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Im Zusammenhang mit seinen künstlerischen Neigungen unterhielt Carlo Coriolani Beziehungen zu allerlei Leuten, die nicht gerade hoffähig waren. Er war bei diesen Vertretern der Intelligenz gern gesehen, denn man konnte ganz zwanglos vor ihm sprechen, und es gab Leute darunter, die es sogar sehr gern sahen, daß jemand, der dem Hofe nahe stand, Fühlung mit ihnen hielt, mochte es auch nur ein junger Student sein. Obwohl er sehr ruhig austrat und sich lieber an künstlerischen wie an politischen Unterhaltungen beteiligte, standen seine liberalen Anschauungen außer Zweifel, er teilte die Abneigung dieser Kreise gegen den Thronfolger und gehörte zu denen, die Prinz Roger gern als König gesehen hätten, wogegen er mit Republikanern sehr geschickt zugunsten der Monarchie debattierte. Es handelte sich dabei immer nur um eine gesellige Abendunterhaltung in irgend einem öffentlichen Restaurant.
In eine solche Tafelrunde von gebildeten jungen Männern verschiedener Berufsart wurde eines Tages der Rechtsanwalt Doktor Simoni eingeführt. Einige der Gesellschaft begrüßten ihn als guten Bekannten, andere bekundeten eine neugierige Überraschung über sein Erscheinen. Er war der bekannte Führer der radikal-republikanischen Jugend, ein stattlicher Orientale mit pechschwarzem Haar und Vollbart. Man räumte ihm mit wohlerkennbarem Kitzel ironischen Übermuts einen Platz neben dem jungen Coriolani ein. Die beiden Herren begrüßten sich mit höflichem Händedruck, und als jemand halblaut scherzte: »Wer wird da abfärben?« fing Simoni die Bemerkung heiter auf:
»Nur schlechte Ware färbt ab, also doch sicher nicht der Herr Graf.«
Mehrmaligen Versuchen, mit ihm eine politische Diskussion einzufädeln, wich er mit geschmeidiger Grazie aus, dagegen fand er sich im Laufe des Abends mit seinem jungen Nachbar zu einem dauerhaften, halblaut geführten Gespräch über künstlerische Dinge zusammen, in dessen Verlauf Carlo Coriolani seines Wunsches, Maler zu werden, Erwähnung tat.
»Hält Ihr Herr Vater die Ausübung der Kunst nicht für standesgemäß?« fragte Simoni.
Der junge Coriolani antwortete:
»Es ist doch von jeher in allen Kreisen der Brauch gewesen, daß man die Söhne nicht gern Künstler werden ließ. Handwerker und Kaufleute haben sich auch dagegen gesträubt und tun es heute noch.«
»Ja, Schuster und Krämer,« versetzte Simoni, »aber die Kunst ist im vollen Sinne doch ein adeliges Handwerk.«
Carlo fand den Rechtsanwalt etwas zudringlich und schnitt das Thema kurz ab, indem er sagte:
»Ich hoffe auch meinen Vater noch überreden zu können.«
Simoni sagte jetzt lauter:
»Es ist verwunderlich, daß man heute noch den Staatsdienst für etwas gar so Großes hält, und er ist doch nur ein Weg der immerwährenden Abhängigkeit und Unterwürfigkeit.«
Das brachte das Gespräch auf die Art des akademischen Studiums, auf die Examina, Beamtengehälter, Schäden der Bureaukratie. Als jemand das herrschende Regierungssystem anklagte, bemerkte ein anderer:
»In Republiken gibt es dieselben Zustände, wie Frankreich zeigt.«
Da warf Simoni ein:
»Man braucht ja auch Frankreich nicht gerade als Musterrepublik anzusehen. Dort klebt an vielem noch alte Tradition aus der Kaiserzeit. Man ist in allerlei Dingen noch ganz zopfig.«
Carlo Coriolani meinte jetzt:
»Die Sache bekäme sofort ein ganz anderes Gesicht, wenn der Beamte nicht mehr glauben dürfte etwas Höheres als andere Staatsbürger zu sein, wenn der Kastengeist verschwände. Das wird aber immer so bleiben, solange man den Begriff ›Staatsbürger‹ hinter den des ›Untertanen‹ stellt.«
Simoni rief lebhaft, aber mit einem heiteren Klange:
»Aber Herr Graf, das sind ja ganz demokratische Ansichten.«
»Und wenn,« erwiderte Carlo Coriolani gelassen.
»Ja, wenn Sie den Untertanen abschaffen wollen, müssen Sie eine weitere Konsequenz ziehen,« sagte Simoni darauf.
Wieder fand der junge Graf eine Zudringlichkeit in der Art des Rechtsanwalts. Er antwortete kühl:
»Ich verstehe Sie sehr gut, sehe aber keine zwingende Logik in Ihrer Meinung.«
»Es ist mir ja wohl begreiflich, daß Sie sich zunächst dagegen sträuben, Ihren ganz richtigen Gedanken zu Ende zu führen,« sagte wiederum Simoni mit höflicher Ironie. »Das geht bei vielen unserer sogenannten Liberalen so. Aber es hilft nichts, hat ein Gedanke, wie der demokratische, einmal so starke Wurzel gefaßt, wie es bei uns der Fall ist, dann wächst er ganz von selber zur vollen Fruchtreife aus.«
»Sie sind also fest davon überzeugt, daß wir früher oder später zur Republik kommen werden?« fragte Carlo, und alle Anwesenden blickten jetzt gespannt auf den Parteiführer. Dieser antwortete:
»Daß ich den Wunsch hege und an seiner Erfüllung eifrig arbeite, ist der Polizei bekannt. Sie machen sich dadurch auch verdächtig, Herr Graf, daß Sie sich heute in meiner Gesellschaft befinden.«
Er ließ den Blick durch das Lokal schweifen und fuhr dann mit absichtsvoll erhöhter Stimme fort:
»Es wird schon jemand hier sitzen, der davon Notiz nimmt.«
Wie andere sah sich auch Carlo Coriolani mit leichter Kopfbewegung um.
»Seien Sie nur beruhigt,« fuhr Simoni spöttisch fort. »Daß ich beobachtet werde, bin ich gewohnt. Aber dieser Kreis ist ja auch nach seiner Zusammensetzung an der gewissen Stelle bekannt.«
Es entstand Kopfschütteln und kurzer Widerspruch.
»Seien Sie dessen sicher,« sagte Simoni. »Vorläufig ist die Sache ganz ungefährlich. Es könnten aber andere Zeiten kommen, in denen das Material zur praktischen Verwertung gelangt.«
»Bange machen gilt nicht,« sagte da jemand. »Ihr Roten lebt ja von der Schwarzmalerei.«
Damit begann eine lebhafte politische Diskussion, die mehr und mehr an Schärfe zunahm. Dabei zeigte man sich einig in der Abneigung gegen den Kronprinzen, über den man aber ziemlich kurz hinwegging, während in der Hauptsache die Mehrheit gegen die Minderheit ihre monarchische Gesinnung betonte, dabei aber immer den Namen des Prinzen Roger nannte. Von der anderen Seite wurde spöttisch eingewendet:
»Was wollt ihr denn mit dem Herrn? Wir sind doch nicht im Orient, daß ihr eine Palastrevolution inszenieren könntet.«
Das wollte man auch nicht. Prinz Roger sollte, gestützt auf seine Popularität, so etwas wie ein heimlicher König sein, der den anderen völlig ohnmächtig machte.
Simoni sprach jetzt gar nicht mehr, sondern hörte nur zu, manchmal die Rede mit lebhafter Mimik begleitend. Schließlich aber mischte er sich mit den Worten ein:
»Das eine also steht fest: Niemand wünscht eigentlich, daß die Dinge ihren normalen Verlauf nehmen.«
Er warf es leicht mit einem heiteren Lächeln hin. Da gab es einige Einsprüche, auf die er mit demselben Lächeln erwiderte:
»Wir verstehen uns. Wünsche sind ja auch gar nicht strafbar, also ganz ungefährlich. Sie werden aber doch hoffentlich einigermaßen auf die Wahlen abfärben.«
»Das also war des Pudels Kern!« scherzte jemand.
»Es war ein Zufall, der mich in diesen liebenswürdigen Kreis führte. Habe erst auch nur mit dem Herrn Grafen über Kunst gesprochen. Sie selber haben ja den politischen Ton angeschlagen.«
Das wurde von mehreren Seiten bestätigt.
»Da können Sie mir's nicht verargen, daß ich die Gelegenheit benutze und den Herren ins Gewissen rede, daß Sie bei den Wahlen den Staatsbürger nicht durch den Untertanen leiden lassen. Der Herr Graf hier ist es gewesen, der aus den beiden Begriffen so glücklich einen Gegensatz konstruiert hat.«
Carlo hatte diese Manier, sich an ihn heranzudrängen, redlich satt und wartete nur den richtigen Augenblick ab, sich unauffällig zurückzuziehen. Er selber suchte ja in der Politik gar nichts anderes als die Befreiung aus jener Enge, von der er sich umgeben sah, und die Erfüllung eines schönen Traumes von der aller Vorurteile entkleideten freien Beweglichkeit einer edlen Kultur. So gütig die Eltern, so friedvoll das Familienleben war, es herrschte dort doch eine ihn bedrückende Stickluft eines als selbstverständlich empfundenen Herkommens, dessen Vorzug einer sicheren Vornehmheit ihm nicht so gewinnvoll erschien, wie die freie Weltanschauung, die verschiedene Personen seines Umganges aus dem Milieu ihres Elternhauses mitbrachten. Ganz neue Zeiten mußten kommen, der herrschende Liberalismus war eine geistlose Halbheit voll leeren Phrasengedresches. Aber dazu bedurfte es nicht der Republik, in der man von ehrgeizigen Advokaten und gewinnsüchtigen Bankiers beherrscht wurde. Ein modernisiertes, von allen Zöpfen freigewordenes Königtum erreichte das besser, es war mehr Würde darin. Prinz Roger hätte das machen können, Golo war ein Barbar. Zu Hause mußte Carlo schweigen zu jener Loyalität, die bereit war, sich auch einen Golo gefallen zu lassen, mit den jungen Standesgenossen aber, die nur, weil es ›korrekt‹ war, dieselbe Anschauung bekundeten, wollte er keinen näheren Umgang pflegen, sondern nur den unvermeidlichen. Deshalb taugte er auch nicht zur Diplomatie. Da tuschelt man wohl in einem vertraulichen Winkel die boshaftesten Lästerungen über den König, aber man läßt sich nicht auf prinzipielle Erörterungen ein. Alles, selbst der albernste Etikettenzopf, wird als ein unumstößliches Naturgesetz angesehen. Unter solchen Betrachtungen nahm der junge Mann den Weg in der Richtung nach seiner Wohnung. Dieser führte ihn am Café Royal vorbei, wo noch nach Schluß der Theatervorstellungen sich ein lebhaftes, elegantes Treiben zu entwickeln pflegte. Die Mitglieder der königlichen Theater verkehrten dort sehr viel und auch die eine oder die andere der Künstlerinnen erschien einmal unter dem Geleite der Kollegen. Er kannte einige der Herren, und vor einiger Zeit hatte er hier Fräulein Ocorni, eine der Vertreterinnen des Fachs der Salondamen, kennen gelernt und mit der redegewandten hübschen Dame ein unterhaltendes Stündchen verlebt. Daran dachte er jetzt. Es war ja nicht unmöglich, daß sich das heute wiederholte, und so trat er ein. In den langgestreckten goldglitzernden Räumen herrschte bereits das charakteristische Treiben. Schöne Frauen in lichten, kostbaren Toiletten saßen mit Herren im Frack oder im schwarzen Jackett an kleinen Tischen lebhaft plaudernd oder Gabel und Messer mit [weißbehandschuhten] Händen zierlich führend. Kellner trugen kunstvoll Lasten von Tellern und Platten mit eilfertigen Bewegungen durch die schmalen, teppichbelegten Gänge. Dem farbigen, unruhig flimmernden Großstadtbilde gaben die Rhythmen eines Wiener Orchesters eine leise berauschende Würze. Während noch Carlo Coriolani die Gänge durchschreitend rechts und links nach Bekannten auslugte, traten vier Herren und zwei hochelegante Damen in das Lokal und begaben sich auch daran mit scharfen Blicken Platz zu suchen. Da stießen sie mit ihm zusammen. Die Ocorni begrüßte ihn mit lauter Stimme und schüttelte ihm dann kräftig die Hand. Der Geschäftsführer trug jetzt mit Eifer Sorge, daß die kleine Gesellschaft untergebracht würde. Inzwischen hatte die Ocorni die Vorstellung besorgt. Drei von den Herren kannte Carlo schon, die andere Dame war Fräulein Labana, eine sehr beliebte Sentimentale, die erst seit kurzem am königlichen Schauspielhause wirkte. Der Graf kam neben die Ocorni zu sitzen, Fräulein Labana hatte ihm schräg gegenüber Platz genommen. Das schlanke Mädchen mit den starken schwarzen Haaren, den weichen dunklen Augen und dem etwas bleichen Teint hatte etwas fesselnd Vornehmes in seinem ganzen Gehaben. Das lebhafte Temperament der Ocorni, ihr dreist blitzendes Auge, die mutwillige Ironie ihres Lächelns wirkten auf Carlo ganz anders als früher. Er entdeckte jetzt auch etwas Abgelebtes in ihren Zügen, in der Bildung der Wangen. Wenn er auch schon alt genug war, nicht aus der Miene eines Mädchens auf dessen Unschuld schließen zu wollen, so war er doch geneigt, die Labana für noch unberührt zu halten. Die Blicke der beiden jungen Leute hatten sich bereits mehrmals gekreuzt, als die Ocorni endlich heiter zu der jüngeren Kollegin sagte:
»Kokettieren Sie doch nicht so mit dem Herrn Grafen, Kleine! Das paßt gar nicht zu Ihrem Tugendstolz.«
Daraus nahmen die Schauspieler den Anlaß zu allerlei Neckereien, die Carlo zum Schlusse berechtigten, das anmutige Mädchen gelte in der Tat als unschuldig. Dieses sagte nach einer kleinen Weile gelassen:
»So lange bin ich doch schon beim Theater, daß ich das Erröten verlernt habe. Kompromittiert euch also nicht weiter.«
Man gab denn auch den Scherz auf und fand schnell andere Unterhaltung, bei der die Ocorni die Führung behielt. Sich immer an den ganzen Kreis wendend, war sie doch geschickt genug, zugleich ihren jungen Nachbar so festzuhalten, daß er nur wenig Möglichkeit fand, mit der Kollegin Blicke zu wechseln. Später, beim Abschied auf der Straße, drückte er aber der Labana die Hand mit solcher Wärme, daß diese die Gewißheit, tiefen Eindruck auf ihn gemacht zu haben, nach Hause nehmen konnte. Sie selbst legte aber auch in die konventionelle Phrase: ›Es hat mich sehr gefreut,‹ eine Betonung, die dem jungen Grafen schmeicheln konnte.
Der alte Coriolani hatte nach mehrtägiger Überlegung sein Abschiedsgesuch eingereicht. Der König war inzwischen zwar wieder sehr gnädig mit ihm gewesen, hatte aber doch einen naheliegenden Anlaß zu der sonst gewohnten Vertraulichkeit unbenutzt gelassen. Graf Coriolani erfuhr erst durch eine Zwischenperson, daß aus Afrika eine Meldung des Grafen Mario gekommen war, wonach er die Leitung der kronprinzlichen Expedition niedergelegt habe und sich bereits auf dem Rückwege zur Küste befinde, da es ihm unmöglich geworden sei, sich mit dem vom Kronprinzen begünstigten Baron Avia über die beiderseitigen Machtvollkommenheiten zu einigen.
Als der König das Gesuch Coriolanis in Händen hatte, ließ er ihm den Befehl zu schleunigstem Erscheinen zugehen und trat ihm dann mit den Worten entgegen:
»Du bist wohl toll geworden, Alter? Schreibst da ein Entlassungsgesuch. Was willst du denn damit? Du bist doch mein Obersthofmarschall und nicht mein Obersthofnarr.«
Auf die längeren Ausführungen des Grafen erwiderte er dann, allerdings mit einer gewissen Befangenheit:
»Es ist wirklich traurig um unsereinen bestellt. Wir haben es aufgeben müssen, Despoten zu sein, aber unsere Vertrauten sind es geblieben. Frägt man sie nicht um alles, geht man einmal seinen eigenen Weg, hört man einmal auch eine andere Meinung, dann wird einem die ganze Treue, von der so viel die Rede ist, vor die Füße geschmissen. Fällt mir ja nicht ein, dich so weglaufen zu lassen. Du bleibst, bis ich gehe, verstanden? Und mit Familienangelegenheiten ist's doch auch bei uns so eine Sache. Man hört gern einen guten Rat, aber man macht auch manches unter sich aus. Zur Familie gehörst du nun einmal nicht. Schade drum!«
Graf Coriolani stand gebeugten Hauptes wortlos da. Es waren Stacheln in des Königs versöhnlicher Rede, Stacheln, die ihn bitter schmerzten. Der König sah ihn prüfend an, streckte ihm die Hand entgegen und sagte:
»Jetzt schmolle nicht länger! Dein Geschreibsel will ich überhaupt nicht bekommen haben.«
Coriolani küßte die Hand seines königlichen Herrn, der nun im altgewohnten Tone plaudernd fortfuhr:
»Weißt du, die Geschichte da in Afrika ist nichts weiter wie eine Eifersüchtelei. Der Graf berichtet selber, Avia sei ein ganz tüchtiger Mensch, der seine Sache gut mache, aber eben seine Kompetenzen überschreite. Da kann ich mich doch aber von hier aus nicht einmischen. Mich freut es eigentlich, daß sich der Avia gut zu halten scheint. Ist wohl so ein Kerl, der dumme Streiche macht, wenn er nichts zu tun hat, aber am rechten Platze seinen Mann steht.« Er machte eine Pause und sagte dann in einem melancholisch nachdenklichen Ton:
»Am rechten Platz – – darum handelt es sich vielleicht auch nur bei Golo. Aber, nicht wahr, ein König, der sich pensionieren läßt – das ist doch auch nicht das Richtige?«
»Majestät!« rief Coriolani lebhaft aus. »Welch ein Gedanke!«
»Schau, da berichtet mir jetzt der Minister des Innern, die Republikaner hätten große Aussichten bei den kommenden Wahlen, er wolle Maßregeln treffen ihnen die Agitation schwerer zu machen. ›Treibt nur keinen Unfug mit dem Gesetz, das ist unwürdig!‹ sagte ich ihm. Golo zwänge sie wohl mit Gewalt nieder, diese Besserwisser. Das wäre wohl auch das Richtige. Ich mag es nicht auf mich nehmen, so unser Recht zu verteidigen, wär's aber der Dynastie schuldig. Sie wollen sich selbst regieren! Das gibt es ja gar nicht, ein Volk wird immer von irgend jemand beherrscht. Und einem solchen irgend jemand sollten wir weichen? Nein, nein – – ein ausrangiertes Königsgeschlecht – – ich begreife nicht, daß man so weiterleben kann. Alle müßten wir uns erschießen. Wenn ich ihnen die Neutralität als Bissen hinwerfe, verzeiht mir Golo das nie. Und es genügt ihnen ja doch nicht. Meinst du übrigens nicht, daß früher oder später alle Fürsten vor dieser Frage stehen werden?«
Coriolani antwortete:
»Ich möchte dagegen untertänigst zu erwägen geben, daß in den meisten Ländern der Gedanke an eine republikanische Verfassung heute eng verknüpft ist mit dem sozialistischen Ziele, das doch nicht überall Anklang findet. Das Bürgertum sieht gerade heute die stärkste Stütze gegen den Sozialismus in der Monarchie.«
»Und warum nun nicht gerade hier bei uns?« fragte der König dagegen.
»Das große Unglück des Vaterlandes hat dem Radikalismus den Boden bereitet, aber noch haben doch die treuen Anhänger der Monarchie die starke Mehrheit,« antwortete der Graf.
»Das große Unglück hätte sie erst recht an das Königshaus ketten sollen,« sagte der König. »Aber sie hatten mit mir kein Mitleid, liebten später Golo nicht, und wenn es auch nicht zum Sturz der Monarchie kommen mag, dann wird Golo ein unablässig von Mörderhänden bedrohtes Leben führen. Dessen bin ich gewiß.«
»Majestät dürfen doch nicht ganz daran verzweifeln, daß es noch fähige Köpfe im Lande geben wird, die den Staat in Ordnung halten können.«
Der König schüttelte den Kopf und erwiderte:
»Das ist keine Rechnung, mein Lieber! Aber ich will über das Kapitel von den Staatsmännern nicht weiter reden. Jetzt handelt es sich darum, daß wir zwei zusammen bleiben. Das ist geregelt, nicht wahr?«
Er streckte dem Grafen die Hand entgegen, die dieser küßte.
»Mußt mir halt auch manchmal meinen Willen lassen,« sagte der König lachend, und die Audienz war beendet.
Graf Coriolani überschätzte keinen Augenblick die Folgen dieser gnädigen Abweisung seines Entlassungsgesuches.
Zu deutlich hatte der König erkennen lassen, daß er gewillt war, anderen Einflüssen den Zugang offen zu halten. Da war auch gegen die Zerpa nichts mehr zu unternehmen, sofern man sich eben nicht mit jenen anderen Mächten verbündete. Während der ganzen Audienz hatte Coriolani an die Gräfin gedacht. Die bläuliche Gesichtsfarbe des Königs, das Geräusch seines Atems boten Anlaß dazu. Wenn er jetzt blieb, fühlte er sich verpflichtet irgend etwas in dieser Richtung zu unternehmen, denn er hatte ganz besonders deshalb seine Entlassung erbeten, weil er sich außerstande sah, des Kronprinzen Auftrag zu erfüllen. Im Lager Rogers und Clara Eugeniens wäre er gewiß als Bundesgenosse willkommen gewesen, aber es fragte sich erst, ob man dort sich gar so lebhaft für die Zerpa interessierte, wohl aber mochte man ihm mancherlei zumuten, wozu er keine Neigung besaß, oder man mißbrauchte ihn hinter seinem Rücken. Da kam er mehr und mehr auf den Gedanken, daß sich's eigentlich versuchen ließe, bei der Gräfin Zerpa selbst einige Andeutungen anzubringen. Er hatte zwar schon lange nicht mehr mit ihr verkehrt, sie mochte vielleicht eine instinktive Eifersucht gegen ihn hegen, aber sie war doch eine kluge Frau.