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Als Kohlentrimmer von Dahome nach Senegambien

» J'ai assez de crapules à bord.« (Ich habe genug Gesindel an Bord.) Dies Wort des Kapitäns kennzeichnet die Gefühle, mit denen ich an Bord der »Ogoué« empfangen wurde. Die Tür zur Kammer des Ersten Maschinisten war offen. Ein dicker Mann lag schnarchend auf der Koje. Ich wollte mich zurückziehen, stieß aber dabei gegen die Schwelle der Kammer. Da wachte der Mann auf und brüllte: »Was ist los, was willst du hier?« Ich hielt ihm meinen Schein hin. Er sah kaum auf die Schrift und polterte weiter: »Scher dich raus und mache meine Kammer nicht dreckig! Wenn du was willst, dann bleibst du draußen stehen«, und als er mich gehen hörte, rief er mir nach: »Geh zum Logis, zu den Heizern nach vorne!« Ich fühlte mich wieder mitten drin in einem richtigen Schiffsbetriebe.

Als ich durch die enge Tür des Mannschaftsraumes eintrat, fiel mir auf, wie schmutzig der Raum war. Die Heizer saßen und tranken Kaffee. » Bonjour« (Guten Tag), sagte ich, »ich soll hierbleiben, wo kann ich denn unterkriechen?« Mein Anzug und meine äußere Erscheinung, die so dürftig aussah, kennzeichneten mich als einen der ihren; so fanden sie denn gleich Vertrauen zu mir, und dasselbe, was mir die Mißachtung des Kapitäns eingetragen hatte, die Armut, wurde mir hier zur guten Empfehlung. »Wo kommst du denn her?« fragte ein bleicher Mann, der eine kurze Pfeife im Munde hatte, ein Schweißtuch über die geschwärzte Schulter warf und die nackten Füße in ein Paar Holzsandalen schob.

»Ich habe Stunk gemacht mit meinem Kapitän und habe mich in den Busch gedrückt«, sagte ich auf möglichst derbe Art französisch und erzählte, wie es mir wirklich im Busch ergangen war. Das gefiel meinen Kameraden: ich war ein Mann nach ihrem Geschmack.

Ich bekam eine sehr schmutzige Koje, von der ich allerlei Unrat entfernen mußte, reinigte die Matratze an Deck und besorgte mir Decken. Dann mußte ich mich hinsetzen und immer wieder erzählen.

Nach einiger Zeit kam der Maschinist und fragte: »Wo ist denn der › grand bandit‹?« und teilte mich gleich der dritten Wache zu, die gerade dran war, als der Dampfer in See ging. Ich mußte in den Kohlenbunker hinunter, und es begann eine schwere Arbeit, der ich, so kurz nach meiner Krankheit, kaum gewachsen war.

Als die vierstündige Wache zu Ende war und ich an Deck frische Luft schnappte, war ich zum Umfallen müde. Ich blieb an einer Luke sitzen, obwohl ich vollkommen naß war. Nach einiger Zeit erst suchte ich mein Lager auf.

Am Morgen hieß es: »Du bist der Jüngste hier, du mußt Backschaft machen.« Ich hatte nur die Kleider an, mit denen ich an Bord gekommen und auch in den Kohlenbunker hineingegangen war. Als ich mich zu Tisch setzte, fragten die anderen: »Hast du kein anderes Zeug?« »Na wart' mal«, und der eine gab mir eine abgetragene Hose, die mir zu kurz war, der andere ein Hemd, ein anderer eine alte Mütze. Strümpfe trug keiner der Heizer; das machte keine Sorgen.

Von den Offizieren und Maschinisten wurde ich nur als ein Vagabund angesehen. Als ich einmal an die Messe kam, wurde ich gleich angebrüllt. Alle solche Kränkungen ließen mich kalt.

Die meisten Heizer und Matrosen hatten keine Schulbildung. Sie merkten bald, daß der »Afrikaner« im Schreiben sehr geübt war. Sie sagten, ich sei ein »ganz Schlauer« und sprachen die Vermutung aus, ich sei von guter Herkunft. Ich aber bemühte mich, mir die Aussprache und den Wortschatz meiner Genossen möglichst gut anzueignen, weil ich darin mein bestes Versteck sah. Außerdem suchte ich mich beliebt zu machen. Bald hatte ich jedem einen Gefallen getan, den er mir hoch anrechnete. Ich malte schöne Aufschriften auf Pakete, die afrikanische Seltenheiten enthielten und an irgendeine Mademoiselle nach Marseille geschickt werden sollten, und schrieb lange Briefe in den verschiedensten Sprachen, wobei sich meine Kameraden sehr wunderten, wenn ich das, was sie stammelten, in schöne Sätze brachte. Einer sagte, als ich ihm den fertigen Brief vorlas: »Woher weißt du nur, was ich meiner Braut sagen wollte? Da steht ja alles drin!« Und er blätterte mit seinen plumpen, schwieligen Fingern in dem Brief, wobei er ein ganz glückliches Gesicht machte.

Ich wurde bald Mitwisser aller Sorgen und Geheimnisse der rauhen Menschen, die mich umgaben. Ich prüfte die Papiere nach, rechnete die Heuern aus und erbot mich, Abschriften der wichtigsten Papiere zu machen, weil man nie wissen könne, was man wiederbekomme von dem, was man aus der Hand geben muß, wenn es gilt, eine neue Anstellung zu suchen. So kam es, daß meine Kameraden selbst fanden, ich sei für die schmutzige Arbeit zu schade, und daß mein Vorgänger die Backschaft und das Reinigen des Wohnraumes wieder übernahm.

Ich verdiente sogar etwas Geld. Für das Aufmalen von Namen auf Seekisten, Kleidersäcke und Koffer bekam ich von dem einzelnen Mann bis zu fünfzig Centimes, und ich verdrängte durch meine Kunst in Rundschrift und technischer Schrift alle früheren Künstler auf diesem Gebiet.

So kam es, daß auch meine Selbstachtung wieder stieg. Ich hatte das Gefühl, daß ich auch mittellos etwas wert sei, und erholte mich schnell von den Folgen der Krankheit.

Der Kapitän und der Erste Maschinist bemerkten, daß ich unter den Heizern und Matrosen Einfluß hatte und beobachteten mich scharf. Wahrscheinlich sahen sie in mir immer noch den Abenteurer. Ich gab mir aber keine Blöße und tat meinen Dienst mit aller nur denkbaren Pünktlichkeit.

Leider sollte mir das nicht viel helfen, und ich wurde gegen meinen Willen in eine böse Sache verwickelt.

Der Dampfer lief der Reihe nach Plätze wie Axim, Sierra Leone, Grand Bassum, Monrovia und Conakry an. In Monrovia hörten wir, daß die freien Neger hier die benachbarte Kolonie Grand Bassam angegriffen hätten. Das hatte folgenden Grund: Aus Monrovia stammten alle die Krujungen der Wörmannlinie. Vom Vater erbte sich die Tätigkeit auf den Sohn. Bei Ausbruch des Krieges fiel die Arbeit auf einmal weg. Die Neger gingen zu den Vertretern der deutschen Firmen und erfuhren dort, daß der Krieg, den die Franzosen und Engländer gegen Deutschland führten, an den Zuständen schuld sei, und fielen in die Nachbarkolonie ein. Von diesen Vorgängen hörten wir an Bord. Wir hofften noch, der Dampfer würde näher an Land gehen; aber der Dampfer verließ den Platz sehr bald. Die Franzosen fluchten, daß die Stadt »von Deutschen wimmele«.

In all den Häfen kam für den Kapitän und die Offiziere frisches Fleisch, Obst und Gemüse an Bord, was die Matrosen sahen, wenn es übergenommen wurde. Wenn sie dann aber an ihre Back kamen, dann fanden sie da Tag für Tag nur halbverdorbenes Salzfleisch. Es fielen böse Ausdrücke, man murrte. Nach jedem Hafen wurde das schlimmer, und am lautesten schimpften die Heizer, weil sie von ihrer Arbeit großen Hunger mitbrachten.

Der Kapitän sparte also an der Verpflegung seiner Mannschaft. Man beschloß, eine Beschwerde einzureichen. Das geschah; die Antwort aber war: Die Leute erhielten das, was sie zu fordern hätten; Vergünstigungen zu gewähren, sei dem Kapitän überlassen.

Nun ging im Wohnraum ein Beraten und Tuscheln los. Das Verhältnis zwischen dem Kapitän und der Mannschaft war schon auf der Ausreise sehr schlecht gewesen; jetzt aber war alles außer sich und als das Essen nicht besser wurde, beschlossen die Heizer, die Arbeit niederzulegen.

Dag geschah kurz nach der Abfahrt von Conakry. Die zweite Wache war beendet, die Leute der dritten Wache aber lösten nicht ab, sondern blieben müßig an Deck stehen. Ich, als Trimmer der dritten Wache, konnte mich nicht ausschließen.

Es dauerte nicht lange, da kam der dicke Erste Maschinist wütend herbei und rief: »Schert euch an die Arbeit!«

Er wurde ausgelacht, ausgepfiffen und angeschrien: »Sorg du mal für besseres Essen, dann kannst du von uns Arbeit verlangen, du Nilpferd!«

Jetzt packte der Dicke Schimpfwörter aus von erschreckender Deutlichkeit; aber das war leichtsinnig, denn damit hatte er sich in das Gebiet des Gegners locken lassen, der ihm die Antwort nicht schuldig blieb: »Mit solch einem vollgefressenen Bauch hast du gut reden; stell du dich mal mit unserm ›miserablen Fressen‹ vor die Feuer, da hängt dir der Wanst schlapp auf die Flurplatte und dein Großmaul vergeht dir.« Der Maschinist wurde rot und blau im Gesicht und schnaubte.

Die Sache wurde für das Schiff peinlich, weil auch die zweite Wache an Deck kam und die Feuer unbewacht blieben. Das Schiff lief schon langsamer, weil der Dampfdruck fiel, und von der Brücke wurden mit der Maschine heftige Worte gewechselt.

Da erschien der Kapitän auf dem Kampfplatze; er war durch das laute Lärmen aus dem Schlafe geweckt worden. Aber auch sein Ansehen und seine Seemannsflüche versagten: Es blieb ihm nichts übrig, als nachzugeben und den Heizern aus dem Vorratsraum die Zulagen zu geben, die sie verlangten. Darauf nahmen sie die Arbeit wieder auf, und der Kapitän ging wütend auf die Brücke.

Das böse Nachspiel kam: Als wir in Dakar eingelaufen waren, wurde die ganze dritte Wache vor das Seemannsgericht befohlen. Der Kapitän hatte sie wegen Meuterei in das Schiffstagebuch eingetragen.

Alle Heizer meiner Wache wurden zu Geldstrafen verurteilt. Mir aber erging es ganz besonders schlecht. Der Kapitän war unvorsichtig gewesen und hatte auch mich angezeigt, obwohl ich gar nicht angemustert worden war und deshalb auch nicht gerichtlich belangt werden konnte. Er bekam also meinetwegen noch Schwierigkeiten, weil ich nicht ordnungsmäßig in den Schiffspapieren geführt worden war.

Als ihm das alles zum Bewußtsein gebracht wurde, machte er seiner Abneigung gegen mich Luft, indem er behauptete, ich sei ein gemeingefährlicher Mensch und hätte die Heizer aufgewiegelt. Zum Glück stritten das meine Kameraden lebhaft ab. Ich muß ihnen das hoch anrechnen. Mein bescheidenes und gefälliges Auftreten an Bord hatte sie mir alle zu Freunden gemacht. Der Kapitän aber weigerte sich jetzt, mich weiter mitzunehmen.

Meine Papiere waren in Ordnung. Ich brachte den Schein bei, den ich in Kotonou erhalten hatte, und auf dem ich als Schweizer genannt war. Der Vermerk » non justifié« sprach nicht gerade für mich.

Nach der Verhandlung bestürmte ich den Kapitän, er solle mich doch unter den bisherigen Bedingungen mitnehmen. Er aber wies mich grob ab und verlangte für die Fahrt nach Lissabon den Fahrpreis von 85 Franken.

Wie sollte ich die Summe beschaffen? Die einzigen Menschen, an die ich mich wenden konnte, waren die Heizer; die aber hatten kein Geld und waren schon im voraus in ihrer Löhnung durch das Urteil schwer geschädigt.

So kehrte ich denn an Bord zurück, um meine geringen Habseligkeiten zu holen. Ich blieb bis zum Abend. Die Heizer wollten mich an Bord verstecken; der zweite Steuermann aber hatte mich beobachtet und ich wurde noch kurz vor der Abfahrt des Dampfers von Bord gewiesen.

Mit Tränen in den Augen stand ich dann auf dem Kai und sah, wie die »Ogoué« langsam durch die beiden mächtigen Molen der Hafeneinfahrt hindurchfuhr, mit voller Kraft nordwärts dampfte und hinter dem nächsten Kap verschwand.


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