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Den dreieckigen Hut mit der zerrissenen Tresse verkehrt auf dem Kopf, den blauen, verschlissenen Waffenrock mit den roten Aufschlägen halboffen um den hageren Leib, Schnupftabak über der gelben Weste, Puder auf der Schulter, die schwarzen Samthosen in den hohen Stiefeln verschwindend, die Rechte schwer auf dem Krückstock ruhend, den schweren Kopf mit den vorquellenden Augen vorgestreckt, so stand der Große König, einem alten Raubvogel mit zerzaustem Gefieder nicht unähnlich, im Kreise seiner vierbeinigen Lieblinge und hielt Musterung.
Durch die offene Tür zum Arbeitszimmer sah er seine Kabinettsräte mit ihren Schreibtafeln warten, um die Fortsetzung seines Diktats aufzunehmen.
Der Kammerdiener meldete den General von Lölhöffel, Inspekteur der Kavallerie, der zur Audienz befohlen war.
»Warte Er, Lölhöffel!« rief der König hinaus, ohne zur Tür zu gehen. »Erst muß ich bei meinen Hunden nach dem Rechten sehen. Dann kann Er mir von den Kavalleriepferden mitsamt ihren Reitern referieren, so Er mir etwas Erbauliches zu melden weiß.«
Die allerhöchsten Hunde waren eben dabei, höchstihro Mahlzeit einzunehmen, von betreßten Lakaien mit Mundtüchern über den Arm alleruntertänigst assistiert.
Nichts auf dieser Welt vermochte sonst den Gebieter Preußens von seiner Arbeit abzulenken, außer der Sorge um das Wohlbefinden seiner vierbeinigen Familienmitglieder. Für sie hatte er immer einige Minuten übrig. Auf die Meldung hin, daß das Diner der hohen Vierfüßler aufgetragen sei, erhob er sich denn auch mitten im Diktat eines Briefes und verfügte sich ins Schlafzimmer, um die Haupt- und Staatsaktion der Abfütterung in höchsteigener Person zu überwachen.
Er hatte befohlen, ihnen heute einen Extraleckerbissen von gebratenem und gesottenem Hühnerfleisch zu geben, und paßte genau auf, daß jedes Vieh sein ihm zugedachtes Teil ordnungsgemäß erhielt und daß keins übervorteilt wurde.
Kosenamen für die Hunde, Scheltworte und gelegentlich auch Stockschläge für die Lakaien halfen da aus.
Zwischendurch, wenn die Köter sich gelegentlich so ins Abnagen der Knochen vertieften, daß sie Ruhe hielten, setzte der König durch die offene Tür sein Diktat fort. Aber ohne die Hunde aus den Augen zu verlieren.
»Schreibe Er also weiter, wo wir aufhörten!« rief er hinein. Und die Kabinettsräte senkten die Griffel auf ihre Schreibtafeln. Der König diktierte: »Die Einfuhr von Kaffee ist, wie befohlen, tunlichst zu beschränken. – Hat Er das?«
»Zu Befehl!«
Der König nahm bedächtig eine Prise Schnupftabak aus der Dose, die er nebst dem Krückstock in der Rechten hielt, pfropfte sich die Nase damit voll und meditierte dabei halblaut vor sich hin:
»Jeder Lump will heutzutage Kaffee trinken! Der pure Übermut! Biersuppe tut's ebensogut! Die trank ich selbst, als ich jung war! Das ist weit gesünder! Und das Geld geht nicht außer Landes! – – Tu beau, Alceste!« rief er einem der Windspiele zu. »Gönne den anderen auch das Leben! – – Weiterschreiben!«
Die Kabinettsräte gaben acht, und der König diktierte weiter.
»Den Beuchower Gemeindeältesten wird auf ihre Eingabe beschieden, der Invalide Faber bleibet im Amte! Für die Volksschule dorten ist er gut genug! Es genüget uns vollauf, wenn auf dem platten Lande die Kinder Lesen und Schreiben lernen! Wissen sie zuviel, so laufen sie in die Städte und wollen Sekretärs werden und so etwas. Das ist nichts! Der Invalide Faber bleibet ihnen! Die sollten sich was schämen, Leute, die fürs Vaterland alles geopfert, nicht versorgt wissen zu wollen! Wo er sich überdies nützlich macht, den Leuten das Vieh hütet und auch den Nachtwächterdienst versieht, so haben die Beuchower alles mögliche Gute von ihm und haben nichts mehr zu wollen! – – Der Alkmene läßt du den Knochen! Ich komme dir sonst!«
Wieder drohte er einem der Lieblinge mit seinem Krückstock und wandte sich dann zur Tür.
»Macht also die Briefe zur Unterschrift fertig!« verabschiedete er die Kabinettsräte, die sich verneigten und gingen. »Laß Er jetzt hören, Lölhöffel! Was bringt Er mir heute?«
Der General von Lölhöffel trat näher an die Tür heran und blickte in das Schlafzimmer hinein.
»Melde gehorsamst, Majestät! Zunächst hätte ich das Abschiedsgesuch des Rittmeisters von Blücher von den Bellinghusaren Allerhöchstdero Entscheidung zu unterbreiten!«
»Der Rittmeister bleibet in Dienst!«
»Der Rittmeister besteht aber inständigst auf seine Entlassung!«
Der König blickte den General scharf an.
»Ist der Kerl noch nicht mürbe? Wie lange sitzet er schon?«
»Zu Befehl«, sagte Lölhöffel und salutierte. »Der Rittmeister hat bereits mehr denn dreiviertel Jahr strengen Arrest gehabt!«
»Viel zu wenig für einen Offizier, der sich unterfängt, seinem König despektierlich zu kommen! Die Offiziers sollen lernen sonder Räsonieren, Ordres zu parieren! Sie haben sich nicht in meine Politik zu melieren!«
»Melde gehorsamst: von politischer Wühlerei steht in der Konduite des Rittmeisters von Blücher nichts!«
»Dann schreibe Er das hinein!«
»Zu Befehl!«
Der König blickte seinen General an.
»Er muckst wohl mit mir? Wer mein General sein will, muß auf Subordination halten!«
»Nun, hatte ich meinen Truppen in Polen befohlen, die Polacken milde zu behandeln, oder hatte ich es nicht befohlen? Antworte Er!«
»Zu Befehl! Es sollte alles vermieden werden, was die Krone Preußen bei der polnischen Bevölkerung verhaßt machen könnte!«
»Sehe Er, so war das! Das hatten wir, die wir wissen, was wir wollen, bei der Besetzung des polnischen Landes ausdrücklich befohlen! Und da muß mir jener Sausewind mit dem Kopf durch die Wand wollen und setzet mir alles in Feuer und Flammen! Er hat überdies noch die Keckheit, ob seines Ungehorsams avancieren zu wollen! Und will noch meinen Rock ausziehen, weil ihm das nicht gelang! Lassen wir ihn nur ruhig weiterbrummen, bis Er ein Einsehen hat! Ihm schadet's nicht, und der Dienst gewinnt!«
Lölhöffel räusperte sich, salutierte nochmals und wagte eine Entgegnung.
»Es ist meine Pflicht als Inspekteur der pommerschen Kavallerie, Eure Majestät darauf aufmerksam zu machen, daß der Rittmeister von Blücher immerdar ein eifriger und meritierter Offizier war!«
»Davon müßte ich doch wissen!«
»Er hatte im letzten Kriege nicht das Glück, unter den Augen Eurer Majestät zu kämpfen!«
»Das hat mit meinem Wissen nichts zu schaffen! Wir pflegen uns auch so nicht all die jungen Leutnants zu merken, die uns einmal an der Nase vorbeilaufen! Und wissen doch in der Armee Bescheid! – – Halte Hektor zurück, du dummer Esel!« fuhr er plötzlich den hinter ihm stehenden Lakaien an. »Er überfrißt sich sonst! – – Mußt dir mehr Zeit nehmen, du gutes Tier!«
Er kraute den Liebling und streichelte ihn zärtlich. Seine Augen leuchteten auf einmal freundlich, und er wandte sich bedeutend weniger kratzbürstig dem General zu.
»Immerhin lese Er mir des Rittmeisters von Blücher Konduite vor!«
Lölhöffel suchte unter den Papieren in seinem Portefeuille ein Dokument heraus, hielt es militärisch steif vor sich hin und las mit lauter Stimme vor:
»Trat mit achtzehn Jahren von den Schweden über, erhielt die königliche Bestallung als Kornett im Husarenregiment von Belling, wurde am 4. Januar 1761 Sekondeleutnant, am 11. Juli 61 Premierleutnant, focht 62 in der Armee des Prinzen Heinrich, Königliche Hoheit, Korps Seydlitz, als die Bellingschen die Reichsarmee bis Hof in Bayern zurücktrieben, machte da, bei Auerbach, 500 Gefangene, wurde mit nur 60 Mann bei Libkowitz von 200 Österreichern angegriffen, machte 60 Gefangene, wurde in der Schlacht bei Freiberg verwundet –«
»Ein braver Offizier,« sagte der König, »ich erinnere das alles jetzt ganz gut! Soll aber ein gar wüster Spieler und Duellant sein und auch hinter den Weiberschürzen her – wie alle von den Bellingschen! Ein Zigeunerregiment ist das immer gewesen und keine Husaren!«
Er stieß mit dem Krückstock hart auf dem Boden auf.
»Gib doch dem Hund zu trinken,« schrie er dem Lakaien zu, »du siehst ja, daß er erstickt!«
Dem Hund wurde Wasser gegeben, seine Schnauze und Pfoten mit Servietten abgewischt. Schweifwedelnd schlich er an den König heran und leckte ihm die Hände.
»Ein wüster Duellant – ein Raufbruder!« wiederholte der König. »Er sieht, ich kenne meine Leute!«
»Zu Befehl! Der Säbel saß ihm stets locker in der Scheide«, sagte Lölhöffel trocken und blickte in sein Dokument. »Hier steht noch angeführet, daß der Regimentsadjutant Blücher wegen Herausforderung seines Chefs, des Obristen Belling, strafversetzt werden mußte!«
»Was sagte ich!« knurrte der König gallig. »Ein aufrührerischer Krabat! An seinen Chef wollte er heran! Und nun möchte er gar an uns selbst sein Mütchen kühlen! Ich werde ihn schon Mores lehren!«
Er erhob den Stock und schlug auf den Tisch. »Keinen Pardon vor ihm! Keinen Pardon! Und den Abschied auch nicht!«
»Wollen Majestät gnädigst verstatten? Hier steht noch von einer öffentlichen Belobigung des gedachten Rittmeisters aus Allerhöchstdero eigenem Munde!«
Lölhöffel zeigte auf sein Dokument.
»Wo hätte ich? Wann hätte ich?«
»Bei einer Revue in Stargard Anno siebenzig!«
»In Stargard? Laß Er sehen!« Der König blieb stehen und dachte nach. »Recht hat Er – der von Blücher war's! Der hatte mit einer Handvoll Leute dreihundert konföderierte Polacken angegriffen, vier Rittmeisters und achtzig Mann gefangengenommen! Und Er selbst, Lölhöffel, mußte ihn, auf meinen Befehl, vor der Front loben! So war's! Sehe Er, unser Gedächtnis pariert Ordres noch besser, als unsere Offiziere es manchmal tun! – Ein braver Mann! Ein tapferer Mann! Können solche Leute immer gut gebrauchen! Der Rittmeister bekommt seinen Abschied nicht!«
»Sein Chef, der General von Lossow, befürwortet die Entlassung!«
»Der von Lossow ist ein Besserwisser und ein Streber. Der soll mir nichts weismachen wollen. Weswegen mag er den Rittmeister nicht leiden?«
Lölhöffel las in seinem Papier nach und blickte dann den König an.
»Zu Befehl! Eben wegen der Verfehlung, die Majestät soeben Höchstselbst an ihm zu rügen geruhte! Weil er entgegen des Allerhöchsten Verbots die Polacken durch sein allzu forsches Zugreifen aufreizte, als er eine seiner Postierungen ermordet vorfand!«
»Mir sind die Einzelheiten der Geschichte entfallen!« sagte der König. »Wir haben so viel und weit Schlimmeres im Leben erfahren! Erzähle er mir! Wo hatte der Blücher zugegriffen? Wen hatte er –?«
»Einen polnischen Landgeistlichen in der Gegend von Kalisch, den er als Anstifter in Verdacht hatte. – Er ließ ihn aufheben und, da er nicht bekennen wollte, sans façon vor eine frisch aufgeworfene Grube stellen, die Augen verbinden und eine Salve über seinen Kopf abfeuern!«
»Das wird dem hübsch in die Glieder gefahren sein!«
»Vor Schreck ist er fast ums Leben gekommen!«
»Groß wäre der Schaden nicht gewesen! Unrecht ist ihm sicherlich auch nicht geschehen!«
»Zu Befehl! Seine Schuld war mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen! Nur nachweisen ließ sich nichts!«
»Der Rittmeister tat gegen Befehl, dafür gebührte ihm Strafe. Er handelte aber ansonsten brav! Das wollen wir ihm lohnen! Sage Er einmal, Lölhöffel, wieso kommt jener Brausekopf dazu, mir einen despektierlichen Brief zu schreiben?«
»Er fand sich unverdienterweise übergangen! Er glaubte als ältester Stabsrittmeister ein Anrecht auf die erledigte Schwadron des abgehenden Majors von Zülow zu haben, die einem anderen gegeben wurde!«
»Was heißt Anrecht? Die Schwadrons vergebe ich! Ein Anrecht außer Unserer Entschließung gibt's nicht! Und wider Unsere Entschließung hat niemand aufzubegehren. Der Rittmeister war ungehorsam – dafür wurde er im Avancement mit Recht übergangen! Er schrieb uns einen despektierlichen Brief, dafür sitzet er in Arrest! So er sich aber demütiget, wollen wir ihn begnadigen und ihn befördern. Schreibe Er: der Rittmeister von Blücher wird zum Major befördert! – – – Nein, noch nicht! Erst soll er abbitten! Sonst denkt er, er hätte es uns abgetrotzt!«
Lölhöffel räusperte sich, blickte den König unsicher an und wagte dann doch noch der Gnade des Königs anheimzustellen, dem Rittmeister, der trotz seines Eigensinnes und seines jähzornig aufbrausenden Temperaments ein verdienter, tapferer Soldat sei, die ersehnte und erflehte Beförderung zum Major zuteil werden zu lassen. Um so eher, da gedachter von Blücher im Begriff sei, zu heiraten und einen Hausstand zu begründen – –
Damit kam er an den Unrechten.
»Heiraten will er?« schrie der König außer sich und stieß mit seinem Stock mehrfach auf den Boden auf. – »Was erzählt Er mir da für Räubergeschichten, Lölhöffel? Weiß Er nicht, daß es sich vor die Husaren nicht schickt, wenn sie Weibers nehmen? Daß sie dann keinen Schuß Pulvers mehr wert sind?! Weiß Er nicht, daß ich vor alle derartigen Mariagen einen greulichen Abscheu habe? Wie kann Er indizieren, daß wir einen Menschen von solcher Fermete noch befördern? Er ist wohl des Teufels?!«
Der König redete sich immer mehr in die Wut hinein und schrie, daß die Hunde ängstlich wurden, ihm winselnd um die Beine liefen und den General gar auch noch anknurrten, weil er den Zorn ihres Herrn geweckt und ihre Ruhe gestört hatte!
»Ruhe, ihr Biester! Oder wollt ihr etwa auch mariage tun?« schrie der König und schlug nach seinen Lieblingen, zum maßlosen Staunen der Lakaien. »Ruhe, Mene! Tu beau Alceste! Wo hat Er das Gesuch des Rittmeisters, Lölhöffel? Geb Er den Wisch her!«
Und er riß dem General das Papier aus der Hand, humpelte, so gut es ging, auf seinen alten gichtischen Beinen an ihm vorbei ins Arbeitszimmer hinein, warf das Papier auf die schräge Tischplatte, ergriff einen Federkiel, stieß ihn mit Wucht in die Tinte, daß sie weit herumspritzte, kratzte dann mit zitteriger Hand eiligst ein paar Worte unter das Gesuch und sprach sie, wie immer, beim Schreiben laut vor sich hin.
»Der Rittmeister von Blücher kann sich zum Teufel scheren!«
Er warf den Federkiel fort.
»Mag er sich in des Teufels Namen kopulieren lassen, soviel er will! Aber unter meine Husaren führet er keine Schürzenwirtschaft ein! Basta!«
Dann ließ er den General stehen, eilte mit gehobenem Stock wieder ins Schlafzimmer hinein, wo die Hunde nur mit Mühe von den Lakaien gebändigt werden konnten, und hieb – nicht die Hunde – aber die Diener durch, die so schlecht aufpaßten, daß ihm heute keine Ruhe zum Regieren blieb!
Und Lölhöffel zog mit langem Gesicht ab. Es war ein schnöder Abschied für einen langgedienten, braven Offizier wie Blücher. Aber mit der Despektierlichkeit durfte man dem Alten Fritz nur vorsichtig nahen! Und mit der mariage nimmermehr!