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Melozzo da Forli ist ohne Mantegna undenkbar. Nur hat er nichts von der wuchtigen Größe des Paduaners. Er ist ebenso weich wie jener hart, ebenso mild wie jener trotzig und herb ist. Sein Landsmann Piero della Francesca hat auch auf ihn gewirkt und ihm etwas von seiner feinen Anmut gegeben.
Schon in seinen ersten Arbeiten, den Personifikationen der freien Künste, die er 1474 für die Bibliothek des Herzogs von Urbino malte, verrät sich in der Art, wie er die Figuren in den Raum komponiert, der Zusammenhang mit dem großen Raumkünstler Piero. Statt die Scenen reliefartig anzuordnen – die Gestalt der Wissenschaft links, ihren Verehrer rechts – setzt er den Thron in die Mitte des Hintergrundes, läßt die männliche Figur davor knieen und markiert durch die Stufen des Thrones die Tiefendimension. Außerdem beschäftigen ihn hauptsächlich die Draperien. Ein ausgesprochen formales Talent, wendet er dem Faltenwurf eine Aufmerksamkeit zu, über die Fra Bartolommeo, der Erfinder der Gliederpuppe, sich gefreut hätte.
In seinem nächsten Werk, den Kuppelbildern des Domes von Loreto nimmt er zum erstenmal das von Mantegna gestellte Problem der Disotto-in-su-Malerei auf. Aber es gelingt ihm noch nicht, es zu lösen. Die Leichtigkeit fehlt. Die Gestalten ersticken in ihren schweren Draperien. Erst in den Kuppelbildern der Kirche Santi Apostoli in Rom wurde er der Schwierigkeiten Herr. Christus schwebt, wie Basari schreibt, so frei im Aether, daß er die Wölbung zu sprengen scheint. Ebenso meint man, daß die Engel im freien Himmelsraum sich bewegen. Heute läßt sich, da die Kuppel zerstört ist, nicht mehr beurteilen, inwieweit diese perspektivische Illusion erzielt war. Desto mehr sieht man aus den Fragmenten, die in die Sakristei des Vatikans gekommen, welch zarter Schönheitssinn bei Melozzo mit den perspektivischen Tendenzen sich verband. Diese Engel mit den flatternden, blonden Locken, die musizierend und singend daherstürmen, während ein überirdischer Lufthauch ihre Gewänder peitscht, übten auf unsere Zeit eine solche Anziehung, daß die Natur imitierte, was damals ein Künstler ersann. Die Barisons sind die sehr weltlichen Töchter der Engel des Melozzo da Forli.
In seinem letzten Werk, dem Fresko der vatikanischen Bibliothek, das Sixtus IV. darstellt, wie er Platina zum Direktor der Bibliothek ernennt, reichen wieder Mantegna und Piero della Francesca sich die Hand. Im Anschluß an die Gonzagabildnisse Mantegnas hat er eine Porträtgruppe von repräsentierendem Adel geschaffen. Die Raumanlage – die in starker Verkürzung gesehene inkrustierte Decke, die Art, wie die Säulen zurückgehen und im Hintergrund noch der Ausblick in die Loggia sich öffnet – geht auf die Mailänder Santa Konversazione des Piero della Francesca zurück und weist zugleich vorwärts in die Zukunft: Rafael hatte das Bild vor Augen, als er die Schule von Athen konzipierte.
In Florenz, wo Mantegna 1466 geweilt hatte, fand er in Antonio Pollajuolo, dem großen Erzgießer, einen Nachfolger. Auch auf Pollajuolo wie auf Melozzo wirkte die mächtige statuarische Plastik des Paduaner Meisters, die klassische Ruhe seiner Draperien, und er schuf in den Figuren der fünf Tugenden, die er für das Handelsgericht in Florenz lieferte, das Gegenstück zu den Personifikationen der Wissenschaften, die Melozzo für die urbinatische Bibliothek gemalt. Doch mehr noch wurde auf einem anderen Gebiet Mantegna sein Lehrmeister. Pollajuolo als erster wandte, von Mantegna angeregt, der Technik des Kupferstiches sich zu, und unter diesen Blättern ist namentlich eines, die »Schlacht der Nackten« für seine Richtung bezeichnend. Mit solcher Geschicklichkeit waren wildkämpfende Gestalten, Leben und Bewegung noch nicht dargestellt. All diese Muskelspannungen, all diese komplizierten Bewegungsmotive sind mit unerhörter Meisterschaft gegeben. Dieser Kupferstich kennzeichnet auch die Tendenzen, die ihn als Maler beherrschten. Die Anatomie machte er, Mantegna folgend, zu seinem Studienfeld. »Er verstand das Nackte,« erzählt Vasari, »besser als irgend einer seiner Vorgänger. Da er die Anatomie am Sektionstisch studierte, war er der erste, der wirklich das Spiel der Muskeln wiedergab.« Nach diesem Gesichtspunkt wählte er sich die Stoffe, und allein daraufhin sind seine Bilder zu betrachten. Menschliche Körper, die im Kampf sich messen, angespannte Glieder in den verschiedensten Verzerrungen, das In- und Gegeneinander ringender Kräfte ist seine Domäne. Auch der Erztechniker macht sich in der Formgebung fühlbar. Er liebt pralle, schneidig geschwungene, schillernde Formen. Alles bekommt eine Stilisierung von metallisch hartem Charakter. Von christlichen Stoffen, die gestatteten, solche Probleme zu lösen, bot zuerst Sebastian sich dar. Das Bild der Pittigalerie ist ein lebensgroßer Akt, mit wuchtigen, wie aus Erz gegossenen Formen: der Kopf verkürzt, die Muskeln geschwellt, der Lendenschurz wie aus Bronzeblech geformt. In dem Londoner Bild multipliziert er das Problem noch dadurch, daß er rings die Bogenschützen anbringt. Sechs Männer spannen die Armbrust und schießen auf einen nackten Menschen. Das giebt Gelegenheit zu mannigfachen Stellungen und reichem Muskelspiel. Einige der Henker, die sich bücken, um ihren Bogen zu spannen, thun es mit solchem Eifer, daß man sieht, wie ihre Adern schwellen. Wie in Bronze ciseliert sind ihre Sehnen, die Haare und die Falten ihres Gesichts. Aus dem gleichen Grund fügte er die Gestalt des Herkules seinem Repertoire hinzu. Er malte die Thaten des Herkules in einer Reihe dekorativer Bilder des Palazzo di Venetia. Er malte die Doppelbildchen der Uffizien »Herkules, den Antäus und die Hydra würgend«. Wie in diesem Antäusbild Herkules' Fußsohlen an der Erde sich festsaugen, wie seine Waden schwellen, wie er die Brust zurückwirft, mit welch erdrosselnder Kraft er seinen Gegner umkrallt, ist wieder ein Triumph der Bewegung und des Nackten. Selbst in der kleinen Tafel der Londoner Nationalgalerie, »Apoll und Daphne«, ist das Thema in diesem Sinne gewählt. Ein elastischer Jünglingsleib, ein herber Mädchenkörper, dieser verfolgend, jener fliehend – ein Kompendium schwieriger Bewegungsmotive und anatomischer Studien. Neben der Anatomie des Menschen beschäftigte ihn die des Pferdes. Zeugnis ist die Münchener Skizze für ein Reitermonument, die lange als Werk des Leonardo galt. Man versteht, daß die Künstler staunend vor solchen Werken standen. Denn kein Florentiner vor Pollajuolo war dermaßen in das Gefüge des Menschen- und Tierkörpers eingedrungen.
Was bei Pollajuolo noch experimentierend war, erhebt sich bei Signorelli zu ruhiger Meisterschaft. Nachdem Mantegna und Pollajuolo die Bewegungsgesetze des nackten Körpers festgestellt, kann Signorelli noch einen Schritt weiter gehen: Bewegungen der Seele durch Bewegungen des Körpers ausdrücken. Also das Verbindungsglied zwischen Mantegna und Michelangelo.
Signorellis Thätigkeitsfeld umfaßte alles. Er hat für alle Städte Toskanas und Umbriens Altarbilder gemalt, und schon diese zeigen ihn als ernsten männlichen Meister. Wie Mantegna kennt er keinen weichen Lyrismus. Seine Bilder sind schroff und herb, beinahe unwirsch und gewaltsam. Er liebt harte Köpfe, Profile von der Schärfe des Rasiermessers. Doch am allermeisten liebt er das Nackte, weniger das Weiche des Frauenkörpers als die sehnige Magerkeit des Jünglings. Nicht, weil die Legende ihn reizte, nur um die Pracht des nackten nervigen Menschenleibes zu feiern, malte er die Erziehung des Pan. In allen Bewegungen sind die nackten Figuren dargestellt. Man sieht sie von vorn, im Profil, vom Rücken. Die einen stehen, die anderen sitzen, einer liegt. Ein ähnlicher Gesichtspunkt bestimmt ihn bei der Wahl seiner biblischen Stoffe. Die Taufe Christi ist ihm ein lieber Gegenstand, da sie gestattet, in den Gestalten der Täuflinge nackte Körper in verschiedenen Stellungen zu geben. Doch ebenso lieb ist ihm die Kreuzigung, weil das Thema erlaubt, einen Leichnam mit allen Sehnenstreckungen und Verzerrungen zu malen. Von den Heiligen, die den Thron Marias umstehen, ist ihm der greise Hieronymus am liebsten, weil er ermöglicht, einen alten Leib mit faltiger Haut und ausgearbeiteten Muskeln darzustellen. Ist eine solche Gestalt nicht im Vordergrund möglich, so bringt er sie wenigstens, mag sie mit dem Thema auch in gar keiner Beziehung stehen, im Hintergrund an. Es ist wie das Monogramm Signorellis, daß auf allen seinen Bildern, sogar den Porträts, nackte Jünglinge stehen, sitzen oder liegen. Die Rückenansicht – dralle Schenkel und feste Schulterblätter – reizt ihn besonders. Sind solche Figuren nicht nackt zu geben, so sucht er sie wenigstens in Tricot oder enganliegender Rüstung zu malen. Darum sind die Erzengel seine Freunde, Michael besonders in seinem schillernden Stahlhemd, und Landsknechte mit gespannten stählernen Sehnen. Namentlich diese energischen, wettergebräunten Gestalten, die mit gespreizten Beinen dastehen in einer Haltung, die alle Muskeln spielen läßt, herausfordernd, als hätten sie einer Gefahr zu trotzen, geben seinen Bildern eine reckenhafte, martialische Forschheit. Bei den weiblichen Figuren und den Heiligen ist die Gewandung einfach und feierlich, ohne Gefältel und koketten bauschigen Schwung. Er ordnet alles in schweren Massen, in großen einfachen Linien. Und dieser gewaltigen Formensprache entspricht die Farbe. Wie bei Mantegna hat sie eine gewisse metallische Schärfe, einen Klang von Kupfer oder Bronze, nicht hart und trocken, aber grau und düster. Obwohl ihn als Schüler des Piero della Francesca, auf dem Panbilde das Studium der Reflexe beschäftigt, ist er doch viel zu sehr Zeichner und Anatom, viel zu ernst und herb, um koloristischen Reizen nachzugehen.
Wenn er nicht auf das Format des Tafelbildes beschränkt ist, sondern großen Wandflächen gegenübersteht, kommt außerdem der Dramatiker zu Wort. Gleich unter den Bildern der sixtinischen Kapelle machen die Signorellis sich durch ihre Bewegtheit, eine gewisse Handwerksburschenschönheit bemerkbar. Bei seinem zweiten Cyklus, den Darstellungen aus dem Leben des heiligen Benedikt, die er 1497 für das Kloster Monte Oliveto bei Siena malte, ist schon die Art bezeichnend, wie er sich das Thema zurechtlegt. Er übergeht ganz die Jugendgeschichte seines Helden, beginnt ex abrupto mit einem Bild, das ermöglicht, wilde Bewegung darzustellen, der Bestrafung des Florens. Im weiteren Verlauf greift er solche Scenen heraus, wo es möglich ist, Landsknechtsfiguren mit martialischen Allüren, reisige Kriegsleute mit Hellebarde, Federbarett und straff anliegender gescheckter Uniform anzubringen. Als er, 60 Jahre alt, sein berühmtestes Werk, den Cyklus von Orvieto schuf, brauchte er nicht zu wählen. Das Thema selbst war ihm auf den Leib geschrieben. Das Jüngste Gericht sollte er darstellen, sein Herannahen, Himmel und Hölle. Hier, wo es nur um Nacktes sich handelte, kein Format ihn einengte, wuchs seine Kraft ins Ungeheuere. Hätte Fiesole, der das Werk begonnen hatte, es vollendet, so würde man in ein Reich ewigen Friedens und gottverklärter Anmut geführt. Für Signorelli verwandelt sich Himmel und Hölle in einen anatomischen Aktsaal. Feinheit und Zartheit des Gemütslebens ist bei ihm nicht zu suchen. Aber in der Art, wie er den nackten Menschenkörper zum Träger von Affekten macht, aus dem psychischen Motiv das Bewegungsmotiv entwickelt, liegt eine übermenschliche titanische Größe. Da verlassen langsam und feierlich die Toten ihre Gräber, einige noch bemüht, aus der Erde hervorzusteigen, andere schon auferstanden und die Glieder wie nach langem Schlafe reckend und dehnend. Dort herrscht Jubel und Seligkeit. Kniee beugen sich, Hände legen sich aufs Herz, Arme heben sich dankbar gen Himmel. Im letzten Bild, der Hölle, ein athletisches Schauspiel! Schreckgestalten fliegen durch die Luft. Wilde Dämonen knebeln ihre Opfer und würgen sie wie mit ehernen Zangen. Nackte Körper winden sich in krampfhaften Zuckungen auf dem Boden, bäumen sich auf gegen rasenden Schmerz. In Signorelli fanden die Bestrebungen, die mit Mantegna begonnen und die Lebensarbeit Pollajuolos gebildet, ihren krönenden Abschluß.