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Der Tod der Frau Annelies

Als die Annelies zur Welt kam, lagerten im Steinbruch hinter dem Dorfe Zigeuner. Die Hebmutter hatte kaum das Badewasser weggeschüttet, humpelte auch schon ein zerrissenes, altes Zigeunerweib in die Stube. Der Hofhund sprang an der Kette und bellte, bis ihn die Knechte mit Schlägen beruhigten.

Der Hochwalder langte nach dem Laib Brot am Tisch, schnitt einen Keil ab und reichte ihn der Alten. Aber die wehrte ab: Nicht betteln – wahrsagen! – Schön wahrsagen, von kleine Kind ganze Leben.«

Der Bauer verstand nicht gleich: »Was willst Du?«

»Ich wahrsage kleine Kind, gute Zeit, schlechte Zeit, Hochzeit – alles, alles – ja, du?«

»Ja, so«, sagte jetzt der Hochwalder, »dem Kind willst du wahrsagen. Na, was meinst du, Lena?«

Sein Weib lag matt und bleich im Bett, aber die Stimme war fest und klar, als sie schnell sagte: »Nein, nein! Nicht um alles – wo das Kind noch nicht einmal getauft ist.«

»Macht nichts, Mutterl, grad wenn ist kein Tauf nicht, hat Wahrsagerin mit Zauber großen Kraft.« Die Zigeunerin stand schon beim Bett und reckte die knochige Hand nach dem Kind. Ein widerlicher Geruch von Rauch, Schmalz und faulem Stroh stieg aus den Lumpen der Hexe.

»Bei Christi Blut und Jesu Pein, soll dein Leben glücklich sein.« Der Segensspruch kam aus dem zahnlosen Mund mit einem singenden, hüpfenden Tonfall und einer Wichtigkeit, als hänge das Leben der Kleinen davon ab.

Der Mutter ekelte vor dem Geruch und der Zudringlichkeit des Weibes. »Geh«, sagte sie, »wir brauchen deine Wahrsagerei nicht.« Aber die Zigeunerin ließ sich nicht abweisen und redete so lange von der Unfehlbarkeit ihrer Künste, bis der Bauer, mehr aus Gutheit, als aus Neugier oder Aberglauben, sagte: »Soll sie halt wahrsagen, wenn sie es nicht anders tut.«

»Um keinen Preis! Das Kind ist noch nicht getauft und ich dulde keinen solchen Frevel!«

»Aber Lena.«

»Ich will es nicht!«

Da schoss dem Hochwalder heiß das Blut ins Gesicht. Widerspruch vertrug er nicht, auch nicht von seinem Weibe. Hart sagte er: »Und jetzt gerade!«

Die Bäuerin wusste, dass er nun nimmer nachgeben würde. So gut er sonst war, der Jähzorn packte ihn oft grenzenlos. Die Augen standen ihr voll Tränen und das Herz tat ihr weh, dass er so zu ihr war, gerade jetzt, da sie ihm das Kind geboren hatte. Aber sie gab sich darein und duldete, dass die Zigeunerin das Kind neben ihr aufdeckte.

Die schmutzigen Hände der Alten schlichen über das schlafende Kind hin, prüften Händchen und Füßchen, drehten den kleinen Kopf, und sie murmelte Worte in einer fremden Sprache.

Angst überfiel die Bäuerin, doch als sie die finsteren Augen ihres Mannes sah, schwieg sie.

Die Zigeunerin sagte langsam und eintönig, das Gesicht eng über dem Kinde: »Es wird sein eine Freude an dem Kind und tausend gute Geister stehen bei seiner Wiege. Kein Stein liegt am Weg und kein Dorn auf dem Steg. Drei Nägel, drei Nägel vom Kreuze des Herrn, dich schützen vor Kummer der Mond und die Stern. Ein Fischlein im Wasser, mit silbernem Schweif, das bringt die zur Hochzeit den guldenen Reif.« Dann strich sie sich die Zotten aus dem Gesicht und legte das Ohr an das Herz des Kindes.

Die Hochwaldlerin überlief es eiskalt. Die triefenden Augen der Alten quollen heraus, ihr Blick sagte: »Gebt acht auf das Kind, gebt acht auf das Kind! Die Nesseln und Disteln, die brennen und stechen, im frohesten Glück wird dies Herzlein einst brechen. Die heiligste Mutter, die kann es verhüten, drum müsst ihr Maria die Rettung vergüten. Die Rosen sind weiß und die Rosen sind rot und hinter dem Glück kommt gegangen der Tod.«

Im Hofe draußen fing der Hund zu winseln an und heulte, bis ihm der Hütbub die Peitsche um die Ohren schlug.

Der Hochwalder war heiter; er glaubte nicht an Zauber und Wahrsagerei, und die Reime der Zigeunerin hatten ihn belustigt. Der jungen Mutter aber waren die Worte vom Tod wie Pfeile durchs Herz gegangen. Der Sinn der Prophezeiung war ihr ganz unklar. »Was! Soll's sterben?« stammelte sie.

Da schwand auch der letzte harte Zug aus dem Gesicht des Hochwalders. Er strich wie beruhigend über die rot- und blaugehäuselte Tuchent und lachte: »Aber, hörst doch, im größten Glück soll es einmal sterben. Gar so einen Überfluss an Glück gibt es für uns Bauern nicht. Da kann es hundert Jahre alt werden – unser Kindl.«

Jetzt lächelte auch die Mutter wieder und presste die Kleine an sich, als wollte sie um Verzeihung bitten, dass sie so dumme Gedanken gehabt hatte.

Der Hochwalder gab der Zigeunerin Geld und einen Laib Brot.

In der Tür aber drehte sich die Alte noch einmal um und sagte mit erhobener Hand: »Gebt acht auf das Kind! Es kann kein großes Glück vertragen ... gebt acht!«

Die Annelies wuchs heran wie das Frühgras auf der Wiese, war aber zarter und stiller als die anderen Bauernkinder.

Die Hochwalderin dachte längst nicht mehr an die Worte der Zigeunerin, als ein Zufall sie wieder an die Prophezeiung erinnerte, die sie von da an nicht mehr vergessen konnte und die ihr immer glaubwürdiger und näher der Erfüllung schien. Das war, als Annelies zur ersten heiligen Kommunion ging. Mütter und Väter drängten sich in der Kirche, um ihre Kinder zum ersten Mal am Tische des Herrn knien zu sehen. Heute gab es in der Reihe der Buben kein Kichern und verstecktes Sich-Puffen wie sonst, und die Mädchen waren in ihren gestärkten weißen Kleidchen wie erstarrt. Mit blassen Gesichtern und leuchtenden, von der Erwartung heißen Augen standen die Kleinen vor dem Hochaltar. Als die Messe begann, die Orgel mit einer festlichen Weise losbrauste und an den hohen Kirchenfenstern zu rütteln schien, dass die Scheiben klirrten, da schraken die Kinder zusammen und wurden noch erregter. Die Annelies stand ganz vorn am Speisgitter. Sie sollte die erste sein, die den heiligen Leib empfangen durfte. Der Herr Pfarrer hatte es so angeordnet, um das Kind für seinen Fleiß in der Schule und in den Religionsübungen auszuzeichnen. So war die Annelies noch blasser als die anderen und die großen blauen Augen glänzten zum Tabernakel empor, wo der Heiland auf sie wartete. Sie versuchte zu beten, doch immer kamen ihr andere Gedanken, und sie fühlte in ihrem bangen Kinderherzen nur die flehentliche Bitte: »Lieber Gott, hilf mir, ich hab so eine Angst!« Dann fiel ihr wieder ein, dass der Vater und die Mutter in den Bänken hinten auf sie schauten, und dass vielleicht wieder, wie früh auf dem Weg zur Kirche, ihr Unterrock vorschaute. So gehetzt von wirren Gedanken ihrer kindlichen Einfalt, merkte sie erst dann, dass der heilige Augenblick gekommen war, als der Pfarrer den Kindern das »Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach ...« vorsprach. Und schon stand der Pfarrer mit dem blinkenden Kelch vor ihr. Da nahm Annelies alle ihre schwachen Kräfte zusammen, schlug ein Kreuz und öffnete den Mund, wie sie es in den Religionsstunden der letzten Wochen gelernt hatte. Als sie aber aufstand, um zurückzutreten, fiel sie lautlos nieder.

Die Hochwalderin stürzte mit vorgestreckten Händen und verzerrtem Gesicht zu dem Kinde hin, das wie tot auf den Steinfliesen lag. »Lies, Kind ... du!« Sie riss die Ohnmächtige in ihre Arme. »Lieserl ... du ... du!« Aber das Kind blieb starr.

Da zerschnitt ein Entsetzensschrei die erregte Stille des Gotteshauses. Derweilen hatte sich auch der Hochwalder schon durch die Leute nach vorne drängen können. Er nahm Annelies auf die Arme und trug sie durch die Sakristei ins Freie.

Der Mesner hatte ein Tuch in den Weinbrunnkessel getaucht und wusch ihr das Gesicht, das wie Wachs fahl und leblos war.

Endlich öffnete Annelies wieder die Augen. Die Mutter war wie erlöst, sie

konnte vor Freude, dass ihr Kind lebte, kaum sprechen. Der Hochwalder trug Annelies nach Hause.

»Sie ist halt schwach«, meinte er zu seinem Weib. »Ein leerer Kommunionmagen ist nichts für unser Lieserl. Gelt, Lieserl? Jetzt trinken wir einen ordentlichen Kaffee, dann ist alles wieder gut.«

»Ja, Vater. Aber Doktor brauch ich keinen, gelt.«

»Ach geh, du kleines Vogerl, warum nicht gar! Bis Nachmittag bist wieder gesund wie der Has im Klee.«

Als die Annelies längst wieder wohlauf war, sagte die Hochwalderin zu ihrem Mann: »Du, jetzt glaub ich an die Prophezeiung der Zigeunerin.«

»Was dir nicht einfällt!«

»Sag, was du willst, das Kind kann kein Glück ertragen. Du weißt, wie es sich schon wochenlang gefreut hat auf die Kommunion. Diesmal hat es sich nur gezeigt, denn der Zufall hat gewollt, dass gleich Weihwasser da war. Ein anderes Mal geht es nicht so gut aus!«

Der Hochwalder hielt seinem Weibe ihren Aberglauben vor, sie aber war in der Folge des Ereignisses wie gebannt von der Erinnerung an die Prophezeiung, und der Glaube, dass ihr einziges Kind am Glück sterben müsste, wurde in ihr immer mächtiger.

Als Annelies achtzehn Jahre alt war und von der Klosterschule in St. Marien heimkam, war weit und breit keine, die sich an Schönheit und Tugend mit ihr hätte messen können. Da sie als einziges Kind des Hochwalderbauern auch einmal den Hof erben sollte, war sie noch begehrenswerter und der Hochwaiderin klangen oft die Ohren, so viel Lob wussten die Nachbarinnen und Bäuerinnen auf fünf Stunden im Umkreis über ihre Söhne.

Einzig der Lexner-Franz, der Student, kümmerte sich nicht um Annelies.

Das war aber auch einer! So gut er im Gymnasium studiert hatte, so verlumpte und verlotterte er jetzt an der Hochschule. In den Ferien strich er mit Flinte und Hund im Wald umher. Schießen hörte man ihn selten. Dafür aber pirschte er junge Holzweiber an oder lag irgendwo im Riedgras und faulenzte gegen Himmel. Abends saß er mit den Bauern im Wirtshaus und erzählte ihnen von der Stadt und der großen Welt.

Es war niemand im Dorf, der den Lexner-Franz nicht gern hatte, denn er war einfach und freundlich zu allen und kehrte nicht einmal durch seine Kleidung den Studierten hervor. Dass er mit seinem Studium nicht fertig wurde – was kümmerte das schließlich die Bauern? Ihr Geld versoff er ja nicht und dann hatten ihm seine Eltern genug hinterlassen. »Der wird schon wissen, was er tut«, sagten sie.

Er wusste nicht, was er tat. Er ließ sich von der Zeit und den Zufällen tragen mit der Gleichgültigkeit junger Hunde, die sich, vollgefressen, in der Sonne dehnen. Das Bierglas und die Weiber hatten ihn zu sehr in der Gewalt. Schließlich war es so weit mit ihm, dass er sich nicht einmal mehr ernstlich vornahm, das Studium zu beenden. Schon der kommende Tag ließ ihn gleichgültig, viel weniger kümmerte er sich um die nächste oder gar die fernere Zukunft. So war er innerlich fast schon verloren, als ihn die Menschen nur für ein wenig leichtsinnig hielten.

Einmal überholte er auf dem Wege in die Bezirksstadt Annelies, die Leinwand zum Färben trug. Kaum dass er im Vorbeigehen »Guten Morgen!« sagte. Als er um Mittag zum »Hirschen« kam, war die Gaststube voller Leute. An dem Tisch im Ofenwinkel war noch ein leerer Stuhl. Erst als er sich niedergesetzt hatte, bemerkte er, dass Annelies ihm gegenüber saß. Am liebsten wäre er wieder aufgestanden. Das Mädchen aber kümmerte sich nicht weiter um ihn und der Student nicht um sie. So saßen sie sich stumm gegenüber. Er trank eine halbe Bier um die andere, sie zerbröselte eine Semmel.

Mag sein, dass er schon vorher wo eingekehrt war, oder stieg ihm das schnell hinuntergeschüttete Bier in den Kopf – er fing an, mit dem Finger auf die Tischplatte zu trommeln und rückte seinen Stuhl eng an Annelies heran: »Nun, Euer Gnaden, wie geruhen dero Liebden den Vormittag in der Stadt verbracht zu haben?« Lauernd sah er sie von der Seite an, wie sie den Spott aufnehmen würde.

Sie sah, als er sie ansprach, erstaunt auf. »Ich hab schon alles besorgt und werde mich bald auf den Heimweg machen.«

»Es ist eigentlich wunderlich, dass ein führnehmes Fräulein mit klösterlicher Erziehung in einer simplen Bauernschenke anzutreffen ist.« Er begleitete seine Worte mit der Verbeugung eines Hofschranzen vor einer Fürstin.

Jetzt erst merkte Annelies, wo er hinaus wollte. Sie sah ihm voll ins Gesicht und gab zurück: »Wo studierte Leute verkehren wie Euer Gnaden, der Herr Student, wird es wohl einem Bauernmädel auch taugen können!«

»Was sagst du, ein Bauernmädel willst du sein? Du? Geh, hör auf!« Der Student lachte und schlug sich auf die Schenkel. »Du bist doch ein Fräulein, eine Docken. Schau, das dort ist ein Bauernschlag!« Er zeigte auf ein dralles schnatterndes Mädchen, das wie ein Großknecht breit am Tische lümmelte. »Die hat Schmalz und Kern, das ist Bauernblut!«

»Also nimmst du Weiberleut nach dem Gewicht und nicht nach dem Gesicht?«

Da nahm der Student, ganz unvermittelt, Annelies' kleine Hände in seine Fäuste und drückte sie mit aller Kraft: »Du tätst ja zerbrechen, wenn man dich drücken wollt!« lachte er.

Aber wie er die schmalen Finger des Mädchens auch presste, sie lachte nur dazu. Als er sie losließ, sagte sie: »Mich haben schon stärkere Hände gedrückt als die deinen! Du willst auch einer vom Bauernschlag sein, aber du bist kein Herr und bist kein Bauer. Bist nur ein Studentl, so groß und alt, was du schon bist.«

Einen Augenblick schien es, als wollte er die Annelies grob anfahren, dann bezahlte er seine Zeche und ging ohne Gruß.

Am anderen Tage hörte man, der Lexner-Franz wäre doch wieder in die Stadt studieren gefahren.

Es wurde Winter, Frühjahr, Sommer und wieder Herbst, bevor er heimkam. Aber jetzt war er Doktor. Erst wollte es niemand glauben, dass er das Studium doch hinter sich gebracht hatte. Als aber ein Brief von der Universität kam an den Herrn Doktor Franz Lexner, staunte das ganze Dorf.

Auch jetzt war Franz nicht anders in seinem Wesen als früher und das rechneten ihm die Leute hoch an. Zu allen war er die Freundlichkeit selbst. Nur für die Annelies hatte er kein Wort, als einen flüchtigen Gruß im Vorbeigehen.

Am Kirchweihsonntag saß er mit den Bauern in der Nebenstube im Wirtshaus; auf dem Tanzboden, wie früher immer, ließ er sich nicht blicken.

»Ist auch stolz geworden«, sagten die Mädchen. Er ging ihnen als guter Tänzer ab, und seine Art, sie zu necken oder ihnen ein heimliches Wort ins Ohr zu sagen, machte ihm auch kein anderer nach.

Am Abend, als die Mädchen in einer Tanzpause, die Arme verschlungen, singend im Reigen gingen, stand der junge Doktor plötzlich in der Tür und Annelies spürte, dass er kein Auge von ihr wandte, obwohl sie nicht den Mut fand, sich nach ihm umzuschauen.

Die Mädchen sangen:

Es ging ein Jäger in das Holz,
trali, trala, trala,
Und er war schön, und er war stolz,
trali, trala, trala,
Gib acht, gib acht, du Jüngferlein,
Bald wirst du sein Feinsliebchen sein,
trali, trala, trala.

Bei der zweiten Strophe sang Annelies nicht mehr mit; stumm ging sie im Reigen. Und als das Lied zu Ende war und die Mädchen den Kreis auflösten, ging sie langsam hinaus, ohne zu wissen, was sie draußen wollte.

Eine halbe Stunde später stürzte der Doktor Lexner, die ohnmächtige Annelies auf den Armen, in die Stube. »Geschwind, Wasser!«

Mit Wasser und Essigumschlägen brachten sie das Mädchen wieder zu sich. Ihre Augen suchten irgendetwas, wie im Nebel, unsicher; aber als sich Franz über sie beugte, da floss ein roter Schimmer über ihr blasses Gesicht und sie bat: »Geh heim mit mir.«

Sie stützte sich auf seinen Arm und sie gingen in die Nacht hinaus, selig wie zwei Verirrte, die endlich den rechten Weg gefunden haben.

Hinter ihnen gab es viel Kopfschütteln und Tuscheln, denn niemand wusste, warum Annelies ohnmächtig geworden war.

Ihre Eltern wollten gerade zu Bett gehen, als Annelies nach Hause kam. Sie setzte sich stumm an den Tisch und verharrte so, den Blick verträumt in die Ferne gerichtet.

»Was ist denn los, Annelies? Warum bist du schon da? Was ist geschehen?« – drangen die Eltern in sie; doch sie gab weder dem Vater, noch der Mutter Antwort. Nur die Freude in ihren Augen verriet, dass es nichts trauriges sein konnte, das ihr die Rede nahm.

Als sie dann im Bette lag und die Mutter nochmals kam und fragte, sagte sie nur: »Mutter, ich hab bis jetzt nicht gewusst, wie das ist, wenn man einen Menschen gern hat. Jetzt weiß ich's« – und schwieg wieder. Da fragte die Hochwalderin nicht weiter und ging aus der Kammer. Annelies aber schloss die Augen und träumte von ihrem unfassbaren Glück.

Freilich, am anderen Tag, als die Mutter von den Nachbarn erfahren hatte, dass Annelies einen Ohnmachtsanfall gehabt hätte, ließ sie nicht mehr ab und wollte wissen, wie und warum das geschehen sei. Als Annelies die Angst und Sorge im Gesicht der Mutter sah, legte sie die Arme um ihren Hals und flüsterte lachend: »Aber Mutter, was denkt Ihr?« ... Da wusste die Hochwalderin, dass kein Schatten auf ihr Kind fiel, denn Annelies war unfähig zu Lüge und Verstellung.

Aber die Prophezeiung der Zigeunerin wurde in ihr wieder lebendig und wenn auch Annelies nichts weiter verriet, so ahnte die Mutter doch, was ihr Kind so erschüttert hatte.

Mittags kam der Doktor Franz Lexner. »Hochwalderleut«, sagte er, »ich möcht die Annelies heiraten. Ist's Euch recht?«

Was sollten sie dawider haben?

Vierzehn Tage darauf war Hochzeit und vierzehn Tage darauf fuhr Annelies, die junge Frau Doktor, zu ihrem Mann in die Hauptstadt, wo er seinen Posten in der Bank angetreten hatte.

Es gab auf der Welt keine zwei Menschen, die so glücklich waren, wie sie.

Als sie auf Sommerurlaub nach Hause kamen, mussten die Leute über Annelies staunen. »Wie die Mutter Gottes schaut sie einen an«, sagte der alte Holzheger, »und wenn sie nicht so reden tät wie unsereins, könnte man's gar nicht glauben, dass sie die Hochwalder-Liesl ist.«

Als der Alte sie nach Wochen wieder sah, da war es ihm vollends, als sähe er ein überirdisches Geschöpf. Annelies saß unter einem Apfelbaum, ihr Kind vor sich im Gras auf einem weißen Linnen. Rundum Sonne und Stille und die junge Mutter über das Kind gebeugt, ohne Bewegung, wie ein Bild, mit einem Ausdruck heiligen Staunens vor dem lebendigen Wunder ihrer Liebe. Der alte Mann getraute sich kaum zu atmen; es war ihm ganz feierlich zumute. Nach einer langen Weile verlorenen Schauens schlich er sich auf den Fußspitzen fort.

Bis in den späten Herbst hinein blieb Annelies daheim.

»Jetzt hat sie es hinter sich«, dachte die Hochwalderin oft, wenn sie das Glück ihrer Tochter sah.

Als Annelies mit dem Kind wieder bei ihrem Manne war, kamen und gingen die Tage in Schönheit, wie die Frucht den Blüten folgt, gesegnet und von Gott geschenkt. Und sie waren beide wunschlos erfüllt von einander.

Allmählich aber wurde etwas zur schrecklichen Gewissheit, was die Eltern untröstlich machte.

Die kleine Annelies lernte stehen und gehen, nahm die Umwelt schnell und klar in sich auf, wie sonst nur ganz gesunde Kinder, war springlebendig, aber ... war stumm. Ihre Sprache blieb das Lallen der Wickelkinder, und so sehr sich die Mutter auch damit mühte, ihr vorzusprechen – das Kind fand nicht zum Ausdruck hin, sondern sagte alles nur mit seinen großen Augen und seelenvollen Gebärden.

Die Ärzte fanden keine Erklärung. Zunge, Kehlkopf und auch das Gehör zeigten keine Fehler.

Das Kind war schon drei Jahre alt und hatte immer noch kein Wort über die Lippen gebracht. Wie viel Tränen weinte Frau Annelies und wie viele Nächte war sie schlaflos .. .

Nun verbrachten sie schon den vierten Sommer in der Heimat.

Am Sonntag Maria Himmelfahrt ging Frau Annelies wie sonst mit dem Kind in den Garten. Als ihr Mann eine Stunde später ankam, fand er sie tot im Grase. Nicht die Spur eines Todeskampfes war auf ihrem Gesicht zu lesen; eher ein glückliches Lächeln. Die Hände hielten noch die Stricknadeln und über den Fingern den Faden.

Bei der Hecke am Zaun aber stand das Kind und rief: »Mamma, Mamma!« Doktor Lexner stand vor einem Rätsel, dessen grausame Unlösbarkeit ihn bis zum Wahnsinn marterte.

Niemand konnte sich den plötzlichen Tod der Frau Annelies erklären. Der Arzt stellte Herzschlag fest.

Als sie vom Friedhof gingen, formte das Kind auf einmal die Silben: »Papa«, und jeden Tag überraschte es die Großeltern jetzt mit einem neuen Wort und konnte sprechen, ehe noch ein Jahr herum war.

Nur für die beiden Alten war um den Tod der Annelies kein Geheimnis. Als die Hochwalderin damals das Kind im Garten plötzlich »Mamma, Mamma!« ausrufen gehört hatte, hatte die Vorahnung, dass diese Freude Annelies töten konnte, sie sogleich lähmend überfallen.

Doch die alten Leute sprachen mit niemandem darüber. Die Prophezeiung war Wirklichkeit geworden, in der Erfüllung härter als ein Fluch und an solche Dinge rühren die Bauern nicht gern.


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