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Eine Vernunftehe.

Die Lampe war herabgebrannt; ihr Licht erhellte nur noch mit einem trüben Schein das große, elegante Gemach. Die Frau, die neben diesem Tische in einem Lehnstuhle saß, bemerkte es nicht. Ueber eine Stickerei gebeugt, arbeitete sie mit stiller Rastlosigkeit weiter, trotzdem ihre Augen die feinen Contouren des Musters kaum zu erkennen vermochten. Nur als vom nahen Thurme zwölf schwere, dumpfe Glockenschläge durch die Nacht hallten, fuhr sie einen Augenblick empor und ihr müdes, blaßes, verblühtes Gesicht richtete sich mit einem ängstlich aufgeregten Ausdrucke horchend nach der Thür des Vorsaales. Doch Alles blieb still. Kein Schritt erscholl. Im nächsten Moment saß die Frau wieder in ihrer früheren Versunkenheit und arbeitete mit derselben fieberhaften, unbewußten Emsigkeit weiter.

War es eine eifersüchtige Gattin, die den lange zögernden Gemahl erwartete?

Oberst Werfenbach befand sich bei einem Banket, mit welchem das Regiment, dem er angehörte, den Geburtstag seines Inhabers feierte. Derlei Bankete endeten selten vor ein bis zwei Uhr Morgens; es war kein Grund zur Eifersucht vorhanden.

Adelaide Werfenbach fühlte auch keine.

Eifersucht? Es gab eine Zeit, in welcher sie diese Empfindung kannte! Zwar damals freilich nicht, in jenen traumhaft schönen und traumhaft fernen Tagen, da sie zum ersten Male liebte. Denn der schmucke, junge Hußarenofficier, um den es sich handelte, lieferte ihr – gegen die Tradition – nicht den mindesten Anlaß dazu. Er hatte blos Augen für sie. Sie sah damals anders aus, als jetzt. Ihr Teint war frisch, ihre Augen glänzten und ihre Gestalt – noch jetzt schlank und elegant – besaß außergewöhnlich viel Anmuth. Mau nannte sie allgemein ein sehr hübsches Mädchen. Das war nun freilich fünfzehn bis zwanzig Jahre her.

Der Hußarenofficier hatte kein Geld und sie hatte keines; so half ihnen alle Liebe nichts. Die Eltern trennten sie gewaltsam. Zwei Jahre später fiel der junge Mann auf dem Felde der Ehre.

Als Adelaide nicht mehr ganz jung war, öffnete sich ihr Herz einer zweiten Neigung. Ein schöner, geistreicher, vielbewunderter Mann hatte sich ihr genähert. Er schien sich aufrichtig zu ihr hingezogen zu fühlen. Allein es fehlte ihr die Sicherheit, die sie einst in so vollem Maße besessen hatte. Sie traute sich's nicht mehr zu, einen so gefeierten Mann, der die Wahl unter vielen jungen und schönen Mädchen hatte, wirklich und für die Dauer fesseln zu können. Da lernte sie die Qualen der Eifersucht kennen! Vielleicht wurde gerade dadurch das Schicksal herbeigeführt, welches sie gefürchtet hatte. Sie zweifelte an sich, an ihrer Macht; nicht an ihm, an seiner Ehrlichkeit. Aber ihr unverhohlen und bei jeder Gelegenheit hervorbrechendes Mißtrauen verletzte ihn doch; mehr – es belästigte ihn. Verwöhnt und ungeduldig, wie er war, liebte er es nicht, sich belästigen zu lassen, – kurz, auch diese Sache führte nicht zu einem Resultate.

Und wieder vergingen Jahre.

Die einsam wachende Frau ließ zum ersten Male die Arbeit sinken und starrte in die immer trüber brennende Lampe. Sie gedachte jener Jahre; jener still, einförmig, wunsch- und hoffnungslos dahingeflossenen Jahre, die ihr damals so schrecklich dünkten.

Und dann dachte sie daran, wie, kaum mehr erwartet noch ein Freier aufgetreten war. Oberst Werfenbach hatte seine Frau verloren. Obwohl er keine Kinder besaß, fand er doch, daß sein Haus einer Herrin bedürfe; das Essen in den Hotels schmeckte ihm nicht und die kleinen Whistpartien gingen ihm ab, die er häufig bei sich gehabt hatte. Er war nicht mehr jung genug, um sich von Neuem an das vielleicht lustigere, aber jedenfalls weniger bequeme Junggesellenleben zu gewöhnen. Demnach sah er sich um unter den Damen seiner Bekanntschaft. Sein Blick fiel auf Adelaide. Sie war bereits verblüht; aber ihre Erscheinung war distinguirt, sie verstand sich zu kleiden, weil sie Geschmack besaß, und sie hatte eine sehr gute Erziehung genossen. Leider fehlte es ihr an Vermögen; jedoch Herr von Werfenbach, der sich in guten Verhältnissen befand, sah sich nicht darauf angewiesen und wußte zudem sehr wohl, daß er nicht leicht hoffen durfte, ein reiches Mädchen heimzuführen.

Adelaidens noch lebende Eltern geriethen in Entzücken über die Partie. Auch bei Freunden und Verwandten fand sie die vollste Zustimmung. Das gibt ein ganz passendes Paar, hieß es allgemein. Der Oberst war sehr geachtet und angesehen, Adelaidens Ruf fleckenlos. Keines von Beiden besaß hervorstechende Fehler oder Leidenschaften. Auch ihr Alter stimmte gut zusammen; Herr von Werfenbach war ein kleiner, dicker Mann, ein wohlconservirter Fünfziger, Adelaide hatte das dreiunddreißigste Jahr überschritten.

Unter den Freundinnen des Mädchens, selbst unter den jüngeren gab es manche, die sie um den Bewerber beneideten. Mehr noch thaten es die Eltern für ihre Kinder. »Ein so anständiger Gemahl, eine so vortreffliche Versorgung!« riefen sie.

Adelaide selbst zögerte. Der Mann, dem sie zum Altar folgen sollte, war ihr völlig gleichgiltig. Er flößte ihr weder Zuneigung noch Abneigung ein, obwohl sie ihn seit geraumer Zeit kannte.

Sie wußte, daß es seinerseits ebenso war. Sollten zwei einander völlig gleichgiltige, sich innerlich völlig fernstehende Menschen das innigste Band schließen, das es auf dieser Erde gibt? Sollten sie ihr Leben, ihr Schicksal zu Einem machen? Sollten sie sich verpflichten, Freud' und Leid mit einander zu theilen und in allen kommenden Stunden einander nicht zu verlassen?

Allein eben das nennt man ja eine Vernunftheirat.

»Du bist nicht jung, bald wirst Du auch nicht mehr hübsch sein; es ist die höchste Zeit für Dich, eine vernünftige Verbindung einzugehen«, sagte die Mutter bittend und ermahnend. »Dein Vater und ich sind alte Leute, wenn wir heute die Augen schließen, bleibst Du allein und unversorgt in der Welt zurück, während sich Dir jetzt eine hübsche, gesicherte Stellung bietet, die Deinen Verhältnissen durchaus entspricht, und uns die Beruhigung gewährt, Dich unter dem Schutze eines braven Gatten geborgen zu wissen.«

Von all' diesen mütterlichen Vorstellungen war besonders ein Wort tief in Adelaidens Gemüth gedrungen. Das Wort »allein!« Sie erschrak vor diesem Worte. Vor all' den Bildern, die es vor ihrem Geiste heraufbeschwor – und sie entschloß sich vernünftig zu sein.

Die erste Zeit nach diesem Entschlusse verfloß ihr sehr angenehm. Wir können nicht leicht Etwas thun, das alle Welt billigt, worüber unsere Angehörigen, unsere nächsten Freunde sich freuen, ohne ein gewisses Behagen zu empfinden, und wir hören nicht Jedermann von dem »großen Glück« reden, das uns widerfahren, ohne schließlich selbst ein wenig an dieses Glück zu glauben, wenn wir auch vorher nichts davon empfunden haben.

Auf den Wunsch Herrn von Werfenbach's, der sich nach Ruhe sehnte, fand die Hochzeit sehr bald nach der Verlobung statt. Mit einer Art von Beruhigung, wie Jemand, der das Bewußtsein hat, der ihm im Leben gestellten Aufgabe gerecht geworden zu sein, sah das nicht mehr junge Mädchen sich von den Falten des Brautschleiers umwallt. Nur als das kalte Gold des bindenden Ringes ihren Finger berührte, schauerte sie zusammen und wie ein flüchtiger Blitz durchzuckte sie der Gedanke: Alleinsein bedeutet auch – Freiheit!

»Horch! – war das nicht ein Geräusch auf der Treppe? Oeffnete sich nicht die Thür des äußeren Vorzimmers?«

»Nein! …« Adelaide Werfenbach warf die Arbeit weit von sich, stützte beide Arme auf den Tisch und vergrub ihr Antlitz in den Händen.

Wie hatte sie sich bemüht, sich an ihn, vielmehr an das Zusammenleben mit ihm, zu gewöhnen! Und auch er, man mußte es ihm zugestehen, hatte sich dieselbe Mühe gegeben. Aber was half es ihnen?!

»Vielleicht ist ein großer Gegensatz leichter zu ertragen?« murmelte Adelaide. »Man wird nicht beständig daran gemahnt, man kann die Wunde zeitweise mindestens vergessen. Aber wenn jede der tausend Kleinigkeiten, aus welchen das tägliche Leben sich zusammensetzt, euch stündlich, in jeder Minute fast, eure Verschiedenheit vor Augen bringt? Wenn ihr, so lang die Tage sind, niemals einen Gegenstand findet, der in euch dieselben Gefühle weckt, euch zu denselben Gedanken anregt? Wenn eure Wünsche niemals das Gleiche umfassen, eure Hoffnungen sich niemals in der gleichen Richtung bewegen? Wenn ihr euch niemals begegnet, sei's in einem Laute der Freude, sei's in einem Laute des Schmerzes, in einem Ausrufe der Bewunderung oder einem Worte des Tadels? …«

Auch in Ehen, welche Neigung schloß, treten mit der Zeit oft Widersprüche zu Tage. Zahlreiche mitunter, und nicht selten tiefe. Leidenschaft am wenigsten vermag ja genau zu prüfen bei ihren Entscheidungen. Allein, was solchergestalt die Liebe verschuldet, das heilt sie auch. Die Liebe ist ein heiliges Feuer, das auch Ungleichartiges zu verschmelzen, auch Entgegengesetztes zu verbinden vermag. Selbst wenn dieses Feuer im Laufe der Jahre erkalten, ja erlöschen sollte, es hat doch einmal gewirkt! Zwei Menschen haben sich unter seinem Schutze ineinander eingelebt, die Macht der Gewohnheit hilft ihnen weiter.

Aber wo die Liebe nie gewesen ist? … Wer vermittelt da? Wer mildert da die Kanten, wer schleift die Ecken ab, an denen man sich gegenseitig verletzt? Wer gleicht da die Gegensätze aus und öffnet das Herz, den Geist nachsichtsvollem Verständnis der fremden Natur?

Die blasse Frau preßte beide Hände an ihre Schläfen. »O, Welt! O, Menschen! Was umnebelt ihr den gesunden Verstand mit eurer wahnwitzigen Weisheit, dass er die Dinge nicht erkennt, wie sie sind! Gleichgiltigkeit?! – Als ob zwei Menschen in dem intimsten Verhältnisse, das es gibt, gleichgiltig gegen einander bleiben könnten?! …«

»Vielleicht, wenn es ein Mensch gewesen wäre, den ich gar nicht kannte? … Vielleicht, daß dann ein gnädiger Zufall mich ein Wesen in ihm hätte finden lassen, das mein Wesen sympathisch berühren konnte! Vielleicht?!«

»Da ist ein ewig Fremdes euch gegenüber, euch zur Seite! An dem heiligsten Platze unter allen. Eure Natur lehnt sich auf dagegen. Ich habe nichts mit Dir zu schaffen und Du nichts mit mir – warum sind wir beisammen?«

»Aber ihr seid beisammen; – heute – morgen – immer. Auf Lebenszeit verurtheilt. Jedes von euch strebt mit seiner ganzen Kraft nach einer anderen Richtung – dennoch müßt ihr einen Weg gehen. Ihr müßt! Dicht neben einander; ohne je von einander zu weichen!«

»Versucht es doch, gleichgiltig zu bleiben!«

»Und dann!« – die Frau sprang plötzlich auf, wie von Furien gejagt. Mit fliegenden Schritten durchmaß sie wieder und wieder die Länge des Zimmers. Ihr seidenes Gewand knisterte und rauschte, sie hielt sich die Ohren zu, als könne sie dies Knistern und Rauschen nicht vertragen.

Es war für sie längst eine Stunde gekommen, in der sie Muße gefunden, nachzudenken. In dieser Stunde hatte ein häßliches Wort an ihre Ohren geklungen, das sie nie wieder vergaß: »Verkauft! … Verkauft um das tägliche Brot; um die Wohlthat, es nicht selbst erwerben zu müssen in Mühe und Noth; um es reichlicher zu haben als Andere, die sich nicht verkauften!«

Seither senkten sich Adelaidens Augen scheu vor jeder Frau, die ihrem Gatten zugethan war, und vor jedem reinen Mädchen. Seither konnte sie nicht ohne Qual auf den Luxus blicken, der sie umgab.

Es vermochte sie jetzt nicht mehr zu beruhigen, daß sie die Billigung einer gedankenlosen, inconsequenten Menge besaß. Das innere Gesetz verurtheilte sie. Die Achtung vor sich selbst war dahin, die ganze Welt konnte sie ihr nicht wiedergeben.

Gleich einer giftigen Schlange fraß dieses Bewußtsein sich in ihre Seele.

Zuerst versuchte sie die Abneigung zu bekämpfen, die bereits an die Stelle der Gleichgiltigkeit gegen ihren Mann getreten war; sie wollte ihr Herz zwingen, sich ihm zuzuneigen. Allein, wie hätte ihr das gelingen sollen, wo jeder Augenblick neue Dissonanzen zu Tage brachte? – Als sie erkannte, daß es ihr niemals möglich sein werde, ihn lieben zu lernen, dem würdelosen Bande, das sie an ihn knüpfe, Weihe zu geben – da wurde die Abneigung in ihr zum Hasse! So sehr sie auch mit diesem Hasse rang, sie vermochte nichts dawider; je mehr sie ihn unterdrückte, desto tiefer wühlte er sich in ihr Gemüth!

Wie sie jetzt rastlos durch das nachtstille Zimmer wandelte, drückte sie die geballten Fäuste vor die Augen, preßte dann wieder die Hände krampfhaft ineinander oder riß und zerrte an den Spitzen ihres Kleides. Es war ihr, als müßte sie irgend etwas vernichten, irgend etwas zerstören – gewaltsam, mit Anstrengung.

*

Aber auch er fühlte sich enttäuscht. Um seiner Bequemlichkeit willen hatte er geheiratet und nun besaß er eine Frau, die zwar alle ihre Pflichten sorgsam erfüllte, die ihm aber durch ihre, der seinen heterogene Eigenart höchst unbequem war. Allerdings stritten sie nicht miteinander – wenigstens nicht viel, nicht laut und nicht heftig, denn dazu waren sie zu wohlerzogen; ja häufig schwieg Adelaide ganz und in den meisten Fällen war sie es, die nachgab. Aber das verminderte sein Unbehagen nicht. Er war ein zu gutmüthiger Mensch, um sich als Tyrann wohlzufühlen, und wenn er auch ihr allein die Schuld zuschob, störte es doch seine Laune, eine Frau neben sich zu sehen, die täglich mehr an Lebensfrische verlor; die niemals heiter und zufrieden lachte und munter in die Welt blickte, wie einst seine »Selige«. Dennoch aber war er unfähig, in die einmal von ihr geforderte Trennung zu willigen. All' sein Leben lang hatte er nichts so sehr gescheut als den »Scandal«. Niemals hatte er der Welt den mindesten Anlaß zum Gerede gegeben – so mußte es auch bleiben, koste es, was es wolle.

Nie hatte seine Frau ihn so zornig gesehen, als in der Stunde, da sie jenes Wort gewagt. »Was? Meinen ehrlichen Namen willst Du in den Mund der Leute bringen? Und meinst, daß ich es zugeben werde? Nie, so lang ich athme! Was würde der General dazu sagen?! Und das Regiment?! Und Jeder, der mich kennt?! Nein, Wahnsinnige! Mein ganzes Dasein ist correct verflossen – ich will nicht jetzt in meiner Stellung, in meinem Alter einen Gesprächsstoff für die Menge abgeben!«

Dann sich aufgeregt in sein Zimmer zurückziehend, hatte er unter der Thüre noch grollend gemurmelt: »Und wozu habe ich wohl ein zweites Mal geheiratet, wenn ich mich schließlich doch von einer bezahlten Wärterin pflegen lassen soll?« …

Geh' schlafen, Du bleiche Frau! Solches Wachen thut nicht gut! Im Lichte des Tages erträgt sich auch das Schwerste leichter. In der Nacht aber, da flüstern geheimnißvolle Stimmen in jedem Winkel, da rauscht es um das Haus, wie mit Geisterflügeln, da huscht es an den Wänden hin, wie tückische Kobolde, verzerrte Fratzen, da kriecht es an Dein Herz heran, mit unfaßbarem Grausen, daß das arme wild und unregelmäßig aufschlägt gegen die Brust, die es birgt, da gaukelt es vor Deinem Geist hin und her – aufgeregte Gespenster, die Dich fassen, Dich ziehen, Dich treiben – denen Du verfällst – machtlos – rettungslos …

Die Nacht ist keines Menschen Freund. Geh' schlafen!

Aber sie hört die Mahnung nicht! Erschöpft ist sie wieder in den Fauteuil gesunken und hat die Hände vor das Gesicht geschlagen.

Abermals, wie um Mitternacht, weckt sie der Schlag der Thurmuhr, macht sie emporfahren.

»Drei Uhr! – Und er noch nicht da? So spät kam er nie! …« Und dann plötzlich, wie von einer fremden Stimme in ihr gesprochen: »Wenn er gar nicht wieder käme?! …«

Ein Schauer ergriff sie – Entsetzen vor dem Gedanken, vor sich selbst, die ihn denken konnte. Mit einem dumpfen Schrei springt sie von Neuem auf. Erst jetzt wird es von ihr bemerkt, daß Dunkelheit ringsum herrscht, daß die Lampe ausgegangen ist. Angstvoll, zitternd tappt sie auf dem Tische nach den Streichhölzchen – sie fürchtet sich, wie sich ein Kind fürchtet, das schwer geträumt hat und im Finstern erwacht. Das ist die kleine Schachtel, die sie sucht – hastig haben ihre bebenden Finger sie geöffnet. Durch einen Spalt des nachlässig geschlossenen Fenstervorhanges stiehlt sich ein Strahl bleichen Mondlichtes herein; er fällt gerade auf das Schächtelchen in der Hand der Frau, und das Auge der Frau sieht die Phosphorköpfchen darin glimmen und glänzen. Eine Secunde steht sie starr, kalt, regungslos – unverwandt den Blick auf jene leuchtenden Pünktchen gerichtet. Dann zuckt es über ihr Antlitz, ihre Gestalt, wie es über den Gefangenen hinzuckt, der den Schlüssel erblickt, welcher die Thür seines Gefängnisses öffnet!

Im Nu hat sie mit einem der Hölzchen die Kerze entzündet, die vor ihr auf dem Tische steht; im Nu die Köpfchen der anderen abgebrochen, in ein Glas Wasser geworfen.

Das Wasser färbt sich dunkel, ein scharfer Geruch verbreitet sich. Schon faßt sie das Glas mit dem unheimlichen Trunke – da – schlägt unten das Thor zu. Gleich darauf ein Geräusch auf der Treppe – diesmal ist es keine Täuschung, diesmal sind es wirklich nahende Schritte!

Diesmal aber blickt sie nicht nach der Thür. Sie wendet sich nicht um, ihr Arm verharrt ausgestreckt, ihre Hand hält das Glas umklammert, ihre Augen aber können sich nicht losreißen von der Platte des Tisches.

Auf dieser Platte steht mit flammenden Buchstaben geschrieben: »Ist das nicht noch viel ärger? Was würde der General dazu sagen? – Und die Leute? … Wird er, dem Du kein anderes Unrecht vorwerfen kannst, als daß er ebenso vernünftig gewesen, wie Du selbst, wird er nicht mit vollem Rechte an Deinem Sarge sprechen: Du, die mir freiwillig gefolgt, Du hast Schande gebracht über den fleckenlosen Namen, den ich Dir anvertraut! – Du, die mir ewige Treue gelobt, Du hast mich schmählich verlassen, im Angesichte des Alters und der Gebrechlichkeit!«

Würde sie das Donnerwort nicht hören, selbst wenn sie noch so fest schliefe? Würde es sie nicht aufrütteln selbst aus dem Frieden des Todes?

Draußen im Vorsaal dreht sich ein Schlüssel im Schlosse. Die Frau im Zimmer stürzt zu einem Schranke, reißt ihn auf, stoßt das Glas hinein – schließt zu und zieht den Schlüssel ab. Im Moment, da es geschehen ist, im Moment, da sie mit wankenden Schritten den Lehnstuhl zu erreichen sucht, geht die Thür auf – lautlos sinkt die Frau mitten im Gemach ohnmächtig zu Boden.

Auf der Schwelle steht, das Gesicht erhitzt von Wein, Herr von Werfenbach. »Was ist nun das wieder?« ruft er verdrießlich erschrocken – und zieht heftig an der Glocke, um nach dem Arzt zu senden.


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