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Lord Montrose befand sich indessen in einer Lage, die seine vollste Ungeduld reizte; denn indem er ein Verhör, die Versammlung seiner Richter mit wahrer Sehnsucht erwartete, schien Niemand zu einer so öffentlichen Scene rechten Muth zu haben, da die entschlossene Ruhe des Angeklagten bei seinen Gegnern bereits ein Nachdenken erweckt hatte, was sie gegen ihre Absichten unsicher gemacht hatte. Dazu kam, da Montrose ihnen fast unentbehrlich war, da sie gewiß wußten, sein Armeecorps hielt nur zusammen durch seinen persönlichen Einfluß, und schon jetzt nach seiner kurzen Entfernung trafen Nachrichten ein, daß die Soldaten anfingen, ohne Weiteres nach Hause zu gehen, daß es ihnen schien, daß sie da auch nichts zu thun hätten, wo ihr Feldherr fortbleiben könnte.

Somit war es fast jetzt schon eine Art Verlegenheit, welche sie ihrem Gefangenen gegenüber belästigte, und sie wußten es den Lords Argyle und Hamilton, welche Beide beeilt gewesen waren, den verrathenen Brief an den König in ihre Hände zu liefern, wenig Dank, weil sie einsahen, daß sie sich dennoch mit Demjenigen versöhnen mußten, den sie so leichtsinnig als Hochverräther angeklagt.

Es waren daher alle Rücksichten gegen ihn beobachtet, um ihn äußerlich durch nichts zu reizen, und es erschien eine erträgliche Haft, die Zimmer des Königs in Holyrood einzunehmen und, von dem eignen Gefolge bedient, mit allen Bequemlichkeiten des Lebens versehen zu sein. Nur für Montrose konnte dies keine Beschwichtigung sein, denn er überschätzte seinen Werth nicht, wenn er seine jetzige nothgedrungene Unthätigkeit für einen Verlust in der großen Sache des Vaterlandes hielt, und er zürnte mit Recht dem Unverstande und dem bösen Willen seiner Gegner, die nur ihn zu kränken hofften, und wie viel mehr der Sache schadeten.

Unthätigkeit war eine von Dante's Höllenstrafen, einem solchen Geiste auferlegt, der mitten in der wirksamsten Betriebsamkeit gestört worden war und mit seiner Erfahrung erwartete, was schon eingetreten war, nämlich die Auflösung des bereits geschaffenen Armeecorps. Vergeblich verlangte er von seinen Richtern Verhöre – mit nichtigen Gründen wurde seine Forderung zurückgewiesen, und Montrose durchwanderte Tag vor Tag wie ein Alterthumsforscher die Räume des alten Holyrood und versenkte seinen Geist in die trüben Erinnerungen, welche die Geschichte dieses Wohnsitzes eines unglücklichen Königsgeschlechtes aufdrängen mußte.

Da die Zimmer des Schlosses nicht in ihrer ganzen Ausdehnung erhalten wurden, traf es sich von selbst, daß diejenigen die bewohnbarsten geblieben waren, welche schon bei ihrer ersten Einrichtung die meiste Sorgfalt genossen hatten, und man sah sich daher genöthigt, auch Montrose die ehemaligen Zimmer des Heinrich Darnley und der Maria Stuart anzuweisen, da diese zum Gebrauch fertig waren.

Das Haus Graham, woraus Montrose stammte, war mit den Stuarts verwandt, und die Zeit hatte bereits die scharfen Urtheile über die Verschuldungen der schönsten und unglücklichsten Königin dieses Stammes gemildert.

Montrose hatte bis dahin, wo er Urica fand, das Bild dieser bezaubernden Königin mit einer eigenthümlichen Schwärmerei festgehalten. Er machte ihr Schicksal mehr den Männern zum Vorwurf, die sie gefunden, als ihrem immer wieder ins Licht gestellten Leichtsinne. Indem er sich ihre, die Zeit und ihre Umgebungen weit überragenden, Geistesvorzüge vergegenwärtigte, dachte er sich, wie das ruhelose Suchen dieses ewig unverstandenen Weibes ihren Irrthümern und Vergehungen die Bahn gebrochen haben müßte, und der Uebermuth, die Verachtung gegen die, welche sie in ihrem Leben fand, fast die unausbleibliche Folge sein mußte. Allein bleibend auf dem Felde des Geistes, was ihr Element war, verschmachtet und ohne Gefährten zurückkehrend, wurde sie endlich den roheren Genüssen entgegen getrieben, die sie dem Urtheil der Welt befleckt zurückgeben mußten. Er gestand sich den kleinen Triumph des Selbstgefühls zu, sich zu denken: Wärest du ihr Zeitgenosse gewesen, sie hätte dich geliebt, und sie wäre mit dir nicht gesunken!

Jetzt Urica's Gatte, schien es ihm, wie verwandt Beide sich mußten gewesen sein, und aus Darnley's Zimmer in die ihrigen wandelnd, beschlichen ihn die wunderbaren Träumereien der Einsamkeit, und er wußte oft nicht, ob Darnley zu Maria Stuart gehe, oder Montrose seine Urica suche.

Neben seinem Schlafzimmer lag das große, mit Gobelins behangene Schlafzimmer der Königin Maria. Dieselben Vorhänge von buntem Damast deckten noch das öde Lager, worauf eine Decke von goldener Wirkerei, mit Seide durchzogen, ein buntes Dessin zeigte; ihr Betschemmel und Pult waren noch vorhanden, und eine Toilette, woraus natürlich der kostbare Inhalt verschwunden war, und dessen trüber Metallspiegel mit einem querüberlaufenden Roststreifen zu trauern schien, daß seit Maria's lieblichem Angesicht kein ähnliches schönes Frauenbild in seinem Rahmen aufgefaßt ward. Eine kleine Thür führte neben dieser Toilette in das oft erwähnte, durch schwere Verbrechen bezeichnete kleine Boiseriezimmer, wo neben dem Kamin, wie ein fürchterlicher Gedenkstein, der kleine, schwere, eichene Eßtisch stand, den Niemand fortgeschafft hatte, an dem Rizzio fiel, und um den vier hohe eichene Stühle standen, von denen nur der eine, gegen die Wand gerückte, Seitenlehnen, ein Kissen von dunklem Sammt, und oben auf der Lehne eine Krone hatte.

Von diesem unheimlichen, und doch, seiner Natur nach so einladenden Zimmer, führte eine Thür in den Audienzsaal, wo der Thron stand, der diese Schönheit, diese Schutz bedürfende Frau nicht vor der Gewaltthat ihres Volkes schützen konnte. In diesem Saale, wo die Gemälde der schottischen Könige hingen, und am Ende der Reihe Maria's Bild in ihrem schwermüthigen Reiz, wandelte Montrose oft, wenn die untergehende Sonne diesen Raum belebte. Dieser Saal hatte eine Thür, die nach einem kleinen freien Platz mit hohen Lindenbäumen führte, welcher auf den Befestigungen lag, und von wo aus man von außen diese Zimmerreihe erreichte, die sich mit Darnley's Zimmern schloß, welche wieder mit der Wohnung des Gouverneurs zusammenhingen.

Montrose hatte lange unter dem Schatten der Linden geträumt; er wandelte jetzt durch den großen Saal, und seine Augen schweiften von einem Bilde zum andern; er fragte sich ihre Geschichte ab, und seine Gedanken wurden durch Jakobs lange Gestalt gefesselt. Mit tiefer Empfindung dachte er an das Schicksal seines Sohnes, und ein ironischer Seufzer glitt aus seiner Brust, wenn er Beider Handlungsweise verglich, das Urtheil der Menge darüber und das Maaß ihrer Verschuldung an den gegenwärtigen Zuständen überdachte – »ja!« rief er unwillkürlich, indem er in das behaglich lächelnde Gesicht des selbstzufriedenen Jakob sah – »du hast mit deiner engherzigen Sicherheit deinem Sohne sein gegenwärtiges Geschick so sicher vorbereitet, daß man den rohen Scherz kaum bezwingen kann zu sagen: daß dies deine wirksamste Thätigkeit gewesen ist. Aber unter einer Last, sie sei noch so schwer, die nach und nach durch Gewohnheit, durch die Ueberlieferung von Vater auf Sohn heran schleicht, wehrt sich die Masse nicht, sie erlahmt, sie ergraut mit den Zuständen und hält still, weil es das Alte ist. – Wehe aber dem, der auf den Trümmerhaufen steigt und sagt: So geht es nicht mehr – ich bin die neue Zeit! – Keiner wird daran denken, daß es eben Trümmer sind, über die er sich erheben will, die er wieder aufbauen will. – Niemand wird sich sagen: Trümmer brechen und werden Schutt, wenn sie angerührt werden, und wenn der Schritt unsicher wird unter ihren Resten und der Weg von ihnen versperrt, oft nicht in ebener Gleichmäßigkeit, die jeder Zuschauer mit übersehen kann, zurückgelegt werden kann, dann fühlt sich Jeder beeinträchtigt und schreit nach dem alten, bequem gewordenen Wege und verwünscht den neuen und vergißt, daß ihm nur Trümmer genommen sind, die reif zum brechen, über ihn hätten zusammen stürzen müssen – und anstatt kräftig die Hände zum Aufräumen mit zu rühren, heben sie sie zum Klagen empor, endlich zum Rachedrohen gegen den, der für sie handeln muß, und mit ihnen leidet durch die Bedingnisse der Zeit, die zu ihrer Entwicklung nothwendige Zugeständnisse bedarf, und die Keiner in seinem Wahn ihm geben will! Deine Sicherheit, Jakob! war das furchtbarste Vermächtniß für deinen Sohn!«

Unter traurigen Gedanken betrat er das Kabinet – und indem er die große Thür öffnete, fiel die volle Glut der untergehenden Sonne, die hinter ihm her durch die Thür eindrang, blendend auf die gegenüberliegende, welche geöffnet mehrere eintretende Personen zeigte, die ihn im ersten Augenblick das blendende Licht, seine in Träume versenkte Seele und die Ueberraschung verkennen ließ.

Es war Urica, die in einem schwarz sammtnen Reisekleide mit eben solcher Sammthaube, von der ein langer golddurchwirkter, schwarzer Florschleier niederfiel, in ihrer vollen Schönheit vor ihm stand – hinter ihr mit abgezogenen Barets, der Gouverneur von Holyrood und Sir Crafton.

Nie konnte Montrose – lange nachdem er das Glück begriffen hatte, daß er Urica sehe – aufhören von dem wunderbaren Eindruck zu sprechen, den ihm ihr Anblick gemacht! Es schien sogar, als habe er einen Augenblick länger als nöthig den Zweifel festgehalten, und er gestand ihr oft nachher in der Sicherheit seines Glückes ein, wie es ihn fast wie eine wahr werdende Geistergeschichte mit Grauen und Entzücken erfüllt habe, auf derselben Stelle, wo er oft Maria Stuart zu sehn geglaubt, nun eine eben so schöne königliche Frau zu erblicken, die sogar in ihrer Kleidung ihn an sie erinnern mußte.

Die Gegenwart der Herrn verhinderte den ganzen Ausbruch des Gefühls, von dem Montrose und Urica bei ihrem Anblick sich ergriffen fühlten – aber der Blick, den sie ineinander versenkten, sagte ihnen Alles.

»Wir hätten den Versuch nicht machen müssen, uns in dieser bewegten Zeit zu trennen!« sagte Urica mit edler Wärme – »ich hatte meine göttlichen Rechte dir überall zu folgen noch nicht vollständig gewürdigt!«

»O Urica!« sagte Montrose – »wer kann dich selbst, so wie ich dich liebe, vollständig würdigen – eben hast du mich gelehrt, daß du meine Phantasie überbietest!«

Ermüdet suchte Urica einen Platz und es sollte so sein, daß der Gouverneur selbst den hindernden Stuhl wegzog und Urica auf dem Sessel der Königin Platz nahm. Montrose's Schwärmerei wollte sein Herz sprengen, er sah die Männer an, die schon Blicke wechselten und Beide denselben Eindruck, halb Scheu, halb Entzücken zu theilen schienen.

Der Gouverneur, der bezaubert von Urica's Schönheit, nur wünschte ihr dienen zu können, wartete ihrer Befehle in Hinsicht der Wohnung, die sie einzunehmen gedachte, und Urica, welche sich sehnte, mit Montrose allein zu bleiben, bat Sir Crafton, der es so wohl verstehe, wie sie dankbar hinzufügte, für ihre Pflege zu sorgen, darüber mit dem Herrn Gouverneur Verabredung zu treffen.

»Doch,« sagte sie plötzlich, indem sie das Zimmer der Königin betrachtete, das allen Zauber einer häuslichen Behaglichkeit hatte – »darf ich hier nicht bleiben? Wie schön sind diese eingelegten Wände, dieser prachtvolle Kamin – und dieser Platz mit Stühlen schon umgeben, er ladet zu gemüthlicher Ruhe mit einigen theuren Freunden ein, und dieser herrliche Fensterbogen mit seinem magischen bunten Scheibenlicht – ich bliebe hier am liebsten!«

»Euer Gnaden haben zu befehlen,« sagte der Gouverneur stockend – »aber – es ist – es wäre das erste Mal, wenn es bewohnt würde! – Se. Herrlichkeit der Herr Marquis bewohnen die königlichen Apartements – Milord von Darnley bewohnte einst die Zimmer des Herrn Marquis – hier – hier.«

Urica war blaß geworden – sie stand auf und sich mit ehrerbietiger Scheu umblickend, sagte sie leise: »Und hier wohnte seine Gemahlin die unglückliche Königin Maria – hier« – sagte sie stockend – »hier,« und zeigte auf den verhängnißvollen Platz, den sie verlassen – »hier – ich verstehe jetzt – und bestehe nicht mehr darauf, in diesen Räumen zu wohnen, obwohl ich sie oft besuchen werde. Der Ort, woran so verhängnißvolle, geschichtliche Katastrophen haften, wie an diesem Zimmer, soll die Nachkommen mit Scheu erfüllen, und mit der heiligen Ehrfurcht vor den unergründlichen Wegen der Vorsehung – solch ein Platz gehört allen Nachkommen – ich würde erröthen, ihn zum häuslichen Leben der Gegenwart zu verbrauchen.«

Diese Erklärung war für Alle eine Art Erleichterung, und der Gouverneur schickte sich sogleich mit Sir Crafton an, die beste Einrichtung für die Wohnung der jungen, ermüdeten Marquise zu treffen.

Als Beide allein waren, brach Urica in Thränen aus, und Montrose verstand sie so wohl, daß er sie sanft aus dem Zimmer führte und erst ihren an seiner Brust verhüllten Kopf aufhob, als sie den Audienzsaal bis gegen die Thüren, welche nach dem schattigen Gartenplatz führten, durchschritten hatte. Hier hielt er sie auf; er wußte, es würde ihr das Herz erquicken, wenn sie den grünen Schatten der duftigen Linden, den herrlichen Blick dahinter in die weite Ferne sehen werde; aber sie standen zugleich in einer Linie mit dem seitwärts von ihnen hangenden Bilde der Königin Maria, und er wünschte sein schönes, junges Weib in die Reihe zu stellen mit dieser mächtigen Helena!

Urica folgte seiner liebevollen Absicht und ihr thränenschweres Auge haftete erquickt an dem erquickenden Tableau, was in dem Thürrahmen vor ihr lag. »Ich verstehe dich, theurer Montrose,« sagte sie mit sanftem Lächeln –

»Ist das ein Gefängniß?« sagte Montrose und beugte das Knie, indem er innig zu ihr aufsah – »wo Urica erscheint, wo ich sie willkommen heißen kann unter dem Schatten grüner Bäume?«

»Montrose,« sagte Urica – »vergieb mir meine Weichheit, von der ich gegen meinen Willen überrascht wurde – ich will dich durch Erwähnung der heimlichen Vorwürfe, die ich mir mache, nicht ermüden, denn du würdest bemüht sein, sie mir auszureden, und das Eine wie das Andere nimmt die Folgen nicht zurück, die über dich gekommen sind – aber, wenn der Anblick deiner Urica, wenn ihre Nähe dies Gefängniß erweitern und seine Zustände erleichtern kann, dann versprich mir, daß du mich von nun an nie mehr von dir trennen willst, daß ich dich begleiten soll, unter welcher Gestalt und zu welchen Forderungen es sein möge.«

»Urica,« sagte Montrose unsicher und drückte sein Gesicht in ihre Hand – »vielleicht übersiehst du meine Verhältnisse noch nicht genau; lass mir Zeit zu einer Antwort, von der so viel abhängt – «

»Nein, nein!« rief Urica mit einem schönen Ungestüm – »nein, Montrose! die Umstände haben kein Recht über den freien Entschluß unserer Herzen, von denen allein die Beantwortung der Frage abhängt. O, ehre mich, indem du einwilligst – mache mich stolz, indem du mir mehr wie Andern vertraust – stähle meine Kraft, indem du ihr zutraust, daß sie die Probe aushalten wird! O, Montrose, liebe mich so, daß du nicht meine weiblichen Schwächen dazu nöthig hast – theile mit mir wie ein Freund, wie ein Kamerad dein ganzes Leben – ach! was suche ich nach Bezeichnungen, theile es mit mir als das, was ich bin, worin alle andern Rechte eingeschlossen sind, als dein Weib.«

Urica widerstand nicht, als Montrose sie nach diesen Worten mit Entzücken an seine Brust zog – er sprach nicht – aber Beide waren nun auf's Neue eingesegnet für jedes Verhängniß der Zukunft, und sie fühlten in dieser seligen Stunde nichts, als daß in der Fähigkeit sich zu lieben, die Ausgleichung aller äußeren Zustände liegt.

Dann zog Montrose sie vor das Bild Maria's hin und Beide betrachteten es lange mit tiefer Wehmuth, und indem sie sich in psychologische Abwägungen einließen, kamen sie zu dem Schlusse, daß Maria Stuart nie die Liebe habe kennen lernen, daß sie danach gesucht habe mit dem glühendsten Bedürfniß, mit der Gewißheit in ihr die Vollendung des Lebens zu finden, aber daß sie keinem der Männer, von denen sie, so unvollkommen wie sie ihrer Natur nach waren, geliebt wurde, dies Gefühl anders, als mit der Täuschung, die sie sich selbst gewebt, erwidert habe, daß sie darum so untreu erschienen sei, weil sie mit der Klarheit ihres Geistes die Täuschung über das erbärmliche Individuum nicht festzuhalten vermocht und sich dann der Verrath, den sie an sich begangen habe, mit Haß gegen das in ihre Verschuldung verflochtene Individuum gewendet, und ihr die dämonische Wildheit einer rächenden Nemesis gegeben habe.

Dabei standen diese beiden glücklich Liebenden, die ihr aus der eigenen beseligenden Erfahrung das Schicksal ihres mißverstandenen Herzens erklären wollten, vor ihr, und es war ihnen, als ob in den schwermüthigen Augen, die sie fest auf sie richtete, ein alter Seelenschmerz aufglühte, als ob diesen lebenathmenden Mund ein sanftes, dankbares Lächeln umzöge für die späte Gerechtigkeit – sie stand so erhaben und edel unter dem Throne, sie schien ihre Hoheit so zu fühlen, und das purpurrothe Sammtkleid hob gegen den Hermelin des Königsmantels die schlanke reizend geformte Gestalt.

Das ganze reine Oval ihres vollkommenen Gesichts trat frei unter der Spitzenhaube von rothem Sammt hervor, worüber die Krone leuchtete und der lange Goldflor des Schleiers niederfiel – diese schlanken weißen Hände, die so viel Wunder ihres Geistes an das Licht zaubern halfen, hielten die schweren Versuchungen ihres Lebens, den Zepter und den Rosenkranz, und es schien, als ob sie den Ersteren nur zum Schutz des Letzteren gefaßt hielte.

»O Montrose,« rief plötzlich Urica – »wenn sie dich gekannt hätte, hätte sie die Liebe gekannt!«

Betroffen und erröthend sich so verrathen zu sehen, sagte Montrose: »Und sie war meine Muhme« – dann führte er seine schöne Gemahlin auf ihren Wunsch zurück, und sie betrachtete noch einmal die Zimmer der königlichen Frau, und Urica sank nachdenkend auf den kleinen Ankleidestuhl vor der Toilette hin und blickte in den Spiegel, als müsse er noch die Spuren der Schönheit verrathen können, die er aufzufassen gewußt – aber sie sah nur ihr eignes Bild und von dem trüben Stahl fast farblos wiedergegeben, und Montrose, der, jetzt eben herantretend, sich über sie neigte, erschrak fast, als er dies blühende Gesicht wie die Leiche desselben sah – als Urica aber zu Montrose's Spiegelbild aufsah, stieß sie einen Schrei aus, drückte beide Hände vor die Augen und rief, außer sich, aufspringend, indem sie ihn mit seltsamer Verwirrung anblickte: – »Dein Hals – dein Hals durchschnitten!« Sie sank zitternd an seine Brust – er aber hob ihr blasses entsetztes Gesicht lächelnd auf und überredete sie noch einmal, in den Spiegel der Maria Stuart zu blicken, wo sie dann, obwohl noch immer schaudernd, den großen schwarzen Roststreifen gewahrte, der quer über den Spiegel lief und sich um Montrose's Hals gelegt hatte, als er über ihr hinein sah.

»Ach,« sagte Montrose lächelnd und doch nachdenkend – »Keiner halte sich sicher, wenn er so kühn wie wir Beide die Phantasie herausfordert – sie wird gleich versuchen, wie weit sie es treiben kann, und wir sehn, daß wir unserer Geistesstärke vielleicht zu viel zugetraut!«

Er führte seine holde Gemahlin, welche angegriffener war, als sie es gern eingestehen wollte, nach seinem Zimmer, um sie der Magie der Erinnerung zu entziehen, und bald erschienen die Herrn wieder, um Urica ihre Zimmer zu zeigen, welche sie nicht von ihrem Gemahl trennten und doch die nöthige Bequemlichkeit für ihre Bedienung zuließen.

Es begann nun für Beide ein wunderbar seliges Leben, ein Glück, wie es nur die monarchische Gewalt der Liebe zu geben vermag, ein Glück, was völlig isolirt, was nichts nöthig hat, als sich selbst, und ihm jede Berechtigung zugesteht.

Montrose war von der Wichtigkeit seines jetzigen Glückes so überzeugt, daß, wenn er zu einer Betrachtung darüber kam, er oft mit dem kühnen Uebermuth seiner Gefühle ausrief: »Urica, giebt es einen seeligeren Aufenthalt für glücklich Liebende, als ein Staatsgefängniß, was die ganze Welt abhält mit ihren lästigen Störungen – was diese glückliche Unthätigkeit nöthig macht, die den Geliebten alle Rechte an Zeit und Gedanken gönnt?«

»Montrose,« sagte Urica – »du bist in Allem ganz! Auch die schöne Unvernunft der Liebe empfindest du vollständig, und darum so rein ihr hingegeben, weil du dich so wohlbegründet fühlst in deiner ganzen Natur, daß du auch unserem jetzigen Glück ohne Scheu allen Einfluß über dich zu gestatten den Muth hast. Montrose, ich nehme mit derselben Sicherheit diese schöne Zeit von dir an – aber ich werde dich verstehen, wenn du die Rosenkrone von deinem Haupte nimmst und den Helm aufsetzest – Du wirst dann deiner Urica eben so sicher sein, wie sie deiner jetzt!«

»So wird es sein,« entgegnete Montrose mit Ruhe und Sicherheit – »und wie ich höre, ist Argyle eingezogen, und er wird die Dinge zur Entscheidung bringen, denn er weiß gewiß deine Anwesenheit – dann wird er hoffen, uns trennen zu können – dann wird er abwägen, was mir am empfindlichsten sein könnte, und das wird er mir zu rauben suchen – dann wird ihm meine öffentliche Stellung unwichtig erscheinen, und er wird sie mir lieber gönnen und trachten, sie mir zurück zu geben, weil sie mich von dem höchsten Glück zu trennen verspricht, wogegen ihm alles Andere gering erscheinen wird. Dies Verhör, worum ich so lange vergeblich gebeten habe, es wird mir bald angekündigt werden, und es wird meine Kraft nicht schwächen,« setzte Montrose, die königliche Brust mit einem Lächeln dehnend, hinzu – »daß ich ihn zu meinem Äegner haben werde.«

»Ha,« sagte Urica, gleichfalls lächelnd – »mein edles Schlachtroß, hörst du den Schlachtruf und schüttelst die Mähne und schnaufst in dein Gebiß?«

»Nein,« sagte Montrose und setzte sich zu ihr unter den Schatten der Linden – »noch nicht! Laß uns den schönen Chor der Eumeniden des Aeschylus lesen – das sind ewige Schönheiten – der edle Geist des Menschen bleibt in Ewigkeit derselbe!«

Ein Diener unterbrach diese genußreiche Ruhe, er kündigte eine Deputation des hohen schottischen Parlaments an Milord von Montrose an –

Während er befahl, sie einzuführen, blickten Beide sich lächelnd an: »Ein Gruß von Argyle« sagte Urica.

Montrose wußte die Verhältnisse seiner Landsleute, und ihre Stellung zu ihm, und der von ihm vertretenen Sache, zu richtig zu beurtheilen, um durch den Erfolg, den er bei seinen Richtern erwartete, sehr getäuscht werden zu können. Doch mehr noch, wie der Marquis es in seiner Abgeschlossenheit voraussetzte, hatte sich die Auflösung in seinem Armeecorps gezeigt, und es höchst bedenklich gemacht, ihn länger davon zu entfernen, da ein so bedeutendes Streitcorps, eben so wenig zu entbehren war, wie nach den eben mißglückten Versuchen, durch andere Offiziere zu erhalten. Diese eben erst geworbenen Truppen, die ihre Dienste wie eine Privatangelegenheit mit Montrose betrachteten, dessen Genie die Mittel kannte, sie an sich zu fesseln, und sich gehorsam zu machen, waren jetzt, da ihr Feldherr fehlte, zu ganzen Schaaren in ihre Heimat zurückgekehrt, und alle erdachten Bestrafungen und Belohnungen blieben erfolglos, da sie, als ob sie die ihnen vorgehaltene Verschuldung nicht begriffen, immer zur selben Zeit ruhig und bequem ihre Entschlüsse ausführten, die in nichts weniger, als der Absicht bestanden, nicht mehr Soldaten sein zu wollen, sondern bloß so lange, als Montrose abwesend sei, nach Hause zu gehen und dort bis dahin, daß er sie zurückrufen werde, etwas für Haus und Hof zu verrichten.

Montrose erfuhr, ehe er zu den versammelten Covenanters geführt ward, von Einigen seiner Anhänger diesen trostlosen Zustand seiner geliebten Truppen, und die volle Entrüstung erfaßte ihn gegen den Unverstand seiner Gegner, die ein so schön und erfolgreich eingeleitetes Werk, als dieses Armeecorps bereits war, durch ihre hämischen und thörichten Maaßregeln muthwillig zerstört hatten.

In dieser unwilligen Aufregung trat Montrose vor die, die sich anmaßen wollten, seine Handlungen zu prüfen, zu tadeln und ihn zu richten, und er konnte in den Zuständen, wo seine starken Gefühle aufgeregt waren, etwas Fürchterliches haben, wogegen sich zu behaupten, wenigstens ein eben so gutes Recht, als das Seinige gehörte. So kam es, daß er kaum eingetreten, als er die vor sich sah, die mit ihrem kleinlichen, hämischen Willen so Großes zerstört hatten, plötzlich von dem tiefsten Unwillen ergriffen, die Stille, die sein Eintritt bewirkt hatte, benutzte, und indem er stolz und drohend bis zur Tafel vorschritt, ihnen mit feurigen Worten ihren Unverstand, ihre Treulosigkeit gegen die Sache des Vaterlandes, und ihr unverzeihliches Zögern, die Folgen ihrer Thorheit gut zu machen, vorwarf – und indem er den eben vernommenen Zustand seines noch vor Kurzem so wohlgeordneten Armeecorps ihnen vorhielt, sie mit harten Worten für die Folgen verantwortlich machte.

Das Erstaunen, die Verwirrung, die während Montroses Vortrag seine Widersacher erfüllte, war in dem Maaße steigend, als Niemand zuletzt mehr wußte, wie nach dieser raschen Wendung das eigentliche Verhältniß der sich Gegenüberstehenden war. Die Absicht, Montrose anzuklagen, die doch zum Grunde ihrer Versammlung gelegen, war fast nicht mehr fest zu halten, denn so lebhaften, gerechtfertigten und durch Thatsachen, die ihnen Allen nur zu wohlbekannt waren, unterstützten Vorwürfen gegenüber, sahen sie sich in dem Fall der Vertheidigung – und es war eine Zeitlang ein machtloses Ringen, sich aus dieser umgekehrten Stellung heraus zu bringen, denn Montrose war durch seinen Schmerz, über die Auflösung seines schönen Corps, mit solcher zornigen Geistesschärfe bewaffnet, daß er, wie im Fluge, als elende, nicht der Beachtung und der Beantwortung werthe Einwürfe, die Beschuldigungen abfertigte, welche die Muthigeren unter seinen Gegnern ihm entgegenstellten, um ihn zur Erkenntniß zu bringen, daß er seine Abberufung, und die daher entstandenen Folgen sich selbst schulde. Aber wie der Sand am Meere gegen die ungestümen Wellen Stand halt – so das Parlament gegen Montrose – er war weder in die gesetzliche Form zu bringen, noch zu einem ruhigen Anhören ihrer vorher überlegten Reden! Unvorbereitet auf diese Wendung war er selbst, und er dachte mit keinem Gedanken mehr an das, worauf auch er sich vorbereitet hatte – hier galt nur die eine Frage: »Wollt ihr mir meine Feldherrnstelle zurückgeben oder nicht?« Das hatten sie allein zu beantworten, ohne Vor- und Gegenrede, und Montroses zorniger Schmerz ließ keine andere Diskussion aufkommen. Das wollten sie nun Alle – Freund und Feind – sie wollten es um so mehr, da sie voraussahen, daß eine nur schwankende Antwort, eine Bedingung – und er verließ sie augenblicklich und schloß sich entschieden dem Könige an. Wenn sie nun erfahren hatten, wie dieser eine Mann ein ganzes Armeecorps war, wie sie nur durch ihn es besaßen, und durch ihn allein Hoffnung hatten, es wieder zu gewinnen, so mußten sie bei ihrer zweideutigen Stellung zum Könige fürchten, ihn durch solch' einen Mann auf ihre Unkosten zu verstärken.

Dazu kam, daß Argyle das Zusammentreffen mit ihm vermieden hatte, und nicht im Parlament gegenwärtig war, weil er die kühne Offenheit Montroses fürchtend, nicht wünschte, daß dessen Aussagen das Dunkel aufhellen möchten, worin er bis jetzt die Briefangelegenheit, die er vor das Parlament gebracht, gehüllt hatte – damit entging aber der feindlichen Partei, die Hauptstütze eines geschickten und muthigen Redners – und das Ende war eine durch Montrose fast diktatorisch herbeigeführte Entscheidung, welche ihn in seine vollen Rechte einsetzte, mit fast erweiterter Macht, oder vielmehr ohne alle Bedingungen und Einschränkungen, wogegen er es unternehmen wollte, seine braven, ihm vertrauenden Soldaten zurück zu rufen, und dies Corps alsdann gegen die von den englischen Parlaments-Truppen bedrohten Grenzen aufzustellen.

Wie ein Sieger verließ Montrose das Parlament – aber weder Triumph noch Freude lag auf seiner glühenden Stirn. Ein ernster Unwille verdunkelte diese schönen Züge, eine tiefe Traurigkeit wohnte in seinem Herzen, denn er hatte mit seinem großen Scharfblick die traurige Schwäche, die planlose Zerrissenheit der Korporation erkannt, welche sich an die Spitze seines Vaterlandes gestellt, mit der Anmaßung, es unter den schwierigsten Umständen zu leiten. Welche Gedanken diesen kühnen Geist berührt, verrieth er sich selbst, als er auf die große Freitreppe vor dem Rathhause hinaus trat, und von dem Jubelruf einer unabsehbaren Volksmenge begrüßt, in die Worte ausbrach: »So entstehen Usurpatoren!« Niemand hörte diese Worte – die Offiziere seines Corps, die, von ihren Soldaten verlassen, das Parlament seit lange mit ihren Klagen bestürmt hatten, stürzten jetzt die Treppen hinan – sie küßten seine Hände, seine Füße, und nur der mächtige Ernst, mit dem Montrose diese ungestümen Ausbrüche in ihre Schranken zurückwies, verhinderte einen förmlichen Triumphzug, der Montrose, getragen auf den Händen seiner Getreuen, zu Urica zurückgebracht haben würde.

Doch stets die Zeit nutzend und richtig würdigend, was jeder Augenblick darbietet, redete er mit lauter klingender Stimme bald zum Einzelnen, bald zu Mehreren ernste, ermahnende Worte, die oft von mäßig und richtig gebrauchten Vorwürfen begleitet, zu gleicher Zeit Alle zu schneller Thätigkeit für die neu zu begründende Organisation des so schmälich aufgelösten Armeecorps antrieben. Während er sich langsam durchdrängte, um bis zu seinem Pferde zu kommen, hatte er schon wichtige Befehle ertheilt, und ein zweckmäßiger Plan, das Versäumte einzuholen, hatte schon angefangen ins Leben zu treten, ehe er sich in den Sattel warf, und nur der stolze Eifer, den geliebten Feldherrn bis nach Holyrood zu begleiten, verhinderte um einige Stunden, daß nicht die von Montrose's Maaßregeln ausreichend unterrichteten Officiere sogleich in die vollste Thätigkeit übergingen.

Montrose konnte nicht verhindern, daß sich ihm Alle nachdrängten – nicht mehr der Gefangene an der Seite des Gouverneurs, sondern jetzt ehrerbietig von ihm gefolgt, ritt der Liebling des jubelnden Volkes auf seinem, sich stolz hebenden Pferde nach dem Schlosse, bei dessen Anblick ihm erst die Gedanken an Urica und seines Herzens Glück zurückkehrten. Schnell stieg sein Pferd unter einer hastigen Bewegung seines Reiters in die Höhe, als theile es die wiederkehrende Empfindung seines Herrn, und nach einigen hastigen Befehlen an seine Umgebungen, flog er die Reihen durchbrechend, dem Stern seines Lebens entgegen.

Urica stand in Mitte des Audienzsaales, in dem sie umher wandelnd, ihre gefaßte Stimmung zu erhalten bestrebt gewesen war. In dem Augenblick, als die Thüren sich öffneten und sie Montrose in seiner leuchtenden Schönheit und von der geistigen Aufregung der vergangenen Stunden auf das seelenvollste belebt eintreten sah, sank der letzte Schatten der Befürchtung in ihre Brust zurück, und ihr schien es, an diesem Helden habe der böse Wille der Menschen keine Macht.

»Montrose,« sagte sie, ihm die Hand entgegenstreckend – »mein Sieger! wie konnten sie auch versuchen, an dich die Hand zu legen!«

»Ich habe dir also nichts mehr zu sagen?« rief Montrose, innig beglückt durch die Zuversicht Urica's, und küßte knieend die geliebte Hand – dann führte er sie unter die Schatten der Linden und, indem er dieser würdigen Vertrauten den Verlauf des Vormittags mittheilte, bemächtigte er sich des Inhalts auf's Neue, um damit zugleich einen festen Plan für seine nächsten Schritte ins Leben zu rufen.

Urica war an den Punkt gekommen, den sie sich selbst richtig prophezeit hatte – Montrose nahm die Rosenkrone ab und schon hatte er den Helm auf sein stolzes Haupt gedrückt. Aber ihr Herz erbebte nicht in kleinlicher Selbstsucht, sondern ihre kräftige Brust dehnte sich, um Raum zu gewinnen für die hochherzigen Gefühle, die sie mit ihm zu theilen entschlossen war; denn nichts wollte sie von ihm fordern, nichts von ihm annehmen, was fortan nicht bestehen könne mit den wichtigen Forderungen seines Berufs.

Eben so schnellen entschlossenen Sinnes, als ihr Gemahl, folgte sie mit einem farbigen Stift in der Hand den Reiseplänen Montroses, die ihn an verschiedene Punkte des Landes hinriefen, und welche er in seinem Taschenbuche aufschrieb – und ein kleines Zeichen, welches sie an verschiedenen Punkten daneben machte, entging zu Anfang ganz der Aufmerksamkeit Montrose's.

»Gut,« sagte Urica, als er diese Beschäftigung mit der Bemerkung schloß, daß er im Laufe des andern Tages abzureisen gedenke – »so werde ich einige Stunden früher aufbrechen und du wirst mich alsdann auf diesem Ruhepunkte bei Lord Napier von Merchiston, wo du deinen ersten Sammelplatz zu machen denkst, finden.«

Voll Erstaunen blickte Montrose in die ernsten und festen Züge seiner Gemahlin, und er vermochte zuerst nur ihren Namen herauszubringen.

Aber sie waren Beide dazu bestimmt, dadurch, daß sie sich so vollständig verstanden, von ihren Bedenklichkeiten für das Wohl des Andern durch die Kenntniß ihrer unbezwinglichen Natur zurückgebracht zu werden – und der Widerstand, den auch jetzt Montrose leistete und der Urica's Willen unbesiegt ließ, dauerte nicht so lange, um Beide zu ermüden, sondern in voller Kraft und Machtvollkommenheit gaben und nahmen Beide von einander die heiligen Gaben ihrer edlen und innigen Liebe.

Montrose begab sich sodann nach einem, auf seinen Befehl schnell zugerichteten Bankett in die untern Säle des Schlosses, wo er sich, weniger streng aufgeregt, die enthusiastischen Liebesbeweise seiner Officiere gefallen ließ und indem er auch hier den Genüssen der Tafel das Maaß zu halten wußte, benutzte er diese Gelegenheit, um sie in der Gesammtheit anzureden und von ihnen einen unverbrüchlichen, unwandelbaren Gehorsam gegen seine Befehle zu verlangen und ihnen mit erschütternden Worten ihre Fehler vorzuhalten. – Dann belebte er ihr gedemüthigtes Gefühl wieder durch ein schönes, warm und offen ausgesprochenes Vertrauen zu ihren neuen Diensten, und als er sie endlich entließ, sandte er diese auf Leben und Tod ihm ergebenen Anhänger, gleich feurigen Kometen in allen Richtungen fort, deren rastlosen Lauf keine Macht aufzuhalten vermocht hätte.

Als Montrose am Abend zu Urica zurückkehrte, fand er einen rührenden Schatten von Wehmuth auf ihrem lieblichen Gesicht, und sie nahm mit einigen Thränen, die sie bei seiner Anfrage auf's Neue vergoß, einen Brief und ein kleines Kästchen aus ihrem Kleide und sagte ihm, daß es Nachrichten aus Holland seien.

Der Brief, durch die Gräfin Comenes befördert, war von Angela, und ihm beigegeben ein alterthümliches Kästchen, worin Montrose einen kleinen, sehr schön gearbeiteten Ring von Gold und Rubinen sah, dessen ungewöhnliche Form die Aufmerksamkeit fesseln mußte.

»Wem gehört dieser Ring?« fragte Montrose lebhaft. – »Jetzt mir,« sagte Urica besonders feierlich – »denn ich bin nun die älteste Frau der Casambort und meine unglückliche Schwester Brigitta lebt nicht mehr!«

Nach einiger Sammlung, welche die zarte Teilnahme ihres Gemahls um so schneller herbeiführte – schritt Urica zu der Uebernahme des geheimnißvollen Ringes, indem sie ihn nicht ohne geheimes Herzklopfen an den kleinen, ihr, wie die Sage überlieferte, dazu verliehenen Finger schob – und das eine Wunder blieb wenigstens gewiß, daß, obwohl er an Brigitta's abgezehrten Finger gepaßt hatte, er doch eben so sicher den runden, weichen Finger Urica's umschloß, und daß er ebenfalls nicht wieder abzuziehen war, welches Montrose jedoch liebkosend auf die kleinen zarten Grübchen dieses schönen Fingers schob.

Angela's kurzer Brief lautete wie folgt:

»Geliebte Muhme von Casambort!
Theure Urica!«

»Nachdem meine geliebte Mutter, Eure theure Schwester, in ihren Frieden dahin gegangen ist, ohne ihre Seele wiederzufinden, die erst am Throne unseres ewigen Vaters zum Bewußtsein erwachen wird – gedenke ich in Demuth, daß Ihr o! meine so spät gefundene Muhme, die Aelteste des Hauses Casambort seid und sende, wie es Sitte in unserer Familie, den Ring, welcher leicht von dem todten Finger meiner armen Mutter zu nehmen war, an Euch, da Ihr allein befugt seid, ihn fortan zu tragen.

Ihr wißt, daß Gott mir ein süßes, kleines Mädchen geschenkt, welches durch meine Liebe zu Euch und meine inbrünstige Sehnsucht in seiner Bildung von beiden Eltern weit abweicht und Eure goldenen Locken, Eure veilchenblauen Augen hat – ich nannte es nach unserer spanischen Aeltermutter Floripes, und Frau von Marseeven hielt es über die Taufe und bestand darauf, daß in dem Kirchenbuche verzeichnet ward: Floripes, Casambort, Gröneveld – und dann erst der Name, den Ihr kennt und der Euch so weh that –

Wie ich durch unsere Muhme von Marseeven weiß, habt Ihr eine Heirath geschlossen, die Euch beglückt und voll Ehre und Würdigkeit ist; ich gedenke dessen zur Erquickung meines Herzens, und die Pflicht, für Euch zu beten, wird mir dadurch eine noch reichere Zugabe meines Lebens, da ich auch Euren mir unbekannten Gemahl darin einzuschließen habe. Gott segnet meine Seele mit dem Frieden, der über die Vorfälle dieser Erde reicht – wenn Ihr in Eurem schönen Glück meiner gedenkt, so laßt es in Vergebung und Versöhnung geschehen, wir haben ja alle unter dem Willen des Himmels gestanden immerdar.

Voll Inbrunst flehe ich den Seegen des erbarmungsvollen Gottes über Euch und Euren hohen Gemahl herab und gewähre mir die Befriedigung, mich zu nennen Eure demüthige

Muhme Angela van der Nees,
geb. van der Gröneveld.«

»Ich fühle, daß dies von mir durch so grausame Schicksale getrennte Wesen eine warme Theilnahme in meinem Herzen besitzt,« sagte Urica – »und daß in dieser unscheinbaren Hülle ein Kern ist, der ihr zu der Würde des Innern verhilft, die sie vor jeder weiteren Demüthigung sicher stellt – ich wenigstens empfinde für sie eine Zärtlichkeit, die an Ehrerbietung grenzt, und wenn ich denke, wie dies arme Wesen vom ersten Hauche des Daseins an erdrückt und zu dem niedrigsten Leben verbraucht ward, so fühle ich voll Achtung, daß es eine starke und sehr edle Natur sein mußte, die so mit einem Male unter tausend Schmerzen zu einem andern Dasein geweckt ward und sich mit sich selbst so vollständig zurecht finden konnte.«

»Wir wollen ihr immer diese achtungsvolle Liebe erhalten,« sagte Montrose – »ich bitte dich, suche ihr meinen Namen beizubringen und versichere ihr dann, wie sehr ich sie ehre, und wie sie in mir an deiner Seite stets einen treu bereiten Verwandten haben wird.«

»Weiter,« sagte Urica – »sind hier Briefe von Mistreß Crafton. Mit der Gesundheit beider Kinder geht es fortdauernd gut, und Harry scheint unter der Aufsicht des Master Weston sich körperlich vortheilhafter zu entwickeln. Dagegen,« fuhr Urica fort – »scheint Lady Southhesk, von meiner Nähe befreit, Castletown viel angenehmer zu finden. Sie hat sich, wie es scheint, für längere Zeit dort eingerichtet und behält so Harry unter ihrer Leitung. Dessenungeachtet läßt sie es zu, daß unser würdiger Kaplan den Unterricht Harry's mit dem Pater O'Reil theilt, doch immer in seiner Gegenwart. Daß der Knabe aber unter der jetzigen Behandlung gedeiht, scheint sie nicht zu übersehen, und ist daher im Ganzen ziemlich herablassend gegen Weston. Jane ist dagegen die Alte – wenn sie ihre Großmutter ärgern will, hält sie sich zu Mistreß Crafton – erzürnt diese sie mit irgend etwas, so folgt sie wieder der Lady Southhesk – und mich gebraucht sie noch immer als Zankapfel, denn nun sie mich sicher los ist, hört sie nicht auf, Allen, die sie damit zu ärgern hofft, zu erklären – ich wäre die einzige Person, die sie lieben könne und wolle – die Beste, die Klügste, und sie würde Alles behalten, was ich ihr gesagt. – Dies soll oft gewaltige Scenen zwischen Großmutter und Enkelin erregen, woran Jane leider ihren Spaß zu haben scheint.«

»So traurig diese Nachrichten über Jane klingen,« sagte Montrose – »wird es doch meine Ueberzeugung nicht erschüttern, daß dein kurzes Beisammensein mit diesem unglücklichen Kinde dennoch einen Keim zu etwas Besserem in ihr entwickelt hat, dessen sie sich selbst sehr wohl bewußt geworden ist, wenn auch ihre übrigen bösen Angewöhnungen darüber stärker empor wuchern. Wir müssen jetzt diesen Zuständen noch zusehen, und ich bin, da wir nicht entschieden einschreiten können, im Ganzen damit zufrieden, daß Lady Southhesk es vorzieht, in Castletown zu bleiben, da Jane nun auch von einigen Personen einer besseren Richtung umgeben bleibt, und selbst Harry's so viel lenksamerer Charakter wohl nicht ganz ohne Einfluß auf sie bleiben wird.«

Am andern Morgen, ehe noch die Nebel der Nacht die Gegend enthüllten, trennten sich beide Gatten für kurze Zeit, und selten vielleicht ist Holyrood, welches so oft der Grenzpunkt schwerer und wichtiger Lebensabschnitte wurde, mit dankbarerem Herzen verlassen worden, als von Urica und Montrose. – Sie hatten den schönsten Triumph der Liebe daselbst erfahren, das höchste Glück des Beisammenseins – ein leichtes Vergessen der äußeren Verhältnisse, welche ihre seltene Lage herbeigeführt.

 

Ende des zweiten Theiles.


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