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Nach der schmerzlichen Trennung von Montrose war der erste lindernde Gedanke an seinen Sohn, und die Hoffnung seiner Nähe und der ihr vergönnten mütterlichen Aufsicht nahm das Gift der Gleichgültigkeit, was sie beschleichen wollte, aus ihrem gesunden Herzen. Sie sandte zu ihm hinauf, und ließ bitten, wenn sein Unterricht beendigt sei, ihn ihr zu senden. Statt dessen ließ der Kaplan um Erlaubniß bitten, Urica seine Aufwartung machen zu dürfen.
Urica erkannte ihn kaum wieder; die kleine, dürftige Gestalt war ganz zusammen gekrümmt, und augenscheinlich war seine gegenwärtige Stimmung nicht erborgt – sie drückte Aengstlichkeit aus und eine gewisse Rathlosigkeit.
»Was habt ihr mir zu sagen?« fragte ihn Urica, so wie sie ihn gewahr wurde – »ist den Kindern meines Gemahls etwas zugestoßen?«
»So ist es in Wahrheit!« rief der Kaplan – »nun sind Beide erkrankt – und heftig genug!«
Urica stand sogleich auf. »Führt mich zu ihnen!« sagte sie lebhaft – »aber vor Allem, mein Herr, überlegt es euch wohl, ob ihr euch als Arzt vollständig geschickt fühlt, die Krankheit zu behandeln! Ihr habt hier im Hause einen würdigen Collegen, über dessen Einsicht keine Zweifel sind – wollt ihr ihn nicht wenigstens zu Hülfe rufen? Jedenfalls aber will ich die Kinder sehen!«
Der Kaplan schwieg verlegen – dann sagte er etwas gefaßter: »Ich bedaure, daß euch diese Krankheit zu Ohren kommen mußte – hätte ich gewußt, euer Begehr nach dem Knaben anders abzulehnen, so hätte ich euch diesen Verdruß erspart!«
»Verdruß – nennt ihr ein bedeutendes Erkranken der Kinder, die ich berechtigt bin, jetzt auch als die Meinigen anzusehen? – Doch wir wollen nicht um dieses Ausdrucks willen hadern – die Hauptsache ist, daß ich mich sogleich selbst von dem Zustande der armen Wesen unterrichte.«
»Ach! Milady,« sagte der Kaplan demüthig – »nun werdet ihr mich erst verstehen, denn das ist es eben, daß ihr das nicht könnt, daß die Lady Southhesk eben streng verboten hatte, euch von dieser Krankheit zu unterrichten – da sie nun selbst krank ist, hat sie beide Kinder nach ihrem Zimmer bringen lassen, um vom Bette aus ihre Pflege zu leiten.«
»Und die meinige abhalten zu können,« sagte Urica mit einem Ausdruck des Unmuths, den sie nicht beherrschen konnte –
»So scheint es, Milady,« sagte der Kaplan – »denn gewiß ist die Lady nicht so krank, um nicht das Bett verlassen zu können; aber sie achtet es für einen guten Vorwand, euch von den Kindern abzuhalten – , und außerdem hält sie sich auch stets viel kränker, als sie ist, denn nie habe ich eine solche Todesfurcht gesehen, als die Lady empfindet – alle Krankheiten, die es nur giebt, glaubt sie zu haben, oder glaubt ihnen ausgesetzt zu sein, und da fallen oft Dinge vor, die kein Mensch möglich halten sollte!«
Urica hatte bloß so lange geschwiegen, weil das Erstaunen sie genöthigt hatte, diese Rede ganz anzuhören. Sie glaubte in dieser gemeinen Ausschüttung über seine Gönnerin den ganzen Menschen, die ganze Stellung desselben zu sich selbst, herauszuhören. Nein! das war kein feiner Kopf, der sie sogleich errathen hatte, wie der ehrliche Crafton glaubte – diese plumpe, sichtliche Bemühung, auf Kosten seines Beichtkindes sich in ihre Gunst einzuschleichen, durch diesen Verrath der Absichten gegen sie ihr Vertrauen gewinnen zu wollen, bewiesen, daß er sie nicht erkannt, und die gemeinsten und gewöhnlichsten Mittel für sie passend hielt.
Aber was war das gegen den Schmerz, sich von den Kindern in einem Moment getrennt zu sehen, wo es ihr die heiligste Pflicht schien, ihnen alle ihre Dienste zu widmen. «
»O, das ist hart! sehr hart!« sagte sie fast gegen ihren Willen – »und ich bin entschlossen, selbst das Zimmer der Lady Southhesk zu betreten, und fordere euch auf, mich bei ihr zu melden, und ihr meine Absicht, die Pflege der Kinder theilen zu wollen, anzukündigen.«
»Ich muß das freilich ausrichten, wenn ihr es befehlt,« sagte der Kaplan – »aber warum wollt ihr offenen Widerstand erregen, der euch ohne Zweifel entgegen gesetzt wird? – Nach einer solchen Beleidigung seid ihr es euch fast schuldig zurück zu treten, während so, ohne daß ein solches Ueberwürfniß eintritt, ich euch behülflich sein könnte, die Kinderchen zu sehen, und euch oft und gern mit Nachrichten versorgen würde.«
Urica wendete sich mit unbeschreiblicher Verachtung von der schleichenden, kriechenden Seele, und sie zürnte um so mehr, da sie sich nicht verleugnen konnte, daß eine Wahrheit darin lag, welche die Klugheit befahl, die sie aber gern verschmäht hätte gelten zu lassen.
»Aber der Arzt!« fuhr sie fort – »Herr Weston wird doch Erlaubniß erhalten, die Kranken zu besuchen?«
»Ach, wo denkt ihr hin?« antwortete lächelnd der Kaplan – »die Lady würde glauben, er sei abgesandt, die Kinder zu vergiften – sie würde dies den Kindern selbst einbilden – und wenn ich an Lady Jane denke, die schon gegen jedes Mittel, was ich ihr reiche, ankämpft, wie sollte da ein anderer Arzt ausreichen, der nicht das Zutrauen der Lady besäße?«
Wieder hatte dieser gemeine Mensch Recht, und Urica, von der Wichtigkeit seiner Mittheilungen beherrscht, wußte nicht, wie sie seine beleidigende Vertraulichkeit von sich abhalten sollte.
»Es ist gut,« sagte sie – »und ich werde es euch später mittheilen, wenn ich zu einem passenden Entschluß gekommen bin; aber denkt, daß ihr nicht allein der Lady Southhesk verantwortlich seid, denkt, daß der Vater dieser Kinder einst strenge Rechenschaft von euch fordern wird, wenn ihr aus Furcht vor dem kurzsichtigen Willen dieser Frau etwas vernachlässigt, was das Leben und das Wohl seiner Kinder bedrohen könnte!«
»O Frau Marquise!« sagte der Kaplan – »wie bin ich gerührt, in euch so wahrhaft mütterliche Gesinnungen für meine Zöglinge zu finden! Da es mir gestattet sein wird, mit Lord Harry hier zurück zu bleiben, werde ich es für ein Glück halten, mich euren mütterlichen Gefühlen anzuschließen und mit euch das Wohl des jungen Lords zu bedenken.«
»Erhalten wir ihm erst sein Leben,« sagte Urica, mit ihrer tiefen Verachtung gegen den Heuchler kämpfend – »und seid dann gewiß, ich werde, so lange es Gottes Wille ist, über das Wohl dieses mir anvertrauten Kindes wachen helfen.«
Beide trennten sich nach Urica's schneller Verabschiedung mit bestätigter Abneigung, denn auch dem Kaplan schien es keineswegs, seine sonst so wirksam befundenen Schmeicheleien hätten auf dies stolze hochfahrende Gemüth Eindruck gemacht – und doch war es sein fester Vorsatz, Urica zu gewinnen, da er ihrem Einfluß zu entgehen nicht hoffen konnte.
Nachdenkend, wie ein so schönes, junges, stolzes und hochfahrendes Weib zu bestricken sei, war ihm nichts Wirksameres eingefallen, als die Schmeichelei – dies Mittel – hoffte er, könne nicht fehlen, besonders wenn er ihr die Frau scheinbar Preis gab, von der sie beleidigt worden war.
Jetzt mußte er fürchten, damit noch nicht viel gewonnen zu haben, und er prüfte seine Kenntniß weiblicher Schwächen, um eine andere Wendung zu entdecken.
Er fand aber in dem Krankenzimmer, wohin er zurückkehrte, genug Zerstreuung für seine Grübeleien, denn die Krankheit der Kinder war offenbar noch im Steigen, und er bemerkte zu seinem nicht geringen Schrecken, daß sich Lady Jane's Gesicht mit dunkelrothen Flecken zu bedecken anfing.
Diese Beobachtung wagte er noch nicht der Lady Southhesk mitzutheilen, welche nach der Unterredung mit Montrose durch heftige Krämpfe ziemlich gelitten hatte, und nicht ohne Fieber war.
Welche bange Stunden durchlebte aber indessen Urica, die mit ihren traurigen Befürchtungen zu einer Unthätigkeit verdammt war, welche ihr wie eine Pflichtverletzung erschien.
Nur die treue, liebevolle Nähe der Mistreß Crafton unterbrach die traurigen Gedanken Urica's, welche in der Erwartung, Nachricht von den Kindern zu bekommen, sich nicht überwinden konnte, das Schloß zu verlassen. Dabei blieben die oberen Räume hermetisch verschlossen, und die Domestiken gaben, wenn sie von der Dienerschaft des Schlosses befragt wurden, ausweichende Antworten; vor allen Dingen aber blieb es Urica sehr auffallend, daß der Kaplan ihr keine Nachricht brachte und ihre Sendung an ihn immer mit der Antwort zurückkam, daß der Herr Kaplan weder die Kinder noch die Lady verlassen dürfe.
Um ihre Gedanken abzuziehen, bat sie Mistreß Crafton, ihr noch das Fehlende aus dem Schicksal der Lady Juliane Graham mitzutheilen, wobei sie ihr erzählte, daß der Marquis ihre Frage nach seiner Schwester mit einer so schmerzlichen Aufregung beantwortet habe, daß sie augenblicklich ihn davon zu zerstreuen bemüht gewesen sei.
»Die Jugendeindrücke, die Milord von dieser Schwester empfangen, sind zu traurig gewesen – der arme junge Herr war verfolgt und gekränkt, wohin er sich wendete, da Lord Douglas all' ihre Befehle erfüllte und diese immer mit großer Schadenfreude darauf ausgingen, den armen jungen Lord zu beleidigen. Zur Zeit, wo ich meine Erzählung abbrach, trat eine große und einflußreiche Veränderung für Lady Juliane ein. Der Herr, den ich erwähnte, welcher sich durch seine Schönheit auszeichnete und unter den Gästen der Lady Southhesk hierher kam, war der Lord Convay – der jüngere Sohn des Grafen von Hamilton, der Bruder des jetzt so mächtigen Ministers unseres armen Königs. Er soll seine ganze Erziehung im Auslande, namentlich in Frankreich, erhalten haben und lebte später lange in Rom. Seine Familie war über sein Glaubensbekenntniß sehr unsicher; aber man sagt, Lord Convay sei klüger gewesen, als all' seine Verwandte, und der solle noch erst geboren werden, der ihm mehr ablauschte, als er zu verrathen wünschte.«
»Obwohl die Freundschaft der Lady Southhesk seinem Ruf in dieser Hinsicht nicht günstig war, konnte man doch an ihren Einfluß wenig Glauben haben, wenn man sah, wie auch sie sich die hochmüthige Weise des jungen Lord mußte gefallen lassen, und wie er seinen schlagenden Verstand nur zu haben schien, um alle mit ihm Kämpfenden nieder zu legen. Aber Keiner blieb über Lady Julianens Gefühle im Zweifel! Erst war es ein Ueberbieten an Hochmuth und gegenseitiger Geringachung – dann brach die Leidenschaft bei Lady Juliane hervor und er ließ sich ihre Liebe mit einiger Herablassung gefallen – das dauerte vom Frühjahr bis zum Herbst!«
»Milady!« unterbrach sie plötzlich die alte Dame – »ich will etwas erzählen, was doch Niemand mit Sicherheit hat sagen können – Jeder von uns hat Vermuthungen gehegt, und wir Alle, die wir nicht von dieser Partei waren, haben dasselbe geglaubt; also diese Vermuthungen sind es nur, die ich euch mittheile – Niemand hat Gewißheit! Niemand kann seine Ueberzeugung beschwören.«
»Lady Southhesk, Lady Juliane, Lord Convay verschwanden plötzlich, wir hörten von einem Besuche in der Nachbarschaft. Mit einem Male wußten wir, daß Alle im Jagdhause verborgen waren – Lord Douglas, der um diese Zeit in finstere Schwermuth verfiel und etwas auf die Warnungen meines Mannes über den Verfall des Vermögens zu hören begann, das er als erster Vormund zu schützen hatte – wußte wohl um den ganzen Zusammenhang, und seine heftige Leidenschaft für Lady Juliane, die sein Alter so trostlos, so verächtlich machte, schien bei der Entschiedenheit, mit der sie sich jetzt von ihm wendete, die Ursache dieser späten Vorwürfe und der daraus erwachsenden Schwermuth.«
»Gesagt hat man, Lady Juliane sei im Jagdhause mit Lord Convay getraut worden, Lord Convay habe dabei eingestanden, zur römischen Kirche zu gehören, und nur der Mann Lady Julianens werden zu können, wenn auch sie vorher fest und bestimmt erkläre, diesem Glauben anzugehören. Da war es mit den Neckereien der armen Lady vorbei – sie verstand sich zu Allem und ward nun erst förmlich in die katholische Kirche aufgenommen und dann mit Lord Convay getraut.«
»Nach vierzehn Tagen kehrte Lady Southhesk mit Lord Comway ohne Lady Juliane nach dem Schlosse zurück, und die Heftigkeit der Lady Southhesk machte mich gegen meinen Willen in meinem eignen Zimmer zur Zuhörerin, als sie Lord Convay Vorwürfe machte über die Entbindung der Lady Juliane. Beide standen auf einem Balcon über meinem Zimmer, und ich höre noch heute die höhnische Antwort des Lords, womit er sie fragte: ob sie es denn anders gewollt, ob sie glaube, daß er anders Dispens erhalten haben würde, sie zu Heirathen, und auch dies nur in der Hoffnung, daß Lord Montrose sterblich sei und sie alsdann die Erbtochter.«
»Bald darauf verließ Lady Southhesk mit ihrer ganzen Gesellschaft das Schloß; zu eben dieser Zeit trat der junge Lord eine Reise an, um andere Hochschulen zu besuchen, von denen er erst im neunzehnten Jahre zurückkehrte und bald darauf die sanfte Lady Clarissa, die Tochter der Lady Southhesk, heirathete.«
»Lord Douglas bewohnte bis an sein Ende zu langen Zeiten dieses Schloß, und obwohl er keine Veranlassung mehr hatte, die Revenüen seines Mündels für Lady Juliane zu verschwenden, hielt er doch über sie Wache, und gelegentliche Anordnungen bewiesen, daß sie, wenn sie etwas von ihm begehrte, noch immer es mit Erfolg that.«
»Aber wo lebte sie?« – fragte Urica – »kehrte sie nach dem Schlosse zurück?«
»Wir glauben, daß sie im Jagdhause wohnte – ja dies könnte ich beschwören, denn ich sah sie öfter als sie mich. Aber wenn es euch jetzt wundern könnte, daß die Lady ein so verborgenes Leben in jenem frei daliegenden Hause führen konnte, so denkt euch die Gegend ganz verändert, und ihr werdet es begreifen.«
»Der Wald schloß sich damals dicht an die Alleen an, ja diese waren bloß aus ihm ausgehauen; was jetzt Wiesengrund ist, war undurchdringliches Gebüsch, was seitdem absichtlich seiner Verwilderung überlassen wurde; die Alleen waren überdies mit hohen Bretterwänden verschlagen, wo sich ein Ausweg nach dem Schlosse öffnete, war ein Verhack gemacht, der Niemand durchließ. Von der Straße aus war daher nur dies isolirte Haus zu erreichen, und diese Seite war gleich bei dem ersten Aufbau durch Gräben und Hecken geschützt worden, und der Wald lag dahinter, wie er heute noch ist und mit schönen Gartenanlagen versehen.«
»Und lebte Lady Juliane dort mit ihrem Gemahl?« sagte Urica –
»Zu Zeiten wenigstens gewiß; doch hat dies wohl Niemand bestimmen können; gewiß aber ist, daß Lady Southhesk nach der Vermählung ihrer Tochter mit Lord Montrose in offene Feindschaft mit Lady Juliane getreten war. Nach Jahr und Tag war die Lady endlich gekommen, um sie mit einer Verbindung zu versöhnen, welche so früh geschlossen und nach der bereits erfolgten Geburt des kleinen Lord Harry alle Hoffnungen Lady Julianens zerstörte. Aber alle Bemühungen der Lady, in das Jagdhaus einzudringen, wurden vereitelt – als aber Lady Southhesk eines Tages mit Lord Douglas, ihren Priestern und uns Allen bei Tafel saß, öffneten sich plötzlich die Thüren und Lady Juliane stand vor uns – die wir Alle bei ihrem Anblick ganz versteinerten.«
»Sie war sich nicht mehr ähnlich – erst fünf und dreißig Jahr, schien ihr Gesicht völlig verblüht; ihr Körper war noch schön, aber sie war stark, und dies um so auffallender, da ihre Kleidung kaum befestigt schien; ihr Haar, einst so glänzend und rabenschwarz, war schon mit weißem Haar gemischt – ihre Augen eingesunken, und, obwohl sie jetzt in Zorn funkelten, doch von Kummer gedrückt, Lippen und Wangen bleich und die schöne Nase so todtenähnlich bläulich.«
»Zuerst befahl sie mit ihrer alten, trockenen, herrischen Weise, daß sich alle Diener entfernen sollten. Noch hatte sich Niemand gerührt und unser Aller Augen starrten sie an. Jetzt erhoben ich und Sir Crafton uns in der Absicht, uns zu entfernen – aber mit rauher, harter Stimme rief sie: »Halt – ihr bleibt, ihr seid die einzigen redlichen Menschen hier bei Tische – ich will, daß ihr erfahrt, wie mir geschehen ist!«
»Seht mich an!« rief sie und schritt um den Tisch herum, zu dem Platze, wo Lady Southhesk saß, welche blaß und wie eine gerichtete Verbrecherin an ihren Stuhl gefesselt schien und die Augen nicht von ihrer Feindin abzuwenden vermochte. »Seht dies Haar, was mit dem Gefieder des Raben verglichen wurde – ich bin zehn Jahr jünger als ihr, es ist bei euch noch nicht erbleicht – seht! seht diese weißen Fäden – wißt ihr wovon? Seht meine Wangen! Blühten nicht einst Rosen darauf? Seht diese Gestalt – sie trägt kaum noch den weichenden Fuß – diese eingesunkenen Augen – diese bleichen Lippen – habt ihr die euch so lange entzogene Gestalt der einst so blühenden Juliane Graham darin wieder erkannt? Zweifelt nicht, liebe Tante, ich bin es – es ist die euch von eurer Schwester anvertraute Nichte. Der Saamen, den ihr streutet, ist vortrefflich aufgegangen, und ihr habt dafür gesorgt, daß die Früchte so giftig wurden, daß sie den Stamm zerstörten.«
»Den Verführer habt ihr eingeführt und als die Schande, die ich mit ihm eingekauft, mich dem Wahnsinn nahe brachte, da habt ihr diesem widerstrebenden Herzen durch diese gottlosen Priester da das Glaubensbekenntniß entreißen lassen, das ich verachtete um der Menschen willen, die ich von dieser Secte hatte kennen lernen. Aber der Verführer wollte mir nur um diesen Preis meine Ehre wiedergeben – und ich liebte ihn!«
»Und wißt ihr, wem ihr mich hingeopfert habt? Wißt ihr, wer mein Gemahl war?« – Bei diesen in dem herausforderndsten Ton gesprochenen Worten, erwachten sowohl Lady Southhesk wie die beiden Kapläne – sie stürzten sich über sie, ehe wir unsere Besinnung wieder erhielten; mit einer Schnelligkeit, die jeden Entschluß vereitelte, war Lady Juliane überwältigt, aus dem Zimmer geschleppt und ihr Geschrei so plötzlich erstickt, daß wir hatten denken können, sie wäre augenblicklich gemordet worden, hätten nicht die Lakaien, welche sie bald darauf in einen Wagen trugen, versichert, sie habe gelebt!«
»Sir Crafton stürzte sich gegen die Thür und forderte Einlaß – doch Lady Southhesk trat ihm mit dem empörendsten Stolz entgegen und befahl ihm, sich nicht um fremde Familienangelegenheiten zu bekümmern – er forderte jedoch Lord Douglas auf, Lady Juliane in Schutz zu nehmen, da man ihn selbst daran verhindere; aber ehe der Streit mit Lord Douglas vorüber war, ehe meinem Mann die geschlossenen Thüren geöffnet wurden, war die Unglückliche verschwunden und wir haben sie nie wiedergesehen, bis nach einigen Jahren das Gerücht verbreitet ward, sie sei gestorben.«
»Mein Mann machte jedoch den Lord Montrose mit den Vorfällen bekannt und danach geschahen alle Schritte, welche die Gesetze unterstützen konnten. Endlich aber bekam der junge Marquis von seiner Schwester selbst eine Erklärung, worin sie ihn bat, alle Nachforschungen einzustellen, indem sie in Begriff sei, in einem irländischen Frauenkloster den Schleier zu nehmen, und jede Gewaltthat, jeden unrechtmäßigen Schritt gegen sich leugnete und von ihm das gerichtliche Verfahren gegen ihre Verwandte eingestellt wissen wollte. Daß dies überhaupt seine Schwierigkeiten gehabt hatte, da der Herr Marquis gegen seine Schwiegermutter auftreten mußte, war schon empfunden worden; überdies war die arme, junge Lady Montrose damals schon dem Tode sehr nahe und fand nur Ruhe, als die Streitigkeiten beigelegt wurden. Man denke sich aber, wie es den armen, jungen Herrn schmerzen mußte, daß der ihm abgelockte Ehekontrakt ihn zwang, seine Kinder unter der Leitung seiner Schwiegermutter lassen zu müssen, denn diese kluge Frau hatte sich nicht gescheut, über den Tod ihrer Tochter hinaus zu denken.«
»Das ist eine wahrhaft schreckliche Begebenheit,« seufzte Urica – »und wie mir scheint, noch nicht beendigt! Aber habt ihr nie wieder von der Lady gehört?«
»Nur was ich früher mittheilte und was immer auf ihr Leben zu deuten scheint, obwohl der alte Kastellan ihren Tod behauptet und wahrscheinlich mehr davon weiß, als wir Alle!«
Urica mußte den Tag verleben, ohne andere Nachricht von den Kindern erhalten zu können, als solche, die sie überzeugte, man fertige bloß damit ihre Boten ab.
Obwohl sie nicht ihre nächsten Schritte übersehen konnte, bat sie doch Herrn Weston im Schlosse zu bleiben und die mehrfach angeregten Besorgnisse ihres Herzens verhinderten Urica selbst zur Nacht Ruhe zu finden, und von einer Bangigkeit bestimmt, der sie keinen Namen zu geben vermochte, verließ sie endlich ihr Bett, kleidete sich wieder an und öffnete die Thüren, um auf der Felsenterrasse Luft zu genießen.
Bis zu der Brustwehr vorgehend, fühlte sie sich erquickt durch die herrliche, feuchte Wasserluft, die in einem feinen Thau zu ihr aufspritzte; als sie sich umwendete, fielen ihre Augen mit melancholischer Traurigkeit auf die Fenster, hinter welchen früher die armen Kinder gewohnt, von denen man sie jetzt so boshaft getrennt hatte.
Im ersten Augenblick glaubte sie sich zu täuschen, denn sie sah in den Schlafzimmern der Kinder, die neben einander lagen, Licht – doch genauere Prüfung überzeugte sie, daß sie sich nicht täuschte.
Die Vorstellung, daß man die Kinder zurückgebracht haben könnte, ergriff sie mit nicht mehr zu bezwingender Lebhaftigkeit, und sie eilte, ohne sich einen Augenblick zu besinnen, um sich selbst davon zu unterrichten.
Von dem Gang aus, der an ihren Zimmern hinlief, führte eine Treppe in die oberen Gemächer, und mit einer Kerze in der Hand, und ohne sich Zeit zu nehmen, ihre Frauen zu wecken, eilte Urica die Treppe hinauf.
Das Vorzimmer war leer und dunkel, in den Wohnzimmern der Kinder war die widrigste Unordnung und Zerstörung, und die Thür nach dem Schlafzimmer des kleinen Mädchens nur angelehnt. In der Stille, die herrschte, glaubte Urica ein jämmerliches Winseln und einzelne Worte zu hören – und jetzt ganz deutlich einen wahren Angstschrei! – Sie stürzte in das Zimmer hinein und ihr drang gleich eine dumpfe, übelriechende Luft entgegen, vor der sie fast zurückwich. Es brannte eine Lampe, die auf dem Fenster stand, und Urica sah sogleich auf dem Bette die kleine Jane sich winden, hörte sie stöhnen, und zuweilen aufschreien. Sonst war das Zimmer leer, keine Wärterin, kein Arzt zu sehen. Sie flog auf das Bett zu, und als das Kind ihre Schritte hörte, stieß es wahrhaft wüthende Schimpfreden und Flüche aus, daß ihrem Rufen Niemand geantwortet, Niemand ihren Durst gelöscht habe! Diese heftigen Ergießungen gingen gegen ihre Kammerfrau, die nicht vorhanden war, als aber Urica den Becher, der noch gefüllt neben dem Bette stand, ergriff, und ihn dem Kinde in die Hand drückte, schauderte sie unwillkürlich zurück, denn Lady Jane war über Gesicht, Hände und ganzen Körper mit großen, bösartigen Pocken bedeckt, ihre Augen bereits erblindet, und von dem heftigsten Fieber ganz verdorrt!
»Großer Gott!« stammelte Urica voll Entsetzen – und ihr erster Gedanke war an Harry! Als das Kind seinen glühenden Durst gesättigt, stürzte sie in das Nebenzimmer – ach! sie hatte sich nicht geirrt – Harry lag bitterlich weinend, ebenfalls von Pocken bedeckt, auf seinem Bettchen, und Niemand war zu seiner Pflege im Zimmer.
»Ach! ach!« rief er, als er Urica sah – »du wirst uns nicht verlassen – du wirst dich nicht vor uns fürchten – ach! die arme Jane stirbt gewiß, wenn Alle von ihr laufen!«
Urica faßte ihren ganzen Muth zusammen – sie unterdrückte ihre Empörung über die Treulosigkeit, die hier sichtlich ausgeübt worden war, und dachte nur daran, wie hier zuerst das Leiden und die geistige Aufregung der Kinder zu beschwichtigen sei.
Muthig trat sie an das Bett des armen, kleinen Kranken, und übersah bald, daß seine Krankheit noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hatte, wie bei der kleinen Jane, da seine Augen und seine Besinnung noch nicht angegriffen waren.
»Nein, Harry!« sagte Urica – »du und deine Schwester, ihr werdet nun nicht verlassen sein – ihr werdet in mir jetzt die Mutter finden, die euch euer Vater gegeben hat! – Fasse nun Muth – ihr werdet nicht sterben – ihr werdet bald Erleichterung bekommen!«
»Aber du!« rief Harry – »du liebe Mutter – wirst du nicht sterben? Die Großmutter sagte doch, sie müsse sterben, wenn wir bei ihr blieben, und der Kaplan wollte doch einen andern Arzt schicken, weil er sonst die arme Großmutter mit unserer Krankheit vergiftete – und Jane's Kammerfrau und mein Kammerdiener sind doch fortgelaufen, weil sie sagten, sie müßten eben so gut sterben wie die Großmutter, wenn sie bei uns blieben – sie wollten im Dorfe Leute dingen, die bei uns bleiben sollten – darum sind Beide fortgegangen!«
»Sei ruhig, mein Kind,« sagte Urica – »ich habe keine Gefahr zu fürchten; denn wie ich noch jünger wie du selbst war, habe ich deine Krankheit überstanden – man bekommt sie nur einmal, und hat dann keine Ansteckung mehr zu fürchten.«
»Ach, dann bleibe bei uns! Niemand will ich lieber sehen, als dich – Alles will ich thun, was du sagst – und Jane will ich bitten, gut gegen dich zu sein!«
Urica legte nun selbst seine Kissen zurecht, stillte noch einmal seinen Durst, sah ihn sanft und beruhigt zu ihr aufblicken, und sich gehorsam zurücklegen. Dann kehrte Urica zu der kleinen, tobenden Jane zurück, welche von der Krankheit, von dem Mangel an Pflege, und dem Zorn über ihre unerfüllt bleibenden Befehle, in einem bedenklichen Zustande war. Um ihr Geschrei nur zu unterbrechen, mußte Urica ihre Stimme erheben, und das kleine, böse Mädchen erkannte sie augenblicklich, und es erhob sich eine wahrhaft scheußliche Scene, indem sie sich zum Bette hinaus werfen wollte, nach Hülfe schrie, und Urica mehrere Male unter ihren giftigen Händen war, wenn sie versuchte, sie im Bette zurückzuhalten. Urica, die sich nach Hülfe sehnte, die so gern einen Boten zu Weston geschickt, konnte das durch Fieber bis zum schäumenden Wahnsinn getriebene Mädchen nicht einen Augenblick allein lassen, ohne eine gewaltsame Handlung fürchten zu müssen, die ihr bei dieser gefährlichen Krankheit den Tod geben konnte.
Nur die Erschöpfung endete gegen Morgen diesen heftigen Zustand, und die krampfhafte, todtenahnliche Betäubung, die jetzt folgte, gereichte zwar nicht zur Beruhigung für Urica, gab ihr aber die Möglichkeit, sich auf kurze Zeit zu entfernen, um Hilfe zu suchen.
Jetzt erst fühlte sie, wie schwer ihr diese, außer durch den Arzt zu schaffen sein werde, da vielleicht auch ihre Domestiken die Ansteckung scheuen würden. Sie gab daher ihren früheren Vorsatz, zu ihren Frauen hinunter zu gehen, auf, und da der Morgen bereits heran gekommen war, eilte sie ohne Bedenken nach dem gegenüber liegenden Flügel, wo die Zimmer des Sir Crafton lagen, und als sie hier in dem Frühstückssaal schon einen Diener bei geöffneten Thüren fand, befahl sie dem maaßlos Erschrockenen, sogleich seinen Herrn zu wecken, und ihm zum schnellen Aufstehen behilflich zu sein, da sie seines Beistandes augenblicklich bedürfe.
Bis jetzt hatte Urica keine Ermüdung gefühlt, hier aber, in der tiefen schönen Ruhe des herannahenden Tages, wo selbst die Vögel noch schliefen und der Thau in großen Perlen dicht verhüllend über dem Boden lag, wandelte sie ein Gefühl von Erschöpfung an, und sie sank an den geöffneten Thüren in einen Sessel und ein leichter Schlaf fiel wie Balsam auf ihre erhitzten Augen.
Mit großem Erstaunen und lebhafter Beunruhigung fand der bald darauf eintretende Sir Crafton die geliebte Herrin in dieser auffallenden Situation. Urica's Schlummer war aber zu leicht, zu wenig ihr Wille gewesen, als daß sie nicht augenblicklich bei seinem Eintritte erwacht wäre.
»Naht mir nicht,« rief sie aufstehend und sich noch mehr zurückziehend – »wenn ihr mir nicht versichern könnt, daß ihr und eure Gattin die Pocken gehabt habet!«
»Milady,« rief Crafton – »was bedeutet das?«
»Erst eure Antwort,« entgegnete Urica fest – »und der Wahrheit nach, dann sollt ihr Alles wissen!«
»Nun wohl,« sagte Crafton – »wir hatten Beide als Kinder diese Krankheit.«
»Gottlob!« rief Urica und trat ihm nun näher – »dann werdet ihr mir eure Hilfe nicht entziehen! Beide Kinder sind von Lady Southhesk in ihre alte Wohnung zurück geschickt worden, weil bei ihnen Beiden die Pocken ausgebrochen sind. Von einer bangen Ahnung getrieben, stand ich in der Nacht auf, entdeckte von der Terrasse aus in ihren Zimmern Licht und fand, als mich eine unerklärliche Unruhe zu ihnen hinauf trieb, beide Kinder gänzlich verlassen und von dieser Krankheit befallen.«
Nach diesen Worten unterdrückte sie die lebhafte Erregung des Sir Crafton, indem sie ihn bat, sogleich Herrn Weston zu rufen, da sie die kleine Jane in einem sehr gefährlichen Zustande verlassen habe und gleich zu ihr zurückkehren müsse, da auch bis diesen Augenblick keiner von den Domestiken sich habe sehen lassen, und sie voraussetze, daß die Furcht vor Ansteckung sie eben so wie den Kaplan entfernt halten werde.
»Aber eure Frauen,« sagte Crafton – »ich hoffe, diese haben euch bereits unterstützt?«
»Ich hätte fast vergessen, euch zu bitten, daß Mistreß Crafton mit meinen Frauen spricht, und sich unterrichtet, ob sie diese Krankheit überstanden haben. Da ich mich schon für angesteckt halten muß, kann ich es nicht selbst thun.«
»Aber, Milady, ihr könnt doch nicht annehmen, daß euch einer eurer Dienerschaft verlassen wird?«
»Mein lieber Sir Crafton,« sagte Urica milde – »wir können wohl von unsern uns ergebenen Dienern erwarten, daß sie uns mit Treue und Eifer bedienen, aber wir haben kein Recht, weder zu verlangen noch zu wünschen, daß sie für uns sterben sollen. Nein, nein! ich will nur ungefährdete, freiwillige Hilfe bei meiner Krankenpflege – doch wir reden schon zu lange – eilt – eilt, mir Master Weston zu senden, denn seiner Hilfe will ich sie nun ganz anvertrauen.«
Crafton bot ihr den Arm, sendete denselben Diener, Mr. Weston herbei zu rufen, und entfernte sich an der Treppe zu den Zimmern der Kinder auf Urica's ausdrücklichen Wunsch.
Die Scene hatte sich indessen unangenehm verändert. Lady Jane lag zwar noch eben so regungslos, wie zur Zeit, als Urica sie verlassen, aber ein altes, gemein aussehendes Weib, schmutzig und in bäurischer Tracht, saß vor dem Bette und starrte das entstellte Kind gedankenlos an, während eine offene Flasche in ihrer Hand und der Geruch des Branntweins hinreichend verriethen, womit sie sich gegen die Ansteckung zu schützen suchte. – Mehr noch ergriff Urica das jammervolle Weinen des kleinen Harry, welcher sich mit Jemand zu streiten schien und immer rief:
»O, wo ist denn meine liebe, liebe Mutter – wo habt ihr sie hingeschleppt – sie würde mich nicht verlassen, wenn ihr sie nicht weggeschleppt hättet! – Fort, fort! – rühr mich nicht an – o, meine Mutter! meine liebe Mutter!«
Urica stürzte sich diesem Rufe entgegen, der, wie sie nicht zweifeln konnte, ihr galt, und sie sah ein wo möglich noch scheußlicheres, roheres Geschöpf, welches mit dem armen kleinen Harry unter groben zornigen Worten rang und ihn überwunden mit der Decke im Bette festhielt.
»Harry, Harry! ich komme!« rief Urica mit dem Ton einer vor Liebe und Schmerz fast undeutlich gewordenen Stimme. Aber Harry hatte sie schon erkannt – ein Schrei der Freude drang aus seinem Munde und mit den Worten: »Mutter, Mutter!« sank er, von aller Noth erlöst, bewußtlos in seine Kissen zurück.
Das Weib hatte erschrocken bei Urica's Anblick ihr rohes Verfahren sogleich aufgegeben und stand nun furchtsam hinter dem Bette.
»Was wollt ihr hier?« sagte Urica, deren Herz von Unmuth schwoll, da sie den Zusammenhang nur zu richtig erkannte – »entfernt euch sogleich und nehmt das Weib aus dem Nebenzimmer mit euch – ihr habt hier nichts weiter zu thun.«
»So,« sagte das Weib, plötzlich grob vortretend – »aber unsere Bezahlung? Wir sind von Lady Southhesk gedungen worden, die Kinder zu warten – , und so umsonst schlucken wir das Gift nicht ein und setzen uns der Gefahr aus, die kein Anderer wagt, als wir, um etwas zu verdienen.«
»Geht,« rief Urica – »und fordert euch den Lohn von denen, die euch gedungen haben!« Aber schnell sich besinnend, zog sie mehrere Geldstücke aus ihrer Tasche, warf sie dem Weibe zu und athmete erst leichter auf, als diese nun befriedigt mit ihrer Gefährtin sich entfernte.
Urica blieb nicht lange mehr in ihrer traurigen Lage allein. Herr Weston stand bald an ihrer Seite, und sein ruhiges, festes Verfahren, seine schnell beschlossenen Bestimmungen bestätigten bald den vortheilhaften Eindruck seiner ersten Erscheinung.
Tief gerührt ward Urica aber, als sie von Mistreß Crafton in das Vorzimmer gerufen ward und dort alle ihre Domestiken versammelt fand, welche erschrocken und bekümmert in ehrerbietiger Rührung den alten Haushofmeister zu ihrem Redner gemacht hatten, der vor Rührung kaum versichern konnte, daß keiner sich von dem Dienst, welcher Art er auch sein möge, ausschließen wolle. Ulla aber fiel mit lautem Schluchzen zu Urica's Füßen, und sie und ihre Gefährtinnen waren ganz trostlos, wenn sie an die Nacht dachten, die ihre geliebte Herrin, welche sie wie ein Juwel hegten, ohne ihren Beistand hatte verleben müssen.
Urica dankte mit Rührung den treuen Dienern, und versprach ihnen, ihre Dienste anzunehmen. Dann wählte sie ihren Kammerdiener, einen ältlichen aber rüstigen und sehr verständigen Mann zur Hülfe in Lord Harry's Zimmer und gab Befehl, sich und ihre Frauen in den Vorzimmern einzurichten, da sie alle Anerbietungen der Mistreß Crafton liebevoll zurückwies und die Krankenpflege ganz unter ihre Aufsicht zu stellen entschlossen war.
Dies blieb um so nöthiger, da es die Geduld und Einsicht einer höheren Bildung erforderte, um an Lady Jane's Bett auszuhalten und mit der Hülfe und Erleichterung, die nöthig war, die dämonische Bosheit dieses Kindes abzuhalten und unschädlich zu machen. Dabei schwebte ihr Leben die ersten Tage nach Urica's Einmischung immer in Gefahr, und dies hauptsächlich erregt durch die maaßlose Wuth, in die sie jedesmal gerieth, wenn sie sich überzeugen mußte, daß sie von ihren Dienern verlassen sei, sie auf ihr wüthendes Geschrei nicht herbei zu rufen waren, und sie von Fremden und namentlich von der von ihr so bitter gehaßten Urica, die Dienste annehmen mußte, die sie oftmals zurückstieß und lange jede Entbehrung ertrug, ehe sie die Hülfe aus ihrer Hand annahm.
Niemand, fühlte Urica, konnte ihr diese anhaltende Pflege nachmachen, denn das unglückliche Kind war ein Gegenstand des Hasses geworden, vielleicht auch der Scheu und des Widerwillens, denn die Pocken hatten dies schon wenig anziehende Kind so unglaublich verheert, daß sie einem kleinen Ungeheuer glich und ihre Ausdünstung fast unerträglich war.
Nur als endlich der Schlaf die fürchterlichen Leiden der Krankheit unterbrach, konnte Urica sich zuweilen einige Stunden an dem Bette ihres Lieblings, des kleinen Harry, erholen. Dieser sanfte, liebenswürdige Knabe hatte die Krankheit viel milder, er erblindete nicht, das Fieber war leicht und seine Dankbarkeit, seine bescheidene Güte gewannen ihm so sehr Aller Herzen, daß Jeder ihn zu bedienen wünschte.
Während dieser Zeit hatte Urica auch ihr Verhältniß zu Lady Southhesk feststellen müssen. Schon am nächsten Tage, als alle Einrichtungen dem Zwecke entsprechend getroffen waren, stellte sich der Kaplan in dem ersten Vorzimmer ein, und ließ bei der Frau Marquise um eine Unterredung bitten. So empört diese sich auch fühlte, sah sie es doch bald als einziges Mittel an, um zu einer festen Erklärung mit Lady Southhesk zu kommen, und sie fand den Kaplan auf einem offnen Balkon in der größten Unruhe bei ihrer Annäherung.
»Meine Lage ist sehr schwierig,« stammelte er sogleich, als Urica ihm ruhig gegenüber stehen blieb, ohne ihn anzureden – »denn kein Alter schützt gegen Ansteckung, und sowohl ich wie Lady Southhesk sind unsicher, ob ähnliche Jugendkrankheiten, die uns zugestoßen, Pocken zu nennen waren, da meine Kenntnisse als Arzt mir sogar die Möglichkeit zeigen, daß man zweimal von dieser bei erwachsenen Personen fast immer tödtlichen Krankheit befallen werden kann.«
Als er schwieg, sagte die Marquise: »Es ist gut, mein Herr, daß nicht Alle diese Ueberzeugung theilen. Sagt der Lady Southhesk in meinem Namen, daß ich in dieser Nacht ihre armen Enkelkinder in dem heftigsten Anfall dieser Krankheit, verlassen von aller menschlichen Hülfe, im Zustand der Verzweiflung gefunden habe – daß ich von diesem Augenblick in meine vollständigen mütterlichen Rechte getreten bin, daß jetzt ein Arzt die Kinder bedient, welcher nicht fürchtet, diese Kinderkrankheit noch einmal zu bekommen – daß ich, von meiner Dienerschaft unterstützt, mich an die Spitze ihrer Pflege gestellt habe, und die elenden und schmutzigen Bettlerinnen aus dem Dorfe, die, halb betrunken, geneigt waren, diese Kinder zu mißhandeln, und welche man zum Ersatz ihrer entflohenen Dienstboten später, als die Nacht schon vorüber war, hergeschickt hatte, entlassen habe, und daß ich nun hoffe, Lady Southhesk wird vor der Gefahr der Ansteckung geschützt bleiben und sich dabei getrösten können, daß diese armen Kinder nicht mehr von pflichtvergessenen Miethlingen verwahrlost werden.«
Von peinlicher Unruhe gefoltert, mit niedergeschlagenen Augen hörte der Kaplan diese Worte an, die fern von Zorn, eine so tiefe Verachtung ausdrückten, daß er sich vergeblich davor zu retten versuchte.
»Milady! Ihr seid streng und erzürnt! – Durch die eilige Abreise der Lady Franziska ist unser Personal geschwächt – ich bin der einzige Kaplan und Arzt – ich natürlich könnte Lady Southhesk's Zimmer, worin sie selbst so bedeutend erkrankt danieder liegt, nicht betreten, wenn ich die Kinder zugleich besuchte. – Die armen Domestiken, welche von mir wohl unterrichtet, wie die Krankheit zu leiten sei, mit den Kindern entlassen wurden, hatten überlegt, daß sie selbst sich die Krankheit noch einmal holen könnten, und waren gegangen, um zuverlässige Wärterinnen, von denen sie im Dorfe gehört hatten, zur Pflege herbeizuholen.« –
»Lassen wir das jetzt,« unterbrach ihn Urica hier streng – »ihr werdet nicht verlangen, daß ich nach euren Entschuldigungen die Gewissenlosigkeit, womit man diese kranken Kinder behandelt hat, weniger strafbar finden soll, als früher! Entzieht euch jetzt der Gefahr der Ansteckung, welcher ihr in diesen Räumen ausgesetzt seid und sagt der Lady Southhesk, daß ich täglich zweimal genaue Nachrichten über das Befinden der Kinder an meinen Haushofmeister senden werde, von dem die Lady sie sich abfordern lassen kann!«
»O Milady! wie edel – wie großmüthig seid ihr! wie muß man euch in allen euren Handlungen verehren!«
Schon hatte ihm Urica mit leichtem Gruß den Rücken gekehrt und schenkte, sich ihm schnell entziehend, seinen heuchlerischen Worten kein Ohr mehr.
So schmerzlich die Veranlassung auch war, welche Urica's Gedanken in Anspruch nahm, sie zogen sie doch wohlthuend von der größeren Sorge um Montrose ab, von dem sie auch nach einigen Wochen noch keine Nachrichten hatte. Jetzt verließen die Kinder schon wieder die Betten und nur noch Vorsorge war nöthig, um auch die Folgen dieser verheerenden Krankheit glücklich vorüber zu führen.
Es war aber Urica nur vorübergehend gelungen, auf Lady Jane's Herz einzuwirken. Wenn einzelne Aeußerungen oft in ihr die Hoffnung erweckt hatten, sie könne dies böse Kind von ihrem guten Willen überzeugt, und einen begütigenden Einfluß auf sie gehabt haben, zeigte es sich doch nur zu bald wieder, daß Lady Jane eine dämonische Freude empfand, sie zu kränken und zu beleidigen, daß sie sich mit Scharfsinn allerlei ausdachte, was sie dann oft mit dem boshaftesten Gelächter unter ihren Augen that und sagte.
Ihren Bruder haßte sie förmlich wegen seiner Nachgiebigkeit und Dankbarkeit gegen Urica und wenn sie alle Mittel fehlschlagen sah, um diese aus ihrer Ruhe zu bringen, vergriff sie sich an ihm thätlich und sah dabei Urica höhnisch lachend an, weil sie wußte, daß sie dann von ihr mit Strenge zurückgewiesen wurde. Ueberhaupt schien es, daß dies unglückliche Wesen schon so früh den Haß gegen alle Menschen kennen lernen sollte, denn gegen ihre Großmutter und den Kaplan stieß sie Drohungen und Schimpfreden aus, und als sie sich endlich überwand und nach langen Bitten der zurückgekehrten Kammerfrau erlaubte, zu ihr zu kommen, schlug sie ihr so wüthend in's Gesicht, daß diese zur Erde taumelte. Da Urica hiervon nicht Zeuge war, indem sie bereits anfing, den Bitten des Arztes und der ehrlichen Crafton's nachzugeben, und theilweise in ihren Zimmern verblieb, so entging sie der Strafe; aber Urica mußte sich bald überzeugen, daß diese treulose Person, die das arme Kind in der Gefahr verlassen konnte, nun die niedrigste Schmeichelei anwendete, um ihre Gunst wieder zu gewinnen, wodurch alle Untugenden bald genug gesteigert hervortraten, und Urica fast muthlos werdend dies böse Kind mit Ergebung in die Hände der Großmutter zurückkehren sah und sich ganz an Lord Harry hingab, der leider noch kränkelte und zwar nicht wie Lady Jane entstellt war von seiner Krankheit, aber von Geburt an weit weniger kräftig als seine Schwester, sich jetzt viel schwerer erholte. Der Arzt verhehlte ihr nicht, daß wenn dieser Knabe nicht mit höchster Schonung behandelt werde, seine angegriffene Brust ihm wenig Aussicht ließe, groß zu werden und sein reizbares Gemüth schon jetzt ein gefährliches Symptom sei.
Und dennoch sollten Urica's Gedanken von ihm abgezogen werden, denn der Schlag war gefallen – Urica erhielt aus Edinburg die ersten Nachrichten von Montrose – er war angeklagt: das Vertrauen des schottischen Parlamentes verrathen zu haben, und durch eine geheime Correspondenz mit dem Könige, diesen in Kenntniß gesetzt zu haben von den Erwartungen, die er von ihren Beschlüssen hegen dürfe. Zwar war der Brief des Lord Montrose an den König, welcher durch ihre – Urica's – Hände einem falschen Boten anvertraut worden war, dennoch an ihn gelangt; aber die genaue Abschrift desselben war ihm bereits durch eine Art Kriegsgericht vorgelegt worden, und er hatte sich keinen Augenblick besonnen, dieselbe als gleichlautend mit dem Original anzuerkennen – »und,« fügte Montrose hinzu – »das war ihre erste Züchtigung; denn meine Sicherheit bei dieser Erklärung hat sie um die ihrige gebracht, und obwohl ich nicht meine volle Freiheit behalten, sind die Verhöre doch unterbrochen und ihre frühere Anklage auf Hochverrath und die Einsetzung eines kurzen Militair-Gerichts ist ihnen gestört und sie scheinen die Sache zu überlegen.«
»Doch kann mich das trösten?« fuhr Montrose's Brief fort – »wenn ich hier unthätig, durch elende Kabalen gehalten, meine Tage zubringen muß, anstatt zu deinen Füßen zu sitzen und in den Himmel deiner Augen zu blicken? Wie ich unter meinen wackeren Soldaten stand, die meine ganze Thätigkeit forderten, und ich ein würdiges Ziel vor mir sah, was ich nur mit Anstrengung erreichen konnte, da lebte ich selbst in dieser Trennung von dir ein schönes Leben mit dir, aber jetzt haftet jede Sekunde wie eine bleierne Last an mir – und jede scheint mir ein unerhörter Raub an deinem Besitze – und ich möchte die Wände des alten Holyrood, worin man mich eingeschlossen, mit meiner Sehnsucht sprengen.«
Urica stand auf, und als Sir Crafton gerade jetzt die Thüren öffnete und mit ängstlicher Miene zu ihr trat, sagte sie fest und innig: »Nicht wahr, Sir, ihr begleitet mich zu meinem Gemahl nach Edinburg und sorgt dafür, daß ich in wenigen Stunden aufbrechen kann?«
»Also ist es wahr!« rief Crafton erschüttert – »Milord von Montrose ist angeklagt und im Gefängniß?«
»So ist es, mein Freund,« sagte Urica – »Les't selbst – vor euch habe ich kein Geheimniß; aber wo mein Platz jetzt ist, das werdet ihr mit mir fühlen und ich kann Gott nicht genug danken, daß mich meine Pflicht hier nicht mehr an das Krankenbett der Kinder fesselt. Ich werde mit Herrn Weston sprechen; Harry wird eine so schnelle Reise, als diese sein muß, nicht mit mir machen können; aber ich werde ihn eurer Gattin übergeben, und unser lieber, alter Kaplan wird, wie bei seinem Vater, auch bei ihm den Unterricht leiten, Herr Weston seine Gesundheit überwachen.«
Crafton war zu Allem bereit, er hatte eine Art von Begeisterung für seine Herrin und fühlte sich glücklich, daß sie ihn zu ihrem Begleiter erkoren hatte. Er versprach alle nöthigen Anordnungen so schnell als möglich zu treffen, und Urica, welche hoffte, früher als Montrose's Bote das Ziel zu erreichen, eilte ihre inneren Angelegenheiten zu ordnen.
Sie fand hier überall und besonders bei Mistreß Crafton das liebevollste Entgegenkommen; nur die Thränen Harry's beschwerten ihr Herz, und so weit war Urica schon gekommen, daß sie die heißen Wünsche, das ungestüme Drängen nach Montrose, mit strengem Pflichtgefühl für dies weinende Kind prüfte, und sich selbst fragte, ob es ihr zustehe, dem Drange ihres Herzens nachzugeben.
Aber sie entschied mit der Zusage ihres Gewissens, daß sie dorthin müsse, wo das Schicksal des edelsten Mannes bedroht war, wo die zarteste Rücksicht die Forderung des Gatten zurückgedrängt hatte, und für sie die Aufgabe eintrat, das zärtlichste und bescheidenste Geständniß zu verstehen und zu deuten.
Endlich schrieb sie an Lady Southhesk und zeigte ihr in höflicher Form an, daß sie genöthigt sei, Castletown zu verlassen, daß ihr Sohn unter der Pflege der Mistreß Crafton zurück bleiben werde, und daß, im Fall Lady Southhesk beabsichtige, unterdessen ihre Rückreise anzutreten, sie doch darauf bestehen müsse, daß Lord Montrose's Sohn bis zu einer näheren Bestimmung des Vaters unter der Aufsicht der von ihr erwählten Personen verbleibe.
Da Urica seit der Krankheit der Kinder außer aller direkten Verbindung mit der Lady geblieben war, erwartete sie auch hierauf keine Antwort. Diese blieb auch wirklich aus; aber es hätte Urica vielleicht besorgt gemacht, wenn sie das laute, höhnische Lachen der Lady gehört hatte, womit diese Urica's Brief zur Erde warf. Lady Southhesk hatte jetzt noch einen Grund mehr zu hassen – das kleine, böse Mädchen hatte nämlich es sich ausgedacht, ihre Großmutter dadurch zu züchtigen, daß sie ihr immer fort vorwarf, daß sie sie bei ihrer Krankheit verlassen habe – und wieviel besser ihre Stiefmutter Urica sei, welche sie gepflegt und ohne deren Hülfe sie gestorben sein würde. Der Zorn, in den die alte Dame dann jedesmal gegen Urica gerieth, war es gerade, was Lady Jane so viel Spaß machte, daß sie, so lange er dauerte, lachend zusah und sich freute, diese beiden von ihr so gehaßten Frauen so verfeinden zu können.
Ob nun in Folge dieser bösartigen Neckereien, oder aus einer Neigung, die bei diesem versteckten und überlegenden Kinde nie ergründet werden konnte, bestand sie darauf, von ihrer Stiefmutter, wie sie Urica nun zum Trotz der alten Lady immer nannte, Abschied zu nehmen. Da sie von Niemand dazu die Erlaubniß bekommen konnte, und ihre Leute sich weigerten, sie zu melden, entschlüpfte sie ihnen mit großer Gewandtheit und stürzte sich fast in die Halle, wo Urica eben mit ihren Hausgenossen an der Tafel saß.
Lady Jane, die von Natur häßlich war, hatte durch die Pocken so grausam gelitten, daß sie ein Gegenstand des Entsetzens geworden war. Fürchterlich stand ihr dazu das ewige boshafte Lachen, wobei ihre verschwollenen Augen blitzten und sie wie ein kleiner Teufel allerlei Kapriolen mit Händen und Füßen zu machen pflegte.
Plötzlich nun stürzte dies kleine Geschöpf in die Halle hinter Urica's Sitz und klammerte beide Arme so wild um ihren Hals, als wolle sie sie erdrosseln. Auch stieß Urica in der Ueberraschung einen Schrei aus, und als Jane ihr abscheuliches Gesicht ihr entgegenhielt, schauderte sie unwillkürlich.
»Aha,« sagte Jane lachend – »ich bin wohl sehr häßlich, schöne Frau Stiefmutter – habe nicht so glatte Wangen und bin nicht so weiß und roth wie Euer Gnaden. Es schadet aber nichts – ich bin darum doch was ich bin, die Tochter einer Gräfin und eines Marquis, und ich werde eben so gut einen Peer heirathen, wie andere Leute.« Nach diesen Worten lachte sie wild auf und versuchte auf's Neue, Urica's feinen Hals zu umklammern.
Diese aber zog sich zurück und sagte: »Wie kommt es denn, daß man dich bei dem kühlen Tage aus den Zimmern läßt, da du noch nicht über alle Folgen deiner gefährlichen Krankheit hinaus bist?«
»Gestrenge Frau Stiefmutter,« sagte Jane – »das hat man auch nicht gethan; Alle weigerten sich, mich herunter zu lassen, und die Großmama hat zehnmal vor Wuth mit dem Fuße gestampft und meiner wie ihrer Jungfer mit Ohrfeigen gedroht, wenn sie mich nicht bewachten. Nun, hoffe ich, bekommen sie sie recht ordentlich, denn so wie ich wieder zurück bin, sage ich es der Großmutter, daß ich ihnen fortgelaufen bin, grade wie sie dachten, sie hätten mich recht sicher, weil ich mich schlafend stellte.«
»Jane!« sagte Urica – und es lag in diesem Wort, in dem Ton, mit welchem sie sprach, vorzüglich aber in dem Ausdruck von tiefer Betrübniß, der sich auf ihrem schönen Gesicht verbreitete, und ihre Augen füllte, ein so ergreifender Vorwurf, daß selbst Lady Jane nicht ohne Eindruck davon blieb.
»Nun, nun!« sagte sie – »ich sehe schon, mein allerliebstes Stiefmütterchen wird schelten, und davon habe ich gar nichts. Warum bin ich denn gekommen? – Was will ich denn? Blos dich sehen, weil die Leute sagen, du willst wegreisen – wenn du aber schelten willst, dann kann ich das auch lassen und lieber gleich wieder weggehen.«
»Gewiß, Jane,« sagte Urica – »wenn ich denke, du bist gekommen, um mir Lebewohl zu sagen, so hätte mir das wohlgethan, aber ich fürchte, du hast es hauptsächlich gethan, um dort oben recht vielen Verdruß und Aerger zu verbreiten.«
Jane lachte laut auf – dann rief sie, in die Hände schlagend: »Sage ich es doch immer denen da oben, du seist klüger wie sie Alle! Alle Andern kann ich anführen und zum Besten haben – du aber – du bist so schlau, da muß ich mir's lange überlegen, wenn ich dich betrügen will.«
Muthlos blickte Urica vor sich hin, und Thräne auf Thräne rann über ihre Wange. Daß dies Montrose's Kind sei, erdrückte fast ihr Herz, vorzüglich, wenn sie dachte, daß sie dies verwahrlosete Wesen in Händen zurücklassen müsse, die sich wie zu ihrem völligen Verderben vereinigt hatten.
»Jane,« sagte sie endlich – »sage mir nur das Eine, ob du denn gar nicht weißt, daß dies Alles unrecht ist, daß davon die Menschen schlecht werden und sich an Gott versündigen?«
»Die Andern sind noch schlechter als ich, aber sie sind dumm!« sagte Jane. – »Seit ich dich kenne, da weiß ich, daß man gut sein kann – aber,« setzte sie hinzu, als bereute sie es – »ich kann dich darum doch nicht leiden, denn du schiltst mich und wirst heimlich wohl so böse sein als die Andern.«
»Nein,« sagte Urica – »heimlich bin ich nicht anders, wie jetzt, und wenn du das gut nennst, so wisse, daß es mir noch lange nicht genug ist, daß es noch viel bessere Menschen giebt als mich.«
»Ach, das glaube ich nicht,« sagte Jane – »du willst mich nur bange machen, weil du weißt, daß ich dich schon um dein Haben und Thun nicht leiden kann.«
»Nun,« sagte Urica – »dann bist du gewiß froh, daß ich reise, und wir uns vielleicht nie wiedersehen?«
Jane schwieg, und es ging etwas in ihr vor – dann sagte sie: »Aber wenn ich krank werde, und sie wieder Alle von mir laufen, dann wirst du mir einfallen, und darum wollte ich das glatte Gesichtchen nochmal wiedersehen, was ich zuerst an meinem Bette sah, als ich die Augen wieder öffnen konnte – da dachte ich, du wärest ein Spuk – aber so oft ich die Augen aufmachte, saßest du da – und bald gabst du mir dies, bald jenes – denn du verstehst es – und da wurde ich recht böse, wie ich dich erkannte, denn ich hätte dich fast lieb bekommen!«
Als Urica hierauf unwillkürlich seufzte, schrie Jane wild auf, griff nach ihrer Hand und versuchte sie unsanft zu drücken – dann stürzten plötzlich Thränen aus ihren Augen, sie warf sich an Urica's Brust, und schluchzte krampfhaft, während sie mit den Füßen ausschlug – eben so plötzlich riß sie sich los, blickte noch einmal Urica an, und stürzte mit wildem Gelächter zum Zimmer hinaus.
»Das ist fürchterlich!« sagte Urica, und lehnte sich erschüttert in ihren Sessel zurück – »und doch waren dabei Symptome eines besseren Gefühls! Und das arme Kind soll ich nun aufgeben – und ihr Verderben ist fast gewiß!«
»Eben so gewiß, aber ist es Milady,« sagte Sir Crafton – »daß die Lady Southhesk lieber sterben würde, als euch Lady Jane überlassen, und wahrscheinlich auch diese nicht willig zu euch zurückkehren würde.«
»Und,« sagte Urica – »sie scheint alle ihre Umgebungen zu beherrschen und vor Niemand Furcht oder Achtung zu haben!«
»Ja gewiß!« sagte Mistreß Crafton – »aber das hindert nicht, daß dies unglückliche Kind zuweilen auf das Entsetzlichste gemißhandelt wird, und durch Schläge und Hunger oft zu Dingen gezwungen, die sie außerdem nicht thun würde – aber diese Forderungen sind selten so, daß ihre Unarten dadurch gebrochen werden; man hat auch nicht die Absicht dazu, sondern ihre Umgebungen rächen sich, für von ihr empfangene Beleidigungen und Bosheiten, und Lady Southhesk, welche mindestens so heftig rachsüchtig und eigensinnig als Lady Jane selbst ist, treibt oft mit diesem Kinde einen Verfolgungskrieg, bei dem das Kind zuletzt unterliegen muß, und das immer zum neuen Nachtheil ihres völlig verbitterten Charakters.«
Urica bat Mistriß Crafton noch einmal, den armen kleinen Harry vor diesem bösen Beispiel zu bewahren; aber sie fühlte eine tiefe, aufrichtige Beunruhigung über beide Kinder, und trennte sich von dem armen, kleinen Harry mit großer Bekümmerniß, da dies arme Kind, durch seinen Gram über ihre Abreise, sichtlich in seiner Gesundheit zurückgekommen war, und nur das mütterliche Betragen der guten Mistreß Crafton konnte Urica beruhigen, und die Nähe eines so sorgsamen Arztes, als Herr Weston, der nothgedrungen auch Lady Jane's Arzt geblieben war, da diese mit Entschiedenheit den Kaplan zurückwies, und nur von Herrn Weston Arznei nahm und ihm einigen Gehorsam leistete.
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