Wilhelm von Polenz
Wald
Wilhelm von Polenz

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X.

Mit Oberförster Seltmann sollte Rüstädt nur allzubald zusammenkommen.

Der Oberförster hatte eine Versammlung sämtlicher Förster der Umgegend einberufen, um zu beraten, was 152 gegen die neuerdings wieder frecher denn je auftretende Wilddieberei geschehen solle.

Auch Rüstädt folgte der Aufforderung, aber er sah der Begegnung nicht gerade mit angenehmen Erwartungen entgegen. Auf den ersten Blick erkannte er, daß Seltmann nicht mehr unbefangen sei. Von der biederen Offenheit, mit der ihm der Oberförster ehemals begegnet, war heute keine Rede. Die Begrüßung der beiden Männer fiel steif und frostig aus.

Dem Major war es fast lieb so. Der Groll des Mannes schien ihm leichter zu ertragen als seine Freundlichkeit. Nichts hatte ihn bisher bei dem ganzen Handel so gedemütigt als die Notwendigkeit, dem Gatten gegenüber erlogene Zuvorkommenheit aufrecht zu erhalten.

Rüstädt entfernte sich aus der Versammlung, so früh es irgend angängig war, um dem Alten das Peinliche seiner Anwesenheit zu ersparen. Daß die andern Forstleute ihm das wahrscheinlich als Hochmut auslegen würden, nahm er mit in Kauf. War man doch so wie so nicht gut auf ihn zu sprechen, weil er nicht von der Pike auf gedient hatte. Wahrscheinlich mißtraute man auch dem Aristokraten, hielt ihn wohl gar für einen Streber, der Carriere machen wollte. Nun, das konnte Rüstädt nicht ändern; mit der Zeit würden ihn die Leute schon besser kennen lernen.

Bei jener Versammlung waren energische 153 Maßregeln beschlossen worden. Die Wilddiebe kamen von jenseits der Landesgrenze. Es war ihnen besonders schwer beizukommen, da jede Verfolgung aufhören mußte, sobald sie sich und ihre Beute ins neutrale Gebiet gerettet hatten.

Regelmäßige Patrouillengänge entlang der Grenze waren verabredet worden. Ein Förster sollte den andern auf seinem Jagdgebiet unbeanstandet Durchgang gewähren. Ein Kennwort ward ausgegeben, Hilfs- und Alarmsignale wurden ausgemacht.

Die ganze Jägerei der Gegend befand sich in Alarmzustand. Seltmann, als der älteste und angesehenste Weidmann weit und breit, hatte die Führung in diesem Feldzuge im Kleinen übernommen.

Auch Rüstädt widmete sich der Sache mit Eifer. Er wollte den Andern zeigen, daß er würdig sei, das grüne Kleid zu tragen. Er erkannte hierin einen Appell an seine Unerschrockenheit. Der Offizier in ihm war erwacht.

Er machte fleißig Rundgänge in seinem Forste. Nichts Verdächtiges zeigte sich. Wohl aber waren auf einem andern Revier bereits Schüsse gewechselt worden zwischen Wilderern und Förstern, ohne Ergebnis.

Der erste starke Schneefall trat Mitte November ein. Am frühen Morgen schon fand er Rüstädt auf den Beinen, der den hochwillkommenen Spurschnee ausnutzen wollte, um Fährten zu untersuchen. Fuchs, 154 Marder, Iltis und andres Raubzeug schienen in Überzahl vorhanden, so daß er beschloß, Fallen aufzustellen.

Als er von seiner Streife durchs Holz auf den Hauptweg kam, der nach seinem Hause führte, fielen ihm im Schnee menschliche Fußspuren auf. Man war da vor kurzem gegangen; die Spur war noch ganz deutlich. Es war ein kleiner Fuß, wie von einem Kinde oder von einer Frau. Wahrscheinlicher war das letztere, denn an einigen Stellen hatten die Röcke geschleppt.

Rüstädt verfolgte diese Fußstapfen voll Spannung; ein beunruhigender Verdacht hatte sich seiner bemächtigt. Die Spur führte zum Waldrand an eine Stelle, von wo aus, tiefer im Gelände, das Mönchsroder Forsthaus zu erblicken war. Dort war man stehen geblieben – ein runder Fleck zeigte sich ausgetreten im Schnee –, dann war man umgekehrt und über den Berg in der Richtung nach dem Quellenhayner Forst zurückgegangen.

Also hier hatte sie gestanden und nach seinem Hause hinabgeblickt! Vielleicht war es nicht das erste Mal gewesen. Nur der frisch gefallene Schnee war zum Verräter geworden.

Rüstädt erschrak in innerster Seele. Diese kleine Fußspur im tiefen Schnee redete eine deutliche Sprache zu ihm.

155 Alle seine Annahmen waren also falsch; sie hatte ihn nicht vergessen, sie wollte nicht von ihm lassen. Und würde sie sich begnügen, hier am Waldrande zu stehen und sehnsuchtsvolle Blicke nach seinem Hause zu schicken? Wie er die Frauen kannte, nicht! Eines Tages würde sie von neuem vor ihn treten mit ihrem verhängnisvollen: »Was wird aus mir?«

*

Am nämlichen Abend, als Rüstädt in seinem Armstuhle saß, darüber nachsinnend, wie er nach dieser Entdeckung sein Verhalten einrichten wolle, hörte er plötzlich durch die Nachtstille einen Ton hallen, der ihn auffahren machte: ein Schuß, wenn auch in weiter Ferne.

Er sprang ans Fenster, öffnete es und lauschte in die Nacht hinaus. Ein zweiter Schuß fiel; diesmal hatte er genau die Richtung feststellen können.

Er überlegte: sollte er zu einem seiner Kollegen gehen und sich mit ihm vereint auf die Suche nach dem nächtlichen Schützen machen? Er hatte es weit bis zum nächsten Forsthause. War es seiner nicht würdiger, die Sache allein auszuführen? Einen Augenblick nur schwankte er, dann hatte er auch schon seinen Drilling in der Hand, und damit hinaus.

Die Nacht war windstill und mondklar, dazu 156 leuchtete der Schnee, so daß man hätte meinen können, es sei heller Tag.

Rüstädt schritt, ohne einen Weg anzunehmen, quer durch den Wald, bergan, in der Richtung der vernommenen Schüsse. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und lauschte mit gespannten Sinnen nach jedem Laut, sorgfältig bedacht, selbst so wenig als möglich Lärm zu machen.

Über eine Stunde war er schon so gegangen, ohne das geringste Verdächtige entdecken zu können.

Seine Gedanken, anfangs ganz bei der Sache, fingen an, sich Anderem zuzuwenden. Eine leichte, beinahe freudige Laune kam über ihn. Es ist schwer, sich der eigenartigen Stimmung zu entziehen, die der Mondschein im Walde ausübt. Alles ist wie verzaubert. Das grelle Licht rückt die Dinge so nahe an uns heran, das Dunkel erscheint dunkler und das Geheimnisvolle geheimnisvoller. Jeder Spuk mag in solcher Nacht glaubhaft erscheinen. Mehrmals meinte er in einem ungewöhnlichen Stein oder Strauch eine verdächtige Gestalt zu erkennen; ja, das eine Mal war er seiner Sache ganz sicher: dort stand ein Kerl mit angelegter Büchse. Schließlich war es ein harmloser Baumstumpf, der ihm das Herz hatte schneller klopfen machen.

Rüstädt malte sich aus, wie es sein würde, wenn er von Wilderern überfallen worden und auf dem Platze geblieben wäre. Er war bei seinem eignen 157 Begräbnis anwesend, hörte die Grabrede und fühlte sich plötzlich von aufrichtiger Trauer und innigster Rührung erfaßt, als habe er soeben einen guten Freund begraben. Wie wenig Menschen gab es doch schließlich, denen sein Tod etwas bedeutet hätte, die ihn ernstlich betrauern würden! Wie allein war man doch in der Welt, wie furchtbar allein!

Und mit einem Male waren seine Gedanken bei Anna, – er wußte selbst nicht, wie das kam. Sie war ihm wunderbar nahe, als schreite sie neben ihm, als halte er ihre Hand in der seinen, wie einst. O, wie er sie in diesem Augenblicke liebte, aus seiner Vereinsamung heraus. Was war das Leben, wenn man nicht das Bewußtsein hatte, wenigstens einem Mensch anzugehören? Es war Unsinn, alles Unsinn, was er sich da vorgeredet hatte, daß sie ihm gleichgültig geworden sei. Wenn er sie jetzt hier gehabt hätte, wie wären alle Gründe der Vernunft verflogen, mit denen er sich hatte festmachen wollen! Er dachte an seine Entdeckung vom Morgen; in ganz andrer Beleuchtung erschien sie ihm jetzt. Also im Schnee hatte sie gestanden um seinetwillen! Er sah sie ordentlich vor sich, von einem Fuße auf den andern tretend, unschlüssig, sich nicht getrauend, zu ihm hinabzugehen. Vielleicht saß sie jetzt noch auf drüben im Quellenhayner Forsthause und dachte seiner. Er erwärmte sich an dem Gedanken.

Inzwischen war er auf den Bergkamm und damit 158 an die Grenze seines Reviers gekommen. Hier begann die Fuchslehde, jener Streifen Ödland, auf welchem Unkas verendet gefunden worden war.

Rüstädt machte Halt, vor ihm lag eine Lichtung; gegenüber das Fichtendickicht war bereits Quellenhayner Revier. Weiter wollte er nicht gehen. Es war ja doch aussichtslos, auf ein paar ferne Schüsse hin einen ganzen großen Wald abzusuchen.

Während er noch stand, hörte er auf einmal ein Knacken, wie wenn auf einen dürren Zweig getreten worden sei. Da – noch einmal! Es kam von jenseits der Lichtung, aus den Fichten. War es Tier oder Mensch?

Rüstädt glaubte das eigne Herz schlagen zu hören; er umfaßte den Lauf seines Gewehres fester, überlegend, daß er durch den Mond, der gerade über ihm stand, gutes Büchsenlicht habe.

Die dunkle Masse der Zweige ihm gegenüber teilte sich an einer Stelle, zwei Männer traten hintereinander auf den halberleuchteten Platz heraus. Einen Augenblick machten sie Halt und schritten dann quer über die Lichtung.

Als das volle Mondlicht ihre Gestalten traf, erkannte sie Rustädt; es war Oberförster Seltmann, begleitet von Schrupper, der den Schweißhund an der Leine führte.

Rüstädt überlegte, ob er sie ruhig vorbei lassen solle. Aber Findig hatte bereits Witterung von ihm 159 bekommen und schlug an. Sofort sprangen beide Männer, die eben den Hochwald erreicht hatten, jeder hinter einen Baum und gingen in Anschlag. Da rief Rüstädt das Kennwort und trat aus seinem Versteck hervor. Der Oberförster antwortete mit dem Kennwort und kam vor, noch nicht ahnend, mit wem er es zu thun habe. Rustädt lüftete grüßend den Hut, wobei ein Mondstrahl über sein Gesicht fiel. Der Oberförster machte jäh Halt.

So standen sie eine Weile und blickten einander an, Gewehr im Arm, so nahe, das jeder das Auge des andern erkennen konnte. Keiner sagte etwas. Dann machte der Oberförster Kehrt und ging fort.

Rustädt blieb stehen, völlig überwältigt von dem eben Durchlebten. Findig drängte sich an ihn heran und sprang, den alten Freund wieder erkennend, freudig bellend an ihm in die Höhe.

Dann kam auch Schrupper und erzählte: etwa in der elften Stunde hätten sie zwei Schüsse gehört und seien aufgebrochen, um den Wildschützen beizukommen. Mit Hilfe des Hundes hätten sie auch Anschuß und Schweiß gefunden, aber leider zu spät. Die Spuren führten nach der Landesgrenze; den Spitzbuben war es also wieder einmal geglückt, sich und die Beute in Sicherheit zu bringen.

Der Oberförster pfiff dem Hunde, der sofort folgte, und auch Schrupper ging seinem Herrn nach.

160 Langsam schlug Rüstädt den Heimweg ein, tief in Gedanken. Er wurde das Bild nicht los: Annas Gatte ihm gegenüber, Gewehr im Arm, ihn mit dem scharfen Weidmannsauge musternd. Selbst für den Mutigsten hat es etwas tief Beunruhigendes, das Bewußtsein, einen Todfeind zu haben.

 


 


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