Henriette Paalzow
Thomas Thyrnau – Dritter Theil
Henriette Paalzow

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Die Vesperglocken riefen die Besatzung zum Beschluß des Tages in die Kapelle des heiligen Kreuzes, wo der Dechant des Karlsteins mit seinen Diakonen und zugeordneten Gehülfen den Dienst verrichtete. Dies größte Heiligthum der königlichen Feste lag auf der höchsten Höhe des Felsens in dem mächtigsten seiner Thürme, welcher hunderteinundzwanzig Fuß hoch emporragte und dessen fünfzehn Fuß dicke Mauern ihn als einen Trotz gegen die Zeit erscheinen ließen. Ueber eine Zugbrücke und durch zwei fest verwahrte Thore, welche jedoch, jetzt ohne Schlösser, die nicht mehr zu erhebende Zugbrücke schlecht vertheidigt hätten, gelangte man in die untere gewölbte Halle, in der die breiten Wendeltreppen hinauf stiegen, welche die fünf Etagen dieses Thurmes verbanden. In der dritten Etage befand sich die heilige Kreuz-Kapelle, und vier Thüren mit neuen ungemein festen und künstlichen Schlössern wahrten den Eintritt.

Seitdem die frühere Wohnung des Dechanten zerstört war, bewohnte derselbe mit seinen Geistlichen die Räume des Thurmes über der Kreuz-Kapelle, wo sich auch die Bibliothek und unter der Wohnung des Dechanten in der ersten Etage das Refektorium und die Küche befanden.

Wenn der Gouverneur und seine Offiziere mit entblößtem Haupte und allen Zeichen tiefer Devotion durch die vier Thüren, zu denen allein der Dechant die Schlüssel führte, durchgegangen waren, so traten sie in die im Oblongum gebaute Kapelle und verrichteten an der Schwelle eine Art Reinigungsgebet, indem sie sich zugleich mit Weihwasser netzten. Goldene Gitter, in deren kunstreichem Geflechte noch Reste von Edelsteinen glänzten, welche einst dies Kunstwerk zierten, trennten die Kapelle in zwei Theile – der hintere Theil umschloß den Altar und war der geheiligteste Platz. Ein Priester öffnete den Harrenden die Gitter und sie schlossen sich nach ihrem Eintritt, und während nun der Gouverneur mit seinen Offizieren auf den untersten Stufen des Altars hinter den Geistlichen niederkniete, füllte sich der Raum vor den Gittern mit der Mannschaft des Schlosses, welche nicht durch den äußern Wachtdienst beschäftigt war.

Was auch der Krieg mit seinen Plünderungen an diesem einst so hochgestellten Heiligthume gethan, seine Prachtanlagen waren nicht so ganz zu zerstören gewesen und noch immer blieb der Raum, wo der Hochaltar stand, mit seinen azurblauen mit goldenen Sternen besäeten Gewölben, denen sich die vergoldeten Wände anschlossen, auf welchen sich die Gestalten der Apostel zeigten, eine erhabene und prachtvolle Ausstattung. Unter diesen Gemälden liefen von beiden Seiten des Altars Bänke mit geschnittenen Lehnen aus den Cedern des Libanons herum – die Sitze waren aufzuheben und unter ihrem Verschluß soll man einst die Kronjuwelen verwahrt haben. Ueber dem Hochaltar aber befand sich der durch viele besonders hochgeschätzte Reliquien geehrte hochwichtige Verschluß, in welchem die Böhmische Königskrone verwahrt ward – ein Bild, welches Christus zwischen Maria und Johannes vorstellte, deckte den nun leeren Schrein. Ueber der Eingangsthür befand sich ein Raum, welcher durch einen Gang zu erreichen war, und welcher die Aussicht in die Kapelle hatte; hier durften sich die Bewohner des Karlsteins einfinden, die nicht zu der Mannschaft gehörten, denn dieser nur stand das Recht zu, den heil'gen Boden der Kapelle selbst zu betreten.

Der Abendgottesdienst war mit militärischer Disciplin und tiefer Devotion abgehalten, und hinter der Geistlichkeit schritt der Gouverneur und seine Offiziere durch die aufgereihte Mannschaft, welche sich dann ihnen anschloß, bis der dienstthuende Diakon die Lichter auslöschte und die neun kunstreichen Schlösser der vier Thüren verschloß, und obgleich der Letzte in diesem Zuge doch die Ehre genoß, daß der Gouverneur und das ganze Gefolge mit entblößtem Haupte im Refektorium seine Ankunft erwarteten, und erst wenn er die heil'gen Schlüssel dem Dechanten überliefert, beurlaubten sich Alle und zogen denselben Weg zurück in die Wohnung der Burggrafen, welche das weitläufigste Gebäude des Schlosses war.

Ein mit Eichenholz schwerfällig getäfeltes Vorzimmer nahm die Offiziere hier auf, und da der Gouverneur sich regelmäßig nach der Vesper in seine Zimmer zurückzog, wurde die Luft etwas freier und die Verschiedenheit der Karaktere trat ungehinderter hervor. Herr Castiglione von Pasterau zeigte keine Spur mehr von der Trunkenheit des Morgens, aber die Abspannung, welche der Schwelgerei folgt, lag über seinen nichtssagenden Zügen, und er hatte sich in eine Fensternische gedrängt und hörte halb ermüdet dem Gespräch seiner Kameraden zu.

»So lange wir einen solchen Befehlshaber besitzen,« sagte ein kleiner derber Mann, welcher über die erste Jugend hinaus ein feurig rothes Angesicht mit ungeheuer großem blondem Knebelbart zeigte, und der Hauptmann des Korps war – »so lange werden wir unsere Stellung rein erhalten können und sie gegen die Anmaßungen schützen, die von dort Oben immer ein hochmüthiges Vergessen unseres Ranges und unserer Vorrechte andeuten wollen.«

»Aber zu beklagen ist es, daß wir uns wehren müssen!« fügte der schöne junge Mann hinzu, den wir bereits kennen und der jetzt in natürlicherer Stimmung den vollendetsten Ausdruck eines stolzen Schwärmers zeigte. – »Welch' ein Schatz! welch' ein Juwel in der Krone eines Reiches müßte ein Heiligthum sein, an dem eine so unzerstörbare geschichtliche Würdigkeit haftet, als an diesem heil'gen Schloß. Es müßte sein geweihter Boden das Samenkorn aufnehmen, das von den Fürsten des Landes selbst hier versenkt, ihm die echten Triebe ritterlicher Tugenden und christlichen Sinnes lieferte, welche von hier ausgehend die allein vor Gott und dem Ritterthume bestehenden Gesetze in der Welt verkündigten, welche in trauriger Ausartung dieses Beispiels so benöthigt wäre.«

»Ja!« sagte ein hagerer düsterer Krieger, dessen stark ausgearbeitete Züge, wie der haarlose Schädel und der leere linke Aermel, der in dem Büffelkoller befestigt war, ihn als einen vom Leben Geprüften stempelten – »ja! wenn nicht die Zeit gekommen wäre, wo treue Dienste vergessen sind, und hohe Namen, deren Klang allein Armeen zu schlagen vermöchte, in dem Moder ihrer zusammenstürzenden Burgen begraben würden!«

»Es gehen unbegreifliche Dinge vor,« sagte der Hauptmann – »und mit Schmerz müssen wir gestehen, daß uns ein launischer Weiberkopf regiert und da kommen neue Moden auf und sie denkt von einem alten Edelmanne, von einem ihm angestammten Rechte, so verächtlich wie von einem alten Kopfzeuge und von ihren vergelbten Manschetten!«

Ein ziemlich lautes Lachen schreckte die düstern Sprecher fast auf – sie richteten den Blick auf einen jungen rothwangigen Kornet, der so plötzlich die gemessene Sprechweise seiner Gefährten unterbrochen hatte. Es war der junge Fürst von Trautsohn, der zu seinem Oheim, dem erlauchten Grafen Georg von Podiebrad, den Gouverneur des Karlsteins, von seinem Vormunde hierher geschickt worden war, um bei der bekannten strengen Disciplin, die dort herrschte, sein ungestümes Wesen zügeln zu lernen.

Er saß auf dem Rande des weit herausgemauerten Kamins und liebkoste ein schönes weißes Windspiel, welches zugleich von ihm dressirt ward, die Bissen, die er in die Luft warf, wieder aufzufangen. Er war von so weichen Zügen, von so runden rosigen Wangen, so weißer Stirn und vollen blonden Locken, daß man ihn für ein holdes Mägdlein hätte halten können, wenn nicht in der jungen kräftigen Gestalt schon die Männlichkeit des Bau's hervorgetreten wäre. »O Galbes! mein theurer Emanuel, vergieb mir, daß ich Deine Worte mit meinem ungeschickten Lachen schloß,« hob er an – »aber wenn, wie Du sagst, meine süße Muhme, die Kaiserin Theresia, die Veränderung liebt, so lacht mir das Herz vor Freude in der Brust, denn dann werde ich Gnade vor ihr finden, wenn ich meinen harten Vormund verklage, der mich armes weltliches Kind unter dem Scepter so unvergleichlich mannhafter, ritterlich christlicher Tugend eingesperrt hält, als ich hier vor mir sehe!«

Sein fröhlicher Scherz fand sogleich Anklang bei zwei jüngeren Offizieren, die dem Himmel dankten, daß ihr junger durch Rang und Verwandtschaft etwas verzogener Gefährte auszusprechen wagte, was der Inhalt ihres heimlichen Verlangens war; das Lächeln jedoch, was sich auf ihren Lippen zeigte, trat schnell zurück vor dem ernsten Blick, mit dem der Graf Matthias von Thurn, der stolze junge Offizier, den wir schon öfter erwähnt, Beide anblickte, indem er den jungen Trautsohn im ernsten Tone zurechtwies.

»Hüte Dich,« sagte er ihm – »durch Deine leichtfertigen Reden den Geist anzutasten, der uns Alle hier beleben muß, der ohne Unruhe und mit vollem inneren Frieden uns treibt den heiligen Waffendienst zu ehren, der das höchste und reinste Besitzthum unserer Herrscherin, diese Feste vor Entweihung bewahrt. – Was will, was darf ein Edelmann für Freuden suchen, als die Pflichten seines Standes mit dem Dienste unserer heiligen Kirche vereinigen? Laß' morgen diese Burg vom Feinde belagert werden, und Du wirst dann erkennen, daß also gestählte Ritter eine Armee von ihren Wällen abhalten können.«

»Wollte Gott! Du schöner lieber Matthias, Du hättest Recht!« sagte der Jüngling – »und wir erlebten wenigstens eine Belagerung, obwohl ich zweifle, daß Dein in Ehre und frommer Begeisterung gestählter Arm unsere morschen Mauern stützen und unsere versunkenen Wälle aufrichten würde!«

Ehe Matthias antworten konnte, trat der Haushofmeister ein und meldete die servirte Tafel.

Sämmtliche Offiziere begaben sich nun ihrem Range nach in das anstoßende Zimmer, welches ein eben so finsteres gewölbtes Gemach mit großem Kamin und engen Fenstern war als das frühere, nur daß hier die Wände mit bunten Ledertapeten bedeckt waren, und die mit reichem Silbergeschirr bediente Tafel bei hellem Kerzenschein einen erheiternden Anblick gewährte. Alle stellten sich mit ihren Federhüten in der Hand hinter die ihnen seit lange angewiesenen Plätze, und nach einer kleinen Pause öffnete sich am oberen Ende der Tafel die Thür und es zeigte sich Seine Excellenz der Gouverneur des Karlsteins, der erlauchte Graf von Podiebrad.

Alle Anwesenden verneigten sich bis zur Erde, dann trat der Graf bis zu seinem Platze vor, der Kammerdiener zog den Stuhl und erst als er vor diesen getreten war, erwiederte er huldvoll den Gruß seiner Offiziere.

Georg von Podiebrad war der Nachkomme des zweiten Burggrafen des Karlsteins, welcher noch von Karl dem Vierten eingesetzt worden; und da dessen Vorgänger, der erste Burggraf, Johann Markgraf von Böhmen war, so leuchtete die Wichtigkeit der Familie, aus der ein Individuum zu so hohem Range und zum Nachfolger eines Anverwandten des Kaisers berufen werden konnte, schon vor vierhundert Jahren Jedem ein; und genährt mit diesem Stolze hatte die Familie gerade in dem eben erwähnten Nachkommen den empfänglichsten Vertreter gefunden. Er zweifelte nicht, daß die Wiedervereinigung der Namen Podiebrad und Karlstein die Gewalt enthielte, das gesunkene Ansehn herzustellen, und sein eignes Vermögen, die Gunst, welche er bei Karl dem Sechsten genoß, hatte den Verfall unbezweifelt aufgehalten, dem dieses berühmte geschichtliche Monument bei seiner ersten Uebernahme rasch entgegen ging. Was er aber dafür erreicht, hatte ihn blind gemacht für das, was nicht wieder herzustellen war; er lebte in Annahmen, die nur Erinnerungen waren von dem, was allerdings seine Familien-Archive in Fülle enthielten. Sein ungemessener Stolz, die Strenge, mit der er alle seine Umgebungen beherrschte, hielt die Wahrheit von ihm ab, die nur ähnlichen Schwärmern entzogen bleiben konnte, und den profanen Bewohnern des Schlosses ein Gegenstand des Spottes und des Hohnes war, wenn sie sich vor Verrath sicher hielten.

Georg von Podiebrad hatte um der Chimäre willen, die ein Leben jetzt erfüllte, große Opfer gebracht. Obwohl es ihm gestattet war, die Uebernahme des Karlsteins mit allen Verhältnissen eines ehelichen Familienlebens zu vereinigen, hatte er doch eine schöne Braut, wie er es nannte, auf dem Altare des Vaterlandes niedergelegt, weil er es für einen Gottesfrevel hielt, daß ein Podiebrad die heiligen Gesetze des Karlsteins übertreten solle. Eben so verlangte er, daß seine Offiziere unbeweibt blieben, und indem er dem Karlstein seine geistlichen Vorrechte wieder zu verschaffen gewußt hatte, war nach und nach eine Art Mönchs-Ritterwesen eingekehrt, an dem er ein großes Behagen fand und welches er mit allerlei mythischen Träumen und Gebräuchen aus der Geschichte der Kreuzzüge wieder auszustatten suchte. Seine Persönlichkeit unterstützte im hohen Grade seine Ansprüche. Er war mindestens sechs Fuß hoch und seine magere Gestalt, sein ausdrucksvolles, stolzes und schwärmerisches Gesicht bewiesen sein ascetisches Leben. Es war ihm eine hohe Würde beigegeben und er besaß durch meisterhafte ritterliche Uebungen eine seine Gewandtheit und stolze Courtoisie, die er zu den nöthigen ritterlichen Tugenden zählte. Jeder, der ihn zuerst sah, wurde gewiß durch die herablassende Güte und edle Würde, die er zu vereinigen wußte, angezogen und mußte in ihm einen Repräsentanten längst verschwundener Zeiten bewundern, da er mehr einem Ritter unter Gottfried von Bouillon als einem Festungsgouverneur unter Maria Theresia glich. – Nachdem Podiebrad seine Offiziere auf beschriebene Weise mit großer Achtung gegrüßt hatte, blieb er und Alle um ihn her dennoch stehn, denn man ließ nun eine alte heisere Thurmuhr acht Mal ausschlagen, worauf sich die Ausgangsthüren am Ende der Tafel öffneten und der dienstthuende Offizier von zwei Mann gefolgt eintrat und mit großer Gravität auf einem Kissen, welches der Kammerdiener sogleich vorhielt, die Schlüssel der Festung vor Podiebrad niederlegte, indem er mit lauter Stimme rief: »Alles in Frieden in Ruh – Gott und seine Heiligen schützen die Burg!« Diese Worte waren vierhundert Jahr alt.

»Amen,« sagte der Graf von Podiebrad, die Meldung zog ab, und jetzt erst, nachdem der Kammerdiener die Schlüssel in die Zimmer seines Herrn getragen, nahm der Gouverneur Platz und lud seine Offiziere zu gleicher Freiheit ein.

Die einfachen aber kräftigen Speisen umkreisten die Tafel und ein mäßiger Gebrauch der Becher war ebenfalls gestattet.

Aber dies war auch vielleicht die größte Freiheit, die gestattet war, denn der Graf von Podiebrad war der Meinung, daß es sich in seiner Gegenwart überhaupt nicht schicken wolle, zu sprechen – da hiedurch aber eine Einförmigkeit entstand, die er bei aller Abtödtung doch zuweilen als sehr lästig empfinden mußte, da er nicht wie seine Offiziere sich in kameradschaftlichem Beisammensein entschädigen konnte, sondern nach dem vorgeschriebenen Beisammensein wieder mit sich, also mit demselben allein war, dem er eben allein zu sprechen gestattet hatte, so hatte er ein Fragegespräch eingeführt, worauf Alle passen mußten, um vollkommen gesammelt antworten zu können. Nur der blonde Jüngling ward vergeblich mit der ganzen Autorität des Oheims bekämpft, und hatte diese Autorität ein paar Mal in solche Gefahr gebracht, daß der erlauchte Graf den Entschluß faßte, den Neffen und seine Thorheiten in zweifelhaften Fällen nicht zu bemerken. Auch heute war die Ceremonie der Schlüsselübergabe kaum vorüber, als er dem Castiglione von Pasterau, seinem Nachbar, zuflüsterte: »Mutter Grimschütz ihre Kuh habe durchaus verweigert, auf das Oeffnen und Schließen der Thore zu warten und habe zum Hohn seines erlauchten Oheims vor seinen Augen aus ihrem Stalle den Weg über die unbezwinglichen Wälle genommen, welche Eisengatter und Balken am Eingange verschlossen.«

»Nun seit heute« – flüsterte Pasterau – »steht unser ganzes Stift auf dem Wendepunkt, denn das schönste Mädchen der Christenheit ist eingezogen, und wenn sie Quartier behält, so ist es um die Würde Eures Oheims geschehen.«

»Ich hoffe, er wird müssen einwilligen, denn die Kaiserin wird sich nicht um den Wahnsinn kümmern, der hier ausgeheckt wird, und der Polizeibote schwört, daß sie Befehl dazu ertheilt hat – hätt' ich sie nur erst gesehn!«

»Sie hat eine Art Bullenbeißer zu ihrer Bewachung bei sich, er nennt sich ihren Großvater,« entgegnete Pasterau – »aber solche alte Kerle lieben ein Gläschen, und damit wollen wir ihn schon kirren.«

»Das sind die einzigen Mittel, die Du kennst« – rief hier Trautsohn etwas zu laut – »weil sie die untrüglichsten für Dich sind – hüte Dich, daß Seine Excellenz dahinter kommt, wie Du Deine Morgen- und Nachtstunden zubringst.«

»Herr Graf von Pasterau, darf man fragen, zu welchen höchst wichtigen Mittheilungen Sie unsere Gegenwart benutzen?« rief hier die strenge Stimme des Gouverneurs.

»Ach! mein erlauchter Oheim« – nahm Trautsohn das Wort »ich konnte bei Pasterau keinen Glauben finden, da ich ihm eben erzählte, welch' ein wunderbarer Luftspringer die Kuh von Mutter Grimschütz ist, die jeden Morgen das feste Schloß verläßt, ohne auf das Oeffnen der Thore zu warten.« Fast bereute aber der muthwillige Jüngling den unbarmherzigen Spott, da plötzlich das strenge Antlitz des stolzen Oheims sich veränderte und ein schmerzlicher Zug des Nachdenkens und des Kummers sich darauf zeigte. Das hatte er nicht gewollt, da er das beste Herz hatte und seinem Oheim ehrte und liebte, und nun einsah, wie tief der Wahnsinn der Täuschung ihn erfaßt, da ein Strahl der Wahrheit ihn fast niederwarf. Diese auffallende Stimmung verhinderte auch, daß der Verweis ausgesprochen ward, der gewiß nicht gefehlt haben würde, und eine tiefe Stille eintrat.

Endlich war der Graf von Podiebrad mit der alten Täuschung fertig, daß der Karlstein dennoch eine starke Festung sei, und jetzt erhob er die ernste melancholische Stimme.

»Freiherr von Galbes,« sagte er zu dem Hauptmann, der ihm zunächst saß – »es war heute ein böser Tag voll unschicklicher Zumuthungen. Haben Sie den Polizeiboten bestimmt, morgen mit den ihm anvertrauten Personen die Feste zu verlassen?«

»Euer Excellenz halten zu Gnaden – dazu ist er in keiner Weise zu bewegen, er wagt zu behaupten, daß seine Instruktionen hierher lauten, daß er sie erfüllt und nun Alles Euer Excellenz anheim stellen muß. Bereit ist er aber, so schnell als möglich nach Wien zurück zu kehren, auf dem Wege alle möglichen Nachforschungen nach dem Kourier, auf den er sich bezieht, anzustellen und von dort aus zu veranlassen, daß Euer Excellenz aufs Schnellste über diesen besondern Fall aufgeklärt werden.«

»Aber was soll aus den Gefangenen werden?« rief der Graf von Podiebrad erschrocken – »er muß sie bis dahin nach Budnian führen, sie dort einsperren lassen, der Karlstein ist kein Gefängniß für Verbrecher.«

Er blickte hierbei rechts und links fragend umher, und Matthias von Thurn faßte Muth zu entgegnen: »Es muß eine eigne Bewandtniß mit diesen Gefangenen haben.«

»Reden Sie, Herr Graf von Thurn,« sprach Podiebrad herablassend – »Sie führten die Unterhandlungen – ich halte dafür, es sind gemeine Leute – Advokaten sind in der Regel Betrüger aus der Hefe des Volkes!«

»Euer Excellenz werden darin die größere Erfahrung haben,« entgegnete Thurn zurückhaltend – »gewiß ist aber dieser alte Mann nicht ganz ohne Bildung – er hat vielleicht dadurch, daß Vornehmere ihn brauchten, etwas von ihrer Art und Weise abgesehen.«

»Und seine Enkelin ist wunderschön!« rief Trautsohn –

»Durchlaucht! Du wirst schweigen, bis die Rede an Dich kommt« – rief Podiebrad streng – »es ziemt sich nicht, hier von dem Weibe zu sprechen mit der eben vernommenen Bezeichnung. Sie wird eine gemeine Person aus der dienenden Klasse sein?« fuhr er fragend fort.

Thurn ward wieder verlegen, dann sagte er: »Sie ist wohl schwerlich gemeiner Klasse – es ist Alles so geheimnißvoll – ich höre, sie erwartete eine Kammerfrau – der Bote verlangte auch für sie Einlaß.«

»Dies übersteigt allen Glauben,« rief der Gouverneur von Erstaunen überwältigt – »eine Gefangene so geringen Standes und maßt sich die Vorrechte der Frauen von Geburt an, und diese – ich möchte sagen, diese Zerstreuung – hierher zwei Frauen gelangen zu lassen – es muß durchaus ein Irrthum sein, Graf Matthias. – Sie sind nach einer Festung bestimmt, die dazu passend sein mag – der Karlstein hat nur Gefängnisse für seine eignen Bewohner, worüber uns die Entscheidung zusteht, und zu verschiedenen Malen wurden einige hohe Personen hierher verwiesen, welche wir jedoch, da sie Kavaliere waren und auf ihr Ehrenwort hierher gesandt, nicht als Gefangene, sondern als Gäste zu betrachten hatten. Diesen freilich wurden im Innern der Burg die Zimmer unter des Königs Wohnung und unter der Niclas- oder Ritterkapelle angewiesen, und die ehemaligen Audienzsäle der Herrscher waren ihre Speise- und Empfangsäle – doch alles dieses auf besonderen Befehl und bei Personen höchsten Ranges, deren Namen mir allein bekannt ward. Dies waren Umstände, wodurch die Würde dieser alten Königsburg nicht beeinträchtigt ward, und ich sah darin die Beachtung des Ranges, den sie einnimmt. Was soll uns aber hier ein gemeiner Verbrecher? – Wir ehren nur die Einsicht unseres hohen Kaiserhofes, indem wir sogleich als Irrthum bezeichnen, was als wahr anzunehmen eine Beleidigung sein müßte.«

»Graf von Thurn, Sie werden darauf bestehen, daß der Polizeibote, ehe er abreist, seine Gefangenen in das Stadtgefängniß zu Budnian einsperren läßt – er kann dann seine Instruktionen in Wien berichtigen lassen, und sie von dort nach der Festung abholen, für die sie eigentlich bestimmt waren. – Wir wollen ihm gnädigst verzeihen, werden aber unsere Beschwerde am kaiserlichen Hofe selbst einreichen – und unser sehr geschätzter Freund, der Graf von Kaunitz, wird nicht ermangeln, uns Satisfaction zu geben.«

»Diesen erlauchten Namen führte der Gefangene auch im Munde,« entgegnete der Graf Matthias – »er sagt aus, daß der Herr Graf von Kaunitz ihm selbst versichert habe, der Kourier an Euer Excellenz mit allen nöthigen Instruktionen sei abgegangen und er habe daher annehmen müssen, alles zu seinem Empfang bereit zu finden.«

Graf Podiebrad fuhr ein wenig zusammen und verfiel alsdann in ein tiefes Nachdenken – mit der Miene eines erfahrenen Mannes, der einen wichtigen Gedanken zu verbergen hat und seine Umgebungen auszuforschen denkt, richtete er seine Augen durchdringend auf den Grafen Matthias und sagte: »Ihr erwähntet – der Gefangene habe Euch nicht ohne Bildung geschienen – sprach er ein reines Deutsch oder die Volkssprache?«

»Ein reines gewähltes Deutsch!«

»So! so! – war sein Haar in der Gewohnheit des Puders, und firisirt, und seine Kleidung fein – und die Wäsche, Herr! die Wäsche!«

»Er trägt sein Haar wie das Portrait Sr. Excellenz des Ministers, Grafen von Kaunitz in Dero Kabinet – sein Kleid war ohne Stickerei, aber von feinem dunklem Tuche – die Wäsche schien von eben dieser Güte, er hatte schöne Hände, die ich sah, als er seine Enkelin damit umfaßt hielt – diese »war in Seide gekleidet!«

»Hem! hem!« sagte der Graf von Podiebrad sinnend – das wäre ein denkbarer Fall! – dergleichen ist schon vorgekommen! Meine Herren,« fuhr er lauter fort, sich gegen Alle mit belehrendem Tone wendend – »weiß einer unter Ihnen mir zu beantworten, was ein Incognito ist? – Ist Ihnen ein solcher Fall schon begegnet?«

Ehe noch eine Entgegnung eintreten konnte, fuhr der Graf fort – »Nun so werde ich es Ihnen erklären! Es treten bei sehr hochgestellten Personen, welche durch Rang und Namen in dem Fall sind, überall gekannt zu sein, oft Umstände ein, welche sie zwingen, zur Erreichung hoher Absichten und Pläne ihre hochgestellte Person unter dem Deckmantel der Niedrigkeit zu verbergen und mit unbekanntem, geringem Namen sich die Verborgenheit zu sichern, die ihr wirklicher Stand ihnen unmöglich machen würde; solche Personen können dadurch in Verwickelungen gerathen, wie sie dem geringeren Stande zufallen, und können durch große Entschlüsse dennoch gehindert werden, den groben Mantel, der sie verhüllt, abzuwerfen und durch die Macht ihres wirklichen Namens sich von solchen Verhältnissen zu befreien.« –

Er sah Alle der Reihe nach an und nickte, als wollte er fragen: »Könnt Ihr mir nachklimmen auf der hohen Staffel meiner Gedanken?« Es ist anzunehmen, daß sie es konnten, denn sie verneigten sich Alle.

»Wenn der Kourier, von dem dieser Polizeibediente spricht, mir Aufschlüsse zu bringen beordert gewesen wäre, die eben mir nur Aufschluß über die geheimnißvolle Person des Gefangenen geben sollten, so könnte der besondere Fall eingetreten sein, daß eine hohe Person in das niedere Gewand eines Advokaten gehüllt, die Schmach einer damit verbundenen Behandlung ruhig tragen müßte, da wir verweigert, ihn vor uns zu lassen und eine bedeutende Rücksicht ihn hindern kann, dies Vertrauen wem anders als mir zu schenken! – Freiherr von Galbes und Graf Thurn, wir erlauben Euch, Eure Ansicht darüber zu äußern – Wachthabender Offizier von diesem Morgen, Graf von Pasterau, Ihr hattet sogar Streit mit dieser geheimnißvollen Person, der Euch jedoch nicht zur Last fällt, da Ihr bloß die unbescheidene Forderung zurückwieset, zu unserer Person vordringen zu wollen – aber ein Streit ist sehr verrätherisch – hättet Ihr Beobachtung und Erfahrung, Ihr müßtet an seinem Verhalten dabei augenblicklich den Mann von Geburt von dem Unberechtigten haben unterscheiden können. Doch will ich Euch belehren!« fuhr er fort, »merket wohl auf! – suchte er durch demüthige Bitten Euch zu bereden? – wich er verschüchtert zurück, als Ihr ihm Euren Unwillen zeigtet? oder führte er heftige Worte – drohte er – entfuhr ihm vielleicht ein Ausbruch des Zorns, den wir nicht wiederholen wollen – eine unpassende Betheurung, meine ich – –«

»Einen Fluch, meinen Euer Gnaden!« fuhr Pasterau mit seiner rauhen Weinstimme heraus – »Ja! das fehlte in Wahrheit nur noch! – Es ist ein Kerl wie ein Bullenbeißer – meine ganze Wachtmannschaft fuhr von den Bänken in die Höhe – so hat er aufgebrüllt, und als ich ihn heraus werfen lassen wollte, hat er einen hölzernen Schemel in der Luft geschwungen, wie ich diesen leeren Becher schwinge, und wer sich ihm genaht hätte, dem hätte er den Kopf zerschlagen.«

Graf Podiebrad hörte mit freudestrahlenden Augen den Bericht an – er nickte diesen Symptomen, die ihm durchaus die erwarteten schienen, beifällig zu, und ein seltenes Lächeln über seinen gerechtfertigten Scharfsinn umspielte seinen Mund und er klopfte mit den Fingern der rechten Hand in die Linke und winkte herablassend scherzend dem Kammerdiener zu, den leeren Becher noch einmal zu füllen.

»Verstehen Sie mich, meine Herren?« fuhr er jetzt heraus – »steigt die Wahrscheinlichkeit nach der Belehrung, die ich Ihnen so eben ertheilt?«

Alle verneigten sich wieder. – »Und Ihr, Graf Thurn, was habt Ihr beobachtet?«

»Mir sind mit einem Male alle Räthsel gelöst,« erwiederte der junge Mann – »denn ein trotzigeres, sichereres und anmaßenderes Benehmen ist mir noch nie vorgekommen, und meine grenzenlose Empörung, daß ein Advokat mit dem bürgerlichen Namen Thomas Thyrnau mir gegenüber diesen Ton behaupten konnte, ist gelöst, wenn ich annehme, daß ein Edelmann dem Anderen gegenüber stand und der Kampf ein gegenseitig berechtigter war. – Auch die feinen Züge des Mädchens – Alles ist dann erklärt und mir fällt damit ein Stein vom Herzen.«

»Sehr richtig! sehr verständig gefühlt und bemerkt!« sagte der Graf Podiebrad – »Und wir haben jetzt die geeigneten Maaßregeln zu ergreifen, die Sache aufs Reine zu bringen, ehe der zu erwartende Kourier unserm Scharfsinn die Lösung raubt. – Mit diesen sich häufenden Wahrscheinlichkeiten werden wir uns wohl nichts zu vergeben fürchten dürfen, wenn wir Euch, Graf Matthias, morgen früh zu dem geheimnißvollen Manne senden, und Ihr ihn in unserm Namen befragt, ob er uns nicht irgend ein Zeichen zu senden habe – sei es ein Ring, ein Brief von einer uns bekannten Person – oder – irgend ein Zeichen der Art. Ist er der, so wir ahnen – so wird er uns augenblicklich verstehen und dann keinen Anstand nehmen, sich uns zu entdecken – kann er es nicht – so haben wir uns nicht zu weit gegen ihn herabgelassen und der Polizeibote muß dann unsere Befehle erfüllen.«

Ein Beifallsgemurmel schloß sich dieser Rede an, und da der Kammerdiener eine Meldung machte, erhoben sich die Herren und traten, der Gouverneur an ihrer Spitze, in das Vorzimmer zurück, wo ein Diakon des Karlsteins die Herren empfing und das Abendgebet und den Segen las, wonach erst der Gouverneur seine Offiziere beurlaubte, diesmal in so ungewöhnlich guter Laune, daß er die Durchlaucht Trautsohn an dem Ohrläppchen zupfte und ihn Perci Heißsporn nannte.


Der ruhige Schlaf einer stillen Nacht hatte jede Spur des unheimlichen Tages von Magda's Stirn verscheucht – und daß der Morgen in die Fenster ohne Vorhänge schon früh erhellend blickte, machte, daß sie erwacht war. Angeregt von der ungewöhnlichen Situation hatte sie sich gekleidet, die Fenster geöffnet und war endlich von dem niederen Fensterbrett, von dem aus sie mit der Hand den Garten erreichen konnte, hinab gesprungen und durchforschte nun mit eiligen Schritten das ganze Terrain, welches sie sich zuzueignen dachte.

Das Gärtchen war verwildert. Küchenkräuter waren selbst schlecht gepflegt, und von Blumen zeigte sich nur, was sich von selbst gesäet hatte, und dieses erstickt unter Windhalm und Distel, oder halb niedergetreten, um Wege zu bahnen.

Dagegen sah der Wall, von dem das Gärtchen begrenzt ward, mit seinem kurzen Rasen und nickenden Weidenbüschen reizend herüber, und ohne weiteres Bedenken erklomm Magda seine zusammen gesunkenen Wände, und als sie den Rand erstiegen, stieß sie einen Freudenschrei aus, denn die ganze Schönheit des Berauner Thales lag vor ihr ausgebreitet. Das kleine silberhelle Flüßchen, wonach es den Namen führte, schlängelte sich mit seinen anmuthigen Windungen unter der Felsengruppe hervor, welche den Karlstein trug und erschien hier wegen des jungen Laubholzes, welches in seinen bunten herbstlichen Färbungen die Höhen bis zu ihrem Fuße besetzt hatte, als ob es seinen Ursprung aus dem Schooße dieser Felsen habe. Weiterhin nun lag auf seinen beiden Ufern das kleine Städtchen Budnian, von den herrlichsten Wiesen und von Laubholz eingefaßt, und mit seinen niedrigen Häusern die herrliche gothische Kirche St. Palmatius umgebend, die hier Karl der Vierte schon erbauen ließ. Hinter dem Städtchen ward das reizende Thal mit seinem lieblichen Flüßchen immer romantischer, einzelne Strohdächer tauchten aus dem Gebüsche auf, Gehege umgaben sie, wo das Vieh sich lagerte, kleine Mühlen zeigten sich mit ihren künstlichen Wasserfällen, weiterhin eine Fischerkolonie mit Nachen und ausgespannten Netzen am Ufer – und dies lebhaftere Bild verlor sich endlich in die tiefen Schluchten der Berge, wo die Wohnungen aufhörten und das herrliche Laubholz des Mittelgebirges sich begrenzt fand von den höheren Felsgruppen, auf denen die dunkeln Kiefern und Lerchenbäume eine blaugrüne Masse gegen den tief blauen Himmel bildeten. Die Morgensonne schien gerade in das Thal hinein, ihr zauberhafter Glanz verklärte Alles und ihre belebende Wärme weckte den kräftigen herbstlichen Duft und verbreitete eine balsamische Luft umher. Magda's sechzehnjähriges Herz jauchzte laut auf und ihr Auge suchte einen Weg, um hinab zu steigen. Etwas weiter bergab lauschte eine moosige Felsspitze hervor – nach der trachtete sie – welch ein schöner träumerischer Sitz! Gleitend, springend und wieder hinan kletternd hatte sie ihn erreicht, da fuhr sie erschrocken zurück, denn an seinem Fuße von dem weichen hochgethürmten Moose fuhr plötzlich eine schneeweiße Hirschkuh empor und floh mit vier kleinen Zicklein in die Gebüsche hinein. Wie entzückt blickte ihr Magda nach und erklomm nun ihren steilen Sitz, der sie weit über das Holz erhob und ihr einen Ueberblick gönnte, der ihr eine tiefe Waldeinsamkeit zur Anschauung brachte, in der das Flüßchen Beraun mit seinem gesprengten grünen Thale das einzige Bild des Lebens war.

Magda hatte durch den gestrigen Kampf mit Widerwärtigkeiten und die ihr zugefallene Thätigkeit sich selbst wiedergefunden, und ein Zeichen ihrer Genesung war die kräftige Lust, mit der sie die Schönheit der Natur genoß.

Zurückgedrängt lag das schwer Erlebte – hier schien es weit ab von der ganzen Welt, wo sie gelitten, und als ob ihr die stille Waldesruh um sie her verspräche, ihr nicht wieder weh zu thun, so dankbar lächelnd blickte sie auf sie hin!

Noch steigern sollte sich ihre Lust, als sie plötzlich die Zweige unter sich knistern hörte, das Laub beben sah und jetzt den schönen schlanken Hals der Hirschkuh gewahrte, die vorsichtig schauend sich wieder ihres Ruheplatzes zu bemächtigen, dachte. – Da sie Magda auf ihrem Felsensitz nicht sah, stieß sie einen sanften zitternden Ton aus und schritt schnell aus dem Gebüsche hervor, während ihr auf dem Fuße, sich drängend, stoßend und Sprünge machend, die vier reizenden Zicklein folgten. Die Hirschkuh lagerte sich wieder behaglich auf dem weichen Moosbette, von dem Magda's Annäherung sie verscheucht hatte, und die kleinen Zicklein richteten sich um sie her ein, indem das Eine klug aufgerichtet wie ein Hündchen in die Ferne guckte – das Andere die dummsten Kletterversuche machte und dann lächerlich ausgleitend sich rund um kugelte – das Dritte zwischen den Vorderläufen der Mutter sich zum Schlafen gekauert hatte – und das Vierte – ein schwarzes Böcklein mit der zudringlichsten Zärtlichkeit aufgerichtet, die Hirschkuh liebkoste und bald um ihren Hals hing, bald über ihren Kopf wegpurzelnd auf ihrem Rücken hockte. Mit der würdevollen Ruhe einer Mutter gab sich die schöne weiße Hirschkuh dem verschiedensten Ansinnen dieser kleinen Sprößlein hin, und es schien Magda, als habe sie nie ein süßeres Geheimniß erlauscht, nie etwas Lieblicheres gesehn – sie fürchtete den Athem ihrer Brust, als ob er sie stören könnte, und wollte lieber den ganzen Tag auf ihrer Felsenspitze hängen bleiben, als diese glückliche Familie noch einmal aufscheuchen. Da ward ihr Auge plötzlich geblendet von dem Auftauchen eines von der Sonne beschienenen Gegenstandes vor ihr, und das Haupt der Gorgone hätte sie nicht mehr versteinern und in Entsetzen versetzen können, als der Anblick eines Gewehrs, welches eben aus dem Gebüsche hervorleuchtend sich vor der sorglosen kleinen Familie zeigte. Der Schreck raubte ihr fast die Besinnung – und während sie sprachlos auf den Gegenstand ihres Entsetzens blickte, sah sie an diesem Gewehr einen Jüngling knien, den wir nicht weiter beschreiben wollen, da es Georg von Trautsohn war, der in einfacher Jägertracht sein schönes Angesicht zu Magda empor gehoben hielt. Hätte Magda Besonnenheit gehabt, so würde sie gesehen haben, daß er sie, aber nicht die Hirschkuh auf dem Korn hatte; so aber sah sie nur die Gefahr, die jener drohte, und die Hände in der Luft ringend rief sie flüsternd herunter: »Du wirst doch nicht so ein Unmensch sein und sie tödten? – Denke doch! denke doch!« fuhr sie fort – »wie schrecklich! erbarme Dich doch! Du wärst ja ein Mörder an Gottes schönstem Glück!«

Obwohl sie aus Furcht, die Hirschkuh zu scheuchen, nur halblaut geflüstert, hatte der Jüngling sie doch verstanden, und jetzt beruhigte sie sein sanftes Lächeln und das Zeichen mit der Hand und das Niederlegen der Flinte.

»Sei doch ruhig,« sagte er hierauf – »ich thue ihr nichts! es ist ja meine Familie!« und indem öffnete er die Waidtasche und eine Hand voll gezupften Brotes flog unter die kleinen muntern Gesellen. Nun sah Magda den Zusammenhang – Alle waren bekannt mit dem Jäger und stürzten sich mit den lustigsten Sprüngen über das sehr beliebte Futter, als er es noch ein paar Mal wiederholt hatte, stand er auf, ging dicht an ihnen vorüber, ohne daß die Hirschkuh oder eins der Kleinen ihm nur aus dem Weg getreten wäre und war in zwei Sätzen neben Magda auf dem Felsensitz. Magda sah ihn groß an, aber er setzte sich bequem zu ihr, öffnete wieder die Jagdtasche und holte von dem gepflückten Brot heraus. »Nun füttere Du sie einmal!« sagte er zutraulich. Augenblicklich steckte Magda ihre schlanken Finger in die gefüllte Hand des Jünglings und schleuderte mit Freude das Futter hinab – das schwarze Böcklein schaute ordentlich empor, woher die neue Gabe kam und Magda jauchzte vor Lust, und ohne sich weiter um ihren neuen Nachbar zu kümmern, fuhr sie nur immer wieder in die Hand des Jünglings, so lange noch ein Bröckchen darin vorhanden war.

Dabei lachten Beide wie zwei Kinder über die Lust der Kleinen, besonders über das Böcklein, das dazwischen wie ein verzogener ausgelassener Junge alle Augenblick der Alten um den Hals fiel, über sie wegpurzelte und dann mit einem Satz wieder unter die Andern sprang. –

»Nun hab' ich leider nichts mehr,« rief der Jüngling endlich traurig – »aber morgen bringe ich Dir ein ganzes Brot mit, da sollen die Kleinen essen, bis sie nicht mehr können.«.

»Und ich auch,« rief Magda – »ich bringe auch was mit – und für die liebe weiße Mutter ganz besonders, denn sie! sie hat kein Bröckchen genommen!«

»Ja!« sagte der Jäger – »das ist ein Gemüth! davon könnten Menschen lernen. Denkst Du, daß ihr außer dem schwarzen Böcklein die Zicklein eigen gehören? Die Mütter von den Andern sind todt oder Gott weiß wo, da halten sich die kleinen Dinger zu ihr, und sie verpflegt sie. – Glaubst Du, daß sie was anrührt, ehe die Jungen nicht aufhören zu fressen? und ehe die kleinen Gierhälse genug haben, das dauert lange – und sehe ich mich nicht vor, bekömmt sie gar nichts!«

»Hast Du noch was?« fragte Magda – und er hätte seine Hand zu Brot verwandeln mögen, so lieblich freundlich fragte sie ihn – aber er durchsuchte vergeblich die ganze Tasche – es fand sich nichts!

»Dann wollen wir was holen,« rief Magda – »der Großvater wird jetzt schon aufgestanden sein, da können wir Brot bekommen.« – Sogleich streckte sie den schmalen zierlichen Fuß vor und versuchte hinab zu gleiten; das gelang auch und der Jäger war eben so schnell neben ihr und zeigte ihr einen Fußsteig hinter dem Felsblock, wo sie die vordere Gruppe nicht zu stören brauchten.

»Du bist gewiß das gefangene Mädchen?« sagte Trautsohn, als er so neben ihr wandelte.

Magda lachte – »Ja! wenn Du willst? – ich bin aber frei – ich gehöre bloß zu dem Gefangenen!«

»So?« sagte Trautsohn – »wie heißt Du denn? – ich denke, Dein Name muß recht lieblich klingen!«

»Magda!« sagte sie – »wenn Dir der gefällt, ist's mir recht – sonst kann ich Dir nicht helfen – und Du!«

»Ich heiße Georg! – aber wenn Dir der nicht gefällt, so nenne mich Trautsohn.«

»Der Erste ist gut – der Andere ist so lang,« erwiederte Magda. »Bist Du im Schlosse zu Hause?«

»Nein! Gott im Himmel sei Dank – wo ich hingehöre, ist es lauter Schönheit und Lieblichkeit! Hier in das alte Eulennest haben sie mich nur ein Weilchen eingesperrt, weil ich ein bischen lustig bin – und viel rede – und meinen eignen Willen habe.«

»Aha,« sagte Magda – »Du sagst wohl lieber Nein – wie Ja!«

Beide lachten – »So soll es gewesen sein!« rief Georg – »und da droben geht es streng her – da hat Einer den Willen für Alle.«

Eben hatten sie den Wall erstiegen und schauten in den wüsten Garten hinein, an den die offenen Fenster der beiden Hinterzimmer der Mutter Grimschütz stießen.

»Und in diesem Palast wohnst Du?« rief Georg – Magda blickte selbst erstaunt darauf hin. – Aus der makellosen Schönheit der Natur zurückkehrend schien diese elende Menschenwohnung wie ein Gebrechen – wie ein Unrecht gegen die Bewohner.

»Ist es möglich, daß der Großvater in solcher schmachvoller Umgebung schlafen mußte?« – rief sie bewegt – aber schnell glitt sie an den Weidengebüschen hinab, denn eben hatte sie die geliebte Gestalt des theuren Großvaters entdeckt, welcher an dem offnen Fenster seines Zimmers Platz nahm und mit Frau Grimschütz Anordnungen traf, wie sie den Frühstückstisch decken, und was sie dazu herbei bringen und bereiten sollte, um das geliebte Kind, das er noch schlafend glaubte, zu erquicken.

Im selben Augenblick fühlte er sich von hinten umfaßt, und das frische von der Luft und der unschuldigen Freude erheiterte Gesicht seiner Magda schaute über seine Schulter. Mit welchem Entzücken verlor er sich in ihrem Anblick und küßte dann die schöne lichte Stirn! Sogleich erzählte sie ihm mit fliegenden Worten, was sie erlebt und was sie nun wollte, »und hier ist der Jäger,« fuhr sie fort – denn eben trat er neben sie hin.

Thyrnau war dies Alles so recht. Er fühlte sich besorgt für den kommenden Morgen, und schon hatte er sich angebaut mit lieblichen Eindrücken und einem kleinen heitern Abenteuer; wie ward er so froh – und wie herzlich hieß er den Jüngling willkommen, und da Magda schon zum nächsten Fenster hinein gesprungen war, hieß er ihn, es ihr nach thun, und erst mit ihnen zu frühstücken, ehe er den Rückweg anträte. Dies war bald befolgt, und als er neben Magda vor ihm saß und tapfer und mit anmuthigen Manieren es sich schmecken ließ, erstaunte er über die Verschiedenheit und dennoch gleich große Schönheit beider jungen Leute und mußte sich gestehn, daß er am wenigsten erwartet habe, am nächsten Morgen an Magda's Seite einen schönen gewandten jungen Mann zu sehn, der ohne Zweifel und ohne alle Säumniß sich in Magda verliebt hatte, obwohl ihm Thyrnau dies am wenigsten verdenken konnte und gewiß war, daß Magda keine Ahnung davon habe.

Magda sammelte jedes Brotkrümchen in ihr Körbchen, und war eben bereit, ihren jungen Gefährten zur Rückkehr nach dem Felssitz aufzufordern, als nach einem kurzen Klopfen die große schlanke Gestalt des Grafen Thurn sich zeigte, welcher bei seinem Eintritt zu seinem grenzenlosen Erstaunen den Fürsten Trautsohn in der vertrautesten Häuslichkeit mit dem Gefangenen vor sich sah.

Da er als Kornet bei seiner Mannschaft stand und er ihm eine Art Requetenmeister war, haftete sein Blick mit vorwurfsvoller Strenge auf ihm, und Trautsohn grüßte ihn militärisch ehrerbietig und erröthete bis über die Stirn.

Thyrnau bewillkommte den jungen Mann und lud ihn ein, auf einem Schemel neben sich Platz zu nehmen, und der Graf, der gekommen war, auszuforschen, sah ein, daß er sich bei dem gefaßten Argwohn des Incognito's zu einiger Herablassung verstehen müsse.

»Nun,« sagte Thyrnau jovial – »hat die Nacht bessern Rath gebracht? Kommen Sie, mein lieber junger Herr, um mir anzukündigen, daß man meine Haft anerkennen und mir dafür anständigen Gewahrsam geben will?«

»Da dies von Seiner Excellenz dem Herrn Gouverneur abhängen wird, so kann ich nichts darauf erwiedern,« sagte Thurn. – »Die große Humanität Seiner Excellenz haben ihn aber bestimmt, an diese Störung zu denken, und obwohl Ihre Ansicht über die Verhältnisse dieses Königlichen Schlosses unverändert dieselbe geblieben und Ihr bisheriges Verfahren die Würde desselben behauptete, so haben Dieselben sich doch zu erinnern gewußt, daß diese Feste, wenn auch nicht als Gefängniß, doch als ein Ort benutzt ward, wohin eine Art von Verbannung hochgestellter Personen möglich war. Oder, daß ganz besondere Verhältnisse, hochgestellte Personen zu Bestimmungen veranlaßt, die sich als vollkommen statthaft erweisen, wenn größeres Vertrauen eintritt. Daher soll ich den Herrn fragen, ob es in seine Macht gegeben ist, eine Angabe zu machen, Sr. Excellenz ein Zeichen zu schicken, welches Sie berechtigte, in nähere Verhältnisse zu demselben einzugehen.«

Es war gewiß keine kleine Aufgabe für den jungen Mann, diese Rede zu beendigen, denn – genöthigt, Thomas Thyrnau anzusehn, traf er hier auf einen so ungemein jovialen, spöttischen Ausdruck, daß Zorn und Verlegenheit sich in seine Besinnung theilten und es ihm schwer wurde, den Faden zu behalten.

»Mein Herr,« sagte Thyrnau dann lächelnd – »diese besondern Verhältnisse sind allerdings da, und gewiß bringt es dem Scharfsinn Sr. Excellenz Ehre, zu dieser Ansicht gekommen zu sein – ich kann Ihnen versichern, daß mein Verhältniß nicht das eines gewöhnlichen Staatsgefangenen ist, daß ich gewiß im Karlstein bleiben werde und zwar in den ehrenvollsten Verhältnissen, sobald der bewußte Kourier hier eintreffen wird.«

»Diese Zeit, ehe Se. Excellenz offiziell unterrichtet wird, könnte aber abgekürzt werden, wenn der Herr Gefangene irgend einen Beweis geben könnte, zu welchem Range er eigentlich gehört. – Da Sie im Besitz all' Ihres Gepäckes sind, dürfte dies vielleicht nicht schwer werden.«

Thyrnau wollte lächelnd etwas erwiedern; dann schwieg er einen Augenblick sinnend, zuckte unwillkürlich mit den Achseln und hieß Magda ihm sein Portefeuille bringen. Es war ein Andenken der Prinzessin Therese, ihr Wappen war darauf von ihr selbst gestickt, es war reich in Gold gefaßt, und an dem Schlosse befanden sich vier Smaragde. Thomas Thyrnau öffnete das Portefeuille, während die Blicke des jungen Mannes mit großem Antheil dies Aeußere überliefen, und eine feine Röthe das milder werdende Antlitz überzog.

Thomas Thyrnau blätterte in den darin enthaltenen Schriften und zog endlich ein kleines Billet auf französischem rosa Seidenpapier hervor, prüfte es sinnend noch einmal und richtete dann die Augen auf den jungen Mann, der jede seiner Bewegungen verfolgte. »Glauben Sie,« fragte er dann, »daß der Herr Gouverneur die Handschrift des Grafen von Kaunitz kennt?«

»Ich zweifle nicht daran, denn er nennt ihn seinen Freund.«

»Nun so sei es. Geben Sie ihm dies Billet zur Ansicht.«

Der junge Graf Matthias zweifelte nun keinen Augenblick mehr, daß er eine hochgestellte Person incognito vor sich haben werde, und dies sprach sich sogleich in seiner Haltung aus – ja! er wagte es jetzt zuerst, seine Augen länger auf Magda zu richten, die er nun mit ruhigerem Bewußtsein bewunderte, da ihre Schönheit bei ihrem geringen Stande ihn früher förmlich beleidigt hatte.

Als er gehen wollte, machte er eine einladende Bewegung an den jungen Fürsten von Trautsohn, ihn zu begleiten. Dieser grüßte aber nur und stellte sich wie ein trotziges Kind mit dem Rücken gegen das Fenster, und Graf Matthias sah sogleich ein, daß er nachgeben müsse, um nicht eine unangenehme Scene zu veranlassen.

Kaum hatte er sich aus dem Zimmer entfernt, so reichte Magda an Georg Trautsohn das Körbchen mit dem Brote und sagte: »Geh' Du nur jetzt allein zu der Hirschkuh – ich bleibe bei meinem Großvater, denn es ist wieder was im Werke mit ihm, und da will ich wenigstens hier sein.«

»Wir können ja ein ander Mal gehen,« erwiederte Trautsohn – »wenn Du nicht mitgehst, macht es mir keinen Spaß!«

»Auf Deinen Spaß kommt es auch gar nicht an,« sagte Magda eifrig, – »sondern, daß das gute Thier nicht hungert, während das junge Volk sich satt gefressen hat – wenn Du jetzt nicht gehst, – dann gehe ich gewiß nie wieder mit Dir hin.«

»Du bist auch sehr streng,« sagte der Jüngling – »aber gieb nur her; wenn Du es willst, so kann ich es wohl thun.«

Magda saß schon neben dem Großvater und Georg hatte nicht einmal die Belohnung, daß seine seltene Nachgiebigkeit anerkannt wurde, denn sie ließ ihn, ohne weiter einen Blick auf ihn zu richten, seinen Weg zum Fenster hinaus nehmen.

»Was denkst Du?« fragte sie sogleich – »was haben sie wieder mit Dir vor?«

»Magda,« sagte Thyrnau – »ich denke, daß sie Alle Narren sind und der Hochmuthsteufel da oben mit ihnen Komödie spielt. Gieb Acht! sie haben die Witterung, ich wäre ein ganzer Kerl, weil ich auf mein Recht trotze – da denken sie nun, ich könne wohl mehr sein, als so ein armes Subjekt – so ein bloßer Advokat, und das wollen sie heraus haben, ehe sie sich auf etwas mit mir einlassen.«

»Es ist mir nicht recht,« sagte Magda – »daß Du etwas von Kaunitz weggegeben hast – er hatte Dich lieb – was gehört das unter die Narren!«

»Magda,« sagte er – »Du darfst mir darum nicht Vorwürfe machen – ich überwand es um deinetwillen – Du hast hier eine elende Existenz; lassen sie sich durch das Zeugniß unserer Bekanntschaft dazu bewegen, uns bessere Wohnung zu geben, will ich es um Deinetwillen nicht bereuen.«

Magda küßte ihn und sagte: »Dachte ich's doch; aber liebe mich künftig so, daß Du nicht mehr nachgiebst aus Rücksicht für mich! Was fehlt mir, wo Du bist? und dann,« fuhr sie fort und deutete gegen die Wälle, – »da ist eine ganze Schatzkammer von Schönheit und Lust – ich denke, ich kann das hier lange aushalten, wenn ich das daneben habe.«

Der Graf von Thurn kehrte mit dem Bescheide zurück: der Gouverneur wünsche den Mann kennen zu lernen, an den der Graf von Kaunitz das übersendete Billet geschrieben habe.

Magda und Thyrnau tauschten Blicke, und da er nach seiner strengen Gewohnheit bereits vollständig gekleidet war, hatte er nichts zu thun, als sein Hütchen zu nehmen, Magda's Hand zu schütteln und dem jungen Manne zu folgen.

Unterdessen hatte der Gouverneur in seinem Kabinette auf und nieder wandelnd, schon wer weiß wie oft, das Billet des Grafen Kaunitz gelesen – es traf Alles ein – Kaunitz bediente sich, vielleicht in ganz Oesterreich der Einzige, dieses feinen bunten französischen Papiers, des goldenen Streusandes und des farbigen Siegellacks zu seiner Privatkorrespondenz; es war sein Wappen, sein mit französischen Worten durchmischtes Deutsch – seine eigenthümliche Unterschrift – die Adresse war: à Monsieur Thyrnau. Dann stand wieder über dem Billet: »mon chèr Thyrnau! Ich habe die Satisfaction, Ihnen zu melden, daß heute Morgen der Courier nach dem Karlstein abgefertigt worden ist, der Ihre Ankunft annoncieren und Ihnen alle aisance vorbereiten wird, welche die Umstände consolidiren sollen. Da ich Sie noch heute besuche, so sollen diese Zeilen nur noch Ihrer Enkelin meinen Morgengruß bringen.«

»Wer schreibt ein so vertrauliches Billet an wen anders als an seines Gleichen!« rief der Graf von Podiebrad, so wie er es wieder durchgelesen hatte. »Die Weisung nach dem Karlstein ist auch entschieden darin ausgesprochen, und ist das Billet nicht gestohlen, ist der alte Bursche nicht etwa der Bediente dieses Thyrnau incognito, so ist es klar, daß ich meines Gleichen vor mir habe.«

Als er zu wiederholten Malen mit dieser Selbsterklärung fertig war, öffnete sich die Thür und der Graf von Thurn führte Thomas Thyrnau herein.

Wer aber sein Betragen von so vielen künstlichen Vorschriften abhängig macht, wie der Graf von Podiebrad, der verliert sehr leicht damit den sichern Takt, der nur aus einem gesunden einfachen Innern stets die Haltung giebt, der wir benöthigt sind. Der Graf von Podiebrad war nicht in diesem Falle, und so kam es, daß er trotz der vorangegangenen Ueberlegungen jetzt unsicher und verlegen ward, und da er zweifelhaft war, ob er stolz oder herablassend sein sollte, bloß unbeholfen und ungeschickt wurde.

»Euer Excellenz haben dem kleinen Zeugniß da in Ihrer Hand die Bürgschaft zugestanden, mich endlich selbst empfangen zu wollen,« sagte Thyrnau indessen mit ruhiger Würde – »ich bin mit Vergnügen erschienen, hoffend, es werde sich nun jedes Mißverständniß ausgleichen und meine Stellung hier endlich die richtige werden.«

»Ja, ja!« sagte Podiebrad, angestrengt den Advokaten prüfend, der es gewagt hatte, ihn anzureden. – »Mißverständnisse können sehr wohl obwalten bei gewissenhafter Beobachtung der unserm Vertrauen entzogenen wahren Enthüllung ungewöhnlicher Rechte – welche dies Schloß – wie bekannt sehr ausschließlich, und den Ansprüchen genügend entzieht, wo Unberechtigte sich anmaßen könnten –« Diese völlig verworrene Rede beantwortete Thyrnau gar nicht, denn er wußte bei der ersten Phrase, daß der Urheber in den Stricken seines Hochmuths stolperte.

»Ich bedaure,« hob Thyrnau nach einer Pause an – »daß der Kourier, der alle Zweifel heben könnte, ausbleibt und bin nur meiner Enkelin wegen über meine gegenwärtige Lage etwas ungeduldig.«

»Da ich so weit gegangen,« sagte Graf Podiebrad mit wiederkehrender Fassung – »muß ich bemerken, daß es nur von Ihnen, mein Herr, abhängen wird, ob Sie durch ausreichendes Vertrauen gegen einen alten Edelmann, der schon oft Namen und Umstände von Wichtigkeit zu verschweigen hatte, das unangenehme Ausbleiben des Kouriers ergänzen wollen.«

»Ganz gewiß, Euer Excellenz,« sagte Thyrnau – »ich glaube, daß ich um diese Ehre vom ersten Augenblick an gebeten habe – ich habe gar keinen Grund zu verschweigen, daß ich wegen früherer Verhältnisse zum Staate angeklagt wurde, daß meine Richter mich zu zehn Jahr Festungsstrafe verdammten, welche die Kaiserin auf fünf Jahre reducirte, mit der Hinzufügung, daß keine gewöhnliche Festung, sondern der Karlstein mein Aufenthaltsort sein sollte.«

»Das ist eine offne ehrenhafte Erklärung,« entgegnete der Graf von Pobiebrad mit einem seinen Lächeln – »erlauben Sie mir hinzuzusetzen,« fuhr er fort, indem er sich dem Advokaten verbindlich nahte – »es ist die Erklärung eines ganzen Edelmanns. Diese Sprache, mein Herr, ist unter Gleichen leicht verständlich. – Sie haben sich verrathen, oder vielmehr Sie haben vergessen, daß das Auge eines alten Edelmannes scharf sieht, und der Name den nicht täuschen kann, der den guten unverfälschten Instinkt hat, der sich da vorfindet, wo wir unsern Umgang rein erhalten. Ich werde den in Rede stehenden Kourier nicht abwarten – ich werde Ihnen, mein Herr – und da es sein muß – auch einem Fräulein – Ihrer Enkelin – Wohnung im Schloß anweisen lassen, und auch Ihre Dienerschaft, welche Sie, wie ich höre, erwarten, wird einpassiren.«

»Mein Herr Graf,« entgegnete Thomas Thyrnau lächelnd »dies sind allerdings Zugeständnisse, wie ich sie hier erwartete – aber ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich annehme, daß ich sie jetzt einem Irrthum verdanken soll. – Euer Excellenz sehn in mir den Advokaten Thomas Thyrnau – diesem sollten nach dem Willen der Kaiserin alle Zugeständnisse gemacht werden, die Euer Excellenz mir eben bewilligten, und dieser Advokat Thomas Thyrnau nur kann und wird sie annehmen.«

Etwas beleidigt zuckte der Gouverneur zurück und ging mit ebenen Schritten ein Mal durch das Zimmer. »Ich habe nicht das Recht, Ihr Vertrauen zu erzwingen,« sagte er dann, sich vor Thomas Thyrnau hinstellend – »aber ich darf sagen, ich hätte es verdient, und es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß es mir in durchaus ähnlichem Falle zu Theil ward. Ich muß nur bemerken, daß unsere Lage dadurch nicht von Verlegenheiten befreit wird. Nur dem Edelmanne, der eine Verbannung zu erleiden hat, steht die Wohnung des Schlosses frei, und ich darf, bis ich hiervon durch das Vertrauen eines Edelmannes überzeugt werde, keine Ausnahme machen, welche die Rechte des Karlsteins beleidigen würde.«

»Nun wohl,« sagte Thyrnau, »so bleibe ich in der Hütte, die ich jetzt bewohne – ich muß aber darauf bestehen, daß der Polizeibote, welcher mich hierher gebracht hat, augenblicklich mit dem Bericht dieser Umstände nach Wien geschickt wird, da ich, wie es scheint, nur von dorther Hülfe zu erwarten habe.«

»Sie machen es mir sehr schwer, Ihnen nützlich sein zu können,« sagte der Graf – »und ich muß wegen dieser Hartnäckigkeit Ihrerseits jede Verantwortung ablehnen. In einer Stunde wird der Polizeibote abgehn, und ich stelle es Ihnen anheim, Ihren Bericht zu machen – der Graf von Podiebrad wird seine Handlungsweise zu vertheidigen wissen.«

»Ich habe dem Boten keinen Bericht zu machen,« sagte Thyrnau, der wohl wußte, daß dieser Märtyrer altadeliger Gesinnungen die Sache nicht entstellen werde – »Euer Excellenz werden durch Ihre Mittheilung, ohne mein Zuthun, meine unangenehme Lage hinreichend schildern, um eine schnelle Abhülfe von dorther zu veranlassen.«

Podiebrad lächelte geschmeichelt. »Jetzt darf ich sagen, mein Herr, daß Sie mir gerecht sind – Erlauben Sie mir hinzuzusetzen, Herr Advokat Thomas Thyrnau,« fuhr er spöttelnd fort – »daß es das Vertrauen eines wahrhaftigen Edelmannes ist.«

»Nun, mein Herr Gouverneur,« sagte Thyrnau ungeduldig – »so lernen Sie denn von diesem Advokaten, den sie durchaus nobilitiren wollen, daß edle Gesinnung dem Ehrenmanne in allen Ständen natürlich ist.« Mit diesen Worten grüßte er rasch und stolz und der Graf von Thurn begleitete den unerbittlichen Alten zur Thür seiner Hütte zurück, wo sie sich trennten.


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