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III.

Das Glück Bessys wurde in der ganzen Gegend besprochen. Nicht nur, daß wie vom Himmel geschneit ein reicher Freier kam, der ihr zuliebe Crosby Ranch kaufte, sondern, was dem stolzen Mädchen die Hauptsache war, ein Freier, der so gutmütig, oder, wie man behauptete, so einfältig war, ihr auch die Herrschaft auf der Farm vollständig zu überlassen, als ob umgekehrt, er, der arme Teufel, sie als Besitzern des Gutes geheiratet.

Ja, es war allgemein bekannt, daß der tolle Mensch nicht eher geruht, bis der ganze Besitz ihr und ihren Leibeserben verschrieben worden war, wogegen sich selbst Bessy, wohl nur der Leute wegen, so lange als möglich gesträubt hatte.

Und das hatte sie auch wirklich mit allen Kräften getan. Ihrem Wesen entsprach diese gewaltsame Entäußerung der Manneswürde durchaus nicht, und wenn sie auch darin nichts anderes erblicken konnte, als eine zu jedem Opfer fähige Liebe, so hätte sie doch um alles gerne darauf verzichtet. Der Mann sollte der Herr, vor allem ihr Herr sein, gerade ihr stark ausgeprägter Selbständigkeitssinn, in dem sie aufgewachsen, verlangte das. Zuletzt erblickte sie darin die Caprice eines Verliebten, die ja bei ihrer sonstigen Uebereinstimmung in allen Dingen nichts zu bedeuten hatte.

Sie war so überglücklich in dem Besitz ihrer wiedergewonnenen Heimat, ihr Dankesgefühl gegen Bernhard war ein so inniges, daß sie sich dadurch schon gesichert glaubte gegen alle Uebergriffe, zu welchen sie ebenfalls die ihr eingeräumte Machtstellung hätte verführen können.

Bernhard war völlig ausgesöhnt mit sich, sein Gewissen war beruhigt durch die raffinierten Vorsichtsmaßregeln, die er angewendet, auf die er selbst stolz war.

Er besaß nichts, Bessy alles. Sie liebte ihn, er war jetzt sogar fest überzeugt, daß sie ihn auch ohne die unschuldige List, die er angewandt, geheiratet hätte. Das Vermächtnis Henri Smidts war erfüllt, allerdings nur bis auf den einen Punkt, daß dieser nicht in Bezug auf den Raub gerechtfertigt vor Bessy war. Aber was konnte das ihn bekümmern oder betrüben auf dem Grund des Meeres, auf dem er doch sicher lag, trotzdem damals mit dem Fernrohr nichts mehr von ihm in dem Mars der ›Columbia‹ zu entdecken war. Dieses ›trotzdem‹ war noch der einzige wunde Fleck in Bernhards Innern, der nicht ganz verheilen wollte. Tausendmal sah er im Geiste durch das verhaßte Rohr, tausendmal redete er sich alle Gründe ein, warum er nichts mehr sah. Eine Woge hatte Smidt geholt, er war in der Verzweiflung zum Selbstmörder geworden, oder gar, – das Rohr zeigte schlecht. Alles Wahnsinn, – er starb ja doch in seinen Armen.

Um sein plötzliches Erscheinen mit 50 000 Dollar bar Geld in der Tasche, ohne die diesem Vermögen entsprechende persönliche Ausrüstung, welches unbedingt auffallen mußte, zu erklären, hatte er bereits in den ersten Wochen eine Fabel gesponnen, in welche er unwillkürlich, sei es, daß er der Lüge noch nicht so Meister war, sei es, daß er fürchtete, sich später irgendwie zu verschnappen, den erlebten Schiffbruch mit einfließen ließ. Er habe das Vermögen durch glückliche Spekulation erworben, habe damit in sein altes Vaterland zurückkehren wollen, sei aber durch Schiffbruch davon abgehalten worden. Darin habe er gleich einen Wink des Schicksals erkannt und den Entschluß gefaßt, sich für immer in dem Lande niederzulassen, das ihm zu seinem Glück verholfen. Er änderte dabei vorsichtigerweise den Namen des Schiffes, die Zeit und den Ort des Ereignisses. Qualvoll war ihm dabei das ständige Zurückkommen Bessys auf dieses Erlebnis, welche alle Einzelheiten desselben wissen wollte und das Gruseln nicht satt bekam. Er erzählte ihr zuletzt Wider seinen Willen das Ereignis, wie es wirklich stattgefunden, selbst seine Todesqualen an der Seite eines Unglücksgenossen auf dem Wrack; es lag für ihn sogar ein sonderbarer Genuß darin, Bessy die volle Wahrheit zu sagen bis auf den bewußten Punkt.

Ja einmal schilderte er ihr den Zustand Henri Smidts, wie er ihn verließ, haarklein und fragte sie dann, ob sie es für möglich halte, daß jener doch noch am Leben, vielleicht gerettet worden sei.

Bessy machte ihm Vorwürfe, den Unglücklichen verlassen zu haben, ehe er von seinem Tode völlig überzeugt war, es wäre wohl möglich, daß nur ein Schwächezustand ihn befallen, welches furchtbare Erwachen dann, allein, verlassen! Vielleicht sei doch noch zur rechten Zeit ein Schiff gekommen, das ihn aufgenommen habe, man lese so etwas oft in den Büchern. »Denke nur,« schloß sie ihr Bedenken, »wenn einst dieser Mann irgendwo vor dich hinträte und dich anklagte, ihn hilflos verlassen zu haben, das wäre unangenehm für dich.«

Sie mußte lachen, Bernhard sah jetzt schon so aus, als ob der Mann vor ihm stände, so entsetzt starrte er sie an, so wich das Blut aus seinen Wangen.

»Sei doch kein Narr!« beschwichtigte sie ihn. »Wie konntest du denn länger bleiben! Du bist ja kein Arzt, daß du das unterscheiden kannst. Wenn er auch wirklich dir einmal begegnet, – ich wünsche es ja von ganzem Herzen, daß es möglich ist und du auch, – so kann er dir auch nicht den geringsten Vorwurf machen.«

»So sprich doch nicht so wahnsinnig und lache nicht über Dinge, die mich verrückt machen könnten,« erwiderte Bernhard in einem drohenden Tone. »Nie mehr, hörst du, ein solches Wort!«

Sein Aussehen, der Ton seiner Stimme erschreckten Bessy, etwas Fremdes, Feindliches lag darin. Es lief ihr kalt über den Rücken, als habe sie selbst eine der Sturzwellen getroffen, von denen eben noch ihr Mann erzählte. Offenbar quälte er sich schon lange mit einem stummen Vorwurf und sie berührte in derber, gar nicht weiblicher Art diese Wunde, die zu heilen ihr allein zukam. Aber wie war dies möglich, wenn sie nicht mehr davon sprechen durfte, ohne ihn zu erzürnen? Und am Ende war es allein diese Wunde, welche den von Natur aus offenbar entschlossenen, mutigen Mann, der sie vom ersten Augenblick an gefangen genommen, so herabdrückte, so unentschlossen, so unmännlich machte, daß er umherging wie ein Ueberflüssiger, um das Kleinste bei ihr anfragte, kein Geschäft selbständig abzuschließen wagte, sich ganz ihrer Führung überließ, ja öfter, zu ihrem bitteren Verdruß, ihr gegenüber nahezu die Rolle eines Bediensteten spielte. – Davon mußte er geheilt werden um jeden Preis, ihr Lebensglück hing davon ab, das sie nicht gesonnen war, diesem Unbekannten zu opfern.

So kam sie trotz seines Widerwillens immer wieder darauf zurück, alle erdenklichen Vernunftsgründe anführend, die für den Tod des unglücklichen Gefährten sprachen und auch für den Fall einer wunderbaren Rettung und einer möglichen, wenn auch sehr unwahrscheinlichen einstigen Begegnung ihn vollständig rechtfertigten.

Bernhard lauschte mit Begierde auf die ersteren, mit innerem Beben auf die letzteren. Was hätte ihm dieser gekümmert, lebendig oder tot; für welchen gewissenhaften, edlen Menschen Bessy ihn hielt, welch zartes Gewissen sie ihm zutraute, – und er!

Oft war er nahe daran, von einem plötzlichen Schamgefühl erfaßt, alles zu bekennen.

Bessy zeigte ihm die Stelle im Walde, wo man den ermordeten Vater fand.

›Mitmörder!‹ flüsterte es aus dem Busch, aus den Wipfeln, es war ihm, als sei ihm der Platz wirklich bekannt, als sei er wirklich dabei gewesen. Er sah den brechenden Blick des Sterbenden, Blut an seinen Händen.

Bessy rührte die tiefe Teilnahme, welche er in seinem Antlitz verriet; er war zu weich für einen Mann, das allein hatte sie an ihm auszusetzen.

Von Henry Smidt sprach sie nicht mehr und dachte auch nicht mehr an die Rückerstattung des Geldes, er war wirklich ein Raubmörder, weiter nichts, sie schämte sich vor sich selbst des geheimen Interesses, welches sie an dem Bösewicht hatte, das sie so mild gegen ihn stimmte.

So verging das erste Jahr auf Crosby Ranch nicht so glücklich, als beide es sich gedacht. Bessy war unmutig, daß sie nicht imstande war, Bernhards Grillen zu verscheuchen; bei Bernhard trat an Stelle der, wie er glaubte, glücklich überwundenen Gewissensbisse die Unruhe über die Worte Bessys: »Wenn er dir irgendwo begegnete.«

In der Einsamkeit des Landlebens ging es noch, kam er aber unter Menschen, nach Pèoria, so wurde sein Zustand beängstigend. Jeden Augenblick, da oder dort, glaubte er Henry Smidts Antlitz zu erblicken, jede entfernte Aehnlichkeit entsetzte ihn, – ja, dieser brauchte gar nicht selbst zu erscheinen, ein Brief, eine Anfrage an Bessy irgendwoher genügte ja, alles zu enthüllen, nachdem er, Bernhard, so unvorsichtig gewesen, Bessy von dem Schiffbruch zu erzählen. Bei der geringsten Andeutung mußte sie in ihm den Boten Smidts erkennen. Das war's eben, es fehlten ihm alle Eigenschaften zum Betrüger und Lügner, – zum »Mitmörder«, wie dieser Smidt sich ausgedrückt. Und jetzt konnte er nicht mehr zurück, ohne unabsehbares Unglück zu stiften, jetzt gewiß nicht, bevor nicht die Stunde vorüber, auf die er voll Sehnsucht und ängstlicher Spannung wartete; die Stunde, wo das heiligste Band sich schlingen sollte zwischen ihm und Bessy, die Stunde, von der er sich alles versprach, in der sich zwei Liebende in so seliger, mystischer Gemeinschaft fühlen, daß nichts unaussprechbar, nichts unlösbar scheint. Schon ihre Annäherung wirkte heilsam. Die bösen Gedanken wurden seltener, Bessy lachte ihn oft voll süßer Verheißung an, daß ihn ein förmlicher Glückstaumel ergriff. Oft aber kam Bessy der Gedanke, es müsse doch eine besondere Bewandtnis mit dem Unglücksgefährten ihres Mannes haben, etwas Bedrückenderes, als dieser ihr gestehen wollte, müsse auf ihm lasten, denn einer einfachen Grille wegen benimmt man sich nicht so im ersten Ehejahr an der Seite eines geliebten jungen Weibes, und daß er sie liebte, daran zweifelte sie nicht. Auch sie setzte jetzt all' ihre Hoffnung auf das erwartete Familienereignis.

Möge sie nur kommen, die Stunde, dachte sie dann voll sehnsüchtiger Seligkeit bei sich, wenn ich ihm den Jungen, – daß es ein Junge sein werde, das stand schon lange fest, – in die Arme lege, sein Kind, ihm dann in die Augen blicke und bitte: Bernhard, schütte dein Herz aus, jetzt ist die rechte Zeit dazu, was es auch sei! Ich bin jetzt mehr als dein Weib, ich bin jetzt Mutter, ich kann alles hören, alles verzeihen! Bei diesem Schatz beschwöre ich dich! Dann wird alles herausströmen aus seinem gepreßten Herzen, Gott und die Liebe werden mir die rechten Worte geben, ihn zu heilen von seinem Leid, oder die Kraft verleihen, es mit ihm zu tragen.

Bernhard war jetzt infolge des Zustandes seiner Frau gezwungen, die Leitung der Geschäfte zu übernehmen und fand sich vortrefflich hinein. Jetzt empfand er erst die Wonne des Besitzes, die Wonne des Umganges mit der Natur; die selbständige Tätigkeit stärkte seine zerrütteten Nerven und damit besserte sich auch sein moralisches Befinden.

Wie glücklich hätte er sein können ohne diesen Stachel in der Brust, und was das Schlimmste war, er war fest überzeugt, daß er ihn sich unnützer Weise hineingedrückt, daß Bessy ihn auch zum Manne genommen hätte, ohne die ihm jetzt so verhaßte schmähliche List. Ihr männliches, etwas hartes Wesen, das ihr wohl nur infolge ihrer Erziehung, des frühen Verlustes ihrer Mutter eigen war, trat jetzt mehr in den Hintergrund zu Gunsten einer echten, gesunden Weiblichkeit, die das erwachende Muttergefühl begünstigte.

Es war ein strenger Winter, Crosby Ranch war in Schnee begraben, die Ställe, die Scheunen waren gefüllt, Bernhard brauchte den Hof nicht mehr zu verlassen, er hatte nichts mehr zu tun, als auf den ersehnten gefürchteten Augenblick zu warten.

In dem behaglichen Wohnzimmer saß er mit Bessy, welche an einem kleinen Häubchen strickte. Ein heftiger Sturm brauste draußen durch die Winternacht, das Holzwerk ächzte in allen seinen Fugen. Er blickte schweigend auf das von der Lampe grell beleuchtete Antlitz seines Weibes, über welches hier und da der Ausdruck eines heftigen Schmerzes zuckte, den sie sichtlich zu verbergen bemüht war. – Die Stunde nahte, kein Zweifel!

Sie setzte die Arbeit aus und schüttelte sich wie im Fieber.

»Hu! Wie das tut! Das wird eine schlimme Nacht, Wenn's nur heute nicht wäre, es ist ja kindisch, aber es schauert mich so,« – sie sah Bernhard mit einem wehmütigen Ausdruck an, – »sterben in solcher Nacht.«

Bernhard gab es einen Stich, daran hatte er noch gar nicht gedacht, Bessy war ja so gesund und kräftig. Er lachte gezwungen und ergriff ihre Hand.

»Närrchen! Wer wird denn vom Sterben reden, meine mutige Bessy.«

Aber die Tränen traten ihm in die Augen, etwas Furchtbares wälzte sich heran, es war nicht nur die Angst um sein Weib.

»Ach, wer weiß!« erwiderte sie. »Es ist immer eine Lebensfrage, mit der man sich beschäftigen soll, ehe es zu spät ist. Weißt du, was mich beunruhigt? Unser widersinniger Ehevertrag. Du bist von deinem Kinde abhängig, wenn ich stürbe, ihm gehört Crosby Ranch. Ich hätte es nicht dulden sollen, um keinen Preis. Mein Gott, wenn man gesund ist, denkt man an so etwas nicht, aber jetzt! – Es ist ein Widersinn, ein Unding! Du, der alles besessen, mich als die Magd Taylors geheiratet, bist besitzlos. Aber abgesehen davon, wenn es auch umgekehrt stünde, ist es ein Unding. Du mußt es ändern, ich bitte dich darum, meiner Ruhe zuliebe, hörst du?«

Da kroch sie wieder heran, die ungeheure Lüge mit ihrem grauenvollen Schlangenleib, der seine drückenden Ringe um seine Seele zog. Nie durfte das sein; wenn wirklich das Entsetzliche eintreten sollte, erst recht nicht! Wie ahnungslos sie ihm die in seinem Wahn schneidigste Waffe rauben wollte gegen dieses Ungetüm, die er immer wieder verzweifelt schwang, wenn es ihm auf den Leib rückte, vor der es sich verkriechen mußte!

»Ich will nicht,« sagte er entschlossen. »Kann ich denn nicht einen triftigen Grund haben, gerade für den Fall, an den zu denken übrigens schon ein Wahnsinn ist; weißt du, wie ich war, ehe ich hierher kam? Ob ich nicht Schwächen habe, vor deren Wiederkehr ich mich fürchte? Ob ich nicht ein Verschwender war, ein leichtsinniger Mensch?«

»Das warst du nie,« entgegnete Bessy fest. »Unmöglich! Was hast du nur für einen Grund, mir so etwas vorzuspiegeln, dich selbst zu verdächtigen? Wenn du als armer Mann, ohne einen Cent in der Tasche, gekommen wärst, auf den ersten Anblick hin, als ich dich bei Williams traf, hätte ich dir Crosby Ranch, wenn ich sie damals noch besessen, und mich selbst anvertraut. Ja, schaue nur so erstaunt, du böser Mann! Man sollte euch eigentlich so etwas nicht sagen, ihr werdet gleich zu eitel, aber jetzt sage ich es, weil du mich für gar zu kurzsichtig hältst, auf den ersten Anblick, – jawohl, Bernhard, – auf den ersten Anblick.«

Bernhard sauste es in den Ohren, er empfand einen heftigen physischen Schmerz im Hirn, auf der Brust, er wußte selbst nicht wo. Schon lange hatte er das herausbringen wollen, er wußte nur nicht, wie es anfangen, jetzt sagte sie es freiwillig. Jedes Wort trug den Stempel der Wahrheit, ihr gerötetes Antlitz, ihr leuchtender, liebevoller Blick bestätigten alles. Um nichts, aus Feigheit war er zum Lügner, zum Verbrecher geworden, ja, zum Verbrecher! Noch nie hatte er es so wie jetzt gefühlt, daß er das war. Mit freier Brust könnte er jetzt dieses Glück genießen. O, sie ahnte nicht, wie furchtbar sie sich eben rächte.

»Das ist leicht gesagt,« erwiderte er, indem er sich alle Mühe gab, zu widerlegen, was ihn unter andern Umständen hätte entzücken müssen. »Du hättest mich einfach nie mehr gesehen nach dem Vorfall bei Williams. Der arme Tramp hätte nicht auf den Gedanken kommen können sich dir zu nähern, trotz des günstigen Eindrucks, den er auf dich gemacht; ich wäre weitergegangen, du hättest mir ein Geldstück in die Hand gedrückt, wenn ich es mir hätte einfallen lassen, in Crosby Ranch anzuklopfen, vielleicht mir nachgeblickt, ›schade um den Menschen,‹ und damit wäre es aus gewesen. Alles andere ist Einbildung, Gerede, das sich in Büchern recht gut liest, aber in der Wirklichkeit nicht vorkommt.«

Bessy lachte über seinen Eifer.

»Also ihr Männer allein seid die Großherzigen? – Wir können aber mehr, sage ich dir, wir können alles, wenn wir lieben und geliebt werden, alles opfern, alles vergeben, alles vergessen, ein Verbrechen, wenn es sein muß.«

Sie glühte jetzt vor Erregung, vergaß das Häubchen und den Schmerz.

Bernhard jauchzte innerlich auf, einen Augenblick, – dann drängte sich ein Schatten vor das strahlende Licht, das plötzlich vor ihm aufschoß.

»Selbst einen Mord, meinst du!«

Er sprach es gehässig, drohend.

Bessy schrie leise auf, griff sich mit beiden Händen nach dem Kopf und sah ihn starr an.

»Daran dachte ich jetzt nicht. Bei Gott nicht! – Den Mord an meinem Vater meinst du?«

»Ja, an deinem Vater, durch Henry Smidt, der dich liebte,« erwiderte Bernhard in einem häßlichen, herausfordernden Tone.

Bessy erhob sich jäh und schritt gegen die Türe, als wollte sie das Zimmer verlassen; der trotzige Zug, der schon lange aus ihrem Antlitz verschwunden, zeigte sich wieder.

Bernhard erfaßte der Zorn, er sah darin eine Bestätigung seiner Worte.

»Ja, so ist es! Gestehe es offen, wenn er heute das geraubte Geld zurücksendet und schreibt, er habe die Tat nur aus Verzweiflung, im Zorn verübt, so verzeihst du ihm. Ist es nicht so?«

Er drückte ihr Handgelenk.

Sie sah ihn mit einem stolzen, seltsamen Blick an.

»Nun, und wenn es so wäre, was hast du dagegen einzuwenden? Hätte ich nicht das freie Recht, ihm zu verzeihen?«

»Nein, das hast du nicht, auch dann nicht. Als Tochter nicht, als mein Weib nicht.«

Bernhards Stimme klang rauh, von wilder Leidenschaft erstickt.

»Als dein Weib, wie als dein Weib?« fragte Bessy; ein sonderbarer Gedanke kam ihr in diesem Augenblick; diese beiden Männer sind sich nicht fremd, sie stehen in einer dunklen Beziehung zu einander.

»Ja, als mein Weib, das an einen solchen Schurken nicht einmal denken soll.«

Bernhard war außer sich.

»Soll ich dir sagen, wie es sich verhält? Dir war dieser Henry Smidt nicht gleichgültig, nur der Knecht, der arme Teufel genierte dich, dich und deinen Vater. Wäre er reich gewesen, dieser Mensch, so wäre ich zu spät gekommen; so ist es.«

Er gab in seiner Erregung Bessy einen leichten Stoß mit der Hand.

Sie war bleich wie der Tod, die Augen waren geschlossen, der feine Mund verzog sich schmerzlich, ein Stöhnen entrang sich den fahlen Lippen.

Bernhard kam zur Besinnung. Was hatte er getan? In diesem Zustande?

»Bessy!« rief er in qualvoller Angst. »Bessy, hörst du mich? Habe Erbarmen, ich bin ja ein Wahnsinniger!«

Er rüttelte ihren Körper und warf sich vor ihr auf die Kniee.

»Bessy, es ist ja alles Lüge!«

Da tönte ein geller Schrei. Sie schlug die Augen auf, blickte wirr um sich. Schweiß stand auf der weißen Stirne, ihre Züge waren verzerrt.

»Bernhard, hole Loo,« bat sie mit matter Stimme.

Da war sie, die heißersehnte Stunde, die Stunde der Entscheidung! Und gerade jetzt mußte er sein Weib kränken, oder kam sie verfrüht durch seine Schuld? Es zog ihn zu Bessys Füßen, er küßte ihre Hände und netzte sie mit Tränen.

»Verzeihe, ich bin ein Elender!«

Dann stürzte er hinaus. »Loo! Loo!« gellte es durch das Haus.

Die alte Haushälterin kam mit einem beruhigenden, geheimnisvollen Lächeln, auf sie gestützt verließ Bessy das Zimmer. Bernhard stand da wie ein Verurteilter und haschte nach einem Blick von ihr.

Sie legte ihre Hand sanft auf die seine.

»Bernhard, es ist nicht so, man lügt nicht zu solcher Zeit. Du hast mir recht weh getan. Du mußt es wieder gut machen, denn, weißt du, – denn –«

Der Mund, der lächeln wollte, verzog sich in bitterem Schmerz.

Er bewegte sich nicht, stumm ließ er sie ziehen, ein Gefühl der Ehrfurcht, der Anbetung raubte ihm die Sprache.

Als sie verschwunden war, schien alles zu schwanken um ihn herum, dazu das Aechzen und Heulen draußen, der Anprall des Sturmes. Es war ihm, als stünde er wieder in dem Mars der ›Columbia‹, von den Wogen und dem Sturm umbraust, und die Klippen reckten ringsum ihre schwarzen Häupter aus dem Gischt. – Klippen, nichts als drohende Klippen ringsumher und mitten drin sein Lebensschiff, dem Untergang geweiht.

Wenn sie wirklich stürbe, sollte er sie dann noch beschweren mit seiner Schuld, ihr den Glauben an ihn zerstören, wozu? – Ohne ihre Verzeihung, in der ewigen Lüge weiter leben mit seinem Kinde, seinen Raub ruhig genießen? – Unsinn! Er hat ja nichts zu genießen, er wird arbeiten für sein, für ihr Kind, dem ja alles gehört, das Vermögen mehren, über jeden Pfennig einst Rechenschaft ablegen, und die Tote ist tot, alles ausgelöscht, nicht gewesen, nur die Einbildung schafft so tolle Bilder. Und das Gewissen? – Das ist keine Einbildung, das ist wirklich, das weiß er am besten. Es wird sich nimmer beruhigen ohne das erlösende Wort aus ihrem Munde. – Aber sie stirbt ja nicht, sie wird leben, erst recht leben, in wenig Augenblicken wird das Große, längst Ersehnte Wirklichkeit sein, sie wird ihm das Söhnchen zeigen, er wird einen kleinen Engel im Arm halten, ihn herzen mit den Verbrecherhänden, küssen mit den Lügenlippen, ihn, den ein frecher Betrug zu seinem Sohn gemacht! – Sagte sie denn nicht: Ein Weib, das liebt, kann selbst ein Verbrechen vergeben! – Liebt sie ihn denn nicht? Wird sie ihn in diesem Augenblick nicht doppelt lieben? – Dem Mörder selbst kann sie vergeben, und sie liebte ihn nicht, sie log nicht, als sie das eben sagte. Ein Verbrechen kann sie vergeben, in der Leidenschaft begangen, immerhin in der Leidenschaft für sie, aber eine feige, vorbedachte, kaltblütig ersonnene List, ist das nicht schlimmer? – Was dann, wenn Ekel und Abscheu sie erfaßten? – Sie verlassen, einsam wieder hineinziehen in das feindselige Leben, fort von diesem Ort des Friedens, von ihr, von dem Kinde, oder ein verachtetes Leben führen neben ihr, – geduldet! – Beides gleich entsetzlich. – Aber wozu denn das alles? Ist sie nicht glücklich? Gehört ihr nicht alles, ist er nicht ein Armer, wie zuvor? Wozu denn sprechen? Weil ein andrer zuerst sprechen könnte, und dann wäre es noch schlimmer – Henry Smidt! Aber wenn dieser lebte, wäre er nicht schon längst erschienen? Er wagt sich noch nicht in die Gegend, er will Gras wachsen lassen über die blutige Tat. Warum schrieb er nicht an Bessy von irgendwoher? Sollte er kein Mißtrauen haben gegen ihn, keine Furcht, das Geld sei nicht in ihre Hände gelangt? Hielt er, der Mörder, einen solchen Vertrauensbruch für unmöglich? Er schrieb einfach nicht, weil es ihm sicherer schien, als Verschollener zu gelten, seine Fährte völlig zu verwischen. Das war kein Beruhigungsgrund, und über Jahr und Tag zieht es jenen doch zurück, den Erfolg seines verfrühten, längst bereuten Vermächtnisses zu erfahren.

Gestand er Bessy alles und verzieh sie ihm, dann konnte jener getrost erscheinen, das Schreckgespenst seines Lebens sank in nichts zusammen, er war frei, erlöst!

Bernhard trat an die Türe, öffnete sie und horchte mit klopfendem Herzen, nichts! Nur der Sturm prallte gegen das Haus, er war jetzt nicht in der Verfassung, ihr Mut einzuflößen, es war ihm selbst, als müsse er darum beten. – Doch die Unruhe wuchs, – warum war es so unheimlich still da oben? War sie wieder besinnungslos oder war alles nur Einbildung?

Er schlich über den Gang, die Stiege hinauf.

Ein schwacher Lichtstrahl fiel durch die Türe des Schlafgemaches.

»Gott! Du wirst mich nicht so furchtbar strafen! Laß sie nur leben, nur leben. Gib mir Zeit, zu sühnen!« flehte er, sich auf das Gebälk lehnend.

Leises Wimmern ertönte, dazwischen Loos tröstende Stimme.

»Ich bekenne alles, alles!« schwur er bei sich selbst.

Da gellte ein jäher Schrei, den Sturm übertönend. Er wollte hinausstürmen, er konnte nicht, die Füße waren ihm wie gelähmt.

»Bessy! Bessy!« schrie er in Todesangst.

Was war das? Er horchte, auf der Treppe knieend, weit vorgebeugt, – das kreischende Weinen eines Kindes drang an sein Ohr.

Jetzt schnellte er empor und stürzte hinauf, – die Türe war verschlossen.

»Oeffne, Loo!« keuchte er.

Leise schob sich der Riegel. Loo stand vor ihm, vertraulich blinzelnd.

»Ueberstanden!« flüsterte sie. »Ruhe, Herr!«

In weißem Linnen zappelte es. Loo zog lächelnd die Hülle weg von dem süßen Geheimnis. Zwei erstaunte schwarze Augen blickten ihm entgegen, zwei zarte Fäustchen ballten sich –

»Bernhard!« flüsterte es matt daneben.

Er sank auf die Kniee vor seinem bleichen Weibe und bedeckte ihre Hand mit Küssen und Tränen.

»Ein Mädchen, sei nicht böse,« lispelte Bessy mit einem schwachen Druck der Hand. Bernhard zuckte zusammen. Das war eine schlimme Vorbedeutung, aber der Anblick Bessys verscheuchte rasch den bösen Gedanken. Die Gewalt des Augenblicks ließ ihn nur eine Sekunde in seiner Seele auftauchen.

»Sprich nicht davon, ich bin ja so glücklich,« sagte er mächtig bewegt.

Ein dankbarer Blick traf ihn.

»Dann, Bernhard,« – sie zog ihn mit schwachen Kräften näher an sich, – »versprich mir eins in dieser Stunde – Offenheit! Es liegt etwas Unausgesprochenes zwischen uns, was dich bedrängt, ich fühle es. Ich will den Anfang machen, aber heute nicht, – heute nicht, – morgen, nicht wahr, morgen! Dann folgst du nach, was es auch sei; ich liebe dich ja, Bernhard –«

Ihre Stimme wurde schwach, sie schloß ermattet die Augen. Loo ließ ein mahnendes ›Pst‹ vernehmen.

Nein, jetzt durfte er nicht sprechen, es lag ihm schon auf der Zunge das Geständnis, er fühlte, daß er es nie mehr so leicht werde aussprechen können, als jetzt in diesem Halbdunkel, auf den Knieen vor ihr, die ganz erfüllt war von dem heiligsten Gefühle; er fühlte, daß sie ihm jetzt vergeben müsse. Wenn sie jetzt die Augen wieder aufschlug, wollte er es dennoch tun.

Doch Loo zog ihn gewaltsam weg und schob ihn zur Türe hinaus. – Da wankte er wieder die Stiege hinab mit der alten Last. – Morgen!

Er erwachte in dem Lehnstuhl der Wohnstube mit wüstem Kopfe und dachte vergeblich über seine Träume nach. Er brachte keine Ordnung in den wirren Knäuel von Begebenheiten, dieser Henri Smidt war überall darin verwoben, bald lachend über Bernhards Aengstlichkeit, ihn auf die Schulter schlagend, wie einem alten Freund, – ›da bin ich, kennst du mich nicht mehr?‹ – bald aus einem dunklen Winkel möglichst überraschend auftauchend, in dem Zustande, wie ihn Bernhard verlassen, bleich, triefend von Seewasser, mit drohendem, höhnischen Blick, – ›jetzt hab' ich dich und lasse dich nicht mehr los.‹

Bernhard trat ans Fenster und lehnte die heiße Stirne an die Scheiben. Der Sturm hatte ausgetobt und der Schnee fiel in rhythmischer, schläfriger Eintönigkeit auf die lautlose Landschaft. Der Anblick beruhigte Bernhard, wenn er nur ein ganzes Leben lang so gedankenlos hineinstarren könnte in dieses Flockenspiel! Das größte, einzige Glück ist doch die Ruhe, die ewige Ruhe, – der Tod! Zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, das wäre eigentlich die einfachste Lösung, das sicherste Entrinnen aus diesem Klippenmeer, das ihn umgab. Gebüßt, – gesühnt, – alles mit einem Mal. – Alles? – Nein, nichts! Es handelte sich ja nicht um seine Buße und Sühne. Es handelte sich um die getreue Erfüllung des Vermächtnisses, das ihm anvertraut wurde an der Schwelle des Todes, um die Ehrenrettung dieses Smidt, die Verzeihung Bessys. Um das alles hatte er jenen betrogen, und wenn er sich nun selbst tötete, dann nahm er das unerfüllte Versprechen, die ungesühnte Schuld mit hinüber. Also auch das war kein Ausweg, kein ehrlicher wenigstens.

Von oben tönten gedehnte Laute durch die Decke, wie aus weiter Ferne, die schläfrige Melodie eines Wiegenliedes. Die alte Loo sang.

Bernhard schlug unbewußt den Takt dazu auf den Fensterscheiben. Der Zweig einer mächtigen Kastanie berührte fast die Scheiben, die harzigen, glänzenden Knospen guckten überall aus der Schneemasse hervor, die Verheißung des Frühlings mitten im Winter. Er fühlte sie plötzlich auch in seiner Brust, bei diesen Tönen von oben.

»Zu Bessy,« flüsterte er und ging hinauf.

Sie war eben aus einem kräftigenden Schlummer erwacht, die überstandenen Leiden, die Mutterwonne durchgeistigten ihre Züge, nahmen ihr alle Härten des Lebens, sie war ihm nie so rührend schön erschienen.

Sie machte Loo ein Zeichen, zu gehen; die Kleine schlief in der Wiege nebenan.

Bernhard wußte, was das bedeutete, jetzt galt's!

»Setz' dich zu mir, – so, – deine Hand. Jetzt beichten wir. Zuerst ich, dann du.«

Er gehorchte. Die Last wuchs ins Ungeheure in diesem Augenblick, seine Schultern beugten sich unter ihr, er mußte sie abwerfen, er war fest entschlossen dazu.

Die sanfte Röte auf Bessys Wangen wurde zur Purpurglut.

»Du hast mir vorgeworfen, ich habe einen andern Mann vor dir geliebt, jenen Henri Smidt, den Mörder meines Vaters, der mich heiraten wollte, und ich hätte ihn auch geheiratet, wenn er ein wohlhabender Mann gewesen wäre, wie du. Es ist etwas Wahres daran.«

Bernhard fuhr auf, sie legte beschwichtigend ihre Hand auf seine Schulter.

»Ich liebte ihn nicht, das ist mir erst völlig klar geworden, als ich dich kennen lernte und erfuhr, was Liebe ist. Ich wußte es bis dahin nicht. Dieser Mann betete mich an, abgöttisch, sklavisch, jeder Wink von mir war ihm Befehl, ich weiß, er hätte sich töten lassen für mich ohne Besinnen. Das gefiel mir damals, ich war recht herrschsüchtig, eigenmächtig, ich reizte ihn förmlich, die Grenze zu überschreiten, die er streng einhielt. Eine kindische, gewiß sträfliche Neugierde, die jedem Mädchen in solchen Dingen eigen ist, trieb mich dazu. Zu spät erschrak ich über meinen Fehler; seine Leidenschaft, einmal entfesselt, war maßlos. Wäre sie das weniger gewesen, so hätte meine Unerfahrenheit ihm vielleicht zum Sieg geholfen, ich leugne das nicht, wir wollen ja ganz offen sein. Doch dieser Ausbruch erschreckte mich, es lag, trotz aller Liebe, etwas Rohes, Gewalttätiges darin. Der Sklave, der mich gereizt, mit dem ich kindisch frevelhaft gespielt, war verschwunden, ein drängender, fordernder, auf sein Recht pochender Mann stand vor mir, für den ich nichts empfand. Ich wies ihn derb ab, er hörte nicht darauf, er hielt es wohl nur für Schein und wurde noch ungestümer. Ich floh vor ihm zum Vater und sagte diesem alles.«

»Der schäumte vor Wut, mit Mühe hielt ich ihn von Tätlichkeiten zurück, vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte ihm nichts gesagt. Die Erbitterung Smidts wäre vielleicht nicht aufs äußerste getrieben worden. Mein Vater wies ihn ab voll Hohn, er lachte ihn aus und behielt ihn im Dienst, als ob er es aus Rache für seine Anmaßung getan hätte. So wenigstens kam es mir vor, denn er verhöhnte ihn immer wieder bei jeder Gelegenheit.

»Jener aber blieb trotz aller Erniedrigung, allem Hohn, zu dem ich selbst mich in meinem Uebermut gegen ihn verleiten ließ, er blieb immer –«

Bessys Stimme klang jetzt so sonderbar, es war, als ob eine aufsteigende Rührung sie erstickte.

»Er schien vor nichts zu zittern, als vor seiner Einlassung, nie mehr belästigte er mich mit einem Wort, mit einer Gebärde, er schien zufrieden, bleiben zu dürfen, in meiner Nähe.«

»Und die Zeit abwarten zu dürfen, wo er euch das alles tüchtig heimzahlen konnte,« unterbrach sie Bernhard. »Und er wartete sie so vortrefflich ab, daß noch etwas anderes dabei für ihn abfiel, als nur die Befriedigung seiner Rache, – ein Vermögen! Damit ist der schöne Roman verdorben, nicht wahr?«

Bernhard gab sich vergebliche Mühe, den ihm selbst unbegreiflichen Haß gegen diesen Menschen, der in ihm immer wieder aufstieg, zu bemeistern. War er denn gekommen, um anzuklagen? Oder glaubte er bereits selbst nicht mehr an das Vermächtnis Smidts? Oft war es ihm wirklich, als habe ihn jene furchtbare Nacht auf der See wahnsinnig gemacht und alles, was sich daran knüpfte, sei nur eine fixe Idee. Er war gar nicht zusammengekommen mit diesem Smidt, das Geld war wirklich sein Geld.

Bessy hörte ihm ruhig zu.

»Und ich weiß es bestimmt, er schickt es zurück,« erwiderte sie im Tone fester Ueberzeugung. »Ein Dieb ist er nicht, ganz bestimmt nicht. Es ist mir ganz unerklärlich, daß es nicht schon längst geschehen ist, irgend etwas muß ihn daran gehindert haben, vielleicht ist er tot und hatte nicht mehr Zeit dazu, – vielleicht –«

In Bernhard kochte es; diese Zuversicht, dieses Vertrauen Bessys machte ihn toll. Er hatte die feste Ueberzeugung, daß Smidt die Summe nie zurückgesendet hätte, wenn er gerettet worden wäre, ja, daß er, wenn er wirklich gerettet war, sein Geständnis schon längst bitter bereute. Wenn es wirklich anders wäre, so wie Bessy denkt, wer war dann der Schlechtere, Smidt, der Mörder, oder er, Bernhard, der Fälscher, der Betrüger?

Er lachte schneidend auf.

»O ihr Frauen, ihr seid doch eine wie die andere, keinem könnt ihr's vergessen, wenn er einmal in euch vernarrt war. Unsinn ist das alles! Nie!« – er sprach das Wort mit größtem Nachdruck »nie schickt er es zurück!«

Dann rannte er wie toll geworden in der Stube umher.

Bessy verstand seine Erregung nicht. War das wirklich nur Eifersucht? Wieder dämmerte in ihr ein verworrener, unklarer Gedanke auf.

»Oder halt?« Bernhard blieb vor ihr stehen, sein Antlitz war verstört, sein Blick unruhig. »Wir wollen einmal annehmen, er sendet es zurück, dann käme es doch erst noch auf die Umstände an, unter welchen er das tut; zum Beispiel, ich nehme nur an, es wäre ja so etwas möglich, denkbar –« Er zögerte einen Augenblick, als besinne er sich erst auf das Beispiel. »So zum Beispiel: Henry Smidt wäre mit mir auf dem Schiffe, er wäre der Unglücksgefährte gewesen, von dem ich dir oft erzählt, den ich am Ende zu früh verließ. In der Stunde des Todes regt sich in ihm das Gewissen. Er hat niemand, wie mich, er beichtet mir alles, er hat das Geld des Vaters noch in der Tasche. Was soll er damit anfangen? Soll er es mit hinunternehmen zu den Fischen? Lieber doch es zurückerstatten, die Schuld wenigstens teilweise wieder gut machen, er muß ja sterben, vor seinem Richter erscheinen. Er gibt es mir, ich bin noch kräftig, habe noch Aussicht gerettet zu werden, um es dir zu bringen oder zu senden. Wenn es so wäre, und nur in einem solchen Falle gebe ich die Möglichkeit zu, dann würdest du dich freuen, daß deine Erwartung eingetroffen, würdest ihn bemitleiden, bedauern?«

Bessy erhob sich mühsam und sah ihren Mann groß an, die Röte wich aus ihrem Antlitz. Er erschrak vor diesem starren, fragenden Blick. Hatte er zu viel gewagt in seinem inneren Drang zu bekennen? Hatte er schon bekannt, durchschaute sie ihn? Wenn sie diesem Menschen einen Raub nicht zutraute, konnte sie doch nicht ihm –

»Ich sage dir aber, daß eine solche Tat in der Todesangst ganz wertlos ist, daß sie an der Beurteilung des Menschen gar nichts ändert. Setze den Fall, – und der wäre ja möglich, – der Mann wird durch irgend einen Zufall gerettet, sein erstes wird sein, daß er die Rückgabe bitter bereut. An das denkst du nicht, nicht wahr, an das denkst du nicht?« fuhr er zu sprechen fort.

Bessy ließ den Blick nicht mehr von ihm.

»Daß der Mann durch einen Zufall gerettet werden konnte, o ja, daran denke ich sehr oft, so oft als du.«

Bernhard stutzte. »Aber ich meine ja nicht den Mann, von dem ich dir schon früher erzählte, der mit mir, – – ich meine Henry Smidt, – für den Fall – –«

»Daß er eben dieser Mann gewesen sei,« ergänzte Bessy. »Ich verstehe dich ganz gut. Du würdest ein solches Vermächtnis, in so furchtbarer Stunde dir anvertraut, natürlich haarklein erfüllt und in meinem, der Unbekannten Namen, dem Sterbenden verziehen haben, der in diesem Augenblick alles und gewiß das Schwerste tat, was er tun konnte. Du selbst würdest ihm dein Mitleid nicht entzogen haben, nicht wahr?«

Die Frage klang sonderbar; unbedingt hatte Bernhard zu viel gewagt, aber gerade der begründete, unbestimmte Verdacht, den er in Bessy aufdämmern sah, empörte ihn, ließ ihn augenblicklich aller Bekennungsgedanken sich entschlagen.

»Aber darum handelt es sich ja nicht, was in diesem Fall geschehen wäre, – wie kommst du denn darauf? – Das ist doch selbstverständlich, – oder glaubst du, ich hätte – Nein, das kannst du nicht glauben, was veranlaßt dich dazu, – ich mag es gar nicht aussprechen, – diesen Menschen, der einen Mord begangen, nimmst du in Schutz, und mich, – mich verdächtigst du?«

»Verdächtige ich dich denn?« fragte Bessy in demselben prüfenden Tone.

»Mich verdächtigen, natürlich, das kannst du ja nicht, aber, – Gott, du weißt ja, wie es mich angreift, wenn von diesem Gegenstand gesprochen wird, schweig', schweig', ich bitte dich, – du machst mich wahnsinnig, ich bitte dich –«

»Bernhard,« klang jetzt die Stimme Bessys unendlich mild, ein heißes Flehen lag darin. »Jetzt kommt die Reihe an dich, ich habe jedes Fältchen meines Innersten aufgedeckt, du weißt jetzt alles! – Auch du hast mir etwas zu bekennen, ich fühle es, und zwar handelt es sich um diese entsetzliche Nacht auf dem Meere, um diesen Mann. Du hast mir nicht alles gesagt, es hat eine besondere Bewandtnis damit. Ich habe schon von schrecklichen Dingen gelesen, die sich unter ähnlichen Umständen ereigneten, im Kampf ums Leben, in der äußersten Todesangst, von Mord, von Schlimmerem, wenn der Hunger in den Eingeweiden wühlt, was die Menschen dann wahnsinnig macht. Sprich, ich kann alles hören, alles verzeihen, jedes natürliche Grauen selbst wird meine Liebe zu dir überwinden. – Was war's mit diesem Manne?«

Bernhard schmerzte jetzt ihr Blick, es war ihm, als zöge sie ein arglistiges Netz um ihn, als wären ihre Worte nur eine List, aus ihm die Wahrheit herauszulocken, die sie doch unbedingt in diesem Augenblick ahnte.

Alle weichen Empfindungen waren aus seinem Herzen plötzlich entschwunden, alle Hoffnung auf Vergebung, er fühlte nur noch den ihn kränkenden Verdacht und war erfüllt von dem Drange, ihn zu zerstreuen.

Er lachte gezwungen. »Na, das wird ja immer besser, jetzt hältst du mich gar für einen Kannibalen, ich habe ihn womöglich ausgefressen, den armen Teufel. Höre, Bessy, das ist stark.«

Dann schlug er plötzlich einen entrüsteten Ton an. »Ist es denn nicht genug an dem, was ich dir schon oft erzählt? Genügt das nicht, einen Menschen zu beunruhigen? Wenn man einen Unglücksgenossen im letzten Augenblick schmählich verläßt, anstatt alles aufzuwenden, ihn zu retten? Das tat ich aber, gestand ich dir denn das nicht schon längst? Ich nahm an, er sei gestorben, weil es mir so bequem war, weil ich sicherer dem Tode entrann, darin liegt der Vorwurf, der mich nimmer verläßt. Kannst du mir denn das nicht nachfühlen? Bist doch sonst so feinfühlig. Verstehst du nicht, wie mich der Gedanke quälen muß, den anderen feige verlassen zu haben, um mich selbst zu retten? Was habe ich denn Böses getan, seitdem wir uns kennen, daß du mir solches zutraust, daß dir diese eine Feigheit, die ich begangen, noch nicht genügt? Bessy, sag', was hab' ich dir getan, daß du mich für so schlecht hältst?«

Er warf sich in wilder Erregung vor ihr nieder und vergoß helle Tränen. Bessy strich ihm die wirren Haare aus der Stirne; die Bewegungen ihrer sanften Hand beruhigten ihn wunderbar, die Reaktion trat ein, wie süßer Schlaf und Vergessen kam es über ihn, – da erwachte das Kind und schrie nach der Mutter.

Bessy nahm die Kleine zu sich, dann blickten sie auf das beruhigt zwischen ihnen liegende Kind, das seine großen, dunklen Augen zwischen beiden hin und herwandern ließ. Eine große Fliege summte um die verschüttete Milch auf dem Tische, draußen senkten sich noch immer gleichmäßig die Flocken. – Himmlische Ruhe nach wildem Sturm. – »Wie es dir ähnlich sieht,« sagte Bernhard, »die Augen, die Stirne –«

»Und das zuckersüße Mündchen, und wie es die Fäustchen ballt!« ergänzte Bessy, »und jetzt, sicherlich jetzt lachte es mich an!«

Bernhard liebkoste ihm das rosige Kinn, Bessy küßte die goldenen, geringelten Härchen. Der finstere Abgrund, der sich eben zwischen ihnen aufgetan, er schien verhüllt durch die liebliche Gestalt dieses kleinen Wesens.

Bernhard war es, als habe er alles gestanden, so leicht, so frei fühlte er sich, und als Bessy ihm über den kleinen Körper hinüber die Hand reichte und ihren Mund zum Kusse bot, verstand er sie, – alles ist vergeben, vergessen, die Vergangenheit tot, hier liegt unser Glück, unsere Zukunft, ihm sei fortan unser Leben geweiht! War das nicht ebensoviel, als die erhoffte Erlösung?

Ja, vielleicht schloß sie die dunkle Ahnung dessen, was ihm auf der Seele lastete, schon ein in ihr Vergeben und Vergessen, vielleicht wollte sie selbst kein Geständnis mehr, wozu auch?

An diesen Gedanken klammerte er sich fest, er belog sich selbst damit, – frei! frei!


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