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Im Monat Oktober kehrte der unheilvollste meiner Jahrestage wieder: am dreizehnten dieses Monats im vorigen Jahre war ich verhaftet worden. Einige andere traurige Ereignisse waren mir in früherer Zeit gerade in demselben Monate zugestoßen. Im Oktober vor zwei Jahren war ein trefflicher Mann, den ich sehr hoch schätzte, durch einen traurigen Zufall im Ticino ertrunken. Vor drei Jahren, im Oktober, hatte sich Odoardo Briche, ein junger Mann, den ich fast wie meinen eignen Sohn liebte, aus Unvorsichtigkeit mit einer Büchse getötet. In meiner frühen Jugend hatte mich, im Oktober, ein anderer schwerer Unfall betroffen.
Obwohl ich nicht abergläubisch bin, so stimmte mich dies verhängnisvolle Zusammentreffen so unglücklicher Erinnerungen in diesem Monate doch sehr traurig.
Während ich vom Fenster aus mit jenen Kindern und meinen Mitgefangenen sprach, stellte ich mich heiter, aber nachdem ich mich kaum in meine Höhle zurückgewendet, drückte die Last des Schmerzes mit unbeschreiblicher Wucht auf meine Seele.
Ich ergriff die Feder, um ein paar Verse zu dichten oder eine andere literarische Beschäftigung vorzunehmen; aber eine unwiderstehliche Gewalt schien mich zu zwingen, etwas ganz anderes zu schreiben. Was denn? lange Briefe, die ich nicht abschicken konnte; lange Briefe an meine teure Familie, in denen ich mein ganzes Herz ausschüttete. Ich schrieb sie auf den Tisch und kratzte sie nachher weg. Sie enthielten glühende Ergüsse meiner Zärtlichkeit und Erinnerungen an das Glück, das ich bei Eltern, Brüdern und Geschwistern genossen, die so nachsichtig und so liebevoll gewesen. Die Sehnsucht, die ich nach ihnen empfand, gab mir eine unendliche Menge tiefgefühlter Gedanken ein. Nachdem ich stundenlang geschrieben, blieben mir stets noch andere Empfindungen zu entwickeln übrig.
Das war, nur unter einer neuen Form, eine Wiederholung meiner Lebensbeschreibung und eine Täuschung für mich, indem ich mir die Vergangenheit wieder vorstellte; ein auf mich selbst ausgeübter Zwang, die Augen auf die glückliche Zeit, welche vorüber war, gerichtet zu halten. Aber, ach Gott, wenn ich mit den lieblichsten Farben mir einen Zug meines so schönen Lebens dargestellt, wenn ich meine Phantasie ganz berauscht hatte, so daß ich die Personen, zu denen ich sprach, vor mir zu sehen glaubte, dann erinnerte ich mich plötzlich der Gegenwart, und von Schauder erfaßt ließ ich die Feder fallen. Das waren in der Tat schreckliche Augenblicke! Auch sonst schon hatte ich sie empfunden, aber nie unter Zuckungen ähnlicher Art, wie diese, die mich jetzt befielen.
Ich erklärte mir diese Zuckungen und diese schrecklichen Beklemmungen durch die allzu heftige Erregung meiner Empfindungen, durch die Briefform, welche ich für jene Schreibereien wählte, und dadurch, daß ich sie an so teure Personen richtete.
Ich wollte es anders machen und konnte doch nicht; wenigstens die Briefform wollte ich aufgeben, aber es war mir nicht möglich. Sobald ich die Feder ergriffen hatte und mich zu schreiben anschickte, so war das, was zustande kam, immer ein zärtlicher und kummervoller Brief.
Bin ich denn nicht mehr Herr über meinen Willen? fragte ich mich dann. Ist dieser unfreiwillige Drang, daß ich tun muß, was ich nicht wollte, ein Zeichen von Zerrüttung in meinem Gehirn? Das begegnete mir doch früher nicht. In der ersten Zeit meiner Haft wäre das erklärlich gewesen; aber jetzt, wo ich an das Gefängnisleben gewöhnt bin, jetzt wo meine Phantasie über alles beruhigt sein sollte, jetzt wo ich mich durch philosophische und religiöse Betrachtungen gestärkt habe, wie kommt es jetzt, daß ich ein Sklave der blinden Sehnsucht meines Herzens werde und so kindisches Zeug treibe? Widmen wir uns einer anderen Beschäftigung.
Darauf versuchte ich zu beten, oder mich mit der Erlernung der deutschen Sprache zu zerstreuen. Vergebliche Anstrengung! Ich sah ein, daß ich wieder einen anderen Brief zu schreiben begann.