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Listig sei der Kaufmann, pfiffig und reich. – In diesem Kapitel werden die Kaufleute in allerlei Anekdoten bei ihren Bemühen gezeigt, listig u sein. Nicht immer gelingt ihnen das. Und allerlei Berichte aus ältester Zeit zeigen, wie der listige Kaufmann oft überlistet wurde, wie er aber auch schon in unsicheren Zeiten mit lebensvollem Humor durch die Lande reiste (siehe die Geschichte von den unheimlichen Gästen) – und mit welcher geschickten Psychologie manch Händler seine Kunden behandelte. Die Geschichte vom zerstreuten Torfhändler und manche Scherze des Abschnitts »S. M. der Kunde« sowie der Teil »Vom Chef und seinen Leuten« und »Tricks und Kniffe« sind hier sehr aufschlußreich.
Der folgende Abschnitt »Reinfälle« ergänzt diesen Teil und zeigt, daß auch die Kaufmannslist nicht in den Himmel wächst ...
Kaiser Karl der Fünfte kam auf der Jagd bei der Verfolgung eines Keilers von seinem Gefolge ab und verirrte sich in dem Walde schließlich so sehr, daß er recht froh war, die Hütte eines Besenbinders zu finden, wo er ausruhen wollte, bis ihn seine Leute wieder gefunden hätten. Der Besitzer der Hütte, der Colas hieß, nahm den ihm Unbekannten freundlich auf, und seine Frau bereitete ihm ein sehr gutes Frühstück.
Karl aß mit großem Behagen und versprach seinen Wirten, sich für das Frühstück erkenntlich zu zeigen. Dann aber ging er hinaus und suchte das Jagdgefolge, das mit viel größerer Angst ihn selbst suchte. Mehrere Male mußte er rufen, bis ihm endlich mehrere Begleiter antworteten und bald durch das Getön der Hifthörner alle Begleiter sich zusammenfanden.
Zwei oder drei Tage später ließ Karl den Besenbinder an seinen Hof bescheiden und vor seinen Thron führen.
»Nun, mein Sohn,« fragte der Kaiser den Erschrockenen, der jetzt erst erkannte, wer sein Gast gewesen, »was verlangst du für das Frühstück, das Du mir gereicht hast?«
»Ew. Majestät wollen mir erlauben,« antwortete Colas, »daß ich und meine Frau im Wald frei und unbeschwert Reisig, wie es zu guten Besen paßt, schneiden dürfen.«
Karl, durch eine so einfache und bescheidene Bitte höchst überrascht, gewährte sie ihm auf der Stelle, sagte ihm aber zugleich leise, daß er sich morgenden Tages bei Hof einfinden und so viele Besen, wie er und seine Frau nur immer tragen könnten, mitbringen, aber keinen derselben geringer als zu einem Dukaten verkaufen solle.
Colas machte nun vor dem Kaiser eine tiefe Verbeugung, lief atemlos nach Hause zurück und machte seiner Frau von all den wunderbaren und glücklichen Erlebnissen des Tages Mitteilung. Beide gingen nun sogleich ans Werk und brachten, indem sie die ganze Nacht durch arbeiteten, so viele Besen zusammen, daß sie am folgenden Morgen mit großen Trachten im kaiserlichen Hoflager erscheinen konnten. Sobald der Kaiser ihrer ansichtig geworden, ließ er allen Hofleuten und dem ganzen Adel zu wissen tun, daß heute niemand vor ihm erscheinen dürfe, ohne einen Besen in der Hand zu tragen, und zwar aus der Manufaktur des Besenhändlers, der mit seinen Waren am Eingange des Palastes stehe.
Auf diesen Wink des Fürsten begab sich natürlich alles zu dem Meister Colas, um seinen Bedarf bei ihm einzukaufen. Aber welche Augen machten die Damen und Herren, als er für das Stück seiner Ware einen Dukaten forderte! Anfangs gaben sie ihm lose Worte und verspotteten ihn; da er aber fest blieb, so mußten sie schließlich zahlen, was er gefordert hatte. Auf diese Weise verkaufte Colas alle seine Besen und kehrte als der glücklichste aller Besenbinder mit einer Tasche voll Dukaten nach seiner Waldhütte zurück.
Ein Kaufmann klagte Kaiser Rudolf I. von Habsburg, der bekanntlich im Jahre 1273 den Thron bestieg, daß sein Hauswirt einen ihm anvertrauten wohlgefüllten Geldbeutel nicht zurückgeben wollte. Rudolf ließ sich den Beutel genau beschreiben, befahl dem Kaufmann, im Nebenzimmer zu warten, und schickte nach dem Hauswirt.
Er begann sich nun mit dem Hauswirt in harmloser Weise zu unterhalten und äußerte dann im Verlauf des Gesprächs, der Hauswirt habe einen so hübschen Hut, der gefiele ihm so gut, daß er ihn gerne besitzen möchte.
Der Wirt fühlte sich durch die gnädige Unterhaltung und den Wunsch des Kaisers natürlich sehr geschmeichelt und überreichte ihm dienstfertig den Hut.
Heimlich ließ diesen nun der Kaiser durch seine Diener zu der Wirtin bringen mit einem angeblichen Auftrag ihres Mannes, dagegen den bewußten Beutel auszuliefern. Die Frau, die den Hut erkannte und infolgedessen nicht den geringsten Argwohn hegte, übergab den Beutel dem Boten, der ihn zum Kaiser brachte.
Nun sagte der Kaiser dem Wirte ins Gesicht, daß er den Kaufmann bestohlen habe, und als der Mann zu leugnen versuchte, zeigte er ihm den Geldbeutel vor. Der Dieb erblaßte und gestand zitternd seine Schuld ein, für die Rudolf ihm eine strenge Strafe auferlegte.
Der listige Kaufherr.
Ein französischer Kaufherr segelte mit einem Schiff voll großen Reichtums aus der Levante heim, aus dem Morgenland, wo unser Glaube, unsere Fruchtbäume und unser Blut daheim ist, und dachte schon mit Freuden daran, wie er jetzt bald ein eignes Schlößlein am Meer bauen und ruhig leben und alle Abende dreierlei Fisch zu Nacht speisen wolle. Paff, geschah ein Schuß. Ein algierisches Raubschiff war in der Nähe, wollte uns gefangennehmen und geraden Wegs nach Algier führen in die Sklaverei. Denn hat man zwischen Wasser und Himmel gute Gelegenheit, Luftschlösser zu bauen, so hat man auch gute Gelegenheit, zu stehlen. So denken die algierischen Seeräuber auch. Hat das Wasser keine Balken, so hat's auch keine Galgen. Zum Glück hatte der Kaufherr einen Ragusaner auf dem Schiff, der schon einmal in algierischer Gefangenschaft gewesen war und ihre Sprache und ihre Prügel aus dem Fundament verstand. Zu dem sagte der Kaufherr: »Nicola, hast du Lust, noch einmal algierisch zu werden? Folge mir, was ich dir sage, so kannst du dich erretten und uns.« Also verbargen wir uns alle im Schiff, daß kein Mensch zu sehen war, nur der Ragusaner stellte sich oben auf das Verdeck. Als nun die Seeräuber mit ihren blinkenden Säbeln schon nahe waren und riefen, die Christenhunde sollten sich ergeben, fing der Ragusaner mit kläglicher Stimme auf algierisch an: »Tschamiana,« fing er an, »tschaminiana hakakna bilabai monaschid ana billäh onzorun min almaut.«
»Wir sind alle an der Pest gestorben, bis auf die Kranken, die noch auf ihr Ende warten, und ein deutscher Adjunkt und ich. Um Gottes willen, rettet mich!«
Dem Algierer Seekapitän, als er hörte, daß er so nahe an einem Schiff voll Pest sei, kam's grün und gelb vor die Augen. In der großen Geschwindigkeit hielt er das Schnupftuch vor die Nase, hatte aber keins, sondern den Ärmel; und lenkte sein Schiff hinter den Wind. »Lajonzork«, sagte er, »Allahorrama arrahim atabärrä laka it schanat chall«.
»Gott helfe dir, der Gnädige und Barmherzige! Aber geh zum Henker mit deiner Pest! Ich will dir eine Flasche voll Kräuteressig reichen.« Drauf ließ er ihm eine Flasche voll Kräuteressig reichen an einer langen Stange und segelte so schnell als möglich linksum. Also kamen wir glücklich aus der Gefahr, und der Kaufherr baute hernach in der Gegend von Marseille das Schlößlein und stellte den Ragusaner als Haushofmeister an auf lebenslang.
Ein bayrischer Kaufmann machte sich, als das Schiff, auf dem er von Marseille nach Spanien unterwegs war, in einem plötzlich hereinbrechenden Wirbelsturm zu sinken drohte und die Mannschaften, den sicheren Untergang vor Augen, nichts mehr zu tun wußten als Gott und alle Heiligen um Hilfe anzuflehen, in aller Ruhe über den ledernen Sack, in welchem er seine Mundvorräte mit sich führte, zog ein Brot heraus, zerschnitt es der Länge nach in zwei Hälften und verzehrte sie, nachdem er eine kräftige Prise Salz hineingerieben hatte, bedächtig bis auf die letzte Krume. Inzwischen legte sich der Sturm ganz unversehens, die Matrosen faßten neuen Mut, und einer von ihnen fragte den Bayern, was er sich bei seiner Mahlzeit vorhin eigentlich gedacht habe. »Ihr habt,« entgegnete dieser, sich den Bart wischend, »von Untergang und Ersaufen geredet, und so habe ich einstweilen Brot und Salz gegessen, damit mir ein so langer Schluck hinterher auch schmecken sollte.«
Nach dem Rollwagenbüchlein.
Ein Kaufmann, der wegen heimlich eingeführter Schmuggelware in harte Strafe genommen werden sollte, reichte eine Vorstellung beim König ein, die er mit folgenden Worten schloß:
»Ich lebe in der alleruntertänigsten Zuversicht, Ew. Königlichen Majestät Augen werden mit dem Könige David, Psalm 101, Vers 6, nach den Treuen im Lande sehen und gerne fromme Diener haben, daß sie bei Höchstdenenselben wohnen: und bitte daher fußfälligst, mich wider alle Anfechtungen mit Höchstdero Gnadenflügeln zu bedecken, und in Ansehung meiner königlichen Gedanken spüren, damit ich mit dem Könige David ausrufen könne: Der Herr ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht: was können mir Menschen tun?«
Der Monarch, der beim Empfang dieses Briefes guter Laune war, schrieb eigenhändig auf den Rand der Vorstellung:
»Der König David hat nie mit Contrebandiren zu tun gehabt, und also hat der Patron seine Bibellektüre hier sehr unnütz angebracht. Weil er mir aber die Ehre erwiesen hat, mich mit dem König David zu vergleichen, so kann man den Schlingel diesmal so gehen lassen! Kommt er wieder, so marschiert er, ohne auf den König David zu reflektieren, nach Spandau.«
In London trug sich folgender sonderbarer Zufall zu. Einer von den Zollbeamten, Herr Tankard, ein sehr aufmerksamer und bei den Schleichhändlern gefürchteter Mann, bewies dabei eine besondere Scharfsichtigkeit. Der Besitzer eines Handelsschiffes, das soeben angelangt war, erzählte allen Leuten, daß seine Frau, die ihn auf der Schiffsreise begleitet habe, unterwegs gestorben sei, und er wolle sie in ihrem Familienbegräbnis zur Ruhe bringen. Er bestellte auch einige Trauerkutschen und einen Leichenwagen, um die Leiche von dem Schiffe zu Grabe zu fahren. In der Begleitung seiner nächsten Angehörigen folgte er in tiefer Trauer dem Leichenwagen, und der Sarg wurde auf dem Friedhof mit allen Zeremonien in die Erde versenkt.
Da nun aber Herr Tankard diesen Schiffsbesitzer und Händler schon lange im Verdacht hatte, Schleichwaren einzuführen, so vermutete er auch jetzt, daß die Sache mit der Beerdigung nicht ganz seine Richtigkeit hätte, und daß vielleicht in dem Sarge statt einer Leiche geschmuggelte Waren stecken könnten. Er gab deshalb zweien seiner Leute den Auftrag, heimlich das Grab zu bewachen, und richtig, um Mitternacht sahen sie, daß der Schiffsbesitzer und die Totengräber den Sarg aus dem Grabe nahmen. Als sie aber mit ihrer Beute davonfahren wollten, bemächtigten sich die Zollbeamten des Sarges und fanden darin die teuersten Spitzen und Batistwaren. Die Waren wurden nicht nur beschlagnahmt, sondern auch der Kaufmann dafür belangt, weil er eine religiöse Feierlichkeit mißbraucht hatte. Er mußte eine große Geldstrafe bezahlen, so daß seine nur vorgeheuchelte Betrübnis nun in eine echte verwandelt wurde.
In einem sehr eleganten Modewarengeschäft von Glasgow in England erschien eine vornehm gekleidete junge Dame und wählte eine Reihe von teuren Gegenständen, im ganzen für etwa achtzig Pfund Sterling. Als sie bezahlen wollte, bemerkte sie, daß sie gar nicht mehr viel Geld in ihrem Portemonnaie hatte, und sie schlug dem Geschäftsinhaber vor, er möchte einen seiner Laufburschen beauftragen, mit den eingepackten Waren sie in ihrem draußen stehenden Wagen nach Hause zu begleiten, wo sie ihm die Rechnung bezahlen würde.
Der Kaufmann willigte ein, und die Dame fuhr mit dem ihr zugesellten Begleiter davon, aber keineswegs nach Hause, sondern zum Erstaunen des Ladenburschen in eine Irrenanstalt! Die Betrügerin hatte hier das Wärterpersonal schon unterrichtet, daß sie einen geisteskranken Verwandten bringen würde, und so bemächtigte man sich ohne weiteres des verblüfften Burschens und sperrte ihn trotz allen Protestierens und Widerstrebens in ein zur Aufnahme vorbereitetes Zimmer ein, mit der Drohung, daß man ihm die Zwangsjacke anlegen werde, wenn er sich nicht ruhig verhielte.
Erst nach einigen Tagen klärte sich die Sache auf, aber mittlerweile war die Diebin mit ihrer Beute spurlos verschwunden.
Bei dem Leichenbegängnis Goethes war begreiflicherweise ganz Weimar und die Umgebung in Bewegung. Ein schlichter Bürger, der Weinhändler Krüger aus Eisenach, der auch herübergekommen war, rief dabei ganz verwundert aus:
»Ich begreife nicht, wie der Tod eines Menschen ein ganzes Land in Alarm bringen kann. Weimar hat doch strebsame Menschen genug, warum wirft sich denn nicht ein anderer auf Goethes Branche?«
Daß es auch in der sogenannten guten alten Zeit des Biedermeiertums ein junger Kaufmann nicht immer sehr leicht in seinem Beruf hatte, zeigt die nachfolgende wahre Geschichte eines angehenden Buchhalters, der sich entschlossen hatte, mit einigen Empfehlungen nach Leipzig zu fahren, um sich dort eine Stellung zu suchen. Fröhlich bestieg er, versehen mit ungefähr 20 Talern Reisegeld, den Postwagen seiner lieben Vaterstadt und langte nach einer durchrumpelten Nacht und einem nicht viel besseren Vormittag wohlbehalten in Leipzig an. Es war Messe, und wogende Massen von Käufern und Verkäufern durchströmten die Straßen. Unserem Helden gefiel es außerordentlich in diesem bunten, wirren Treiben, und erst ziemlich spät am Tage dachte er daran, bei den ihm empfohlenen Häusern seine Aufwartung zu machen. Da er ganz bestaubt von der Reise war, trat er in ein Hotel, forderte ein Zimmer und sofort Waschwasser, und der Kellner, dem sein Auftreten imponierte, führte ihn in eins der schönsten Zimmer der sogenannten Bel-Etage. In kaum zehn Minuten war die Toilette beendet, und er fragte den Kellner, was er für die Benutzung des Zimmers schulde. »Einen Taler,« erwiderte der Kellner kaltblütig. Ingrimmig warf der angehende Kaufmann einen Taler hin und ging. Er kam nun zu dem ersten, ihm empfohlenen Kaufmann und brachte sein Anliegen vor. Man bedauerte, keinen Gebrauch davon machen zu können, und er ging ein Haus weiter. Hier erhielt er dieselbe Antwort. Im dritten Hause hatte man keine Zeit und ließ ihm sagen, er solle nach der Messe wiederkommen; und ähnliche Antworten bekam er überall zu hören.
Außer sich darüber, daß er so an allen Plätzen abgewiesen worden war, rannte er wie toll durch die Budenreihen und stieß unversehens an einen frei zur Schau ausgehängten Glaskronleuchter. Dieser stürzte zur Erde und zersplitterte in tausend Scherben. Man hielt natürlich den Unglücksvogel, den das Pech heute zu verfolgen schien, fest, und er mußte abermals seinen Beutel ziehen, um sein Geld für etwas auszugeben, was ihm doch keinen reellen Nutzen brachte. Verdrießlich sah er, daß in Leipzig jetzt nichts für ihn zu machen war, und beschloß deshalb, den Rest seines Geldes, das nur noch aus wenigen Talern bestand, zur Heimreise zu benutzen. Er ging auf die Post, löste sich ein Billett und erfuhr zu seiner Freude, daß noch am Abend dieses unheilvollen Tages ein Wagen nach seiner geliebten Vaterstadt zurückführe. Da er den ganzen Tag nichts gegessen hatte, so kaufte er sich im ersten besten Fleischerladen ein gehöriges Stück Wurst, das er heißhungrig im Auf- und Abgehen verzehrte. Die Abfahrtszeit rückte heran, er stieg in den Postwagen, und bald darauf blies des Schwagers Horn zur Fahrt. Wütend über alle Welt, wickelte er sich in seinen Mantel, dachte noch einmal an all das Malheur, was er heute gehabt hatte, und schlief endlich ein. Es mochte morgens um die Zeit des Kaffeetrinkens sein, als er trübe seine Augen aufschlug und einen neben sich sitzenden Reisenden mit der Frage anredete: »Na, das ist ja wohl endlich Weimar, dann habe ich noch vier Stunden bis zu meinem Ziel.« – »Sie irren sich, mein Herr!« antwortete sein Nachbar. »Die Stadt, in die wir einfahren, ist nicht Weimar, sondern Wittenberg.« – »Was?« fragte der zukünftige Großkaufmann mit einem Gesicht, das sichtlich länger wurde. »Ist dies denn nicht der Leipzig-Frankfurter Wagen?« – »Nein,« antworteten ihm mehrere Stimmen lachend, »dieser Wagen fährt nach Berlin.«
Es blieb nun dem armen Teufel mit dem schmalen Beutelchen nichts anderes übrig, als zu Fuß wieder heim zu wandern, und zu Hause zu sehen, ob er nicht dort eine passende Stelle fand.
Ein Rubel war in Rußland eine Silbermünze, ein Imperial aber ein Goldstück, das zehn Rubel ausmachte, und deshalb hatte sich ein schlauer Soldat in Moskau einen Plan gemacht, wie er auf dem Markt für einen Rubel einen Imperial bekommen sollte. In langen Reihen standen die Kaufläden, überall waren Leute, die handelten und kauften oder sich wenigstens die Waren ansahen. Da kam nun der Soldat mit seinem Rubel in der Hand auf den Jahrmarkt, ging von Stand zu Stand und fragte jeden Händler: »Wem gehört dieser Kaisertaler, dieser Rubel, gehört er Euch?«
Einer, der ohnehin nicht viel Geld löste und lange zusah, dachte endlich: wenn dich dein Geld an die Finger brennt, die meinigen sind nicht so blöde. »Hierher, Musketier, der Rubel ist mein!« Der Soldat sagte: »Wenn Ihr mich nicht gerufen hättet, ich hätte Euch schwerlich gefunden unter der Menge.« Und er gab ihm den Rubel. Der Kaufmann betrachtete ihn hin und her und klingelte daran, ob er auch gut sei. Ja, er war gut, und er steckte ihn in die Tasche. »Seid so gut und gebt mir jetzt auch meinen Imperial«, sagte der Musketier. Der Kaufmann erwiderte: »Ich habe keinen Imperial von Euch, so bin ich Euch auch keinen schuldig. Da habt Ihr Euren einfältigen Rubel wieder, wenn Ihr nur Spaß machen wollt.« Aber der Musketier sagte: »Meinen zweifältigen Imperial gebt mir heraus, mein Spaß ist Ernst, und die Marktwache, die Polizei, wird zu finden sein.«
Ein Wort gab das andere, das glimpfliche gab das trotzige, gab das schnöde, und es hängten sich an den Stand die Leute an, wie schwärmende Bienen an einen Korb. Auf einmal bohrte etwas wie ein Maulwurf durch die Menge. »Was geht hier vor?« fragte der Polizeisergeant, als er sich mit seinen Leuten Platz verschafft hatte. »Was geht vor? frage ich.«
Der Krämer wußte wenig zu sagen, desto mehr aber der Musketier. Vor kaum einer Viertelstunde, erzählte er, habe er diesem Mann für einen Rubel abgekauft das und das. Als er ihn bezahlen wollte, habe er in allen Taschen kein Geld gefunden, nur einen doppelten Imperial, den ihm sein Pate geschenkt habe, als er gezogen worden. So habe er dem Kaufmann den Imperial als Unterpfand zurückgelassen, bis er den Rubel bringe, wie er nun mit dem Rubel zurückgekommen sei, habe er den rechten Kaufladen nicht mehr gefunden und an allen Ständen gefragt: »Wem bin ich einen Rubel schuldig?« Dieser aber habe gesagt, er sei derjenige, und sei's auch, und habe ihm auch den Rubel abgenommen, aber von dem Imperial wolle er nichts wissen.
Als nun der Polizeisergeant die Umstehenden befragte, versicherten diese: ja, der Musketier habe an allen Ständen gefragt, wem der Rubel gehöre, und dieser da habe bekannt, er gehöre ihm, und habe ihn auch angenommen und daran geklingelt, ob er auch probat sei. Als der Polizeisergeant das hörte, gab er den Bescheid: »Habt Ihr Euren Rubel bekommen, so gebt dem Soldaten auch seinen Imperial zurück, oder man petschiert Euch Euren Stand mit Lattnägeln zusammen, und Ihr werdet zwischen Euren eigenen Brettern eingeschachtelt und eingeschindelt und könnt Ihr alsdann lang Hunger leiden, so könnt Ihr auch lang leben.«
Das sagte der Anführer der Polizeiwache, und wer dem Soldaten für seinen Rubel einen Imperial herausgeben mußte, das war der Kaufmann.
Johann Peter Hebel.
Bei einem reichen Raufherrn in München war ein armer Packer in Dienst. Eines Tages trat der Packer in das Schreibzimmer des Kaufmanns und sagte: »Herr, ich habe ein großes Anliegen. Mein Weib ist volle acht Wochen krank gewesen, und der Doktor und Apotheker kosten Geld, Und das brauche ich jetzt nun. Geschenkt will ichs nicht, nur geliehen – so vier bis sechs Kronentaler.« Der Kaufherr sah ihn eine Weile an und sagte dann mit großer Ernsthaftigkeit: »Hansel, wer von mir Geld leihen will, der ist mein Feind oder will es werden.« Das verstand zwar der Packer nicht, aber soviel merkte er, daß der Kaufherr ihm kein Geld geben wollte. Also ging er, sich hinter den Ohren kratzend, wieder zur Türe hinaus.
Als der Mann fort war, ließ der Kaufherr seinen Hausdiener kommen und sagte zu ihm: »Weißt du, wo der Hansel wohnt?« Der Hausdiener antwortete: »Ja, Herr, hinter den Sauställen, nicht weit von der Reiterkaserne.« – »Hier!« sagte der Herr, und er gab ihm acht Kronentaler. »Trags ihm ins Haus und gib es seiner Frau, und du brauchst eben nicht zu sagen, von wem es kommt. Hast du verstanden?«
Der Hausdiener brachte richtig das Geld an seinen Ort und sagte nicht, von wem es komme, sondern nur, er sei der und der und diene bei dem und dem. Und also wußte der Packer, als ihm die Frau den Hergang erzählte, wie er dran war. Und des andern Tags an einem Sonntag kam er mitsamt dem Weibe zum Kaufherrn und sagte:
»Herr, wir kommen soeben aus der Kirche, und – – Gott vergelts Euch tausendmal!« Mehr sagte er nicht. Der Kaufherr nahm den Wechsel auf unsern Herrgott in Empfang, und dieser zahlte es ihm auch reichlich an Gut und Ehre und an seinen vielen, lieben Enkeln.
Ludwig Aurbachers Volksbüchlein.
Ein Mann aus Mecklenburg, der einen ganz ungewöhnlich riesigen Ochsen besaß, zog mit dem Tier nach Berlin, um ihn dort als Sehenswürdigkeit öffentlich zur Schau zu stellen. Er mietete einen Stall, ließ am Eingang große Plakate anbringen und lud gegen eine Gebühr von 2½ Silbergroschen zum allgemeinen Eintritt ein. Nun gehörte der Stall, wie das daneben liegende Haus, einem Rentner, der nichts zu tun hatte und daher oft in Verlegenheit war, wie er seine Zeit totschlagen sollte. Wenn er sich langweilte, was fast immer der Fall war, so machte er sich oft das Vergnügen, in den Stall zu, spazieren und seinen vierbeinigen Schlafburschen zu besehen, natürlich ohne das festgesetzte Eintrittsgeld zu bezahlen.
Diese Zudringlichkeit des Hauseigentümers ärgerte den Ochsenbesitzer, und er macht verschiedentlich seine Anspielungen auf das nicht gezahlte Entree, ohne daß aber der in solchen Dingen dickfellige Hausherr darauf irgendwie reagierte oder sie überhaupt nur verstand. Da brachte eines Morgens der Briefträger dem fleißigen Ochsenbesucher einen Brief, und zwar einen unfrankierten – eine Unfreiheit, von der der reiche Mann kein Freund war. Aber der Briefträger meinte, unfrankierte Briefe kämen auch vor, man wüßte nicht, was für eine frohe Nachricht darinstände, und ein Silbergroschen sei ja schließlich keine Million, von diesem Zureden aufgemuntert, nahm der Rentier den Brief an und gab dem Briefträger einen Silbergroschen, da der Mann von der Post merkwürdigerweise nicht mit sich handeln lassen wollte. Der Brief zeigte nach dem Aufbrechen keinerlei Unterschrift und lautete im übrigen folgendermaßen: »Hausbesitzer, hüte dich und den Ochsen, denn der Herr desselben geht damit um, sich und ihn aus dem Staube Berlins zu machen, ohne die Miete für den Schauplatz zu bezahlen, was dir als Stallmeister durchaus nicht gleichgültig sein kann.«
»Gut, daß ich das weiß«, dachte der Gewarnte, und hatte er bis dahin seinem riesigen Stallbewohner schon häufig Besuche gemacht, so besuchte er ihn nun fast stündlich und schien sich an dem Ochsen gar nicht satt sehen zu können. Und siehe da, acht Tage später will es dem noch immer auf der Hut befindlichen Schlaukopf scheinen, als ob der ochsige Mieter wirklich Anstalten zur Abreise treffe. Ohne sich lange zu bedenken, sagte er es ihm auf den Kopf zu und traf damit den Nagel auf den Kopf.
»Morgen wollen Sie abreisen, Ich bin aber Geschäftsmann, erst die Miete bezahlen für den Stall!« –
»Holen Sie die Rechnung!« sagte der überrumpelte Ochsenbesitzer.
Der Hausherr lachte vor sich hin, die Rechnung hatte er schon in der Tasche: »Hier ist sie!« meinte er. –
»Schön!« erwiderte der andere, »dann können wir's ja gleich abmachen. Vierzehn Taler bin ich Ihnen schuldig für die Miete, dagegen schulden Sie mir – –«
»Halt!« unterbrach ihn der Hausherr, »Ich Ihnen etwas schuldig?« –
»Nun ja, 30 Taler, 7 Groschen, 6 Pfennige Eintrittsgeld für 363malige Besichtigung meines Ochsen. Freier Eintritt – das steht ausdrücklich draußen angeschlagen – ist unter keinen Umständen gestattet.«
Natürlich fiel der Besucher des Ochsen 363mal aus den Wolken, raffte sich wütend empor, rannte zum Bezirkskommissar und verlangte Schutz und Schutzmannschaft. Aber der Kommissar sagte achselzuckend:
»Lieber Mann, in Anbetracht, daß der Ochse laut öffentlicher Anzeige nur für Geld zu sehen war, müssen Sie so gut wie jeder andere den Eintritt bezahlen!«
Hiermit nicht zufrieden, lief der Rentner zu seinem Rechtsanwalt, wo er dieselbe Antwort erhielt, nur mit dem Unterschiede, daß er für die Konsultation noch 1 Taler, 10 Silbergroschen bezahlen mußte.
Als er dann die Gegenforderung des Ochsenbesitzers bezahlt hatte, tröstete ihn dieser damit, daß er ihm ins Ohr sagte: »Wissen Sie was? Um zu Ihrem Schaden zu kommen, halten Sie sich an den Schreiber jenes anonymen Briefes.«
In dem glänzend eingerichteten Salon der verführerischen Künstlerin saß der Baron von Salten, ein junger und reicher Kavalier. Ida, so hieß die Schauspielerin, lehnte sich mit unnachahmlicher Grazie und schmachtender Anmut in den seidenüberzogenen Sessel zurück. Ihr feuriges Auge verschleierte sich, ein schmerzvoller Zug zitterte über ihr Gesicht und ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust.
»Ida, Sie sind unglücklich!« sagte der Baron bewegt.
»Oh!« rief die Künstlerin und trocknete mit ihrem feinen Spitzentaschentuch eine Träne, welche gar nicht vorhanden war.
»Seien Sie aufrichtig!« flehte der zärtliche Freund, »vertrauen Sie mir Ihren Kummer an. Kann ich Ihnen helfen?«
»Ja,« hauchte Ida, kaum vernehmbar.
»So sagen Sie mir, was Ihnen fehlt!«
»Ein Schmuck!«
»Ein Schmuck?«
»O, ein Schmuck, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Mein Juwelier hat ihn für eine Gräfin angefertigt, die aber plötzlich abreisen und ihn zurücklassen mußte. Ich bin unglücklich, wenn ich diesen Schmuck nicht besitzen kann. Er raubt mir den Schlaf und verdirbt mir den Appetit. Immerwährend schwebt er vor meinen Augen und läßt mir keine Ruhe. Ich fiebre, wenn ich daran denke, und bekomme Kopfschmerzen. Fühlen Sie meine Stirn und wie mein Herz pocht.«
Sie führte die Hand des Barons nach ihrer heißen Stirn und nach ihrem klopfenden Herzen. Das war zu viel. Er stürzte aus dem Salon in seinen Wagen und fuhr zum Juwelier. Dort ließ er sich den bewußten Schmuck zeigen. »Was soll er kosten?« fragte er.
»Tausend Taler. Weil Sie es aber sind, und ich mir schon längst den Herrn Baron als Kunden gewünscht habe, so sollen Sie ihn für achthundert erhalten.«
»Mehr als sechshundert gebe ich nicht.«
»Unmöglich!« beteuerte der Juwelier, »So viel kosten mich die Steine allein, wo bleibt da das Gold und die Arbeit? Sehen Sie selbst, überzeugen Sie sich.«
Der Baron ließ sich aber nicht überreden und blieb bei seinem ersten Gebot, ebensowenig gab der Juwelier nach.
»Ich will es mir noch überlegen,« sagte endlich der Käufer, »Morgen komme ich wieder. Bis dahin bitte ich Sie den Schmuck nicht aus der Hand zu geben.«
Der Juwelier versprach, den Willen des Herrn Baron zu tun und begleitete ihn bis an den Wagen.
An demselben Tag erschien die reizende Ida in dem Laden des Juweliers. Ihre Ungeduld hatte sie hergetrieben, und sie erkundigte sich, ob der Baron den Schmuck genommen habe. Der Kaufmann erzählte ihr, wie die Angelegenheit stehe.
»Lassen Sie dem Baron den Schmuck für sechshundert Taler«, sagte die Schauspielerin entschlossen. »Und damit Sie keinen Schaden haben, hier sind die fehlenden zweihundert Taler, ich bezahle sie.«
Der Juwelier strich lächelnd das Geld ein und empfahl sich seiner liebenswürdigen Kundin.
Am nächsten Morgen erschien der Baron wieder bei dem Juwelier, um aufs neue um den Schmuck zu handeln. Zu seinem Erstaunen fand er den Geschäftsinhaber diesmal viel nachgiebiger.
»Ich habe mir die Sache nochmal überlegt«, rief dieser ihm schon beim Eintreten entgegen. »Sie sollen den Schmuck für sechshundert Taler haben. Ich verkaufe ihn mit Schaden, nur um mit dem Herrn Baron ein Geschäft zu machen. Ich bin fest davon überzeugt, daß Sie von nun an mein Kunde sein werden.« Der Baron machte ein hocherfreutes Gesicht, zahlte die sechshundert Taler und entfernte sich mit dem erkauften Schmuck. Der kluge Juwelier lächelte.
Unterwegs warf der Baron einen Blick auf die funkelnden Steine, die herrliche Arbeit. Allerlei Gedanken bestürmten sein Herz. Er dachte unwillkürlich an seine junge Frau. Der Baron war verheiratet. Seine Gattin war schön, liebenswürdig und bescheiden. Sie hatte nie einen Schmuck von ihm verlangt, der sechshundert Taler kostete. Das alles fiel ihm jetzt ein. Seine Zärtlichkeit erwachte, und die Reue kehrte in seine Brust ein. Er fühlte, daß er seine Frau noch immer liebte, daß ihn zu Ida nur eine vorübergehende Laune, die Mode des Tages und die Schwäche des Augenblicks hingezogen hatte, vor seiner Phantasie stand in diesem Augenblick seine eigene Frau unendlich schöner, bezaubernder, als ihm je die kokette Künstlerin vorgekommen war. Er schmückte in Gedanken schon den weißen Hals mit dem strahlenden Gehänge, den feinen Arm mit dem prächtigen Armband.
»Ich muß sie sehen!« sagte er zu sich.
Dem Kutscher, der nach der Wohnung der Schauspielerin fuhr, gab er den Befehl, umzuwenden und nach Hause zurückzukehren. Er fand seine Gattin mit einem Buche in der Hand, ganz vertieft im Lesen. Leise schlich er sich heran und küßte sie auf die Stirn.
»Agnes,« rief er der Überraschten zu, »ich bringe dir eine Kleinigkeit, die ich dir längst schon zugedacht habe. Dein alter Schmuck gefällt mir nicht, dafür habe ich dir diesen neuen ausgesucht.«
Er öffnete das Etui und weidete sich an ihrem Erstaunen, an ihrer Freude. Sie war an solche Aufmerksamkeit von seiner Seite nicht gewöhnt. Er hatte sie wirklich in der letzten Zeit etwas vernachlässigt. Dieser unerwartete Beweis seiner Liebe entpreßte ihr Tränen, die schöner glänzten als die Perlen des Schmucks. Voll Dank sank sie an seine Brust.
Ida aber hatte Grund, ihr Schicksal anzuklagen. Nicht nur war ihr der schöne Schmuck entgangen – auch die zweihundert Taler hatte sie in barem Gelde eingebüßt.
(Aus einer Zeitschrift, Mitte 19. Jahrhundert.)
Auf einer Eisenbahnreise hatten sich vier lustige Herren zusammengefunden, die schon allerlei im Leben durchgemacht hatten, denn dem einen fehlte ein Bein, und er trug eins aus Leder und Kork, der andere besaß ein Glasauge, und der dritte hatte wenigstens ein künstliches Gebiß, während an dem vierten weiter nichts auffiel, als daß er stotterte. Da die vier das gleiche Reiseziel, ein kleines Landstädtchen, hatten, so kehrten sie auch gemeinsam in einem Gasthof ein, wo sie lustig zu zechen begannen und sich vor allem über den Hausdiener lustig machten, der ein absonderlich beschränktes Gesicht besaß.
Nach dem Abendessen riefen sie diesen Hausknecht, er solle mit auf ihr Zimmer kommen und ihnen bei ihren Sachen helfen.
»Lieber Freund,« sagte der erste zu ihm, »nehmen Sie mir doch bitte die Zähne aus dem Mund, ich kann nämlich mit den Zähnen nicht schlafen!«
Der Hausknecht, der aus einem kleinen Dorfe stammte und noch nie etwas von einem künstlichen Gebiß gehört hatte, griff auf Verlangen des Reisenden schüchtern nach dessen Vorderzähnen und wäre fast vor Schreck auf den Rücken gefallen, als er gleich darauf das ganze Gebiß in den Händen hielt.
»Und mir nehmen Sie bitte ein Auge heraus«, sagte der zweite. »Ich kann nämlich nur mit einem Auge schlafen!«
Damit winkte er den Erschrockenen heran, gebot ihm ein Augenlid in die Höhe zu ziehen, und das Auge rollte in die zitternd untergehaltene Hand.
»Und mir«, gebot jetzt der dritte, »ziehen Sie bitte ein Bein aus, ich kann nämlich nur mit einem Bein schlafen!«
Der Hausknecht wäre jetzt am liebsten davongelaufen, denn die Gäste wurden ihm immer unheimlicher. Aber der dritte der Reisenden hatte sich schon in einen Sessel gesetzt und hielt ihm ein Bein entgegen. Vorsichtig zog er an dem hingehaltenen Fuß und hielt gleich darauf wirklich das sehr gut gearbeitete Bein in den Händen, das er natürlich keineswegs als ein künstliches erkannte.
Ehe er aber auch nur halbwegs zur Besinnung kam, hatte sich der vierte Reisende hingesetzt und rief ihm zu: »Ne–ne–nehmen Sie mi–mi–mir meinen Kopf ab! Ich ka–ka–kann nur ohne Ko–ko–kopf schlafen!« Dabei begann er so heftig mit dem Kopf zu wackeln, daß es wirklich aussah, als hinge der Kopf nur ganz lose mit dem übrigen Körper zusammen.
Dies war dem tapferen Hausknecht aber doch zu viel, und indem er das verhexte Bein weit von sich warf, stürzte er sich, wie wahnsinnig um Hilfe rufend, zur Tür hinaus und die Treppe hinab, so daß nicht viel fehlte, und er hätte von da ab selbst Zähne, Auge und Bein ablegen können. Für diesmal kam er aber noch mit einigen blauen Flecken an Gesicht und Körper davon.
Wimmernd verkroch er sich, und bis nach der Abreise der vier Unheimlichen bekam ihn kein Mensch im ganzen Hause zu Gesicht. Auch späterhin schwur er Stein und Bein, daß diese vier keine ehrlichen Reisenden, sondern boshafte Kobolde gewesen wären.
(Mitte 19. Jahrhundert.)
Über eine der vornehmsten Geschäftsstraßen Londons ging ein anscheinend vom Lande stammender Mann, der eine schwere Last auf seinem Rücken trug. Unmittelbar vor einem glänzenden Laden stolperte er und fiel so ungeschickt gegen eine große Spiegelscheibe des Auslagefensters, daß sie in tausend Stücke zersprang.
Der Besitzer des Ladens hielt natürlich den Ungeschickten fest, denn der Schaden betrug wohl 30 Pfund. Aber der Bauer entschuldigte sich mit Tränen in den Augen, er habe keine Schuld, und außerdem besitze er wirklich keinen Pfennig Geld.
Zwei Herren, die Zeugen des Vorfalles gewesen waren, traten nun hinzu und behaupteten, der Mann habe sich ganz leichtfertig benommen, und man sollte doch einmal nachsehen, ob dieser angebliche Biedermann wirklich kein Geld bei sich hätte.
Das geschah nun auch, und man fand bei dem Bauer ein Bankbillett von 50 Pfund Sterling, worauf der unglückliche Bauer mit tausend Eiden schwor, das Geld gehöre ihm gar nicht, sondern seinem Herrn.
»Setzen Sie sich mit Ihrem Herrn nach Belieben auseinander!« sagte der Ladenbesitzer und nahm die Banknote an sich, indem er dem Bauer 20 Pfund in Bargeld herausgab.
Heulend ging der Bauer davon und schwor, er würde sich an die Polizei wenden. Auch die beiden freundlichen Herren verschwanden, und erst, als es zu spät war, merkte der Ladenbesitzer, daß die 50 Pfundnote gefälscht war, daß die beiden Herren wahrscheinlich Helfershelfer des Gauners waren. Aber er hatte nun den doppelten Schaden, daß er zu seiner zerbrochenen Spiegelscheibe noch 20 Pfund hinzugezahlt hatte.
(Mitte 19. Jahrhundert.)
Einst kehrte ein reisender Kaufmann in ein Wirtshaus zu Wasungen ein, allda zu übernachten. Er hatte viel gehört von den Wasunger Streichen, und da er ein übermütiger Geselle war, machte er sich lustig beim Wirt und sagte spöttisch:
»Ich möchte doch auch einmal einen Wasunger Streich sehen, könnt Ihr mir keinen machen, Herr Wirt?« –
»Ei, warum denn nicht,« antwortete dieser, »das kann wohl geschehen, harret nur.«
Nach einer Weile wollte der Gast sich's bequem machen, rief den Wirt und sprach: »Die Stiefel sind mir zu schwer an den Füßen, wollt Ihr mir nicht ein paar Pantoffel dafür geben?« –
»Sehr wohl!« sprach der Wirt.
Der Fremde zog die Stiefel aus, der Wirt trug sie beiseite und schickte kurz darauf die Pantoffel.
Am andern Morgen wollte der Reisende auf seine Geschäfte weiterreisen und begehrte seine Stiefel.
Sieh, da brachte der Wirt ein Paar Schäfte, von denen die Schuhe abgeschnitten waren.
»Was ist das? Was soll das heißen?« fragte der Reisende. »Wo sind die unteren Teile?« –
»Ei, die habt Ihr an den Füßen«, antwortete der Wirt. »Ihr wolltet statt der Stiefel ein Paar Pantoffel, da haben wir die Schäfte abgeschnitten und aus dem übrigen Pantoffel gemacht, die habt ihr nun, und den Wasunger Streich, den ihr begehrtet, obendrein.«
Daran mußte der Reisende sich genügen lassen und soll seitdem keinen Wasunger Streich wieder verlangt haben.
(Anfang 19. Jahrhundert.)
Ein Kaufmann in Griechenland kam von einer großen Reise zurück und beauftragte einen Träger, seine Koffer und Kisten ans Land zu tragen. Der Träger fragte den Kaufmann, wieviel er ihm für die Arbeit geben würde, worauf ihm dieser antwortete: »Drei Piaster!«
Hiermit war der Träger zufrieden und begann, die Sachen ans Land zu tragen. Bei der letzten und allerkostbarsten Kiste, die mit reichem und kostbaren japanischen und arabischen Porzellangeschirr und Tassen gefüllt war, machte der Kaufmann dem Träger den Vorschlag, ob er nicht von ihm statt der drei schuldigen Piaster drei gute Ratschläge annehmen wolle. Der Geiz des reichen Kaufmanns ärgerte den Lastträger und, auf Arges sinnend, willigte er anscheinend gleichmütig in den gemachten Vorschlag ein.
Der Kaufmann sagte nun folgendes: »Erstens, wenn dir jemand sagt, daß ein reicher und vornehmer Kaufmann besser dran sei, als ein bankrotter und armer Kaufmann, dann glaube ihm nicht; zweitens, wenn dir jemand sagt, daß einer, der sich satt gegessen hat, besser und glücklicher dran sei als einer, der hungrig ist, so glaube ihm nicht; und drittens, wenn dir jemand sagt, daß einer, der auf der Landstraße reitet, glücklicher und besser dran sei als einer, der zu Fuß geht, so glaube ihm nicht.«
Der Träger, der schwieg und zufrieden zu sein schien, warf jetzt die Kiste mit dem kostbaren Inhalt eine Böschung hinunter auf den harten Steinboden und sagte dann zu dem verzweifelten Kaufmann:
»Wenn dir jemand sagt, daß in dieser Kiste noch ein einziges Stück Porzellan ganz ist, so glaube ihm nicht.«
(Anfang 19. Jahrhundert.)
Der alte Mendel in Hamburg war ein ganz grundehrlicher und betriebsamer Mensch, der nur, und merkwürdigerweise immer beim Geschäft, ein etwas schwaches Gedächtnis hatte. Sein Geschäft war der Verkauf von Torf, und dabei unterhielt er sich immer so angelegentlich mit den Kunden, daß er sich oft in der Zahl der Torfstücke verzählte – aber natürlich nie zu seinem Nachteil. Täglich sah man ihn mit seinem Wägelchen, vor das er sich selbst als Zugtier spannte, durch die Straßen Hamburgs ziehen, und dabei hörte man seinen lauten Ruf: »Torf, schweren Ostner Torf!«
Madame Samson: »Mendelche, was kost't der Torf, is er gut?«
Mendel: »Sehr braven, guten Ostner Torf, Madammchen! Brennt wie ein Licht und gibt 'ne Hitz', daß mer de Fenster un de Türen uffmachen muß – zehn Soden einen Schilling!«
Madame Samson: »Zählen Se mal hundert Soden ab!«
Mendel: »Gut, Madamm! (zählt) Euns, zweu, dreu, vür, finnef, sechs, sibben, achte, neine, zöhn – (hält inne) – Sagen Se, Madammchen, Ihren Sohn begegn' ich oftermalen! En scheener Mensch! Er geht wohl uffs Gemnasium? Er muß schon in Quarta sein, denk' ich?«
Madame Samson: »Quarta? Wie heißt Quarta? Er is bei Salomon Rendsburg selige Witwe und Sohne auf's Kontor, als Volangtör und kriegt zweihundert Mark Gehalt!«
Mendel: »Zweuhundert Mark? Wie alt is er denn?«
Madame Samson: »Zu Ostern wird er siebzehn Jahr.«
Mendel: »Sibbezöhn? Und schon Gehalt? (zählt weiter) Achtzöhn, neinzöhn, zwanzick, eunundzwanzick, zweuundzwanzick (hält inne). Nu, Madamm, was macht Ihre Tochter Estherchen, die in Berlin verheirat' is?«
Madame Samson: »Ich danke, gesund und munter, se kommt nächstens mit ihre zwei Jungens zu Besuch!«
Mendel: »Familie hat se auch schon? Wie die Zeit vergeht – warten Se, jetzt besinn' ich mich – geheiratet hat se an einem Tag mit Henschel seine ältste Tochter – se muß jetzt sein –«
Madame Samson: »Vierunddreißig Jahr unbeschriggen!«
Mendel: »Merkwördich! Vürunddreißick (zählt) fünfunddreißick, sechsunddreißick, sibbenunddreißick (hält inne). Daß Se schon Großmutter sind, seht mer Ihnen auch net an, Madammche! Ich kenn' Ihnen noch als Mädchen –«
Madame Samson: »Mer werden alt, Mendelchen! Ich leid' an de Gicht und lauter solche Sachen! Wenn mer erst fünfundfuffzick geworden ist!«
Mendel: »Fünfundfuffzick? Sieht mer Ihne nich an! Höchstens fünfundverzich, (zählt) sechsundverzich, sibbenundverzich, achtundverzich, neinundverzich (hält an). Ich werr auch schon schwach. Bei Ihnen, Madame, liegt es in der Familie! Ihre Mutter muß doch auch 'ne hohe Sibbenzigerin geworde sein.«
Madame Samson: »Teischung, Mendelche, Teischung! Meine Mutter selig is geworden grade dreiundachtzick!«
Mendel: »Dreiundachtzick – das erleb' ich nich, (zählt) vierundachtzick, fünfundachtzick, sechsundachtzick (hält inne). Un Ihr seliger Vater?«
Madame Samson: »Der wäre ietzt vierundneunzick!«
Mendel: »Vierundneunzick? Merkwördich! (zählt) Finnefundneunzick, sechsundneunzick, sibbenundneunzick, achtundneunzick, neunundneunzick, hundert! So, hier haben Se noch zwei Soden zu!«
Madame Samson: »Hier is es Geld, (ruft) Merrie! Brenge se den Torf rein!«
Mendel: »Verbrauchen Se ihn gesund! (fährt weiter und ruft) Torf! Ostner Torf! Schweeren Torf!«
(Mitte 19. Jahrhundert.)
Dar is mal 'n Burfru weß. 'n ol wWitfru, de is so dumm weß.
Nu kümmt dar mal 'n Reisen bi ehr an un bidd't.
Do fragt se em, wo he her kümmt.
Ja, he kümmt ut Paris, secht he.
»Ut'n Paradies?«
»Ja, ut'n Paradies.«
»Och,« secht se, »denn hett He min'n ol'n Mann dar uk sachs sehn?«
»Ja wull, lütt Fru,« secht he, »dar heff ik noch mit snakt, as ick weg gahn dö«
»So?« secht se, »Na, wo geiht em dat dar denn?«
»Och, Gott,« secht he, »dat geiht em dar hel legg'. De ol Mann mutt Swin höden un hett nicks mehr um un an. Sin Schoh, de sünd so twei – he geiht so te segg'n barft in 'ne Stoppeln.«
»Och, du lewer Gott, ja! – Reist He dar noch wedder hen?«
»Ja,« secht he, »ick heff hier blot n' beten to dön; nachher reis' ik dar wedder na tö.«
»Och, min göd' Mann,« secht se, »denn kunn He je so göt wesen un nehm'n min'n ol'n Mann 'n beten mit.«
»Ja wul, lütt Fru,« secht he, »dat will ick gern don.«
Do gift se em ehr'n Mann sin sünndag's Tüg mit, 'n ganzen Antog, vun Enn' to Wenn'n mit Höt un Stewelhn, un gift em föfti Daler mit, un denn noch 'n Swinsschinken vun 'n verti Pund, dat he uk wat to leben hett, ehr ol Mann, Un de Kerl geiht dar se mit af.
As he 'n lütt Flach weg is, do röppt se em na: »O, min göd Mann,« secht se, »kik He sik noch mal um, dat ik Em wedder kenn'n dö, wenn ik Em mal wedder to sehn krieg'«
He ritt gaug' de Büx vun 'n N., un do hölt he ehr den bard'n N. so hen.
»Sieh so,« secht se, »nu gah He man los. Bret vun Gesich un lang vun Nes! Nu will ik Em wul wedder kenn'n.«
Naher – dat ward je Meddag –, do kümmt de Söhn to Hus vun 'n Plögen.
»Och, Gott, min Söhn,« secht se, »min beß Hans, hier is en weß, de hett mi'n Gruß bröcht vun din'n ol'n Vadder, Den' geiht dat dar so truri: he mutt Swin höden un hett nicks mehr um un an.«
»Mudder,« secht de Söhn, »Se hett den Kerl doch niks mitgeben?«
»Gott, ja, min Söhn,« secht se, »ik heff em Vadder din'n sunndagßen Antog mitgeben, un denn 'n par Schilling Geld un'n beten to leben.«
»Klas,« secht de Söhn, »sadel mi mal geug' den Appelschimmel, den Kerl will ik na.«
Na, de Knecht, de sadelt em den Schimmel, un dunn he den Kerl je na.
De Reisen, as de dat wahr ward, dat en in vull'n Sprüng'n achter em an Klebuddern kümmt, do markt he je Unrat. He gaug' dör 'n Knick hendör, un dat na dat hog' Körn herin.
De anner, de binn't sin'n Schimmel dar an, an'n Busch, un dunn den Kerl na.
De dreiht sik kort op 'e Haken herum in dat Körn, dumm wedder dör 'n Knick hendör, in dat na den Schimmel rop, un dunn – heß 'n ne, so krichs 'n doch – mit den Schimmel weg, as wenn de Döwel achter em is.
Na, de anner, de hört dat Klebuddern je, dat de Kerl mit den Schimmel utrackt, awer do is't je to lat. Wa' binn'nhol'n kann he em je ne mehr.
Do gruwelt he sik ut, wat he segg'n will, wenn he bi de Olsch in'n Hus' kümmt.
Als he bi ehr kam'n deit in'n Hus, »Na, min Söhn,« secht se, »wo 's't word'n?«
»Ja, Mudder,« secht he, »ick heff em den Schimmel uk noch mitgeben.«
»Dar heß do Gotts Lohn an verdent, min Söhn«, secht de lsch. »Nu brukt heje nich to Föt to gahn, din ol Vadder, nu kann he sin Swin je nariden.« –
Aus: Plattdeutsche Volksmärchen. Verlag Eugen Diederichs, Jena.
Ein hoher Turm von brauner Butter;
Ein Kuß, gefaßt in Perlemutter;
Ein Windhund ohne Kopf und Bein;
Fünf Säcke frischer Mondenschein;
Eine ganz viereckige Seifenblase;
Ein Floh mit einer römischen Nase;
Eine Uhr, die stets auf dreizehn weist;
Ein Lamm, das einen Wolf zerreißt.
Warum, so schrieb einmal der witzige wiener Humorist Saphir, entschließt sich manchmal ein Mädchen so schwer zu einer Heirat mit einem Kaufmann? Natürlich darum, weil der Kaufmann ein Geldmensch ist, das heißt ein Mensch, der nach Geld sucht. Die Frauen lieben aber die Männer nicht, die erst viel nach Geld suchen, sondern diejenigen, die schon viel Geld haben. Der Kaufmann setzt einen Artikel, wenn er alt wird, im Preise herunter; eine Frau aber, wenn sie alt wird, will immer mehr gelten! Ein Kaufmann ist ein Mann, der kauft und verkauft, die Frauen wollen aber nicht ge- noch verkauft werden, sondern sie wollen ewig geliebt und behalten sein, und darin haben sie recht.
(Nach einer alten Chronik.)
Vater unser, der du bist in dem Himmel, der Markt, rückt heran; ich muß Anstalten treffen, geheiligt werde dein Name; wo soll ich jetzt einkehren? Mein voriger Wirt ist gestorben; zu uns komme dein Reich, er war ein guter Kerl. Wir haben manche Flasche zusammen geleert, dein Wille geschehe, wie im Himmel, in der blauen Traube soll man gut essen und trinken; also auch auf Erden, es kommt auf eine Probe an; gib uns heute unser tägliches Brot; wenn ich nur könnte die zwei Stücke Seidenzeug an den Mann bringen; und vergib uns unsere Schuld; zu Meßgewändern sind sie gut genug; wie wir vergeben unsern Schuldnern; aber für Frauenzimmer sind sie aus der Mode; führe uns nicht in Versuchung; für die Kirche ist alles gut; sondern erlöse uns von allem Übel, der Pfaff macht heute lange; Amen, sie warten gewiß mit dem Essen, und ich komme zu spät zum Kegeln.