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Schluß

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Zwei Tage, nachdem Presley die Bonneviller Gegend verlassen hatte, machte die »Swanhilda« vom Kai in Port Costa los und segelte nach San Francisco, wo sie im Strome vor der dem Hafen zugekehrten Stadtseite ankerte. Einige Stunden nach ihrer Ankunft erhielt der in seinem Klub auf Nachricht wartende Presley ein Telegramm Cedarquists mit der Mitteilung, daß die »Swanhilda« frühzeitig am nächsten Morgen segeln würde und daß er noch vor Mitternacht an Bord kommen müßte.

Er schickte seine Koffer an Bord und eilte sofort nach Cedarquists Office, um seinem Gönner Lebewohl zu sagen. Er traf den Fabrikanten bei allerbester Laune an.

»Was sagen Sie zu Lyman Derrick, Presley?« fragte Cedarquist, als sein Besucher sich gesetzt hatte. »Der macht in der neuen Politik, daß es 'ne Art hat, wie? Und unsre liebe Eisenbahn erkennt ihn offen als ihren Kandidaten an. Sie haben von seiner Kandidatur gehört?«

»Ja, gewiß,« antwortete Presley. »Nun, er wird am besten wissen, was er tut.« Cedarquist war jedoch von einem andern Gedanken erfüllt; sein neues Unternehmen, die Einrichtung einer Linie schnellsegelnder Weizenschiffe für den pazifischen und östlichen Handel, ließ sich gut an.

»Die ›Swanhilda‹ ist die Mutter der Flotte, Pres. Ich mußte sie kaufen, aber der Kiel zu ihrem Schwesterschiff wird gelegt werden, wenn sie in Kalkutta löscht. Wir werden unsern Weizen noch tief nach Asien hinein schaffen. Der Angelsachse ist uranfänglich von dort hergekommen, und es ist seine offenbare Bestimmung, den Erdball zu umkreisen und da wieder Halt zu machen, wo er seine Wanderung begonnen hat. Sie sind mit an der Spitze des Zuges, Presley; Sie gehen ja doch nach Indien in einem Weizenschiff, von dem die amerikanische Flagge weht. Wissen Sie übrigens, woher das Geld kommen soll zum Bau des Schwesterschiffes der ›Swanhilda‹? Vom Verkauf der Betriebsanlage und des alten Eisens der Atlaswerke. Ja, ich hab' die Sache endgültig aufgegeben. Die Leute hier haben mich nicht unterstützt. Aber ich bin jetzt in das neue Geschäft reingegangen. Ich kann dabei kaputt gehen, aber ich will's versuchen. Uebrigens gestern ist feierlich die Ausstellung eröffnet worden, die 'ne Million Dollar kosten soll. Damit ist natürlich,« fügte er verschmitzt lächelnd hinzu, »eine Midway Plaisance Vergnügungsstraße her Chicagoer Weltausstellung mit mannigfachen Volksbelustigungen und Schaustellungen. verbunden. Meine Frau und unser Freund Hartrath haben aus dem Ertrage einer von ihnen eröffneten Subskription die Kolossalstatue der California aus getrockneten Aprikosen modellieren lassen. Ich kann Ihnen die Versicherung geben,« fuhr er mit spöttischem Ernst fort, »es ist ein wirkliches Kunstwerk und eine hervorragende Sehenswürdigkeit der Ausstellung. Na, lassen Sie sich's gut gehen, Pres! Schreiben Sie mir von Honolulu, und bon voyage! Richten Sie dem hungrigen Hindu meine Empfehlungen aus. Sagen Sie ihm: Wir kommen, Vater Abraham, und hunderttausend mehr! Sagen Sie den Männern des Ostens, sie sollen ausschauen nach den Männern des Westens. Der ununterdrückbare Yankee klopft an die Tore ihrer Tempel und will ihnen mechanische Teppichbesen für ihre Harems und elektrische Lichtanlagen für ihre geheiligten Stätten verkaufen. Adieu, Pres.«

»Adieu, Herr Cedarquist.«

»Werden Sie fett unterwegs, Presley,« scherzte Cedarquist, als die beiden aufstanden und sich die Hände schüttelten.

»An Nahrung dürfte es auf einem Weizenschiff nicht fehlen. Brot genug gibt's jedenfalls.«

»Auf die Länge ist das etwas einförmig. Der Mensch lebt nicht von Brot allein. Doch, Sie wollen also wirklich fort. Leben Sie wohl!«

»Leben Sie wohl!«

Als Presley auf die Straße trat, fiel ihm ein großer Wagen in die Augen, dessen Obergestell mit weichem Baumwollstoff umspannt war. Auf der weißen Hülle, hinter der jemand wie toll die große Trommel schlug, war in großen Buchstaben zu lesen: »Stimmt für Lyman Derrick, den regulären republikanischen Gouverneurskandidaten.«

*

Majestätisch hob und senkte sich die »Swanhilda« auf der lang auslaufenden Dünung des Stillen Ozeans; das Wasser zischte und kochte unter ihrem Vorderfuß, und ihr Tauwerk erzitterte dröhnend in dem scharf wehenden Passat. Der Abend nahte, und die Schiffslichter waren bereits gesetzt. Ueber die Bordwand gelehnt rauchte Presley eine Zigarette; der gerade des Wegs kommende Kapitän blieb ein Weilchen bei ihm stehen und bemerkte:

»Das Land dort, wenn Sie's sehen können, ist Point Gordo. Wenn Sie von unserm Schiffsort eine gerade Linie dorthin ziehen und sie noch um etwa hundert Meilen verlängern, so würde diese Linie Tulare County nicht weit von dort durchschneiden, wo Sie gewohnt haben.«

»O, ich sehe,« entgegnete Presley, »ich sehe. Danke sehr. Es ist mir lieb, das zu wissen.«

Der Kapitän setzte seinen Weg fort. Presley ging nach dem Quarterdeck und blickte lange und ernst nach der verschwimmenden Linie der Berge, die über der wogenden Wasserküste in bläulicher Ferne nur schwer zu erkennen waren.

Es war das Küstengebirge; jenseits desselben hatte er einst ein Heim gehabt. Dort lagen Bonneville und Guadalajara, Los Muertos und Quien Sabe, die Mission San Juan, die Blumenfarm, Annixters verödete Heimstätte und Dykes verwilderte Hopfenpflanzung.

Ja, alles war jetzt vorüber; das furchtbare Drama, das er miterlebt hatte, war zu Ende. Schon lag es weit hinter ihm, aber wieder einmal stieg es grausig und düster in seiner Erinnerung auf, der es unauslöschlich eingeprägt war. Alles, was zwischen seinem ersten Zusammentreffen mit Vanamee und dem Abschied von Hilma lag, zog an ihm vorüber. Er sah alles – das weithin sich breitende Land, das man vom Kamme der Hügel an der Quelle des Broderson-Bachs überblickte, Annixters Barn-Ball, die Geschirrkammer mit ihrem Gedränge wütender Männer, den stillen Garten der Mission, Dykes Haus, seine Flucht auf der Lokomotive, seinen verzweifelten Kampf im Chaparral, den wie ein gehetztes Wild gestellten Lyman Derrick im Speisezimmer von Los Muertos, das Hasentreiben, den Kampf am Bewässerungsgraben, den brüllenden Pöbel im Bonneviller Opernhause.

Das Trauerspiel war aus. Der Kampf zwischen Ranch und Eisenbahn war bis zu seinem blutigen Ende durchgekämpft worden. Es mochte wahr sein, was Shelgrim gesagt hatte, daß Kräfte und nicht Menschen miteinander gerungen hatten, aber die Unterliegenden waren doch die Männer der Ranch und nicht die der Bahn gewesen. In dieses blühende Tal, in dieses friedliche Gemeinwesen von Bebauern des Landes war es hereingebrochen, das über die Schienen fliegende Ungetüm, das Schreckgespenst von Stahl und Dampf, das, mit donnerndem Widerhall an den Ranchos vorbeistürmend, von Horizont zu Horizont schoß und Blut und Zerstörung auf seinem Pfade zurückließ.

Ja, die Eisenbahn hatte gesiegt. Die Ranchos waren von den Fangarmen des Octopus umklammert worden; wie ein eisernes Joch hatten erpresserische Frachtsätze die davon Betroffenen gedrückt. Das Ungeheuer hatte Harran, hatte Osterman, hatte Broderson, hatte Hooven getötet. Es hatte Magnus zum Bettler gemacht und seinen Geist gestört, nachdem seine Ehre bei dem nutzlosen Versuche, durch verwerfliche Mittel Gutes zu erreichen, Schiffbruch gelitten hatte. Es hatte Lyman in seine Netze gelockt, um ihm Mannhaftigkeit und Ehre zu rauben, um ihn zu verderben und seine Seele unrettbar zu vergiften; es hatte Dyke von seiner ehrlichen Arbeit vertrieben und einen Straßenräuber, einen Verbrecher aus ihm gemacht. Es hatte Frau Hooven auf die Straße gestoßen und sie Hungers sterben lassen. Es hatte Minna der Schande in die Arme getrieben. Es hatte Annixter hingemordet in dem Augenblick, in dem er mühsam und mannhaft seine eigne Rettung vollbracht und der Entschluß gefaßt hatte, recht zu tun, selbstlos zu handeln und dem Wohle andrer zu leben. Es hatte Hilma in der Morgenröte ihres Glücks zur Witwe gemacht. Es hatte das Kind im Mutterleibe getötet, das ungeborene Leben erwürgt und den Funken ausgetreten, der von Gott in alle Ewigkeit zu glühen bestimmt war.

Und was blieb nun übrig? War denn keine Hoffnung, kein Ausblick in die Zukunft, kein Riß in dem schwarzen Vorhang, schimmerte denn kein Licht durch das Dunkel der Nacht? Mußte das Gute unterliegen? Mußte da? Böse erstarken und obsiegen?

Und plötzlich erinnerte er sich der Worte Vanamees. Was war der weitere Gesichtspunkt, was gewährte der größtmöglichen Anzahl das größtmögliche Gute? Was war das ganze Kreisrund, von dem er nur einen Ausschnitt sah? Was blieb am Ende und zu allerletzt von allem übrig? Ja, das Gute ging unberührt, unangreifbar, unbefleckt aus dieser Krise hervor.

Männer – Sonnenstäubchen nur – kamen um, wurden niedergeschossen im vollen Mittag ihres Lebens, Herzen wurden gebrochen, unmündige Kinder auf ihrem Lebenspfade von einer erdrückenden Last am Fortkommen gehindert, junge Mädchen der Schande überliefert; alte Frauen starben im Herzen eines großen, reichen Gemeinwesens den Hungertod. Inmitten dieser kleinen, vereinzelten Gruppe menschlicher Eintagsfliegen wirbelten wie Feuerräder Elend, Schmerz und Tod.

Aber der Weizen blieb. Unberührt, unangreifbar, unbefleckt bewegte sich diese welterhaltende Kraft, diese Ernährerin der Völker, ruhevoll wie das Nirwana, unbekümmert um den sie umkreisenden Schwärm und jeden Widerstand überwindend, in den ihr angewiesenen Bahnen. Durch das Blutbad am Bewässerungsgraben, durch all den Wohltätigkeitshumbug und den sich als Menschenliebe aufspielenden Gefühlsdusel der Ausschüsse zur Linderung der Hungersnot rollte die reiche Ernte von Los Muertos wie eine Flutwelle von der Sierra nach dem Himalaja, um Tausende der auf den kahlen Ebenen Indiens verhungernden Vogelscheuchen zu füttern.

Die Lüge stirbt. Ungerechtigkeit und Bedrückung vergehen und schwinden dahin. Habsucht, Grausamkeit, Selbstsucht und Unmenschlichkeit sind kurzlebig; das Einzelwesen leidet, aber die Rasse gedeiht. Von dem weiteren Gesichtspunkt aus entdeckt der auf das Ganze gerichtete Blick, daß die Wahrheit zuletzt allen Trug, alle Niedertracht besiegen muß, und daß alle Dinge unfehlbar, unbedingt und unwiderstehlich zusammenwirken für das Gute.


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