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XI. Vom Einfluß der christlichen Religion auf die Beredsamkeit

Ich hatte mir vorgesetzt die Beredsamkeit in den vorzüglichsten praktischen Funktionen, die ihr in unsern Tagen verblieben sind, darzustellen: nicht in der Absicht ihren Wirkungskreis zu umfassen, der unendlich ist, sondern um ihre Art, ihren Geschlechtscharakter so scharf als möglich zu bestimmen. Ich habe die politische, die schriftstellerische, die geistliche Beredsamkeit nicht sowohl selbst charakterisiren, als die Eigentümlichkeit des Redners in allen diesen verschiedenen Stellungen wahrnehmen lassen wollen. Die Lehrbücher unsrer Zeit, und so auch die über die Beredsamkeit, sind besonders mangelhaft in den Eingängen in der Bestimmung und generischen Absonderung ihres Gegenstandes: am lehrreichsten hingegen da, wo sie sich in das Einzelne verlieren, und der Natur gewissermaßen nicht ausweichen können, weil ihnen die Dinge selbst in ihrer praktischen Wahrheit zu nahe treten. Viele von den Kunstgriffen, welche ein solches Lehrbuch der Beredsamkeit lehrt, stimmen mit meiner allgemeinen Charakteristik der Beredsamkeit sehr wohl überein, und so vergeben Sie mir, wenn ich zuviel über das Verhältnis der Beredsamkeit zu andern Dingen gesprochen habe, indem Sie bedenken, wie meine Vorgänger allzu hartnäckig aus ihr selbst, aus ihrer abgesonderten Betrachtung haben entnehmen wollen, was sie sei. – Indes einen Vorzug meiner Behandlung dieser großen Angelegenheit einfinde ich zu tief, als daß ich ihn nicht aussprechen sollte: die Beredsamkeit jener Lehrbücher sollte den Gegner zum Schweigen bringen und ihn unterwerfen, die meinige geht vor allen Dingen darauf aus ihn zum Worte kommen zu lassen, und da wo sie ihn etwa bezwingt, immer mehr zu erheben als sie ihn unterwirft. Der Triumph des Redners ist jene erhabne Stimmung der Seele seines Zuhörers, welche Burke den »würdevollen Gehorsam, die freie Dienstbarkeit des Herzens« nennt.

– Fragt man was eigentlich vorzuziehen sei, die neuere Welt oder die alte der Griechen und Römer, so ist freilich die Antwort schon sehr natürlich, die sich für die neue erklärt, weil sie etwas von der alten wisse, diese aber nichts von ihr: ich aber sage, daß es einen würdevollen Gehorsam, einen Stolz der Dienstbarkeit gibt, dies erhebt die neue Welt über die alte. Dies ist die große Empfindung, welche die größten unter den Alten entbehrten und welche selbst Platon nicht erschwungen hat. Diese Empfindung im Herzen, ist keine Vermessenheit zu sagen, daß wir von der Beredsamkeit mehr wissen als Demosthenes, Cicero und Quintilian. Denn wenn mit dem Gegenstande der Beredsamkeit, dem menschlichen Herzen eine solche Veränderung vorgegangen, ein so großes bis dahin unempfundenes entdeckt worden ist, wie möchte sich von den Alten die Beredsamkeit lernen lassen für unsre Zeit. Es geht durch das ganze Altertum eine Rede von der Freiheit. Die Alten bezeichneten unheimliche Dinge mit wohltuenden Namen: sie ahndeten die Wunder des Wortes: wo in der Wirklichkeit ein ungelöstes Rätsel zurückblieb, wo das Bild eines Dinges Schaudern erregte und Widerstreben, da suchten sie zu versöhnen durch die Milde und Freundlichkeit des Wortes. Euphemismus heißt dieser Kunstgriff der Sprache: die Forscher des Altertums haben unzählige solcher Euphemismen gesammelt, aber den ersten unter allen vergessen. Keiner springt in die Augen wie der des Wortes Freiheit. Die Dienstbarkeit, die Unterwürfigkeit ist das Los des menschlichen Geschlechtes: es kann also nur eine Freiheit gehen in der Dienstbarkeit, eine Würde im Gehorsam. Was war den Alten fremder, als die Freiheit zu suchen im Gehorsam? Dennoch läuft ein unheimliches Gefühl der Sklaverei durch alle Lebenslust des Altertums: dieses Gefühl ward überdeckt mit einem freundlichen Wortklange, mit einem Euphemismus: das ist die Freiheit der Alten.

– Wir also, in der Verschlossenheit unsrer Sinne, sind durch das eine Gefühl der Freiheit in dem Gehorsam, des Stolzes in der Unterwerfung größer als die Alten, beredter als die Alten. Sich selbst anklagen, habe ich gesagt, sei die Bedingung aller Beredsamkeit: haben es die Alten gekannt, so wie ich es meine? – Sterben konnten sie für ein Vaterland, aber nicht sich opfern: verspotten konnten sie sich, aber nicht sich geringachten, sich anklagen; sie trugen nicht das Größere in sich, welches den Menschen um so höher erhebt, als er sich tiefer unterwirft. –

Erwarten Sie von mir keine andre Rechtfertigung unsrer Zeit sowohl, als meines deutschen Vaterlandes, jetzt, wo sich diese unsre Betrachtungen ihrem Ende nähern. An eine Stelle, wo die neuere Welt anscheinend beschämt werden sollte von der alten, zur Unterredung über die große Materie der Beredsamkeit habe ich Sie eingeladen. Ich habe mehr zum Ruhme der Alten gesprochen als die meisten meiner Vorgänger, mehr von den Gebrechlichkeiten unsrer Zeit ausgesagt, als Ihnen vielleicht hier und dort wohlgefallen. Ich habe mich, meine Zeit, mein Volk erniedrigt – weil sich eben nicht anders zeigen ließ, was uns erhebt. Ein Virtuose der Redekunst bin ich nicht: wo ich Sie durch meine Rede unmittelbar getroffen habe, da war es ein größerer als ich, der durch meinen Mund sprach: mein größtes Verdienst war, daß ich den größten Redner meines Jahrhunderts, daß ich Burken verstanden hatte. Wenn aber durch meine Darstellung ausgedrückt worden ist jene freie Dienstbarkeit des Herzens, von der Burke spricht, dann habe ich meinen Zweck erreicht. Hat sich in allen Klagen über das Verstummen meines Jahrhunderts, zumal meines deutschen Vaterlandes, ein gewisses Gefühl der Freiheit, ich möchte sagen ein Vorgefühl künftiger Beredsamkeit, besonders aber ein Gefühl der Beruhigung in dem Schmerz, des Sieges in der Niederlage merken lassen? darauf kommt es an. Von dieser Seite, und es ist die einzige wesentliche, steht das Land, welches mich erzogen hat, über allen andern. Das Gefühl der freien Dienstbarkeit und des würdevollen Gehorsams ist das Palladium der Welt: Deutschland ist dessen Pflege anvertraut. Die erhabensten Gefühle des Lebens sind von den germanischen Völkern hinübergetragen worden in die bürgerlichen Verfassungen: wem gehört Karl der Große an, welchem Volke gehört dieser Ahnherr der Chevalerie? wo hat er die Gesinnung her, und wo Großbritannien seine Verfassung, als von Deutschen? ist nicht, was Burken begeisterte, nur deutsches Wesen, welches der unauflösliche Gürtel der See dort fester, reiner, unvermischter, jungfräulicher erhalten hat als bei uns? Deutschland hatte nicht sowohl durch seine Schlachten, als durch sein leidendes Widerstreben Rom überwunden, Deutschland hatte durch sein bloßes Wachstum Rom aus Europa verdrängt, darum nannte es sich heiliges Römisches Reich: es nannte sich nach dem Überwundenen, und fügte nur hinzu eine stille Andeutung der Waffe, womit es überwunden. Indem ich der früheren Zeiten gedenke, möchte ich mich fragen: wo im Leben, in den Sitten, in den Verfassungen der Deutschen sind die Spuren nicht, daß wir uns besser verstanden haben um jenes Gefühl, welches die neuere Welt über Rom und Griechenland erhebt, als die meisten übrigen Völker? – Dieses Gefühl – ich brauche die Quelle, aus der es geflossen ist, nicht erst zu nennen, genug, daß Deutschland die eigentliche Pflegerin desselben war – ist die charakteristische Eigentümlichkeit der neueren Beredsamkeit.

Wer dieser Empfindung nicht fähig ist, der halte sich an die Alten und lerne ihnen nachsprechen: oder der schweige lieber ganz; auf den wesentlichen Gang der Dinge wird seine Beredsamkeit doch keinen Einfluß erhalten.

Unter allen Anwendungen der Beredsamkeit, die in unsrer Zeit vorkommen, ist keine wichtiger als die, welche die nächstfolgende Generation, ihre Bildung, Erziehung und Belehrung im Auge hat. Hier steht dem Redner gegenüber jene Frische der Empfindung, jene Empfänglichkeit der Organe, jene Offenheit des Sinns, der zum Reden begeistert: in den übrigen Verhältnissen des Lebens Gehör zu finden, eigentliches Gehör, wie es der Redner braucht, ist selten; die Beredsamkeit muß die hellen Intervalle tief in sich selbst befangener und verwickelter Gemüter benutzen, sie kann nur aufflammen, sie hat keine Zeit sich in ihrem eignen Feuer zu läutern und zu beruhigen. Der Erzieher der Jugend hingegen hat grade jene Jahre des menschlichen Lebens zu seiner Disposition, wo die Seele noch mit einer gewissen Frömmigkeit, mit Glauben und Ergebung hinnimmt was ihr geboten wird, wo sie ein Bedürfnis hat zu empfangen. Das Studium der Sprachen, wie der Poesie und Beredsamkeit, füllt diese Jahre sehr natürlich aus: die Alten sind dabei unentbehrlich, was der Einzelne kann und vermag mit eigner Kraft, was die Persönlichkeit des Menschen an sich und ohne Hülfe höherer Mächte vollbringt, das zeigen die Alten: wie weit die Gewalt der Rede in dem Munde des Einzelnen reicht, hört und lernt man von den Alten. Aber es ist noch viel größeres von ihnen zu lernen; das Studium der Alten ist noch viel wesentlicher aus einem andern Grunde, den die neuere Erziehung weniger beachtet hat. Mich dünkt, die Alten haben mich vielmehr belehrt durch das, was sie nicht sind, durch das, was ich in ihnen vermißte, als durch alle großen positiven Vorzüge ihrer Werke: in der Betrachtung der größten Meisterwerke der griechischen Beredsamkeit empfindet man, daß man noch ganz etwas anderes, und in ganz andrer Art zu sagen hätte als sie, und daß selbst die zerschmetternde Beredsamkeit des Demosthenes die eigentliche Kraft, die wir empfinden wollen, entbehrt. In der Klarheit der Argumente, in der Kunst der Anordnung, in der Äußerlichkeit keiner Art liegt es: griechische und römische Redner lassen die Gegenpartei reden, sie sind Meister der Dialektik; auch wird ihre Rede getragen von der Aufmerksamkeit horchender und antwortender Nationen. Ungeachtet dessen geht ihnen die allerhöchste Wendung der Rede ab; diejenige Wendung, welche die Bezauberung, die sie hervorbringt, unmittelbar wieder selbst löst.

Der antike Redner entwaffnet und bezwingt, aber er muß seinen Sklaven festhalten, oder jene Leidenschaften, jene augenblicklichen, unnatürlichen Zustände, durch die er ihn bezwungen, verlängern, um die Frucht seines Sieges zu behaupten: der Redner der neueren Welt kann durch die Beredsamkeit in eine Region erheben, die der überwundene Zuhörer nie wieder verlassen möchte. Die Schande der Niederlage ist nicht mehr, das Empörende in dem Gefühl der Untertänigkeit ist verschwunden, sobald der Sieger oder Herrscher nur dadurch siegt und herrscht, daß er sich von einer höheren Macht überwunden und ihr untertäniger bewiesen hat. Nun ist in dem Zuhörer ein gewisses inneres Ohr, eine ganz andere tiefere Empfänglichkeit eröffnet: er kann mit größerer Würde gehorchen, als mit der der Römer und Grieche befahl – warum sollte er nicht gehorchen; er kann mit größerer, stolzerer Erhebung der Seele dienen, als jener herrschte, warum sollte er nicht dienen? –

Woher diese Umwandlung! Das Göttliche selbst ist sichtbar und deutlich geworden; bei den Alten konnte es dem Einzelnen zweifelhaft scheinen, da er nichts Höheres gewahr wurde als sich selbst, ob er selbst nicht vielleicht bestimmt sei zur Herrschaft; wenigstens war nichts da, welches verdiente, daß er sich ihm unterwarf; und so war die Knechtschaft wie die Herrschaft, wenn sie auch ein ganzes Leben peinigend und reizend, schwankend aufrecht erhalten konnten, gleich demütigend: nunmehr aber ist entschieden, daß alles dienen soll; wer herrsche ist nicht mehr zweifelhaft; über alles Geringere sind Mißverständnisse möglich, aber das Höchste ist erkannt: wer nunmehr gehorcht, gehorcht um dieses höchsten Gutes willen, wer dient, dient nicht mehr einem Wesen, was, wie groß es auch scheine, in der Folge der Zeit die eigne Gebrechlichkeit ausweisen, und den Dienenden in seinen eignen Augen erniedrigen kann: würdevoller Gehorsam, freie Dienstbarkeit ist möglich. Der Wahn, durch die Gewalt der Rede zu unterjochen oder von ihr unterjocht zu werden, ist zerstreut: eine ganz andre Gattung der Beredsamheit kommt, ein Unüberwindliches spricht durch den Mund des Menschen. Auch mit Beziehung auf die Beredsamkeit ist es wahr, daß, wie die Schrift sagt, das eigentliche Wort nunmehr in die Welt gekommen sei. –

Von Erregung der Leidenschaften, von allen jenen kleinlichen Künsten der größten Redner des Altertums kann nun nicht mehr die Rede sein in einer Theorie der Beredsamkeit: es kommt darauf an, ein Gefühl anzuregen, was im Menschen, tief unter aller äußerlichen Bewegung, unter allem Wechsel der äußeren Zustände, unter allem Haß, aller Liebe, allem Zorn, allem Ehrgeiz, und allem was die Welt noch Leidenschaften nennen mag, vorhanden ist. Es kommt darauf an ein Gefühl zu entbinden, welches vom Geschwätze des Tages und vom Tumulte der Weltbegebenheiten überschrien sein mag wie es will, dennoch in jedem einzelnen Bürger des christlichen Europas vorhanden ist, und antwortet, und einen vernehmlichen Widerhall gibt, wenn es von dem rechten Redner angesprochen wird. Welches Wort eines griechischen Redners hätte die Tiefe des Herzens treffen mögen, wie Burke in der oben angeführten Stelle, da er an die ritterliche Galanterie des französischen Volkes appellirt. Welches Wort hatte der alte Redner dem Worte Ehre an die Seite zu setzen: was ist, an echt rhetorischer Wirkung die Appellation an den Ruhm des Alten, gegen die an die ritterliche Ehre der neueren Welt: der Ruhm buhlt an der Oberfläche des Menschen, an den äußeren Sinnen umher, aber tief im Inneren des Menschen ist eine Stelle, von da aus unser ganzes Wesen mit einem Schlage ergriffen werden kann, die wir nicht kennen würden, wenn wir nicht das Wort Ehre aussprechen gelernt; eine Stelle, die Epaminondas nicht kannte und Themistokles nicht, und Alexander und Cäsar und Tacitus und alle Helden des Altertums, die doch sonst wohl zu Hause waren in sich selbst, nicht kannten. –

Die Eifersucht, mit welcher der Mensch über sich selbst, über seine Unbescholtenheit wacht, mit der er jeden Angriff dessen, was er seine Ehre nennt, bestraft, gilt doch nimmermehr ihn selbst, sein gebrechliches, wankelmütiges Wesen: nein, sie hat etwas von einer Tempelwacht, er scheint ein Heiligtum zu behüten, das er in sich trägt; es scheint eine Furcht vor Entweihung vorzuwalten, und dennoch kann er selbst in seiner Ohnmacht und Vergänglichkeit unmöglich das Heiligtum sein, das er schützt. – Er trägt also wirklich, wenn er es auch nicht weiß, sondern nur an solchen unwillkürlichen Empfindungen seines Herzens merkt, ein höchstes Gut in sich, das der Grieche und Römer entbehrte. Dies anregen, dies entwirren zu können aus den verschlungensten Knoten des Herzens, ist der Vorzug des Redners der neueren Welt, ist seine Bestimmung, ist der Inbegriff seiner Kunst. Alles andre Reden, mit geringeren Zwecken und schlechteren Mitteln, wenn es auch im Umkreise der rhetorischen Kunst der Alten lag, die das Höhere nicht kannten, verdient jetzt keiner Erwähnung mehr. Sich selbst anzuklagen wissen, sich an allen Stellen der Rede demütigen vor dem Höheren, das durch unsern Mund redet, tief eingehen in das Gemüt des Zuhörers, in seine Eigenheit; nie vergessen, daß man nur Glied eines Gesprächs sei, daß es das Antworten des Zuhörers sei, welches unsre Beredsamkeit trage und steigre, und daß es jener dritte, jener Geist, welcher unsichtbar im Gespräch waltet, sei, dem alle Frucht und Wirkung der Rede zugeschrieben werden müsse, – dies sind die Erfordernisse der neueren Beredsamkeit – von ihnen findet sich im Quintilian keine Kunde. – Wie sie mit der ewigen Natur der Beredsamkeit überhaupt streng übereinstimmen, glaube ich gezeigt zu haben.

– Die Alten also sind eine Vorschule aller Erziehung, alles Unterrichts, besonders dessen in der Sprache und der Beredsamkeit; es ist unendlich viel von ihnen zu lernen; wie man die eigne Persönlichkeit, das ganze irdische Beiwesen unsrer unsterblichen Natur, das auch nicht weggeworfen werden darf, ordne, befestige, bewaffne, verteidige, ist noch heut direkt von den Alten zu lernen. Noch größeres aber ist zu ersehen aus dem was ihnen mangelt, und was wir Bürger dieses stummen Jahrhunderts, anscheinend verlassene, verwaiste Kinder besserer Geschlechter, dennoch in uns tragen als ein zwar dunkles, aber starkes Gefühl, welches sich offenbart in unsrer Art der Ehre und der Liebe, wie unedle Beimischung das eigentümliche Wesen dieser Empfindungen auch zu verbergen scheinen möge.

Dem Redner also, der an das unbedingt beste Publikum für die Beredsamkeit, nämlich an die Jugend, zu sprechen hat, wird sicherlich nichts gelingen ohne die von mir beschriebene neuere, und im Vergleich gegen das, was die Alten durch die Kunst der Rede beabsichtigten und vollbrachten, heilige Beredsamkeit. Wer nicht auf die religiösen Unterschiede achtet, von denen ich gesprochen, der kann heute mit allem Strom der Worte nichts mehr bewegen, die Gemüter nur bestärken in ihrem Eigensinn: sowohl die Beredsamkeit, welche er übt, als die, welche er lehrt, gehen erfolglos vorüber; es sind ganz andre Kräfte in der Welt anzureden und zu ergreifen, als die, an welche er sich wendet. Die Rede, welche der Schüler nach dem Cicero und ihm gelernt hat, muß er erst wieder vergessen, selbst wegsprechen aus seiner Seele, wenn ein Mann aus ihm wird, wenn er nicht bloß andre, sondern zumal und vor allen Dingen sich selbst überreden und beruhigen will. Doch wozu Umschweife! es gibt nur eine heilige, eine christliche Beredsamkeit! Wenn alle Hausmittelchen der Überredung, wenn alle die ängstlichen Lehren der Alten befolgt und erschöpft sind, wenn man Hörer hat wie sie sein sollen, wenn sich die Kunst abgemattet, um eine große Wirkung hervorzubringen – dann fühlt man, daß ohne jene Quelle, aus der die Gefühle der Ehre, der Liebe, des Gehorsams, der freien Dienstbarkeit geflossen sind, die ganze Mühe der Rede, sowohl was ihre Form, als was ihren Stoff betrifft, nicht belohnt werden kann.


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