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Noch weit folgenreicher wurde nach einer anderen Seite das Auftreten des Franziskus. Er vertiefte nicht allein durch seine Predigten das Empfindungsleben und schuf so den Boden für jene lyrisch-empfindsame Malerei, die in Köln und Siena blühte. Indem er an die Stelle des dogmatischen den persönlichen Christus setzte, wie seine irdische Lebensarbeit ihn als Menschen neben anderen Menschen zeigte, führte er auch die Christuslegende als neuen Stoff der Kunst zu. Ein Epos war gegeben, das auch vom Maler erzählt werden konnte. Und namentlich das eigene Leben des Heiligen mit all seinen Entbehrungen und wunderbaren Geschehnissen reizte zur Darstellung. In epischer Breite, in großen monumentalen Bildern sollte geschildert werden, was Franz erlebt und gethan.
An Wandflächen fehlte es nicht, denn die Gotik in Italien war eine andere als im Norden. Das Princip war, weite Binnenräume mit wenig Stützen durch große Bogen zu überspannen. Und da diese ungegliederten Flächen von selbst zur Dekoration mit Wandgemälden aufforderten, trat die Freskomalerei als tonangebender Faktor in das italienische Kunstschaffen ein.
Für die Franziskuslegende gab es keine altgeheiligte Tradition. Nachdem jahrhundertelang die Künstler, einer dem anderen folgend, sich darauf beschränkt hatten, die Kultusbilder Christi und der Maria zu schaffen, an denen jede Bewegung, jede Gewandfalte durch kirchliche Satzung bestimmt war, hatten sie bei diesem neuen Thema plötzlich Freiheit. Alle Scenen waren – nach den Erzählungen der Mönche oder der Lebensbeschreibung des Bonaventura – gänzlich neu zu gestalten. Statt ruhiger Gnadenbilder mußten bewegte Vorgänge, Handlungen, Ereignisse geschildert werden. Zur Bewältigung solcher Dinge reichte Gefühlsschwärmerei, reichte mystische Versenkung nicht aus. Eine große männliche Gestaltungskraft, ein freies Schaffensvermögen, ein gewisser Realismus war nötig. Daß an Stelle der ewig gleichbleibenden himmlischen Gestalten zum erstenmal ein realer, beinahe zeitgenössischer Stoff in den Darstellungkreis trat, bedeutete einen vollständigen Bruch mit der mittelalterlichen Tradition. Es ist daher kein Zufall, daß zur Lösung dieser Aufgabe eine Stadt berufen war, die mit gar keiner Ueberlieferung zu brechen hatte, da sie während des Mittelalters stumm beiseite gestanden: nicht das ewige Rom, das stolze Venedig oder das mächtige Pisa, sondern das junge Florenz, das damals neu und frisch, mit unverbrauchter Kraft, in die Kultur und Kunst Italiens eintrat. Hatte Siena, die stille Bergstadt, und Köln, das heilige Köln, den mystischen Idealen des Trecento den zartesten Ausdruck gegeben, so tritt der große Giotto diesen Lyrikern als Epiker, den Mystikern als der Realist des 14. Jahrhunderts zur Seite.
In der Grabkirche des Heiligen, San Francesco in Assisi, verdiente er sich die Sporen. Giovanni Cimabue, dem die Dekoration übertragen war, hatte ihn, den früheren Hirtenbuben, nebst anderen Gesellen mit sich genommen und überließ ihm zur selbständigen Ausführung die Bilder aus der Franziskuslegende, die die Wände der Oberkirche überziehen. Giotto malte sie. Und nachdem er an dem neuen Thema seine Kraft geübt, an der Hand des zeitgenössischen Stoffes sich von den Fesseln des Byzantinismus befreit, sah er auch das Alte mit modernem Auge. Auf die Franziskuslegende folgte die Neugestaltung des Lebens Christi, das er in Padua, in der Kirche der Arena, erzählte. Nachdem er dann noch in der Unterkirche von Assisi die drei Gelübde des Franziskanerordens: Armut, Gehorsam und Keuschheit sowie die Glorie des Franziskus gemalt und in den verschiedensten anderen Städten – in Rom, Ravenna, Rimini und Neapel umfangreiche (heute zerstörte) Werke geschaffen, kehrte er 1334 nach Florenz zurück, wo er zum Baumeister des Domes und des Campanile ernannt wurde und auch als Maler – in der eben vollendeten Franziskanerkirche Santa Croce – noch eine ausgedehnte Thätigkeit entfaltete. Drei Jahre nach seiner Rückkehr, am 8. Januar 1337 erfolgte sein Tod. Boccaccio schrieb über ihn im Dekamerone: »Giotto war ein solches Genie, daß nichts in der Natur war, was er nicht so abgebildet hätte, daß es nicht nur der Sache ähnlich, sondern diese selbst zu sein schien.« Und Polizian läßt ihn in seiner Grabschrift sagen: Ille ego sum, per quem natura extincta revixit.
Ein solches Lob, dem Naturalisten Giotto gespendet, wird dem modernen Auge sehr übertrieben scheinen. Wer mit realistischem, dem Stil späterer Epochen entlehnten Maßstab an Giottos Werke herantritt, findet keinen Eingang in die Werkstatt seines Geistes.
Wohl überrascht er, wenn es Außergewöhnliches, Erotisches zu schildern gilt, zuweilen durch ganz modernen Naturalismus. Unter dem Gefolge der heiligen drei Könige in der Kirche von Assisi sind wunderbare Exemplare mongolischer Rasse, mit eingedrückter Nase, gelber Hautfarbe und ebenholzschwarzem Haar. Ebenso fallen die Nubierköpfe in der Kirche Santa Croce durch ethnographische Treue auf. Doch daß sie auffallen, zeigt, wie vereinzelt solche Dinge bei Giotto sind. Auch er hat, wie alle früheren, einen durchgehenden Typus: jene harten, wie aus Holz geschnitzten unpersönlichen Gesichter mit den vorstehenden Backenknochen, den mandelförmigen Augen und der gradlinigen, sogenannten griechischen Nase.
Das Nackte zu studieren lag noch nicht im Sinne der Zeit. Wo unbekleidete Figuren gegeben werden, wie in der Taufe Christi oder in den Kreuzigungsbildern, ist daher die Zeichnung ganz allgemein.
Was das Kostüm anlangt, hat er in einzelnen Fällen, wie aus dem Bild der Anbetung der Könige, zeitgenössische Moden verwendet. Doch nur bei Figuren, die er in Gegensatz zu den Gestalten des spezifisch christlichen Glaubenskreises setzen will. Für die Heiligen behält er die feierliche Idealtracht bei, die das Mittelalter von der Antike übernommen hatte. Sie tragen Toga, Tunika und Sandalen. Der Kopf bleibt unbedeckt.
Wie in der Darstellung des Menschen, ist er als Tiermaler von Naturtreue weit entfernt. Der Hühnerhund, der auf einem der Paduaer Fresken an Sankt Joachim aufspringt, der Esel, auf dem ebenda der heilige Joseph reitet, und die drei Kamele auf dem Bilde der Anbetung der Könige in Assisi sind an naturalistischer Durchbildung wohl das Hervorragendste, was Giotto auf dem Gebiet der Tierdarstellung leistete. Die Schafe, die der frühere Hirtenjunge hätte kennen müssen, sind wenig korrekt gezeichnet. Das Pferd bleibt für ihn eine unverstandene Maschine.
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Noch befremdlicher wirken seine Hintergründe. All diese Baulichkeiten, in ihren Einzelheiten naturwahr, bilden als Ganzes doch keinen realistischen Hintergrund. Viel zu klein, sind sie weder perspektivisch richtig gezeichnet noch stehen sie in richtigem Verhältnis zu den Menschen. Diese sind oft größer als die Häuser, in denen sie wohnen. Ebenso bewegt er sich als Landschafter in den primitivsten Bahnen. Die Natur setzt sich gewöhnlich aus wunderlich gezackten, kahlen Felsen zusammen, auf denen hier und da ein Stamm wächst, der auch wieder als einzige Bekleidung höchstens ein Dutzend wie aus Blech geformte Blätter hat. Die malerischen Elemente der Landschaft, Flüsse, Thäler, Hügel und Wälder, ihre ernste und heitere Vegetation kamen für ihn so wenig wie für andere Meister des Trecento in Frage. »Wenn du Gebirge in einer guten Weise entwerfen willst, die natürlich scheinen, so wähle große Steine aus, rauh und unpoliert, und zeichne sie nach der Natur.« Diese Vorschrift Cenninis ist ein bezeichnendes Dokument für die Naturauffassung einer Epoche, der noch der Baum den Wald, der Stein das Gebirge bedeutete.
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Selbst das Kolorit Giottos, so sehr es in seiner lichten Haltung von den preciös barbarischen Farben der Byzantiner abweicht, ist weit entfernt der Wirklichkeit zu folgen. Wie er die Pferde zuweilen rot, die Bäume blau malt, ist auch eine Bezeichnung der Stoffe, aus denen die Dinge bestehen, ein Unterschied in der Behandlung der Architektur, der Gewänder und des Fleisches weder erreicht noch versucht.
Doch man darf, um die Bedeutung eines Künstlers festzustellen, ihn nie mit Späterem, nur mit Früherem vergleichen. Da imponiert schon die Erweiterung des Stoffgebietes, die sich durch Giotto vollzog. Die byzantinische Kunst hatte nur die regelhafte, für Ewigkeiten festgemauerte Ruhe des Göttlichen dargestellt, es in hieratischer Starrheit, über Zeit und Raum erhaben vor Augen geführt. Bewegte Scenen darzustellen, war nur nebenher und schüchtern versucht. Giotto als erster giebt der Kunst die Wendung zur Aktion, schildert nicht Ruhiges, sondern Bewegtes, nicht Zeitloses, sondern Geschehen. Indem er an die Stelle der repräsentierenden Andachtsbilder ganze Epen, ganze Dramen setzte, wurde er der erste Historiker der christlichen Kunst.
Und hält man fest daran, immer nur an Früheres, nicht an Späteres zu denken, wird auch sofort ersichtlich, welche Summe technischer Ausdrucksmittel Giotto erst schaffen mußte, um diesen neuen Stil zu begründen. Die Figuren sind nicht naturalistisch durchgebildet, aber er als erster weiß menschliche Gestalten in voller Bewegung darzustellen. Die Tiere sind nicht gut gezeichnet, aber er als erster öffnet seine Fresken den Vertretern des Tierreichs, von den Vierfüßlern bis zu den Vögeln, die der Predigt des Franziskus lauschen. Seine Landschaften sind noch symbolisch, trotzdem war es ein jäher Ruck, mit dem er die Gestalten aus der byzantinischen Raumlosigkeit in eine bestimmte örtliche Umgebung setzte, sie auf der Erde in der freien Natur, auf den Straßen und Plätzen der Städte zu neuem, lebensvollen Wirken vereinte.
Schließlich erklärt sich vieles, was gegen die Naturwahrheit zu verstoßen scheint, nicht aus mangelndem Können, sondern aus den stilistischen Anforderungen des großen Stils. In der souveränen Sicherheit, mit der er die Gesetze des Monumentalstils feststellte, liegt seine eigentliche unsterbliche Größe. Giotto wußte noch, was spätere Maler vergaßen, daß es gar nicht Aufgabe der Wandmalerei ist, naturalistische Wirkungen in Form und Farbe zu erstreben, sondern daß sie nur ihren Zweck erfüllt, wenn sie in den Grenzen rein schmückender Flächendekoration sich hält. Aus diesem Grunde ist er noch für unsere Zeit, für Puvis de Chavannes und andere, der starke Anknüpfungspunkt geworden. Nachdem die jahrhundertelange, auf den Realismus gerichtete Entwicklung ihren Abschluß gefunden, trat desto mehr hervor, daß Giotto vor sechs Jahrhunderten schon das besaß, was wir heute wieder erstreben. Sein ganzes Schaffen wurde nicht durch naturalistische sondern durch dekorative Gesichtspunkte bestimmt. Gerade indem er der monumentalen Wirkung zuliebe vieles von der Naturwahrheit, die auch er hätte erreichen können, opferte, ergriff er im Kern die Aufgabe raumschmückender Kunst.
Sein Geheimnis liegt in dem großen Zug der Linien, in der klaren Anordnung der Gruppen, in der strengen Unterordnung aller Einzelheiten. Damit kein kleinliches Detail den Linienfluß stört, wählt er Typen, die an Gesicht und Gestalt einfach und mäßig sind. Damit die Klarheit der Erzählung nicht leidet, vermeidet er alle malerischen Füllfiguren, beschränkt sich darauf, in lakonischer Kürze den geistigen Gehalt des Themas in künstlerische Anschauung umzusetzen. Da sich die hohe Getragenheit des Monumentalstils nicht mit jähen Wendungen und unsicheren Gesten verträgt, bildet er sich eine feststehende Gebärdensprache, die wie die Schriftsprache für die gleichen Dinge immer die gleichen Worte benutzt, und so dem Betrachter sofort beibringt, was die Figuren sagen. Ein signifikanter Blick, eine leichte Bewegung der Hand und des Körpers, der die lose herabhängenden Gewänder willig folgen, müssen genügen, die Bedeutung der dargestellten Person, die Regungen ihres Seelenlebens zum Ausdruck zu bringen. Da er die Wandmalerei lediglich als Flächendekoration auffaßt, vermeidet er alle plastischen, auf die Illusion von Körperlichkeit ausgehenden Wirkungen, arbeitet in demselben Stil wie die Japaner, bei denen ebenfalls die Menschen weder Rundung haben noch Schatten werfen. Auch die Farbe muß sich dem dekorativen Zwecke unterordnen. Daher trägt er kein Bedenken, bewußt von der Wirklichkeit abzuweichen, wenn eine naturwahre Farbe die helle Gesamtharmonie, den bleichen Gobelinton der Bilder zerstören würde. Die Stilisierung der Landschaft ergab sich als weitere Folge. Sie durfte nicht selbständig auftreten, nur die Begleitung zu den großen Hauptlinien der Figuren bilden. Darum hält er sie in den einfachsten Formen. Auch Giotto wußte, daß in so kleinen Häusern keine Menschen leben können, daß Pflanzen und Bäume nicht so symmetrisch wachsen, daß Felsen nicht so treppenförmig abgestuft oder so nadelförmig spitz sind. Aber er malt sie so, weil jede naturalistische Durchbildung ihn von seinem Ziel entfernt hätte. Denn hätte er die Häuser größer gegeben, so wären seine Bilder statt Monumentalmalereien Architekturstücke und historische Genrebilder im Stil Gentile Bellinis geworden. Hätte er die Felsen nicht so abgetreppt, nicht so schroff gradlinig gezeichnet, wäre er nicht im stande gewesen die Pläne so scharf zu sondern, die verschiedenen Ereignisse so deutlich zu trennen. Hätte er die Bäume naturalistisch durchgeführt, so hätte sich nicht nur eine Dissonanz mit den mäßig gradlinigen Figuren ergeben, es wäre auch der Eindruck der Feierlichkeit verloren gegangen, den sie gerade in ihrer Stilisierung machen. Nur indem er auf alles Kleinliche, auf alle naturalistischen Einzelheiten verzichtete und die Natur vereinfachte, um sie noch elementarer sprechen zu lassen, konnte er seinen Werken die feste Geschlossenheit, jene sakramentale Würde geben, die dem Thema sowohl wie dem Stil dekorativer Kunst entspricht.
Und der Begründer dieses Stils konnte nur ein so klarer männlicher Geist wie Giotto werden. Es ist eine geschichtliche oder besser eine psychologische Merkwürdigkeit, daß inmitten dieser gefühlseligen Generation ein Mann lebte, der gar nichts vom Mystiker hat. Man braucht, um diesen Zug seines Charakters zu erkennen, nur seine Madonnenbilder zu betrachten. Von der Zartheit und mystischen Innerlichkeit der Sienesen und Kölner sind diese Werke weit entfernt. Eine gewisse Nüchternheit, ungraziöse Härte und poesielose Sachlichkeit haftet ihnen an. Statt wie die andern nach ätherischer Holdseligkeit zu streben, trägt er realistisch-genrehafte Züge in das Thema hinein. Das Kind steckt den Finger in den Mund, spielt mit einem Vogel, ist im Begriff der Mutter auf den Schoß zu klettern. Auch die paar Züge, die aus seinem Leben bekannt sind, deuten seine Doppelstellung an. Er verherrlicht die Franziskanergelübde, verwahrt sich aber ausdrücklich dagegen, daß für ihn selbst Armut das Ziel des Strebens bedeute. Er ist Maler, bewegt sich aber mit gleichem Erfolg in der materiellsten aller Künste, die gar keine Empfindung, nur handwerkliche Tüchtigkeit und mathematische Berechnung voraussetzt: in der Baukunst. Er malt Mystisches, gilt aber seinen Zeitgenossen als sehr verständiger Mann, dessen moderne Anschauungen und kaustische Witze seltsam kontrastieren mit dem Wesen des Heiligen, als dessen Verherrlicher ihn die Kunstgeschichte feiert. Dem entspricht seine Kunst. Man ersieht aus ihr, wie aus den Werken der Sienesen, welche Tiefe des Gefühlslebens durch Franziskus erschlossen war. Alle Regungen des menschlichen Herzens, Zorn und Demut, Liebe und Haß, Mut und Entsagung hat er meisterhaft interpretiert. Aber er thut es ohne mystische Traumseligkeit, in verständiger Sachlichkeit. Seine Kunst ist klar und durchsichtig, spricht in knappen, lapidaren Sätzen wie ein mathematischer Beweis. Kein Schwärmer, aber ein positiver exakter Geist, kein Träumer, aber ein gewaltiger Arbeiter von gesunder, breitausgreifender Männlichkeit, hat er auf ein Jahrhundert hinaus die Bahnen der italienischen Kunst bestimmt.