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Im Schlosse zu Königsberg saß, brav und bieder, Blücher am Teetisch der Königin Luise und zupfte Scharpie. Er brummte wohl leise in den Bart, schmunzelte aber dabei und gab sich nach Möglichkeit den Anschein, als sei dies Werk der Liebe und nicht das rauhe Handwerk des Krieges so recht nach seinem Sinn.
Er zupfte einen Faden – er zupfte zwei und legte sie behutsam vor sich auf den Tisch.
Wären es Karten gewesen, sie wären schon anders dahergekommen!
Der dritte Faden flog auch bei dem Gedanken mit ganz anderem Schwung aus der Hand und kam mit einem leichten Schlag auf die Platte.
Die Königin blickte von ihrer Arbeit auf und lächelte unfreiwillig.
Blücher lächelte zurück, und sein Gesicht strahlte in gläubiger Verehrung und inbrünstiger Anbetung.
Denn um die schöne Königin herum tauchten vor seiner Phantasie plötzlich all die Holden auf, denen seines langen Lebens Minnedienst gegolten hatte.
Heilige waren das wohl nicht gewesen! Er hatte aber auf den Knien vor ihnen gelegen und hatte sie gläubig angebetet! Und aus der Erinnerung seliger Stunden lächelten sie ihm noch heute ihren Dank zu, weil er es verstanden hatte, ein wenig Sturm in ihre Stille zu bringen!
Heilige nicht – aber doch umstrahlt von der ewigen Glorie eines freudig geschenkten und ebenso freudig empfangenen und erwiderten Gefühls – das einzige, was dem Leben hienieden den vollen Abglanz der Ewigkeit zu verleihen vermag.
So etwas mochte wohl in den Blicken des alten Frauenverehrers gewesen sein, als er zu seiner jungen, liebreizenden Königin aufblickte. Aber auch, daß sie jetzt war, was die anderen alle nur noch gewesen waren – der Inbegriff all dessen, was das Herz eines Mannes zur Anbetung zwingen kann: Jugend, Schönheit und inniges Gefühl, das locken und necken und kühnem Angriff Abwehr bieten konnte, aber auch, wenn es galt, einen Tanz wagen und freudig mitfliegen mochte – kurz, gerade so bodenständig und unheilig, wie sich das Herz eines alten Husaren die Mutter Gottes vorstellen mag – so und nicht anders! – –
Die Königin verstand wohl auch Gedanken zu lesen, denn vor den feurigen Blicken Blüchers senkten sich ihre Augen, und in ihr Lächeln kam ein Anflug von Spott. Das genügte vollauf, um Blücher auf das gebührende Maß alleruntertänigster Verehrung zurückzuführen.
Als Belohnung befahl die Königin, ihm Tee zu reichen, und tat gnädigst, als merke sie gar nicht, wie er mit der Gewandtheit eines Taschenspielers den Leinwandlappen, an dem er notgedrungen zupfte, unter dem Tisch in seiner Säbeltasche verschwinden ließ.
»Es ist schön von Ihnen, General,« sagte sie vielmehr, »daß Sie uns bei unserem Liebeswerk so eifrig helfen wollen!«
Und Blücher in Wahl und Qual zwischen dem Tee und der Scharpie, griff entschlossen nach einem neuen Leinwandstreifen und zog mit viel Mühe einen Faden heraus.
»Wie immer gehorsamst zu Diensten, wenn Majestät befehlen!« sagte er, eifrig zupfend. »Ich gestatte mir aber alleruntertänigst darauf hinzuweisen, daß es mir bei diesem Liebeswerk viel an der rechten Übung fehlt. Wir Soldaten sind gewohnt, in ganz anderer Weise mit der Scharpie in Berührung zu kommen! Ich meine so, daß sie sich schmerzstillend auf unsere Wunden legt. Und wenn wir dabei der zarten Hände gedenken können, die, von Mitleid bewegt, uns so weiche Wohltat bereiten halfen, das vermehrt die Heilkraft und stillt unsere Schmerzen sicherlich besser, als wenn wir selbst sie zubereitet haben!«
Gesagt, und der zweite Lappen lag beim ersten in seiner Säbeltasche.
Die Königin lächelte.
»Wie schön Sie das auch vorbringen, General,« sagte sie und schob ihm noch ein paar Streifen zu, »wir erlassen es Ihnen doch nicht, uns zu helfen. Der Wunden gibt es viel mehr als Hände, die Schmerzen zu lindern! Zupfen Sie also brav weiter und erzählen Sie uns dabei von Ihren Irrfahrten –«
»Meine Irrfahrten, Majestät,« sagte Blücher ernst, »die ergeben sich alle aus einer einzigen unauslöschlichen Schmach, in der wir leider noch leben, und von der ich alleruntertänigst mir zu gestatten bitte, nicht sprechen zu müssen. Es sei denn, daß ich davon sprechen darf, wie wir sie wieder gutmachen. Denn das ist kinderleicht!«
»Das meine ich! Nur wollen und wagen und die gute Gelegenheit ausnützen, dann hat's keine Gefahr. Denn unsere Soldaten – nun, die haben bei Eylau gezeigt, wie sich ein preußischer Soldat schlägt – sie haben da unsere Waffenehre gerettet.«
»Das sind Helden!« sagte die Königin gerührt. Und Blüchers Augen blitzten.
»Wie die Kerle da zu den Klängen des ›Alten Dessauer‹ über die Schneefelder Sturm liefen, daß die Bajonette im Abendsonnenschein blitzten!« sagte er begeistert. »Ich kann's sehen, als wäre ich dabei gewesen, wie sie mit der Gewalt einer Meeresbrandung alles vor sich herfegten – ich kann den Donner ihrer siegenden Hurrarufe hören –, und das, Majestät, das tut meinem Herzen wohl, nach all der Schmach!«
Er zupfte wieder ein paar Fäden und verbiß die Rührung.
»Und was ich jetzt von Kolberg höre,« sagte er dann, »von den kühnen Ausfällen Schills, von seinen Streifzügen, von dem heldenmütigen Geist der Bürgerschaft, die von der Aufgabe der Festung nichts wissen wollte. So hätte es überall sein müssen, die Leute hätten sich nur mit der Bitte um andere Kommandanten an den König wenden sollen, da hätten wir alle unsere Festungen noch. Denn es gibt unter uns mehr solche Leute wie der Major Gneisenau, der sich jetzt so brav in Kolberg hält. Aber – – wenn man bedenkt, daß die vierzehn preußischen Generäle, die in Magdeburg gefangen wurden, zusammen dreizehnhundert Jahre alt waren – da ist's kein Wunder!«
Die Königin lächelte.
»Es können nicht alle so jung sein wie Sie, General«, sagte sie mit sanfter Anspielung auf seine fünfundsechzig Jahre.
»Gewiß nicht, Majestät«, antwortete Blücher unbefangen. »Aber wenn wir jungen Leute nicht die vielen Vordermänner gehabt hätten, dann hätten wir ein Kommando gehabt und Gelegenheit, manches anders und vielleicht auch besser zu machen!«
Der Königin war es peinlich, in ihrem Salon so offenen Tadel über Leute zu hören, unter denen es doch manchen verdienten Mann gab. Sie unterbrach den General.
»Sie wollten mir doch von Ihren eigenen Taten erzählen«, sagte sie, ohne von ihrer Arbeit aufzublicken.
»Zu Befehl!« sagte Blücher. »Ich war auch dabei, alleruntertänigst von den Taten zu referieren, die ich wohl planen, aber noch nicht ins Werk setzen durfte!«
Die Königin empfand den unausgesprochenen Vorwurf gegen den König, der in der Antwort verborgen war, und antwortete nicht, blickte auch nicht von ihrer Arbeit auf.
Blücher benutzte rasch die Gelegenheit, wickelte unterm Tisch den Leinwandstreifen vom Finger ab und ließ ihn wie die anderen schnell verschwinden. Aber doch nicht so schnell, daß es die Königin nicht sah.
Sie lächelte wieder und blickte ihn an.
»Wir verstehen wohl, worauf Ihre letzten Worte hindeuten«, sagte sie gnädig. »Uns sowohl wie dem König wäre es auch lieber, Ihren Mut und Ihre Einsicht in geeigneterer Weise betätigt zu wissen, als es jetzt leider der Fall sein kann. Wir bedauern am meisten, daß Sie nicht hoch zu Roß, an der Spitze einer Armee, gegen die Eindringlinge vorstürmen können. Am König und an mir liegt's nicht, wenn Ihren Wünschen nicht stattgegeben werden konnte. Ich meinerseits kann Sie also heute nur so beschäftigen wie jetzt und dazu den Vers machen: Kommt Zeit, kommt Rat! Aber Sie haben kein Leinen mehr, lieber General – hier!« und sie reichte ihm höchstselbst wieder einen neuen Streifen.
Er nahm ihn gehorsamst, dankte alleruntertänigst, zupfte an seinem Schnurrbart, blickte melancholisch in seine Teetasse und sehnte sich unchristlich nach einem guten Rotspon und einer Pfeife echten Knasters, fand sich aber dann in die Plage, schlürfte gottergeben seinen Tee und zupfte einen Faden – zupfte gar zwei.
»Halten zu Gnaden,« sagte er dann plötzlich und ließ die Hand aufs Knie sinken, »wollen Majestät gnädigst verzeihen, wenn ich trotz dem Gesagten es doch wage, Majestät um Allerhöchstdero Vermittelung beim König anzuflehen! Denn noch ist es nicht zu spät, gegen den Franzmann vorzugehen! Noch ist die Gelegenheit gut!«
»Zeigen Sie Ihren guten Willen, zupfen Sie brav!« sagte die Königin scherzhaft, ohne auf den ernsten Ton des Generals einzugehen. Denn sie hatte wiederum gesehen, wie der spitzbübische Alte einen ihrer kostbaren Leinwandfetzen in seine Säbeltasche schmuggelte. »Sie müssen mir noch einen ganzen Haufen Scharpie abgeben. Wer weiß, welche Ritterdienste Ihrer noch harren, wenn Sie die Probe mit Glück bestehen!«
Blücher fügte sich und zupfte brav eine Weile und dachte dabei zurück an die Friedenszeit in Münster, mit der vielen unfreiwilligen Schreibarbeit, in der er damals nicht allzu eifrig mit seinem Freunde Stein wetteiferte!
Ob Stein es sich wohl auch mitten im Krieg gefallen lassen würde, acht Tage hintereinander Tee zu trinken und Scharpie zu zupfen, statt seine Pläne zum Wohle des Staates mit aller Energie auszuführen?
Er lachte innerlich bei dem Gedanken an seinen schroffen, stämmigen alten Freund, den wohl nicht einmal der Liebreiz der Königin Luise gezwungen haben würde, so galant zu sein!
Stein hatte übrigens jedem Mißbrauch seiner Kraft vorgebeugt. Er hatte seine Meinung offen und ungeschminkt dem König ins Gesicht gesagt und seine Strafe empfangen – war ungnädig entlassen worden, gerade jetzt, wo er mehr denn je nötig war.
Der Gedanke machte Blücher zornig. Er knüllte den Lappen in der Hand zusammen, hob, ohne diesmal zu schmuggeln, seine Säbeltasche hoch, schob mit trotziger Energie die Hand hinein und tat ohne Umschweife den Lappen zu den anderen.
»Ei, die schöne Säbeltasche!« sagte die Königin. »Geben Sie her, General! Die muß ich mir genau ansehen!«
Und Blücher hakte gehorsamst die Säbeltasche los und überreichte sie seiner hohen Gebieterin.
Die Königin nahm sie, betrachtete sie genau, drehte und wandte sie nach allen Seiten, untersuchte, wie sie zu öffnen sei, blickte auch hinein und fand ihre geraubten Leinwandfetzen drin hübsch säuberlich beieinanderliegen.
»Ach sieh«, sagte sie hold lächelnd und hielt ihren wiedergewonnenen Schatz hoch. »Seht nur den braven General Blücher! Nicht genug, daß er sich hier bei uns im Dienste der Nächstenliebe bemüht, er will sich auch zu Hause weiter betätigen – er hat sich Arbeit mitgenommen! Fürwahr, ein leuchtendes Beispiel ritterlichen Opfermuts. Indes, das dürfen wir nicht annehmen. Die Leinenstreifen behalten wir hier. Sie werden doch nicht darum kommen, sie zu zupfen, General! Wir heben sie Ihnen bis morgen auf, wo wir Sie wiederum zum Tee und Scharpiezupfen erwarten!«
Worauf die Königin die Säbeltasche zurückgab, die Leinwandstreifen vor sich auf den Tisch legte und sie ausglättete.
Blücher war aber einer schönen Dame gegenüber niemals auf den Kopf gefallen, auch nicht, wenn es eine Königin war. Er stand also auf, verbeugte sich galant, nahm der Königin rasch wieder seine ersparten Leinwandstreifen ab, drückte sie gegen sein Herz und sagte: »Halten zu Gnaden, Majestät, wenn ich diese Leinwandstreifen an mich nahm, so war es keinesfalls, um sie zu Hause noch in Scharpie zu verwandeln, vielmehr, um sie davor zu bewahren. In der Armee gibt's so manchen ritterlich gesinnten jungen Mann, der jederzeit bereit ist, mit Freuden Blut und Leben für sein Königshaus und seine Heimat zu opfern. Unter all den jungen Leuten gibt's aber keinen – wie auch unter uns alten nicht –, der nicht das Bild unserer liebreizenden Königin im Herzen trüge. Sie ist in Wahrheit unsere Schutzheilige geworden. Und deshalb wollte ich den kühnsten unter den wackeren Streitern diese Streifen verehren, auf daß sie sich damit schmücken wie früher der Ritter, wenn er in die Schranken ritt, die Farben seiner Herzensdame am Helm, und so zu immer größeren Heldentaten entflammt werden.
Das dünkt mich der Sache unseres Vaterlandes nützlicher, als wenn daraus Scharpie gemacht wird!«
»Uns aber nicht«, sagte die Königin, die ein leichtes Erröten bei den Worten des alten Schwerenöters nicht unterdrücken konnte. »Wir freuen uns über die Zuneigung, die aus Ihren Worten spricht, Herr General, sind aber nicht so eitel, für unsere Person Ritterdienste anzunehmen, die einzig und allein dem Lande zu gelten haben. Die Leinwandstreifen geben Sie mir nur wieder her. Wir haben dafür etwas anderes, das wir Ihnen in die Säbeltasche hineintun möchten, damit Sie doch nicht ganz leer ausgehen. Hier –«, sie entnahm einem, auf einer Konsole neben ihr stehenden Nähkorb einen Brief und reichte ihn Blücher. – »Nehmen Sie das mit, aber lesen Sie's erst, wenn Sie zu Hause sind! Der König gab es mir für Sie! Er schreibt Ihnen hoffentlich viel Erfreuliches drin! Und nun wollen wir Sie für heute nicht länger in Anspruch nehmen. Sie werden neugierig sein und wissen wollen, was in dem Briefe steht!«
Sie reichte Blücher die Hand, und er küßte sie, verbeugte sich tief und ging.
Schon im Vorzimmer erbrach er das königliche Schreiben.
Es enthielt die Ernennung zum Kommandanten eines neu zu bildenden Korps, das von Pommern aus, mit schwedischen und englischen Hilfstruppen vereint, im Rücken der französischen Armee operieren, so die Bewegungen der Hauptarmee erleichtern und womöglich auch die beiden Festungen Kolberg und Danzig entsetzen sollte.
Die Ernennung erfolgte auf ausdrückliches Ersuchen des Königs Gustav Adolf von Schweden, der den General Blücher gern zum Befehlshaber des verbündeten preußischen Kontingents haben wollte.
»Da wären wir gewissermaßen wieder in schwedischen Diensten angelangt«, sagte Blücher, steckte das Schreiben ein und verließ das Schloß, nicht gerade erfreut. Ihm wäre es lieber gewesen, schon jetzt und in ganz anderer Weise den großen Wurf gegen Napoleon zu wagen, der so mit Händen zu greifen und gar nicht zu verfehlen war.
Dagegen dünkte ihn jenes Kommando in Schwedisch-Pommern wie eine Verbannung.
*
Es war ein heißer Sommertag. Der Roggen blühte, die Ähren standen dicht und steif über den Feldern am Memelfluß.
Hier und dort stieg eine leichte Wolke feinen Samenstaubs in die Luft, schwebte in niedriger Höhe über den Feldern und senkte sich wieder.
Kein Blatt bewegte sich.
Inmitten eines Feldes, unweit vom Fluß, rieselte eine leichte Bewegung durch die Ähren und pflanzte sich im Zickzack quer durchs Feld fort bis zum Grabenrand.
Und da kam – eine Maus heraus, blickte sich scheu nach allen Seiten um und lief dann im Grase weiter dem Fluß zu. Aber nicht vorsichtig genug, um unbemerkt zu bleiben.
Der scharfe Blick eines Bussards, der hoch oben in den Lüften seine Kreise zog, hatte die Bewegung in den Ähren erspäht. Kaum hatte die Maus den schützenden Strohwald verlassen, so schoß er pfeilschnell hinunter, packte sie und schwang sich hoch über dem Fluß in die Höhe, seinen Raub in den Krallen.
Ein Schuß – ein krampfhaftes Schlagen mit den Flügeln – die Krallen ließen ihre Beute los – ein kurzes hilfloses Flattern, und dann stürzte der Räuber schwer getroffen zu Boden.
Sein Opfer aber schwamm gerettet unten im Fluß auf das nächste Ziel zu – ein mächtiges Floß, das mitten im Wasser verankert lag.
Von keinem bemerkt, erreichte die Maus die rettenden Planken, kroch aus dem Naß herauf, lief rasch über das Floß auf einen daraufstehenden Pavillon zu, schlüpfte unter den Vorhängen hinein und verschwand.
Es war kein gewöhnliches Floß, auf dem die Maus so unverhofft gelandet war.
Über Nacht auf Befehl eines mächtigen Kaisers entstanden, trug es auf seinem glatten Bretterbelag einen aus kostbaren Stoffen und Teppichen hergerichteten Pavillon, bestimmt, die beiden größten Herrscher und Gebieter der gewaltigsten Kriegshaufen der Erde zu friedlicher Zwiesprache zu vereinen.
Der Zar aller Reußen, bei Friedland blutig aufs Haupt geschlagen, hatte Napoleon um Waffenstillstand gebeten und zugleich den Wunsch geäußert, den »größten Mann des Jahrhunderts« persönlich zu sprechen.
Napoleon willigte ein, legte die Zusammenkunft auf den nächsten Tag – den fünfundzwanzigsten Juni – und gab seinem Artilleriegeneral Lariboissière den Befehl, für einen möglichst pomphaften Rahmen zu sorgen.
Mitten im Fluß, wo die Demarkationslinie verlief, wollte der Sieger den Besiegten empfangen.
So kam es, daß gegen Mittag an den Ufern des Memelflusses die beiden feindlichen Armeen Aufstellung nahmen.
Was an Bevölkerung da war, wurde gleichfalls zusammengetrommelt, um mit dem bevorstehenden, glanzvollen Schauspiel beglückt zu werden.
Alles war also vereinigt, was zu einer gelungenen Vorstellung gehört: ein geräumiger, leicht zu überblickender Schauplatz, prunkhafte Dekorationen, ein dankbares Publikum und eine stimmengewaltige, gut gedrillte Claque.
Die Hauptdarsteller ließen noch auf sich warten.
Der Schuß, der vorhin flußaufwärts gefallen war und der dem Mäusebussard das Leben gekostet hatte, hatte nicht viel Aufregung verursacht.
Man hatte das Opfer gesehen und den Täter als einen der Baumeister des Flosses festgestellt, dem kein Attentatsgelüst auf einen hohen Herrn zuzutrauen war.
Das Publikum hatte den Knall als Zeichen zum Beginn des Spektakulums aufgefaßt und war enttäuscht, weil nichts daraus wurde.
Denn noch hatte die Uhr nicht eins geschlagen. Und pünktlich um eins sollte die weltbewegende Begegnung stattfinden.
Die Zeitchronisten haben es unterlassen, die hochwichtige Feststellung zu machen, ob die Uhr die Ehre hatte, nach französischer oder russischer Zeit die bedeutsame Stunde zu schlagen.
Die russische Uhr geht bekanntlich vor.
Aber Rußland war besiegt und konnte also gereimterweise keinen Anspruch auf den Vortritt erheben. Und der Franzmann ist galant, wenn er nur als Sieger einherschreiten darf, und demütigt seinen Besiegten nur, wenn er von ihm keine Vorteile erhoffen kann.
Anzunehmen ist wohl, daß die Arrangeure des Schauspiels sich auf preußische Zeit geeinigt hatten, da man ja Preußen erobert und es auch sonst in jeder Hinsicht in der Tasche hatte.
Preußen gab den Boden für die Veranstaltung her, die Bohlen und Bretter, Stoffe und Teppiche und das ganze gemeine, schaulustige Volk. Es würde überhaupt die Zeche zu zahlen haben. Warum sollte es denn nicht auch die Zeit angeben!
Im übrigen war Preußen nicht zum Friedensfest geladen.
Der König von Preußen war wohl bei der Kunde vom Waffenstillstand schnell nach dem kleinen Jagdschloß Szawl geeilt, wo der Zar sein Hauptquartier hatte, und folgte dem Zaren von dort nach dem Dorfe Picktupöhnen, Tilsit gegenüber, wo sie beide Wohnung nahmen.
Er war mit Recht besorgt. Denn weder war er gefragt worden, noch hatte man ihn in die Konvention über den Waffenstillstand mit aufgenommen.
Er hätte sich mit Recht sogar entrüsten können.
Denn vor kaum zwei Monaten hatte der Zar mit ihm eine andere Konvention geschlossen, in der sich beide Vertragschließenden verpflichteten, nur gemeinsam die Waffen niederzulegen.
Aber als regierender Herr wußte der König wohl Bescheid, welche Sonderheit solche politischen Verträge an sich haben.
Er hielt jedoch nicht mit Vorwürfen zurück.
Der Zar aber nahm die Sache weiter nicht tragisch.
Er befand sich in der Lage eines jungen Mannes von Welt, der das Pech gehabt hat, ein Spiel zu verlieren. Mit unbefangener Miene begleicht er den Verlust. Wie hoch er auch ist, der gute Ton gebietet, ihn als Bagatelle anzusehen. Man verbeißt sich den Ärger, nimmt frische Karten und versucht bei einer neuen Runde noch einmal sein Glück – bis es sich einem zuwendet.
Das ist das Spiel. C'est la guerre!
Nur nicht die Haltung verlieren, dann kann man Unsummen verlieren und hat doch im Grunde nichts verloren! Am allerwenigsten den Glauben und das Zutrauen zu dem eigenen Können!
Den Glauben hatte der Zar!
Er war ein Genie, und das nicht nur in seinen eigenen Augen. Seine gleichaltrigen Freunde, Dolgorucki, Lobanoff und all die anderen, sie schwuren sämtlich darauf.
So wie er verstände es keiner, mit durchblickendem Scharfblick jede Situation sofort bis auf den Grund zu erschöpfen, den springenden Moment zu erfassen und gleich zu entscheiden, was in jedem Fall zu tun – gewesen wäre.
Denn das wußte er. Den Treppenwitz hatte er. Nachher – aber erst dann – geruhte Seine Zarische Majestät die Erkenntnis Ihrer Allweisheit kundzutun, wenn seine Generäle schon mit echt russischer Schlamperei die Schlachten verloren und die Feldzüge verbummelt hatten. Denn das verstanden sie.
Und der Zar war großmütig, der Zar war gnädig. Er war eine Seele von Mensch und schlug ihnen nicht die Köpfe ab. Er dachte mit Gleichmut: ein anderes Mal, wenn Gott ihnen eine nüchterne Stunde gibt, da erobern sie mir die Welt! Und winkte herablassend gleichgültig, lächelte kalt, behielt die Haltung und sagte: »Nitschewo!«
Trotzdem mochten die Generäle ihn nicht bei der Armee haben und taten ihr möglichstes, um ihm den Aufenthalt dort zu verekeln. Aber umsonst.
Sie hatten seinen Busenfreund Czartoryski aufgewiegelt, ihm die Hölle heiß zu machen.
Der Gute setzte ihm auch brav zu und bewies ihm haarklein, daß er, der Zar, bei seiner eigenen Armee nichts zu suchen hätte. Sein Platz wäre in Petersburg, sein Amt das Regieren. In der Führung von Armeen hätte er gar keine Übung, er wäre zu jung, zu unerfahren und was noch alles!
Der Zar hatte wohl kalt gelächelt und »nitschewo« gesagt. Aber wären nicht die anderen guten Freunde gewesen, er hätte sich vielleicht doch gefügt!
Er, der Zar, hätte sich von seinen eigenen Offizieren wie ein Schulbube nach Hause schicken lassen.
Aber Dolgorucki hatte ihn bei der Ehre zu packen verstanden! Er hatte ihn an den altrussischen Waffenruhm erinnert, dessen erster Hüter er jetzt sein müßte! Er hatte ihm haarklein bewiesen, daß nicht Gelehrtheit, nicht Erfahrung, sondern einzig und allein die faszinierende Persönlichkeit die Soldaten zur todesverachtenden Tapferkeit hinreißen und Schlachten gewinnen könnte. Und diese Fähigkeit, beim ersten Erscheinen die Leute hinzureißen, die hatte er, Alexander, wie kein Zar vor ihm! Er brauchte sich nur zu zeigen, und alles war Feuer und Flamme!
Dies und noch viel mehr ging dem Zaren durch den Kopf, als er die nüchternen Ausführungen des sonst so wortkargen und gar nicht unterhaltsamen Königs von Preußen über sich ergehen lassen mußte. Er blickte dabei lächelnd und über seine elegante Erscheinung äußerst befriedigt in den Spiegel gegenüber, der ihm getreulich half, die Miene eines aufmerksamen Zuhörers zurechtzulegen, und ihn auch dadurch schließlich so weit brachte, ein wenig zuzuhören.
Er lauschte also ein paar Sekunden den Auseinandersetzungen Friedrich Wilhelms – gerade so lange, wie nötig war, um zu kapieren, daß der König ihn an ihre vorjährige Begegnung in der Garnisonkirche zu Potsdam mahnte und auch an den feierlichen Treuschwur, den sie über dem Sarg des Großen Friedrich geleistet hatten!
Mein Gott, es war ja eine ganz hübsche Szene gewesen! Gutes Theater! Das verstand er! Das hatte er gelernt!
Man macht nicht umsonst eine Schule durch, wie er, der Zar, sie hatte durchmachen müssen!
Wenn je einer, so hatte er gelernt, mit dem Tod im Herzen sich lächelnd und heiter zu zeigen und mit den Lippen zu scherzen, obwohl er bei jedem Schritt den Strick um den Hals fühlte! Stets den einen Fuß im Gefängnis, den anderen im Tanzsaal – stündlich vom väterlichen Zorn den Tod erwarten und doch den gehorsamen Thronerben und den liebenden Sohn herauskehren zu müssen! Den liebenden Sohn – einem Vater gegenüber, den er hassen mußte, weil er ihm ans Leben wollte, und dessen Entthronung er schließlich hatte gutheißen müssen, um das eigene Leben zu retten.
Daß der Vater dabei sein Leben verlor – mein Gott, das war ja zu beklagen! Er hätte ihm schon das Leben gegönnt! Von ihnen beiden hatte nicht er dem Vater – der Vater hatte ihm ans Leben gewollt! – Und wenn der alte Herr dabei sein eigenes verloren hatte?! Nemesis!
Im Leben wie auf der Bühne – alles Theater! Nur seine Rolle tadellos spielen! Darauf kam alles an! Das hatte er auch der lieben Mama gegenüber gekonnt, die so gern regieren wollte und so böse war, als die Garden ihm und nicht ihr nach dem Tode des Vaters huldigten. Wie hatte er sie dabei gebeten, ihm doch die Last der Krone abzunehmen! Und wie brav fiel sie darauf herein! Sprach ihren Herzenswunsch aus und gab sich ihm so in die Hand! Eine Komödie, wie sie im Buche steht!
Er würde auch heute seine Rolle gut spielen! Kein Wort von Politik sprechen! Er würde den Korsen ganz leichthin über die Pariserinnen befragen! Er würde ihm von den schönen Russinnen vorschwärmen – beileibe nicht von Preußen! Wozu auch von Preußen! Wozu von ernsten Dingen! Man hatte ja seine Minister! Man käme doch zusammen, um sich persönlich kennenzulernen – sich gegenseitig in die Karten zu sehen –, nicht aber, um gleich alle Trümpfe auf den Tisch zu legen und offen zu spielen.
Er wollte Napoleon mit hübschen Histörchen geschickt und elegant einwickeln – sein Vertrauen gewinnen und dann, so ganz nebenbei, ihm praktische Zugeständnisse entwinden, die er sich nicht weigern könnte zu machen, wenn er als guterzogener Mensch und als Mann von Welt etwas gelten wollte.
Er würde ihm von seiner Jugend erzählen – von der Jugend eines Zaren. Den ehemaligen kleinen korsischen Artillerieleutnant, der sich so recht und schlecht durchgehungert hatte, müßte das doch interessieren! Er würde ihm Intimitäten von der Großen Katharina zuflüstern, von der lieben Großmama, die so gut für ihren Enkel zu sorgen wußte, die ihn schon als Knaben vom Baum der Erkenntnis naschen ließ, ihm hübsche Freundinnen zuführte und ihn lehrte, bei all den geheimen Schleckereien am vollgedeckten Tische der Liebe doch stets den Schein nach außen hin zu wahren, sich niemals erwischen zu lassen, sondern sich stets als Musterknabe Geltung zu verschaffen. Die Großmama, die hatte es verstanden! Die hatte ihm geholfen, den lieben Papa an der Nase zu führen! Von ihr wollte er Napoleon erzählen und dann von sich selbst! Vor allem von sich selbst als Heerführer!
Das würde ein Spaß werden! Er würde Napoleon von den Schlachten erzählen, die sie miteinander geschlagen hatten! Von Austerlitz vor allem! Vom Kriegsrat seiner Generäle vor der Schlacht! Zum Wälzen war es, wie der alte Kutusoff dasaß und prompt wie immer einschlief, als die Beratung begann! Wie die anderen Leuchten dann, der Fürst Bagration, Buxhövden, Langeron et tutti quanti – wie sie da herumstanden, sich von allem möglichen unterhielten und gar nicht zuhörten, was der biedere Deutsche, der General Weihroter, an der Hand der Karte Mährens zu erzählen wußte – wie sie gar nicht hinsahen – gar kein Deutsch verstanden! Nur Doktorow, der gute, der gewissenhafte, der bodenlos langweilige, er hörte zu, er begriff! Wie aber dann Kutusoff erwachte, auf den Tisch schlug und »Karascho!« sagte – »das haben Sie gut gemacht, Weihroter! Meine Herren Generäle, Sie haben's gehört? Sie haben's verstanden? Nicht?! Ein Generalstabsoffizier soll's also ins Russische übersetzen! Ein jeder soll es schriftlich in Händen haben! Und jetzt zu Bett!«
Und dann bekamen sie's schriftlich – vier Stunden nachdem die Schlacht schon begonnen hatte!
»Napoleon hat ja gar keine Ahnung, wie leicht wir ihm das Siegen gemacht haben! Er hat ja keinen Begriff von meinen Generälen! Von meinem Marschall Kamenski, der verrückt wurde, als er zur Armee nach Wilna kam und den Truppen sagte: Kinder, ihr seid verraten, am besten, ihr lauft gleich nach Hause! Und der selbst dann auch sofort mit gutem Beispiel voranging. So fingen wir den Krieg mit Napoleon an! Und davon weiß er nichts! Er glaubt, er hat da etwas noch nicht Dagewesenes geleistet, als er uns schlug! Er sieht nicht, daß wir nur gescherzt haben! Das werde ich ihm aber gehörig unter die Nase reiben – dann wird er klein, dann wird er die Ohren einziehen. Und dann werde ich ihm sagen: ›Den russischen Soldaten, Sire, den haben Sie erst gesehen! Aber ihn noch nicht kennengelernt, wenn er Ernst macht! Wir können auch Ernst machen, Sire! Aber wir wollen uns lieber vertragen!‹«
So leger – so von oben herab! Ich schone ihn – das wird der richtige Ton! – Nicht als Supplikant – als der Herr des größten Reichs der Erde – als der geborene Sieger – – der sich nur aus Höflichkeit, aus guter Erziehung schlagen ließ – der sich nur nicht damit abgeben wollte, ihn jetzt schon zu vernichten, weil, nun eben weil ich sein Genie bewundere! So wird's recht!
Ein Adjutant trat ein und meldete, daß die Uhr jetzt halb eins wäre, und daß man um ein Uhr vom Kaiser der Franzosen erwartet würde.
Alexander stand auf, reichte seinem Bundesgenossen die Hand, versprach hoch und heilig, alles das getreulich bei seiner Unterredung mit Napoleon zu berücksichtigen, wovon der König von Preußen jetzt lang und breit gesprochen und wovon der Zar kein Wort gehört hatte – gab noch sein Ehrenwort, nichts davon zu vergessen – was ja auch nicht gut möglich war, da er nichts davon im Kopfe hatte –, verabschiedete sich mit brüderlichem Händedruck, sprach die Erwartung aus, nach der Unterredung mit dem Feinde die Beratung fortsetzen zu können, und ging.
Friedrich Wilhelm blieb allein zurück und litt die nachträglichen Qualen aller zaghaften und unentschlossenen Naturen.
Vor zwei Monaten, nach der verlorenen Schlacht bei Eylau, hatte Napoleon Preußen in seine Kombinationen einbeziehen wollen und ihm Wiederherstellung eines großen Teiles seines Gebietes und ein Bündnis angeboten, wenn Preußen von Rußland abließe.
Friedrich Wilhelm hatte ihm einen Korb gegeben. Aus purem Anstand!
Jetzt trat Napoleon in der gleichen Weise an Rußland heran. Der Zar würde aber sicherlich keinen Augenblick zaudern, Preußen im Stich zu lassen!
Friedrich Wilhelm wäre ja selbst, trotz seinem Anstand, soviel Realpolitiker gewesen, von Rußland abzufallen, hätte Napoleon ihm nur den ganzen früheren Besitz wiedergegeben! Er durfte also dem Zaren keine Vorwürfe machen, wenn dieser eine gute Gelegenheit besser zu benutzen verstände als er selbst! Und hatte es seiner eigenen Unentschlossenheit zuzuschreiben, wenn er dem heutigen Verbrüderungsrummel, statt als Hauptteilnehmer, als betrübter Zuschauer aus der Ferne beiwohnen mußte.
*
Fünf Minuten vor ein Uhr ging am linken Ufer der Kaiser Napoleon, von einem glänzenden Gefolge begleitet, an Bord einer schön geschmückten Barke, von deren Hintersteven die Trikolore wehte.
Am rechten Ufer betrat zu gleicher Zeit der Zar Alexander mit seiner Suite ein ebenso schön geputztes Fahrzeug und ließ das blaue Kreuz der Andreasfahne entfalten.
Mit dem Schlage eins wurde Salut geschossen, die Musik intonierte links vom Fluß die unvermeidliche Marseillaise – rechts die ebenso unausbleibliche Zarenhymne.
Zu gleicher Zeit stieß man von Land ab – links eine Nußschale weltlicher Größe, rechts eine Nußschale ebenso weltlicher Nichtigkeit – und paddelte brav und bieder nach der schwimmenden Bühne inmitten des Flusses hinüber, wo heute die Drahtzieher des theatrum mundi eine ihrer Hauptszenen vom Stapel lassen wollten.
Zur gleichen Zeit legte man am Floß an. Die beiden machten ihr Entree auf der Bühne und blieben wie auf Kommando freudig bewegt stehen. Der kleine große Mann legte geschwind nach dem Rezept Talmas ein paar Zoll seiner Größe zu, schob die Schultern hoch, hob sich leicht auf den Fußspitzen und schritt wie auf Kothurnen dem Zaren entgegen, die Arme liebevoll ausgebreitet. Indes der Zar, lang, elegant, geschniegelt, geschnürt, pomadisiert, frisiert und duftend wie ein ganzer Parfümerieladen, die Taille schmal wie die einer Wespe, die Brust gebläht, die Augen blitzend, das Lächeln zwei Reihen perlenweißer Zähne zeigend, mit der Grazie eines eleganten Kavaliers, der in der Quadrille gewandt gegen seine Dame hinbalanciert, auf sein kleines Visavis zutanzte und es tiefgerührt an seinen besternten Busen drückte.
In gemessener Entfernung schaute in gläubiger Andacht das Gefolge zu, lauschte entzückt dem schmatzenden Bruderkuß und harrte geduldig dessen, was da noch kommen sollte.
An den Ufern tuteten und trommelten die Musikanten, die Grenadiere Napoleons riefen » vive l'empereur«, die bärtigen »Naschi bratti« drüben grölten etwas anderes, die braven Ostpreußen steuerten, um des lieben Friedens willen, einige gutgemeinte Lebehochs bei, die Kanonen donnerten, im Zelt auf dem Floß flog die Maus in Todesangst die Wände hoch. – Sonst schwamm alles in eitel Wonne.
Kurze Begrüßung des beiderseitigen Gefolges. Die Namen Murat, Bessières, Berthier, Duroc, Caulaincourt wurden laut, desgleichen Großfürst Konstantin » mon frère«, » mon ami« Fürst Lobanoff, General Bennigsen, Graf Lieven und noch ein General von des Zaren Gnaden.
Dann lud Napoleon seinen Gast in den Pavillon ein und ließ ihm artig den Vortritt. Sie gingen hinein – die Vorhänge vor der Tür wurden zusammengezogen, und sie waren endlich allein.
Mit staunender Bewunderung zu Napoleon emporzublicken, war bei der überragenden Körperlänge Alexanders nicht gut möglich. Das fiel also von selbst fort.
Aber die Sicherheit, die gewinnende Liebenswürdigkeit und die natürliche Würde, mit der Napoleon sich gab, imponierten nicht weniger als die gewaltigen Erfolge, von denen er getragen wurde.
Er begriff sofort: dem Manne konnte man nichts vormachen, da würde die geplante Komödie keine Wirkung haben, und jeder Versuch, überlegen zu tun, wäre bei ihm schlecht am Platze.
Mit schnellem Blick hatte Napoleon seinen Gast eingeschätzt. Eitel, oberflächlich, unzuverlässig, gerade so hatte er sich ihn vorgestellt! Gerade so konnte er ihn gut gebrauchen! Ein vielversprechender junger Mann!
Alexander sah, daß er dem Kaiser gefiel, und schäumte sofort von Herzlichkeit über.
»Warum«, rief er, »müssen wir zwei miteinander Krieg führen?«
»Seine Majestät, der Kaiser von Rußland, haben eben«, antwortete Napoleon verbindlich lächelnd, »sich dazu verleiten lassen, undankbare und eifersüchtige Nachbarn, wie die Deutschen, zu schützen, und den Interessen habsüchtiger Kaufleute, wie die der Engländer, zu dienen!«
Alexander fand sich bemüßigt, sich auf die Lippen zu beißen, und Napoleon beeilte sich, den Eindruck seines Vorwurfs schnell zu verwischen.
»Den Bundesgenossen Englands bekämpfte ich in Eurer Majestät, niemals aber den Gebieter des großmächtigen Rußlands!«
»Wenn Sie nur den Kampf gegen England wollen, Sire,« sagte er entschieden, »dann werden wir uns leicht verständigen! Denn wenn je einer, habe ich mich über England schwer zu beklagen!«
Und ohne eine Antwort abzuwarten, machte er gleich seinem Herzen Luft.
England hatte ihn in den Krieg gelockt! England hatte, wie immer, seine Versprechungen nicht gehalten, seine Subsidien schlecht oder gar nicht bezahlt und Truppen nur zum Schein geschickt, viel später und in viel geringerer Zahl, als ausgemacht worden war! Rußland hatte eben nur den Angriff Frankreichs auf England ablenken, selbst aber nichts dafür haben sollen! Dafür zu bluten, wäre aber der russische Soldat viel zu gut!
Dem pflichtete Napoleon ohne weiteres bei.
Er hätte, sagte er, bei Austerlitz, bei Eylau und bei Friedland den russischen Soldaten als einen nicht zu verachtenden, ja als einen ebenbürtigen Gegner des französischen kennengelernt. Rußland und Frankreich, von Natur aus zu Freunden bestimmt, hätten wie zwei blinde Riesen aufeinander eingeschlagen. Warum? Sie wußten es selbst nicht! Einen Vorteil brächte der Kampf weder dem einen noch dem anderen. Vereint dagegen wären sie unwiderstehlich und würden die Welt beherrschen!
Alexander schwieg.
Er sagte kein Wort von seinem unglücklichen Bundesgenossen, der drüben am anderen Ufer unter den russischen Generälen wartete. Er blickte nur Napoleon an und lächelte.
Napoleon verstand den Blick und erwiderte das Lächeln.
Und dann fingen sie an, die Erde zu teilen.
Erst erledigten sie den üblichen Betrug an den gegenseitigen Bundesgenossen.
Denn wozu hat man Bundesgenossen?
Was wäre überhaupt ein intimes Verhältnis ohne das bißchen Untreue?
Erst die Untreue gibt ihm die rechte Würze!
Um die Aufregung und den Reiz beim Seitensprung haben zu können, darum tritt man doch schließlich in intime Beziehungen zueinander – wenn man es auch erst nachträglich einsieht!
Unter Leuten von Welt versteht sich so etwas von selbst.
Jede Schandtat läßt sich plausibel machen! Schließlich – wozu hat man Geist – wozu Genie?!
Als der Erfahrenste in solchen Dingen half Napoleon seinem jungen Gast, der die Anfängerschaft nicht ganz verleugnen konnte, über den ersten schweren Schritt hinweg und half ihm seine Bündnisverpflichtungen zerpflücken.
Die Sache war ja so einfach.
Als Freund und Verbündeter hatte man doch immer das Recht, ja sogar die Pflicht, bei den lieben Mitkämpfern zu intervenieren, wenn es Zeit war, das Blutvergießen einzustellen.
Als Verbündeter Englands und künftiger Verbündeter Frankreichs konnte der Zar also England den Frieden mit Frankreich anbieten unter der Bedingung, daß England den Verbündeten Frankreichs – Holland und Spanien – ihre Kolonien zurückgäbe. Dafür sollte es selbst Hannover zurückhaben.
Napoleon würde in diesen Frieden einwilligen.
Weigere sich aber England, dann müsse man es unzweideutig wissen lassen, daß es mit dem ganzen Kontinent Krieg haben würde.
Denn außer Frankreich und Rußland würden ihm dann Preußen, Dänemark, Schweden und Portugal den Krieg erklären müssen, sobald die beiden Verbündeten es von ihnen verlangten.
Und man würde es verlangen.
Schweden würde sich vielleicht weigern. Und das wäre gut.
Denn dann könnte Rußland Schweden mit Krieg überziehen und ihm Finnland nehmen. – –
Alexanders Augen leuchteten, als Napoleon ihm diese Zukunftsmöglichkeit vorgaukelte.
»Der König von Schweden ist allerdings Ihr Schwager«, sagte er lächelnd, und tat, als bemerkte er nicht die wegwerfende Bewegung, die Alexander bei der Bemerkung machte. »Und er ist Ihr Verbündeter. Wenn er aber trotzdem nicht den guten Willen zeigt, sich Ihrer Politik anzubequemen, dann muß er eben die Folgen tragen.
Schweden ist in seiner heutigen Gestaltung für Sie unmöglich. Es ist der geographische Feind Rußlands. Petersburg liegt zu nahe an der finnisch-schwedischen Grenze – die schönen Petersburger Russinnen können in ihren Palästen nicht ruhig schlafen, solange sie nicht davor sicher sind, von den schwedischen Kanonen geweckt zu werden.«
»Das«, lachte der Zar, »wäre allerdings eine Erwägung, vor der alle anderen Rücksichten weichen müßten! Dem schönen Geschlecht sind wir entschieden jeden Krieg schuldig, den seine Ruhe von uns verlangt. Finnland müssen wir unseren holden Damen zu Füßen legen!«
»Das müssen Sie«, erwiderte Napoleon. »Und was Ihren dritten Verbündeten, Preußen, betrifft –«
Alexander ließ anstandshalber einen nicht allzu schweren Seufzer hören, schwach genug, um Preußen nicht zu viele Provinzen zu retten.
»Hand aufs Herz, Sire,« sagte Napoleon, der auch das nicht überhörte, »Rußland kann nichts als Vorteile davon haben, wenn ich die deutschen Hauptmächte gehörig schwäche!«
Alexander murmelte undeutlich etwas von Ehrensache.
»Ich gebe zu, daß Sie Preußen gegenüber mit Ihrer Ehre engagiert sind«, sagte Napoleon. »Um Ihre Ehre zu retten und Sie frei zu machen, bin ich auch bereit, Preußen gegenüber Zugeständnisse zu machen.
Preußen hat meine Warnung, sich nicht auf englische Intrigen einzulassen, verachtet, es hat verdient, vernichtet zu werden. Jedoch aus Freundschaft für Rußland will ich mich damit begnügen, daß es mir seine polnischen Provinzen, alles Land links der Elbe und Hannover abtritt, seine Armee reduziert und eine Kriegskontribution zahlt. Doch davon später. Die Hauptsache für Sie wie für mich ist der Orient.«
Alexander machte eine unfreiwillige Bewegung. Der Traum aller Russenherrscher von der Herrschaft über Konstantinopel tauchte wie eine Fata Morgana vor seiner Phantasie auf.
»Sie sind der Verbündete der Türkei,« sagte er schnell, »Sie haben mir gegenüber dem Sultan seinen Besitzstand garantiert, Sie haben sogar von Preußen verlangt, jeden Angriff Rußlands auf die Türkei als Kriegsgrund zu betrachten!«
»Ganz recht«, sagte Napoleon. »Aber mein Verbündeter, der Sultan Selim, ist soeben, wie Sie wissen, wegen seines Bündnisses mit mir entthront worden. Sein Nachfolger Mustapha muß also mein Feind sein. Sie sehen, ich bin frei. Nichts hindert mich also, bei meinen Verbündeten die gleiche Vermittlerrolle zu Ihren Gunsten zu spielen, die Sie mir zuliebe bei Ihrem englischen Alliierten spielen werden. Ihre Rolle bringt Ihnen Finnland ein. Meine wird Ihren Gewinn noch um die Donaumündungen vermehren. Ich werde bei der Türkei die Ansprüche Rußlands auf die Moldau und die Walachei in aller Freundlichkeit, aber mit Nachdruck geltend machen. Weigert sich die Hohe Pforte – und sie muß es –, so ergibt sich daraus Krieg. Nach dem Krieg die Teilung.«
»Und die Teilung?« fragte Alexander aufgeregt.
Napoleon, der gerade beim Verschenken war und dem Zaren großmütig schon den dritten Teil von Schweden zugestanden hatte, schnitt nun einen geraumen Teil aus dem Leibe der Türkei und gab Alexander Bessarabien, die Moldau, die Walachei und Bulgarien – das letztere aber nur bis zum Balkan.
»Und Konstantinopel?« fragte Alexander immer aufgeregter.
Napoleon überhörte es und stellte erst in aller Ruhe den Anteil Frankreichs fest. Er wollte sich mit den türkischen Seeprovinzen begnügen und also Albanien, Thessalien, Morea, Kandia und die Inseln des Archipels nehmen. Österreich müsse man wohl zur Beruhigung und als Entschädigung für andere verlorene Provinzen Serbien und Bosnien zugestehen.
»Und Konstantinopel?« fragte Alexander noch einmal mit Nachdruck.
Aber Napoleon überhörte es wieder.
Er fing an, dem eitlen jungen Mann eine Menge wohlberechnete Komplimente zu sagen.
Er ging aus sich heraus, er wurde herzlich und sogar warm, erklärte ihm seine ganze Sympathie, seinen heißen Wunsch, ihn als den ersten unter seinen Freunden betrachten zu können, und forderte ihn schließlich auf, nach Tilsit überzusiedeln, damit sie sich alle Tage ohne Zeugen sehen und sprechen könnten.
»Wir zwei erledigen dann in ein paar Stunden das, wozu unsere superklugen Herren Minister sonst Wochen nötig haben! Zwischen uns beiden darf es eben nichts Trennendes geben – gar niemand – gar nichts!«
»Nein, gar nichts, Sire!« antwortete Alexander eifrig!. »Also – Konstantinopel?«
Er ließ dabei seine Hand schwer auf den Tisch fallen, als wäre der Tisch Konstantinopel und nähme er jetzt endgültig von ihm Besitz.
Napoleon mußte endlich seine Schwerhörigkeit aufgeben.
»Konstantinopel?« sagte auch er und legte seine Hand noch schwerer auf den Tisch, zog die Stirn in tiefe Falten und wandte den Blick nach innen. Fast tonlos wiederholte er dann halblaut, wie für sich selber, indem er den Kopf schüttelte: »Konstantinopel – nein – – – nein, niemals! Das wäre die Alleinherrschaft über die Welt!« – – –
Er blieb so einen Augenblick sinnend stehen, die Augen gesenkt, blickte dann plötzlich auf, sah die Enttäuschung auf dem Gesicht des Zaren, begriff, daß er ihm den ganzen übrigen Orient nehmen könnte, wenn er ihm nur Konstantinopel zugestehen würde, und beeilte sich, es wieder gutzumachen.
»Nun,« sagte er und verzog die Mundwinkel zu einem kaum merkbaren Lächeln, während das ganze übrige Gesicht in steinerner Ruhe verharrte, »nun – darüber läßt sich vielleicht noch reden! – Zwischen uns beiden darf es eben nichts geben – gar nichts, was uns trennt!«
Und er blickte zum Zaren auf, holte mit der Hand aus, nahm mit Energie einen Schritt zurück und trat dabei der Maus, die sich, von dem schweren Schlag auf den Tisch aufgeschreckt, nach einem anderen Zufluchtsort umsah, unversehens auf den Schwanz.
Ein leises Quieken wurde hörbar, und schnell wie der Blitz schoß die graue Maus an seinem Fuß vorbei auf den Zaren zu, machte dort rasch kehrt und verschwand wieder unter der schützenden Tischdecke.
Napoleon schrieb den Brettern und Bohlen des Flosses das Quieken zu und blickte gar nicht hin.
Aber Alexander hatte die Maus gesehen und wich erschreckt zurück.
Eine Maus – das bedeutet Unglück, Entfremdung und Feindschaft!
Wie der Schatten eines fliegenden Vogels, so schnell war sie zwischen ihm und Napoleon vorbeigehuscht, eben in dem Augenblick, als er versicherte: »Nichts darf zwischen uns kommen!«
Der Herr der Welt hatte es nicht einmal in seiner Gewalt gehabt, jenes armselige Wesen daran zu hindern, sein Machtwort Lügen zu strafen! Wie würde er dann wohl verhüten können, daß etwas Ernsthaftes sich zwischen sie beide schleichen würde!?
Die Teilung einer Welt, an der auch die Mäuse, wenn auch noch so bescheiden, Anspruch auf Beteiligung erheben konnten, war dem Zaren für den Augenblick verleidet. Seine zartbesaitete Seele war nicht für derartige dunkle Genossen gestimmt. Er schwieg von Konstantinopel, begnügte sich vorläufig mit Napoleons halber Zusage, ließ noch anstandshalber ein Wort für den armen König von Preußen fallen, den er am nächsten Tag hier auf demselben neutralen, wenn auch schwankenden Boden Napoleon vorstellen wollte, versprach nach Tilsit überzusiedeln, nahm den Kaiser am Arm, ging mit ihm hinaus, führte ihm nochmals seinen Bruder und sein Gefolge in Freiheit dressiert vor, sagte den goldstrotzenden französischen Marschällen einige wohlüberlegte Artigkeiten, fiel dann wieder seinem Cousin Napoleon um den Hals, empfing auf beiden Backen den obligaten Abschiedskuß und gab ihn getreulich wieder. Er bestieg dann seine Barke, Napoleon die seine, und so ruderten sie wieder dahin zurück, woher sie gekommen waren, unter dem Donner der Kanonen und den Hurrarufen ihrer Soldaten, die jetzt ebenso bereit waren, sich zuzujubeln, wie vor einigen Tagen sich gegenseitig zu zerfleischen.
*
»Weiß Er was, Gneisenau,« sagte Blücher und zeigte auf den Berg von Geschriebenem, der auf seinem Schreibtisch ragte, »weiß Er, was das ist?«
»Nun?«
»Das sind meine Kanonen – das ist mein Pulver, meine Flinten und die scharfen Hiebe, die ich jetzt noch austeile. Akten, Gneisenau – Akten! Staubiges, tintiges Papier – krumme Gedanken weitschweifig hingekraxelt – fades Geschleime müder Gehirne – keine Fanfaren, die zum Angriff rufen – kein klares Kommando vorwärtszusausen, die Sache beim Schopf zu packen und rasch in Ordnung zu bringen! Ein müdes Hinschleppen ist's, ein tristes Schleichen, ein schlürfendes Leisetreten, ein banges Zurückweichen, ein scheues Schielen um alle Ecken, ehe man den Fuß hinzusetzen wagt! Gott verdamm' mich, wenn ich bloß daran denke, tritt mir die Galle über! Schmidt, 'n frischen Piep!«
Er streckte die Hand mit der ausgebrannten Tonpfeife hinter sich, ohne sich umzusehen.
Der Kammerhusar Schmidt nahm die Pfeife, ging hinaus und kam gleich wieder herein mit einer frisch angebrannten zwischen den Lippen, paffte wie ein Schornstein, bis sie gut in Gang war, nahm sie dann aus dem Mund und steckte sie Blücher unter den Schnurrbart.
Blücher qualmte und rauchte, was das Zeug hielt, und legte dann gleich wieder los.
»Ich hatte mir das ganz anders vorgestellt, als man mich zum Generalgouverneur von Pommern machte und mir das Kommando hier gab!
Erst stibitze ich mir das bißchen Pommern zusammen, dachte ich, bis ich es ganz habe. Dann die Mark Brandenburg dazu – dann Westfalen und Sachsen und all das andere, bis ich Preußen wieder zusammengeflickt habe! So hab' ich's mir gedacht! Und das wäre im Handumdrehen gemacht, hätte man mich nur gewähren lassen! Aber man wagt nicht – man schläft! Schwerenot! – Ich muß hier sitzen und Akten produzieren und dummes Geschreibsel fressen, statt etwas Nützliches zu tun. Und jetzt gar noch andere richten, die so kühn waren, ohne Befehl loszuschlagen, um das Vaterland zu retten! Das,« sagte er und ließ seine Hand schwer auf die Akten fallen, »das ist alles, was Schill mit seinem tollkühnen Losbrechen an greifbarem Gut erreicht hat – alles, was er und seine Leute mit ihrem Blut erstritten haben –, dieser Berg von geschriebenem Papier, den ich jetzt fressen muß. Der Aktenwust ist ja auch ein ganz großes Stück vom Vaterland, das ist nicht zu leugnen, das beste aber nicht! Und meinetwegen könnte das der Teufel gern holen! Je eher, je lieber!
Ist's aber erhört, mich zum Richter in so 'ner Sache zu machen? Wie? Gerade mich, der ich doch immer auf dem Sprung stand, genau wie Schill loszubrechen! Nun – das weiß Er doch am besten, Gneisenau!«
»Das weiß ich«, antwortete der Angeredete. »Aber die anderen nicht!«
»Nun, ist das eine Art, mich zu zwingen, gewissermaßen in eigener Sache hier zu richten?! Ich komme mir als Richter direkt befangen vor!«
»Mir auch!« erwiderte Gneisenau.
»Nun, dann bleibe ich auch dabei! Ich bleibe ehrlich befangen und werde mein Bestes tun, um die armen Kerle herauszuhauen!«
»Da denken Exzellenz ganz recht!«
»Für einen Schildbürger ist Er ganz helle, Gneisenau, und versteht mich ganz gut. Nun, Er ist ja nicht nur in Schilda geboren, Er ist auch von den Jesuiten erzogen, und da hat Er's wohl her! Dafür bin ich Freimaurer und helfe, wo ich helfen kann. Die armen Kerle haben brav ihr Blut für's Vaterland verspritzt, und das soll ihnen unvergessen bleiben.«
»Wie viele sind es?« fragte Gneisenau.
»An die neunhundert werden's wohl sein. Allerdings, was dem Herrn Napoleon in die Klauen fiel, kann ich nicht retten. Ich denke aber, wir brechen einmal die Ketten, mit denen der Hund sie an seine Galeeren schmieden ließ. Und unsere herrlichen Jungens, die er auf den Wällen Wesels niederknallen ließ – solange auf deutscher Erde ein Herz noch schlägt, werden die Schillschen Offiziere drin ein Ehrendenkmal haben. Ein stilles Glas ihrem Andenken!«
Sie tranken aus und blickten eine Weile schweigend vor sich hin.
Blücher ging auf und ab und betrachtete dann und wann den jungen Obersten, der vor ihm saß. Schlank, elegant, bis in die Fingerspitzen ein vollendeter Weltmann, mit einem feinen, frischen, sympathischen Gesicht, dessen lebhaftes, stets bewegliches Mienenspiel ein reiches inneres Leben widerspiegelte.
»Er hat es sich leicht gemacht, Gneisenau«, sagte Blücher dann, setzte sich und goß sich wieder ein Glas voll. »Er hat seine Arbeit getan, und nun, wo Stein und Scharnhorst von ihren Stellen haben weichen müssen, da geht Er auch. Da macht Er nicht mehr mit, treibt sich draußen in England rum, hat sein flottes vergnügtes Leben und läßt der Welt ihren Lauf!«
»Wer weiß, wozu es gut ist«, lachte Gneisenau wieder. »Am Ende bin ich auch unterwegs meinem Vaterland nützlich.«
»Das bleibt einem ja auch so unbenommen«, meinte Blücher. »Wenn's so weitergeht, wie jetzt hier zu Hause, dann gehe ich auch in ausländische Dienste!«
Und damit ließ er ein Ungewitter los gegen die verfluchte Schlamperei und gegen das bange Ausweichen vor den Anmaßungen Napoleons.
Zunächst war es Stein, der, kaum ins Amt gekommen, auf Befehl des Allgewaltigen hatte gehen müssen, allerdings nachdem er in den vierzehn Monaten seiner Dienstzeit Preußen von Grund aus umgekrempelt hatte. Bis auf die Volksvertretung hatte er alle Pläne zur Umorganisation der Verwaltung durchgeführt, die er seinerzeit mit Blücher in Münster besprochen hatte, und mit der Heeresorganisationskommission zusammen, die Scharnhorst leitete, das Heer auf Grund der allgemeinen Dienstpflicht neugeordnet.
Jetzt war er ob seiner Tüchtigkeit von Napoleon geächtet worden, und Hardenberg, den der allgewaltige Gebieter Europas einst als Friedensunterhändler und Staatsminister in Tilsit abgelehnt hatte, war wieder in Gnaden von ihm aufgenommen und als Staatskanzler des Königs von Preußen zugelassen worden.
Alles wurde durchgekramt und genau erörtert, auch wurde im Flüsterton die geheime Mission besprochen, die Gneisenau im Auftrag des Auswärtigen Amtes auf seiner Reise in England ausführen sollte.
Da kam Blüchers Sohn und Adjutant hinzu und meldete dem Vater, der Graf von Gottorp wäre von Kolberg aus hier in Treptow angekommen.
»Ich will ihn nicht sehen, wenn er nach mir fragen sollte!« rief Blücher lebhaft. »Der arme Mann tut mir leid. Ich möchte ihn nicht beschämen. Ich will ihm nicht in seiner jetzigen traurigen Verfassung begegnen, nachdem ich in seinem Glanze mit ihm verkehrt habe. Aber du sollst in jeder Weise gut für ihn sorgen. Es soll von uns nicht gesagt werden können, daß wir mit einem Unglücklichen kein Mitleid hätten!«
Blücher paffte eine Weile vor sich hin.
»Ja, ja, der Graf von Gottorp!« sagte er sinnend. »Vor nicht langer Zeit hieß er König Gustav Adolf von Schweden. Und plötzlich, eines Tages kam er ohne Krone und mit einem Diener als einzigsten Untertan hier durch auf der Reise zu seinen lieben Verwandten in Rußland. Jetzt ist er schon wieder zurück. Sein Schwager Alexander hat ihn wohl nicht über die Grenze gelassen! Ein tolles Schicksal!«
Er paffte weiter und spuckte energisch aus.
»Es gibt eben Monarchen und Monarchen!« sagte er. »Ob aber die mit dem gesunden Verstand oder die ganz verrückten die schlimmsten sind, möchte ich ungesagt sein lassen.
Ich habe beide Sorten ausprobiert.
Besonders die verrückten, damals, als ich mit eben diesem gewesenen Schwedenkönig den glorreichen Feldzug hier in Pommern anfing, aus dem aber auch nichts wurde, weil die Sicherheitskommissare in unserer Regierung es so eilig hatten, uns den faulen Tilsiter Frieden zu bescheren. Gott verdamm' sie!«
Er spuckte aus.
»Ein eigenwilliger Kerl, jener Schwedenkönig!« sagte er dann. »Ein Querkopf erster Güte! Zum Küssen bockbeinig, ganz nach meinem Sinn! Immer mit dem Kopf durch die Wand – und so muß es sein! Man muß nur wissen, wann und wo und vor allem wozu. Und das wußte er nicht! Eben sein Pech! Das hat ihm seine Krone gekostet!
Zuerst fiel ich doch auf ihn herein!
Kein Wunder bei der Zaghaftigkeit und Unentschlossenheit da oben bei uns!
Es war direkt erfrischend, als ich zuerst sah, wie er seine viel zu friedfertigen Generäle schurigelte und Feuer hinter ihnen zu machen wußte!
Mit dem Manne läßt sich etwas anfangen, dachte ich gleich! Ganz ein König, wie ich ihn gebrauchen kann!
Als ich aber zum Losschlagen fertig war und er immer noch nicht seinen Waffenstillstand mit den Franzosen aufkündigen wollte, da gingen mir die Augen auf. Ich dann wie der Blitz nach Stralsund und hinauf zum König!
›Majestät,‹ sagte ich, ›die pommersche Armee steht schlagfertig an der Peene aufmarschiert und bereit, in Preußisch-Pommern einzurücken, sobald die schwedische mittut! Wir dürfen keine Zeit versäumen! Danzig ist leider Gottes nicht mehr zu retten, aber Kolberg hält sich noch, das retten wir, und Spandau und Stettin nehmen wir durch Überrumpelung sofort, wenn wir nur nicht zaudern! Mir können Majestät vertrauen, meinen Unterführern auch. Der Oberst Bülow hat die Infanterie in die beste Verfassung gebracht, Borstell die Kavallerie, und die Freischaren Schills und Marwitzens stören schon dem Franzosen seinen Schlaf! Die besten Pferde aus Schleswig-Holstein stampfen in meinen Ställen vor Ungeduld, ihren Hafer zu verdienen. Flinten und Kanonen sind funkelnagelneu nebst Pulver und Blei aus England angelangt und gehen von selbst los, wenn wir nicht schießen. Und was die Leute betrifft – es waren allerdings nur viertausendachthundert, die ich aus Pillau mitbrachte. Sie sind aber in den paar Wochen durch Freiwillige und Ranzionierte auf das Doppelte angewachsen, kaum daß ich einen Aufruf veröffentlicht hatte! In dem Augenblick, wo wir über die Grenze gehen, werden die Leute in hellen Haufen zu unseren Fahnen strömen. Meine Armee wird wie ein Schneeball wachsen, sehen die Leute bloß, daß wir Ernst machen! In Mecklenburg, Hannover, Westfalen, Hessen ist alles vorbereitet, alles wartet. Im Handumdrehen werden wir das ganze Volk unter Waffen haben. Und der Krieg ist gewonnen! Nur frisch gewagt, und wir machen das Spiel!‹
Der König kümmerte sich aber nicht darum! Er hörte kaum zu.
›Hör' Er, Blücher!‹ sagte er nur. ›Komme Er mit! Ich will Ihm etwas zeigen!‹
Und dann stiefelte er los durch die Stadt nach den alten Außenwerken hin, kletterte in einer Bastion hoch, stellte sich da dicht hinter die Brustwehr, die Arme verschränkt, stand so eine Weile Statue, zeigte mir sein heldisches Profil und blickte über die Gegend hinaus.
Dann fing er an, mit großen Gesten in alle Himmelsrichtungen hineinzuzeigen, und legte los.
›Komme Er her, Blücher, komme Er nur her!‹
Und ich mußte gehorsamst hinaufklettern.
»Hier, wo ich jetzt stehe, auf eben diesem Flecke, stand vor bald hundert Jahren Karl der Zwölfte, überallhin sichtbar, mitten im dichtesten Kugelregen! – – Kann ich auch, Blücher – werde ich auch tun –, verlasse Er sich nur darauf! – Mitten im dichtesten Kugelregen stand also der Heldenkönig da – und um ihn herum fielen seine Leute wie die Fliegen. Er aber feuerte sie an. Dort – sieht Er? – von jener Pforte aus ließ er seine Tapferen zum Ausfall antreten! – – Da drüben stand der Feind –, da gerade! Sieht Er? Da hatte er seine Batterien, und sie spien ganze Orkane von Eisen gegen den einsamen Mann hier, daß Sand und Erde hoch um ihn herumspritzte. Er aber wankte nicht – er wich nicht –, aufrecht stand er da und rief immer wieder: ›Vorwärts, ihr Blauen, packt sie, schlagt sie!!‹ – Und seine Blauen rannten gegen die Übermacht an, warfen die Feinde mit blutigen Köpfen zurück, vernagelten die Batterien und kehrten mit Wunden bedeckt zurück, Gefangene und Beute mit sich schleppend.
Niemals wäre Stralsund gefallen, hätte König Karl bei seinen Leuten bleiben können. Denn auf ihn allein kam es an! Wo er dabei war und sie anfeuerte, da waren sie unwiderstehlich, sonst nicht! Und er mußte fort.
Ich aber bleibe! Ich weiche nicht von dieser Stelle, wie sehr man auch zu Hause nach mir verlangt! Und ich schwöre Ihm, Blücher, niemals wird der Franzose über diese Wälle kommen!‹
›Das ist alles schön und gut‹, meinte ich. ›Aber wir wollen es lieber nicht darauf ankommen lassen, daß der Franzose erst bei uns anklopft, sondern ihm lieber jetzt gleich die Waffenruhe aufkündigen, ihn aufsuchen und aufs Haupt schlagen!‹
Nein, das wollte der König nicht. Erst müßten die Engländer da sein, das Traktat mit den Insulanern müßte unterschrieben werden, und was noch!
Da half kein Reden. Er hatte seinen Kopf für sich!
Ich hab's mit der Eigenliebe versucht. Ich habe ihm seinen Namensvetter und Ahnen, den großen Gustav Adolf, als Beispiel hingestellt. Er hatte aber an Karl dem Zwölften einen Narren gefressen. Und von allen beiden Helden hatte er gleich wenig abgekriegt. – Man sagt ja, der finnische Hofstallmeister Munk habe in allerhöchstem Auftrag seinen Vater zum Vater gemacht. Und da war's ja kein Wunder, wenn's mit den anderen Ahnen haperte.
Ich hätte ihn nicht herumgebracht. Da kam gerade Schill herangaloppiert mit der Nachricht vom Waffenstillstand zwischen Rußland und Frankreich, dem wir auch beitreten mußten.
Ich habe geflucht, als ich's hörte. So schön wie wir bereit waren! Und da sollte es wieder nichts werden! Ich mußte es dem König mitteilen und kletterte noch einmal zu ihm hinauf.
Da nahm er mich beim Arm.
›Wer ist das?‹ flüsterte er und zeigte auf Schill. ›Nehme Er sich nur vor dem in acht! Der ist gefährlich! Der wird Ihm gehörig in die Suppe spucken!‹
›Ich wünsche, Majestät,‹ sagte ich dann, ›daß ich noch ein paar solche Kerle unter meinen Leuten hätte. Denn er hat das schlechteste Führungsbuch, das ich noch jemals bei einem Offizier gesehen habe, abgesehen von meinem eigenen, als ich in den Jahren war! Und er ist der beste Offizier, den man sich wünschen kann! Der geborene Rebell gegen jeden Zwang, keck, übermütig, tollkühn, reitet wie der Deibel, schießt wie ein Gott, ist hinter den Weibern her wie hinter dem Feind, und in beiden Fällen unwiderstehlich! Er stürmt die Hölle, wenn's sein muß! Wenn wir noch Kolberg haben – ihm ist's zu verdanken. Denn da war's unter dem alten Loucadou schon so weit wie in den anderen Festungen! Und Schill und Nettelbeck stachelten dann die Bürger auf, einen anderen Kommandanten zu erbitten. So kriegten wir den Gneisenau hin.‹
›Ja, der ist gut,‹ sagte der König dann, ›sonst aber ist's eine Schande, wie sich Ihre höheren Offiziere benommen haben! Und da waren doch tapfere Leute darunter.‹
›Gewiß‹, sagte ich. ›Es kam aber wie eine Seuche über sie mit den Kapitulationen, und da hilft nur eine eiserne Kur!‹
›Über die Bank schießen!‹ sagte der König – ›und den zuerst!‹ flüsterte er dann, auf Schill zeigend, ›denn der ist gefährlich. Er hat's mit der Melancholie! Ich seh's ihm an!‹
Ich habe laut lachen müssen!
Aber der König wiederholte: ›Er hat's! Ich kenne die Sorte! Meine Schweden sind auch so! Sie fliegen auf wie eine Rakete, und dann, auf einmal, packt sie die Melancholie, sie zerplatzen in lauter feurige Tränen, verpuffen, und weg sind sie! Passe Er nur auf! Er wird's noch mit dem Schill erleben! – – Was wollte er?‹ fragte er dann auf einmal neugierig.
Ich brachte ihm dann schnell bei, sein lieber russischer Schwager hätte uns drüben in Tilsit mit seinen Friedensverhandlungen einen bösen Streich gespielt, und wir hätten nun die Zeit verpaßt.
›Was?‹ rief er dann. ›Waffenstillstand haben die gemacht! Dann kündige ich meinen sofort! Das wird sie kurieren! – Essen!‹ rief er seinem General zu, ›wir kündigen heute dem Marschall Brune die Waffenruhe! Und meinem Schwager, dem Kaiser Alexander, wird geschrieben, wenn er mit dem Mörder des Herzogs von Enghien jemals Frieden macht, ja wenn er nur daran denkt, dann schicke ich ihm den Andreasorden zurück – dann kündige ich ihm die Bekanntschaft –, dann grüße ich ihn nicht mehr! Er soll sehen, Blücher, dem setzt sich der Kaiser Alexander nicht aus! Wir schlagen also los, wir beide! Das wird die beste Antwort auf seinen Waffenstillstand! So ein Blödsinn akkordiert sich immer am besten mit der Waffe in der Hand. Also: kündigen, Essen!‹
Der General Essen machte Einwände.
Da brachte man aber die Meldung, die Engländer landeten endlich auf Rügen, und da war ich obenan. Der Waffenstillstand wurde gekündigt, wir rüsteten mit Feuereifer zum Aufbruch. Ein paar Tage hing mir der ganze pommersche Himmel voller Geigen, und ich hatte schon die Welt so gut wie in der Tasche.
Ich sah schon den Sieg zum Greifen nahe und streckte bereits die Hand danach aus.
Da fielen mir die Sicherheitskommissare drüben in Tilsit mit dem niederträchtigsten und schandbarsten Friedensschluß, der je da war, in den Arm – Gott strafe sie! – Gerade als ich die Marschbefehle ausgegeben hatte! Und ich mußte nun wieder hin zum König Gustav Adolf – jetzt aber um ihn zu bitten, den Waffenstillstand, dessen Kündigung ich ihm eben mit Mühe und Not abgerungen hatte, wieder zu verlängern.
Da wurde er ganz wild, und ich konnte es ihm nicht verdenken, denn ich war selbst bis zum Hals geladen.
Ob ich ihn wohl für verrückt hielte? rief er mir zu. Und das tat ich ja, obwohl mir seine Verrücktheit viel lieber war als manche dämliche Klugheit bei uns drüben in Memel. Er würde jetzt erst recht losschlagen, rief er noch. Und wer nicht mit ihm wäre, der wäre gegen ihn und würde danach behandelt werden!
Er hätte seine Aufgabe vom Himmel bekommen, sagte er –, er sei vom Schicksal bestimmt, Napoleon zu stürzen, die Bourbonen auf den Thron ihrer Väter wieder einzusetzen und das vergewaltigte Recht zu Ehren zu bringen.
Dann kam er mir mit der Offenbarung Johannis und bewies mir haarklein, die apokalyptische Hure, das wäre die französische Republik, und das wilde Tier, mit dem sie sich abgab, wäre Napoleon, und er, Gustav Adolf, wäre es, der dem Tier alle seine Köpfe abschlagen würde, die da alle Kronen der Welt trügen! – – Nun, ich bin in der Apokalypsis nicht so gut beschlagen wie im Whist –, sonst würde ich ihm schon wiedergeben, was mir der König da alles auskramte.
Er war total verrückt.
Na, er hat's büßen müssen. Sein guter Schwager hat ihm nun richtig den dritten Teil seines Reiches genommen; die anderen beiden Drittel nahmen ihm ja die Schweden selbst, mitsamt der Krone, und schickten ihn mit seiner apokalyptischen Politik über die Grenze.
Nicht einmal das Fell des toten Löwen, Karls des Zwölften, in dem er so gern herumstolzierte, durfte er mit sich außer Landes nehmen. Und nun geht er hier rum und klopft überall an, und nirgends ist seines Bleibens!
Und dabei hatte er bei all seiner Verrücktheit doch Blick für die Menschen – insbesondere für die Verrücktheit der anderen! – – Denn nur bei den anderen erkennt man sie, niemals bei sich selbst.
Was er da sagte von Schill und der Melancholie, das stimmte!
Ich habe die Brieftasche Schills in meinen Händen gehabt, nachdem er gefallen war –, denn ich mußte ja sehen, ob da nichts für andere Leute Kompromittierendes drin war.
Weiß Er, was ich drin fand?
– Verse, Gneisenau – schlechte Verse! – Mondscheingesäusel – in Worte geronnenes, fades Liebesgereimsel! – Wer hätte das von dem Mann gedacht!
Da hatte ich's nun schwarz auf weiß, daß der seelisch einen Knacks hatte, und da begriff ich auch, warum sein so kühn begonnenes Unternehmen so kläglich enden mußte.
Wäre er vor mein Kriegsgericht gekommen – wegen der Verse hätte ich ihn verknackst –, wegen seines Privatkriegs mit Napoleon aber freigesprochen!
Na – hätte er gewußt, daß sein Kopf, in Spiritus gelegt, dem König ›Lustick‹ überliefert werden würde – er hätte sich wohl einen anderen Vers daraus gemacht – und für einen besseren Schluß seines Heldenliedes gesorgt.
Leute wie die seinen hätten es aber nicht nötig gehabt, unnütz zu sterben, hätte ihr Führer nicht den Schuß Melancholie in der Seele gehabt, für die der Schwedenkönig eine so feine Witterung hatte.
Denke Er sich nur: Schill, dieser Brausekopf, dieser Sausewind, für den es nichts Unmögliches gab – dieser Tausendsasa, dieser Lausbub, der durch seine kühnen Husarenstreiche schon als junger Mensch zu einer sagenhaften Gestalt emporgewachsen war, und der auch mit Recht die Ehrung verdiente, an der Spitze unseres Heeres in Berlin einzuziehen – dieser Strauchdieb von einem Herzensbrecher, der sich nur zu zeigen brauchte, und alles jubelte und jauchzte ihm zu – dieser tolle Junge, der die Keckheit hatte, als alles andere sich ängstlich davor drückte, auf eigene Faust hin und allein den Krieg mit Napoleon anzufangen – der verliert auf einmal mitten im Kampfe den Kopf, verliert den Mut und gibt alles auf!
Das mag wer will als plötzliche Reue auslegen! Ich nicht!
Ich glaube – und das spreche ich offen aus: an dem Manne ist ein Verbrechen begangen worden!
Man hat ihn glauben gemacht, der König billige im geheimen sein Unternehmen, dürfe sich aber nicht offen für ihn erklären, bis alles gut in Gang wäre.
Und als die Umstände allerseits ungünstig wurden und das Glück sich gegen Schill entschied, da ließ man ihn kläglich fallen.
Er hatte eben Pech – dreifaches Pech.
Erst die Mitstreiter hier zu Hause, die ihm draußen im Volke den Boden bereiten sollten, und es schlecht taten. Dann die Österreicher – Herrgottsakra, wenn ich an die denke, da kriege ich einen roten Kopf!
Die haben den Napoleon aufs Haupt geschlagen – sie haben ihn, nach Aspern, in der Mausefalle auf der Insel Lobau, mitsamt seiner ganzen Armee, abgeschnitten, ohne Verbindungen, ohne Brücken, und sie greifen nicht zu, sie machen ihm nicht den Garaus – sie lassen dem Hund noch wochenlang Zeit, sich aus der Patsche zu ziehen, und warten geduldig, bis er aus seinem Rattenloch herauskriecht und ihnen selbst einen Hieb auf den Kopf versetzt! So 'ne niederträchtige Schlamperei war noch nicht da!
Die Kunde von ihrer Niederlage bei Wagram war für Schill ein schwerer Schlag.
Daß aber sein eigener König sich dann auch gegen ihn erklärte und ihn gar mit einem Kriegsgericht wegen Insubordination bedrohte, daß der Monarch selbst, an dessen geheime Unterstützung man überall im Lande glaubte, nun diese Behauptung Schills Lügen strafte, das zog ihm den Boden unter den Füßen weg.
Aber er hätte doch nicht den Kopf verlieren müssen! Er hätte nicht zögern sollen, nach England zu gehen, ehe es zu spät wurde! – Er hätte sich sofort nach dem nächsten Hafen aufmachen und an Bord gehen müssen, um draußen in Spanien gegen den Franzmann zu kämpfen!
Nun, er hat seine Saumseligkeit mit dem Leben gebüßt! Ein Hundsfott, wer dafür auf seine tote Asche auch nur den Schatten eines Vorwurfs kommen läßt!
Es hätte aber alles anders kommen können und müssen, wenn man bei uns nur gleich zugegriffen hätte! Wer weiß – wenn die Österreicher gesehen hätten, daß wir Ernst machten, dann hätten sie am Ende den Napoleon doch noch beim Schlafittchen gepackt und die gute Gelegenheit benutzt, das welsche Unkraut mit Stumpf und Stiel auszurotten.
Ich habe ja damals den König gebeten – ich habe gebettelt und gefleht, ›laß mich nur, gerade jetzt, mit meinem Korps über die Elbe gehen! Mit meinem Kopf stehe ich dafür ein, daß wir dann unsere Provinzen wiederhaben!‹ Die hätten wir auch! Ich hätte drüben alles in Feuer und Flammen gesetzt, und die Unternehmungen von Schill und Dörnberg und Braunschweig wären nicht nutzlos vertan gewesen!
Aber man hat nicht den Mut gehabt! Seitdem unsere gute Königin starb, ist es ganz verdreht!
Himmelsakra – mir war dann der mit der Apokalypse am Ende doch lieber! Obwohl er in seinem Haß gegen Napoleon weiter nichts war als ein kläglicher Don Quichotte, der gegen apokalyptische Windmühlen ritt. So etwas ist aber am Ende mit Schlauheit zu lenken!
Wenn ich aber daran denke, daß unser guter König einmal auch so von Tür zu Tür wandern müßte, Obdach suchen – – –! Das kann noch kommen, Gneisenau – das kann noch kommen, wenn's so weitergeht, und wenn er die Zeichen der Zeit nicht besser versteht! Denn wenn er selbst nicht will, Gneisenau –, wenn er nicht will –, und wenn wir wollen! Und wir sind jetzt proppvoll geladen! – Und wenn wir dann ohne Befehl losplatzen, wer spricht da von Insubordination? Schockschwerenot! Wozu sind wir auch schließlich da?
Ich werde wohl von Tür zu Tür mitgehen, wenn's soweit mit ihm ist?! Nee – mein Leben gebe ich jederzeit für den König her! Aber so 'ne Bettelei mache ich nicht mit!
Die französischen Sklavenketten mag tragen wer will –, ich trage sie nicht! Ich sag's ganz offen, und wenn man mir zehnmal den Mund verbietet! Warum nicht auch? Wozu schüttelt Er den Kopf? Soll das auch ›Insubordination‹ heißen!?
Nun, dann lasse Er sich gesagt sein, daß Insubordination noch hierzulande Mode werden kann, wenn's nicht anders möglich ist, das Land zu retten!
Und der Ihm das sagte, das war der General der Kavallerie, denn dazu haben sie mich ooch jemacht, seitdem Er nach England reiste, und zwar um mir das Maul zu stopfen!
Sie haben mich zum General der Kavallerie gemacht, Sie haben mich aber auch zum Domherrn gemacht!
Was lacht Er da?
Zum Domherrn, sage ich, indem, daß mir der König eine Domherrnpräbende in Brandenburg verliehen hat! Wenn der Staat seine Generäle nicht anders zahlen kann, zahlt er sie eben so! Bargeld ist Bargeld, und wenn's von der Kirche kommt, wird's wohl auch den rechten Gottessegen haben.
Er braucht aber nicht deswegen zu denken, daß ich jemals den Schleier nehme oder fromm ins Kloster gehe und heilig werde! Ich bleibe, was ich bin!
Der General der Kavallerie wird nicht minder kräftig als der Generalleutnant kommandieren: Vorwärts druff uff den Feind!
Und wenn ich jemals als Domherr die Kanzel besteige, dann, Gneisenau, soll's Pech und Schwefel vom Himmel regnen, und die Sicherheitskommissare und Angstmeier sollen sich alle Tage dreimal in die Hosen – –! Das meine Predigt! – Schmidt! Noch 'n Piep!«
Und Schmidt wußte Bescheid.
Er hatte mit Wonne bemerkt, wie gut der Tabak heute seine Schuldigkeit tat und wie schön sein Herr durch ihn ins Schimpfen kam.
Er stand schon auf der Lauer, eine frische Pfeife im Munde, und qualmte und schmunzelte gehorsamst übers ganze Gesicht bei den saftigen Worten Blüchers, und wartete auf das Signal.
Sobald das Kommando fiel, nahm er sofort mit Wucht die Hacken zusammen, reckte sich, daß die Knochen krachten, riß die Pfeife aus dem Gehege seiner Zähne, und dann, mit Paradetritt vorwärts marschiert, Blücher die Pfeife mitten ins Gesicht gesteckt und ihm so das Maul gestopft!
Dann nahm er die Akten Schill unter den Arm und trug sie behutsam zur Tür hinaus. Bloß die Brieftasche Schills mit den Versen nicht! Die behielt der General und Richter als einziges belastendes Corpus delicti zurück.
*
Die Frau Generalin von Blücher ordnete in aller Eile den Kaffeetisch in ihrer Wohnung zu Stargard.
Ihr Herr und Gebieter hatte ihr eine Stafette mit der Nachricht geschickt, er käme nachmittags zurück von Berlin und bäte sich zum Empfang eine Tasse warmen Kaffee und Streuselkuchen aus. Es galt also rasch fertig zu sein. Denn Blücher pflegte schnell zu reisen und konnte jeden Augenblick ankommen.
»Es war eine schlimme Zeit«, sagte die Generalin zu ihrer Freundin Frau von Bonin auf Schönwerder, die gerade in Stargard war und den Nachmittag über blieb, um Blücher zu bewillkommen. »Es war nicht leicht, und ich werde recht froh sein, wenn es jetzt ein Ende hat. Aber ich traue dem Frieden nicht. Mit ihm war's immer so. Kaum daß man denken konnte: Gott sei Dank, nun hat die Schererei ein Ende –, da ging sie erst recht los. Es wird jetzt nicht anders sein. Erzwungene Ruhe ist für ihn Gift. – Und wenn's jetzt wieder mit seiner Krankheit losgehen sollte, da befürchte ich das Schlimmste! Das letzte war für ihn ein schwerer Schlag!«
Sie rückte noch die Kaffeetassen zurecht, schnitt Kuchen auf und ordnete an den Blumen.
»Es war lieb von dir, ihm Blumen zum Empfang zu bringen«, sagte sie und nickte ihrer Freundin zu. »Er hat die Blumen gern.«
»Du weißt, wie sehr wir alle ihn schätzen und lieben«, antwortete diese. »Seit ihr wieder in Stargard haust, leben wir ordentlich auf. Und jetzt, wo er nicht mehr die Plage des Dienstes hat, jetzt wollen wir alle helfen, ihm das Leben so heiter und gemütlich wie nur möglich zu gestalten, damit er seinen Ruhestand recht genießt. Er darf es sich wahrlich gönnen. – Wie hat er seinen Abschied vom Dienst aufgenommen?«
»Nun, gern beißt keiner in den sauern Apfel! Aber du weißt, die Männer stellen sich immer ein bißchen an. Als er die königliche Botschaft bekam, hat er laut gelacht, daß ich einen Schrecken kriegte. ›Endlich einmal ein Entschluß am Allerhöchsten Ort!‹ hat er dann gesagt. ›Das ist immerhin eine Besserung! Hätte ich sooft kapitulieren wollen wie Kalckreuth, hätte ich Danzig verloren, hätte ich so brav, wie er, vor dem Franzmann gedienert und mir sagen lassen: ›Sie sind nicht zum Unterhandeln, sondern zum Unterschreiben da‹, und hätte ich dann unterschrieben und meinem Land einen schmachvollen Frieden um jeden Preis verschafft – ich wäre Generalfeldmarschall geworden, wie er, und hätte die höchsten Ehren genossen. Nun habe ich aber dem König sein Land wiedergewinnen wollen, ich habe geholfen, zu rüsten, Festungen zu bauen, Armeen auf die Beine zu stellen und den Leuten Mut und Vertrauen auf die Zukunft einzuflößen. Und der Dank ist nun – ein Fußtritt des Königs auf Befehl Napoleons!‹ – So hat er geredet.«
»Recht hat er!« sagte Frau von Bonin.
»Das meine ich auch«, antwortete die Generalin. »Aber wenn mir trotzdem nicht ganz rosenrot zumute ist, ist's kein Wunder! Er ist ja gewohnt, rastlos tätig zu sein. Überall hatte er seine Finger mit im Spiel. An den Arbeiten der Armeereorganisationskommission nahm er so eifrig teil, als wäre er mit drin gewesen. Er schrieb und empfing alle Tage Briefe, hatte seine Berichterstatter überall im Lande und auch im Ausland, wußte stets mit allem Bescheid, saß immer wieder dem König und der Regierung im Nacken und regte sich maßlos auf, wenn dann nicht alles nach seinem Kopfe ging. Ich habe mich manchmal über die Geduld des Königs gewundert.«
»Der König hält große Stücke auf ihn!«
»Gewiß! Das wußte er auch und – mißbrauchte es deshalb vielleicht nicht ungern. Immer ging es ja nicht gut. Einmal kam eine Beförderung, ein andermal eine gehörige Nase, und alles beides kümmerte ihn wenig. Nur einmal wurde er ganz niedergeschlagen und war lange nicht mehr zu etwas zu gebrauchen. Das war, als er unseren guten Eisenhart zum König schickte, um ihn seine Wünsche mündlich vortragen zu lassen. Denn selbst durfte er nicht hin –, du weißt ja: persönlich kann gegen ihn keiner aufkommen, und man fürchtete wohl seine Überredungsgabe. Aber Eisenhart hat auch ein gutes Mundwerk, und da schickte er also den nach Königsberg, um den König zu überzeugen, daß sich auf den ersten Ruf in Preußen schnell hunderttausend Mann versammeln würden, wenn der König nur wollte, und daß Österreich bereits vierhunderttausend Mann schlagfertig hätte, um gemeinsame Sache mit uns zu machen, und was noch mehr. Da antwortete der König: in Preußen fehle es an dem Führer einer Armee von hundertfünfzigtausend Mann! Meinem Mann ließ er diese Antwort geben!«
»Nicht möglich!«
» Das hat er sich sagen lassen müssen, als ob er überhaupt nicht da wäre! Und auch, daß er sich um alles in der Welt ruhig verhalten möchte! Er und ruhig! Er wurde krank – na, du weißt ja, wie's lange Zeit um ihn stand! So niedergeschlagen habe ich ihn niemals gesehen, solange unsere Ehe dauert. Er war ganz unerträglich –, ich habe meine liebe Not mit ihm gehabt!«
»Du Ärmste!«
»Nun, das war nichts gegen das, was er selbst litt. Er nahm ab, wurde dürr wie ein Skelett, schlief die Nächte nicht, hatte Halluzinationen, sah Gespenster am hellen Tage, aß nichts, trank nichts als Kaffee und – ob du's glaubst oder nicht – rührte auch nicht einmal die Pfeife an. Ich glaubte schon das Schlimmste erwarten zu müssen. Da auf einmal nahm's eine Wendung zum Besseren. Der Appetit kam wieder, er aß wie ein wildes Tier, trank und fluchte und rauchte wie sonst. In ganz kurzer Zeit, so geschwind, wie's nur bei ihm geht, war er obenauf! Weißt du, was ihn so schnell kurierte?«
»Nun?«
»Daß der König den General von Bülow zu seinem Stellvertreter im Kommando ernannt hatte! Und auch zu seinem Nachfolger, falls er nicht wieder gesund werden sollte. Das war das beste Gegengift gegen seine Krankheit. Sofort packte ihn die Wut; er war auf den Beinen, schwang die Fuchtel, führte wieder die Geschäfte und genas –, aus reinem Trotz, und um Bülow recht zu ärgern. Das ist nun mein Glaube. Denn seine Wut auf Bülow war unbeschreiblich. Und seitdem kann er ihn nicht mehr leiden.«
Frau von Bonin lachte.
»Ja, so ist er,« sagte die Generalin, »die Tätigkeit ist sein Leben. Er krankt nach ihr und ist immer fertig zum Explodieren, wenn sie ihm beschränkt wird. Dann will er gleich alles hinwerfen, in fremde Dienste gehen, verlangt seinen Abschied und bekommt ihn nicht und schöpft daraus neue Hoffnung, endlich tätig sein zu dürfen, wie er will! Und ist es damit wieder nichts, dann wird er von neuem gallig, bitter, niederträchtig, halb wahnsinnig, er verkümmert, altert, ist fertig mit dem Leben und kann sich doch nicht vom Dienst losreißen, weil er immer noch hofft, immer noch einen Funken vom Kinderglauben an seine ihm vom Himmel gegebene Sendung hat!« –
Sie wurde unterbrochen.
Ein Wagen fuhr rasselnd am Hause vor, und im nächsten Augenblick stand Blücher im Zimmer.
Er war ganz verwandelt. Frisch wie ein Fisch im Wasser und voll von Hoffnung und Zukunftsplänen.
»Das will nun ein in Ungnaden entlassener General sein!« lachte Frau von Bonin.
»Was, Ungnaden!« erwiderte Blücher übermütig. »Die Ungnade ist nur eine Komödie, um Napoleon zu täuschen. Ich stehe oben besser angeschrieben als je. Der König war sehr gnädig –, er war sogar sehr traurig. Ich habe ihn über meine Entlassung trösten müssen. So liegt die Sache. Und das ist ein ganz anderer Kasus als damals, wo ich vom Alten Fritz meinen Abschied erhielt. Du weißt, Malchen, vierzehn Jahre habe ich nachher auf Wiedereinstellung warten müssen. Und daß ich das mußte, das hielt mich nachher stets zurück, sooft ich meinen Abschied nehmen wollte! Vierzehn Wartejahre kann man sich in meinen Jahren nicht mehr leisten –, da schluckt man lieber so manches herunter. Man soll eben seiner Sache treu bleiben, Malchen –, Treue halten im Bösen wie im Guten! Dann bleibt sie einem auch treu!
Jetzt hat mir der König wegen Ungehorsams gegen seinen Befehl, die Befestigungsarbeiten in Kolberg einzustellen, den Laufpaß gegeben. Er denkt, er muß es aus Rücksicht auf Napoleon tun. Er wird mich aber wiederhaben wollen und wird mich auch holen, sobald die Zeit da ist. Meiner Sache bin ich sicher –, ich war's niemals so sehr wie jetzt, wo ich eigentlich gar nichts mehr mit ihr zu tun habe. Jetzt erst fühle ich, wie unlöslich ich mit meiner Aufgabe im Leben verwachsen bin.
Nichts kann sie mir nehmen. Bestimmung ist Bestimmung, Was kommen soll, kommt. Kein König und auch kein Kaiser kann mir mit seinem Machtwort nehmen, was mir von allem Anfang an als mein Ureigenstes gehörte, ebensowenig, wie er's mir verleihen konnte.
Siehst du, Malchen, was der Mensch nicht geben kann, das kann er auch nicht nehmen. Das ist mein Glaube. Und nun warten wir in aller Ruhe und in Gottes Namen das Weitere ab. Jetzt brauche ich auch nicht mehr Scharpie zu zupfen, Malchen. Und nun – einen Kuß – und dann zu Tisch!«
Er küßte allen beiden Damen rasch die Wange, bot ihnen dann galant die Arme und führte sie an ihre Plätze.