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Pastorin Menke war gegangen; zum Schlusse hatte sie ihr wahres Gesicht gezeigt. Auseinandersetzungen häßlichster Art waren es, die zwischen der Scheidenden und dem jungen Geistlichen stattfanden; die Witwe machte allerhand Forderungen geltend, die ihr angeblich aus der Wirtschaftsführung noch zukamen. Von mehreren Stücken, die Gerland als Inventar des Pfarrhauses übernommen hatte, behauptete sie, daß sie ihrem verstorbenen Gatten persönlich zugehört hätten. Gerland, in geschäftlichen Dingen unbewandert, zog bei diesen Verhandlungen natürlich den kürzeren.
Sie hatte die Stirn, auch noch die unschuldig Gekränkte zu spielen; Gerland hätte ihr den Stuhl vor die Thüre gesetzt, sprengte sie aus, treibe sie, die Verlassene, ohne jeden Anlaß aus dem Hause, wo sie glückliche Jahre an der Seite des geliebten Gatten verbracht hatte. – Gerland merkte es an den Mienen und einzelnen versteckten Bemerkungen seiner Beichtkinder, daß die Sympathieen auf seiten der Witwe seien. Man zieh ihn der Härte und Grausamkeit.
Was konnte er gegen den ungerechten Verdacht thun? Sollte er hintreten und öffentlich erklären, was sich in einsamer Nachtstunde zwischen ihm und der Frau zugetragen? – –
Er atmete daher auf, als sie endlich abgezogen war. Ihr Abschied vom Pfarrhause fand unter starkem Zulaufe statt. Es schien fast, als wollte man demonstrieren. Der junge Gutsbesitzer Finke war mit Frau und Anhang erschienen und hatte mehrere Wagen mitgebracht.
Schwarz gekleidet, das Taschentuch vor den geröteten Augen, so schwankte die Witwe, von zwei Freundinnen gestützt und von einem kleinen Zuge Bekannter gefolgt, zum letzten Male vom Pfarrhause nach dem Gottesacker, wo sie sich auf dem frisch bekränzten Grabe des Seligen niederwarf und ihrem Witwenschmerze Ausdruck gab.
Dann fand in drei Geschirren die Abfahrt statt, nach der Kreisstadt.
Gerland behielt das Mädchen, welches bereits unter der Pastorin gedient hatte, im Hause. Freilich um sein tägliches Brot war es von jetzt ab traurig genug bestellt. Aber wenn auch sein Magen hin und wieder knurrte, einen guten Mittagstisch wollte er doch nicht um den Preis seiner Ruhe erkaufen.
* * *
Jetzt, nachdem er sich völlig hergestellt fühlte, dachte Gerland daran, seine Freunde in Annenbad aufzusuchen.
Eines Morgens machte er sich zeitig auf den Weg. Über Brettendorf lag noch dichter Nebel. Strohdächer, Holzgiebel und die Kronen der Obstbäume ragten aus weißem Dunste hervor. Es hatte zum ersten Male gefroren in der vergangenen Nacht; er erkannte es an den Georginen, welche Häupter und Blätter trauernd hängen ließen. Über dem Grase lag Reif. Als er an der Scheune des Kirchbauers vorüberschritt, ertönte von der Tenne her der Dreitakt des Dreschflegels. – Die Sonne hielt sich hinter Schleiern, die Berge waren verdeckt durch niedriggehende Wolken. Nebelschwaden lagen über den braunen Äckern und grauen Stoppeln.
Hier und da waren Leute auf den Feldern beschäftigt, Männer hinter dem Pfluge. »Hotte ho!« klang es eintönig durch den Nebel zu dem Wanderer auf der Landstraße herüber. Einzelne dreiste Krähen und Dohlen folgten der Pflugschar in der frisch aufgeworfenen Furche.
Nach zweistündigem Marsche etwa kam Gerland an eine Wegteilung. Unter drei alten Lindenbäumen stand hier ein Erlöserbildnis, ein buntgemalter Holzkorpus mit goldglänzendem Heiligenscheine. Die rotblutende Wunde in der Seite, fehlte nicht.
»O Mensch, bedenk' das Ende,
Bedenke das Gericht,
Es müssen alle Stände
Vor Jesu Angesicht. –«
stand darunter zu lesen.
Aus den Feldgemarkungen kam der Geistliche in waldiges Gelände; stundenlang kein Dorf, kein Haus am Wege. Der Wald legte schon sein buntes Herbstkleid ab; Ahorn, Birke und Linde waren kahl, nur die Steineiche hielt ihre braunen verdorrten Blätter mit mannhafter Zähigkeit fest. Eichelhäher waren in großer Schar thätig, flogen dreist und neugierig neben dem Wanderer her, von Baum zu Baum.
Dann kam eine nebelumhangene Wiesenmulde, auf schwarzem Moorboden spärlicher Gras- und Binsenwuchs; hier und da die Rasennarbe abgeschält und der Torf zu Haufen geschichtet, an einem dunklen, träge fließenden Wasser lüderliche Erlenstümpfe. Eine öde, erbärmliche Landschaft, erstorben, trostlos, als sei niemals Sommer gewesen und als könne niemals wieder Frühling sein.
Gerland fühlte sich angesteckt von der Melancholie der Umgebung. Schwer und trübselig schlichen seine Gedanken am Boden hin, wie die grauen Nebelstreife. –
Gott sei Dank! Endlich lüftete sich der Schleier ein wenig; ein gelber, mattglänzender, braunumränderter Fleck am Himmel ließ ahnen, wo die Sonne stehe. Frischer Wind strich über die Höhen, die Bergketten wurden frei; der Ort da unten im Thale mit den beiden Kirchen war Annenbad. –
Eine Stunde darauf saß Gerland auf bequemem Lederstuhle vor einem guten Frühstück, ihm gegenüber die Frau Pastorin von Annenbad; Polani war ausgegangen in Amtsgeschäften.
Sie waren beide befangen gewesen beim Wiedersehen, Gerland und die Frau.
Man suchte sich darüber durch vieles Sprechen hinwegzuhelfen. Sie erzählte von der Badesaison, die vorbei sei, und dem langweiligen Winter, der nun vor der Thür stehe; dann plötzlich, ziemlich unmotiviert, begann sie vom Grafen Mahdem. Halb und halb suchte sie sich über ihn lustig zu machen, und Gerland entsann sich doch sehr wohl, wie ihr die Aufmerksamkeit des Magnaten gefallen hatte. –
Alles was sie vorbrachte, machte einen schiefen, gesuchten Eindruck, das schien sie auch selbst zu empfinden.
Er begriff heute nicht, daß sie jemals Eindruck auf ihn hatte hervorbringen können. Er stand nicht mehr unter dem Banne ihrer dunklen Augen; der Rausch, den das Gefühl ihrer Nähe bei jener abendlichen Fahrt ihm erregt, war verflüchtigt.
Seine Stellung zum Weibe hatte sich verändert, ohne daß er sich selbst Rechenschaft über diese Wandlung gegeben. Der geheimnisvoll duftige Zauber, den jedes weibliche Wesen bisher für ihn gehabt, war zerstört. Seit er sich selbst in der Versuchung besiegt hatte, fühlte er sich überlegen in seiner Männlichkeit; sein Sinn war ernüchtert und sein Auge dem andern Geschlechte gegenüber geschärft.
Sie führte ihn diesmal nicht in ihren Salon. Man blieb im Eßzimmer am gedeckten Frühstückstisch sitzen, sie mit einem elegant gebundenen Buche in der Hand, in dem sie spielend blätterte.
Gerland empfand, daß es auf die Dauer ermüdend wirke, mit ihr zu sprechen; wenn sie es auch nicht an Worten fehlen ließ, so gab sie doch ungemein wenig Gedanken. Er mußte unausgesetzt neuen Stoff zu Tage fördern, damit das Bächlein der Unterhaltung nicht ganz zum seichten Rinnsale werde.
Um etwas zu sagen, fragte Gerland, was für ein Buch sie da in der Hand halte. Sie reichte ihm das goldverzierte Bündchen hin: »Auf Gottes Wegen«. –
»Graf Mahdem hat mir das geborgt,« erklärte sie. »Ist es nicht schön, daß sich ein solcher Herr so für das Religiöse interessiert?«
Ihn reizte es, zu erfahren, wie sie selbst zur Religion stehe.
Sie sei religiös, erklärte sie, und bete viel. Sie könne nicht einschlafen, ohne ihr Gebet gesprochen zu haben, und jeden Morgen lese sie ihre Andacht. Nicht gebetet, das komme ihr so vor, als ob man sich nicht gewaschen habe; es seien ja auch nur die »ganz schlechten und ordinären Menschen«, die nicht glaubten.
Ihr seichter, dünkelhafter Positivismus war unausstehlich. Unwillkürlich drängte sie ihn in die Opposition. Er rief ihr zu: der könne überhaupt garnicht vom Glauben sprechen, der nicht einmal völlig am Glauben verzweifelt sei.
»Aber was sind Sie denn eigentlich für ein Geistlicher!« meinte sie ehrlich entsetzt. »Sie sprechen ja wie ein Heide.«
Er mußte lächeln und meinte, so schlimm sei es nicht.
Ob er vielleicht der »Ritschelschen Richtung« angehöre, fragte sie, offenbar nicht wenig stolz, daß sie von der Existenz dieser Theologenschule etwas wisse.
Schulen und Richtungen gäbe es überhaupt nicht für ihn, erklärte er; für ihn gäbe es nur das Evangelium Jesu Christi.
»Nun, dann sind Sie ja also fromm; das freut mich! Was Sie vorhin sagten, klang sehr liberal. – Wissen Sie, eigentlich spreche ich mit meinem Manne nie über Religiöses – ist das nicht sonderbar?« –
Gerland bestätigte, daß dies in der That merkwürdig genug sei; über diese größte aller Fragen müsse man sich, so denke er, zwischen Eheleuten doch am allerersten auseinandersetzen.
»Ach – wissen Sie – das ist beim Verheiratetsein ganz sonderbar« – sie blickte von Gerland weg – »in vielen Dingen bleibt man sich fremd. – So zum Beispiel, wie wir beide jetzt gesprochen haben, könnte ich mich mit meinem Manne nie unterhalten – das wäre ganz unmöglich.«
Er schwieg betroffen. Sie hatte das viel ernster gesagt, als alles, was er je zuvor von ihren Lippen vernommen.
Ihr Mund zuckte; sie bewegte die Lippen, als wolle sie etwas sagen, er sah gespannt weiteren Eröffnungen entgegen. Aber dann, als habe sie ihren Sinn geändert, sprang sie auf ein gleichgiltiges Thema über, und überließ ihn seinen Vermutungen über den verborgenen Sinn ihrer Worte. –
Nachdem er so eine Stunde und mehr mit ihr verplaudert, bat er sich Urlaub aus; er habe noch einen Besuch im Orte vor.
Wen er in Annenbad besuchen wolle, fragte sie neugierig. Geringschätzig zuckte sie die Achseln, als sie hörte, daß es nur Diakonus Fröschel sei.
* * *
Auch den Diakonus traf er nicht zu Haus an: aber die ältere Dame, welche ihm öffnete, erklärte, wenn er Pfarrer Gerland von Breitendorf wäre, so sei sie ermächtigt, ihn anzunehmen. Ihr Sohn habe ihr eingeschärft, den Herrn Pastor auf keinen Fall fortzulassen, falls er selbst nicht zu Haus sei.
Sie bat ihn, ins Zimmer zu treten.
Das Quartier machte, besonders nach dem Polanischen gesehen, den Eindruck der Enge und Ärmlichkeit.
Die alte Dame nahm auf einem verschossenen Sofa Platz, das vor einem runden Tisch mit weißer Decke stand. Schmuck und Luxusgegenstände fehlten vollständig. Keine Blumen, keine Nippsachen, nicht einmal ein Spiegel war vorhanden, doch hingen einige Stiche in einfachen Rahmen an den Wänden: Geburt, Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt darstellend. Außerdem wurden die grau und grünen Streifen der Tapete nur noch durch eine Anzahl schwarzer Pappvierecke unterbrochen, auf denen in goldenen Buchstaben Bibelsprüche zu lesen. Über einem niederen Betpulte erhob sich ein hölzernes Kruzifix mit weißem Elfenbeinkorpus. Bibel, Gesangbuch und einige andere stark abgegriffene Bücher lagen auf der Pultplatte, mit mannigfachen Buchzeichen versehen.
Schnell erfaßte Gerlands Blick den Gesamteindruck dieses Zimmers, und mit verdoppeltem Interesse betrachtete er die Erscheinung der Frau, die in solcher Umgebung hauste.
Fröschels Mutter war eine mittelgroße, hagere Frau mit ausdrucksvollen Zügen. Ähnlichkeit mit dem Sohne konnte auf den ersten Blick vielleicht nur in der starken, gewölbten Stirn und den tiefliegenden Augen gefunden werden. Die Gesichtsfarbe war gleichmäßig pergamentfarben, das Haar beinahe ganz ergraut.
Sie trug ein dunkles, anliegendes Kleid vom einfachsten Schnitt und als einzigen Schmuck ein Metallkreuz.
In dieser Erscheinung lag nichts, was auf frühere Anmut hätte schließen lassen, aber sie war in ihrer ernsten Schlichtheit voll Würde; die straffe Haltung der Sechzigerin, die gemessene Sicherheit des Auftretens, hatten etwas Imponierendes.
Die Unterhaltung wandte sich naturgemäß auf den abwesenden Sohn. Sie halte darauf, daß er sich Bewegung mache, erklärte sie – er brauche Bewegung als Gegengewicht für seine angestrengte geistige Thätigkeit. –
Die Gewähltheit ihrer Sprache fiel Gerland auf, und doch lag nichts Gesuchtes in ihren Worten. Er begriff, daß er eine Frau von Bildung und Urteil vor sich habe; unwillkürlich nahm er sich in dem, was er äußerte, besonders zusammen. Der Eindruck, den er hervorbringen würde, konnte ihm nicht gleichgiltig sein, einer solchen Persönlichkeit gegenüber.
Man kam auf den Studiengang ihres Sohnes zu sprechen; Gerland fand sie erstaunlich wohlunterrichtet über das theologische Handwerkszeug. Sie sprach, als sei der Umgang damit ihre alltägliche Beschäftigung. Der Geistliche konnte nicht umhin, ihr sein Erstaunen auszudrücken. Es war das erste Mal, daß er ein Lächeln ihre ernsten Züge beleben sah. Und mit diesem halb melancholischen, halb ironischen Zucken der Mundwinkel, sah sie auf einmal dem Sohne sehr ähnlich.
Eigentlich könne sie von sich sagen, daß sie mit ihrem Moritz um die Wette Theologie studiert habe.
Gerland fand, daß sie nicht müde wurde, von ihm zu sprechen. Alles, das Kleinste, was auf ihn Bezug hatte, schien von Interesse für sie zu sein. Sie erwähnte gelegentlich, daß Moritz sehr anerkennend von Gerland gesprochen habe; die bedeutsame Art und Weise, wie sie das vorbrachte, bewies, daß sie dies im Grunde für das größte Lob halte, das einer Person zu Teil werden könne. – Sie sprach von seinen Angewohnheiten und Liebhabereien, citierte einige Aussprüche, die er gethan hatte. Die mütterliche Zärtlichkeit verlieh selbst dem Belanglosen einen gewissen Wert. Gerland konnte zwischen den Worten lesen, daß der Sohn ihr Stolz und ihre Wonne sei. Gelegentlich erwähnte sie auch, daß sie noch nie für lange Zeit von ihm getrennt gewesen – selbst als er die Universität besucht, hatte er bei ihr gewohnt.
Endlich erschien der Liebling der Mutter in eigner Person. Sein schlecht gepflegtes Äußere und seine nachlässigen Manieren fielen Gerland heute ganz besonders auf, im Vergleiche zu dieser Frau, welche die Akkuratesse und Korrektheit in Person schien. Unrasiert, mit einem schäbigen Überzieher angethan, trat er ins Zimmer, warf den Hut auf einen Stuhl, riß den Paletot ab – alles, noch ehe er Gerland begrüßt hatte. Als er dem Gaste schließlich die Hand reichte, hatte sein Gruß etwas Spöttisches: »Sie sind hier!« meinte er.
»Du hast dich doch nicht erkältet, Moritz, in dem dünnen Überzieher?« forschte die Mutter mit besorgter Miene.
»Laß deine Hände fühlen – ganz kalt – du mußt etwas Warmes zu dir nehmen.«
Er widersprach lebhaft.
»Ich mache dir Glühwein – Herr Pfarrer Gerland nimmt vielleicht auch ein Glas an.« – Damit verschwand sie.
»Nun, was sagen Sie eigentlich zu meiner Mutter? fragte der Diakonus in dem geringschätzigen Tone, der Gerland niemals ganz echt an ihm erschienen war.
»Zunächst einmal halte ich sie für eine sehr kluge Frau.«
»Das ist sie.« –
»Und eine wirklich tiefe, umfassende Bildung scheint Ihre Frau Mutter zu besitzen.«
»Die besitzt sie. Ist Ihnen vielleicht aufgefallen, wie wenig dieser außergewöhnliche – für eine Frau außergewöhnliche – Bildungsgrad dabei ihr Wesen beeinflußt hat?«
»Um das beurteilen zu können, kenne ich Ihre Frau Mutter doch zu kurze Zeit.«
»Hm! – Nun, ich kann Ihnen versichern, sie ist dieselbe geblieben, die sie immer gewesen. Sehen Sie, das ist der Unterschied: wir Männer formen unsere Weltanschauung gemäß der geistigen Atmosphäre, in der wir leben. Es ist eine Art physikalischer Prozeß – verstehen Sie! Die geistige Nahrung, die wir zu uns nehmen, wird umgesetzt und bildet die Struktur unseres inneren Menschen. Bei den Frauen ist das etwas anderes. Hat Ihnen meine Mutter erzählt, daß sie mit mir studiert hat?«
»Meine Kolleghefte hat sie abgeschrieben und durchgearbeitet; um die Wette mit mir hat sie exegetische Übungen gemacht – alles aus Passion. Philosophie und Metaphysik hat sie getrieben. Schleiermacher, Hegel, Feuerbach, ja sogar Schopenhauer haben wir gelesen – und meine Mutter hat diese Schriften begriffen. – Und nun, bitte, sehen Sie sich einmal hier um;« – er wies auf die Bilder der Auferstehung und Himmelfahrt – »die Frauen besitzen eben die Kunst, nur soweit zu verstehen, wie sie verstehen wollen. Was sie nicht zu sehen und zu hören wünschen, das fließt wie Wasser an ihnen ab – sie schütteln sich und sind die Alten. Die Frauen, glauben Sie mir das, sind glücklicher organisiert als wir, die wir uns einwühlen in Fragen, bis wir nicht mehr vorwärts noch rückwärts wissen.« –
Gerland lag die Frage auf der Zunge, wie sich die Mutter zu dem religiösen Freisinn des Sohnes stelle. Aber er hatte noch von neulich her Fröschels Verhalten vertraulichen Fragen gegenüber im Gedächtnis. So unterdrückte er das.
Er meinte nur, ein solches Verhältnis zwischen Mutter und Sohn erscheine ihm beneidenswert.
»Eine rührend gute Mutter ist sie – da haben Sie recht,« erklärte Fröschel mit ernst nachdenkender Miene, der jeder ironische Zug fehlte.
»Sie spricht mit der größten Liebe und Bewunderung von Ihnen.«
»Ach, hat sie Ihnen von mir vorgeschwärmt? Konnte ich mir ja denken!«
»Wie gut Sie es haben mit solch einer Mutter! Stets eine Stätte zu wissen, wo man all seine Sorgen hintragen kann – alles durchsprechen mit einer klugen Frau – alle Zweifel –«
Fröschel unterbrach ihn mit einer gewissen Hast. »Ja ja – das ist sehr schön – gewiß! – Meine Mutter verpflegt mich wundervoll, wie exemplum zeigt. –«
Die Mutter erschien mit einem Brette, auf dem dampfende Gläser standen.
Gerland blieb bei Mutter und Sohn, so lange es ihm sein Versprechen, im Pfarrhause zu Mittag zu speisen, erlaubte. – – –
Polani empfing ihn in seinem Studierzimmer. Die Pastorin war noch bei der Toilette.
»Sie kommen von meinem Diakonus, lieber Amtsbruder,« rief ihm Polani entgegen. »Ich freue mich, daß Sie sich zu dem jungen Manne halten – sich nicht durch seine Eigenheiten abstoßen lassen.« –
Gerland sprach von der Mutter unter dem starken Eindruck, den sie auf ihn gemacht.
Polani nannte sie eine »erprobte Christin«. – »Ich hoffe, sie wird den Sohn auf den rechten Weg führen; der junge Mensch steht in der gewissen Krise, die wir Theologen ja mehr oder weniger alle durchgemacht haben. Auch er wird, denke ich, noch zu positiven Anschauungen kommen.« –
Polani wußte allerhand über die Vorgeschichte der verwitweten Frau Fröschel zu berichten. Sie war Erzieherin gewesen und hatte erst in vorgerücktem Alter geheiratet – aus Neigung, wie es schien; wenigstens hatten sie lange auf einander gewartet. Beide waren im Lehrfach thätig gewesen, er als Mathematiker. Später, nachdem ihnen der Sohn geboren, hatten sie zeitweise getrennt gelebt. Der Hauptgrund ihrer Uneinigkeit sei Meinungsverschiedenheit auf religiösem Gebiete gewesen.
Gerland interessierten diese Nachrichten aufs höchste; er hätte gern noch mehr in Erfahrung gebracht.
Aber jetzt erschien die Frau des Hauses. »Ach sprecht doch nicht schon wieder von diesen unausstehlichen Fröschels – das ist ja langweilig!« unterbrach sie das Gespräch.