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Was Mahlmann erzählte

Is da was Gutes ein? Dann stell das Korb man hierhin und geh nach Hause! So wurden wir von dem alten Mahlmann begrüßt, wenn wir ihm einige Lebensmittel brachten. Er war steinalt und lag meistens im Bett, und nur an besonders warmen Sommertagen saß er auf der Bank vor seinem winzigen Häuschen und ließ sich von der Sonne bescheinen. Hätte sich nach unserem langweiligen Städtchen einmal ein Maler verirrt, so hätte er sicherlich den scharfgeschnittenen Charakterkopf des alten Mahlmann auf seine Leinwand gebracht. Es war ein kluges Greisengesicht mit festgeschlossenen Lippen und funkelnden Augen, deren Ausdruck so finster und beobachtend war, daß wir Kinder sogar den Eindruck gewannen, der alte Mahlmann sei anders als alle anderen Leute. Und das war er auch. Erstens bedankte er sich niemals, wenn man ihm etwas Gutes zu essen brachte; er machte sogar noch seine Bemerkungen über die empfangenen Wohltaten. Wenn man ihm etwas brachte, was er nicht mochte, so sagte er: Geh man wieder nach Hause und sag an dein Mutter, der alte Mahlmann wäre kein Drangtonne, wo man alles einsmeißt, was nich mehr zu essen ist. Brauchst auch nicht wiederzukommen!

Auf diese Weise verdarb es der alte Mahlmann mit mancher braven Hausfrau, und sie verschwor sich hoch und heilig, dem abscheulichen Sünder nichts mehr zu schicken. Aber Mahlmann machte sich nichts daraus, hier und dort in Ungnade zu fallen. Er brauchte wenig zu seinem Leben, und was er brauchte, wurde ihm noch immer gebracht.

Für mich hatte der alte Mann mit den finsteren Augen eine ganz besondere Anziehungskraft. Ich glaube, es kam das daher, daß er mir einmal eine wundervolle Spukgeschichte erzählt hatte. In dieser Geschichte kamen mindestens ein halbes Dutzend Hexen und ein ganzes Dutzend Gespenster vor, und ich war viele Abende nachher unter Tränen und nur unter der Bedingung zu Bette gegangen, daß jemand bei mir säße, bis ich eingeschlafen wäre. Aber der Reiz des Schauerlichen war doch so stark bei mir, daß ich Mahlmann seit der Zeit noch lieber besuchte und ihm manchmal aus den eigenen schmalen Mitteln etwas kaufte, nur um ihn zum Erzählen zu bringen. Es gelang das aber nicht immer, denn der Alte war Stimmungen unterworfen, die ihn manchmal wortkarg und verdrießlich machten. Manchmal aber erzählte er doch allerlei aus seinem Leben, dem es ehemals nicht an Abwechslung gefehlt hatte. Als Diener eines höheren dänischen Militärs war er zur Zeit der Revolution in Paris gewesen, und seine Beschreibung, »wie die seinen Herrns da alle in ein alten Slachterwagen mußten, damit ihnen der Kopf abgeslagen wurde«, war äußerst deutlich. Mein Baron war da mit einemmal auch mit mang und sollte auch zu die alte Tine oder wie das Ding hieß, erzählte er mir eines Tages, als er zum Sprechen besonders aufgelegt war; aber er kam noch gut davon. Das war so einer, der konnte die Weibers betören, und die Weibers haben ihn denn ja auch glücklich aus die Stadt gebracht!

Mahlmann saß auf einer Bank vor seiner Haustür und streckte die fleischlosen Hände so, daß die Sonne darauf scheinen konnte. Um die Schultern hatte er einen zerlumpten Rock, der ehemals rot gewesen war, nun aber in allen Farben schillerte. Es war so heiß, daß ich mich in den Schatten der Haustür flüchtete; der alte Mann aber zitterte vor Frost. Ich hatte ihm ein großes Stück Kuchen gebracht und hielt es ihm jetzt hin. Langsam griff er danach, und langsam aß er es auf.

So was hatt ich Anno dunnemals in Pries auch mannichmal. Liebe Zeit! Mein Baron war ein hübschen Mann, und für meine Jahrens, fufzehn oder sechzehn bin ich woll gewesen, hatte ich einen guten Verstand. Bloß, ich konnte die alte fransche Sprache nich recht verstehn, und das war ärgerlich. Aber die Geschichte mit die lütte Mamsell konnte ich begreifen, denn sie wohnte uns gegenüber, und ihr Vater hatte ein Krämergeschäft, wo sie mit in Laden half. Zuerst kauften wir da nix; aber ein langer Engelländer erzählte an meinen Baron, daß da bei diesen Krämer ein feinen Ungarwein zu haben war. Der kam aus den König sein Weinkeller, der ja nun doch kein Wein mehr trank, weil daß er auch zu die Gartine hatte fahren müssen. Und den Wein hatten sich ein paar vernünftige Leutens geteilt, was ja recht und billig war, und er kostete ein Spottgeld. Da bin ich denn herüber gewesen und hab was davon gekauft, und Mamsell Manon war im Laden und hat über meine Sprache gelacht, bis sie weinte. Und ich bin bös gewesen, und als ich mit dem Wein zu meinem Baron kam, hab ich gesagt, daß ich nich mehr zu die dumme Mamsell wollte, die nich mal deutsch verstünde. Den andern Tag hat mich mein Herr wieder schicken wollen; aber da bockte ich auf. Herr Baron, hab ich gesagt, Sie können mich gern was mit die Peitsche geben, denn ich bin man bloß der Diener, aber zu das dumme Mädchen von gradüber gehe ich nich wieder, und wenn Sie mir dazu zwingen, dann verklag ich Sie beis Gericht, daß Sie ein Aristokrat sind. Denn hier is ja allens egal und frei, soviel fransch kann ich auch noch, und leid solls mich tun, wenn Sie zu die Gartine müssen; aber slecht behandeln laß ich mir nich!

Mein Baron hat mir ganz sonderbar angesehen, Räsong aber nahm er an; und zu die Mamsell brauchte ich nich mehr, denn mein Herr nahm selbst seine Beine in die Hand. Und da hat er denn eine Freundschaft mit Mamsell Manon angefangen, und sie ist zu uns gekommen und hat den königlichen Wein selbst gebracht. Bei näherer Bekanntschaft war sie nich slimm. Sie lachte ein büschen viel und sang wie ein kleinen Vogel, ümmerlos und ümmerlos; aber kein Mensch kann ja gegen seine Natur. Und ein anständiges Mädchen war sie auch; denn als mein Baron ihr mal umfassen und einen Kuß geben wollte, gab sie ihm einen Ordentlichen an die Ohren. Und ich hab gar nich gewußt, daß mein Herr ein so dummes Gesicht machen konnte. Aber was die Vornehmen sind, die kriegen auch nich ümmer ihren Willen.

Und Mahlmann nickte ein paarmal und aß krümchenweise seinen Kuchen weiter, ehe ei wieder zu reden begann.

Nein, sie kriegen nich ümmer ihren Willen, fuhr Mahlmann fort. Mein Baron, der wollte partuh noch länger in Pries bleiben, obgleich schon viele von seine vornehmen Bekanntschaften mit abgeslagnen Kopf in die Kalkgrube lagen. Er hatte keine Lust, fortzugehn, und saß den halben Tag bei Mamsell Manon im Laden und sagte, was ein echter Däne wäre, der hätte keine Angst vor die Franzosen, die täten ihm ganz gewiß nix! Manchmal aber kommt allens anders, als man denkt, und eines Abends wird mein Baron auch von so'n paar lange Soldaten weggeholt. Das war nun hellschen ungemütlich, kann ich man bloß sagen: der Herr war wohl mannichmal mit die Peitsche auf mir losgefahren, und so furchtbar viel machte ich mich nich aus ihn. Abersten wenn man so ganz allein in so'n verdrehte Stadt is, wo kein Christenmensch is, der ein Mund voll Snack verstehn kann, denn kriegt man doch das Gräsen. Und als am andern Morgen Mamsell Manon ankam und auf mir einredete und furchtbar weinte und mich die Backen streichelte, konnte ich ihr ganz gut verstehn, obgleich die alte fransche Sprache einen ziemlichen Swabbelkram is. Die Mamsell meinte, ein Kasäng (Cousin) von sie, der hätte den Baron ins Prison gekriegt, weil daß er schallu war. Was sie sonst noch sagte, weiß ich nich mehr; aber was sie wollte, das konnte ich bald begreifen, und die Haare fingen an mich zu Berge zu stehn. Denn sie wollte meinen Konfirmatschonsanzug geliehen haben, den ich erst dreimal angehabt hatte, einmal bei die Konfirmatschon, denn beis heilige Abendmahl und denn, als ich mir beim Herrn Baron meldete. Nun lag er in meinen Koffer, weil daß ich immer nen bunten Rock trug, und nachher, als die Franschen keine Lifreen mehr leiden mochten, da gab der Baron mich einen alten grauen Anzug. Als die Mamsell ümmerlos meinen besten Rock haben wollte, sagte ich natürlicheweise nonk, nonk und schüttkoppte dabei, daß mich die Gedanken ordentlich vor die Augen funkelten; Manon aber streichelte mir ümmer weiter, und sie kriegte wahrhaftigen Gott ihren irdischen Willen, wie die Weibers das ümmer tun. Mit einemmal hatte ich meinen Koffer offen geslossen, und sie lief mit den Konfirmatschonsrock fort und mit allens andre. Ich kuckte ihr noch ganz verbaast nach, da kam sie all wieder und wie'n Mannsbild angezogen!

Mahlmann schwieg einen Augenblick und wickelte sich fröstelnd in seinen roten Rock. Liebe Zeit, was das jetzt ümmer so kalt is, früher wars in Julimonat doch noch mannichmal ein büschen warm. Aber allens wird anders, als man denkt. Die kleine Mamsell hatte mich auch himmelhochens versprochen, ich sollt mein gutes Zeug wieder haben. Ja woll – Proste die Mahlzeit! Aber was wahr is, muß wahr bleiben: reinemang nüdlich hat sie ausgesehen in das gute schwarze Zeug, und nun habe ich auch verstanden, warum sie yom Baron keine Kleedasche angezogen hat, und auch nicht von dem Krämer, was ihren leiblichen Vater war. Der is kurz und dick, und der Baron is groß und breit gewesen: in so'n Kram hätte die Kleine man slecht ausgesehen. Nun konnte jedermann glauben, daß sie einen richtigen Jungen war. Und wie ein paar Jungens sind wir hingelaufen nach einem von die vielen Gefängnisse, wo die Aristokraten in Prisong saßen, ich mit'n Korb und sie mit'n Korb, da is Brot und Briefpapier ein gewesen, und das haben wir an eine Frau von die Wärters gebracht, die damit Handel getrieben und viel Geld verdient hat. Denn was die Aristokratens waren, die haben ümmerlos Briefe schreiben wollen, woraus man recht sehen kann, was das für Faulenzers gewesen. Denn was ein ehrlichen Mann sein will, der hat doch ein Mund zum Snaken und braucht doch nich Kleckse aufs Papier zu machen, bloß um die Zeit totzuschlagen. Zwei- oder dreimal sind wir bei einem von die großen Prisongs gewesen; ich bin draußen geblieben, weil daß ich ein büschen bange war, Mamsell Manon is aber hineingegangen und hat mit die Wärters gesprochen. Was sie sonst noch gemacht hat, weiß ich nich; ich hab da draußen gestanden und an mein Konfirmatschonsanzug gedacht, mit dem die kleine Mamsell gar nich schonsam umgegangen is. Drei Tage hat sie ihm schon gehabt und hat ihm mit nach Haus genommen, und ich hab gar nich gewußt, wo er war, wenn sie in'n Laden stand und ihre gewöhnlichen Kleider anhatt. Denn es mußte ümmer dunkel sein, wenn wir zusammen ausgingen, so in Schummern; denn kam sie bei mich an, und denn ging die Tour los. Und was wahr is, muß wahr bleiben: wenn sie gekommen is, hat sie mich ümmer was mitgebracht, einen Sluck Wein und ein Stück Kuchen oder sowas. Und am Abend von den vierten Tag, als ich wieder auf sie warte und vor die Tür von das große Gefängnis stehe, da faßt mir einer an die Schulter und sagt auf deutsch: »Vorwärts!« Da war es mein Baron, der mit einmal vor mich stand und hellschen in Eile war, fortzukommen. Franz! – sagt er zu mich – komm snell, oder ich bin verloren! – Wo is aber die lütte Mamsell? – frag ich – und wo is mein Konfirmatschonsanzug? Da kriegt er mir beim Arm und sleift mir durch die Straßen, daß mich Luft und Atem vergeht. Sie wird kommen! – sagt er so vor sich hin – morgen schon wird der Irrtum aufgeklärt werden, wenn ich aus der Stadt bin. Ihr Vater wird sie schon befreien. Aber obgleich der Baron mir noch ümmer so vor sich hin geschoben hat, bin ich doch stehn geblieben. Herr Baron – hab ich gesagt –, die klein Mamsell hat mein besten swarzen Anzug an, und die Hosen sind noch aus den Herrn Pastor seine gemacht, und das sag ich Sie, wenn ich mein Anzug nich kriege, worin ich bin verkonfermiert worden, dann gehe ich zu die Herrn von die Koppabslagegesellschaft und verklage Ihnen, daß Sie aus das Kaschott gebrochen sind, was doch gewiß nich sein soll. Denn von Rechts wegen sollen alle Aristokratens zu die Gartine, oder wie das Ding heißt, hin, weil doch Egalität und Freiheit sein muß, und weil wir armen Kerls uns nich veramüsieren können, wenn die hohen Herrns uns all das büschen Pläsier vorwegnehmen! Da hat aber mein Baron Augen gemacht, wie ich ihm das gesagt hab! War gerade so, als hätte er mir am liebsten totgestochen. Aber das ging nun doch nich, und er gab mich gute Worte. Liebe Zeit, was hat der Mann mich da allens versprochen! Einen Beutel voll Speziestaler und alle Jahre ein Swein und alle Jahre ein swarzen Anzug, wenn ich bloß ruhig mit ihm nach Haus gehn wollte. Und ein Ring mit ein roten Stein hat er mich auf die Stelle an den Finger gesteckt, weil der mich ümmer so in die Augen gestochen hatte, und so bin ich denn ganzen still mit ihm weggegangen und in seine Wohnung, wozu ich ein Slüssel hatte. Da hat mein Baron in die Dachkammer geslafen, wo ich sonst loschierte, und ich hab mir auf'n Sofa in sein beste Stube hinlegen müssen, daß es so aussah, als wenn ich den großen Herrn spielen wollte. Der Baron is zweimal in ein blauen Kittel mit'n Mütze auf'n Kopf ausgegangen, das heißt den andern Tag, und am zweiten Morgen sind wir beide zu Fuß aus die Stadt gewandert, und wir hatten Kleider an, die ich nich gern mit ein Feuerzange hätte anfassen mögen!

Mahlmann schwieg und rieb sein linkes Knie. Was ich doch immer fürn Reißmichtismus hab! Und im Julimonat! Aber das kommt davon, wenn man ein büschen in die Jahrens kommt. Neunzig sind es ja woll; was aber mein Großvater sein Tante war, die is weit in die Hunderte gekommen und is bloß gestorben, weil sie bein Sweineslachten zu viel gegessen hat!

Er seufzte und nickte dabei. Einmal müssen wir alle in die Erde; aber komisch is es doch, daß es so verschieden is. Das Sterben nämlich. Nu bin ich alt, und damals, als ich so an den frühen Morgen durch Pries lief mit nem Lumpensack auf'n Rücken, und mein Baron gerad so aufgetakelt, da dachte ich zu allererst in mein Leben an den Tod, was doch eigentlich kein Gedanken fürn halben Jungen is. Das kam auch man bloß davon, daß uns die Wagens vorbeifuhren, wo die Aristokratens einsaßen, denen der Kopp abgeslagen werden sollte. Ich hatte die alten Karrens schon oft fahren sehen und mich natürlicherweise gar nix dabei gedacht, weil es ja gut war, daß die feinen Moschüs und Madams aus die Welt kamen; aber diesmal verfiehrte ich mir doch, weil die lütte Mamsell mit auf einen von die alten stoßigen Dingers saß. Und was das dollste war, sie hatte meinen Konfirmatschonsanzug noch an und sah aus wie ein kleinen nüdlichen Jungen. Und sie hatte die Hände gefaltet und sah aus, als wenn sie zum heiligen Abendmahl wollte. Da waren wenig Menschen in die Straße, weil es so früh am Morgen war, und ich wollte gerade den Mund auftun und schreien, daß die Mamsell meinen swarzen Anzug noch anhatte, und daß sie mich den wiedergeben sollte, da legte mein Baron mich die Hand auf den Mund, daß ich beinah sticken muß. Gottsdonnerwetter, was hat er mir gedrückt; aber man bloß ein kleinen Augenblick; dann hat er mit einemmal alle Kraft verloren und hat stockstill gestanden und angefangen zu zittern. Und das is davon gekommen, weil er die kleine Manon angesehen hat, und sie ihm. Da is so'n Lächeln über ihr Gesicht gegangen, und sie hat den Kopf ein büschen vorüber geneigt, und denn is der Karren rasch weiter gefahren. Mein Herr aber hat woll ne Viertelstunde auf einen Fleck gestanden, und die dicken Tränen sind ihm über die Backen gelaufen. Ein grauenhafter Irrtum! hat er gemurmelt. Sie sagt mir doch, daß sie nicht in Gefahr sei, daß ihr Vater sie am nächsten Tage befreien werde. Er muß sie nicht gefunden haben! Himmlischer Vater, hast du kein Erbarmen gehabt mit ihrer Jugend und Schönheit? Der Baron hat noch allerhand mehr gesprochen, und weil er gar nich weiter gegangen is, bin ich ungeduldig geworden. Herr Baron – sagt ich –, die lütte Mamsell is nun ja woll all weg, und mein swarzen Anzug auch, denn da is kein Gedanke, daß ich den wiederkriegen tu, abers wenn wir hier noch ein büschen länger stehn, dann kommen wir auch auf die Gartine, was die lütte Mamsell doch nicht gewollt hat. Sonsten hätte sie sich nicht so angestellt mit meinen Anzug. Und nun is sie ja woll schon in Himmel, wo es doch sehr nett sein soll! – So hab ich denn mit mein Baron klug gesnakt, und er is snell und ümmer sneller gegangen, bei die Torwachens vorbei und aus die Stadt hinaus, bis er sich erst nach mich umgesehen hat, als wir an Häusers kamen, wo Engelländer einwohnten. Das war ein Dorf ein paar Meilens von Pries fort, wo die Franschen nich so slimm aufpaßten, wie in die Stadt selbst. Die Engelländers aber wollten auch wieder nach ihr eigen Land, weil das allens ein büschen ungemütlich wurde, und mit diese Herrschaften sind wir pöh und pöh nach die Küste gereist und von da in ein kleines Schiff nach Engelland, wo die Leute nach meinen Geschmack den Rinderbraten zu rot essen. Aber sonsten is da ein gutes Leben, und ich will gar nix dagegen sagen, wenn nur mein Baron ein büschen lustig gewesen wäre. Aber der hatte das Lachen verlernt, war still und blaß geworden, und nachts, wenn er slafen sollte, dann lag er und stöhnte und sagte fransche und dänische Worte vor sich hin. Und im Traum rief er immer nach Manon. Das war ja eigentlich gar nicht nötig, weil daß sie doch nich kommen konnte!

Der Alte blickte nachdenklich in die Nachmittagssonne. Als ich mich die Sache nachher überlegt hab, da hat mich die lütte Mamsell auch hellschen leid getan. Denn sie war ein klein nüdliche Deern mit braunen, kurzen Haaren, und ihre Augens lachten so lustig in die Welt, als wenn es nie und nümmer Kummer und Sorge gäbe. Damals war ich ja noch ein grünen Jung und verstand nix von die Weibers; nachmalen aber is mich doch das Lächeln von die Kleine, wie sie auf dem Karren saß, nachgegangen. Ich hab nachher mal ein kleines Kind in'n Sarg liegen sehen: das sah gerade so zufrieden aus wie Mamsell Manon, als sie ihren weißen Hals auf die Slachtbank legen sollte. Mit den Jahren bin ich auch vernünftiger geworden und hab nich ümmerlos an mein swarzen Anzug gedacht, obgleich ich mir noch lange darüber ärgerte. Der Baron is gegen mir anständig gewesen, da will ich nich über klagen; aber nachher meinte er, mir wollten doch lieber voneinander, weil daß ich in Pries ein büschen frei in meine Manierens geworden war. Er hat mich was Ordentliches gegeben, und wenn ich nich Mallöhr gehabt hätte mit allerlei, so könnte ich jetzt ein reichen Mann sein. Aber das is ümmer so: hierzulande is es gar nix mit die Egaligkeit, und wenn wir nich mal ne ordentliche Revolutschon kriegen, wird es auch nich besser. Und dabei kann es einen auch noch slecht gehn, wobei ich an den franschen Krämer denke, der mit die Weinens aus den königlichen Kellers so'n guten Handel hatte. Das war einer von die Forschens, die immer noch mehr Aristokraten tot haben wollten. Na, und sließlich is sein eigen Fleisch und Blut für einen von die slimme Sorte in den Tod gegangen, was der Alte sich woll nümmer gedacht hat. Wenn einer nämlich Mallöhr haben soll, denn kommt es, und zu mich is es auch gelangt, als ich Anno dazumal mit einmal mit zu die Diebesbande gehören sollte, wo die Gerichtens so viel Wesens von machten. Und obgleich ich mir sehr gut verteidigte und den Leuten ordentlich Bescheid sagte, kam ich doch nach Glückstadt ins Zuchthaus und wär da woll ne Ewigkeit geblieben. Aber da bringt ein ganz sonderbaren Glücksfall den dänschen König dahin, der das Zuchthaus besehen will. Er und ein ganzen Berg von seinen Herren, und wir Sträflinge, mir müssen in Reih und Glied stehn, so lange wie der alte Friedrich uns besieht. Wer aber geht hinter den König her? Mein Baron, der weiße Haare gekriegt hat und nen krummen Rücken und nen großen Stern auf die Brust. Der geht so ganz gemächlich zwischen uns durch; als er bei mich vorbeikommt, räuspere ich mir, und er kuckt sich so halb verloren um. Dann aber fährt er ordentlich ein büschen zusammen und kommt ganz nahe an mir heran. Dich sollt ich kennen! sagt er, und ich lach ein klein wenig. – Herr Baron, wissen Sie noch die Geschichte von mein guten swarzen Anzug? – Da macht er ein ganz merkwürdiges Gesicht und fährt sich über die Stirn, als wenn er was wegwischen wollte, und dann geht er weiter. Aber denselben Tag noch mußte ein Wärter mir in seine Wohnung bringen, und er hat mir ausgefragt, warum ich ins Zuchthaus gekommen wäre. Und als er allens ziemlich genau gewußt hat, hat er geseufzt und leise vor sich hingesprochen und dann wieder geseufzt. Endlich ist er aufgestanden und hat mich die Hand auf den Arm gelegt. Weil du sie gekannt hast, Franz; weil du – weiter aber ist er nicht gekommen; und ich bin wieder abgeführt worden und bald begnadigt. Da hab ich doch bemerkt, daß der Baron ein ganz anständigen Kerl war und noch an meinen Konfirmatschonsrock dachte, und zehn Jahre später hab ich den Baron auf'n Kieler Umslag gesehen. Da fuhren sie ihn in'n Rollwagen, weil er nich mehr gehn konnte. Als ich mir da bei ihm meldete, da hat er mich zehn Spezies schicken lassen, und was sein Diener war, der sagte, daß er viel Unglück in seine Familie hätte. Sein ältesten Sohn war totgeschossen von ein andern Baron, und sein zweiter hatte ein Mädchen geheiratet, das mit nackigen Beinen ins Theater tanzt. Nun is mein Baron all lange tot, und das is slimm, weil er mich mannichmal noch was geschickt hat. So geht allens vorüber – allens, und wenn ich morgens in mein Bett liege und nich mehr slafen kann, dann mutz ich mannichmal an die kleine Manon denken, die in meinen swarzen Anzug gestorben is, mitten mang die Aristokraten, wo sie doch gar nich hingehörte, und mein swarzen Anzug gehörte da auch nich hin. Aber es kommt allens anders, als man denkt, besonders bei die Liebe. Der eine stirbt for ihr, was doch eigentlich gräßlich is, und der andre lebt weiter und hat doch auch kein Spaß vons Leben. Ich glaube, was mein Baron war, der hatt gar kein Freude mehr von seine Titels und seine Ordens und sein Geld, was doch schade war. Er hätt man allens an mich geben sollen, abers das is ihn nich eingefallen, und daran kann man leicht sehen, daß er doch ein ganzen ekligen Aristokraten war. – Abers die Sonne scheint nich mehr, geh man nach Hause, Kind; ich will mir ein büschen an'n Feuerherd setzen!


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