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Nun, Monsieur Roustan, wenn man Ihnen von der Redaktion des Courrier français wieder einen Interviewer schickt, um Ihre Ansichten über das Stück Langeweile zu erforschen, das wir hier in den polnischen Sümpfen aufführen, was würden Sie antworten?«
Roustan, der Leibmameluck des Kaisers, pflanzte sich breitbeinig mitten im Zimmer auf, steckte die Hände in die Taschen seiner weiten Pumphosen, warf sein turbanverziertes Haupt zurück, gähnte, als wollte er den Kronleuchter verschlucken, drückte dann sein glattrasiertes Kinn in das Halstuch hinein und bohrte seine Blicke verächtlich in sein Gegenüber.
»Ich würde,« sagte er, »dem Herrn vom Courrier français genau das gleiche antworten wie Ihnen, Monsieur Constant, daß man hier in diesem verfluchten Nest überhaupt keine vernünftigen Ansichten haben kann!«
»Sie sind eben verwöhnt, Monsieur Roustan!« sagte Constant und drehte seine schlanke Figur vor dem Spiegel, schlug ein paar Staubkörner vom Ärmel seines grünen, goldgestickten Rockes, zupfte das Spitzenjabot über der weißen Weste zurecht, nahm aus der Tasche seiner schwarzen Atlashose eine Handvoll Goldstücke, ließ sie von einer Hand in die andere rieseln und steckte sie wieder ein. »Sie verlangen Opern, Schauspiele, Hoffeste, Sie wollen Ihre tägliche Suite von Bittstellern, die durch Sie an den Kaiser heranzukommen hoffen, Sie wollen Ihre goldene Ernte, Ihre Geschenke – –! Sie können aber nicht verlangen, in jedem polnischen Nest ein Paris zu finden! Sie können nicht erwarten, täglich hier von Malern um Sitzungen bestürmt – oder von Frauen um Rendezvous – oder von Fremden als größte Sehenswürdigkeit der Residenz angestaunt zu werden! Das strengt schließlich auch an, wenn es auch ein hübsches Stück Geld einbringt! Sie müßten froh sein, ein paar Monate mit dem Betrieb aussetzen zu können! – Oder gehört es zu Ihren unumgänglichen täglichen Lebensbedürfnissen, jeden Morgen im Courrier français ›Roustans Eindrücke‹ von den Tagesereignissen zu lesen? Glauben Sie, wir können Europa nicht erobern, ohne daß Sie Ihren journalistischen Senf dazugeben?«
»Sie sind neidisch, Constant«, erwiderte Roustan. »Sie wissen, daß ich für Journalisten nicht zu sprechen bin. Einmal nur habe ich mich dazu hergegeben, nach der Premiere der Oper La Caravane mich ausfragen zu lassen. Das war Pflicht. Denn die Wüste, die man auf der Bühne hingestellt hatte – – ich sage Ihnen hahnebüchen, direkt hahnebüchen! – Das verstehen aber die Pariser nicht! Da habe ich, als einzige Wüstenautorität – nun, die Würde werden Sie wohl uns Mamelucken nicht abstreiten können –, da habe ich der feinen Welt von Paris die Wüste klargemacht. Denn man applaudiert nicht bei einem derartigen Schwindel! – Aber wozu davon reden? Das alles ist Kinderei. Wenn ich mich von hier fortsehne, hat das ganz andere Gründe!«
»Sie sind eben undankbar, Roustan! Sie dürfen täglich um den größten Mann der Welt sein. Sie dürfen dabei sein, wo Weltgeschichte gemacht wird, dürfen aus nächster Nähe zusehen, wie die Welt gelenkt wird! Sie werden von Tausenden um diesen Vorzug beneidet, und Sie interessieren sich so wenig, daß Sie keine Ansichten haben.«
»Nehmen Sie ruhig an, Monsieur Constant, daß es nichts als Diskretion ist«, brummte Roustan gleichgültig, nahm seinen blauroten Turban ab und strich dessen Reiherfeder zurecht. »Sie fühlen sich doch auch nicht wohl in diesem Polennest, wo's nichts als Morast, Regen, Nebel und Kälte gibt, wo keine Menschen, die man Menschen nennen kann, zu sehen sind, außer unseren Soldaten, wo's überhaupt kein Leben gibt, kein Treiben, kein Theater, keine Feste!«
»Keine Pariserinnen!« lachte Constant.
»Nun, dort hat man eben seine Freundinnen! Aber hier – nun – für sich selbst sorgt der Kaiser schon! Aber für uns –! Wenn ich wenigstens meine Nachtruhe hätte! Aber seitdem er die Liaison mit der schönen Polin hat, seitdem er so kindisch verliebt ist, seitdem schläft er überhaupt nicht mehr, seitdem ruft er mich jede Nacht immer wieder! Wenn Sie ein Mensch wären, Constant, würden Sie mich einmal ablösen und statt meiner vor seiner Tür schlafen, damit ich einmal ausruhen kann.«
»Ich denke nicht daran«, sagte Constant lächelnd. »Ich habe tagsüber ohnehin so viel mit ihm zu schaffen, daß ich meine Nachtruhe vollauf verdiene. Aber – in anderer Weise komme ich Ihnen gern zu Hilfe.«
»Wie denn?«
»So, daß ich für die Ruhe seines Gemüts sorge. Der Kaiser muß eben anders werden. So wie jetzt, geht es nicht weiter, sonst verlieren wir den Feldzug! – Wir regieren ja nicht mehr, wir führen den Krieg nicht, alles schläft ein, und keine Andeutung hilft. Er ist in Gedanken, er hört nicht, er lächelt manchmal still in sich hinein, oder er seufzt und spricht vor sich hin! Verstehen Sie das? Er, der Mensch aus Stahl, dem man noch niemals eine Leidenschaft ansah, außer der einen: tätig zu sein, Tag und Nacht Anordnungen zu treffen, die ins Getriebe der ganzen Welt eingreifen – er benimmt sich jetzt wie ein ganz gewöhnlicher junger Mensch, der zum erstenmal zu tief in die Augen eines jungen Mädchens geblickt hat! Das ist entschieden ungesund. Er ist krank. Und da habe ich eben auf eigene Faust eingegriffen und ihm einen Helfer hierherbestellt, der sein Ohr hat.«
»Wen denn?«
Ehe Constant antworten konnte, öffnete sich die Tür, und eine seltsame Gestalt trat über die Schwelle.
Roustan lachte laut auf.
»Der soll ein Helfer sein?« rief er und deutete auf den kleinen, buckligen, gebeugten Herrn, dessen gestickte Hoftracht nur dazu vorhanden zu sein schien, die Gebrechen seiner äußeren Erscheinung recht deutlich hervorzuheben.
Zwischen seinen hochgeschobenen Schultern lag ein mächtiger Kopf mit kräftiger Hakennase und glühenden, von buschigen Brauen beschatteten Augen, wie in ein Vogelnest versunken. – Sein Degen schlug ihm gegen die schiefen Waden und verwickelte sich bei jedem Schritt in ihnen. Er blieb an der Tür stehen und kaute an seinen krallenartigen Fingern.
»Seit wann,« lachte Roustan, »seit wann ist es Brauch geworden, in Liebessachen den Hühneraugenoperateur zu konsultieren?«
Constant antwortete nicht, sondern wandte sich mit strenger Miene dem Neuangekommenen zu.
»Sie haben uns lange warten lassen, Herr König!« sagte er kurz in gebieterischem Tone. »Sie hätten bei einigem Diensteifer schon vorige Woche hier auf Finkenstein sein können. Wo sind Sie solange geblieben? Haben Sie die Gelegenheit benutzt, sich erst in Ihrer deutschen Heimat umzusehen?«
»Was Heimat«, kreischte der sonderbare Mann in verdrießlich schnarrendem Ton. »Ich habe keine Heimat, ich pfeife auf derartige Sentimentalitäten! Paris ist mir auch keine Heimat. Paris ist der Platz, wo ich mein Geschäft betreibe. Und was das betrifft, daß ich hier zu spät komme, so läßt mich das kalt. Wo in aller Welt käme wohl ein Hühneraugenoperateur früh genug? Erkundigen Sie sich übrigens bei den Postillionen, die mich gefahren haben, wenn Sie neugierig sind. – Fragen Sie die Soldaten, die meinen Wagen zwei Tage lang in dem Loch stecken ließen, in das wir hineingeraten waren, und die sich auch dann noch nicht beeilt haben würden, meinen Wagen aus dem Dreck zu ziehen, wenn nicht der Wagen des Marschalls Lefebvre sonst nicht hätte vorbeikommen können. Nichts hat bei den Lausekerls geholfen, keine Bitte, kein Trinkgeld –«
»Nun, wenn der Herr Doktor Tobias König ein Trinkgeld verspricht, dann rühre ich mich auch nicht!« sagte Roustan, der seine Erfahrungen in diesen Dingen bei hoch und niedrig zu machen pflegte. »Da bleibt's für gewöhnlich beim Versprechen.«
»Auf Ehre!« rief der kleine Kerl. »Ich habe die Börse gezogen – ich habe ihnen Geld gezeigt – schönes rundes Geld –, vollwichtiges Goldgeld!«
»Goldgeld! Ha, ha!« lachte Roustan!
»Die haben gelacht wie Sie«, fuhr der andere fort. »Sie haben gesungen, sie sind weitergezogen und haben mich sitzenlassen. Da habe ich ihnen nachgerufen: ›Auf Befehl des Kaisers –‹, aber sie haben auch dann nicht Hand angelegt, sie haben bloß gefragt: ›Wer bist du denn?‹ Und da werde ich nicht so dumm sein, zu sagen, ich bin Tobias König, der kaiserliche Oberhoffußarzt – ich habe mich schön gehütet! Einen Juden würden die nur tiefer in den Morast gestoßen haben! Ich habe mich damit begnügt, mich in meinen Mantel zu hüllen, ich habe eine gestrenge Miene aufgesetzt, mich in die Wagenecke gedrückt und mit aller Würde gefragt: ›Wißt ihr nicht, wer ich bin? – Ich bin der Fürst Talleyrand, der Minister des Auswärtigen.‹ Da haben sie noch mehr gelacht. ›Nun, wenn du so 'ne miserable Politik machst, daß wir in diesen polnischen Morästen monatelang steckenbleiben, dann schadet's dir nichts, wenn du auch selbst drin sitzenbleibst!‹ Und sie haben gelacht und sind weitergegangen!«
»Nun,« sagte Constant, »die Wege sind allerdings nicht berühmt. Wir wollen Ihre Entschuldigung für diesmal gelten lassen. Aber ein anderes Mal werden wir nicht so gutmütig sein. Jetzt werde ich den Kaiser wecken. Warten Sie hier, Monsieur König! Wenn wir Sie heute benötigen, werden wir Sie rufen!«
Er ließ sich von einem Lakaien einen brennenden Armleuchter geben und sah nach der Uhr auf dem Kamin; als der Zeiger auf Punkt halb sieben stand, ging er auf die Tür des Schlafgemachs zu, öffnete sie behutsam und trat leise hinein.
Roustan beeilte sich, die Tür hinter ihm zu schließen, und stellte sich davor.
Napoleon war schon wach. Er lag behaglich ausgestreckt in seinem breiten Bett, von mächtigen Plumeaus zugedeckt, den Kopf mit einem roten, weiß und blau punktierten Seidentuch umbunden, das über der Stirn zusammengeknotet war.
Constant stellte den Armleuchter auf den Kaminsims, trat an das Bett heran und grüßte.
Gegen seine Gewohnheit antwortete Napoleon nicht, hatte auch kein Scherzwort wie sonst bereit, dankte nur mit einem Blick und starrte wieder auf die Decke.
Constant ließ einen Lakaien herein, der schnell im Kamin einheizte, öffnete die Fenster, nachdem er sich erst vergewissert hatte, daß der Kaiser gut zugedeckt war, und schloß sie wieder, als der Ofenheizer fortging.
Er trat wieder an das Bett heran, bereit, Befehle zu empfangen. Als Napoleon ihn gar nicht beachtete, wagte er eine Frage, ob Majestät seinen Tee befehlen.
Eine abweisende Handbewegung war die Antwort.
Ob Seine Majestät heute lieber einen Aufguß von Orangenblüten zu nehmen geruhten?
Die gleiche Antwort.
Constant zog sich vom Bett zurück, machte sich mit dem Feuer zu schaffen, wartete einen Augenblick und machte dann wieder einen schüchternen Versuch.
Der Kurier aus Paris sei angekommen – die Portefeuilles der Minister wären zur Stelle. Er, Constant, hatte auch vertrauliche Mitteilungen vom Polizeioberinspektor Beyrat erhalten über den im Portefeuille des Innern befindlichen Bericht des Polizeipräfekten von Paris, die ein eigentümliches Licht auf die Pflichttreue dieses hohen Beamten warfen. – –
Napoleon winkte wieder ab.
»Später«, sagte er kurz, und Constant zog sich wieder etwas zurück.
Nach einer Weile trat er wieder vor und fing, trotz der abweisenden Gebärde Napoleons, an, wie üblich, den Tagesklatsch vorzubringen.
Da war insbesondere der gefangene preußische General Blücher – oder Bluquaire, wie er ihn nannte, der sich wieder hatte Respektlosigkeiten zuschulden kommen lassen. Der General war ein Grobian. Das Hauptquartier in Rosenberg hatte ihn bestens empfangen, sein Zimmer mit Lorbeeren bestreut, ihm eine Ehrenwache vor der Tür postiert, der General Le Camus hatte ihn in Person empfangen, der Generaladjutant General Dänzel ebenso. Er aber hatte die Aufmerksamkeit kaum beachtet; er hatte verlangt, sofort zum Kaiser geführt zu werden; er hatte geschimpft und getobt, weil er nicht gleich ausgewechselt wurde; mit seinen ebenso ungeschlachten Gesellen spielte er von früh bis spät Karten, trank, rauchte, kurz, er sei ein rechter Barbar! – Und jetzt käme das Unerhörte: – als Majestät neulich an seiner Behausung vorbeigeritten waren und man ihn darauf aufmerksam machte, da spielte er ruhig seine Partie Whist weiter und sagte nur: »Ich will ihn gar nicht sehen, ehe ich ihn nicht sprechen kann.« Diese Unehrerbietigkeit – diese –
Er hörte plötzlich auf und zog sich etwas zurück, denn der Kaiser saß plötzlich aufrecht im Bett und blickte ihn zornig an.
»Jetzt höre ich Sie bald eine halbe Stunde schwatzen, Monsieur Constant!« sagte er streng, »Sie haben mir aber mit keinem Wort mitzuteilen geruht, wie Frau Gräfin Walewska die Nacht verbracht hat.«
»Zu Befehl!« sagte Constant eilig. »Die Frau Gräfin schläft noch; ihre Kammerfrauen warten noch an ihrer Tür. Sobald sie aber eintreten dürfen, bekomme ich Nachricht!«
Napoleon legte sich wieder hin.
»Du wirst nicht versäumen, es mir sofort zu sagen, wenn sie wach ist, mein Sohn!« sagte er kurz. »Ehe du das nicht besorgt hast, brauchst du mir weiter nichts zu berichten!«
Constant wollte trotzdem ein paar Worte über irgendeine dringende Sache wagen, da öffnete sich die Tür, und ein freundlich lächelnder, schon ergrauter, aber ungemein jovial und heiter blickender Herr in reicher goldgestickter Hoftracht, einen kostbaren Stock in der Hand, kam herein und trat ohne Zeremonie an das Bett heran.
Er schien etwas erstaunt, vom Kaiser weder bemerkt, noch eines Grußes gewürdigt zu werden, fand sich aber rasch damit ab, stellte seinen Stock an den Bettpfosten, ergriff die Hand des Kaisers, blickte nach seiner Uhr und zählte aufmerksam die Pulsschläge.
»Zehn Schläge mehr als gewöhnlich«, sagte er kopfschüttelnd und steckte die Uhr ein. »Sonderbar!«
Napoleon blickte ihn groß an. Er hatte etwas Abwesendes im Blick, was bei ihm sonst niemals zu bemerken war. Die Pupille, sonst groß, so daß das Auge fast schwarz erschien, war jetzt zusammengezogen, daß die Augen in einem satten, sanften Dunkelblau schimmerten. Es schien ihm Anstrengung zu machen, sich zu zwingen, etwas mit Bewußtsein anzublicken. Irgendwelche Träume, irgendwelche Visionen hielten noch die Sehkraft in ihrem Bann. Endlich war er mit dem Vorgang im reinen.
»Corvisart?« sagte er leise, mit einem Tonfall, den der Arzt noch niemals gehört, und der gar nichts von der sarkastischen, übermütig neckenden Art hatte, die dem Kaiser sonst beliebte. »Heute ist weder Mittwoch noch Sonnabend! – Wieso kommen Sie zu mir, und wo kommen Sie her? Sie sind doch in Paris. Haben Sie denn dort schon alle Ihre Patienten unter die Erde gebracht? Haben Sie vor den Dankbezeigungen der glücklichen Erben fliehen müssen? Gestehen Sie's gleich und ohne Umschweife, wie viele Leben haben Sie heute auf dem Gewissen?«
»Lange nicht so viele wie Eure Majestät!« antwortete Corvisart, rasch den üblichen Gesprächston zwischen ihnen aufgreifend.
Aber Napoleon war wieder mit den Gedanken anderswo. Weder hörte er die Antwort, noch warf er ihm ein rasches Scherzwort an den Kopf, auch kniff er ihn nicht ins Ohr – und das war entschieden ein äußerst ernstes Symptom! Und die paar Worte der Begrüßung! Wie matt, wie abwesend, fast automatisch und mehr aus alter Gewohnheit hatte er seine alten Scherze wieder abgeleiert!
Der Leibarzt schüttelte den Kopf. Dann, rasch entschlossen, strich er die Bettdecke zurück, legte sein Ohr an des Kaisers Brust, horchte, sah erstaunt auf, horchte nochmals, richtete sich dann auf und blickte den Kaiser ernst an.
»Wahrhaftig – man hört es schlagen! Man hört das Herz Napoleons! Solange ich die Ehre habe, für die Gesundheit Eurer Majestät verantwortlich zu sein, ist es das erstemal, daß ich das erlebe! Das ist ein ernstes – ein sehr ernstes Symptom!«
Napoleon lächelte, hörte nicht und schien immer noch an etwas sehr Angenehmes zu denken.
Corvisart nahm wieder das Wort.
»Majestät«, sagte er in ernstem, vorwurfsvollem Ton. » Zehn Pulsschläge mehr als üblich und ein hörbarer Herzschlag! Bedenklich, sehr bedenklich! Das zeugt von einem noch nie dagewesenen Nachlassen der Energie und der Willenskraft! Wir regieren nicht mehr. Seit Monaten machen wir nicht mehr Weltgeschichte! Sonst vergeht kein Tag, ohne daß Throne wanken, Dynastien in Nichts versinken, neue erstehen und Völker befreit werden. Und jetzt diese plötzliche Stille, diese Untätigkeit! Wir verstecken uns hier in diesem unwirtlichen, östlichen Nest. Wir leben solide, brav, untätig wie ein spießbürgerlicher Rentenempfänger – wir sind taub und blind, verschließen uns der Welt, träumen, lächeln still in uns hinein! Das kann doch unmöglich die Reaktion auf den fabelhaft schnellen Sieg über Preußen sein? Wenn ich nicht wüßte, wie leger – wie en canaille Eure Majestät stets das schöne Geschlecht zu nehmen pflegen, ich würde fragen: où est la femme?«
Napoleon hörte auch jetzt nicht zu. Er lag da wie vorhin, immer noch dieselben angenehmen Gedanken hin und her wälzend.
Corvisart schüttelte immer ernster sein graues Haupt, streckte die Hand nach seinem Stock aus und wollte gehen, um Constant über die bedenklichen Symptome näher auszufragen.
Als hätte sein Denken an Constant Napoleon angesteckt, setzte er sich gleich im Bett auf und rief: »Constant!« und nahm, da dieser nicht gleich erschien, die Glocke vom Tisch und klingelte ungeduldig.
Constant erschien, ein mit Briefen und Depeschen vollbeladenes Tablett in der Hand.
»Ist sie noch nicht wach?« fragte Napoleon ungeduldig.
»Die Frau Gräfin schläft noch!« antwortete Constant und stellte sein Tablett auf den Kaminsims.
»Meinen Schlafrock!« rief der Kaiser, warf die Decke zurück und schlüpfte rasch in die ihm gereichten weißen Pantalons und den Morgenrock aus weißer Wolle, ließ sich ein Paar ausgetretene rote Pantoffeln anziehen und setzte sich in einen rasch herbeigeschobenen Sessel ans Feuer. Er nippte einmal an der ihm gereichten silbernen Tasse, schob sie dann von sich, streckte die Hand aus, nahm von dem ihm durch Constant dargebotenen Tablett einen Brief, machte ihn auf, warf ihn auf den Teppich, machte noch einen auf, las ihn flüchtig durch und legte ihn auf einen neben dem Kamin stehenden Tisch. – Er schob dann das Tablett zurück, was einen Austausch erstaunter Blicke zwischen Kammerdiener und Leibarzt zur Folge hatte, streckte die Füße so nahe wie möglich an den Ofen heran und starrte eine Weile ins Feuer.
Constant machte noch einen schüchternen Versuch, seine Teilnahme zu erwecken. Er reichte ihm die soeben eingegangenen Zeitungen, nach denen er sonst begierig zu greifen pflegte, aber vergebens! Auch die Liste der im Vorraum auf Audienz wartenden Personen wurde keines Blickes gewürdigt.
»Corvisart,« sagte Napoleon endlich, ohne vom Feuer fortzusehen, »Sie alter Schürzenjäger müssen doch mit den Frauen Bescheid wissen! Wenn sie der Schuh drückt, ohne daß sie einen anhaben – wenn sie unendliche Schmerzen leiden, ohne daß die Ärzte den geringsten Grund entdecken können – wenn die geschicktesten Scharlatane der medizinischen Wissenschaft mit all ihrem Hokuspokus nicht imstande sind, herauszufinden, was ihnen fehlt – und meine sämtlichen Leibärzte und Chirurgen, die im Felde stehen, haben sich schon vergebens bemüht, das Rätsel zu lösen –, was halten Sie denn von dieser merkwürdigen Äußerung der weiblichen Natur?«
»Sire –«, fing Corvisart an.
Aber Napoleon war es mehr darum, zu fragen, als Antworten zu hören, die er sich selbst viel besser als irgendein anderer geben konnte. Er faßte Corvisart bei der Hand und sprach weiter, immer noch ins Feuer starrend.
»Corvisart,« fragte er, »haben Sie jemals geträumt? Heute nacht träumte ich, sonderbar, ganz merkwürdig! Die Gräfin Walewska war bei mir, hier im Zimmer. Sie hielt die Hände in den Taschen ihrer Jacke und stand mit dem Rücken gegen den Kamin. Sie war aber nicht so sanft, auch nicht so lustig und ausgelassen, wie sie es zuweilen sein kann! Sie hatte vielmehr etwas Hinterhältiges an sich, das ich gar nicht bei ihr kenne, und blickte mich ganz merkwürdig an, indessen ihre Rechte immer weiter in der Tasche grub und drinnen mit einem Gegenstand hantierte.
Das machte mich mißtrauisch. Blitzschnell packte ich ihre Hand und fühlte durch den Stoff eine Pistole – die sie vom Stoff gedeckt auf mich richtete und abzudrücken versuchte. Ich, nicht saumselig, wandte die Mündung der Waffe gegen sie und drückte ab. Aber der Schuß versagte.
Dann nahm sie mir die Pistole aus der Hand.
›Soll ich dich lehren, mit ihr umzugehen?!‹ sagte sie lachend, eilte ans Fenster, schlug es auf, zielte auf meine Armee, die hier draußen Parade stand, und drückte ab. Wie ein Feuerstrom ging es von der Mündung der kleinen, kinderspielzeugähnlichen Waffe aus und sprudelte gegen die Truppen hin. Und wo die Feuergarben trafen, sanken sie hin. Meine schönen Grenadiere, meine Jäger und Dragoner schmolzen vor meinen Augen wie Bleisoldaten im Feuer und waren im selben Augenblick wie von der Erde vertilgt.
Ich riß ihr die Waffe aus der Hand; sie lachte aber nur!
Ich zog sie mit mir, zwang sie auf die Causeuse da nieder, setzte mich neben sie und nahm ihre Hand. Wie ich sie dann anblickte, verwandelte sich ihr Gesicht, wurde katzenähnlich, mit langen Haaren um den Mund – ich entsetzte mich vor ihr. Ich zankte sie aus, weil sie mich hatte ermorden wollen und sagte ihr, sie sei das niederträchtigste Weib, was ich jemals auf Erden kennengelernt habe.
Da nahm sie schnell ihr wirkliches Gesicht wieder an; ihre Augen standen voll Tränen, und schluchzend gestand sie mir, sie hätte sich rächen wollen, weil ihr Fuß sie schmerzte und weil ich, der ich schuld daran wäre, ihr keine Linderung ihres Schmerzes gebracht habe. – Ich dachte an dich, Corvisart, ich wollte dich rufen. – Da weckte mich Constant, und auf einmal warst du da! Nun sollst du mir die Sache ins reine bringen und mir sagen, was ihr fehlt.«
»Ihr fehlt sicherlich gar nichts! Die ganze Sache ist weiter nichts als eine Äußerung der ganz gewöhnlichen weiblichen Niedertracht, die im Gemüt einer jeden Frau lauert und nach Gelegenheit sucht, sich zu entfalten. Das macht mir keine Sorge. Aber mit Euer Majestät sieht es bedenklich aus. Erst der Puls – dann das hörbare Klopfen eines sonst in seiner Ruhe einzigartigen Herzens – dann der Traum, wo sonst der Schlaf ganz traumlos in den wachen Zustand überzugehen pflegt! Alles Symptome der Verliebtheit, und sehr auffallend bei einem sechsunddreißigjährigen Manne, der stets, auch in den Jahren der ersten Jugendschwärmerei, zu neunundneunzig Prozent mit dem Verstand allein zu lieben pflegte! Denn dies allgewaltige Überwiegen des Gefühls, dies fast vollständige Zurückdrängen eines Verstandes, der in seinem Tätigkeitsdrang auf Erden seinesgleichen nicht hat, das sah noch keiner bei Eurer Majestät! Fürwahr – ich bin sehr neugierig, jene Schöne, die diese fast unglaubliche Wandlung bewirkt hat, kennenzulernen! Denn ich glaube fast – Eure Majestät werden mehr von ihrem Schuh gedrückt als die holde Schöne selbst!«
Napoleon lachte und wollte eben etwas Lustiges antworten. Da kam wieder Constant herein und meldete gehorsamst, die Frau Gräfin hätte soeben nach ihrer Schokolade verlangt. Er fügte hinzu, daß der Oberfußarzt Seiner Majestät, der lange und sehnlichst erwartete Tobias König, endlich aus Paris in Finkenstein eingetroffen wäre.
»Es ist gut,« antwortete der Kaiser, »Roustan soll ihn sofort zur Gräfin Walewska führen. Sie, Corvisart, gehen mit und überwachen die Operation, wenn eine nötig wird. Sie haben die Verantwortung für alles, was geschieht! – Ist mein Bad bereit?«
Constant meldete ehrerbietig, das Bad warte schon lange auf Seine Majestät, und richtete schnell den Befehl an Roustan aus.
Corvisart verbeugte sich und ging.
Der Kaiser ging ins Badezimmer, entledigte sich mit Constants Hilfe der Kleidung und wollte eben ins Wasser steigen, als Roustan herbeigestürzt kam und meldete, die Frau Gräfin wäre außer sich und verlange, den Kaiser sofort zu sehen; sie ließ sagen, sie wäre dem Sterben nahe und müsse ihn gleich sprechen!
»Fünf Chirurgen habe ich mit im Felde«, sagte der Kaiser verdrießlich und zog das Bein, das er schon über die Badewanne ausgestreckt hielt, zurück. »Fünf Chirurgen und vier Leibärzte! Ich zahle ihnen Unsummen, und sie taugen alle nichts! Wir müssen auch noch selbst die Hühneraugenoperation der holden Dame leiten, als gälte es, eine Schlacht zu lenken, müssen die Truppen kommandieren, womöglich selbst noch dreinhauen! A la bonne heure! Gehen wir! Meine Pantalons, Constant, schnell den Morgenrock! – Nackt ziehen wir auch in den Kampf nicht! Laß Roustan Vorzimmer und Korridore leeren! Keiner darf mich sehen! – So – nun noch die Pantoffeln! Und nun leuchte mir!«
Von Roustan geleitet, ging der Kaiser dann, den Kopf immer noch von dem bunten Tuch umschlungen, zu den in derselben Etage des Schlosses gelegenen Zimmern der Gräfin.
Er fand die Dame auf einer Causeuse ausgestreckt, den einen Fuß in einem goldgestickten, orientalischen Pantoffel steckend, den anderen nackt. Vor ihr kniete der alte Jude und gab sich vergebliche Mühe, an ihrem entzückenden kleinen Fuß irgendein Gebrechen zu finden. Hinter der Causeuse stand Corvisart, beide Hände auf den Stock gestützt, und betrachtete durch sein Binokel all das Schöne, das sich vor seinen erstaunten Augen enthüllte, indes die schöne Gräfin eigensinnig hin und her rückte, gar nicht stillhalten wollte und die Untersuchung zu einer wahren Qual für den guten König machte.
»Sire!« rief sie hinsterbend, »retten Sie mich aus den Händen dieses Ungeheuers! Er hat ein Messer – ich habe es gesehen – er hat ein Messer aus seinem Etui da herausgenommen! Er wird mir die Adern öffnen – wird mich ermorden! Retten Sie mich!«
Napoleon lachte, erklärte ihr, daß keine Gefahr vorhanden sei, sie hätte nichts zu befürchten – ganz im Gegenteil. Er hätte seinen ersten Leibarzt und seinen ersten Pediküren, die sonst beide in Paris unabkömmlich seien, und die er sonst niemals ins Feld mitzunehmen pflegte, extra um ihretwillen von Paris hierherkommen lassen! In besseren Händen könnte man gar nicht sein! Sie sollte sich nur ruhig ihnen anvertrauen, damit sie endlich von ihrem Leiden, das ihn, den Kaiser, mindestens ebensosehr schmerze wie sie selbst, befreit werde!
»Ich lasse mich aber trotzdem nicht operieren, wenn Eure Majestät mir dabei nicht wenigstens die Hand halten!«
»Alles was Sie wollen, ma chère«, sagte der Kaiser und nahm ihre Hand. »Sie sehen, ich bin ja gleich auf Ihren ersten Ruf gekommen und habe mir nicht einmal Zeit gegeben, mich anzukleiden!«
Sie blickte ihn von der Seite an und kicherte vor Freude, den Herrn der Welt so ihrer Laune untertan zu wissen.
»Nun fangen Sie an, Monsieur König«, rief der Kaiser. »Zeigen Sie Ihre Kunst! Aber vergessen Sie nicht, Sie haben die Ehre, den schönsten Fuß auf Erden in Ihrer Hand zu halten. Seien Sie vorsichtig – ich würde Ihnen keinen Mißgriff verzeihen!«
Der Chirurg stöhnte, er wandte und drehte den kleinen Fuß hin und her und versuchte vergebens die kranke Stelle ausfindig zu machen.
»Sire, ist es auch wahr, daß Sie mein Leiden ebenso schmerzt wie mich selbst?« fragte die schöne Gräfin kokett.
Der Kaiser versicherte, daß ihr Zustand ihm wahre Qualen verursache.
» Et la Pologne, ma patrie?« säuselte sie dann bezaubernd. »Es flößt Ihnen doch auch Mitleid ein, Sire?«
»Auch!« sagte der Kaiser.
»Sie lieben mich also?« fragte sie. »Sie lieben mich sehr – – au! – Sie tun mir weh!«, rief sie im selben Atemzug dem Chirurgen zu.
»Ich finde nichts – ich finde absolut nichts!« stöhnte dieser, und große Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn.
»Und Sie sind um meinetwillen direkt von Paris gekommen?« fragte sie und sah den Alten neugierig an. »Allein um meinetwillen? – Und Sie auch, Monsieur Corvisart? – Und Sie sind die berühmtesten Ärzte, die es heute gibt – die geschicktesten und teuersten von allen?«
Und als auch das bejaht wurde, und zwar vom Kaiser selbst, da schlug sie die Hände zusammen, lachte toll auf, wie ein verzogenes Kind, dem ein Spaß gelungen ist, gab dem Hühneraugenoperateur einen Nasenstüber mit ihrem nackten Fuß, daß er vor Erstaunen zurückfuhr und sitzenblieb, lachte noch toller auf, wälzte sich auf ihrem Lager vor Vergnügen und schrie: » Mir fehlt ja gar nichts! – Ich habe nur sehen wollen, ob Sie mich lieben, Sire, und ob Sie ohne Zögern und ohne Murren alles für mich tun würden – alles, was ich will!«
Sie flog dann auf und warf sich dem Kaiser, der in der ersten Überraschung sich zornig erhoben hatte, um den Hals, küßte ihn mitten auf den Mund und herzte und streichelte ihn und kümmerte sich dabei gar nicht um die beiden Ärzte, die mit offenem Munde dastanden.
»Sie lieben mich also, Sire, Sie lieben mich über alles?«
»Über alles, Gräfin!«
» Et la Pologne, ma patrie – vous me la libérerez, n'est ce pas?« lispelte sie noch bestrickender.
Napoleon lachte laut auf.
»Da drückte wohl der Schuh!« rief er übermütig. »Gehen Sie, meine Herren, da bedürfen wir Ihrer Kunst nicht! Da bin ich der rechte Arzt! Gehen Sie, König, freuen Sie sich Ihres Nasenstübers, den Sie von diesem schönen Fuß bekommen haben. Der Fußtritt adelt, sagen Sie's Constant, und er soll mich daran erinnern!«
Die Ärzte gingen und überließen es dem Kaiser, die Kur zu vollenden.
Eine halbe Stunde später saß er seelenvergnügt in seiner Badewanne und regierte von dort aus die Welt, daß es nur so eine Art hatte.
Die Wanne umstanden in gemessener Entfernung der Generalstabschef Berthier, der Generaladjutant General Dänzel, der Architekt der Tuilerien, der Generaldirektor der Museen, der Geheimsekretär Meneval und mehrere Gehilfen, während Constant und Roustan mit dem Kaiser hantierten, und Corvisart und König das Kneten und Frottieren überwachten und gelegentlich selbst mit Hand anlegten.
Und Napoleon bekam nie genug.
Er rief Roustan zu, für mehr und noch wärmeres Wasser zu sorgen – lachte über die roten und erhitzten Gesichter seiner Getreuen, die bald halb erstickt aussahen, befahl, die Kuriere mit den Portefeuilles der Ministerien vorzulassen, ließ sich aus den Akten vortragen, traf Entscheidungen, diktierte Randbemerkungen und Antworten, unterzeichnete – immer noch in der Badewanne sitzend – Heiratskonsense und Ernennungen, Gnadenbewilligungen, Amtsenthebungen, Erlasse und Dekrete, kommandierte, scherzte, lobte und zankte, alles in einem Atem.
»Schreiben, Meneval!« rief er, und Meneval setzte sich an einen Tisch und legte Papier und Feder zurecht.
Der Kaiser diktierte.
» An Fouché: – Madame de Staël, die wir, wie er wohl weiß, nicht ausstehen können, ist, laut Rapport, wieder in Paris. Sie mag ihr Recht auf ›freie Individualität‹ anderswo zur Schau tragen! An der Seine nicht! Er soll sie gleich ausweisen! Die ehemaligen Jakobiner aber nicht. Das ist nicht mehr nötig! Was noch von ihnen da ist, ist harmlos – längst kapitalistisch eingekapselt! Sie sind alle satt und träge und haben ihre Giftzähne längst verloren. Bei der letzten Rezeption in der Akademie hat der Abbé Sicard in unpassenden Ausdrücken über Mirabeau gesprochen! Wir wollen keine Reaktion der öffentlichen Meinung! Fouché soll über Mirabeau lobend sprechen lassen.
An Junot schreiben: Die Kontinentalsperre gegen England gilt auch für die kaiserlichen Marschälle und insbesondere für ihre Frauen. Ihre Weiber – schreiben Sie Weiber, Meneval! – Ihre Weiber mögen Kräutertee trinken, der ist ebensogut wie der Karawanentee, Zichorienkaffee ebenso gesund wie der arabische! Und sie mögen sich hüten, daß ich nicht gewahr werde, wie sie Kleider von englischen Stoffen tragen. Er soll das auch Madame Junot nachdrücklichst einschärfen!
Dem Erzkanzler Cambacères: Wir sind über die Unzufriedenheit und den Pessimismus der Pariser erstaunt. Sie keifen, weil wir hier an der Weichsel aufgehalten werden, und deuten unseren Sieg bei Eylau in eine Niederlage um, weil er kein Austerlitz war. Sie sind verwöhnt. Das gesellschaftliche Leben siecht dahin, weil wir und unsere Marschälle nicht in Paris sind! Das geht nicht. Man soll Feste geben! Er, Cambacères, und auch Lebrun sollen da mit gutem Beispiel vorangehen! Man soll Verschwendung treiben, Geld unter die Leute bringen, Millionenbestellungen an die Industrie vergeben, damit die Arbeiter gut bezahlt, satt und zufrieden werden! Man soll in allen kaiserlichen Schlössern das Meublement mit kostbaren Seidenstoffen neu beziehen, man soll Stiefel, Riemen und so weiter für die Armee bestellen, die Handwerker mit Aufträgen mästen – –
An König Louis: Mein Herr Bruder ernennt für meinen Geschmack viel zu viel Marschälle in Holland. Lieber die holländische Armee vermehren!
An König Joseph: Journalisten sind Kokotten! Auch in Napoli! Man hat mit denen bisweilen ein Verhältnis, aber erhöht sie niemals zu legitimen Gattinnen. Er gibt sich zuviel mit ihnen ab! Nicht auf ihren spitzen Federn, auf den Spitzen meiner Bajonette ruht sein Königreich. Den Mob regiert man mit Fußtritten, mit Schmeicheleien nicht!«
» Et la Pologne, ma patrie!« fuhr er dann halb singend fort. »Constant, hat dir unser guter Fußarzt eine Mitteilung gemacht? Gut. Nachher daran erinnern!«
» La Pologne, ma patrie! – Im ersten Freiheitsrausch in Posen haben mir die Polen alles bewilligt. Und jetzt? Wir sind enttäuscht! Statt der versprochenen hunderttausend Mann nur fünfzehntausend schlecht disziplinierte! Kaum zu gebrauchen! Wir werden uns ihretwegen auch nicht derangieren! Hier, aus der Nähe gesehen, schaut Polen übrigens ganz anders aus! Seinetwegen werden wir nicht die Kontinente umstürzen!«
Er schwieg einen Augenblick. Dann rief er Berthier, ordnete Truppendislokationen in Italien, am Rhein, in Holland an, gab Orders nach Spandau und Berlin über den Nachschub von Artillerie, Munition und Proviant und fragte, ob nicht endlich vom Grafen Bertrand Nachricht über den Stand der Friedensverhandlungen mit dem preußischen Hauptquartier angekommen wäre.
Und einmal bei Preußen angelangt, rief er Constant zu:
»Was wolltest du mir heute vom General Blücher erzählen?«
Er wartete aber keine Antwort ab, sondern rief den Generaladjutanten, General Dänzel, der in der mordswarmen Temperatur des Badezimmers aussah, als ob er bald seine tapfere Heldenseele aushauchen wollte, und gab ihm den Befehl, noch heute, nach der Parade, den preußischen General zur Audienz zu bringen – oder vielmehr den General Le Camus damit zu betrauen. Denn er, Dänzel, hätte auch anderes zu erledigen!
Dann schickte er sie allesamt zum Teufel bis auf Roustan, schrie nach noch mehr und noch heißerem Wasser, ließ sich begießen, kneten, frottieren und war so vergnügt wie ein Fisch im Wasser!
*
Inzwischen saß Blücher schon in aller Frühe beim Whist in seinem engen Quartier zu Rosenberg, das er mit dem Rittmeister von Eisenhart und seinen Söhnen bewohnte.
»Heute bin ich wohl mit dem linken Fuß zuerst aus dem Bett gestiegen!« brummte er, schlug eine Karte nach der andern auf den Tisch und sah manchen schönen Stich an seiner Nase vorbeitanzen. »Das kommt davon, wenn man zu vieren in einem engen Zimmer logieren und verschämt tun und sich drehen und wenden muß, bis man das Gefühl für rechts und links verliert! Verflucht noch einmal, Pfalzgraf! Gib endlich bessere Karten, gib mir nur ein einziges Mal die Honneurs! Immer und ewig kannst du mir nicht zumuten, dazusitzen und zuzusehen, wie du den großen Schlemm machst! Andere Karten, sonst spiele ich nicht mit euch!«
Lachend strich Eisenhart die Karten zusammen, mischte und teilte sie wieder in vier Haufen aus.
Blücher nahm seine Karten, ordnete sie und brummte dabei wiederholt in seinen Bart. Schließlich legte er sie vor sich auf den Tisch.
»Es nützt ja doch nichts!« sagte er verdrießlich. »Solange wir hier in dem verfluchten Nest festsitzen, ist's nichts! Alles geht mir wider den Strich, seit ich Hamburg verließ! Zum Platzen ist das!«
»Exzellenz werden auch einmal gute Karten kriegen!« tröstete Eisenhart.
»Sie werden mir keine geben, und die beiden Lausebengels noch weniger!« antwortete Blücher und schielte nach seinen beiden Jungen, die auch mitspielen mußten. »Die freuen sich schon, wenn sie mich hereinlegen können! Übrigens ist das das wenigste. Die ganze Art, wie die Franzosen mich behandeln, ist's! Die ist empörend! Entweder man wechselt mich aus, oder man tut es nicht! Zum besten halten gibt's nicht. Ich habe mich ehrlich mit ihnen geschlagen und nicht wie ein Hanswurst. Die halten mich aber zum Narren. Wenn's denen mit der Auswechslung ernst gewesen wäre, dann hätten sie mich doch zu Schiff über Kopenhagen reisen lassen können, wie ich wollte. Und hätten ihren Monsieur Victor auf demselben Wege mit Handkuß retourbekommen. Aber nein. ›Der Kaiser Napoleon will Sie sehen! Der Kaiser will Sie sprechen!‹ hieß es. Und da muß ich alter Mann in dem hundsmiserablen Märzwetter wochenlang auf den Wagen liegen und mir die Knochen durcheinanderrütteln lassen und hinter dem kleinen Kerl herreisen, bis in die dunkelste Polackei hinein! Bis China wäre es noch so weitergegangen, hätten unsere Leute sich nicht endlich auf ihre preußische Waffenehre besonnen und bei Eylau dem Franzmann Halt geboten. Und da sitze ich nun bald zwei Wochen hier und fange Fliegen und langweile mich mit eurem faulen Whist herum und werde von euch beschummelt und lasse mich von den französischen Lümmels zum Narren halten.«
Eisenhart bedeutete ihm, vorsichtig zu sein, und sah sich besorgt um.
»Ach was, Pfalzgraf!« rief Blücher ärgerlich und fing wieder an seine Karten zu sortieren. »Die werden schon wissen, woran sie mit mir sind! Da brauche ich kein Blatt vors Maul zu nehmen!«
»Sie glauben im Gegenteil, Eure Exzellenz für ihre Sache gewonnen zu haben!«
»Der Teufel auch!«
»Sie glauben es, und das ist gut!«
»Wenn Er mir da irgend etwas eingebrockt hat, Pfalzgraf, dann ist's aus zwischen uns!«
»Ich habe etwas eingebrockt, und das ist die Freiheit, Exzellenz, die Freiheit, baldmöglichst wieder gegen sie zu kämpfen!«
»Geb Gott, daß es bald soweit wäre! Aber mit ehrlichen Mitteln, Eisenhart, mit ehrlichen Mitteln!«
»So ehrlich, wie bei den Franzosen üblich!«
»Das verbitte ich mir. Auf eine Stufe mit den Gaunern lasse ich mich in puncto Ehrlichkeit nicht stellen!«
»Wie wollen Exzellenz ihnen sonst beikommen?«
»Wie sonst immer! Mit scharfen Hieben!«
»Wenn wir ihnen im Felde gegenüberstehen, ja, da ist das das Richtige. Aber wo wir in ihrer Gewalt sind, da setzen sie Gewalt gegen Gewalt, und sagen sich: ›Nein, der General Blücher kann uns gefährlich werden, den wechseln wir nicht aus, den behalten wir bis zum Ende des Krieges in festem Gewahrsam‹! Und schicken Eure Exzellenz nach Frankreich statt ins preußische Hauptquartier, und uns mit!«
»Mag sein, daß Er recht hat, Pfalzgraf. Aber auf die Vorschläge Napoleons gehe ich nicht ein. Ich bin keine solche Schlafmütze wie die Herren Lucchesini und Zastrow, die da beim Herrn Napoleon in Charlottenburg bettelten und ihm gleich mit Kußhand ganz Preußen links von der Elbe schenken wollten, mitsamt allen Festungen bis zur Weichsel und Abkehr von Rußland und Gott weiß wie viele hundert Millionen noch dazu! Ich werde dem König nicht raten, Frieden zu schließen! Ich werde ihm sagen, wie's hier hinter der französischen Front aussieht, und wie leicht es wäre, jetzt einen Schlag zu tun. Das werde ich, hol' mich der Deibel, dreimal verflucht! – Und dann, will's Gott, hauen wir die Bande in die Pfanne. Aber kein Wort sag' ich anders, keinen Ton pfeife ich aus einem anderen Loch, wenn ich im Hauptquartier bin.«
»Das sollen Exzellenz auch nicht tun. Aber erst müssen wir mit unseren Nachrichten da sein, und zwar möglichst bald, ehe die Verhältnisse bei den Franzosen sich bessern. Daher müssen Exzellenz versprechen –«
»Nichts verspreche ich, nichts, was ich nicht halten kann!«
»Im Krieg ist jede List erlaubt. Exzellenz, als alter Husar, werden schon oft in die Lage gekommen sein, den Feind zu täuschen!«
»Das schon – das schon!«
»In der nämlichen Lage sind wir jetzt auch. Und da habe ich im Namen Eurer Exzellenz versprochen, und das haben wir, der General Le Camus und ich, zu Papier gebracht, daß Exzellenz bei unserem König für einen separaten Frieden zwischen ihm und den Franzosen eintreten wollen, in dem uns Preußen bis zur Elbe wieder herausgegeben wird.«
»Ein separater Friede? Bist du des Teufels, Junge? Sollen wir die Russen im Stich lassen?«
»Die Russen werden sich's nicht lange überlegen, ob sie uns im Stich lassen sollen, wenn die Versuchung in der geeigneten Weise an sie herantritt. Ich habe es versprochen! Exzellenz brauchen bloß ja und amen zu sagen! Und nachher, wenn wir frei sind, tun wir, was wir wollen! Das ist erlaubte Kriegslist, weiter nichts.«
Die Söhne Blüchers redeten ihm auch zu.
»Kinder, ihr macht mit mir, was ihr wollt! Was werden die Franzosen von mir denken!«
»Sie werden salutieren und sagen: ›Donnerwetter, ist das ein Kerl!‹«
»Ein Mordshalunke, werden sie sagen!«
»Hoffentlich! Ich werde mich jedenfalls sehr freuen, wenn der Feind möglichst schlecht von Exzellenz spricht! Oder glauben Exzellenz etwa, sie dächten gut von Ihnen?«
»Darum möchte ich die Kerls doch in allem Ernst ersucht haben!«
»Sie machen sich aber trotzdem ihre eigenen Gedanken. Und da ist nun der Whist daran schuld.«
»Wieso!«
»Nun, wenn wir so, wider alle Konvenienz, uns um acht Uhr früh an den Spieltisch setzen und den ganzen Tag dort verbringen, alle Einladungen ausschlagen und bloß spielen, spielen, spielen – wenn unsere französischen Wirte den General Blücher fluchen und immer mehr fluchen hören, da nimmt's einen nicht wunder, wenn sie einmal fragen: ›Mein Herr, Sie rupfen wohl den alten Herrn bis auf die Knochen? Le général de Bluquaire soll doch ein eingefleischter Spieler sein? Man sagt, er hat sein ganzes Vermögen verspielt?‹ Und das fragen sie dann in einem mitleidigen Ton und mit einem vielsagenden Blick, als warteten sie nur auf ein Wort des Einverständnisses, um gleich Geld anzubieten – großes Geld, dafür, daß wir ihnen den Frieden vermitteln.«
Blücher legte die Karten aus der Hand.
»Ich will nicht hoffen, Eisenhart,« sagte er ernst, »daß Er einen solchen Antrag an mich übernommen hat, oder daß das, was Er mir jetzt sagt, ein Vorfühler sein soll, ob ich für Geld zu haben wäre! Denn dann müßte er darauf gefaßt sein, von mir über den Haufen geschossen zu werden!«
»Das wäre auch verdient, Exzellenz. Und ich habe auch dem Herrn, der da glaubte, mir so den Puls fühlen zu dürfen, mit keiner Miene gezeigt, daß ich für derartige Zumutungen irgendwelches Verständnis hätte. Ich erzähle es auch jetzt nur, um Exzellenz zu zeigen, wie der Feind sich doch selbst seine Gedanken macht und glaubt, was er will, wie anständig man sich auch benimmt! Denn das ist ihm gänzlich gleichgültig! Je mehr er flucht und je mehr er schimpft, um so besser! Das zeugt nur davon, daß unsere Hiebe sitzen!«
Blücher schwieg einen Augenblick und zupfte an seinem langen Schnurrbart, ließ sich dann eine frische Pfeife bringen und in Brand stecken und paffte dem Rittmeister ganze Wolken ins Gesicht.
»Hm, ja – schön! – Machen wir den Versuch! Probieren wir's denn mit dem Husarenstreich! Aber erst neue Karten her!«
Neue Karten wurden gegeben. Und zum erstenmal, seit Blücher in Rosenberg weilte – gute Karten, und alle Honneurs! Er strahlte wieder und war eitel Glück und Wonne, machte einen großen Schlemm nach dem andern und merkte gar nicht, wie seine Jungen die Karten so gut zu mischen wußten, daß er immer wieder lauter Trümpfe in die Hand bekam. Denn die Pfeife schmeckte und gab etwas her und hüllte alles brav in Dämpfe ein. Eisenhart wußte auch so gut und eifrig den Kriegsplan zu entwickeln, daß der alte, gewiegte Spieler nicht daran dachte nachzusehen, ob auch richtig gemischt wurde – wozu er ja auch keinen Grund hatte, solange die Karten gut fielen! Im Grunde genommen waren die Franzosen ja auch ganz passable Kerle und als Feinde gar nicht zu verachten! Und wenn schon ihre Freundschaft sich verflucht fade anließ, so wollte er sich nicht widersetzen, er wollte schon die Komödie mitmachen! Aber nur bis zur Grenze! Keinen Schritt weiter! Sobald er frei war, da wollte er auch seine Freiheit haben!
»Eins kann ich den Kerlen nimmermehr verzeihen«, sagte er und schmunzelte über die schönen Stiche, die er immer wieder machte. »Und das ist, daß sie mich nicht nach Berlin hineinlassen wollten. Zu denken, ich bin dicht vor der Stadt, ich soll da durch, es ist sogar der mir vorgeschriebene Weg! Und da heißt es: ›Außen herumfahren! In der Stadt können wir dich nicht gebrauchen! Kommst du her, dann gibt's hier einen Aufruhr!‹«
»Die Berliner hätten Kopf gestanden!« sagte der eine junge Blücher stolz.
»Wäre mir recht gewesen«, schmunzelte der Alte. »Ich hätte gegen den Aufruhr nichts gehabt! So'n Krakeel wäre mir gerade nach dem Sinn gewesen! Und um das haben die Franzosen mich nun auch gebracht!«
Er schwieg und blickte auf. In der Tür stand ein französischer Offizier, die Hand salutierend am Schirm seines Käppis. Durch das niedrige Fenster guckten andere Offiziere herein.
Blücher stand nicht auf und erwiderte kaum den Gruß.
» Mon général –«, fing der französische Offizier an.
»Ich bin nicht so 'n Allerweltsgeneral, ich bin preußischer Generalleutnant und bitte mir richtige Titulatur aus!«
Die ward ihm auch sogleich und in der liebenswürdigsten Weise zuteil.
Außerdem die Mitteilung: der General Le Camus ließe sich bestens empfehlen, und er würde sich die Ehre geben, den Generalleutnant von Blücher zu der und der Zeit abzuholen, um ihn persönlich von hier nach dem Schlosse Finkenstein zu geleiten, wohin der Kaiser Napoleon ihn heute zur Audienz befohlen hätte.
Blücher antwortete, er würde sich die Ehre geben. Er wäre bereit, und er ließe dem General Le Camus seine besten Grüße übermitteln. Worauf er dem Rittmeister Eisenhart die Hand gab und sagte: »Pfalzgraf, verlasse Er sich darauf: es bleibt dabei, bei dem Husarenstreich!«
*
Napoleon war eben von einer Besichtigung des Leibregiments der Kaiserin zurückgekehrt und ließ sich vom Generaldirektor der Museen, Monsieur Denon, über die in den Museen Kassels und Berlins »gefundenen« Kunstwerke Bericht erstatten, als man ihm die Ankunft des Generals von Blücher meldete.
Er gab Denon noch einige Instruktionen für seine bevorstehende Entdeckungsreise nach Warschau, wo auch für Rechnung des »Musée Napoléon« Schätze zu heben waren, genehmigte die vorgeschlagenen »Enteignungen«, entließ huldvollst seinen talentvollen Miträuber und befahl, den General vorzulassen.
Er wolle ihn ohne Zeugen sprechen, bedürfe auch eines Dolmetschers nicht!
Sein Generalstabschef, Berthier, holte dann Blücher ab, bestätigte ihm im Namen Napoleons die mit dem Rittmeister von Eisenhart vereinbarten Friedensbedingungen, die Blücher dem König von Preußen überbringen sollte, geleitete ihn dann durch alle Zimmer bis zur Tür des kaiserlichen Arbeitskabinetts und verabschiedete sich dort von ihm.
Die Tür öffnete sich, und die beiden Gegner standen einander zum ersten Male persönlich gegenüber.
Blücher lang und stattlich mit weißen Haaren und frischem, lebenssprühendem Gesicht – der Kaiser klein, blaß, energisch, lebhaft, ohne einen weißen Faden im kastanienbraunen Haar – Blücher in seiner roten Husarenuniform, die Mütze mit dem Totenschädel auf dem Arm – der Kaiser in seiner grünen Gardejägeruniform mit den weißen Aufschlägen und dem Stern der Ehrenlegion in Gold gestickt, den schwarzen, dreieckigen Hut in der Linken.
Er kam gleich auf Blücher zu und fing an, lebhaft auf ihn einzureden.
Und Blücher stand da, lang und breitbeinig, den Kopf vorgestreckt, und sah auf den kleinen Kerl herab, der sich mit zierlichen Schritten vor ihm hin und her bewegte – glotzte ihn an wie eine große Dogge, die die lustig einschmeichelnden Sprünge eines zierlichen Affenpintschers um sie herum anstaunt und dann und wann mit einem tolpatschigen Schlag der Pranke zu vergelten versucht, dabei das Kläffen des Kleinen mit einem gutmütigen Zähnefletschen beantwortend.
Viel verstand er nicht von dem, was der Kaiser sagte, geriet aber sofort in den Bann seiner sprühenden Beredsamkeit und der Energie, die aus jedem seiner Worte, aus jeder Miene auf ihn einströmte.
Er holte auch sofort zur Parade aus und fing an, ebenso lebhaft auf den Kaiser dreinzuparlieren, in einem sonderbar zurechtgestutzten Kauderwelsch, das in seinen eigenen Ohren gar lieblich klang und ihn geradezu stolz machte. Lateinische, polnische und französische Brocken würfelte er dabei kunterbunt durcheinander, in einer Mischung, die ihm sicherlich keiner so leicht nachmachte.
Aber als der Kaiser immer lebhafter wurde und ihn schließlich an einem Knopf seiner Uniform packte und anfing daran zu drehen und zu drehen, da wurde er still.
Das war unheimlich! So ließ er sich denn doch nicht beim Wickel nehmen!
Er horchte genau auf das, was der Kaiser zu ihm hinaufsprudelte – schnappte einige Worte auf und begriff, daß lang und breit von der Elblinie und von den künftigen Grenzen Preußens geredet wurde, wenn auch nicht was, und daß der Kaiser ihm das tägliche Lied seiner Generäle von der ihm zugedachten Rolle als Friedensvermittler jetzt selbst vorleierte.
Da aber das Drehen des Knopfes nicht aufhörte, vielmehr ein Gefühl verursachte, als wühle sich ein Bohrer immer tiefer und tiefer in ihn hinein, da gab's bei ihm innerlich einen Ruck und ein Sträuben der Haare, wie bei einem Kater angesichts des Hundes. Die Haltung straffte sich, die Blicke sprühten Feuer und Flammen, er wollte schon etwas Kräftiges antworten.
Aber Napoleon wartete es nicht ab. Mit kleinen festen Schritten ging er ein paarmal durchs Zimmer, setzte sich im offenen Fenster aufs Fensterbrett, kam wieder vor und sagte in einem von fast echtem Gefühl vibrierenden Tonfall:
» Mais mon cher – je l'aime, votre patrie! Oui, c'est vrai, j'aime la Prussie!« Und er setzte noch lang und breit auseinander, wie sehr dieser ganze Krieg wider sein Gefühl sei, und daß es ihm zumute sei, als müsse er mit seiner Rechten seine Linke schlagen, wenn er das ihm so teure Preußen schlüge! Welche echt preußenfreundliche Gesinnung er noch mit einem Händedruck bekräftigte.
»Ist schon recht,« dachte Blücher, »es gibt Freundschaft und Freundschaft, und wie deine beschaffen ist, damit weiß ich Bescheid! Wenn du denkst, daß ich darum für dein › patrie‹ auch nur einen Pfifferling übrig habe, da irrst du dich gewaltig!«
In voller Gemütsruhe ließ er dann noch einen rednerischen Ansturm über sich ergehen, sagte weder ja noch nein, nickte nur dann und wann zustimmend, eingedenk der Mahnung Eisenharts, lieber mit List die sofortige Freiheit zu gewinnen, als sich noch nach Frankreich in Gefangenschaft schicken zu lassen.
Und als Napoleon ihm die Hand zum Abschied reichte, da langte er zu und drückte sie recht herzlich wieder und schmunzelte freundlichst über das ganze Gesicht.
»Ein Teufelskerl ist das!« sagte er nachher, als er seinen Söhnen und Eisenhart von der Begegnung erzählte. »Ein ganz verfluchter Kerl! Und charmant! Ich dachte bei Gott nicht daran, daß er eigentlich den leibhaften Gottseibeiuns darstellt, dem man schleunigst das Genick brechen müßte! Mehr als einmal hätte ich ihn durchs offene Fenster hinausstoßen können, als er auf dem Fensterbrett saß, wäre ich nur nicht so verflucht gutmütig gewesen, wie wir Deutschen es nun leider immer sind!«
»Wer weiß,« sagte Eisenhart mit einem spitzbübischen Lächeln, »wer weiß, was für eine gute Gelegenheit Exzellenz da versäumt haben, mit einem raschen Stoß den Krieg zu beenden und Europa eine neue Karte zu geben!«
»Ehrlicher Kampf ist mir lieber«, sagte Blücher. »Und aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wir werden ihm schon beikommen, wenn er auch ein guter Schauspieler ist und die Kunst versteht, alle Welt dumm zu machen! Das können wir schließlich auch, wenn's sein muß. Fürs erste probieren wir's mit Seiner Kriegslist, Eisenhart!«
So wurde es auch gemacht.
Beim Abschiedessen, das der General Le Camus ihm noch am selben Tag gab, hielt Blücher dann eine Rede auf Napoleon und brachte in aller Form seine Gesundheit aus. Allerdings erst nachdem der französische General Preußen und seinen König hatte leben lassen.
Dann aber, als nach vielem Hin und Her, nach langem Warten und endlosem Arger, endlich der Augenblick da war, in dem er über die Demarkationslinie gehen durfte, während von der anderen Seite der Schatten des gegen ihn ausgewechselten Generals Victor grüßend vorbeihuschte, da war's mit einem gewissen Gefühl der Erleichterung, daß er seinem getreuen Adlatus und Reisebegleiter zurief: »Los, Eisenhart!«
Und er ließ Eisenhart nicht aus den Augen, als der mit dem General Dänzel leise sprach. Er ärgerte sich aber gewaltig, als der Franzose nur lächelte und befriedigt Beifall nickte, obwohl Eisenhart in aller Form erklärte, mit der Friedensvermittlung Blüchers wäre es nichts – seine ganze Zusage in betreff der Friedensvermittlung wäre nichts als erlaubte Kriegslist gewesen, und man würde dem König von Preußen gute Ratschläge in ganz anderem Sinne zu geben wissen.
Diese offene Kampfansage wollte Blücher wenigstens dem Franzosen mit nach Hause geben. Sie sollten da nicht eine Sekunde länger als nötig glauben dürfen, daß er auch nur das geringste für ihr » patrie« übrig hätte!
An seine Begegnung mit dem Kaiser dachte er aber mit vielem Interesse zurück.
Er staunte Napoleon an wie eine seltsame Naturerscheinung, die mit seiner eigenen Welt wenig Zusammenhang hatte.
Napoleons lebhaftes Sprühen, sein eindringliches Drauflosagieren hatte ihn nicht darüber zu täuschen vermocht, daß er im Kaiser vor allem eine maßlose Energie und einen konzentrierten, kalten und klaren Verstand vor sich hatte, dem keine Grenzen gesetzt waren außer der einen, hinter der Gefühl und alles mitreißendes Temperament allein geboten.
Und da war er, Blücher, wiederum zu Hause und wurzelte drin mit seiner ganzen Persönlichkeit, und konnte seinerseits auch nicht über die Grenze hinaus.
Sie waren eben zwei einander völlig fremde Welten aus verschiedenartiger Materie, vom Zufall für einen Augenblick zusammengeschleudert, sausten aneinander vorbei, machten viel und gewaltiges Geräusch und spien Feuer und Funken und Flammen gegeneinander, jede nach ihrer Art und ohne bei der anderen zünden zu können. Und sausten dann, jede in ihrer Richtung, weiter und überließen es dem Zufall, wieder einen Zusammenprall herbeizuführen und zu entscheiden, welche von ihnen wohl dann die andere aus der Bahn schleudern würde.
*
Blücher stand vor seinem Herrn und König und freute sich ungemein, denn er wurde hier, im preußischen Hauptquartier zu Bartenstein, mit lauter guten Neuigkeiten empfangen.
Die Kabinettsregierung war beseitigt, Lombard entlassen, Beyme fallfertig und Blüchers über alles geschätzter Freund Hardenberg seit gestern Staatsminister und Leiter der gesamten Politik.
Fehlte nur noch Stein, der in Ungnade Entlassene, und sein Glück wäre vollständig gewesen.
Der König hatte ihn umarmt und geküßt und sich hilflos nach einem Orden für ihn umgesehen.
»Haben keine Sterne mitnehmen können bei der eiligen Abreise!« sagte er.
Hardenberg half dann mit seinem Schwarzen Adler aus, und der König heftete ihn selbst Blücher an die Brust.
Blücher fing dann an schwarz zu malen und gab eine erhebende Schilderung von dem hoffnungslosen Zustand der französischen Armee, die man mit Leichtigkeit vernichten könnte, wenn man es jetzt sofort versuchte.
»Majestät,« sagte er, »ich steh' mit meinem Kopf dafür ein. Wenn ich nur dreißigtausend Mann unter meinem Befehl habe, dann durchbreche ich die französischen Linien und werfe den Feind wenigstens bis auf die Oder zurück. Ich bin mit offenen Augen durch das von ihm besetzte Gebiet gekommen. Seuchen überall, Mangel an Proviant, Mangel an Munition; die Leute marode und deprimiert von dem ungewohnten Klima; die Wege entsetzlich! In den nächsten vier Wochen können keine Verstärkungen zur Stelle sein! Wenn wir jetzt dazwischenfahren, dann sind sie vernichtet – dann kommt's zu einer Katastrophe, die dem Krieg eine neue Wendung geben und unseren Leuten den Nacken wieder steifen wird! Wir werden, wenn wir jetzt den Coup wagen, überall, in Hessen, am Rhein, in der Mark, Aufstände haben, wir werden die Franzosen über den Rhein zurückjagen, und daran wird's nicht fehlen. Glauben Majestät, daß der Kaiser Napoleon nach seinen großen Siegen über uns um den Frieden bitten würde, wenn er es nicht bitter nötig hätte? Nein! Ich habe ihm in die Seele geschaut! Eine Stunde lang hat er auf mich eingeredet – viel habe ich nicht davon verstanden! Aber so viel habe ich begriffen: er schwefelte mir so eifrig vor von der Notwendigkeit für uns, einen Separatfrieden zu schließen, daß ich von der Notwendigkeit für ihn überzeugt wurde! Und ebenso eifrig wie er selbst waren seine Leute. Wo aber der Franzose so liebenswürdig wird, da will er auf diese Weise immer etwas ergaunern, was er anders nicht bekommen kann. Sonst wäre er der letzte, sich die Mühe zu geben, sonst nimmt er, was ihm beliebt und wie's ihm beliebt und fragt nicht erst nach der Meinung anderer!«
Es wurde die alte Geschichte.
Der König sah es wohl ein – der General mochte schon recht haben –, es wäre nicht ausgeschlossen, jetzt durch einen kühnen Handstreich einige Vorteile über den Kaiser der Franzosen zu gewinnen! Nach der Schlacht bei Eylau war er ja schon bedeutend entgegenkommender geworden! Allein man dürfe nicht sein Letztes auf eine Karte setzen! Die Armee war bis auf fünfundzwanzigtausend Mann zusammengeschmolzen: allein könnte man nichts gegen die Übermacht unternehmen – man wäre sowieso von der Hilfe der Russen abhängig. Es wäre also das richtigste, zuerst mit dem Kaiser Alexander zu reden – wenn er den Plan Blüchers billigte, so würde der König auch nicht dagegen sein! Er, Blücher, sollte sofort zum Kaiser mitkommen!
Das war für diesmal schon viel erreicht. Guten Muts folgte Blücher dem König nach dem Quartier des Kaisers Alexander.
Dieser war gleich Feuer und Flamme.
Gewiß! Das wäre ja glänzend, das wäre brillant! Das müsse gemacht, das würde sofort ins Werk gesetzt werden! Darauf könne sich Blücher verlassen, und die verlangten Truppen bekäme er! Der Kaiser sagte dem General noch die schönsten Komplimente und Schmeicheleien für seinen mutigen Rückzug nach Lübeck, und bedankte sich sehr für den außerordentlichen Dienst, den Blücher der russischen Kriegführung dadurch geleistet hatte, daß er die Franzosen so lange vom Osten abzog. Er war so aimabel, so charmant, wie es nur ein russischer Gardeoffizier sein kann. Seine Begeisterung war so soigniert, so wohlgepflegt und ohne Überschwang, seine ganze Art, sich zu geben, so korrekt und elegant, daß Blücher ganz übel zumute wurde.
Von diesem geschnürten, parfümierten, gut frisierten und schönen jungen Mann waren keine derben Hiebe, keine großen Entschlüsse und vor allem keine Ausdauer zu erhoffen, das wußte er gleich! Und auch, daß mit schönen Worten und Schmeicheleien nach Art der Franzosen von ihm alles zu erreichen wäre.
Seine Zustimmung gab der Kaiser also auf der Stelle, jedoch alles Nähere müsse Blücher mit seinem Oberkommandierenden, dem General von Bennigsen, vereinbaren.
»Mit dem werde ich wohl fertig«, dachte Blücher. »Der ist ja ein Deutscher wie ich!« Und er ging hin.
Viel Deutsches war aber nicht mehr an dem kleinen russischen General mit dem bauernschlauen, verschmitzten Gesicht zu entdecken – wenn nicht der Hochmut deutsch ist.
Denn mit unsäglich mitleidsvoller Verachtung blickte er auf Blücher nieder, der ja das Unglück hatte, preußischer Offizier zu sein, was in Bennigsens Augen, nach Jena, ungefähr das allerletzte war! Und dieser hergelaufene alte Husar, der wollte ihm noch ins Handwerk pfuschen – der wollte selbständig kommandieren, auf eigene Faust Krieg mit dem Kaiser Napoleon führen, vor dem seine Landsleute so brav davongelaufen waren?!
Ihm, Bennigsen, käme man nicht mit dergleichen! Ihm, der vor nicht allzulanger Zeit einen Zaren vom Thron gestoßen und dem jetzigen Kaiser die Krone aufs Haupt gesetzt hatte, der also in Rußland – das heißt im größten Reiche der Welt – das Heft in der Hand hielt!
Sein junger Kaiser war da wieder viel zu gutmütig, viel zu liebenswürdig gewesen! Er war ein großes Kind! Er ließ sich von allen möglichen Abenteurern blauen Dunst vormachen, und nachher müßte er, Bennigsen, der einzige von allen Mördern seines Vaters, den er noch um sich duldete, die Sache wieder einrenken!
Das würde er auch jetzt besorgen! –
Die Rechte in die Weste geschoben, die Beine übereinandergeschlagen, der Blick weit über Blücher hinaus in die Ferne schweifend, so stand er da, an den Ofen gelehnt, ließ sich Vortrag halten und geruhte dann in Gnaden zu sagen: die Idee wäre ganz gut, aber vorderhand nicht auszuführen! Sie fordere Vorbereitungen! Und Vorbereitungen, das hieße Zeit haben! Indessen wollte er sich alles genau überlegen!
Worauf Blücher gereizt erwiderte, überlegt und erwogen wäre schon mehr als genug. Wollte man noch damit Zeit vertrödeln, dann ginge inzwischen die günstige Gelegenheit verloren. Napoleon bekäme wieder frische Truppen, Munition und Proviant und würde sicherlich nicht zögern, sofort vorzugehen und die Russen über die Grenze zurückzuwerfen.
Das wäre ihm nicht unwillkommen, sagte dann der Renegat, ohne die Hand aus der Weste herauszunehmen. Er würde sich sogar freuen, käme er bald aus diesem elenden Ostpreußen wieder in seine geliebte russische Heimat zurück.
»So, auf die Weise?« versetzte Blücher dann und rief den anderen Offizieren, die mitgekommen waren, zu:
»Kommt, Kinder, hier haben wir nichts zu suchen! Wir sind verraten und verkooft!«
Er drehte Bennigsen den Rücken und ging und fluchte, weil wieder eine gute Gelegenheit versäumt wurde, wo durch rasche Entschlossenheit und schnelle Tat alles gewonnen werden konnte. Aus seinem schönen Husarenstreich wurde nichts.
Aber trotz alledem wurde am nächsten Morgen drüben bei den Franzosen Alarm geblasen und ein Hallo gemacht, als würde die Welt aus den Angeln gehoben.
»Die Russen sind da! Die Preußen rücken an und fallen uns in die Kantonierungen!« schrie alles durcheinander. Die Trompeten schmetterten, die Trommeln schlugen, Adjutanten und Stafetten flogen hin und her, man schrie, kommandierte, fluchte und schimpfte.
Napoleon war außer sich über seine Gutmütigkeit, den alten Haudegen Blücher so leichten Kaufes entlassen zu haben! Der war sicherlich nicht mit geschlossenen Augen durch die französischen Linien gekommen! Der war der rechte Mann, eine gute Gelegenheit auszunützen! Der kümmerte sich den Teufel um schlechte Wege und Unbill des Wetters, auf die sich das französische Feldkommissariat stets herausredete, nicht zum mindesten jetzt, wo es außerstande war, Munition, Kanonen und frische Truppen heranzuführen – vom Proviant gar nicht zu reden!
Die ganze Kavallerie sollte heraus, dem Feind entgegen, und ihn aufhalten, bis die anderen Truppen, die noch in ihren Quartieren zerstreut lagen, versammelt wären.
Kaum befohlen, klabasterten die kleinen Chasseurs wie die Deubels gegen die Passarge los, von wo man die ganze Nacht ein Geschrei und Getöse gehört hatte, als wäre die große russische Armee eben im Begriff, über den Fluß zu gehen.
Mit altgewohntem Elan ritten sie gegen die ungebetenen Gäste auf, die Karabiner schußbereit, die Lanzen geschwungen. So kamen sie an das Ufer der Passarge, ohne einen Schuß abzubekommen – hielten mitten im tollsten Ansturm inne, sperrten die Augen und die Mäuler auf und dachten an alte Märchen von Wassernixen, die als Schwäne vermummt das Weite suchen, wenn Gefahr naht, und wunderten sich, wo die Moskowiter auf einmal das Fliegen gelernt hatten, und wie die schmutzigen, bärtigen Kerls so schneeweiß wie die Engel gen Himmel schweben konnten, wo sie doch eigentlich wie die Teufel aussehen müßten und in die Hölle gehörten! Denn zu Tausenden und aber Tausenden flogen bei Sonnenaufgang mit lautem Getöse wilde Schwäne von der Wasserfläche auf, zogen ihre weiten Kreise, stiegen ohne Aufenthalt ins Blaue hinein und ließen unten Lanzenreiter und Chasseurs mit gestreckten Hälsen sitzen und gaffen und das große Wunder des hereinbrechenden Frühlings anstaunen, gegen das kein Kaiser und kein König mit seinen Rossen und Reisigen aufkommen kann, wie gewaltig und mächtig er auch ist.