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X. Von der Kanzlei-, Geschäfts- und historischen Beredsamkeit

Nachdem wir die Beredsamkeit in ihren Beziehungen auf die Kanzel und auf die Schriftstellerei erwogen, würde nunmehr zu erwägen sein, was sie mit Rücksicht auf das Staats- und Geschäftsleben sei und wirke. Die gerichtliche Beredsamkeit, der man in unsern Tagen nach dem Beispiele der britischen Staatsverfassung wieder einigen Einfluß zu vergönnen angefangen hat, ist nur ein Teil dessen, was ich meine. Der Staatsmann in allen gedenkbaren Funktionen seines großen Berufs agirt als Richter, indem ihm zwei streitende Parteien unterworfen sind, deren Interesse er zu versöhnen hat, aber auch wieder als Anwalt, indem er sein Departement, seinen Geschäftszweig gegen die übrigen, oder seinen Staat gegen die Nachbarstaaten zu vertreten hat: wie nun die gerichtliche Beredsamkeit nach Maßgabe der Stellung des Redners sich in die beiden Gattungen der richterlichen und der parteilichen Beredsamkeit teilt, so würde, wie es sich von selbst versteht, die gesamte politische Beredsamkeit eine bloße Erweiterung der gerichtlichen sein, und nach demselben Einteilungsgrunde in zwei Hauptgattungen zerfallen müssen. Die Stellung des Anwaltes würde beiden, dem Erskine und dem Burke gemeinschaftlich sein, wenn auch jener nur Individuen, dieser nichts geringeres als Amerika, Ostindien, Großbritannien selbst, ja den alten gesellschaftlichen Zustand von Europa zu vertreten hätte: die Stellung des Richters würde beiden, dem Lord Mansfield und dem jüngeren Pitt gemeinschaftlich sein, wenn auch jener als Oberrichter nur die Händel der Privatpersonen, dieser dagegen die gesammten streitenden Kräfte einer großen Monarchie zu vertragen und zu vermitteln hätte.

– Wir haben im Laufe dieser Vorlesungen an keiner Stelle der Poesie vergessen: wir wären sicher von unsrer Bahn gewichen, hätten unsers eignen Geschlechts vergessen, hätten den Standpunkt für unsre Untersuchungen und uns selbst verloren, ohne jenes leitende Gestirn, das, wenn auch nur Strahl aus einer andern Welt, dennoch das ganze irdische Treiben der Beredsamkeit ordnen, und ganz wie die Gestirne, den rednerischen Geschäften die Richtung und das Maß mitteilen mußte. Sie erinnern Sich jener dritten seligen Stelle über dem Gewühl der irdischen Parteien, welche wir als den Wohnsitz und die Heimat des Dichters anerkennen mußten! Wir überzeugten uns, daß die Poesie kein einzelnes irdisches Interesse mehr als Anwalt zu vertreten habe, daß sie ohne bestimmten Zweck, ohne gemeines Ziel ihrer Tätigkeit wie die Frauen, blos die Verewigung des ganzen Geschlechts und aller seiner Heiligtümer im Auge habe. Sollte nun nicht der Staatsmann, der Richter, da er ja gleichfalls über den Parteien schwebt, und das Glück des Einzelnen nie abgesondert als Parteiangelegenheit, sondern nur wie es aus der Seligkeit des ganzen Gemeinwesens hervorgeht, betrachten darf, im Wesen eins sein mit dem Dichter, und die ganze Unterscheidung nur in der Unvollkommenheit und Unreinheit unsrer Gesinnung, die den Ernst und das Spiel nicht zu vertragen, und das Gedicht nicht von der Erdichtung abzusondern weiß, ihren Grund haben? Es ist wahr, nur in der gemeinen, tierischen Region des politischen Lebens sind der Staatsmann und der Dichter unverträglich: sie scheinen sich zu nähern und zu versöhnen, je höher das Leben steigt; sie erkennen sich: in welchem Bade soll sich die Seele des großen Staatsmanns erfrischen als im Bade der Poesie? Wenn ungeheure Sorgen ihn von sich selbst loszureißen und mit sich selbst zu entzweien, wenn die Lockungen des Ruhms und aller irdischen Größe ihn in sich selbst zu verstricken drohn, was soll hier die Knoten lösen, dort das Getrennte sanft verknüpfen? Braucht nicht Alexander den Homer, um die brausende Seele nur die wenigen Jahre festzuhalten, die sein ungeheures Dasein dauert? Was soll denn denjenigen mäßigen, von dem die irdischen Dinge ihr Maß erwarten? Was soll den selbst erziehn, dem ganze Völker zur Erziehung übergeben sind? In seinem Geschlechte ist er der größte, und alles von ihm abhängig; hier ist er selbst der Ausfluß aller Gnade, alles Lohns, aller Beruhigung. Es muß etwas geben, ein andres Geschlecht; seines Gleichen, und doch unendlich verschieden von ihm, welches dem Himmel näher steht und ihn schwebend erhält in seiner Höhe, ihn selbst wieder belohnt, beruhigt, und für dessen Wirken es im ganzen Umkreise der irdischen Dinge kein Gleichnis gibt als die Mutter oder die Hausfrau.

Wir reden von der Beredsamkeit, welche die erste unter allen Funktionen des Helden und Staatsmanns ist, wie denn alle Kräfte am letzten Orte doch nur bewegt werden durch das Wort: und so können wir jenes andre, heilige Geschlecht, dessen Begleitung wir bedürfen, nicht zweckmäßiger bezeichnen als durch das Gegenteil der Beredsamkeit, durch die Poesie: handelten wir vom Staate oder vom Fürsten, wie Macchiavelli so würden wir es anders nennen, nämlich Religion, die Fürstin, Königin, in deren Gefolge die wahre Poesie aller Zeiten aufgetreten ist, wie denn überhaupt der Charakter der Poesie nicht aufrecht zu erhalten, ihr Geschlecht nicht zu behaupten ist, ohne die Religion, welche demnach, beiläufig gesagt, die letzte und reinste Quelle auch des Geschmacks ist, den wir von der Poesie entlehnen, und wie eine gute Gewohnheit auf das Gebiet der Beredsamkeit hinübertragen mußten, um ihrer fragmentarischen Wirksamkeit Form und Haltung zu geben. –

– Es fragt sich nun, geht der Staatsmann-Redner ganz über in den Dichter? Und da es keinen andern Umgang, keine Gemeinschaft für ihn gibt, da er sogar nach Art der Poesie in einer gewissen seligen Unbefangenheit über dem Kampfe der Parteien schweben soll – verliert er nicht den eigentümlichen rhetorischen Geschlechtscharakter? Und sollte nicht der gewisse blühende Stil und lebhafte Vortrag, den unsre Zeit nicht blos an den angehenden Geschäftsmännern rühmt, sondern überhaupt an die Stelle des alten trocknen Kanzleistils setzen möchte, eine Spur sein, daß sich die politische Beredsamkeit wirklich zu vermischen anfange mit, daß sie überzugehen anfange in die Poesie? –

Ich glaube nicht, daß ein reines Gefühl durch eine größere Geschmacklosigkeit beleidigt werden könne, als durch eine poetische Phrase in Staatsschriften. Ja die Lebhaftigkeit selbst hat in einem richterlichen Urteil, oder überall wo der Staat selbst spricht, etwas anstößiges: je höher der Staatsmann gestellt ist, je mehr er sich also erhebt, ich möchte sagen zum Niveau der Poesie, je mehr er meiner Voraussetzung nach des Umgangs der Poesie bedarf, um so mehr verlangt ein unbestechliches Gefühl in uns, daß die Poesie selbst in seinen Werken nirgends wahrzunehmen sei, als allein unsichtbar zu spüren in dem Geschmack, der in seiner Lage eben die Poesie ausschließt. Wir lassen uns viel lieber von ihm einige Trockenheit und Steifheit gefallen, wiewohl diese ebensowenig der Charakter des Geschäftsstils ist, als etwa die Magerkeit der Charakter der männlichen Form.

Dieses richtige, wenigstens unüberwindliche Gefühl scheint anzudeuten, daß bei aller Verträglichkeit zwischen der politischen Beredsamkeit und der Poesie dennoch die Geschiedenheit zwischen beiden fortdauern müsse, und daß die Beredsamkeit grade um so rhetorischer, um so prosaischer werden müsse, je mehr sie sich der Poesie hingebe, und je vertrauter sie werde mit ihr. Sie sehen, daß dieses wunderbare Verhältnis, mit dessen Erörterung sich bis jetzt die Kritik nur selten befaßt hat, unerklärt bleiben würde, wenn ich nicht durch den Lauf dieser Vorlesungen das einzige Gleichnis angewendet hätte, welches in dem ganzen Gebiete der menschlichen Angelegenheiten dafür vorhanden war, das Verhältnis der beiden Geschlechter. Grade in demselben Maße als das Bedürfnis des weiblichen Umgangs wächst, tritt der männliche Charakter deutlicher ans Licht: und ich behaupte, daß die wahre Poesie an dem Stil der Staatsschriften, die George Rex unterzeichnet sind, und die als unbedingtes erstes Muster dieser Art ausgezeichnet zu werden verdienen, dieselbige Freude hat, die eine echte Frau in der Betrachtung des wahrhaft männlichen Charakters empfindet.

– Die beiden Hauptgebiete der menschlichen Wirksamkeit, das häusliche und das öffentliche Leben, wollen eben miteinander bestehn: eines ist nicht ohne das andre. Das Gesetz, die Frucht des öffentlichen Lebens, ist nichts ohne die Sitte, welche aus dem häuslichen hervorgeht. Das häusliche Leben, die Familie, darin die Frau herrscht, ist an keine Zeit gebunden, ist in gewissem Sinne ganz unabhängig von der Zeit, ist immer vollendet und geschlossen, hat keinen äußeren Zweck, als das Leben selbst, die Erhaltung, die Pflege des Lebens, eben so wie die Poesie. Das öffentliche Leben, der Wirkungskreis des Mannes, ist nie vollendet, ist aber streng an Zeit und Ort gebunden: es sollen bestimmte Wirkungen mit bestimmten Mitteln hervorgebracht werden; es soll ein Haus gebaut werden aus ganzen Nationen, ja der Menschheit selbst, worin die Poesie oder die Religion walten soll, wie die Hausmutter in der Familie. Dies aber ist das Geschäft des ganzen Geschlechts: der einzelne Mann, nur vorübergehender Arbeiter in dem ewigen Bau; sein eigentlicher Lohn kann nicht in den bestimmten Erfolgen seiner Wirksamkeit liegen, die immer unvollendet bleibt; das Maß des Werkes kann nicht aus dem Werke genommen werden, welches nie fertig vor ihm dastehen kann. Woher nimmt er es? als aus dem von dem seinigen ganz verschiedenen Wirken der Hausmutter: dieses bildet in engem Räume, eben so wie die Poesie, das ganze Leben und die Bestimmung des Geschlechts ab – und so erhält er aus einer ganz andern Sphäre den Glauben, die Hoffnung, die Liebe, kurz den eigentlichen Geist seines Werkes, den Geschmack, den Sinn, worin es getrieben werden muß.

Der ohnmächtige, vergängliche Arbeiter an einem ewigen Werke müßte verzweifeln in seinem hoffnungslosen Geschäft, wenn er allein stände: das erhabenste Staatsgeschäft wäre Festungsbau, Galeerenarbeit, ohne die prophetische Beruhigung, welche das häusliche Leben gewährt, dieses beständig aufgeschlagene, sehr leserliche Buch über die Bestimmung des ganzen Geschlechts.

Alles Leben des Mannes und alle Kräfte der Beredsamkeit sind gerichtet auf die Gesetze, auf jene großen fragmentarischen Ausdrücke des Allgemeingültigen, welches das Leben und die Taten der Nationen hinterlassen: immer ist an ihnen zu verändern, zu verbessern: wo aber, da das Ziel unsichtbar ist, soll die Richtschnur herkommen für die Verbesserung? Es ist die Sitte, es ist der Geist der Familie und des häuslichen Lebens, welche über die Ungewißheit des Ausgangs erhebt, welche die Wolken der Zukunft, die über den Erfolgen der männlichen Bestrebungen ruhen, zerstreut, und die Bürgschaften der fernsten Nachwelt für unsre Unternehmungen herbeibringt. Abschreiben lassen sich die Sitten nicht, auch lassen sich nicht unmittelbare Verfassungen der Völker daraus schneiden, so wenig man, wenn die Beredsamkeit verfallen ist, wie bei uns, sie durch einen Raub poetischer Phrasen, blühender Formen und kühner Wendungen ersetzen kann: Völker, die den Geist der Sitte nicht zu schonen wissen, oder die Sitten verloren haben, werden nichts gewinnen dadurch, daß sie selbige verordnen wie Gesetze: Sitte und Gesetz, häusliches und öffentliches Leben, die weibliche Wirksamkeit und die männliche, kurz die Beredsamkeit und die Poesie, durch deren Mund sich alle diese wesentlichen Unterschiede erhalten und befestigen, müssen alle ihren Geschlechtscharakter behaupten, wenn sie einander dienen und beruhigen sollen.

– Wenn also das häusliche Leben und das öffentliche von einander gerissen sind, wie in unserm Jahrhundert, wenn das Privatleben und die Poesie weichlich, ohnmächtig auf der einen Seite daniederliegt; das öffentliche Leben und seine Offenbarung, die Beredsamkeit hart, steif und rauh auf abgesondertem Wege geht, so ist nichts gewonnen dadurch, daß man sie vermischt, aus der Beredsamkeit und Poesie, aus der Sitte und dem Gesetz ein drittes geschlechtloses zu bereiten sucht. Vielmehr, man muß sie sondern, ihre Eigentümlichkeiten streng unterscheiden: in Ansehung der Poesie und der Beredsamkeit hat die Kritik mir dieses wichtige Geschäft überlassen. Man muß sie unterscheiden für immer, so daß sie für immer nach engerer Vereinigung streben können: dies war nur möglich nach dem Schema, nach dem Muster der beiden Geschlechter. Wie die Beredsamkeit der künftigen Jahrhunderte, zumal Deutschlands, beschaffen sein werde, weiß ich nicht: so wenig als ich von den politischen Formen der Zukunft und dieses teuren Vaterlandes weiß. Auch ich bin ein Arbeiter in jenem großen Bau: die Gegenwart ist mein Erbteil; aber Richtung und Maß empfange ich von jenem weiblichen, mütterlichen, heiligen Wesen, welches das häusliche Leben anordnet, uns durch alle verwickelten Geschäfte des Lebens begleitet, alle Rätsel des Lebens löst, die Abwesenheit der zukünftigen Dinge ersetzt, und durch die feindselige Freundschaft, in der es mit mir lebt, mich mir selbst bewußt macht. Alle Beredsamkeit ist fragmentarisch, wie alle Arbeit des öffentlichen Lebens: ich würde mit Verdruß mich selbst sprechen hören, wie mit Verzweiflung mein eignes Werk betrachten; wenn sich der Geist des Ganzen nicht mir ewig offenbarte in der Poesie und in dem häuslichen Leben. – Wenn also der Staatsmann, der Richter über dem Streit der Parteien schwebt, so befindet er sich immer noch nicht auf jener seligen Höhe des Dichters oder der Hausfrau über einem Ganzen: er hört deshalb nicht auf selbst Partei zu sein, er steht immerfort inmitten eines unvollendeten Werkes, und hätte er nicht mit Feinden oder Rebellen zu tun, ist denn nicht die Zukunft selbst eine ungeheure Gegenpartei, muß er nicht ganz nach Art des Redners unaufhörlich anklagen die Gegenwart, für die er wirken und sorgen will, und Partei nehmen grade für die Geschlechter, die nachkommen, und die er noch nicht kennt? Der Staatsmann ist in unzähligen Beziehungen Richter, in eben so viel anderen aber auch wieder Anwalt und Partei.

Wir werden also die politische Beredsamkeit einteilen können in die beiden Gattungen der richterlichen und der parteilichen. Ich habe schon früher angedeutet, daß ich für das höchste Muster in jener den jüngeren Pitt, in dieser Burken halten würde, – wie überhaupt in England beide Gattungen auf das bestimmteste und deutlichste abgesondert erscheinen. Wo im Namen des Staates gesprochen wird, habe ich bemerkt, müsse jede poetische Wendung einerseits, und alle parteiliche Lebhaftigkeit andrerseits vermieden, also nur mit richterlicher Ruhe und Einfalt gesprochen werden. Hier nun könnte man mich erinnern an jene außerordentlichen Lagen der Völker, wo alle Kräfte versammelt und begeistert werden müssen, um das Ganze zu retten, wo der Staat selbst Partei wird und werden soll, wo die ganze Macht nach Einer Seite hin gerichtet werden soll. Auch da, könnte man fragen, sollen Staatsschriften nicht den ruhigen Gang, die Einfalt ihres Charakters verleugnen dürfen? – Ich fühle in der gegenwärtigen Lage der Sachen die Notwendigkeit die Völker zu haranguiren, sie durch Proklamationen zu elektrisiren, wenn das Heiligste auf dem Spiel sieht. Warum aber sind die Regierungen genötigt selbst zu sprechen, in eine Lebhaftigkeit der Rede zu verfallen, die nur dem Einzelnen anzustehen scheint? – Weil sie keine Anwälte haben; weil die Staaten stumm sind; weil niemand sprechen würde, wenn die Regierung nicht spricht. In den Staatsschriften von England, ja in den geringsten officiellen Berichten erlaubt sich niemand eine Wendung der Leidenschaft oder einen Ausdruck der Begeisterung. Es sind einfache Darstellungen der Sache oder des grade vorwaltenden Bedürfnisses: bei sehr feierlichen Gelegenheiten erinnert man still und einfältig an Gott, Vaterland und Gerechtigkeit, und gibt statt aller oratorischen Impulse dem Volke, welches große Dinge erfahren, oder zu großen Opfern angehalten werden soll, nur den Eindruck der Ruhe, der Keuschheit, der politischen Unschuld: alles absichtslos, weil man nicht anders kann, weil es sich anders nicht schicken würde. – Was macht diese Ruhe möglich? – Daß die ganze Nation spricht, daß alle Talente zum Worte kommen, daß der Gedanke der Regierung tausend Stimmen in Bereitschaft findet, die ihn schon mit der Lebhaftigkeit ausdrücken, welche dem Einzelnen ansteht gegen den Einzelnen. Die keusche Beredsamkeit des Richters schließt die glühende Beredsamkeit des Anwalts nicht aus: wenn aber die Nation spricht durch ihre Anwälte, durch die Talente, welche ihr Boden erzeugt, wenn ihr nicht ein rechtlicher Weg eröffnet wird öffentlich zu sprechen, wie in England, so spricht die Regierung allein, und ist dann in außerordentlichen Gelegenheiten genötigt, selbst im Tone des Anwalts zu reden.

– Die französische Revolution schien ein ungeheures Feld für die Beredsamkeit eröffnet zu haben: jede der aufeinanderfolgenden Regierungen aber ist der andern gleich in ihren Deklamationen und Proklamationen. Der einzige Moniteur enthält so viel Ausrufungszeichen und Gedankenstriche, als die ganze übrige Literatur der Beredsamkeit zusammengenommen: die Gesetze selbst haranguirten die Nation; jede Regierung hielt sich ihren eignen Phrasenmacher: mehrere aufeinanderfolgende Regierungen hat in dieser Art ein reduzirter, höchst mittelmäßiger Poet François de Neufchateau bedient. Von dem was ich die richterliche Beredsamkeit nenne, nirgends eine Spur: das lakonische sans phrase eines Elenden beweist, daß bei dem schrecklichsten Gerichte, das auf der Oberfläche dieser Erde gehalten worden ist, grade am meisten deklamirt wurde. Überhaupt ließe sich, wenn es der Mühe verlohnte, eine Blumenlese des unbedingt Schlechten und Geschmacklosen aus dem Moniteur sammeln, welche den Unterricht in der politischen Beredsamkeit sehr erleichtern würde. – Wenn ich also klage, daß andre Nationen gar nicht zum Worte kommen, so will ich gewiß nicht jene verherrlichen, welche auf diese ärgerliche Weise zum Worte gekommen ist.

– In mehreren Teilen des nördlichen Deutschlands ist die alte deutsche Gewohnheitsform der richterlichen Beredsamkeit, der Kanzleistil, abgeschafft. Welchem Vorteil dieses ehrwürdige Monument besserer, keuscherer Zeiten eigentlich im Wege gestanden hat, weiß ich nicht: neue Gesinnungen brauchten wahrscheinlich eine neue Sprache. Ich glaube, daß Östreich viel erhalten, viel Wesentliches gerettet hat, indem es auch von dieser Seite keiner Neuerung Gehör gegeben. Was? ist es jetzt Zeit dem einzelnen Beamten zu gestatten, daß er nach Willkür im Namen des Staates rede? wohl gar die Beschlüsse des Staates in seiner eignen Manier mit seiner gewandten, blühenden Feder auszuschmücken und zu empfehlen sich unterfange? Soll etwa den Nationen, wie man es Kindern wollte, das Ernsthafte spielend beigebracht werden? Vergesse man nicht, daß die Autorität der Schulmeister dahin ist, seitdem sie sich zur Sprache der Kinder herabgelassen haben. – Jeder wahre Geschäftsmann weiß, daß es eine Beredsamkeit gibt eben sowohl im Kanzleistile, als in der Sprache der Bücher: Blumen, Bilder, Ausrufungszeichen, Gedankenstriche, und der ganze Tand, den die schöngeisterische Lektüre absetzt, vertragen sich nicht damit; ja es ist eben das Verdienst des Kanzleistils, daß er diese Nichtswürdigkeiten, diese Geschmacklosigkeiten ausschließt, herauswirft möchte ich sagen; aber die Klarheit, die Gründlichkeit der Ordnung der Argumente schließt er nirgends aus. Deshalb ist er eine Schule des Geschmacks für die jungen belesenen, blumenreichen Geschäftsmänner: ernötigt, erzwingt sie das Anständige auf anständige Weise zu tun. Woher denn aber das Steife, das Geschweifte, alle die unzähligen Härten dieses Kanzleistils, und alles was unsern poetisierenden Stilisten widersteht? Daher, daß er nicht gesprochen, sondern nur geschrieben worden ist: man fühlt wie ihn die Feder, sich selbst überlassen, auseinander geschnirkelt hat, und wie die Weichheit der menschlichen Brust mangelte. Aber auch so ist es wesentlich, daß er bleibe, und jeder Bauer des Landes an der wohlbekannten, alten Wendung der Rede merke, daß es der Landesherr selbst sei, welcher spricht. In England hat sich durch den beständigen Einfluß der parteilichen Beredsamkeit der Kanzleistil allmählich veredelt, ohne jedoch sich von den altertümlichen Wendungen loszusagen. Wenn das politische Leben wieder mehr zum lebendigen Worte kommen wird, so werden sich die barbarischen Angewöhnungen der Feder aus unserm Kanzleistile von selbst herausläutern, und nur das echt Altertümliche, wahrhaft Würdige, Richterliche darin zurückbleiben.

– Aber, höre ich fragen, gehört denn der Kanzleistil überhaupt in das Gebiet der Beredsamkeit? – Der große Haufen unsrer Zeitgenossen spricht nur da von Beredsamkeit, wo sich die Rede erhebt, wo sie den Mund vollnimmt, wo sie sich mit einem gewissen falschen, erborgten poetischen Wesen vermischt, kurz wo sie, meiner Ansicht zufolge, von ihrer Art läßt, und einen fremden Geschlechtscharakter annimmt. Von der Poesie konnte sie nichts Wesentlicheres erlernen, als was sie selbst sei, wie der Mann im Umgang mit den Frauen vor allen Dingen auf sich selbst, auf die männliche Eigentümlichkeit seines Charakters, halten lernt; und wenn es der Geschmack ist, den die Beredsamkeit aus dem Umgange mit der Poesie davon trägt, so ist die erste Lehre dieses Geschmacks, daß er ein Redner bleiben, und nicht beide Geschlechter der redenden Kunst in sich vermischen wolle, damit er der Ehre des ferneren Umganges mit der Poesie würdig sei. Niemand überzeugt mich, daß er das Wesen, daß er den Geist eines Dinges suche, der mit habsüchtiger Voreiligkeit sich die Äußerlichkeit dieses Dinges anzueignen sucht. Ich spreche von England als einem Muster in Sachen der Beredsamkeit und des öffentlichen Lebens: aber wehe dem Staate, der die Äußerlichkeiten britischer Verfassung sich anzueignen suchte: er ist schlimmer daran als die, welche hartnäckig bei dem beharren, was sie aus sich selbst sind, wie wenig es auch sei. Die wahrhafte Bewunderung und das gründliche Verständnis einer großen Sache offenbart sich nirgends so deutlich, als in der Scheu sie nachzuahmen: die fromme Hingebung des bildenden Künstlers an die Natur, die Antike oder den Raphael erkenne ich nirgends so bestimmt als in dem gründlichen Widerwillen vor der Nachahmung der Natur, der Antike oder des Raphael. Alles was sich nachahmen läßt, hat nie gelebt: nur das im strengen Sinne des Wortes Unnachahmliche, also die eigne schöpferische Kraft anregende, zu eigenen unabhängigen Werken erweckende, begeisternde ist schön und gut. Die Schönheit der Poesie beruht darin, daß sie den Redner zwingt in seiner Art das rechte, d. h. ganz etwas andres zu sein als sie. Als die Syrakusaner sich vom ersten Erstaunen über die Wirkungen der Maschinen des Archimedes, und über die Resultate seiner Berechnungen erholt haben, kommen sie zu dem Weisen gelaufen, und wollen lernen wie er die menschlichen Kräfte überstiegen habe, durch welchen Handgriff und mit welcher Kunst. Er antwortet ihnen nach Schiller: wer um die Göttin freit, begehre nicht in ihr das Weib. Die Sklavin meint er. Wer um die Poesie sich selbst bewirbt, um ihren Umgang, ihre Liebe, der sei zuvörderst durch und durch ein Redner; nur als solcher vermag er sich um das Göttliche und Unvergängliche in ihr zu bewerben.

– Was von der politischen Beredsamkeit gilt, gilt vom Geschichtsschreiber. Die Ruhe, die Parteilosigkeit scheint die erste Forderung, die an ihn gemacht werden kann: ganze Jahrhunderte liegen vor seinen Blicken da, wie das Leben und die Bedürfnisse einer Generation vor dem Staatsmann, dem Richter; aber ist denn sein Gegenstand geschlossen und vollendet wie der des Dichters? Rücksichtlich der neueren Staaten, als Gegenständen der Geschichte, beantwortet sich das von selbst. Aber selbst Rom und Griechenland? Leben sie nicht fort: wächst nicht jede wirkliche Form längst verschwundener Völker noch fort; greift sie nicht ein in unser Schicksal; ist nicht jede Gegenwart ein neuer, tieferer Kommentar der Vergangenheit; und die Helden der Geschichte? wird die Nachwelt sie nicht besser verstehn als wir? was wäre denn die Herrlichkeit des Großen auf dieser Erde, wenn man seine Betrachtung abschließen könnte, und vorgeben, es sei nunmehr für immer erkannt? was wäre die Unsterblichkeit des Schönen, wenn es nicht wirklich auch fortwüchse, wie es fortlebt? Also täuscht euch nicht! als wenn nach vierzig oder so und so viel Jahren die Gegenstände reif würden für die Geschichte, und ihr sie nun unbefangen, parteilos zu betrachten wüßtet, weil ihr nicht mehr unmittelbar beleidigt werden könntet! Was? droht Brutus nach Jahrtausenden nicht noch jedem Tyrannen fort? Wie kann der Tyrann unbefangen von Brutus sprechen? Greifen die Ideen der Menschen, greift der Widerstreit ihrer Neigungen und Wünsche nicht weiter als über den Raum einer Generation? Ist denn das Große, was ich wollte, schon deshalb zur Ruhe gebracht, weil vierzig Jahre meine Asche decken? Können meine Irrtümer den Enkel nicht mehr blenden und bestechen, weil ich selbst schon lange nicht bin? – Mich dünkt sie sind verderblicher dann, wenn meine persönliche Schwäche nicht mehr neben ihnen wandelt, wenn meine Gebrechlichkeiten vergessen sind, die einst meine Zeitgenossen erinnerten, womit der Gedanke zusammenhing, der jetzt den Enkel bezaubert. Sie sehn, was es mit der Unparteilichkeit der Geschichte auf sich hat. – Ist denn ein schwaches Jahrhundert bloß deshalb weil es später gekommen, reif zum Urteil über ein starkes Jahrhundert? – So sollten die Helden der Vergangenheit sein, wie sie widerscheinen aus kleinen Seelen, die ein Gewerbe machen aus engherziger Unparteilichkeit? Ich sollte mir die Geschichte gefallen lassen, wie sie meine Zeit zu Markte bringt? Um Karl V. zu erkennen sollte ich Robertson fragen, um Constantin und Julianus den Abtrünnigen, den Gibbon? Gehen wir alle von dem Grundsatz aus, daß die Geschichte unendlich anders und größer sei, als sie in den meisten Geschichtsschreibern erscheint, die wenigen ausgenommen, die wie Macchiavelli groß genug waren in ihrer Zeit, um ein früheres Zeitalter fassen zu können?

Vergessen wir alles was wir von der Geschichte gelernt; dann sehen wir um uns, forschen wir wie es dem Zeitgenossen großer Begebenheiten, womöglich wie es dem Teilnehmer großer Taten zu Mute ist, dann wird uns allmählich der Sinn aufgehen über die Geschichte! Erst sei man Redner, dann Geschichtsschreiber, der andre Helden andrer Zeiten reden läßt. Darum liebte die Historie der alten Welt ihre Helden sprechen zu lassen! – Es ist also immer eine Täuschung, wenn man glaubt der Geschichtsschreiber könne in der seligen Unbefangenheit des Dichters über seinem Werke schweben, er könne sein Werk abschließen, entlassen, emanzipiren wie der Dichter, oder wie die Mutter ihr Kind. Wie alle Werke des Redners, so sind auch die seinigen Fragmente, angewendet auf die Gegenwart, auf große Gedanken, auf große Taten, die zu vollbringen sind; für die Nachwelt viel mehr Dokumente, um seine eigne Zeit zu beurteilen, als die Zeiten, von denen er handelt.

Noch mehr als an den Geschichten, die ich von ihm lerne, erfreue ich mich an der großen Seele des Tacitus: Über die Sachen reden mir die Steine fast deutlicher und das Metall, aber was in einem verwandten Geiste vorging, unter ähnlichen Umständen, beim Untergang einer Welt, an die man geglaubt, auf die man gebaut, das erfahre ich nur von ihm. Den Geschichtsschreiber versteht nur, wer ihn als einen Redner versteht, als einen Freund der Poesie: er bringt sein Werk der Nachwelt, aber wie der Redner ohne Anspruch auf die Ewigkeit, die Geschlossenheit, die Unabhängigkeit des Dichters, dem keine Zukunft etwas anhaben kann, weiß er, daß er Vergängliches gebildet, daß die Nachwelt ihn in demselben Stoffe übertreffen werde. Dennoch bringt er es – opfert es, indem er es bringt.


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