Henriette Paalzow
Thomas Thyrnau – Dritter Theil
Henriette Paalzow

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Der Oktober-Morgen lag mit seinem vollen magischen Reichthum über der Erde ausgebreitet – der Boden war mit Thauperlen besäet und der Rasen von dem saftigsten Grün. An den Rändern der Bäche nährte sich noch die reichste Blumenpracht und die niedern Felsenwände zeigten ihre farbige Vegetation, erfrischt von dem belebenden Thau, in lebhafteren Farben. Die Wälder prangten in der fabelhaften Verwandlung, wo goldene Laubkronen mit purpurnem Schatten neben dem ewigen Grün der Kiefern und Lerchenbäume entstehen, und die grüne Winde mit ihren tanzenden Florblüten, und das Schlingkraut mit seinen fleißigen kleinen Händen sich um jeden Stamm klammert, und die blaßgrünen Ranken so lange in der Luft hüpfen, bis sie den Nachbarzweig erhaschen, mit dem sie nun Freundschaft unterhalten, und von ihm geduldet, sich weiter schlängeln, bis die Festons ihres zarten Geglieders die wahre Waldgemeinschaft bewirken. Dazwischen, wo der Waldweg zurückwich, oder die Durchsicht die Ferne zeigte – lagen die Nebelschichten der Sonne entgegen, die sie theils niederdrückte, theils in seine Dunststreifen verflüchtigte, indem sie ihre leichten Massen gegen die dunklen Körper der Felsen in violetten und rosenrothen Färbungen zeigte – während einzelne Stellen schon von den warmen Strahlen der Sonne durchbrochen wie glückselige Inseln in paradiesischer Ueppigkeit zu leuchten schienen.

Die Wanderer, die den thauigen Weg, der auf felsigem Boden eine unebne Landstraße darbot, hinan klommen, waren so still als die Natur, die ihre heiteren Bewohner bereits entbehrte; nur zuweilen hörte man den Specht durch den Wald oder das Käuzchen – oder die Käfer und die wilde Biene schossen summend vorüber.

Die tiefe Stille paßte, wie es schien, gut zu den Wanderern, denn Beide waren auch lautlos, und es schien zweifelhaft, ob der herrliche Morgen Herrschaft habe über ihr Gemüth.

Thomas Thyrnau ging seitwärts etwas zurückbleibend gegen Magda, und sein besorgtes Auge suchte auch nur in der ganzen Natur das eine theure Wesen, welches mit tief gesenktem Kopfe mühsam vor ihm her stieg und Alles unbeachtet am Wege ließ, was sonst ihre leichte kindliche Gestalt in tausend Nebensprüngen vor ihm würde hergejagt haben. Der Abschied von Wien hatte ihr das Herz gebrochen – seitdem erst schien sie ihr verändertes Schicksal ganz zu fühlen, und die Kraft war aus ihrer Brust geflossen; Magda hatte sich erst begriffen, als die Angst für Andere sie verlassen. Mit welcher tiefen Sorge dachte Thyrnau nun des Aufenthalts, dem sie sich nahten, der dem verwöhnten leidenden Kinde ein Gefängniß werden sollte. Er dachte nicht mehr sie zu entfernen, denn was darüber zu denken und zu thun war, das hatte sich Alles vergeblich gezeigt an dem unbesiegbaren Willen des festen Kindes – und indem sein Auge sie muthlos bewachte, war es das müßige und doch nie aufgegebene Bestreben der väterlichen Liebe, die wunde Stelle zu entdecken, auf der ein Liebesblick das Weh zu lindern vermöchte.

Oft – wo der Weg anstieg und die Natur sich einladend zeigte, hatten sie den Wagen verlassen, und bei der achtungsvollen Schonung, die bloß einen Reiter zu ihrer Bewachung gestellt – fand jede Einrichtung Gehör, die der Gefangene vorschlagen wollte.

Vor ihnen klomm der schwerfällige verschlossene Wagen Berg an und Thyrnau erfuhr, daß dieser Felsweg auf eine der vier Berghöhen führte, in deren Kessel das Plateau sich erhob, auf dem der merkwürdige und historisch bedeutende Karlstein erbaut war. Es war also der letzte Tag ihrer Freiheit, in einer Stunde umschloß sie vielleicht schon die feste Burg des alten Königssitzes, und es war ihm, als müsse er das geliebte Kind noch fest halten in der lieblichen Natur, sie noch gegen die belebenden Strahlen der Sonne wenden, ihr noch Blumen pflücken, sie auf Moos ruhen sehen.

Da bemerkte er, wie sie einem Baume zuschritt und sich dann erschöpft gegen seinen Stamm lehnte. So unbedeutend konnte das scheinen und es zerschnitt Thyrnau's Herz – hatte sie jemals Ermüdung gekannt – war ihr ein Weg je zu hoch, zu steil, zu lang erschienen? und heute verließ sie schon die Kraft, und so kurz zuvor erst hatten sie das Nachtlager verlassen, so viel kürzere Zeit noch war sie gegangen.

»Bist Du ermüdet, mein Kind!« redete sie Thyrnau an – »ruhe hier auf meinem Mantel im Moose – das ist so weich!«

»Laß das, Großvater! – ich denke, wir sind bald dort, da kann ich lange ruhen – ich weiß nicht, ob ich müde bin, der Athem nur hat keinen freien Zug – ich wollte mich grade rücken an dem Baum, mein Kopf ist so müde!«

»Schau umher, mein Mädchen!« sagte Thyrnau – »der Morgen ist so schön und der Weg hat seine Reize!«

»Ich sehe wohl!« sagte Magda und schlug die Augen nach flüchtigem Umblicken zur Erde – »aber mir wird wohler sein hinter Mauern. – So viel Schönes kann recht ängstigen, es will nichts umsonst sein, wir sollen auch geben, eben Freude daran – es straft uns, wenn wir nichts davon haben – glaub' mir, eben diese Schönheit macht mir die Brust so weh und beklommen!«

»Vielleicht,« sagte Thyrnau milde – »würdest Du von der gütigen Natur anders denken, wenn Du sie nicht fürchtetest. Du machst aus ihr ein eitles gefallsüchtiges Wesen, was strafen will, wenn man ihr die Huldigung versagt – und doch ist sie die sanfte wohlthuende Mutter, die ihre weichen Arme grade ihren müden kranken Kindern ausbreitet und sie austräumen läßt an ihrem Busen und sie anspruchlos von ihren Schätzen nährt, uneingedenk, ob sie die Größe und Güte ihrer Gaben im vollen Maaße schätzen und ihr danken werden.«

Unter Magda's Augenliedern perlten ein paar Thränen hervor. Sie streckte die Hand nach ihm aus und sagte: »Dann wird es wohl anders sein, vielleicht darf ich mich nicht erweichen – ich kann denken, gäbe ich der süßen, milden Natur nach, da brächen die letzten Stützen weg – so müssen Bäche entstehn – die Sonne lockt die dünne Rinde weg, da stürzt der Quell hervor – ach! Großvater, Deine Magda löste sich auf, sie würde ein Bächlein, das vor Deinen Füßen wegflösse.« –

Wie weh thaten ihm diese Worte – aber er lächelte und sagte: »Was Du wohl für hübsche Blumen an Deinem Rande blühen ließest – sieh nur, gewiß diese blauen mit dem lieben Namen, die wären für mich, und den Crocus mit violetten und gelben Blumen, und die weiße Nymphea, die ließest Du tanzen auf Deinen Wellen – und die kleinen weißen Sterne mit dem rothen Rande –«

»Die Maaßliebchen!« sagte Magda und lächelte wie ein Kind, dem man von seinem Spielzeug erzählt – »weißt Du wohl,« sagte sie noch lächelnd – »um den See in Tein?«

Doch kaum war der geliebte Name, der ihre heimliche Sehnsucht umschloß, über ihre Lippen, so stieß sie einen Schrei aus, als zerrisse ihr Herz und stürzte sich an Thyrnau's Brust, der sie stumm mit seinen Armen umschloß.

»Denke Deinen Schmerz nur recht aus, mein liebes, liebes Mädchen,« sagte Thyrnau sanft– »dann wird Dir besser werden und Du kommst auf den Grund Deines Grams und dann steigst Du wieder in die Höhe und stehst darüber.«

Magda aber weinte und ihre Brust bebte zum Ersticken krampfhaft und über diesen heftigen Sturm fuhr Thyrnau fort sanfte Worte zu ihr zu sprechen, froh, daß der Schmerz sich einen Ausbruch verschafft hatte und hoffend, daß seine Stärke damit nachlasse.

Auch sank sie endlich fast müde in sich zusammen, und Thyrnau breitete seinen Mantel unter ihr aus, und gegen den Baum gelehnt, von ihm gestützt, versank sie in einen kurzen Schlaf. Er dauerte nicht lange und hatte sie doch erquickt – sie stand auf und dankte dem Großvater und hing sich wie sonst an seinen Arm und war besorgt, daß der Wagen schon verschwunden war. Auch war ihr berittener Begleiter umgekehrt, um den Grund ihrer Zögerung zu erfahren, und ritt, als er sie erblickte, langsam vor ihnen her bis zu dem höchsten Punkt, wo er sie erwartend still hielt.

Schon ehe sie den Standpunkt, wo er sich befand, der überdies mit hohen Kiefern bewachsen war, erreichen konnten wies er mit der Hand in die Ferne, und als sie sich näherten, stiegen die Thurmzinnen des mächtigen Karlsteins vor ihnen auf, und jetzt, wo sie neben ihrem Begleiter standen, lag er auf der Platform des Mittlern Felsens von den vier Bergen welche umher lagen, wie von seinen Vasallen umgeben, vor ihren Blicken da. Beide wurden lebhaft von seinem Anblick angeregt, denn trotz dem Verlauf der Zeit und manchen erlittenen Verwüstungen wohnte ihm dennoch ein unzerstörbares Gepräge der Erhabenheit bei, und seine hohen festen Thürme trugen einen stolzen Karakter, während ihre verschiedenen Gestalten etwas Geheimnißvolles hatten, als wären sie die Chiffern-Sprache einer wichtigen Erzählung, die nur der mystische Geist seines großen Erbauers verstanden, und deren Bewahrung durch das Leben jedes Wächters verbürgt ward. Der gewundene Weg, der in den Felsen gehauen vor ihnen lag, war zugleich der einzige, der in das Innere führte, und sein Eingangsthor, über dem sich des ersten Wächters Behausung erhob, war mit einem Fallgitter verschlossen. Schweigend blickten unsere Wanderer auf ihre zukünftige Wohnung und hörten den Erklärungen zu, die ihr Begleiter ihnen zu machen suchte. Die vier Höhen, die das Schloß umgaben, waren befestigt und beherrschten das ganze Verauner Thal – auf den höchsten Punkten befanden sich kleine Wachthäuschen, worin sonst Tag und Nacht die alle Stunden abgelösten Wächter unverwandt in die Ferne blicken mußten und bei Lebensstrafe gehalten waren, keinen Fremden nahen zu lassen. – Bei jeder Ablösung tönte der ernste Ruf in die Berge hinab: »Fern ab von der Feste! daß kein Unglück geschehe!« – und die Nachbarn der heil'gen Feste kannten diesen Todesruf, der, unbeachtet gelassen, einen sichern Pfeil aus dem gespannten Bogen nach sich zog. Jetzt – wo dies einst so drohend beschützte Heiligthum dem Einflusse der Zeit sich hatte überliefern müssen – waren die Befestigungen unbewacht und zeigten dem erfahrenen Auge ihren unbeachteten Verfall, wer aber von ihrem Rücken auf den großartigen Bau schauen und sich in das tiefsinnige Gemüth Karls des Vierten, seines großen Erbauers, versenken konnte, dem mußte noch immer scheinen, der Geist eines großartigen Geheimnisses sei hier dem riesigen Gestein auf eine unzerstörbare Weise eingeprägt, und dem Eingeweihten werde sich ein Zeugniß zu erkennen geben, welches dem profanen Auge in mystisches Dunkel gehüllt bliebe. Thomas Thyrnau sah mit tiefer Bewegung auf das Haus des einst so mächtigen Meisters – er kannte den Dienst, dem auch er angehörte, und verstand die Lösung der Zeichen, die er zu finden gewiß war. Das ahnungsvolle Kind an seiner Seite fühlte sogleich diesen Einfluß – »Ach! ach!« stammelte sie und streckte ihre Arme gegen die Feste aus – »was wirst Du in Deinem heil'gen Bereich bewahren! – was wirst Du mir zu sagen haben, was ich noch nie hörte und wonach vielleicht mein Herz so sehnsuchtsvoll schlägt – was für Geheimnisse mußt Du umschließen, die ich vielleicht ewig umsonst befragen werde?«

Thomas Thyrnau blickte gerührt zu dem überreizten Kinde hin, aber jede Erscheinung in ihr war ihm lieb, die Hoffnung ließ, daß sie aus ihrem dumpfen innern Grame nach Außen treten werde. Er stand nicht an zu erwiedern: »Du ahnest recht, meine Tochter! – Karl der Vierte stand als Großmeister an der Spitze eines mächtigen Ordens, den uns der Orient in heil'gen Überlieferungen zuführte, und dessen tiefsinniger Dienst und großer Einfluß auf das Wohl der Menschen in ein unverbrüchliches Geheimniß gehüllt ist, welches nur dem Eingeweihten den Ritus erkennen läßt, der dem Profanen unverständliches Zeichen bleibt – und ich bin gewiß, die Anzeichen zu finden, daß er die heilige Rituale hier übte und bewahrte!«

»Ha,« rief Magda, die mit ihren klugen Augen seine Worte verschlungen hatte – »da wirst Du mich sie erkennen lehren – da werde ich recht was Großes, Tiefes, erleben können!«

»Nein, Magda,« erwiederte Thyrnau – »jede Frau ist von der Mitwissenschaft dieses heil'gen Ordens ausgeschlossen – ohne des Meineids schuldig zu werden, dürfte Dir kein Eingeweihter Aufschluß geben.«

»Ha,« rief Magda – »da hat Dein heil'ger Orden, wie Du ihn nennst, eine schwache Stelle! Warum wagt ihr Menschen, Gesetze zu machen, die ein Geschöpf Gottes, von ihm so hoch begabt wie das andere, auszuschließen wagt als unberechtigt?« »Bezähme Deinen schlagfertigen Verstand,« sagte Thyrnau streng – »ich könnte Dir viel darauf entgegnen, was diese Bestimmung rechtfertigt, wenn es sich ziemen wollte. Eins aber wird Dir einleuchten und vielleicht war es der Anfangsgrund dieses Gesetzes: in jener fernen Vorzeit waltete nur ein sehr geringes geistiges Verhältniß zu den Frauen ob – die Barbarei der Zeit hatte sie in eine Sphäre gedrängt, worin ihre volle Naturberechtigung erdrückt, sie den Anschein niederer Befähigung trugen und dadurch zu den Männern nur in einem ganz rohen physischen Verhältniß blieben, welches doch grade von unserm leicht verführbaren Geschlechte abgehalten werden sollte.«

Thyrnau hatte Magda mit dieser Entgegnung zum Schweigen gebracht, aber ihrem arbeitenden Geiste die Betrachtung dieser neuen Erscheinung zu entziehen, wollte er eben so wenig, als er es vermocht hätte.

»Sieh,« fuhr er fort – »wie lieblich hier das Thal ausmündet und an den Ufern der Beraun sich hinzieht bis zu dem kleinen Städtchen Budnian, welches um seine Kirche, wie eine schlechte Einfassung um ein Juwel, liegt.«

»Ja,« seufzte Magda bewegt auf – »hier ist Ruhe! hier verstehe ich zuerst, was einsam ist! – Ob hier wohl Vögel singen? Ob die Forelle hier wohl im Bache rauscht? – ob der Wind hier eine Stimme hat und der Regen nicht die Tropfen anhält, ehe sie niederfallen? Denkst Du nicht, das welke Blatt müsse sich besinnen, ehe es zur Erde sinkt, und die Bienen müßten umkehren an den vier Bergen, über denen noch immer das geheimnißvolle: »Fern ab von der Feste!« erklingt.«

»Wir werden es ja erfahren« – sagte lächelnd Thyrnau, denn er freute sich, daß die verstummte Magda in ihre alten Rhapsodien verfiel.

Schon sahen sie, daß der Wagen in das erste Gitterthor eingelassen ward, und ihr Begleiter forderte sie nun auf, denselben Weg anzutreten. Als sie niederstiegen in das Thal, umfing sie eine feuchte Kälte; die Sonne stand noch niedrig, die hohen Berge hielten ihre Strahlen ab. Der Weg führte durch das Gitterthor bis zur zweiten Eingangspforte durch einen in den Felsen gehauenen, mit Mauerwerk und Schießscharten versehenen Weg zum Haupteingang und einem gigantischen Thore, an welchem das ungeheure Schloß Magda's Erstaunen erregte. Über diesem Thore erhoben sich die baufälligen Trümmer der Wenzel-Kapelle, auf der nur noch das goldene Kreuz, von neueren Balken gestützt, zu sehen war. Durch dieses Thor traten sie in den Vorhof der Feste, wo die Wohnung der Burggrafen sich zeigte, die jetzt von der minder wichtigen Person eines Gouverneurs eingenommen war, und hier führte sie ihr Begleiter in einen mit dem Hof durch offene Thüren verbundenen Wachtsaal, in welchem sich ein Offizier und einige Mann der Besatzung befanden.

Als der Begleiter der Gefangenen seine Meldung gemacht, überlief der Offizier Beide mit einem hochmüthigen Blick, und lachend vor Magda stehen bleibend rief er mit wegwerfender Zutraulichkeit: »Nun Kleine, Du bist ein seltenes Stück Besatzung für den Karlstein – weißt Du nicht, daß den Weiberröcken verwehrt ist, hier zu fegen? Daß wir Dich werden ausquartieren müssen, oder auf der höchsten Zinne baumeln lassen, damit der Frevel gesühnt wird?«

»Mein Herr,« sagte Thyrnau, während Magda entsetzt zurückwich – »habt die Güte, uns nicht mit Euren Scherzen zu belästigen, sondern meldet uns bei dem Herrn Gouverneur – wir werden ihn allein anzuhören haben.«

»Tod und Teufel!« rief der beleidigte Offizier – »soll so ein Taugenichts, der Strafzeit erleidet, transportirt wird für Gott weiß was für ein Verbrechen, den Mund gegen uns, die allvermögenden Herren der königlichen Feste Karlstein, aufthun? der ersten im Lande des glorreichsten Dienstes im Staate? Kannst Du lesen, alter Bursche, so sollst Du die erlauchten Geschlechter verzeichnet sehen, die einst hier den Dienst der Wache mit einem Zeichen in ihrem Wappen verewigten! – Denkst Du, die Gewohnheit sei herunter gekommen? Wisse, daß noch immer nur Männer vom vollblütigsten Adel hierher berufen werden, und erfahre zu Deiner tiefen Beschämung, daß Du mit dem zweitgeborenen Sohne des erlauchten gräflichen Hauses Castiglione Pasterau zu sprechen die Ehre hast!«

Thyrnau hatte Magda ruhig gegen den Kamin geführt und sie auf einer Bank niedersitzen lassen, da Furcht und Kälte ihren zarten Körper schüttelten – und vor ihr stehend, so daß er sie den unverschämten Blicken des Offiziers entzog, wandte er sich jetzt zu ihm und sagte ruhig: »Desto besser, mein Herr, wenn Sie sich eines edlen Namens zu rühmen haben, so werden Sie das Unglück und die Unschuld nicht schmähen wollen.«

»Ja, Unglück!« rief Pasterau – »alle Verbrecher sind bloß unglücklich – das ist die alte Geschichte! – und solche Mädchen, die auf der Landstraße nachziehen, und zur Besatzung einer Festung gethan werden, deren Unschuld sollen wir anbeten? – Du bist ein alter Schwachkopf, und ich werde Dich lehren, wie wir's mit Dir und solchen Dingern von Mädchen hier halten!«

»Genug!« schrie Thyrnau hier mit einer solchen Donnerstimme, daß Pasterau zurück prallte und die Soldaten von ihrer Bank in die Höhe fuhren, als hätten sie den Signalschuß gehört – »Ihr Betragen überschreitet völlig Sitte und Recht – und ich werde mich darüber beklagen, wenn Sie nicht augenblicklich uns vor den Gouverneur führen, der Ihrer Rohheit Einhalt thun wird.«

»Schmeißt ihn hinaus! schmeißt ihn in den Felsenkeller!« rief der Offizier wüthend, denn das erste Frühstück hatte schon mit einer zu reichlichen Portion gelehrter Flaschen seine Sinne umnebelt. – Thyrnau aber rief den Soldaten zu, sich zu hüten, indem er einen hölzernen Schemel mit solcher Leichtigkeit in der Luft schwenkte, daß ein sehr gegründetes Bedenken bei der Mannschaft eintrat, ihm zu nahen. Jetzt näherte sich der bisherige Begleiter des Thomas Thyrnau und bat ihn, mit seiner Enkelin den Raum zu verlassen, er wolle dann den jungen Herrn wo möglich zur Ruhe sprechen.

Thyrnau folgte um so lieber diesem Rathe, da Magda sehr zu leiden schien und der trunkene Zustand des jungen Herrn den Streit mit ihm so wenig ehrenhaft machte. Beide folgten daher ihrem Führer über den Burghof, wo er sie in ein niedriges Gebäude einführte, welches ein Wirthschaftshaus schien, und worin er ihnen ein Zimmer öffnete, – ein wüster Raum mit Tischen und Bänken, der ein Gastzimmer des untersten Ranges andeutete. Aber es war leer und dies machte es gegen das eben verlassene zur größten Wohlthat. Als sich Beide allein sahen, zog Thyrnau die zitternde Magda in seine Arme – sie war todtenkalt und der Frost schüttelte sie – aber Keines sprach ein Wort. – Magda's Herz stockte vor Entsetzen – Thyrnau fühlte sich selbst überrascht über den rohen Empfang, und dachte mit einiger Unsicherheit an die Verhältnisse, die ihn erwarten konnten. Er bat Magda, ihn los zu lassen, um für Etwas Feuer sorgen zu können, und obwohl sie schauderte, seinen schützenden Arm zu verlieren, blickte sie doch mit einigem Verlangen nach dem kalten Heerde, auf dem kein Fünkchen glühte. – Thyrnau ging indessen über einen kleinen Flur in ein gegenüber liegendes Gemach, welches so mit Gegenständen überfüllt war, daß er im ersten Augenblick die Bewohner nicht herausfinden konnte.

In der Mitte standen zwei angezapfte Tonnen, mit zinnernen Krügen und Weingläsern umgeben. An den Wänden waren Fächer, welche alle Bestandtheile einer Victualien-Handlung enthielten. Von der Decke herab hingen Würste, Schinken, Speckseiten, Tabak, Lichter, Stricke, Flachs – und Leinwand und grobe Tuchstücke standen in Ballen an der einen Seite der Wand; auch hier liefen Bänke umher, und im Heerde brannte Feuer und Kessel und Töpfe waren im vollen Kochen. Als er bis zu der Flamme vorgedrungen, rief eine grobe weibliche Stimme: »Was beliebt? was beliebt? was gedenkt der Herr hier im fremden Eigenthum?« Eine breite vierschrötige Gestalt erhob sich hinter ihm und ein Paar kaum sichtbare Augen blickten neugierig und mürrisch zu ihm auf.

»Liebe Frau!« sagte Thyrnau – »besorgt etwas Feuer in den Heerd Eures Gastzimmers, und könnt Ihr, so bereitet uns ein erwärmendes Getränk – habt Ihr nicht Thee oder Kaffee? drüben friert ein junges Mädchen.«

Das Weib starrte ihn an, als spräche er eine andere Sprache – dann schwoll ihr Gesicht, welches schwarzbraun und von Pockennarben zerrissen war, hochroth auf, und als sie das erste Ausrufungszeichen, ihren dicken Arm in die Seite gestemmt, sagte sie in grobem höhnischen Ton: »Ihr seid wohl ein Prinz, Herr Landstreicher, und habt nur so das Befehlen? Das sind mir ja schlaue Gewohnheiten – ein eigenes Feuer im Gastzimmer und Thee oder Kaffee – und dann seid Ihr wohl von den Höflichen ohne Geld in den Taschen, für die unser eins arbeiten muß, und sich bedanken, wenns beliebt aufzuessen, was wir verdient?«

»Nehmt dies Geldstück vorweg,« sagte Thyrnau, Alles überhörend, allein bestrebt zum Ziele zu kommen – »und schafft nur, was ich begehre.« Die Hand des Weibes schnappte über dem Gelde zu, wie der Deckel über eine Kanne fällt; dann sagte sie: »Könnt Ihr Euch denn hier nicht wärmen – 's ist für ein junges Ding von Mädchen doch wohl Platz genug?« »Nein,« sagte Thyrnau, der den überwältigenden Geruch dieser Vorrathshöhle für Magda fürchtete – »Ihr müßt uns dort Feuer machen und was wir brauchen, dahin liefern.«

»Nun so hört Mann,« rief das Weib entschlossen – »daß ich das nicht thun werde! In dem Heerd da drüben wird nur Abends, wenn die Wache ablöst und den Nachtimbiß nimmt, Feuer gemacht – für Leute im dunkeln Rock sind solche Feierlichkeiten nicht! Kaffee könnt Ihr haben, und zwar wie Alles, was hier verabreicht wird, aufs Beste, aber die Dirne wird ihn hier trinken, oder Ihr könnt Euch auf dem Karlstein ein anderes Gasthaus suchen!« Ein rauhes Auflachen bewies ihre Sicherheit, daß dies nicht möglich sei, und Thyrnau, sogleich übersehend, wie nutzlos der Widerstand sein werde, verließ augenblicklich das Zimmer, um Magda den Versuch machen lassen, da er ihr Wärme am Nöthigsten hielt. –

Er fand sie, den Kopf auf den Armen vornüber, auf einem der harten Tische liegen – liebevoll richtete er sie auf und führte sie hinüber. Sie schauderte, als sie eintrat, aber sie ließ sich willig bis zum Heerde leiten, wo der Zug des Feuers die Luft etwas klärte und die Wärme das arme erstarrte Kind wohlthätig berührte. Thyrnau bereitete ihr einen leidlichen Sitz und schob sich selbst einen Schemel an ihre Seite, um sie in seinen Armen zu schützen. Das Weib besorgte indessen, ohne im mindesten für die Einrichtung ihrer Gäste zu sorgen, das Getränk, welches sie Kaffee nannte, und Magda trank mit einer Art von Begierde davon, denn sie fühlte eine Erstarrung in sich, daß sie die Flamme hätte trinken mögen – dann sank sie an der treuen Brust zusammen, in der sie vorerst die bedeutendste Sorge war. Trotz dem, daß das Weib ohne alle Rücksicht ihre Küchengeschäfte trieb, oder ihren knarrenden Haspel drehte, schlief Magda doch ein und Thyrnau lauschte sorgenvoll ihren leisen kurzen Athemzügen. Doch nicht lange währte diese Ruhe, da hörte er laute Schritte, die über den Flur tönten, und als das Zimmer drüben sich leer zeigte, trat neben ihrem Reisebegleiter ein junger Offizier ein, in welchem Thyrnau zu seinem Troste wenigstens einen Andern als den Herrn Castiglione Pasterau erkannte.

Er hatte eine schöne ausgezeichnete Gestalt, ein edles stolzes Gesicht, in welchem der Ernst an hochmüthige Strenge grenzte; aber auf den ersten Blick wußte Thyrnau, er habe von diesem nichts Gemeines zu befürchten, und dies machte ihm seine Erscheinung zu einer wahren Wohlthat.

Der Offizier schien, als er zu Thyrnau und dem bleichen schlafenden Kinde an seiner Brust hintrat, einen Augenblick von der ausgezeichneten Persönlichkeit Beider überrascht zu sein, aber der Vorsatz einer stolzen Selbstbeherrschung ließ ihn schnell über diesen Eindruck siegen.

»Ist das der Mann?« fragte er mit kurzer ernster Weise den Begleiter – »den Ihr vorgebt unter dem Namen des Advokaten Thyrnau, als Gefangenen in den Gewahrsam der Feste Karlstein bringen zu sollen?«

»Ja, gnädiger Herr!« erwiederte Jener – »ich kann bei meinem Diensteid schwören, daß ich zu dem Privat-Polizei-Büreau Sr. Excellenz des Staatskanzlers Grafen von Kaunitz gehöre, daß ich diesen Geleitsschein daher bekam, der mir als Regierungsboten auch die Thore des Karlstein öffnete.«

»Daß Ihr dazu gehört, ist bereits erwiesen, davon ist nicht mehr die Rede, eben so, daß Euch von allen Behörden in den zu passirenden Städten und Plätzen bei der Begleitung des gefangenen Advokaten Thomas Thyrnau der nöthig scheinende Vorschub geleistet werden soll, dies enthält Euer Geleitsschein – Ihr habt die Eintrittskarte überdies, die Euch die Thore der Feste Karlstein öffnet; aber diese enthält nichts von Euren Gefangenen, und ohne alle Instruktionen hierüber, wie Ihr seid, müssen Seine Gnaden der Herr Gouverneur sich entschieden weigern, ein festes königliches Schloß, welches, wie der Karlstein, zu den ehrenvollsten Dienststellungen des Landes gehört und bis jetzt nur in den seltensten Fällen für die höchsten Personen eine Art Verweisungsort ward, zu einem Gefängniß für unbekannte Personen geringerer Stände sich umwandeln zu lassen, wodurch sowohl die Würde des Orts als die Person des Befehlshabers herabgesetzt würde.«

»Mein Herr!« sagte Thomas Thyrnau jetzt – »ich muß sehr erstaunen, daß Seine Excellenz der Herr Gouverneur von meiner Ankunft ununterrichtet ist, da einen Tag vor meiner Abreise der Kourier hierher abgeschickt wurde, der die Befehle der Kaiserin über meine Aufnahme zu überbringen hatte. Wir sind wegen der Begleitung meiner Enkelin nur langsam gereist und der kaiserliche Bote mußte einige Tage vor mir hier haben eintreffen können.«

»Es ist ein solcher Befehl oder solcher Bote hier nicht eingetroffen,« entgegnete der Offizier – »und seine Excellenz wollen die Möglichkeit eines solchen Befehls bezweifeln!«

Thomas Thyrnau schwieg einen Augenblick, denn Magda war von dem Sprechenden erweckt worden, und ihre großen müden Augen hefteten sich jetzt auf den jungen Mann, der diese letzten Worte aussprach.

»Vielleicht« – setzte er hinzu – »ist bei der Abfertigung des Polizeiboten ein Versehn vorgefallen, man hat vorgehabt, Euch nach einer andern Festung zu bringen, wohin der Befehl gelangt sein mag, Euch aufzunehmen – ein anderer Bote mag von der Majestät beordert worden sein, dem Herrn Gouverneur Mittheilungen von der Majestät zu überbringen, diese sind theilweis verwechselt worden und Ihr habt nun irrthümlich einen Gefangenen hierher gebracht.«

»Dies Alles kann nicht der Fall sein,« entgegnete Thyrnau – »da ich selbst die Handschrift der Kaiserin gesehen habe, welche dem Erkenntniß des Gerichts über mich hinzugefügt hatte, daß sie mir den Karlstein in Böhmen – meiner Heimath – angewiesen habe.«

Der Offizier sah Thyrnau mit einem seltsamen Lächeln an; es ergänzte das vornehme Schweigen, womit er diese Entgegnung aufnahm – er fügte hinzu: »Alle diese Umstände können kein Grund werden, den Karlstein zu einem Gefängniß herabzusetzen und der Herr Gouverneur halten dieses Eindringen für etwas Unzulässiges!«

»Kann ich den Herrn Gouverneur nicht selbst sprechen?« fragte Thyrnau – »vielleicht würde eine solche Mittheilung uns besser verständigen!«

»Ich glaube nicht, daß der Herr Gouverneur andere Personen spricht, als die dazu durch Rang oder Dienststellung autorisirt sind,« entgegnete der Offizier.

Jetzt überzog Thyrnau's Gesicht das Lächeln des unverkennbaren Spottes und der junge Mann, dessen scharfer Blick dies sogleich auffaßte, erröthete einen Augenblick. – »Wollen Sie mir dann erklären, was der Herr Gouverneur in diesem besondern Falle beschlossen haben?« fragte er, und das sorglose Lächeln des Spottes begleitete noch immer diese Worte – »Sie werden mir zugestehn, daß es ein eigner Fall ist, daß ein Gefangener um die Aufnahme in seinem Gefängniß suppliciren muß; es könnte scheinen, daß ihm die Freiheit von selbst wieder zufiele, wenn man sich weigere, sie ihm zu nehmen.«

»Ueber das Recht, diese Freiheit Ihnen zu nehmen,« entgegnete der Offizier kalt – »trage ich keinen Zweifel – nur über das Recht, dieses königliche, höchst angesehene Schloß zu einem Gefängniß der Art zu stempeln, habe ich den Auftrag, Ihnen die Meinung des Gouverneurs zu sagen, und vielleicht dürfte ich bei einem gebornen Böhmen ein eingehenderes Verständniß voraussetzen, denn der Karlstein ist der Stolz des Landes – und seine besonderen Berechtigungen, seine unumstößlichen Gesetze, die – willkürlich zu ändern selbst nicht in die Macht der österreichischen Herrscher gelegt scheinen will, sollten, denke ich, jedem Böhmen bekannt und ehrwürdig sein.«

»Ich kann mich trotz dieses weißen Haares nicht rühmen, zu der glorreichen Epoche Karls des Vierten zu gehören – aber ich habe in meiner Bibliothek eine vergelbte Kronik gefunden, in welcher die Verfassung des Karlsteins bei seiner Einweihung vor vierhundert Jahren just so verzeichnet steht, wie Sie, mein Herr, sie jetzt noch anzunehmen geneigt sind. Damals verdienten alle Männer der Bewachung den Namen der Kronenwächter – doch Ferdinand der Zweite hat auch dieses hohe Amt durch die Wegführung dieser Schätze in sich aufgehoben und seit hundert Jahren, denke ich, haben die Herren der Besatzung nur die Erinnerung zu bewachen.«

»Ich könnte Ihnen antworten, daß dies für einen Edelmann, dessen Vorfahren an des glorreichen Karls des Vierten Seite als bewährte Stützen des Thrones dieser Einweihung vor vierhundert Jahren beiwohnten, Grund genug ist, die Heiligkeit eines solchen Ortes vor Entwürdigung zu schützen – aber ich darf nicht annehmen, daß Sie mich verstehen werden und möchte bezweifeln, daß diese Unterredung nicht eine müßige sei.«

»Unfehlbar, mein Herr, ist sie das!« rief Thyrnau – »und ich habe in diesen Mauern schon zu viel Anmaßung erduldet, um die Fortsetzung von Unterhandlungen zu wünschen, die mich nur in so fern etwas angehen können, als sie mich und meine Enkelin aus einer ganz unpassenden Lage ziehen sollen. Ich muß bitten, daß Sie sich sogleich erklären, welches Verhalten gegen mich Sie glauben verantworten zu können, und Sie – welchem als Polizeiboten meine Person übergeben worden ist – Sie werden dafür sorgen, daß man mir, wie mir zugestanden worden ist, eine anständige Behandlung widerfahren läßt, wozu eine Wohnung für mich und meine Enkelin gehört, in der wir nicht den Rohheiten fremder Menschen ausgesetzt sind. Dies verlange ich augenblicklich; über mein längeres oder kürzeres Bleiben steht Ihnen dann zu, die Unterhandlungen zu führen, die für mich von keinem Belang sind.«

»Mein Herr!« sagte der Polizeibote und unterbrach damit die vielleicht heftige Entgegnung des jungen Offiziers – »die gegenwärtige Lage ist durch irgend eine Zufälligkeit unangenehm geworden; ich glaube jedoch, daß ich durch mein Verhalten während der Reise mir nicht das Mißtrauen des geehrten Herrn verdient habe. Ich sehe ein, daß der Herr Gouverneur mit der offiziellen Aufnahme in den Karlstein zögern werden, bis der unbegreiflich ausbleibende kaiserliche Kourier hier eintreffen wird, da meine Instruktion leider nichts darüber enthält und Alles zu sehr auf den vorangehenden Befehl berechnet war. Ich werde noch einmal versuchen, den Herrn Gouverneur um eine Auskunft zu bitten, indem Sie sich vielleicht bewegen lassen, dies Haus, welches auf keine Weise mit dem Schloß in Verbindung steht, als neutralen Boden ansehn zu wollen und zu erlauben geruhen, daß einige Zimmer, welche Frau Grimschütz nach der Gartenseite hin besitzt, vorläufig für den Herrn und seine Enkelin eingerichtet werden.«

»Ich bin mit dieser Einrichtung vorläufig zufrieden,« entgegnete Thyrnau, der bei zu erwartender Ankunft des Boten einer schnellen Ausgleichung entgegen sah, – »nur fordere ich, daß dies ohne Zögerung geschehe.«

»Ich muß jedoch bemerken,« sagte der Offizier – »daß der Herr Gouverneur besonders die Zulassung eines jüngeren Frauenzimmers durchaus unzulässig hält und auf deren Entfernung vor Nacht entschieden dringt und die Erfüllung dieser Forderung jeder andern vorangehen müßte, wenn der Herr Gouverneur auch dann vielleicht die Aufnahme des Gefangenen in diesem Wirthshause zuließe.«

»Hüten Sie sich, mein Herr!« rief Thyrnau – »mich länger mit Ihren veralteten und über die Grenzen dieser Mauern hinaus lächerlich gewordenen Rechten zu belästigen! Ich bin nicht hierher gesandt, mit verjährten Vorurteilen einen Kampf zu bestehn und ich wünsche, um des Herrn Gouverneurs selbst willen, daß er sich bald geneigt zeige, mich anständig zu behandeln – diese meine Enkelin wird sich nicht von mir trennen – und ich werde vorläufig diese unwürdige Wohnung annehmen, denn die Ausgleichung durch den kaiserlichen Kourier kann nicht lange ausbleiben!«

»Sie werden sich Unannehmlichkeiten zuziehn,« entgegnete der Offizier – »ich werde dem Herrn Gouverneur pflichtschuldige Meldung machen und verweigere indessen nicht, daß Frau Grimschütz für ihre Erholung Sorge trage.«

Er verließ mit kurzem hochmüthigem Gruß das Gemach und der Polizeibote zögerte nur noch so lange, ihm zu folgen, bis er der, argwöhnisch die ganze Scene behorchenden Frau Grimschütz mit einer ihr verständlichern Sprache angedeutet, augenblicklich die Zimmer für seine Schutzbefohlenen einzurichten und ihnen alle Hülfe zu leisten, die sie bedürfen würden.

Thyrnau suchte nun Magda, die in sprachlosem Erstaunen und Schrecken zuerst in ihrem Leben von der Härte und Rohheit der Menschen berührt ward, zu beruhigen, und folgte dann der alten widerwilligen Frau in die ihnen zugedachten Zimmer. Sie waren von der tiefsten Armseligkeit und dem wüstesten Ansehn – aber ein dunkler Gang trennte sie von dem übrigen Hause und sicherte ihnen Stille – und ein kleiner Garten, begrenzt von den grünen Wällen der Befestigungen, an denen junges Weidengesträuch mit seinem beweglichen Laube spielte, lag vor den Fenstern ausgebreitet, und er wußte, dieser Anblick werbe Magda's Herz erleichtern.

Als nun Frau Grimschütz anfing einzusehen, daß ihr Widerstand gegen höhere Personen sich richten müsse, als die bisherigen Gegenstände ihrer üblen Laune, gab sie nach, und da eine gewisse ihr inwohnende Tüchtigkeit nicht zuließ, die Dinge halb anzufangen, wurden Thyrnau's Befehle mit einer ziemlichen Geschicklichkeit ausgeführt.

Als die Zimmer gekehrt, Tische, Stühle und Fenster gewaschen waren und die Glut der Kamine in beiden Zimmern die Luft zu verbessern anfing, führte Thyrnau endlich die erschöpfte Magda in ihre neue Behausung und wie er vorher gedacht, war ihre erste Bewegung, nach den Fenstern zu eilen und mit einem tiefen erleichternden Athemzuge auszurufen: »Ach wie grün und still!«

Von da an war ihr Alles recht! Sie stand ihrer düstern Frau Wirthin mit so anmuthsvoller Behendigkeit bei ihren Besorgungen bei, daß diese etwas von ihrer groben Unfreundlichkeit nachließ, und als Thyrnau einen Theil des nöthigsten Gepäckes von dem Wagen räumen ließ und Magda mit ihrer Hilfe die schönen Betten, das feine Leinen und die silbernen Geschirre des täglichen Gebrauchs auspackte, stieg in ihr eine Art Respekt auf, und sie fühlte den Widerspruch mit dem Begriff, den sie bisher von Gefangenen hatte geglaubt nähren zu müssen.

Als die Dinge so unter Magda's erwachtem Verschönerungsgeist ein erfreulicheres Ansehn gewonnen hatten, öffnete sich plötzlich die Thür und der junge Offizier trat mit seinen festen stolzen Schritten ein. Magda kniete auf dem Boden vor einem zierlichen Koffer, aus dem sie einige Bücher auspackte; als er aber eintrat, sprang sie augenblicklich in die Höhe, lief auf ihren Großvater zu, umklammerte ihn mit beiden Armen und richtete ihre großen dunkeln Augen so ernst und beobachtend auf den jungen Mann, daß dieser unwillkürlich einen Schritt zurücktrat, sich vor ihr verneigte und einen Augenblick seine Rede vergessen hatte.

Thyrnau, dem der kleine Triumph Magda's ein Lächeln kostete, und der das schöne stolze Gesicht des Jünglings mit dem Wohlwollen eines alten Mannes sah, erhob freundlicher als vorher die Stimme und sagte: er hoffe, daß er ihm bessere Nachrichten bringe. Schon hatte der junge Mann den Stolz wieder, der an Hochmuth grenzte. »Mein Herr,« sagte er kalt – »Seine Excellenz wollen sich entschließen, diese ganze Angelegenheit als vorläufig nicht existirend anzusehn, sie werden Ihre und die Gegenwart eines jungen Frauenzimmers vergessen und es bloß der Wirthin dieses Hauses ohne Verantwortung hingehen lassen, Ihnen hier eine Wohnstätte gegeben zu haben.«

Thyrnau lachte kurz und hell auf, dann sagte er, ohne sich durch das feierliche Zürnen des Jünglings irre machen zu lassen: »Mein lieber junger Mann, ich muß Sr. Excellenz zu ihrer Gabe, die Dinge zu vergessen, die ihr nicht anstehn, Glück wünschen. Dieser merkwürdige alte Karlstein behauptet noch immer sein Recht, die Menschen etwas über das Maaß der Vernunft hinaus zu treiben: Cervantes würde an den Rittern des Karlsteins, denke ich, einen artigen Stoff zu einer neuen Novelle finden, seiner bereits weltverbreiteten ein würdiges Pendant liefern.«

Ein Glück vielleicht, daß Belesenheit in dem Stande des jungen Mannes nicht gerade zu den Haupteigenschaften desselben gehörte, sonst möchte dem alten kecken Thyrnau seine Anspielung viel Unangenehmes zugezogen haben. Auch jetzt fühlte der junge Offizier mit großer Gereiztheit, daß diesem ihm so untergeordneten Manne schwer zu imponiren war, und daß er eine Redeweise habe, der eine große Sicherheit beiwohne. Er war daher froh, sich ihm ganz entziehen zu können, deutete ihm bloß an, daß er das Zimmer nicht verlassen dürfe und entfernte sich mit stolzem Wesen. »Weiß Gott, Magda,« sagte Thyrnau – »dort oben, vermuthe ich, halten diese alten Edelleute mit den Geistern, welche diese Burg beherrschen, Gemeinschaft, und sind vereidet, den seit vierhundert Jahren eingesetzten Dienst auf den Trümmerhaufen dieser einst hier waltenden Größe fortzusetzen. Nach dem ernsten Gesicht, das dieser junge Degen zu seinen lächerlichen Forderungen macht, bin ich sicher, er glaubt mit seinem verbündeten Gouverneur und vielleicht noch Einigen gleicher Stimmung, daß sie die Jahrhunderte zu ihrem Rückschritt beschwören können und zweifeln nicht, daß der Ernst, mit dem sie ihren Wahnsinn treiben, demselben Glauben und Ansehn verschaffen soll!«

»Aber,« sagte Magda – »dieser thut uns nichts zu Leide.«

»Glaubst Du?« lächelte Thyrnau – und bewunderte den feinen Instinkt der Frauen, gleich den ausgeübten Einfluß zu erkennen.

»Nein,« sagte Magda – »er ist stolz, aber er würde nicht roh sein, wie der betrunkene Castiglione von Pasterau – er würde mich gegen ihn beschützen, wie hochmüthig er mich auch ansieht! Jetzt sage mir aber, warum keine Frauen auf dem Karlstein bleiben sollen und erzähle mir überhaupt so viel Du davon weißt.«

»Da ich nicht zweifle, daß wir noch Bewohner des Schlosses werden und dann der Arrest aufgehoben sein wird, da mir der Befehl der Kaiserin freien Gebrauch des Karlsteins zugesteht, so werde ich besser alsdann in den Räumen selbst meine Erzählungen machen; jetzt nur so viel, daß Karl der Vierte hier einen Schatz von Reliquien herführte und seine fromme schwärmerische Seele sich bis in die höchsten Subtilitäten verstieg, um ihnen vollkommene Ehren anzuthun! Ein Bischof und die höchsten Kirchendiener versahen den Dienst in den Kapellen und verbreiteten eine Art mönchischer Zucht – aber vielleicht hatte Karl diesen äußeren Gebräuchen der Kirche noch einen geheimen ihm eben so wichtigen Dienst untergelegt, von dem selbst diese Herren nichts ahneten und die Bestimmungen, keine Frauen aufzunehmen, beziehen sich wohl eben so auf die strengen Ordensregeln, denen er als Meister vorstand. Selbst die Kaiserin Eleonora verließ zur Mahlzeit die Feste und er hatte ihr eine Burg in der Nähe bauen lassen, welche Karlick hieß und die jetzt in Trümmer zerfällt. Diese Bestimmungen hatten alle einen ehrwürdigen Grund in wirklich vorhandenen, zur heiligsten Überwachung hier vereinigten Gegenständen. Es waren hohe Verpflichtungen eines tief eingeweihten Ordensmeisters – es war die in der Zeit vollständig gerechtfertigte Frömmigkeit, die den vorhandenen Reliquien einen mystischen Dienst weihte – es war überdies die Schatzkammer des Reichs; die Kronjuwelen, die wichtigsten Dokumente des Landes wurden in jener unsichern Zeit hinter den Wällen des Karlsteins verwahrt, da man diese Feste nach den damaligen Begriffen und bei der Wahl eines zuverlässigen Befehlshabers für uneinnehmbar hielt. So kam es, daß diese Stelle für das höchste Ehrenamt des Reichs gehalten ward und die Burggrafen aus den vornehmsten Geschlechtern des Landes gewählt wurden, und in demselben Maaße waren die Offiziere und die Mannschaft die Elite der Armee – sie hielten sich wegen der Größe ihrer Verantwortlichkeit, der Wichtigkeit ihres Dienstes, für höhere Wesen, wozu eine Art fanatischer Schwärmerei hinzutrat, welche die Geistlichkeit anzufachen verstand und allerdings als ein Erbtheil des großen Erbauers seinen Nachfolgern zu verbleiben schien. Jahrhunderte nach dem Tode Karls des Vierten erhielt sich dieser Geist und kaum mag sich ein berühmtes Geschlecht des Landes finden, das nicht einen Burggrafen des Karlsteins unter seine Ahnen zählen kann.«

»Aber der Mensch baut den Einflüssen der Zeit vergeblich unbesiegbare Festen – darum sei es die Aufgabe jedes Redlichen, die Bedürfnisse der Zeit, in der er lebt, zu verstehen, denn – widerstrebt er ihr, so wird sie über ihn weggehen, er wird isolirt ein leeres Gefecht bestehn, welches ihn zum Quäler seiner Verhältnisse machen wird und ihn als verächtlich oder lächerlich seiner Wirksamkeit berauben muß. Nach dem, was sich mir hier bis jetzt zeigt, zu schließen, suchen diese Herren der Besatzung eine Wichtigkeit festzuhalten, von der sie in den Kroniken ihrer Familien gelesen haben, glaubend, es hänge von ihrem Willen ab, diese Anerkennung auch der Außenwelt aufzunöthigen. Es steht aber nicht so schlimm mit der Welt, wie solche grämliche Egoisten, die wenig Anerkennung finden und sich überall gekränkt halten, möchten glauben machen. Was da auch für ein Wust von Sünde, Unverstand und Verwirrung aller Art aufgehäuft wird – Gott rettet immer in Einzelnen, die er zu den Trägern seines Willens macht, den göttlichen Schatz der Wahrheit, und von ihnen aus bildet sich eine unsichtbare und siegreiche Gewalt, an der zuletzt doch das zerschellt, was leer geworden ist und noch Widerstand leistet gegen die Wahrhaftigkeit großer Zeitentwickelungen.«

»Wenn diese Herren von sich die Meinung abhalten wollen, die schon längst sich über sie befestigt hat, wenn sie sich der Beurtheilung damit zu entziehn hoffen, so vergessen sie, daß Alles aus dem Bereich, den sie bewachen, verschwunden ist, was mit dem Zustande der Zeit damals übereinstimmend, ihren Vorfahren ihre hohe Wichtigkeit sicherte. Der Feind zerstörte ihre Heiligthümer, die Herrscher nahmen ihre Reichskleinodien in eignen Verwahr, der Ordensdienst, dessen Großmeister hier herrschten, ist entfernt, und es sind, wie ich nach den mir zugekommenen Nachrichten glaube, nur noch die geplünderten beziehungslosen Räume übrig geblieben. Wie ich aus der prahlerischen Anzeige des zweitgebornen Sohnes des Grafen Castiglione von Pasterau entnehme, wie aus der hochmüthigen Weise des jungen Mannes, der uns so eben verließ, haben sich hier bei der Besatzung Mitglieder alter Familien vereinigt und haben in ihrer langweiligen Ruhe sich einen Opferdienst vor dem Altar ihres Hochmuths errichtet, wo sie ihre Wichtigkeit und ihre ehemaligen Vorrechte anbeten und sie zu beschützen geloben. Es ist wunderbar, wie dieser starre Widerstandsgeist, wenigstens in Einzelnen, am schroffsten dann auftaucht, wenn es am wenigsten Zeit dazu scheint. – Aber diese Kaste darf nur einen freien Geist auf dem Throne wittern, den sie gewohnt sind wie ihr Eigenthum auf ihren Schildern zu tragen, dann fürchtet sie gleich einen Gegner in ihm und sucht, sich zum Schutz und Trutz, ihre alten bestaubten Waffen gegen ihn zu richten! Wir werden wohl noch Zuschauer werden, und da mir die kleine Kohorte mein Vaterland nicht beherrschen wird, so soll es mir die Laune nicht verderben, ihren ernsthaften Lächerlichkeiten zuzusehn!«

Bis wir es jedoch erleben, daß Thomas Thyrnau als Zeuge sich unterrichtet, wollen wir unser Vorrecht benutzen und in das so streng bewachte Heiligthum eindringen, da ein paar Stunden ihres vor uns entwickelten Lebens uns hinreichend zeigen werden, ob Thomas Thyrnau Recht oder Unrecht hat.


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