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In den französischen Schützengräben

Der Lehrgang war zu Ende, und wir kamen nach Lyon zurück. Es waren einige Tage, die ich in Freundschaft mit meinem Gefährten verbrachte. Wir sprachen oft in unbewachten Augenblicken miteinander. Das war ein großer Genuß für uns. Ich lernte sehr viel von dem klugen und geschickten Mann; denn er wußte eine Menge Kniffe, und seine Vorsicht war musterhaft. – Als bestimmt wurde, daß auch wir zur Front kommen sollten, und ich nicht recht wußte, was ich darüber denken sollte, sagte mein Freund: »Laß gut sein, gerade da wird sich eine Gelegenheit bieten, zu den Deutschen überzulaufen.« – Ein ganzes Bataillon sollte Ende Januar abgehen und wurde in dem Bodenraum der Hebammenschule untergebracht. Es waren meist Tschechen, Polen und Russen. Unsere Maschinengewehrabteilung war ihnen zugeteilt.

Die Russen hatten nicht mit Unrecht den Ruf, daß sie durch das Schnapsmonopol des Staates zur Alkoholsucht erzogen seien; gerade sie betranken sich bei jeder Gelegenheit, und zwar nicht etwa nur mit Schnaps, sondern mit irgendeinem Getränk, besonders mit Bier und Wein.

Unsere Ausrüstung wurde für die Front ergänzt. Damit das Rot unserer Kleidung nicht zu sehen sei, bekamen wir für alle roten Uniformteile fahlblaue Überzüge. Die Franzosen nannten das » bleu horizon« (blauer Horizont), weil diese Kleidung mit dem Gesichtskreis verschwamm.

Nicht alle, die ausgebildet worden waren, blieben bei der Truppe. Ein Pole, Misereck, der von den Kameraden, weil er sehr elend aussah, »Miserable« genannt wurde, hatte oft mein Mitleid erregt und ich hatte manches freundliche Wort mit ihm gesprochen. Jetzt wurde er mit vielen anderen entlassen, weil man einsah, daß er für den Dienst an der Front zu schwach war. Viele versuchten, sich dem Dienst zu entziehen, nahmen allerlei Pulver ein, um krank zu werden, oder stellten sich farbenblind. Die Ärzte nahmen die Musterung deshalb sehr genau. Ein bekannter Sportsmann, ein Ägypter mit Namen Gibelia, ein Sieger in großen Wettkämpfen, sollte den Ärzten vorgeführt werden, weil er behauptete, er könne nicht gehen. Nun aber war in Lyon ein großer Sportwettkampf »Der Lauf um Lyon«, mit einem Preise von 5000 Franken. Gibelia konnte der Versuchung nicht widerstehen, daran teilzunehmen. Das kam heraus, obwohl er dabei Zivil getragen hatte, und der Mann wurde den Ärzten gar nicht mehr vorgestellt, sondern gleich zur Front geschickt. Der Fall wurde in den französischen Zeitungen viel besprochen. Man hörte, daß die Lust derer, die sich zu Anfang des Kriegs freiwillig gemeldet hatten, sehr gesunken war, da der Ausgang der Schlachten nicht so günstig für die Franzosen war und die Soldaten mit Schrecken merkten, daß man auch als Sieger, wofür die Franzosen sich ja hielten, getötet oder verwundet werden kann.

Unsere Uniformen, die sehr abgenutzt waren, wurden durch neue ersetzt. Jeder bekam ein Päckchen Verbandzeug und einen Jodstab. Auf dem großen Platz, auf dem das Reiterstandbild Ludwigs XIV. stand, fand die letzte Besichtigung statt. Unter den hohen Offizieren bemerkte ich auch einen englischen Offizier. Am übernächsten Morgen sollte es losgehen. In dieser Nacht gab es noch einen Nationalskandal. Einige Russen hatten, wie die anderen Nationen auch, Fähnchen in ihren Landesfarben angelegt. Bei der Abendmusterung, die ein Leutnant abhielt, fehlten sehr viele Legionäre. Der Offizier musterte deshalb genauer. Viele waren betrunken, und als der Ruf »Ordnung!« ( garde á vous) ertönte, herrschte die größte Unordnung. Deshalb rief der Offizier die Wache. Die Leute standen schwankend vor ihren Strohsäcken. Da stand auch ein großer Russe, der eine russische Flagge im Knopfloch hatte. Als der Offizier an ihn herantrat und die Flagge sah, herrschte er ihn an: »Entfernen Sie die Spielerei!« Der Russe verstand nichts oder wollte nichts verstehen und tat auch nichts, als der Befehl wiederholt wurde. Da griff der Offizier zu und warf das Papierfähnchen auf den Boden. Jetzt erhob sich überall im Saal ein Gemurmel, und als der Offizier hinausgegangen war, brach eine Empörung aus: »Er hat die russische Flagge tätlich beleidigt!« so hörte man rufen. »Die Flagge der Verbündeten ist beschimpft worden!« Da der Offizier unbeliebt war, nahm jeder das Gerücht entrüstet auf. Es hieß: »Wir sollen morgen nach der Front gehen und werden hier beleidigt, wir beschweren uns beim Konsul.«

Als der Lärm nicht aufhörte, griff die Wache ein und brachte eine große Zahl der Leute zum Fort La Motte.

Noch am nächsten Morgen hieß es: »Wir wollen Genugtuung haben«, und in der Katerstimmung entstand wieder eine Art Meuterei. Schließlich gingen die Sprecher zu dem Leutnant von Dostal, der als ein Freund der »slawischen Sache« bekannt war, und schilderten ihm das böse Ereignis des Abends. Dostal sprach mit dem Leutnant, der die Sache schließlich ernst nehmen mußte und nun richtig auf die Russen einging: er nahm sich einige Leute beiseite und gab ihnen große Trinkgelder. Das Geld wurde gleich in Schnaps angelegt; alles war zufrieden und betrank sich nach Kräften.

Nur einige gebildete Polen entrüsteten sich über diese Art, von Ehre zu sprechen und sich für Geld wieder zu beruhigen. Mit einigen Trinkgeldern sei also die Ehre Rußlands wieder hergestellt worden. Ich hörte zufällig, wie auch die französischen Offiziere untereinander abfällig über die Russen sprachen: »Mit solchen Bestien müssen wir zur Front; na, als Kanonenfutter ist das Aaszeug gut.«

Am letzten Abend in Lyon nahm ich ein Bad. In der Nähe der »Maternité« war eine schöne Badeanstalt, in der ich schon öfters gebadet hatte. Die Anstalt wurde heute gerade zugemacht, als ich in später Stunde kam. Das Fräulein an der Kasse aber erkannte mich und ließ mich noch herein. Sie mußte meinetwegen mit dem Abschließen warten; deshalb eilte ich halbfertig hinaus und bat sie, mir beim Anlegen der Binde zu helfen. Zum Dank dafür begleitete ich sie noch ein Stück nach Hause und hörte an, was sie von ihren Angehörigen im Felde erzählte.

Am nächsten Morgen wurde um zehn Uhr zum Antreten geblasen. Der Tornister war allzu schwer gepackt, weil man sich von manchen Sachen nicht trennen wollte. Jeder erhielt außer dem eisernen Bestand noch Brot für mehrere Tage. Ich bekam einen Revolver mit achtzig Patronen und trug den neuen Entfernungsmesser in einem Behälter auf dem Rücken.

Am längsten dauerte es, die Griechen marschfertig zu machen. Sie waren nicht zu bewegen, ihr Pelzwerk zurückzulassen. Endlich aber hieß es: » En avant par quatre« (zu vieren – Marsch!), und unter den Klängen der Musik ging es hinaus. Unsere Abteilung erregte mit ihren Mauleseln die größte Aufmerksamkeit. Es war bis zum Nordbahnhof ein weiter Weg.

Das Einsteigen in die Bahnwagen war in der Kaserne zwischen zwei Bänken geübt worden. Als der Zug abfuhr, wurde viel geschrien und gewinkt.

Ich hatte Platz im Wagen bei den Mauleseln und konnte ausgestreckt schlafen.

In der Frühe des nächsten Tages waren wir bei Paris und fuhren um die Stadt herum bis zum Bahnhof Noisy le Sec. Mit uns zugleich lief ein Zug ein mit Fremdenlegionären vom Zweiten Fremdenregiment, das seinen Sitz in Saida hat und in Avignon ausgebildet worden war. Die Legionäre hatten schon die neuen graublauen Uniformen.

Auf dem Bahnhofe bekamen die Truppen warmes Essen. Bei der Unterhaltung mit dem Zweiten Regiment wurden viele schnelle Freundschaften geschlossen.

Obwohl wir keinen Urlaub bekamen, gingen wir in die Stadt. Ein Pole, Zuganovich, der mit dem Belgier daherkam, sagte: »Kommt mal mit, wir werden uns schon zurechtfinden.« Wir gingen zwischen den Schienen den Wagenzügen nach, kletterten über einen Zaun, nahmen eine Elektrische und fuhren nach dem Montmartre. Fast alles Geld wurde ausgegeben. Natürlich verspäteten wir uns, verzichteten auf den heimlichen Weg und liefen gleich auf das Hauptgebäude des Bahnhofs zu. Als wir schweißtriefend ankamen, stand der Zug noch und blieb sogar noch zwei Stunden stehen, worüber heftig geschimpft wurde. Es stellte sich hier heraus, daß fünf unserer Kameraden ganz wegblieben. So fehlte auch ein Luxemburger, der einmal wegen lumpiger fünf Minuten Verspätung harte Strafe bekommen hatte und sich darüber gar nicht hatte beruhigen können.

Spät in der nächsten Nacht kamen wir in Epernay an. Der Zug stand hier lange, wir aber schliefen. Es war draußen bitter kalt. Während der Fahrt wurden die merkwürdigsten Vermutungen laut: »Wir kommen gleich ins Gefecht,« hieß es, »wer weiß, ob wir morgen noch leben.«

Es waren aber einige unter uns, die schon an der Front gewesen waren. Sie sagten: »Ihr werdet euch noch wundern, was ihr alles noch lernen müßt.«

Am zweiten Morgen hielt der Zug in einem kleinen Dorf im Kriegsgebiet an der Marne, in Oiry-sur-Marne. Hier waren die Deutschen auch schon mal gewesen.

Die Maultiere streckten ihre Glieder wieder in der Freiheit. Bald wurde angetreten, und der Marsch begann. Mein Herz klopfte. Die Offiziere gingen an der Spitze. Jeder horchte, ob Kanonenschüsse zu hören seien, aber wir waren noch zu weit von der Front entfernt. Die ersten Zeichen des Krieges sahen wir, als wir die Marne überschritten. Mehrere Häuser waren beschädigt. Man konnte an den Mauern sehen, daß ein Straßenkampf stattgefunden hatte. Die Geschosse waren alle in einer Richtung eingeschlagen. Die Fenster waren zerstört. Die Brücke über den Fluß war gesprengt, und der eiserne Bogen lag im Flußbett. Daneben war eine starke Holzbrücke gebaut worden, über die der Verkehr ging. Das Brückenhäuschen war vollständig zerschossen.

Wir waren gewöhnt, überall von einer frischen Bevölkerung mit begeisterten Rufen empfangen zu werden. Als wir aber hier in die Dörfer kamen, fanden wir eine Freudlosigkeit, die mich traurig berührte. Die Menschen sahen ganz verhärmt aus. Auf keine freundliche Bemerkung konnten sie lachen. Diese Leute hatten schon sehr Trauriges durchgemacht und wußten nichts von den Schönheiten, die der Krieg nach dem Urteil derer hat, die fern vom Schuß hinterm Ofen sitzen.

Wir begegneten einigen Kavalleriepatrouillen, und als wir über einen Berg kamen, hörten wir in der Ferne den ersten Kanonendonner. Wir erreichten den Ort Bouzy, eine Ruhestellung hinter der Front. Dieses Dorf war sehr wenig zerschossen und sollte der Kompagnie während einer weiteren Ausbildung als Unterkunft dienen. Das war für die meisten eine große Enttäuschung. Sie hatten nur zwei Vorstellungen im Kopfe: den »frischen, fröhlichen Kampf« und die Erholung hinter der Front. Die Ausbildung in einer Gegend, in der es nur die traurigen Seiten des Krieges zu sehen gab, gefiel den Legionären gar nicht.

Es war eine Winzergegend, und in den Scheunen standen Geräte zum Weinbau. Ein Greis wohnte in dem Hause, in dem ich untergebracht wurde. Er empfing uns mit einer gewohnten Selbstverständlichkeit, als wenn er nie etwas anderes gesehen hätte, als Krieg.

Es wurde die Anweisung gegeben, wenn ein deutscher Flieger käme, solle sich keiner auf der Straße sehen lassen. Auch durften wir uns von heute an nicht mehr entkleiden.

Auffallend war der Unterschied zwischen den neu angekommenen Truppen, die eine gewisse Neugierde und Begeisterung hatten, und den enttäuschten, abgehärmten Gesichtern, derer, die von der Front in Ruhestellung zurückkamen.

Meine Maschinengewehrabteilung übte zusammen mit einer von der Front gekommenen, deren Leute uns natürlich als grüne Jungen behandelten. Ihr Leutnant war eine besonders schneidige Erscheinung, und man wußte allerlei von ihm. Er hieß Federström und war dänischer Offizier gewesen. Vor Beginn des Krieges war er eines Tages mit den gewöhnlichen Rekruten in Sidi-bel-Abbes angekommen. Matt merkte aber seiner ganzen Art an, daß er zu befehlen gewohnt war, und mit einem Male wurde er zum Korporal und bald danach zum Feldwebel befördert. Man erfuhr, daß er in seiner Heimat bereits Hauptmann gewesen sei. Bei Ausbruch des Krieges wurde er gleich zum Leutnant befördert. Die französischen Soldaten änderten seinen Namen etwas um und nannten ihn wegen seines tollkühnen Draufgehens » Lieutenant Katastrophe«. Er trug bereits die Militärmedaille.

Am zweiten Tage bot sich mir ein unvergeßlicher Anblick. Wir erprobten gerade die neuen Maschinengewehre, da kam von der Anhöhe, auf der eine Mühle stand, ein Trupp herab. Diese Menschen sahen fürchterlich aus, ungewaschen, mit übernächtigtem, grausigem Blick, elend; mit langen Bärten. Viele waren leicht verwundet. Die schmutzige Kleidung war von dem Kreidegestein der Unterstände und Gräben weiß. Fortwährend kamen Autos mit Verwundeten.

Ich half dem alten Manne, bei dem ich wohnte, vielfach bei seinen Arbeiten und hörte dabei mancherlei Wissenswertes. Im Nachbardorfe war sein Bruder getötet worden. Bei einem Glas Wein erzählte er mir, er habe so viel Elend gesehen; wenn er sterben sollte, sei es ihm gleich. Er sagte aber auch: »Ich habe schon 1870 miterlebt und habe manchmal auf die Deutschen geschimpft; diesmal aber habe ich sie bewundert, ich kann sie nur loben. Diese Ordnung! Wie sie in das Dorf hineinkamen, haben sie nur genommen, was sie für Verwundete unbedingt brauchten. Wir mußten alle um neun Uhr abends zu Hause sein. Hier habe ich auch den Rückzug der unzähligen Truppen miterlebt, da war gar keine Aufregung. Eines Morgens war das Dorf leer, auch die fünf Maschinengewehre, die in meiner Scheune gestanden hatten, waren weg. In aller Stille war das geschehen. Meine Habe war nicht berührt worden. Was uns aber die Deutschen gelassen hatten, nahmen unsere eigenen Soldaten.«

Ich blieb nicht lange hier, denn die Maschinengewehrabteilung sollte an die Front und dem 157. Territorialregiment zugeteilt werden. Die zurückbleibenden Kameraden beneideten uns sehr.

Am letzten Abend in Bouzy kam der Kastilier mit zwei Flaschen Wein. Wein war hier schon eine Seltenheit, denn es war alles schon ausgetrunken. Am Feuer redete er in der Trunkenheit seine alte Sprache: »Was soll ich eigentlich an der Front? Gerade Deutsche soll ich totschießen? Wie komm ich denn dazu? Gerade die Deutschen sind feine Leute.« Andere aber murrten, und da sie angetrunken waren, wurde der Kastilier wild und sagte: »Wie ich zugrunde gehe, ist ja gleichgültig, hier steht mein Gewehr, das Magazin ist gefüllt! Wer mich meldet, kommt nicht mehr weit! Viva l'Allemagne!« Alle waren eingeschüchtert. Am andern Tage aber wurde er zum Obersten geführt und ist dann verschwunden, wahrscheinlich, weil die Vorgesetzten ihn für unzuverlässig hielten. Ebenso war es mit den meisten Griechen. Auch einer der griechischen Offiziere wurde abgerufen.


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