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8.

Der Major saß am Morgen bei seinem Kaffee, rauchte aus einer ungeheuer langen Pfeife, welche über den ganzen Tisch reichte, und las die Zeitung mit aller Andacht und aller Anstrengung eines Invaliden, das heißt indem er die gesammte Politik mit Verachtung kaum ansah, dagegen aber nach Nachrichten umhersuchte, welche nur für einen alten Soldaten Interesse haben konnten, insofern sie Befehle des Landesherrn für das Heer, oder Beförderungen, Paraden und Inspectionen betrafen; hierauf blickte er in die Todtenliste, ob nicht etwa ein alter Kamerad ins große Hauptquartier abgerufen sei, und endlich sah er die Verlobungs- und Hochzeitsanzeigen an, lachte vor sich bin, legte die Zeitung fort, blickte nach der Seitenthür, schüttelte den Kopf und nahm das Blatt wieder auf, um mit einem halblauten derben Fluche auf die verdammten Zeitungschreiber und ihre kleinen schmierigen Buchstaben seine Augen zu wischen und weiter zu lesen.

Plötzlich aber hielt er das Druckpapier starr vor sich ausgestreckt, schaute links und rechts, und wieder geradeaus, las und las, bis er den Pfeifenkopf nahm, auf den Tisch pochte und nach seinem Neffen schrie.

Wach' auf, wenn Du noch in den Federn liegst! rief er, hier ist eine schöne Neuigkeit für Dich.

Richard öffnete die Thür, er war vollständig angekleidet und hielt eine Feder in der Hand.

Alle Wetter! sagte der Invalide, Du schläfst also nicht?

Nein, ich schreibe seit zwei Stunden. Aber, was giebt es, Onkel?

Was so ein Zeitungsschreiber nicht Alles weiß! antwortete der Major halb ärgerlich, halb wohlgefällig. Was so ein Kerl nicht Alles ausplaudert, wohin er nicht seine Nase steckt! Wenn ich zu befehlen hätte, ich wollte den Rackern auf die Köpfe fahren; ich wollte ihnen zeigen, was es heißt die Mäuler halten.

Aber, lieber Onkel, sagte Richard lachend, dann wäre es ja überhaupt mit den Zeitungen vorbei.

Würde auch nichts schaden! brummte der alte Soldat. Zu meiner Zeit erschien die Zeitung zweimal in der Woche, und eine gab es nur. Jetzt hat jedes Nest sein Blättchen, und durch die langen Bogen kommt ein ehrlicher Mann nicht mehr durch. Als ob kein Mensch mehr was Anderes und Besseres zu thun hätte, als Zeitungen lesen.

Nun, was ist das? fragte der junge Mann als der Major ihm das Zeitungsblatt hinhielt und mit dem Finger auf eine Stelle tippte. – Ein Artikel über mich. Das ist interessant!

»Unser Landsmann, Richard Steinau – aus Mexico zurückgekehrt – der eine vortreffliche Schrift herausgegeben, die von der Akademie in London gekrönt und jetzt übersetzt worden ist – hält sich gegenwärtig in der Nähe bei seinem Oheim, einem verdienten Offizier, auf.«

Höre Einer! schrie der alte Soldat dazwischen; was wissen denn solche Tintenklexer von meinen Verdiensten?!

Richard nickte lächelnd, ließ sich jedoch nicht stören.

»Ein so wissenschaftlich gebildeter, und zugleich praktisch erprobter Bergmann sollte dem Staate erhalten bleiben – könnte die größten Dienste leisten. – Das schwierige Feld des Bergbaues bedarf bei aller Anerkennung der Verdienste vieler trefflicher Beamten jedenfalls der Reform, und wie wir zu unserer größten Freude hören, ist begründete Hoffnung vorhanden, den ausgezeichneten Forscher (er verbeugte sich) trotz der vortheilhaftesten Anerbietungen der englisch-mexicanischen Bergwerks-Compagnie an die Heimath zu fesseln.«

Ganz vortrefflich! sagte Richard. Wer mag das geschrieben haben?

Wer kann wissen, antwortete der alte Soldat, welcher Wind den Burschen so etwas zuweht.

Der junge Bergmann legte das Blatt nieder und setzte sich an den Frühstückstisch, indem er eine Tasse nahm und sich einschenkte.

Ich bin eben dabei, sagte er, an meine Abreise zu denken. Ich habe nach London geschrieben, daß ich komme; in einigen Tagen, morgen oder übermorgen muß ich reisen.

Der Invalide ließ die Bernsteinspitze der Pfeife aus dem Munde fallen und sah seinen Neffen betroffen an.

Reisen? fragte er. Was soll das heißen?

Was es heißen soll, Onkel? erwiederte Richard aufblickend, daß die Tamboure Generalmarsch schlagen und jeder Mann seinen Tornister packt.

Der alte Soldat stopfte mit dem Finger den Taback zusammen, ehe er antwortete, und that dann noch einige kräftige Züge, um sich völlig zu erholen.

Nun, sagte er gefaßt, wird es Dir denn so leicht, Richard, den alten steifen Onkel zu verlassen? Ah, bah! daran ist freilich wenig gelegen. Ich bin kein altes Weib, das nachheult, wenn sein Kind abmarschirt; kann mich auch ohne Dich in mein Grab legen lassen, es werden sich schon Hände dazu finden, aber – Kreuz Element! ist es denn nicht wahr, was die Tintenklexer da geschrieben haben, giebt es kein Band, das Dich an die Heimath fesseln könnte?

Richard brach sein Brot und schwieg.

Antworte! rief der Major. Giebt es kein Herz, keine Hand, kein Gesicht, kein Weib, nenn's wie Du es willst, was Dich hier fest hielte?

Nein, sagte Richard.

Nein? Nun denn so so geh zu den Juden und Türken! brummte der Invalide, der sich wild in den Stuhl zurückwarf. Es ist nicht wahr! schrie er im nächsten Augenblick wieder auffahrend, ich habe es mit meinen Augen gesehen, wir alle haben es gesehen und haben darauf unsere Pläne gebaut. Treibe keinen Scherz mit mir, Richard; sage mir aufrichtig: Liebst Du die Rosa, den Engel, das liebe Herzenskind denn nicht?

Ja, Onkel.

Also, Du Narr! Also, Du Herzensjunge, also mußt Du bleiben!

Also muß ich gehen, Onkel.

O – oh! schrie der alte Mann die Faust ballend, denkst Du, sie liebt Dich nicht?

Richard zögerte.

Nicht so, daß sie mit mir gehen möchte oder könnte, sagte er dann.

Möchte, könnte, wollte, was zum Henker! sie soll auch nicht mit Dir gehen und Du sollst sie nicht verlassen. Wir wollen Dich hier behalten, es sind alle Anstalten getroffen worden, daß Du es mit Ehren kannst. – O! Gerichtsdirector, Freund, Sie kommen zu rechter Zeit, schrie er nach der Thür hin, die sich knarrend aufthat. Stellen Sie sich vor, was er will. Fort und davon will er, aber nicht von der Stelle soll er!

Der Gerichtsdirector war hereingetreten, er hielt das Zeitungsblatt in der einen Hand und reichte die andere dem alten Soldaten.

Ich bin gekommen, sagte er, um zu fragen, ob Sie den Artikel hier schon aufgefunden haben; wenn es aber so steht, wie Sie berichten, wird es wohl nöthig sein etwas mehr zu thun, und mit unserem jungen Heißsporn ein aufrichtiges Wort zu sprechen.

Grade heraus! Recht so! antwortete der Major. Er scheint mir ohnehin schon Verdacht zu haben, daß das geschriebene Zeug da aus einer verdeckten Batterie losgeschossen worden ist.

Herr Richard hat vielleicht nicht Unrecht, fiel Zeltwach lächelnd ein, allein die Batterie ist jedenfalls eine befreundete und ihre Geschosse sind von der Art, daß sie nicht durchbohren, sondern vorbereitend aufbauen, so daß man an ihnen merken kann, woher sie kommen und was sie beabsichtigen.

Sie wissen also darum? fragte der junge Bergmann.

Ich weiß nicht, aber ich errathe etwas, sagte der Gerichtsdirector. Lieber Steinau, fuhr er fort, warum sollen wir Ihnen länger verhehlen, daß wir eine Verschwörung gegen Sie anzettelten, doch nur eine von Liebe und Freundschaft erzeugte? Sie sollen Alles wissen, denn diese Zeitung beweist mir, daß wir gewonnen haben. Der Forstmeister hat an seinen erhabenen Gönner geschrieben. –

Der Gerichtsdirector hat den Brief entworfen! fiel der alte Soldat ein.

Bruchen bat nie in seinem Leben um eine Gnade, fuhr Zeltwach fort, jetzt bat er um eine ehrenvolle Stellung für den Gatten seiner Enkelin, und da in diesem Zeitungsartikel Worte und Wendungen erwähnt sind, die in jenem Briefe Platz fanden, so geht daraus hervor, daß er benutzt worden ist, um die öffentliche Meinung oder die Meinung der Betheiligten auf etwas vorzubereiten, was in außergewöhnlicher Weise geschehen soll. Ich weiß, wie man es in solchen Fällen macht, fuhr er fort. Die schlichte Redlichkeit des alten Fürsten sträubt sich etwas zu thun, was gegen den herkömmlichen Gang der Einrichtungen streitet. Das Uhrwerk dieses Staatswesens mit seinem großen Beamtenthum, das in dem Dienstaltersrecht seine Sicherheit findet, soll nicht durchbrochen werden, wenn nicht etwas Außerordentliches die Abweichung entschuldigt. Der Fürst hat ohne Zweifel die Bitte bewilligt, aber er rechtfertigt sich durch Hinweisung auf besonderes, seltenes Verdienst und beruhigt damit, daß so etwas nur selten vorkommen könne. Ich bin überzeugt, die Antwort für Sie ist unter Weges oder Bruchen hat sie schon und – lieber, theurer Steinau, es steht Ihnen nichts mehr im Wege Ihr Glück zu befestigen.

Richard hörte diese Mittheilung ohne sichtbare Bewegung an.

Ich danke Ihnen für alle diese Güte, sagte er, aber wenn der Erfolg wirklich so ist, wie Sie glauben, wird es mir wahrhaften Schmerz verursachen; denn ich werde keine Gnade annehmen, und der Forstmeister wird in Kummer und Verlegenheit gerathen.

Wie! Sie wollten eine ehrenvolle Stellung ausschlagen?! rief Zeltwach.

Jede, auch die höchste, antwortete Richard, denn ich würde nach allen Seiten hin Unrecht thun. Unrecht gegen mich und Unrecht gegen Andere.

Aber das ist Exaltation, das ist Starrsinn! sagte der Gerichtsdirector.

Nein, es ist meine Ueberzeugung, war Richards Antwort. Gutes und Bedeutendes vermag ich hier nicht zu wirken. Ich würde in eurem Staatsdienst nichts weiter sein, als ein neuer Stift zu den zahllosen Stiften, welche die Räder des bureaukratischen Getriebes in Bewegung erhalten. Glauben Sie mir, ich passe nicht dazu, ich kann das nicht. Ich würde in dem großen Strome mich eben so abarbeiten, ermatten und untergehen, wie viele rüstige Geister schon untergingen. Ich will durchführen, was ich als gut erkenne; will nicht nach Rescripten und Befehlen hoher Vorgesetzten mein besseres Wissen unterdrücken lassen. Ich will meine Kräfte anwenden, dazu muß ich Freiheit haben; ich passe nicht in dies ganze Wesen büreaukratischer Verwaltung und Ordnung, und dieß paßt nicht zu mir. Es würde mich lähmen, würde mich vernichten, in kurzer Zeit würde es mir unerträglich sein und mich würde man unerträglich finden.

Der Gerichtsdirector war jetzt eben so still, als Steinau vorher. Es war etwas in seinen Augen und Mienen, was Richards Gründen beizupflichten schien, und doch war er sehr bewegt und bekümmert.

Haben Sie auch bedacht, was daran hängt, fragte er halblaut, wenn Sie darauf beharren?

Ja, mein gütiger, mein edler Freund! versetzte der junge Mann seine Hand ausstreckend, ich habe Alles bedacht und weiß, was ich verlieren muß.

Der alte Soldat hatte bisher sich nicht eingemischt. Er stützte den grauen Kopf in seine Hand und faßte dann und wann an seinen weißen Bart.

Also zu den Wilden willst Du, dahin zieht es Dich! rief er jetzt mit Bitterkeit. Das Vaterland hast Du aus Deinem Herzen gerissen sammt Allem, was dazu gehört. Richard! Richard! es wird Dir leid werden. Arme Rosa! murmelte er dann vor sich hin, arme Rosa!

Steinau schien diese letzte Anrufung nicht hören zu wollen und doch erhielten seine Augen einen helleren Glanz. Er unterdrückte gewaltsam, was er empfand, und sagte mit äußerster Ruhe:

Zu den Wilden zieht es mich nicht, aber fort will ich, aus einem Welttheile, wo die Völker und Staaten im Untergehen begriffen sind und keine Zukunft haben.

Element! schrie der Invalide zornig auf, willst Du uns sagen, daß wir rückwärts gehen, wie die Krebse?

Ja, das will ich sagen, antwortete Richard, wenigstens scheint es mir so. Daß ich kein Staatsbeamter, kein Fürstendiener sein kann, wird Dir einleuchten.

Fürstendiener! sagte der Major sich aufrichtend, soll das eine Beleidigung sein? Wisse, junger Mensch, daß ich seit fünfzig Jahren ein Fürstendiener bin, mit Leben und Blut, mit Ehre und gutem Namen, und daß ich Gott dafür preise und danke, meinem hohen Herrn in Treue gedient zu haben.

Wie sollte ich Dich beleidigen wollen, erwiederte Richard sanft, da ich doch Niemanden habe, den ich mehr achtete und ehrte! Aber Du siehst wohl, mein guter Onkel, daß ich gehen muß. Sage mir nichts mehr, es muß so sein. Ich habe die Verhältnisse geprüft und bin zu dem Entschlusse gekommen, entweder Alles zu gewinnen, oder Alles zu verlieren; die Liebe aus meinem Herzen zu reißen, oder mit der Geliebten dahin zu ziehen, wo ich weiß, daß ich sie glücklich machen kann und daß sie glücklich sein wird. Und das ist mein fester, unabänderlicher Wille, fügte er im bestimmtesten Tone hinzu. Dringe nicht weiter in mich, ich bitte Dich. Bester, theurer Onkel, wollte Gott, ich könnte bei Dir sein bis zur letzten Stunde.

Ich glaube es nicht, Richard! Ich glaube es doch nicht! murmelte der alte Soldat kopfschüttelnd. – Sprecht ein Wort, alter Freund, Gerichtsdirector, sagt es ihm, daß er Unrecht hat, daß er hier bleiben muß.

Der alte Richter hob sein ernstes Gesicht auf und sagte langsam:

Er muß es doch am besten wissen. Kann er nicht bleiben, so ist die letzte Frage, ob er allein gehen muß, und über diese kann Rosa nur entscheiden.

Der alte Jäger des Forstmeisters steckte eben sein ehrliches Gesicht zur Thür herein, klopfte aber dabei zu gleicher Zeit an und stolperte über die Schwelle.

Einen schönen Gruß von meinem Herrn, bestellte er, und wenns sein könnte, möchten der Herr Major und allesammt doch gleich zu uns herauskommen, weil eine wichtige frohe Nachricht angelangt ist.

Was ist es denn, Christian? fragte der Major.

Ein großes Schreiben, antwortete der Jäger, mit einem schlauen Winke auf Richard, vor einer Viertelstunde ist es mit einem Courier gekommen.

Es ist richtig, sagte Zeltwach, als der Bote fort war. Es ist die Antwort aus dem Cabinet.

Und angenommen von Sr. Majestät, in Gnaden angenommen! schrie der alte Soldat. Es muß geschehen, Richard, es läßt sich nicht zurückweisen.

Wer heißt Euch denn, mich verhandeln? fragte der junge Mann. Wer heißt Euch meine Liebe zu einem Geschäft machen, ohne zu fragen, ob ich den Kaufpreis dafür bezahlen will?

O, Du Narr! rief der Major zornig. Als ob's ein Unglück wäre, ein schönes Amt und eine schöne Frau zugleich zu bekommen; als ob's ein Unglück wäre, Rath oder Geheimrath zu werden! Hätte die Rosa mich ein einziges Mal so angesehen, wie sie es hundert Male und gestern Abend noch Dir gethan hat, ich wäre ein Mohr oder ein Tambour geworden, wenn ich sie dafür hätte haben können.

Richard wandte sich schweigend ab.

Sie werden uns doch begleiten? fragte der Gerichtsdirector.

Gewiß, erwiederte er; was es auch kosten mag, ich will mein Schicksal nicht aufhalten.

Nach wenigen Minuten gingen sie und während des kurzen Weges mochte Niemand wieder einen neuen Sturm auf den eigensinnigen Menschen versuchen, der sein Glück mit Gewalt von sich stieß. Erst als das Forsthaus unter den alten Bäumen hervorragte, die von einem plötzlichen Sonnenblitz beleuchtet wurden, und der Gerichtsdirector rascher voranging, stieß der alte Soldat eine Art Seufzer aus, der sich unter Weges in eine Verwünschung verwandelte, und indem er heftig seinen lahmen Fuß aufstampfte, sagte er:

Es war heut Nacht ein Sturm und Wetter, die Fenster zitterten und krachten, und wie Kanonenschüsse so donnerten die Windstöße. Ich lag in meinem Bett, meinte die Welt möchte untergehen, und war doch froh, daß Du nebenan schliefst und nicht auf der wilden See schwammst. Nun scheint die Sonne wieder, soll denn nicht Sonnenschein auch auf uns fallen? Ich kann's noch immer nicht denken, Richard. Ist es denn wirklich wahr und gewiß?

Wahr und gewiß, antwortete Richard, bewegt seine Hand drückend.

Aber, was ist es denn? fragte der Major. Was ist über Dich gekommen?

Meine Ueberzeugung. Wenn Du Rosa liebst, wenn Du mich liebst, Onkel, so wende Alles an, daß sie mich begleitet.

Es geht nicht, murmelte der Invalide, es geht nun und nimmermehr; sie kann den alten Großvater nicht verlassen. Da steht er schon an seiner Thür und erwartet Dich, streckt Dir die Arme entgegen und winkt im vollen Jubel, und dort oben sehe ich Dein Liebchen am Fenster stehen, sie lacht und nickt und aus ihren Augen glänzt ein Himmel voll Seligkeit. O, Richard! ich glaube, Satan selbst könnte ihr nichts Böses anthun!

Der Forstmeister war inzwischen näher gekommen, hatte den Gerichtsdirector erreicht, schüttelte ihm die Hände und sprach mit ihm halb heimlich ans Ohr geneigt. Man sah es an jeder Miene, wie voller Freude sein Herz sein mußte; aber nach einigen gewechselten Worten rief er lachend:

Er weiß es also schon? weiß schon Alles?! Nun, meinetwegen denn, so braucht es keine lange Einleitung. Willkommen, Herr Ober-Bergrath! Willkommen, Major! Alles bewilligt, gnädigst bewilligt, und das Hochzeitsgeschenk soll obenein nicht ausbleiben! Das Oberbergamt ist angewiesen, er soll sich sofort beim Finanzminister melden. Ja, so ist es, mein Sohn, mein theurer Richard! Es lebe mein allergnädigster Herr, der alle meine Bitten erfüllt hat! Doch nun hinein in mein Haus, hinein, zu Rosa, die ihren Oberbergrath erwartet. – O! Kinder! Kinder! was ist das Leben süß, wenn die Liebe ein altes Herz jung macht!

Voll väterlicher Seligkeit hielt er Richard in seinen Armen fest und bemerkte nicht, daß dieser sich leidend und stumm verhielt. Er nahm es wohl für den höchsten Grad seiner Ueberraschung, daß er kein Wort zum Austausch hatte. – Jetzt eine rauhe Hand auf dies reine Glück des alten Mannes zu legen war unmöglich. Der Major stand mit zusammengeklemmten Lippen daneben, er wagte nicht die Augen aufzuschlagen, und als er es that, sah er seinen Neffen flehend an und drückte die Hand des Gerichtsdirectors, als suche er bei diesem Hülfe und Beistand.

Was ist denn das? fragte Zeltwach eben als dies geschah, und er deutete auf ein Fuhrwerk, das langsam über den Hügel kam. Es war eine leichte Kalesche mit einem Hinterdeck. Das Pferd, in der Gabel eingespannt, ging einen trägen Schritt, lenkte seitwärts ab, nagte an den Grasspitzen und stand einige Augenblicke still, bis es von den Stimmen aufgeschreckt rascher vorwärts lief und sich näherte.

Das ist Lüders Pferd! sagte der Forstmeister, der Richard eben fortführen wollte und sich nun umwandte. Aber wo ist er denn selbst? Was soll der Wagen da?

Es liegt etwas auf dem Sitze, sagte der Major.

Sein Mantel! Was ist geschehen? rief Bruchen, und von einer Ahnung gefaßt, fügte er hinzu: Sollte ihm ein Unglück begegnet sein?

Da liegt er! schrie er gleich darauf.

Denn während dieser Worte waren sie dem Pferde ebensowohl entgegen gegangen, wie dies das Forsthaus erreicht hatte. Ein menschlicher Körper lag zwischen den beiden Bänken des Wagens, mit dem Gesicht dem Boden zugekehrt. Die linke Hand mit dem Siegelringe, den Lüders zu tragen pflegte, hing schlaff über das Korbgeflecht.

Es ist der Forstinspector! sagte Zeltwach.

Ohne Besinnung! rief der Forstmeister, der den Arm des Liegenden faßte und ihn schüttelte. Lorenz Lüders! he Lüders!

Er ist betrunken! meinte der Major.

Er ist todt! sagte Richard, der seine Stirn anfaßte und den Kopf aufhob.

Tobt! murmelte Bruchen mit Zweifeln und Entsetzen ringend. Er ergriff die starre, kalte Hand, die sich aus dem Wagen ihm entgegen streckte. Gerechter Gott! sie haben ihn ermordet, schrie er auf. Da liegt Blut, geronnen Blut! Ein Verbrechen ist geschehen.

Was ist geschehen? fragte Rosa, die eben aus der Thür trat.

Bring' sie fort, Richard, ins Haus mit ihr! Fort! Fort! das ist nichts für Dich, Kind! rief der Forstmeister, indem er sie abhielt näher zu kommen.

Es waren mehrere Jäger, Knechte und Mägde herbei gelaufen. Verwirrtes Geschrei, und was das erste Entsetzen eingab, umhallte den Wagen. Mehrere der Männer suchten den Körper aufzurichten und bei dieser Bemühung erblickten sie Zeichen, welche den Verdacht des Forstmeisters nur zu sehr zu bestätigen schienen. Die Kleider des Todten waren blutgetränkt, lange rothe Streifen liefen über die bläuliche Leichenfarbe seines Gesichts. Die Hände, welche ihn gefaßt hatten, ließen schaudernd los.

Der Gerichtsdirector übernahm sogleich die nöthigen ersten criminalpolizeilichen Anordnungen. Er ließ den Leichnam genau in die Stellung legen, wie er gefunden war, schickte nach dem Arzt in die Stadt, nach Gerichtsschreiber und Bürgermeister, bot alle Jäger und die Leute der Umgegend auf, um sofort die Wagenspur zu verfolgen und machte auf der Stelle alle die nothwendigen Bemerkungen über den Thatbestand, ehe er den Wagen vor das Haus führen und die Leiche in den unteren Saal schaffen ließ, wo sie genauer untersucht werden sollte.

Während aller dieser Proceduren war das Fräulein trotz der Vorstellungen und Bitten des Majors und Richards nicht zu bewegen gewesen, den Platz zu verlassen. Sie war nicht so erschrocken, wie man es vermuthen durfte, und äußerte sich in ernster, aber sehr gefaßter Weise über das schreckliche Ereigniß.

Lassen Sie mich hier, sagte sie, allein in meinem Zimmer würde ich mich mehr ängstigen und mit traurigen Vorstellungen erfüllen, als es so der Fall ist.

Man mußte sie gewähren lassen; aufmerksam beobachtete sie was geschah und hielt ihre Meinungen nicht zurück.

Das ist auch eine von den Mordthaten, sagte der Major, wie sie in diesen Wäldern nur zu oft bei Tag und Nacht vorkommen. Ein Raubschütz wird erkannt, verfolgt und wenn er die Wahl hat zwischen Zuchthaus und Freiheit, drückt er los und wird lieber ein Mörder.

Wer weiß, ob es nicht ein Selbstmord ist? antwortete Richard.

Nein, entgegnete das Fräulein. Zu einem Selbstmord gehört die qualvolle Hülflosigkeit, welche keine andere Rettung sieht, als Rettung durch Selbstvernichtung. Der Todte dort wußte nichts von Verzweiflung. Er war ohne Glauben, ohne Edelmuth; ein erbarmungsloser Mann, wenn seine Leidenschaften erwachten.

Aber wie soll er umgekommen sein? Wer kann die That gethan haben?

Irgend ein Verzweifelter, irgend ein Opfer, das von ihm gemartert wurde, sagte sie.

Da bringen sie den Mörder! schrie der Major. Bei meiner armen Seele! das Weib steht danach aus.

Die Buschmüllerin! rief Rosa.

Wäre es möglich! sagte Richard. Die Unglückliche!

Nein! Nein! fuhr das Fräulein lebhaft die Hand aufhebend fort. Sie hat es nicht gethan! Sie wird sich rechtfertigen, gewiß sie wird es!

Die Buschmüllerin, von mehreren Jägern und Bauern an den Schultern gepackt, wurde vorüber geführt, der alte Christian, der den Zug begleitete, blieb aber stehen und sagte eifrig:

Sie können es glauben, Fräulein, keine andere Hand hat es gethan. Wir fanden das Weib gar nicht weit von hier. Als sie uns sah, wollte sie sich verstecken, und als wir schrieen, lief sie davon, besann sich aber bald und blieb stehen. Die Hexe hat dem Forstinspector ja schon vor Jahren den Tod geschworen, und Herr Lüders mochte sie nicht sehen, so kam ihn eine Wuth an. Sie hat's gethan! da ist Keiner, der nicht einen Eid darauf ablegte.

Ein wüthendes Rachegeschrei erhob sich in dem Haufen, als die Gefangene ins Haus gebracht werden sollte. Der Gerichtsdirector hatte Mühe sie vor Mißhandlungen zu schützen, denn obwohl der Forstinspector bei Lebzeiten auch manche Gegner und Widersacher durch sein hochfahrendes Wesen sich erworben, so hatte sein grausames, jähes Ende doch alle üblen Erinnerungen ausgelöscht. Man sah nur das mörderische Weib, das obenein so frech und trotzig umherblickte, daß jede Faust sich dabei ballte. Hätte der Gerichtsdirector sich nicht vor sie hin gestellt, und wäre der Forstmeister mit seinen Jägern nicht um ihn her gewesen, die erbitterte Menge würde eine Volksjustiz auf der Stelle ausgeübt haben.

Endlich war die Verbrecherin in den Saal geführt, an dessen Wänden noch die dürren Kränze und Festons hingen, welche Lorenz zum Empfange des Landesherrn dort befestigt hatte. Damals hatte er seine Hurrahs und Vivats hier erschallen lassen und als ein bewunderter Tänzer sich auf derselben Diele gedreht, auf welcher er jetzt unter dem weißen Tuche als ein stiller Mann lag.

Der Gerichtsdirector stellte sich neben diese Hülle, und nachdem er mehrere Minuten lang die Buschmüllerin starr und schweigend betrachtet hatte, sagte er:

Antwortet aufrichtig, Frau, denn nur die größte Aufrichtigkeit kann Euch helfen. Woher kommt Ihr jetzt?

Von der Buschmühle, Herr, antwortete sie unerschrocken.

Der Richter schwieg von Neuem einige Zeit, seine schwarzen Augen bohrten sich auf die Beschuldigte ein, aber sie hielt alle diese scharfen Blicke ohne Unruhe zu verrathen aus. Sie war so sauber gekleidet, wie es ihr möglich war. Ihr Haar saß glatt, ihr Rock schien neu gewaschen, eine reine Schürze hatte sie vorgebunden und einen blaubedruckten dreieckigen Tuch um den Hals gesteckt.

Und wohin wolltet Ihr jetzt gehen? fuhr der Richter fort.

Ich wollte in die Stadt und den jungen Herrn aufsuchen, der mir gestern Gutes gethan.

Wenn Ihr das wolltet, antwortete der Gerichtsdirector, so hattet Ihr einen viel nähern Weg. Warum seid ihr den nicht gegangen?

Weil ich sehen wollte, ob der junge Herr nicht hier sei, war ihre Antwort. Und er ist hier, dort steht er.

Der Gerichtsdirector wandte sich nach der Thür, wo er Richard neben Rosa erblickte.

Kommen Sie näher, Herr Steinau, sagte er. Kennen Sie diese Frau?

Ja.

Haben Sie sie heut zu sich bestellt?

Ja, es ist Beides wahr.

Hat sie gestern in der Buschmühle einen Zank mit dem Forstinspector gehabt?

Das hat sie, erwiederte Richard, aber auch ich gerieth mit ihm in Streit.

Warum lieft Ihr fort, als die Leute vorher auf Euch zukamen? fragte der Richter, indem er sich wieder zu der Gefangenen wandte.

Weil ich gewohnt bin hart und schlecht behandelt zu werden, sagte sie.

Wißt Ihr was unter diesem Tuche verborgen liegt? fuhr er fort, doch ohne die Antwort abzuwarten, gab er einen Wink und die Hülle wurde rasch fortgezogen.

Da lag der übermüthige, gewaltige Mann, er, dessen Kraft und Schönheit, dessen heitere Lust und riesige Stärke so viel bewundert wurden – da lag er lang ausgestreckt, bleich und blutig, erschlagen von einem Weibe, und seine offenen Augen stier auf die Mörderin gerichtet, die mit hohnvollem Triumph ihn betrachtete.

Kennst Du diesen Todten?! fragte der Gerichtsdirector laut und streng.

Ob ich ihn kenne? sagte sie. Besser wie Einen auf Erden! –

Sie schlug ein heiseres Gelächter auf und ballte ihre Faust, die sie drohend über dem Leichnam schüttelte.

Er wollte mich zertreten, meine Brut wollte er morden, wie er ihren Vater gemordet hat, sagte sie mit der Gebehrde des unersättlichen Hasses, und da liegt er nun selbst wie ein Aas im Winkel, da liegt er verflucht und verfault!

Weib! fiel der Richter ein, der ihren Arm ergriff, Du hast diesen Mann ermordet! Betrachte diesen dunklen Fleck auf Deinem Rock, fuhr er fort, indem er ihren Rock anfaßte. Es ist das Blut Deines Opfers, Weib! Den Rock hast Du gewaschen, um den Zeugen Deiner That zu vertilgen, dennoch tritt er gegen Dich auf, weil es Gott so will. Bekenne Dein Verbrechen!

Erschüttert von dem Gewicht dieser Anklage standen die Zuschauer athemlos, allein die Buschmüllerin war nicht so leicht zu bewältigen. Der greise Mann, der mit seinen durchbohrenden Augen vor ihr stand wie der Engel des Gerichts, schien sie nur besonnener zu machen, wie sie gewesen.

Herr, sagte sie ruhig, hätte ich den da kalt gemacht, glaubt es mir, ich würde es nicht läugnen; den Rock habe ich gewaschen, weil er schmutzig war, und die Flecke darin mögen Blutflecke sein, denn mancherlei Blut ist darauf gefallen. Mein eigenes Blut, fuhr sie fort, indem sie auf ihre Stirn deutete, die von dem weißen Tuche bedeckt war. Seine verfluchte Hand hat es aus meinem Kopfe geschlagen! Blut hat er vergossen, wofür ich ihn tausendmal mit meinen Nägeln und Zähnen zerreißen möchte; aber ich habe es nicht gethan, weil ich es nicht konnte. Glaubt nun, was Ihr wollt, es ist doch so.

Die trotzige Festigkeit ihrer Antwort hatte etwas Ueberzeugendes.

Wenn Du es nicht selbst warst, so weißt Du darum, sagte der Richter. Du kennst den Mörder!

Nein, erwiederte sie, aber wenn ich ihn kennte, so würde ich ihn nimmer verrathen.

In diesem Falle verhafte ich Dich im Namen des Gesetzes, sagte der Gerichtsdirector.

Man wird Deine Zunge schon lösen! fügte der Forstmeister hinzu.

Eher wollte ich sie abbeißen! rief sie trotzig. Schleppt mich fort, ich weiß es wohl, damit fängt Eure Gerechtigkeit an.

Du mörderische Hexe! schrie der alte Soldat, der sich über diese Unverschämtheit ärgerte, gepeitscht sollst Du werden, bis Du bekennst.

Seht Ihr wohl, Ihr Herren, erwiederte die Buschmüllerin mit einem bitteren Lachen, indem sie den Arm in die Seite stemmte. Ich hab's nicht gethan und bleibe dabei. Wo ist ein Beweis, der Euch auch nur eine halbe Gewißheit gäbe? Dennoch behandelt Ihr mich, als wäre der Stab schon über mich gebrochen. Ich sag's Euch noch einmal, ich bin unschuldig; aber wenn Gott im Himmel sich nicht erbarmt, Ihr habt kein Erbarmen. – Nehmt mich denn hin, Herr, ich will's erdulden. Aber meine Kinder, die armen Kinder! was soll aus ihnen werden?

Ich will für sie sorgen, sagte Rosa.

Thut's, Fräulein, fuhr die Gefangene fort, die sich zu ihr wandte und mit hellen, großen Augen ihr freudig zunickte, Gott der Herr mag's Euch lohnen, wenn ich es nicht kann! Schickt in die Mühle, da sind sie, und wenn sie mich auf den Rabenstein bringen, oder ins Zuchthaus mein Lebenlang, dann zieht sie auf und sagt ihnen: Eure Mutter war doch eine brave Frau! – Jetzt, Ihr Herren, bin ich fertig, jetzt bringt mich in den Thurm; zu bekennen habe ich nichts mehr.



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