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VII. Von deutscher Sprache und Schrift

Ich habe dem lebendigen Wort die Ehre und den Vorrang gegeben, wie es die Natur will: ich habe Deutschland gegenüber einen besonders großen Nachdruck auf diese erhabene Materie gelegt, nicht bloß weil unsre Nation abgefallen ist von dem lebendigen Wort, nicht bloß weil unter allen europäischen Staaten insbesondere die Deutschen der Herrschaft der Feder am meisten eingeräumt, sondern vielmehr weil Deutschland insbesondere berufen ist für das lebendige Wort, weil Deutschland vor allen andern zeigen könnte die Macht und die unendliche Beweglichkeit des Wortes! –

Ich habe mich in einer früheren Stunde, da es an seinem Orte war, über die unzähligen Dialekte, Idiome, wissenschaftliche und gesellschaftliche Kosterieformen unsrer Sprache beschwert: keine europäische Sprache ist nach Maßgabe der Umstände und der Örter, der Gebirge und der Niederungen, wie auch der Grenzberührungen ihrer Nachbarn so verschiedenartig individualisiert worden; keine Sprache ist in so verschiedenartigem Stoffe ausgeprägt worden. Wie wäre es, und würde ich mich über diese Dialekte noch beschweren, wenn diese Sprache einen Mittelpunkt hätte, worin sich alle jene Besonderheiten begegnen könnten, worin alle Breiten und Kürzen, alle Härten und Weichheiten, alle Rauhigkeit und Sanftmut, alle Bildung und alle Unschuld der verschiedenen deutschen Mundarten sich untereinander ausgleichen könnten? Wenn sich also das Ungleiche durch die Berührung und den Zusammenhang veredelte, wenn die ungeheure Skala von Ausdrücken und Tönen in dieser Sprache wirklich sich darstellen könnte in einer einzigen Stimme, und alle schroffen Kontraste sich untereinander dämpfen und mildern möchten dadurch, daß sie einem und demselben harmonischen und philosophischen Gesetze untergeordnet würden? –

Das Allgemeine entsteht nicht durch ein Wegwerfen des Besonderen, die Tugend entsteht nicht durch ein Vernichten jener Kräfte, die durch ihren Mißbrauch das Laster erzeugen, die Vollendung der Sprache nicht durch ein bloßes Absondern der Dialekte, wie man vor dreißig Jahren glaubte, als man einen einzelnen meißnischen oder thüringischen Dialekt zum Hauptdialekt, zum Hochdeutschen, wie man es nannte, zu stempeln sich unterfing, und in dem beständigen Reinwaschen und Abfeilen dieses Dialekts das ganze Kulturgeschäft der Sprache finden wollte! Es ist in Italien nicht wahr, daß mit der Pflege der toskanischen Mundart nunmehr alles getan sei, was für die Sprache jenes herrlichen Landes getan werden könne, obgleich Florenz einen ganz anderen Beruf zur Gesetzgeberin der Sprache für Italien, als Meißen oder Thüringen für Deutschland, nachweisen könnte. In Florenz und den Nachbarstädten ist wirklich zu mehrerenmalen alles Große und Bedeutende zusammengeströmt, was der Boden Italiens erzeugte; es lag inmitten der Kraft, des Reichtums, ja ich möchte hinzusetzen, der Schicksale dieses Landes. Aber auch dort geht der höhere Geist und das Lebensprinzip der Sprache verloren, wenn man den Lauf der Lebenskräfte hemmen wollte, die von allen Grenzen und Küsten des Landes unaufhörlich nach dem Mittelpunkt einströmen müssen.

Was wäre Reinheit und Glätte ohne Kraft; was wäre Schönheit der Form ohne Charakter? und wie erhalten wir die Kraft und den Charakter der Sprache, als indem wir die einsamsten Bergtäler, die entlegensten Küsten, und alle die Stellen, auf denen sich der Mensch mit seiner Stimme der Natur gemäß ausdrückt, unaufhörlich einwirken lassen auf den Mittelpunkt; indem wir die Bildung unaufhörlich anfrischen lassen durch die Unschuld.

– Man denkt sich das Geschäft der Läuterung und Kultur einer Sprache so leicht, weil man das heilige Wesen der Sprache vergißt! Ist es denn bloß Unart des Österreichers, daß er nicht hochdeutsch, oder des Neapolitaners, daß er nicht toskanisch spricht? Hat denn nicht jede Provinz eines Landes ihre sehr vollwichtigen Gründe, wenn sie die Töne so anders formt? Kann es denn der Schweizer ändern, nach Willkür ändern, wenn ihn die breiten, rauhen Töne der Landsleute im Gebirg, und der Ausdruck in den vaterländischen Chroniken mehr anspricht als jene sächsische Buchsprache, die, was das ärgste ist, eigentlich nur geschrieben, nie ausgesprochen worden ist? –

Ich habe mich seit vielen Jahren um die deutsche Aussprache bekümmert, aber noch heut weiß ich keinen Ort in Deutschland anzugeben, wo die Sprache gut gesprochen würde oder nur besser als anderswo. Ich habe wohl Personen angetroffen, von denen in Schwaben, in Franken, in Sachsen, an der Mündung der Elbe wie in Österreich gesagt werden würde: sie sprechen gut. Aber kein Ort hat dieses Privilegium für sich. Die Örter sind, was die Sprache angeht, gleich gut: sie müssen echt republikanisch alle gelten, sie müssen alle ihre Stimme hergeben, wenn ein guter deutscher Sprecher werden soll, – und so habe ich auch immer gefunden, daß die, welche gut sprachen, an recht verschiedenartigen Stellen von Deutschland gelebt und gesprochen hatten. Sie hatten unter der Rauhigkeit der Gebirgstöne, und unter den weichen, platten Klängen, die das deutsche Niederland spricht, in Städten und auf dem Lande, an den südwestlichen Grenzen, wo die romanischen Sprachen, und an den nordöstlichen, wo die slawischen Sprachen Deutschland berühren – kurz sie hatten aus den verschiedenartigsten Dialekten sich das eigentlich Deutsche herausgehört, herausgefühlt.

Wenn nun was sie herausgehört hätten, niedergeschrieben würde, so wäre es freilich für heute und morgen das beste Deutsch, das reichste, edelste, und im höheren Sinne des Worts gebildetste Deutsch. Aber auch für die Folge der Jahre? – Gewiß nicht. Ein Wörterbuch, aus lauter solchen guten und lebendigen Sprechern abgezogen, kann keine gesetzgebende Kraft erlangen in einem Volke, das innerlich frei ist. Besser ist es, daß solche gebildete Sprache wieder zurückströmt in die Dialekte, sich wieder unaufhörlich erfrischt in dem Bade der Natur, daß, was Mühe, Fleiß und Geschick erreicht haben, sich immer wieder anschließe an jene alte Naturstimme der Gebirge und Täler; daß dieses echte und lebendige Hochdeutsch sich beständig wieder nicht auf unedle Weise vermische, aber – vermähle mit den Dialekten. Also kein Wörterbuch, auch keine Hauptstadt, die nur den Wahn nähren kann, als gebe es in Sprachangelegenheiten einen privilegierten Ort, keine Akademie, deren ganze Kunst doch nur im Waschen, Feilen, Absondern der Sprache, in der Verordnung einer strengen Diät für dieselbe, im Bewirken einer künstlichen Magerkeit bestehen würde – kann helfen. Es muß gesprochen werden, man muß reisen für die Sprache, man muß ihre Dialekte hören lernen, aus der österreichischen, schweizerischen, fränkischen, niedersächsischen Mundart das Deutsche herausfühlen lernen: Die größten Autoren und Sprecher der deutschen Sprache, Goethe, Schiller, Herder, Johann Müller, Gentz usw. verdanken einen großen Teil ihrer Sprachkraft dem Umstande, daß sie umhergelebt haben in Deutschland oder aus dem Norden in den Süden, aus dem Westen in den Osten verpflanzt worden sind. – Wie müßte grade unsre Sprache mit ihrem Reichtum, mit allen tausendfältigen Sitten und Lebensweisen, die sie jetzt einzeln ausdrückt, ergötzen können, wenn sie nur zwanzig Jahre hindurch ordentlich ineinander gesprochen wäre; wenn die naive Roheit der Naturtöne und Dialekte nicht weiter getrennt wäre von der gebildeten Flachheit der hochdeutschen Buchsprache, und nun durch jede Reihe von Tönen in dieser so veredelten dritten, mittleren Sprache Deutschland hindurchklänge, während es doch nur immer Paris ist, das unaufhörlich in Eine Hauptstadt zusammenstrebende Frankreich, welches man durch die französische Sprache hindurchhört.

– So wäre Deutschland, wenn es spräche: wie aber die Umstände jetzt stehn, so spricht es nicht, hört nicht, sondern schreibt und liest. Ich habe meine Seele gerettet, indem ich gesagt habe was uns fehlt und wie es sein sollte: jetzt muß ich mich allerdings einlassen auf das was ist, also auf das Schreiben, auf die Beschreibsamkeit unsrer Nation, da von ihrer Beredsamkeit dermalen nicht viel zu rühmen ist. – Was ich von unsern hochdeutschen korrekten Schriftstellern denke, die sich schon vor dreißig Jahren untereinander zu klassischen Autoren ernannten, die Literatur in allgemeinen deutschen Bibliotheken und gelehrten Zeitungen zu regieren unternahmen, und ihr Zusammentreffen frischweg, und ohne die eigentliche Nation weiter zu fragen, für das goldne Zeitalter der Literatur erklärten, habe ich hinlänglich angezeigt. Wenn wir aber auf die eigentlichen Schriftsteller der Nation sehn, so werden wir genötigt, sowohl bei uns, als auch bei unsern Nachbarn und in der Literatur überhaupt, zwei sehr verschiedene Formen der Beredsamkeit zu unterscheiden. Ich muß mich der Deutlichkeit wegen auf einen Autor beziehn, der beide Formen in sich vereinigt, auf Goethe. Vergleichen Sie die Beredsamkeit im Werther und im Wilhelm Meister; Sie werden eine große Verschiedenheit wahrnehmen: es ist ein gewisser Kothurn, eine edle Getragenheit in der Schreibart des Werther, während der Meister, wie das antike Lustspiel, nur auf Socken zu gehen scheint: an Anmut, Lieblichkeit, Beweglichkeit wird W. Meister den Preis davontragen; an Würde, Anstand, einer gewissen allgegenwärtigen Fülle der Brust wird jener Roman mit dem Werther nicht zu vergleichen sein. Dabei ist freilich nicht zu übersehn, daß der Verfasser des Werther etwas zu tief in dem Ernste des Lebens befangen ist, der Verfasser des Meister hingegen sich etwas zu mutwillig spielend über das Leben erhoben hat; daß jener etwas berauscht unter, dieser etwas allzunüchtern über dem Niveau des ruhigen Lebens steht; daß der Verfasser des Werther etwas zu tief im Rätsel des Lebens verstrickt ist, während der Verfasser des Meister etwas zu keck dem Schicksale seine Netze nachzustricken unternimmt. Es ist nicht zu übersehn, daß Goethe im Werther vielmehr Redner als Dichter ist, obwohl er die Gegenpartei seines Helden und seiner Liebe etwas unrhetorisch in den Schatten stellt, und Albert und die Gesellschaft von Regensburg und die Gesetze der bürgerlichen Ordnung, und alles was in die Schwärmereien des Helden einzugehen strebt, etwas hart behandelt; nicht zu übersehen, daß Goethe im Meister vielmehr Dichter als Redner ist. Aber wir wollen absehn von der Gesinnung des Dichters. Mir scheint es, daß in der Schreibart des Werther und des W. Meister ein Unterschied sei, wie zwischen J. J. Rousseau und Diderot: niemand wird denselben Kothurn, dieselbe Getragenheit und gehaltene Würde im Rousseau wie im Werther, dagegen etwas dem W. Meister nahe Verwandtes, Gefälliges, Leichtes, Bewegliches, Belustigendes in der Schreibart des Diderot verkennen. Man muß Deutscher sein, um die Schreibart des Meister, Franzose, um die Schreibart des Diderot zu empfinden und zu würdigen: indes jeder gebildete Bürger unsers Weltteils empfänglich ist für Werther und Rousseau, und eines wahren Urteils darüber fähig. Diesen wichtigen Unterschied drücken wir folgendergestalt aus: es gibt zweierlei Federn, die eine Feder, welche sich geflügelt bequemt in allen Wechsel der Zeiten und Gestalten, welche ohne sich grade zu verwandeln, nach Art des Proteus, dennoch nach Maßgabe des Gegenstandes ernst, leicht, außerordentlich, gewöhnlich, tief und oberflächlich, kurz in gewissem Sinne alles das wird was sie darstellt – diese Feder waltet im W. Meister und im Diderot: die andre Feder, die vielmehr wie ein eiserner Stift, wie der stilus der Alten geführt wird, der ewige Gefühle und Gedanken, vor allen Dingen aber die ernsthafte Gesinnung des Autors eingraben soll, wie in Wachs oder in Holz und Stein für die Ewigkeit. Wenn die geflügelte Feder vielmehr ihr Gesetz erhält von den Dingen, den Umständen, von der Natur, also vom Auge des Menschen, so ist es vielmehr die Gesinnung, es ist das Herz, welches die Hand führt, die mit jener zweiten eisernen Feder schreibt. –

Lassen wir Rousseau, Diderot und Goethe, und wählen wir zu unserm Verständnis noch höhere Beispiele: wer erinnert sich nicht jener Feder, die am Schlusse des unübertrefflichsten aller Romane, des Don Quixote, von dem Autor selbst im Bewußtsein des Gelingens zum Andenken aufgehängt wird; wie eine glorreich geführte Waffe, wie das Schwert, welches der Autor in der Schlacht bei Lepanto trug; kann ich unter meiner geflügelten Feder eine andre gemeint haben als diese, eine geringere als diese; gibt es eine Laune in der Natur, gibt es in dem unendlichen Helldunkel des Lebens irgendeine Schattierung, kann ein menschliches Angesicht in allen seinen Verwandlungen eine Rührung ausdrücken, gibt es eine Temperatur, die das menschliche Herz überhaupt zu ertragen imstande wäre, von dem Fieberfrost bis zur höchsten Glut der Leidenschaft – welche diese Feder nicht wiederzugeben imstande wäre? Und doch wiederholt diese Feder nie die Natur, doch erhalten wir nicht das draußen in den Dingen Befindliche bloß zum zweiten Male zurück; wir erhalten es wirklich aus der zweiten Hand, mit jener ganz anderen tieferen Verständlichkeit, welche die Welt annimmt, wenn wir sie widerstrahlen sehn aus der Seele des Künstlers. Das Kind sucht die Sonne: aber die Sonne blendet; das Kind gewöhnt sich die beleuchtete Natur zu betrachten, aber das unmittelbare Licht der Sonne zu vermeiden. Aber auch die Natur blendet, sie blendet und zerstreut, wenn man sie zu lange betrachtet; wir brauchen einen zweiten, milderen Reflex, und zuletzt wenden wir uns an den Menschen, den der Strahl der Natur erleuchtet, wie der Strahl der Sonne die Natur, d. h. an den Künstler; von diesem nun empfangen wir alles zurück verständlich, klar, in der gehörigen Milde und Besänftigung, ohne Blendung, ohne Zerstreuung. Das ist – ich muß es noch einmal wiederholen, was Milton so zart und schön die Eva bitten läßt, als ihr Jehovah die Sprache lehren will: sie bittet, daß sie von Adam lernen dürfe, weil sie ihn besser verstehe. – Diese durch Künstlerhand vermenschlichte Welt drückt sich in den Gedanken, in Bildern, in den lebendigen Worten zumal höchst vernehmlich aus, aber selbst die stumme Feder kann durch ihre scheinbar so einförmigen Bewegungen das ausdrücken, was ich beschrieben; sie kann es – denn wir haben den Cervantes. Aber Cervantes vermöchte es nicht allein durch die Feder: daß auch durch die Hand ein Gott reden könne, das eigentlich wissen wir vom Cervantes; auch die geflügelte Feder muß von einer heiligen Gesinnung geführt werden, wenn sie das Größte verrichten soll, obwohl die Gesinnung selbst nicht herauszutreten braucht.

– Betreffend die andre, die ich die eiserne Feder nannte, so könnte ich Bossuet, ich könnte Machiavelli zitieren; lassen Sie mich indes zurückkehren zu dem, der meinem Herzen, meiner Neigung und aller unserer Sorge am nächsten steht, zu Burke. Die Betrachtungen über die französische Revolution, die man deutsch lesen kann oder englisch, weil die meisterhafte Übersetzung oft zweifelhaft läßt, wem dieses große Werk mehr angehöre, der deutschen Gesinnung oder der britischen Beredsamkeit, – geben sehr deutlich zu erkennen, was ich die eiserne Feder nenne. Das alte Bild vom Strome gilt insbesondre von dieser Gattung der Schreibart; während die geflügelte Schreibart sich um alle Formen, von allen Seiten her anschmiegt wie die Luft, wie sie eindringt tief in den Stoff, und nach Willkür ihren eignen Zustand, ihr Wetter verändert, so strömt ewig sich selbst gleich, gleich klar und gleich tief, nach einer Richtung, von einer erhabenen Seite her, wie das Wasser eines Flusses, die andre Schreibart. Es ist in aller Flüssigkeit der Sprache doch eine gewisse, eiserne Richtung darin, die wie ein Pfeil nach bestimmtem Ziele läuft. Ich wünschte recht verstanden zu werden: ich meine nicht bloß in den Gedanken und in der Gesinnung, wovon ich hier nicht spreche, sondern Wort, Ausdruck, alles was die Feder gibt, ist gerichtet nach einer bestimmten Seite hin; es steht und läuft, wie in Schlachtordnung, dem bestimmten Feinde entgegen; während in der geflügelten Schreibart die Worte sich nach allen Seiten dehnen und biegen und wiegen, frei und spielend gruppieren. Alle Bewegungen der Natur finden sich in der Schreibart des Cervantes wieder, während die des Burke in einer gewissen erhabenen Einförmigkeit hier schäumt und braust, dort mit ruhiger Gewalt fortdringt, und die Gestirne des Himmels milder zurückstrahlt, immer aber deutlich einen gewissen sanftharmonischen Wellenschlag vernehmen läßt.

– Lassen Sie uns von den erhabensten Beispielen zu den nächsten zurückkehren: ist nicht jene geflügelte Feder grade der Reiz aller Schriften, welche von weiblichen Händen herrühren; was bezaubert in den Briefen der Madame de Sevigné als dieses leise, zärtliche und doch so empfindliche, schmeichelnde und doch so ernste Berühren aller Verhältnisse des Lebens: es ist eine anscheinend beschränkte Welt in der sich diese Frau bewegt, es sind die Geheimnisse, es sind die Labyrinthe des Herzens, und dann wieder die vielfältigen Kollisionen des Herzens mit der Welt und mit der Gesellschaft, aber wie biegsam legt sich diese Feder um alle Formen des Lebens her; die Schrift atmet; wie leicht bewegte Lüfte spielen die Worte durcheinander. Ebenso die Briefe der Lady Montague: in den deutlichsten Umrissen, wie durch eine recht klare südliche Luft angesehn, erscheinen alle Gegenstände, an denen ihre wunderbare Reise vorüberführt. – Daher ist es den Frauen auch so natürlich, daß sie das eigentlich zwecklose Briefschreiben, das Hin- und Herübertragen stiller Weltanschauungen und jeder Erfahrung des Herzens lieben, während doch die meisten Männer nicht ohne einen tüchtigen Grund die Feder zum Briefe ansetzen: es muß etwas bewegt, von seiner Stelle gebracht, erlangt, erprozessiert werden können, wenn ein männlicher Brief abgehn soll.

– Werden wir nicht auch im Laufe unserer Untersuchungen über diese wichtige Distinktion der beiden Hauptgattungen der Schreibart zurückgedrängt auf das, was ich Ihnen als Schema aller menschlichen Distinktionen überhaupt aufführte: kann ich für den beschwerlichen Ausdruck: geflügelte Feder, einen bezeichnenderen Namen finden, als weibliche Feder, und für die eiserne Feder einen besseren, als männliche Feder. Liegt nicht in der ganzen männlichen Bestimmung dieses Gerichtetsein in jedem Momente nach einem bestimmten Zweck, mit allen Gedanken, mit allen Fertigkeiten und allen Neigungen der Seele, während das weibliche Dasein auf einen engen Raum beschränkt, pflanzenartig, möchte ich sagen, nach allen Seiten hinauswächst, sich sanft beugt unter den Stürmen des Elements, in welchem es lebt, sich nach allen Seiten hinbeugt, nicht unmittelbar eingreift in das Treiben der übrigen Wesen, aber Blüten und Früchte und Duft im leisen Gange der Jahreszeiten bringt und gibt. –

Dies ist genau die Empfindung, welche unter allem Getümmel des reichsten, buntesten Lebens Cervantes zurückläßt, am Ende, da wo er die Feder aufhängt neben den Waffen. – Es ist das Weibliche, sagen wir es nur gleich gradheraus, das Charakteristisch-Poetische in der Schreibart des Cervantes, welches den ausgebildeten Mann so anzieht, indes die Frauen, wenn sie ihrer Neigung natürlich folgen, obwohl sie selbst mit der geflügelten Feder schreiben, doch die strengere prosaische Feder lieber lesen werden. Hundert Frauen, die lieber die Clarissa, die Heloise, und den Werther, gegen eine, die lieber den Meister oder den Don Quixote liest. – Wir hätten also wieder das Gebiet der Poesie berührt; auch die Schreibart des Don Quixote oder des W. Meister gehört so wenig als der Gehalt, als der Gedanke dieser Werke in das Gebiet der Beredsamkeit, und wir fänden uns zuletzt beschränkt auf ein durch und durch männliches, ernstes und gleichförmiges Wesen, wir fänden uns hinausgedrängt aus dem Gebiete der freien Phantasie in das bürgerliche und öffentliche Leben, in den Tumult des Markts und der Ekklesie. Wir mußten um der Gerechtigkeit willen, die unser höchstes Gesetz ist, die beiden Gattungen der Schreibart sondern: denn wie viele Ungerechtigkeit begangen worden, da man einerseits von dem Ideal einer gewissen gleichförmigen klassischen Schreibart ausgehend, die romantischen Spiele der poetischen Feder nicht für wahre Kunst der Rede und für Stil hat gelten lassen wollen; und andrerseits den Ernst des praktischen Lebens, wie er sich in den schriftlichen Verhandlungen der Bürger und der Völker und der Wissenschaften ausdrückte, neben der poetischen Feder überhaupt für keine Feder anerkennen wollte.

– Auf einer sonderbaren Schwelle zwischen beiden Gattungen, obwohl er den Kothurn, von dem ich sprach, eigentlich nie abgelegt hat, sooft er auch Form und Richtung seines Geistes zu ändern schien, stand ein großer, uns erst vor kurzem entrissener Landsmann, Johannes von Müller. Er gehört der Beredsamkeit an, er hat in jedem Augenblick seines Lebens männlich nach bestimmten Zwecken gestrebt, aber eine gewisse poetische Empfänglichkeit vermochte ihn so oft sein Ziel zu wechseln, daß er mitunter den falschen Schein eines Dichters von sich gibt, so sehr die tüchtige Natur solchem Scheine, wie aller Lüge überhaupt, auch innerlich widerstrebte. Es hat sich nicht leicht solch eine Masse – nicht etwa von Kenntnissen, dieser Begriff wäre zu trocken und zu kalt für die Lebenswärme, für die Begeisterung, womit dieser Mann wußte was er wußte – aber von Bildern des Lebens in eine menschliche Seele zusammengedrängt als in ihm. Nicht leicht hat bei einer gewissen Unempfänglichkeit für die Dichter selbst, die ihm eigen war, ein Redner so den Buchstaben der Vorzeit zu beleben, zu ergänzen gewußt als er, nicht leicht hat ein menschliches Ohr die Stimmen des Altertums so zu unterscheiden gewußt als das seinige. Ich möchte ihn einen Geisterbeschwörer nennen, wie Burke einen Geisterseher der Vorzeit: mit gewissen Formeln von Ruhm, von Freundschaft, von Freiheit, mit einem beständigen Schlachten- und Waffenruf hatte ihn in früher Jugend das Studium der Geschichte angesprochen, gereizt, und leider für sein ganzes Leben bezaubert; mit diesen Formeln, die er nicht ohne eine gewisse Weihe aussprach, lockte er selbst wieder und beschwor die Geister der Vorzeit: es war bei ihm ein Werk mühseliger Arbeit, was bei Burke natürliche Verfassung der Seele; daher wußte Burke die Geister zu rufen und zu entlassen, während Müller sie heranbeschwor, in immer dichteren Massen um sich her versammelte, bis er zuletzt in dem Gedränge sich selbst verlor. Burke erschienen sie als Geister gewissermaßen verklärt: dem Johann Müller in einer gewissen ungebührlichen Deutlichkeit, mit einem Schein des gemeinen Lebens und in dessen Farben und Art, so daß sie selbst Platz einnahmen, und die Welt und das Zeitalter verwirrten, worin Müller stand, und wohin sie nicht gehörten.

Der treffliche Mann nannte sein Studium der Geschichte ein Wandeln durch die Jahrhunderte, und meinte, ihm stehe nach Belieben die Rückkehr frei in seine Heimat, und fühlte nicht wie er verwirrt wurde durch die zu große Klarheit seines Seelenauges; er zog die Umrisse der einzelnen Gestalten so streng, er wohnte sich, ich möchte sagen, auf jeder Herberge seiner Weltumwanderung gleich so ein, daß er nur mit Schmerz sich davon loszureißen vermochte. So ward sein ganzes Leben eine ununterbrochene Kette heftig ergriffener Freundschaften und bittrer Trennungen; ungebührlicher Hoffnungen und unzeitiger Verzweiflungen. Außer einem Herzen, das wo er stand gleich Wurzel schlug, und einen Bau anfing wie für ferne Jahrhunderte nach ihm, hatte die Natur ihm das unglückliche Geschenk einer geflügelten Einbildungskraft gegeben, die ihn allzu leicht von einem Lande in das andre, von einem Jahrhundert in das andre trug. Eine Eigenschaft demnach, die ich vom Redner begehrte, besaß er im Übermaß: das Eingehen in die entgegengesetzte Partei. Dieser Wortredner seines Jahrhunderts mit seinem göttlichen Talent für die Sprache konnte keine große Sache, keinen großen Prozeß führen, weil er die Gegenpartei allzu heftig auffaßte, weil er allzu tief einging in das Bedürfnis und in die Situation des Gegners. Daher seine Unbefangenheit, sein Befremden, wenn man ihm vorwarf, daß er seine Partei verlasse: Freund und Feind waren in seiner Seele beides treffliche Leute; es gab im Grunde keinen Streit zwischen ihnen, denn sie hatten beide auf gleiche Weise seine Einbildungskraft entzündet und bestochen, und so erscheint er am Rande seines Lebens auf der Seite, gegen die das ganze Wirken der schöneren Hälfte seines Lebens gerichtet war, und es begleitet ihn nichts in den Tod als der rührende Glaube an jenes Wesen, für welches er in seinem reichen Leben keinen andern Namen gefunden hatte, als den unvollständigen Namen der Freundschaft.

Er hatte in allen das Leben, wenigstens den Schlag des Herzens, wenn auch nicht das höhere Leben empfunden, wie sollte er nicht mit dem Glauben sterben, daß sie sich dereinst untereinander empfinden würden wenn auch seine schöne Seele blutete, daß er sie in der Entzweiung zurückließ, und daß ihm nicht vergönnt war, mit den Herren der Erde Hand in Hand zu wandeln, oder sich mit ihnen auf der Sonnenwolke des Ruhms zu erheben über die Erde. –

Ein großes lehrreiches Beispiel für uns an dieser Stelle unsrer Betrachtungen. Wir haben die Beredsamkeit streng geschieden von der Poesie, wir haben ihr die Flügel genommen, welche wegtragen über Länder, Meere und Zeiten, wir haben sie in die Gegenwart gebannt, auf den Ernst des Lebens, auf bürgerliche Taten beschränkt: die Beredsamkeit konnte nicht erkennen was sie sei ohne die Poesie, wie der Mann erst im Umgang der Frauen erkennt was er sei. Wir mußten die hergebrachten Theorien der Beredsamkeit verwerfen, weil sie die Beredsamkeit für sich betrachten, absondern von ihrem Gegenteil, lostrennen aus dem Verhältnis zur Poesie.

Aber noch lebendiger als diese tote und kalte Theorie zeigte es das Schicksal des großen Rednertalentes bei Johann Müller: er kannte, er verstand das Eigentümliche der Poesie nicht. Hören Sie ihn reden von Homer, den er bewundert; er greift ihn auf nicht wie einen Dichter, sondern wie einen Redner, mit bestimmten Zwecken der Belehrung, der politischen Begeisterung; das weibliche, in sich selbst geheimnisvolle Wesen der Poesie, die Unabhängigkeit ihrer Erzeugnisse versteht er nicht. Ich wüßte das ganze Problem, das Rätsel seines Charakters, seine reiche Armut, seine zaghafte Entschlossenheit, das eilige Verfliegen seiner Begeisterungen, die weichliche Härte seines Stils, seine treulose Treue, und vor allen den Mangel des Geschmacks selbst in seinen vortrefflichsten Werken nicht anders zu erklären. Die Satzungen der Völker interessieren ihn viel mehr als ihre Sitten: nur die Dichtkunst öffnet den Blick in das geheime Hauswesen der Völker, wovon die Geschichten Johannes von Müllers eigentlich keine Kunde geben. – So viel über die Gebrechen eines großen Mannes: zu unserm Verständnis war ein deutliches Bild dessen, was er gewesen, auch eine Zerlegung seiner Natur notwendig. Dieses nicht ohne Rührung vollbrachte Geschäft, unter welchem wir alle die in früheren Stunden entworfenen Züge des echten Redners zuzammenzufassen strebten, erinnert uns, nun zu sagen, daß er sein Leben hindurch unter allen Irrtümern das Allerhöchste gewollt, und auch in vielen großen Augenblicken seines tatenreichen Lebens die Nähe des Göttlichen empfunden hat. Es war etwas Prometheisches in ihm: er trug das Feuer des Himmels in seiner Brust, aber die Züge des Göttlichen selbst zu schauen, war ihm versagt; die Kriegeslust der irdischen Mächte kannte und verstand er, aber das Wehen ihres Friedens hat seine unruhige Seele eigentlich nie gekühlt. Weil er der Natur selbst ins Antlitz sah, so blendete sie ihn auf allen Wegen: beruhigen kann sie nur, ich wiederhole es, wenn sie widerstrahlt aus der Seele des Künstlers, des Dichters. Burkes gesellschaftliches Leben war geteilt zwischen den Künstlern und den Rednern seines Vaterlandes: kein neuerer Engländer hat den Shakespeare und die Dichter des Altertums verstanden wie er.


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