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9.

Groß und allgemein war das Aufsehen, das diese entsetzliche That in der Stadt und in der Umgegend hervorrief. Der Leichnam des ermordeten Forstinspectors wurde in das Gerichtslocal gebracht und dort einer genauen Untersuchung unterworfen. Man fand, daß Lorenz Lüders durch einen Schuß getödtet worden sei, der in größter Nähe auf ihn abgefeuert sein mußte, denn seine Kleider waren vom Pulver geschwärzt und gesengt. Die Kugel war ihm gerade durchs Herz gegangen und hatte ihren Ausweg unter der rechten Schulter gefunden. Er mußte auf der Stelle gestorben sein, und nach der Richtung der beiden Schußlöcher beurtheilt, hatte er auf dem Wagen gestanden, während der Mörder sich neben demselben befand. –

Wo die That vorgefallen war, konnte längere Zeit nicht ermittelt werden, endlich am Nachmittage entdeckten die eifrig Suchenden den Platz. Es war dieselbe Stelle tief im Walde, auf welcher schon einmal ein entseelter menschlicher Körper gelegen hatte, die Lichtung mit dem Hügel, auf welchem die Eiche stand, an deren Fuß der Buschmüller Greif von demselben Manne getödtet wurde, der jetzt dort sein Ende gefunden hatte. –

Am Rande des Hügels, wo der Graben sich hinzog, entdeckte man die Mütze des Forstinspectors, schmutzig und durchnäßt unter den Brombeerranken. Wahrscheinlich war sie ihm, als er niederfiel, vom Kopfe gefallen, und der Sturm, der so heftig während der Nacht tobte, hatte sie bis an das Gestrüpp getrieben. Seitwärts vom Wege war eine Stelle von den Hufen eines Pferdes zertreten, als hätte dies hier lange Zeit gestanden. Blutspuren konnte man nicht auffinden, der Boden des Wagens war dicht, überhaupt nicht allzuviel Blut nach Außen geströmt. Auch Fußstapfen ließen sich im Grase nicht erkennen; nur an einer Stelle, die tiefsandig war, zeigten sie sich und paßten genau zu den mit Nägeln beschlagenen Schuhen der Verhafteten, welche damit verglichen wurden.

Nach diesen Entdeckungen herrschte kein Zweifel mehr, daß das rachsüchtige Weib den Forstinspector hierher gelockt und an derselben Stelle ermordet hatte, wo ihr Mann verrätherisch, wie sie sagte, durch ihn seinen Tod fand; welche Mittel sie aber angewandt haben konnte, um den kühnen, schlauen Jäger an den verrufenen Ort zu bringen, das war bei näherer Betrachtung um so schwieriger zu enträthseln.

Nicht weit an diesem Platze vorüber führte ein Waldweg, der in gerader Richtung durch die Gehölze lief, und endlich an der Chaussee endete. Wer diesen Weg genau kannte, mochte dadurch den ganzen Bogen der Straße abschneiden, an welcher Königswalde lag, und über eine Meile sparen, wenn er etwa dort hinaus nach der nächsten Poststation wollte. Was hatte Lorenz Lüders jedoch dahin zu schaffen? Warum war er mitten in der Nacht aufgebrochen? Warum hatte er den kleinen Wagen genommen, der ihm allerdings gehörte, den er aber höchst selten benutzte? –

Der Bursche, der ihn bediente, wußte nicht, wann sein Herr abgefahren sei. Er hatte ihm am Abend vorher erlaubt seine Eltern zu besuchen, die in der Nähe wohnten, und die Nacht dort zu bleiben, hatte ihm auch gesagt, daß er früh schon Geschäfte habe, daher wohl fort sein werde, noch ehe jener zurückkehre, und hatte mit ihm allerlei Scherze getrieben, wie es seine Art war, wenn er sich bei guter Laune befand. Der Bursche hatte nicht bemerkt, daß sein Herr irgend eine Vorbereitung zu einer Reise gemacht, dennoch war unter dem Hintersitz des Wagens eine Reisetasche gefunden worden, in welcher sich mehrere Kleidungsstücke und einige Wäsche befanden.

Lüders hatte an seinem Arbeitstische gesessen, als der Diener ihn verließ, auf dem Tische hatte der Theekessel gestanden, unter welchem die Spiritusflamme brannte. Er hatte, was er oft that, Grogg getrunken, dem Burschen ein Glas zum Abschiede gegeben, und über dies Abschiedsglas allerlei Glossen gemacht, die jetzt als prophetische Ahnungen ausgelegt wurden.

Während man dies Alles in der Stadt mit vielen Zusätzen und Vergrößerungen erzählte, sich mittheilte, daß auf dem Amte Jammer und Thränen ohne Ende das Haus füllten; der Amtsrath geschworen habe, tausend Thaler für die Entdeckung des Mörders auszusetzen, und die Amtsräthin aus einer Ohnmacht in die andere falle: war auch im Forsthause die Bestürzung nicht weniger groß, denn die Durchsuchung der Leiche hatte Ergebnisse geliefert, die den Forstmeister aufs Heftigste erschütterten.

Lorenz Lüders hatte um den Leib einen Ledergurt getragen, eine Geldkatze, wie die Volkssprache diesen nennt, und in demselben war eine bedeutende Summe in Gold gefunden worden. Eine weitere Untersuchung seiner tiefen, vernähten Manteltasche brachte aber auch ein starkes Packet zum Vorschein, dessen Inhalt aus Kassenanweisungen bestand, im Gesammtbetrage von nahe an vierzehntausend Thalern. Diese Entdeckung, welche der Gerichtsdirector dem Forstmeister zunächst heimlich mittheilte, führte zu einer Untersuchung der Kasse und machte es zur Gewißheit, daß Lüders sich in Besitz des bedeutenden Geldvorrathes gesetzt hatte, der in Folge der Holzversteigerungen sich dort angehäuft und welcher in den nächsten Tagen der Regierung überliefert werden sollte.

Da der Forstmeister die Schlüssel zu dem eisernen Geldschrank besaß, so konnte Lüders nur durch einen schlau berechneten Mißbrauch des Vertrauens seines Vorgesetzten den Diebstahl verübt haben. Am Abend vorher hatte er noch eine Summe abgeliefert, und der arglose Forstmeister ließ es zu, daß er auch diesmal wie sonst schon oft das Geld selbst in den Schrank legte. In wenigen Minuten war Alles geschehen, allein Lüders mußte gut vorbereitet gewesen sein. Die Goldrollen waren gegen Rollen voll Kupfermünzen vertauscht, und in dem Kasten, der die Kassenscheine enthielt, lag unter den obersten ein Haufen weißgrauer, genau nach der Form geschnittener Papierblätter.

Auf den ersten Blick war daher nichts von dem Betruge zu entdecken, als jedoch die Wahrheit sich herausstellte, traf diese den alten Mann wie ein Blitz. Er hielt sich schwankend an dem Schrank fest, sein Kopf wurde dunkelroth, der Gerichtsdirector mußte ihn umfassen, halten und auf einen Stuhl setzen, wo er lange ohne ein Wort zu sprechen saß, bis er mit größter Heftigkeit seines Freundes Hände umklammerte.

Gerechter Gott! stöhnte er, der elende Schurke! er hat mich bestohlen, unglücklich gemacht! Was wäre geworden, wenn er entkommen wäre?! Wie hätte ich es ersetzen sollen? Ich – ich kann es nicht läugnen, ich habe meine Pflicht versäumt. Welche Schande! Welche Schande! Ich möchte sagen: Gesegnet sei der Mörder, gesegnet sei er! – Gieb mir das Geld wieder, Zeltwach; ich muß es haben, Niemand darf ein Wort davon wissen, was geschehen ist.

Mein armer Freund, sagte der Gerichtsdirector, ich kann Deinen Wunsch nicht erfüllen.

Du kannst nicht? Du willst nicht! rief Bruchen entsetzt.

Ich bin Richter, der Bewahrer der Gesetze. Ich darf es nicht!

Aber Du bist mein Freund, fiel der Forstmeister bittend ein. Du kannst mich nicht in eine solche schmachvolle Lage bringen.

Bruchen, erwiederte der Gerichtsdirector mit sanfter Festigkeit, kannst Du von mir fordern, daß ich meinen Eid breche? Kannst Du, dem seine Ehre so hoch und heilig ist, von mir erwarten, daß ich Ehre und Gewissen lasse?

Du hast Recht! Du hast Recht! murmelte der alte Jäger, indem er seinen Kopf auf die Brust senkte, Du darfst nicht; aber was soll aus mir werden? Sie werden mich verspotten und mir Vorwürfe machen. Ich werde die Wahrheit gestehen müssen, daß ich ihm oft die Geldschlüssel allein überlassen habe; man wird dies leichtsinnig und pflichtwidrig nennen, und es ist wahr, vollkommen wahr! Ich habe niemals von dem Ober-Jagdamte einen Vorwurf erhalten; niemals! rief er mit großer Heftigkeit, ich werde es nicht ertragen können.

Zeltwach tröstete ihn, so viel er es vermochte.

Vor der Hand, sagte er, wollen wir von dieser Entdeckung nichts erwähnen, Niemand kennt sie, als ich und der Actuar; aber sie ist zu wichtig, um verschwiegen zu bleiben, denn sie wirft ein ganz neues Licht auf diesen Mord. Du mußt die Vorwürfe hinnehmen, die man Dir macht, glücklich genug, daß das Geld wieder gefunden ist, daß Du es nicht zu ersetzen hast.

Ich würde es nicht ersetzen können, erwiederte Bruchen, denn ich habe es nicht. Aber man hätte mich in eine Untersuchung verwickelt, hätte mich abgesetzt, mit Schimpf und Schande cassirt! – Ich kann den Gedanken nicht ausdenken. Mein Kind, meine Rosa, beschimpft, entehrt! –

Er gerieth in eine so heftige Aufregung, daß Zeltwach äußerst besorgt darüber wurde und ihn dringend bat jetzt den Kopf nicht zu verlieren, wo es am nöthigsten sei, diesen oben zu behalten.

Lüders, sagte er, hat in dieser Nacht einen reiflich überlegten Plan ausgeführt. Er hat die Kasse beraubt und damit entfliehen wollen. Ich habe von der Poststation soeben die Nachricht erhalten, daß gestern Nachmittag durch ihn selbst zwei Curierpferde dort bestellt wurden und daß die uns zehn Uhr Abends durchgehende Post einen Laufzettel für alle Stationen bis zur Hauptstadt mitnahm. Du siehst, daß an seiner Schurkerei nicht zu zweifeln ist; allein er muß einen Theilnehmer oder Mitwissenden gehabt haben, der ihm auflauerte; oder, sagte er nachsinnend, gehört es zu den unerforschlichen Wegen der Vorsehung, welche die Vollendung eines Verbrechens zuweilen durch ein anderes Verbrechen hindert, den Verbrecher ergreift und straft, ehe dieser es denkt, und den Genossen des Räubers zum Rächer macht?

Glaubst Du, daß ein solcher Theilnehmer die That verübte?

Nein, fuhr der Richter fort, ein Theilnehmer am Raube würde sich des Geldes bemächtigt haben, und doch mußte es Jemand sein, der genau wußte, daß Lüders mitten in der Sturmnacht des Weges kommen werde.

Die Buschmüllerin läugnet, murmelte der alte Jäger.

Und ich glaube ihrer Aussage, erwiederte der Gerichtsdirector. Es liegt etwas in ihrem Wesen, das mir verbürgt, sie spricht die Wahrheit. Trotz der passenden Fußspur und der Blutflecken in ihrem Rocke drängen sich mir einige Zweifel auf. Es ist ein desperates, rachsüchtiges Weib. Sie weiß davon etwas zu erzählen, sagte der Richter starr vor sich hinsehend und halb mit sich selbst sprechend. Vielleicht war sie in der Nähe, vielleicht ist ihr Kleid selbst in sein Blut getaucht worden, aber Hand an ihn hat sie nicht gelegt, sie hätte es eingestanden. Die Kugel kam von einem Anderen, von Einem, der mit Feuergewehr gut Bescheid weiß.

Von wem? fragte der Forstmeister.

Hat Lüders einen Feind in Deinem Hause? Unter Deinen Jägern? Hat er Einen beleidigt? Weißt Du keinen Menschen, der im Stande wäre Rache an ihm zu nehmen?

Ich weiß keinen.

Hat er ein Verhältniß mit einen Mädchen? fuhr der Richter fort. Er war ein leidenschaftlicher, leichtsinniger Mann, der gewiß mehr wie Einer seine Neigungen zuwarf.

Ich habe nichts davon gehört, antwortete Herr von Bruchen. Beging er Ausschweifungen, so wußte er sie gut zu verstecken. Er wollte reich und angesehen heirathen, darauf ging er aus. Dem Gerede nach hatte ihn seine Cousine, die Amtsräthin, mehr als gern, aber es kam zum Bruch.

Es giebt keine Spur, die dorthin führt, sagte Zeltwach; dennoch aber wäre es möglich. Wir müssen das tiefste Schweigen beobachten, so finden wir vielleicht am schnellsten den richtigen Faden.

Ich wollte, murmelte der Forstmeister, Du fändest ihn nicht.

Als Mensch möchte ich es mit Dir wünschen, als Richter muß ich Alles anwenden, um den Schuldigen zu entdecken. Dieser Todte war ein elender Schelm; die menschliche Gerechtigkeit will jedoch ihren Lauf haben, sollte sie auch ein besseres Wesen vernichten.

 

Während nun den ganzen Tag über die Forschungen fortgesetzt wurden, blieb Richard in dem Forsthause in Gesellschaft seiner Geliebten. Die Unruhe, welche die entsetzliche Begebenheit bewirkte, war so groß, daß an eine Erklärung, wie diese beabsichtigt wurde, nicht gedacht werden konnte. Bald kamen Leute aus der Stadt, bald aus der Umgegend, Boten und Berichte trafen ein und gingen ab, neue Untersuchungen wurden angestellt und ausgeführt, eine Menge fremder Gesichter blieben immer im Hause und dabei flößte die Unruhe und Aufregung des Forstmeisters Besorgnisse ein. Der alte Herr schien außerordentlich gereizt und von dem traurigen Ereigniß tief bedrückt.

Rosa zeigte sich mitten in dem Tumult als die ruhigste und kaltblütigste Zuschauerin aller dieser erschütternden Auftritte. Ihre Urtheile waren von der ersten Entdeckung ab klar und bestimmt, und obwohl sie ernster war und bleicher aussah, wie sonst, merkte man ihr doch an, daß das Ende des Forstinspectors seinen besonders tiefen Eindruck auf sie machte. In die vielen Gespräche über die Unthat mischte sie sich nicht, allein sie vertheidigte mit vielen Gründen die Gefangene und bewies oft überzeugend genug, daß die Buschmüllerin den Mord nicht begangen haben könnte.

Am Nachmittage begleitete Richard den Forstmeister nach der Buschmühle und Beide brachten die verlassenen Kinder von dort mit, welche Bruchen zwar vorläufig seiner Enkelin übergab, doch die Bedingung hinzufügte, daß sie nicht im Hause bleiben sollten.

Ich habe auch Erbarmen mit ihnen, sagte er, allein die Verhältnisse gestatten es nicht, dies öffentlich zu zeigen.

Die Verhältnisse gestatten es nicht, uns dieser unglücklichen Waisen anzunehmen? fragte das Fräulein.

Nein, mein Kind, antwortete er. Lüders war ein Beamter des Königs, ich bin dies ebenfalls und obenein der Vorgesetzte des Ermordeten. Die Mutter dieser Waisen ist angeklagt den Mord begangen zu haben – es wird sich zeigen, ob es wahr ist, ich behaupte es nicht – ihr Vater war ein berüchtigter Wilddieb, als solcher hat er sein Ende gefunden. Lüders hat ihn erschossen, ich weiß nicht, ob Dir das bekannt ist.

Ja, Großvater, sagte sie. Ich habe es gestern erfahren, als ich von der Buschmühle zurückkehrte, wo dieser Elende die Frau, welche er so unglücklich gemacht hat, in Nacht und Regen mit ihren Kindern hinausjagen wollte.

Man hätte es Dir nicht sagen sollen! antwortete Bruchen, doch es ist jetzt Alles dasselbe. Lüders ist todt, Haß oder Liebe haben keinen Werth mehr für ihn. Er war ein roher, gewaltthätiger Mann, ich gebe es zu; ja, er war ein heuchlerischer Schurke! rief er mit plötzlich ausbrechender Heftigkeit, ich weiß es am besten. Da Du jedoch gesehen hast, wie er daß wüthende Weib zum Aergsten reizte, und da Jedermann weiß, wie sie Lüders verfluchte und ihn zum Tode haßte, so wird alles Abläugnen ihrer That doch zuletzt nichts helfen. – Und die Kinder einer solchen Mörderin dürfen nicht in meinem Hause sein, es darf kein Verdacht auf uns fallen, daß wir keinen Abscheu vor dem Verbrechen hegten, Lüders wohl gar selbst gehaßt und verachtet hätten, obwohl – der alte Herr hielt inne und sagte dann, indem er tief und mühsam Athem holte: was wir denken, ist unsere Sache, aber die Welt darf nichts davon erfahren.

Wie haben Sie doch Recht! rief das Fräulein, indem sie sich zu Richard wandte, wenn Sie sagen, der Mensch in uns wird durch die Rücksichten und Verhältnisse der civilisirten Gesellschaft erdrückt! Mein theurer Großvater sogar, der doch so gut und gerecht ist, muß sich diesem Zwange unterwerfen und hart und ungerecht werden. Ach! was die Gesellschaft, was die Verhältnisse fordern! Was fordern diese hartherzigen Ungeheuer nicht? Können sie nicht auch fordern, daß ich selbst verstoßen, verlassen, von Allen verdammt und verläugnet werde?

Herzensrosa! sagte der alte Mann voll Vaterzärtlichkeit, indem er sie umarmte, mach mir den Kopf nicht noch schwerer. Gott segne Dich, mein Kind, wie ich Dich segne! – Aber in die Verhältnisse müssen wir uns fügen, was schicklich ist, muß geschehen, und da ist Einer an Deiner Seite, der wird Dir sagen, daß ich Recht habe.

Sie haben vollkommen Recht, antwortete Steinau.

Der Forstmeister drückte ihm die Hand. Machen Sie es ihr klar, fuhr er fort, daß Schranken für jeden in der Welt sind, die er nicht überspringen darf. Wir haben alle nicht gut gethan, daß wir den Leuten in der Stadt und so geradezu entgegen stellten; jetzt, da das Unglück losbricht, schütten sie ihr Gift über uns aus. Ich muß zum Bürgermeister, aber loben und preisen sollen sie mir diesen Todten nicht und thun, als ob ein Heiliger erschlagen läge, der von mir und von uns allen nichts als Kränkung und hochmüthige Zurücksetzung erfahren hätte.

Ruhig Blut! rief der Major, ruhig Blut, Forstmeister! Wenns in die Schlacht geht, soll man kalt und gefaßt sein. Was die da drinnen auch sagen mögen, laßt es Euch nicht anfechten und nehmt mich mit; ich will Euch den Rücken decken.

Der Großvater küßte seine Enkelin auf die Stirn und sah ihr in die klaren Augen.

Es ist mir doch lieb, sagte er, daß Du jetzt einen anderen Schützer und Helfer hast, als mich. Jedes Mädchens Freiheit muß beschränkt werden durch den Mann, an den sie ihr Herz und ihr Leben hängt, und die Ehe giebt ihren Pflichten eine bestimmte Richtung, giebt ihr Sorgen und Mühen, wenn sie es ehrlich meint, und jagt die luftigen Einbildungen zum Fenster hinaus. Es ist gut so, Rosa, daß das alles nun auch über dich kommt. Alle wilden Zweige müssen Dir jetzt abgeschnitten werden, in der großen Stadt sollst Du wohnen, da muß man sein, wie andere gute Leute sind. Aber den alten Großvater darfst Du um dessentwegen doch nicht lassen, und gleich morgen am Tage will ich einen Pakt mit dem da schließen, wie oft und wie lange er mir mein Röschen in jedem Jahre wiedergiebt, daß es frisch in der Waldluft aufblüht. Morgen, mein lieber Richard, scheint uns, wills Gott, eine bessere Sonne!

Und die Luft ist gut! rief der alte Soldat, der dem Forstmeister nachhinkte und seinem Neffen zunickte. Es ist ein gesundes Leben hier, Herr Ober-Bergrath; sei jetzt gescheidt und halt den Schatz fest. Mach ein Ende mit aller Sylbenstecherei und zeig Dein Herz wie ein tapferer Mann.

Damit ging er hinaus und Richard blieb bei Rosa sitzen, welche die beiden Kinder der Verbrecherin einer mürrisch blickenden Magd übergab, die offenbar nicht besonders freundlich die Befehle vernahm, die sie erhielt.

Sie werden einen schweren Kampf zu bestehen haben, sagte Steinau, wenn Sie diese Kinder vor Unbill schützen wollen.

Sie geben also denen Recht, die aus Rücksichten davon abstehen?

Ich gebe denen Recht, sagte er, die den Kampf gegen die Vorurtheile scheuen, und nichts unternehmen, was sie mit der Gesellschaft entzweit. Was diese Kinder betrifft, fuhr er fort, als sie ihn groß und fest anblickte ohne zu antworten, so ist es in diesem aufgeklärten Lande unmöglich, ihnen das Kainszeichen jemals von der Stirn zu wischen. Ihr Vater ist als ein Dieb gestorben, ihre Mutter ist als Mörderin angeklagt. Thun Sie was Sie wollen, Sie werden diesen Makel nicht von ihren Schützlingen nehmen können. Wer will mit dem Sohne eines Verbrechers Freundschaft schließen, wer der Tochter einer Mörderin seine Hand reichen? Liebe und Treue zerstieben wie Spreu vor der Verachtung der Gesellschaft, die sich mit Grauen und Ekel von diesen Unschuldigen abwendet.

Und dennoch, antwortete Rosa, die sehr blaß aussah, zählt diese Gesellschaft in ihren geachteten Reihen gewiß noch weit gemeinere, schaamlosere Missethäter.

Ohne Zweifel haben Sie Recht, sagte Richard. Nichtswürdiger als Diebe und Mörder sind gar Viele, vor denen die Menge sich beugt und sie verehrt. – Dieser Lüders selbst, um den sie jetzt jammern und klagen, war er nicht ein gewissenloser, zu jeder Unthat befähigter Mann?

Ein Elender! ein Unmensch!

Und dieser Mensch, fuhr er fort, erwarb sich Achtung, Freundschaft und Verehrung; sein Tod setzt eine ganze Stadt in Trauer, und ein armes Weib, das man des Mordes beschuldigt, wird von Verwünschungen und Rachegeschrei bis in die Tiefe ihres Kerkers verfolgt. Lüders aber ist nur ein geringes Beispiel der vielen Verbrecher, die selig leben und sterben und mit Thränen begraben werden. Größere, ärgere Schurken wie er werden als Heilige berühmt und die Geschichte selbst preist ihre Tugenden.

Und was ist die Moral Ihrer Lehren? fragte sie.

Daß wer mit der Gesellschaft in Streit gerathen ist, wer etwas gethan hat, was sie mit ihrem Bann belegt, etwas verschuldet hat, was sie ein Verbrechen nennt und was sie nicht vergiebt, von ihr sich trennen muß, um nicht ihrer Schmach oder ihrer Rache zu erliegen. – So müssen diese Kinder fort von hier übers Meer in ein Land, wo man anders denkt und anders richtet, so muß ich gehen, weil ich auch zu den Ausgestoßenen gehöre.

Sie, Richard?!

Ich, theure Rosa, weil ich anders empfinde, anders lebe, ein anderes Rechtsbewußtsein mit mir umhertrage. – Weil ich in meinem ganzen Wollen und Streben ein anderes Wesen bin.

Und was mein Großvater hoffte, Ihr Onkel, wir alle – was für Sie erbeten und gewährt wurde? sagte sie die Worte abgebrochen hervorstoßend.

Ich kann es nicht annehmen, denn es würde mich erdrücken.

Und ich! flüsterte sie, mit leiser erlöschender Stimme.

Auch Sie, Rosa, gehören zu den Ausgestoßenen, über deren Haupte das Richtschwert hängt.

Das Richtschwert! – Sie hob ihren Kopf stolz auf. Ich fürchte es nicht. Ich erkenne keinen anderen Richter, als mich selbst.

Und das nennen Sie kein Verbrechen? Sie finden gut, was Anderen entsetzlich scheint. Sie machen sich Ihre eigenen Gesetze, Sie rechtfertigen sich durch Ihre eigene Moral, aber die Gesetze und die Moral der Gesellschaft werfen Ihnen dafür den Fehdehandschuh hin. Liebe, theure Rosa, fuhr er fort, indem er ihre beiden Hände nahm, ich frage nicht, ob Sie mich lieben; ich weiß es, ich glaube daran! aber diese Liebe muß die Macht haben, welche ich von ihr fordere. Sie muß nichts sehen, nichts empfinden als mich, nach keinem Anderen neben mir noch ein Verlangen haben; sie muß aufgeben und opfern was ihr sonst noch lieb und theuer auf Erden. Sie müssen mich begleiten, Rosa!

Während er sprach, sah sie ihn starr mit weit geöffneten Augen an, dann schüttelte sie stumm mit einem schnellen scheuen Blicke den Kopf und zog ihre Hände zurück.

Sie müssen! wiederholte Richard. Ich fordere es zu meinem wie zu Ihrem Heile. Ich kann nicht bleiben, ich will nicht bleiben! fuhr er mit eiserner Bestimmtheit fort. Und wollte man mich zu den höchsten Ehren erheben, ich würde diese zurückweisen und gehen. Fragen Sie mich nicht, glauben Sie, daß ich Alles wohl überlegte. Wenn Land und Meer hinter uns liegt, will ich Ihnen Rechenschaft geben.

O! sagte sie mit einem Seufzer und eintönig trostlos, so stürzen dennoch die Mauern meines Hauses über mich zusammen und Alles war vergebens!

Nichts stürzt ein, nichts, Rosa, erwiederte er. Ich halte diese Mauern, vertrauen Sie mir – aber wir müssen fort, beide fort!

Einige Minuten lang saß Rosa Bruchen regungslos den Kopf gesenkt und die Hände gefaltet, dann flog ein blitzhaftes Zucken durch ihren Körper und sie richtete ihr Gesicht auf, aus dem der Schmerz entwich, um einer wilden Energie Platz zu machen.

Nein, und tausendmal nein! sagte sie mit krampfhafter Anstrengung. Ich kann nicht, ich darf nicht. Ich muß bleiben!

Er stand auf und that einige große Schritte, dann wandte er sich zu ihr zurück, und plötzlich beugte er sein Knie und preßte ihre Finger an seine Lippen. Der kalte Mann war von seiner Ruhe verlassen; eine Glut brannte in seinen Augen, die beschwörend und überwältigend sie anschauten.

Wenn die Brücke hinter uns abgebrochen ist, theure Rosa, sagte er, dann dürfen wir nicht fragen, wer noch jenseit steht und seine Arme nach uns ausstreckt. Die Brücke ist abgebrochen. O! meine Geliebte, zage nicht, ich stehe bei Dir, wir werden glücklich sein! – Du wendest Dich von mir? fuhr er leiser fort, Du bedeckst Dein Gesicht? – Unheil über mich, wenn Du mich verläßt! Unheil über Dich, wenn Du bleibst!

Welch Entsetzen! erwiederte Rosa, ihn anstarrend, welche Angst, welche tödtliche Angst! Sei barmherzig mit mir, Richard, ich kann nicht, mein Großvater –

Laß mich mit ihm sprechen, ich hoffe ihn zu überzeugen.

Nein! rief sie mit harter, gellender Stimme, eher verderben, eher verzweifeln! Mag mein Herz mit seinem Wahn und seiner Noth zu Grunde gehen.

Er hielt ihre Hand; sie sah ihn an wie aus weiter Ferne und stieß ihn von sich ab. Ihre Finger waren kalt wie Eis, ihre Lippen fest auf einander gepreßt, an ihrer ganzen Gestalt keine Bewegung.

So saß sie vor ihm, bis er sich zu ihr beugte und mit leiser, aber fester Stimme sagte:

Morgen gehe ich. Gott schütze Dich! Lebe wohl!

Sie antwortete nicht, sie rief ihn nicht zurück. Als er die Thür erreicht hatte, blickte er noch einmal um, ein letzter kummervoller Abschiedsblick fiel auf sie, aber sie sah ihn nicht an, sie schien leblos zu sein. –

Als sein Schritt draußen längst verhallt war, stand sie auf, ein entsetzlicher Schmerz arbeitete und zuckte in ihrem Gesicht. Blutlos rangen sich ihre Hände zusammen und ihre Augen richteten sich starr und thränenlos auf die falben Wolken des Abendhimmels.



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