glenn seinen Freund ein paar Schritte seitwärts, hockte sich mit ihm ins Gras und begann den Kriegsplan durchzuflüstern. »Was machen wir mit ihnen?« fing er an.

»Ich weiß nicht«, sagte Xaver. Es klang ein wenig verzweifelt.

»Es sind zwei appetitliche Dingerchen«, flüsterte Glenn. »Oder? Gefallen sie dir nicht?«

»Doch«, flüsterte Xaver zurück. »Gutes Material.«

»Wollen wir sie über Nacht dabehalten?«

»Sie werden es nicht tun.«

»Ja, sie werden es tun.«

»Aber sie werden doch am letzten Zug in München erwartet?«

»Trotzdem werden sie's tun«, flüsterte Glenn mit großer Sicherheit, »sie werden ihre zwei Bräutigame sitzenlassen, sie werden irgendeine Ausrede finden und den ersten Morgenzug nehmen, morgen früh, du kennst die Weiber nicht.«

»Glaubst du?« Es klang ziemlich erschrocken.

»Ja, das werden sie tun, wenn wir's wollen«, flüsterte Glenn, »sie haben es gespürt.«

»Was haben sie gespürt?«

»Daß hier eine andere Welt ist, eine neue Welt, eine Männerwelt. Das hat sie fasziniert, das fasziniert alle Weiber, die noch einen Tropfen gutes Blut in sich haben. Sie werden's tun, glaub's mir nur.«

Xaver schwieg. Er fühlte, daß ihm die Schweißtropfen die Stirn herunterrannen. Er kam sich sehr lächerlich vor. Niemals sonst sprach Glenn von »einer andern Welt, einer Männerwelt«; er hätte sich zu andern Zeiten lieber die Zunge angebissen, als diese krassen Worte auszusprechen. Es stimmte – es war so, wie er sagte –, und die Weiber hatten es gespürt und würden willig sein – aber die Worte darüber waren mörderisch, das wußte Glenn genau so gut wie er selbst. Und das »Du«, das sie fast nie gebrauchten, und das jetzt so eindringlich klang? Ja, Glenn wollte ihn überreden, Glenn bot alle Mittel auf, ihn zu dem Abenteuer zu verführen. Und es war plötzlich eine lächerliche Grenze zwischen dem verheirateten und dem ledigen Mann gezogen. Der Teufel sollte die zwei Schwimmerinnen und Jauchzerinnen holen und Glenns Geilheit dazu!

Aus der Hütte klang helles Lachen. Sie hatten irgendein Almgeschirr entdeckt, das ihnen komisch vorkam, sicherlich das emaillierte Kaffeeservice mit den Rosen und Gemsen, welches schon seit hundert Jahren seinen Dienst auf dieser Alm tat. »Daß mir ordentlich gespült wird!« rief Glenn hinein. »Es wird genau kontrolliert werden. Mit kaltem Wasser gut nachspülen! Und fest abtrocknen!« Dann wandte er sich, ohne auf die Antwort der Mädchen zu hören, wieder Xaver zu. »Ist es möglich, daß Terese heute kommt?« fragte er.

»Ausgeschlossen«, sagte Xaver, »heute kommt ihr Bruder an. Und wenn er nicht ankäme, käme sie auch nicht, ohne sich anzumelden. Was du da meinst, ist Blödsinn, mein lieber Freund.«

»Ist es nicht wegen ihr?«

»Ach, red doch nicht solchen Blödsinn.«

Aber Glenn wollte wissen, woran er war, und ließ nicht locker. »Hast du sie noch nie betrogen?« flüsterte er.

»Betrogen!« sagte Xaver ärgerlich. »Du Affe, was heißt denn betrogen?« Er sprach so laut, daß der andere »Pscht!« machen mußte. »Ich kann tun und lassen, was ich will, das weiß sie so gut wie ich.«

»Das sagt ihr Eheleute so«, erwiderte Glenn, »das kenne ich. Hinterher gibt's dann doch die berühmten Tragödien und Knackse.« Er lachte ein hämisches Lachen.

»Was weißt denn du davon, du armer Tropf«, sagte Xaver. »Ein Mann ohne Kinder weiß überhaupt nichts vom Leben.«

»So? Was hat denn das mit den Kindern zu tun?«

»Allerlei«, sagte Xaver. Und: »Ich hab sie noch nicht betrogen, nein«, sagte er nach einer kleinen Pause, »und ich hatte auch noch keine Lust dazu. Wenn ich Lust hab, tu ich's. Wenn ich keine Lust habe, laß ich's. Aber wenn ich's tu, wird es kein Betrug sein.«

»Aha«, meckerte Glenn, »dann kommt also hinterher die Bubibeichte im alles verstehenden Mutterschoß?«

»Nein«, sagte Xaver ernst, »sie will es gar nicht wissen, und sie braucht es nicht zu wissen. Sie ist eine richtige Frau, die dem Mann das Geheimnis, das er haben will oder haben muß, von Herzen gönnt – du hast keinen Dunst von ihr, scheint mir.«

»Doch«, sagte Glenn in ehrlichem Ton und gab ihm die Hand, »sie ist richtig, Terese ist richtig. Lassen wir es sein, ihr zur Ehre! Schicken wir die zwei Hürchen wieder weg.«

»Nein«, sagte Xaver, »wir behalten sie da. Das hat mit Terese nichts zu tun, das geht nur uns zwei an.«

Glenn riß sich einen Sauerklee ab und steckte ihn zwischen die Zähne. Xaver machte es mechanisch nach und steckte sich auch ein Gras in den Mund. So hockten sie schweigend da, bis aus der Hütte die Rufe kamen, welche den Kaffee ankündigten.

»Also abgemacht«, sagte Xaver schnell, »wenn's geht und wenn wir wirklich Lust haben, behalten wir sie da.«

»Nein«, sagte Glenn. »Ich will nicht, daß du dich für mich aufopferst, ausgeschlossen. Nur keine Heldentaten, bitte schön.«

Die beiden Mädchen kamen mit dem Kaffeegeschirr vor die Tür. Wie zwei helle fremde Tiere standen sie in ihren leichten Sommerkleidern vor dem geschwärzten Gebälk der Alm.

Xaver sah auf sie und bekam plötzlich das gleiche Gefühl ins Blut wie sein Freund. »Doch, doch«, flüsterte er und tauschte einen besoffenen Blick mit Glenn aus. »Welche du, welche ich?«

»Das wird sich historisch entwickeln«, sagte Glenn so laut, daß die Mädchen es hören mußten, und sprang auf.

»Was wird sich historisch entwickeln?« rief die Schwarze drohend.

»Ob's ein Kaffee oder ein Spülwasser geworden ist«, sagte Glenn und trat, Xaver am Arm mit sich führend, an den Tisch.

Die Verzauberung begann. Jetzt war auch Xaver bei der Sache. Es ergab sich bei dem Bummel, den sie nach dem Kaffee unternahmen – es sollte der Abschiedsbummel sein, gemäß dem Plan der Mädchen –, daß er an die Kleinere, die rötlichbraune Lena Mendel, geriet, während Glenn mit Emmi Riemann, die einen halben Kopf größer war als er, das Paar bildete.

Indessen, war in dieser allzu grell beleuchteten Menschenwelt, wenn auch für kurze Stunden nur, erst einmal die Verzauberung gelungen, dann sah sich alles anders an. Die Mädchen wußten nicht, wohin mit sich. Sie gingen mit der Mode ihrer Zeit, studierten allerlei und hatten gute Freunde, brutale, sentimentale, arme, reiche, und suchten sich aus Büchern und Gemälden, Zeitungen und Magazinen den Lebensstil zusammen, der stetig wechselte, wie von Furien gehetzt – jedoch sie wußten nicht, wohin mit sich, bei all dem Trubel.

Lena Mendel war in sämtlichen Dingen ein wenig zu klein geraten. Die Füßchen waren zu zierlich, die Händchen waren zu kindisch, die Nase war nicht sehr rassig, ihre Antworten und Begeisterungsausbrüche und melancholischen Anwandlungen aber – wie bei allen Frauen angepaßt dem Wuchs – waren zu wenig selbstbewußt, zu bittend und bettelnd, zu babyhaft. Aber wenn man die fremden Schichten ihres Daseins freundlich abblätterte, konnte man auch in ihrem Gesicht etwas anderes, etwas tief Vertrautes finden, in dem rein geschwungenen Mund und den willigen braunen Augenlichtern. Der Tanzunterricht hatte ihr gut getan: wenn sie über einen Strauch oder einen Felsen sprang, waren alle Gespenster, die sie sonst befallen mochten, abgetan, samt der etwas zu kurz geratenen Melancholie. Hart und tierisch spannte es sich dann, lockend unter dem hellen Rock.

Emmi Riemann war die simplere Gestalt. Sie war magerer und skrupelloser als die Freundin. Sie war's auch, die mit den beiden Männern von Ladiz diesen Anschluß hergestellt und festgehalten hatte, Lena Mendel hätte nichts ohne sie gewagt. Oftmals klang es böse, wenn sie lachte, nach der Machtwut und der Rachsucht einer kalten amerikanischen Amazone. Doch das war nur Maske, Mode, Bluff. Ihre braune Haut war noch gesund, noch voller Nerven, und wenn man sie an sich preßte, strömte noch der süße Strom der alten europäischen Minne.

Arme Weiber, arme Luder! Eine Bürde trugen sie, die nicht zu tragen war. Von der Sklaverei an Herd und Wiege waren sie befreit, dafür sollten sie jetzt plötzlich das Gebälk des ganzen Hauses auf den zarten Schultern tragen, weil der Herr des Hauses schwach geworden war. Ihre Mütter schon, angehimmelt seit Jahrhunderten, hatten ihn verloren, den geweihten Boden dieser Erde: die schon hatten es verlernt, die Erde wollüstig zu stampfen oder, selig auf ihr niederhockend, ihre Kinder zu gebären. Sie jedoch, erst gleichberechtigt mit den Männern, dann in führender Stellung über ihnen, schließlich richtig an der Macht: was denn hatten sie gewonnen? Nichts. Nur das eine, daß sie ständig sich und ihre Macht behaupten und beweisen mußten, und die Ruhe war dahin, nach der ihr Schoß und ihre Ungeborenen verlangten. Sie bekamen keine Prügel mehr, o nein, nur noch Schokolade, Blechmaschinen, Seidenstrümpfchen, doch dafür auch keine Männer mehr, nur noch Bubis und Maschinensklaven und Geschäftemacher. Arme süße Luder, Lena und Emmi, auch sie. Doch sie taten es, sie blieben über Nacht.


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