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Brautnacht

Aus dem Tagebuch einer Frau

Seit drei oder vier Jahren schon war ich überzeugt gewesen, daß Julien mich heiraten würde. O, er war nicht gleich und so ohne weiteres auf die Idee gekommen. Erst die Gewohnheit mußte in ihm die Sehnsucht nach einer andern Zukunft, nach einer andern Ehe zerstören, die sich in den ersten Zeiten unsrer Liaison auf so unerklärliche Weise mit der echten und aufrichtigen Liebe zu mir vermischte.

Mein Gott, wie habe ich darunter gelitten, daß er nur halb mein Eigen war, daß er die letzte ganze Hingabe seines Herzens für eine andere Frau aufhob, die er noch nicht einmal kannte! Alles hatte ich ihm gegeben, mein Herz und meinen Leib. Alle meine Aussichten auf Glück hatte ich ihm geopfert; hätte er mich verlassen, dann wäre mein Leben aus ... ganz aus gewesen ... Und dennoch war ich auch darauf gefaßt. Ich sagte mir: »Dann werde ich wenigstens ein paar glückliche Jahre gehabt haben. Und wenn er mir dennoch erhalten bliebe? Wenn er die andre Frau, die ihn mir rauben soll, nie fände? Ich bin weder alt noch häßlich; ich habe keinem Manne angehört, als ihm ...«

Die Zeit hat alles in die Reihe gebracht. Ich habe meinen Freund so sehr geliebt, ich bin in seinem Dasein allmählich so unentbehrlich geworden, daß eine Zukunft an der Seite einer andern Frau ihn immer weniger lockte, daß ihm so etwas schließlich undenkbar erschien. Dann schenkte Gott mir ein Kind. Von dem Tage an hatte ich gewonnenes Spiel. Julien liebte mich; er liebte seine kleine Annette, die so niedlich war, wenn sie mit ihren ungeschickten Händchen seinen Schnurrbart zauste. Er war über die erste Jugend hinaus: die Lust nach Abenteuern kämpfte in diesem fünfunddreißigjährigen Manne nicht mehr gegen die lieben Gewohnheiten des Herzens. Von diesem Augenblick an war ich wahrhaft glücklich.

Julien war es, der das erste Wort vom Heiraten sprach. Ein Romanschriftsteller, der so etwas zu beschreiben hätte, würde sicherlich eine große effektvolle Szene schildern, in der die Frau ihrem Freunde vor Freude ohnmächtig in die Arme sinkt. Das alles vollzog sich zwischen uns, aber viel einfacher. Seit die Kleine auf der Welt war, hatte Julien schon oft zu mir gesagt: »Jetzt steht es fest; ich heirate nicht.« Er hatte es mit einem leisen Groll in der Stimme gesagt ... aber von Tag zu Tag war aus dem Grollen mehr und mehr ein gutmütiges Scherzen geworden. Und eines Morgens nach dem Frühstück, als er Annette auf seinen Knieen reiten ließ, sagte er es wieder. Aber er fügte hinzu, als spräche er zu der Kleinen: »Ich heirate nicht ... und wenn ich's doch tu, keine andre als deine Mutter.«

Und richtig verlobten wir uns an diesem Tage. Aber ein Monat ging nach dem andern, nach zwei Jahren waren wir immer noch bloß ein Brautpaar. Warum? Lieber Gott! Das Gesetz der Trägheit, die Bequemlichkeit des Gehenlassens, die langweiligen Vorbereitungen. Wir hätten Freunde, die uns für verheiratet hielten, über die Wahrheit aufklären müssen; wir hätten uns sichere und verschwiegene Zeugen suchen müssen, wir hätten einen Ort außerhalb Paris für die Trauung wählen müssen, damit sie nicht in die Zeitungen käme. Das alles zog die Sache hin. Ein kleines Ereignis rüttelte uns auf. Nach meinem Fall war von allen meinen Verwandten bloß ein Bruder meiner Mutter, ein toleranter alter Herr, mit mir in Verbindung geblieben. Dieser starb und vermachte mir sein bescheidenes Vermögen: hundertundzwanzigtausend Franken ungefähr. Es war nicht viel; aber Julien, der mich als ganz armes Ding zu sich genommen hatte, wollte nicht, daß die Zinsen seiner Geliebten helfen sollten, den Haushalt zu bestreiten. So wurde denn die Trauung festgelegt.

Sie fand in einem Orte in nächster Nähe von Paris statt, wo mein Mann dank der Gefälligkeit eines Freundes die vorgeschriebene Zeit über nicht zu wohnen brauchte, sondern den gesetzlichen Aufenthalt fingieren konnte. Nichts kann einfacher sein als die Zeremonie selbst: im Laufe einer Stunde war unser Bund durch den Standesbeamten und den Pfarrer besiegelt. Ein Frühstück vereinte die Zeugen und uns an einem Tisch. Dann fuhr alles nach Paris zurück: wir richteten es so ein, daß wir später als die andern mit dem Abendzuge heimfuhren.

Obgleich sich alles so wenig feierlich und so ohne Umstände abgespielt hatte, waren Julien und ich doch ein wenig bewegt. Wir sind beide weder sehr fromm, noch legen wir großen Wert auf Formalitäten. Aber trotzdem: während wir aneinander geschmiegt in unserm Kupee Paris entgegenrollten, hatten wir ein dunkles Gefühl, daß irgend etwas in unsrer Liebe anders geworden war. Die Nacht, die vor uns lag – unsre Brautnacht – dünkte uns verlockender als alle die Liebesnächte, die schon hinter uns lagen, als hätte die Heirat unsre Liebe verjüngt und neubelebt. Julien schlang seinen Arm um mich und sagte immer wieder: »Meine Frau! ... Meine liebe Frau!« und er schien des Wortes nicht müde zu werden. Ich antwortete ihm: »Ich bin glücklich!« und dachte dabei besonders an Annette, die jetzt wie die andern kleinen Mädchen ein ehelich verbundenes Elternpaar hatte.

Wir hatten sie natürlich in Paris gelassen. Unser ausgezeichnetes Mädchen, Clementine, die schon bei ihrer Geburt zugegen gewesen war und die sie vergöttert, war bei ihr geblieben. Als wir aber nach Pause kamen, öffnete uns Clementine in Tränen die Tür.

»Ach, gnädige Frau! ach, gnädiger Herr! Was für ein Unglück! ... Die Kleine ist krank! Ich weiß nicht, was sie hat. Lieber Gott! lieber Gott, so ein Unglück!«

Wir stürzten in Babys Zimmer. Sie lag im Bett; nur ihr kleines Gesicht war unbedeckt, ihr armes, kleines, fieberrotes Gesicht. Sie wimmerte leise. Als sie uns sah, streckte sie ihre Händchen nach uns aus; sie war so froh, uns wiederzusehen! Es war, als hätte sie sich den ganzen Tag über nach uns gesehnt ...

»Aber was fehlt ihr denn eigentlich?« fragte mein Mann, »was ist ihr? haben Sie den Arzt holen lassen?«

»Nein,« antwortete Clementine ... »Ich hab' auf den gnädigen Herrn und die gnädige Frau gewartet ...«

»So eine Dummheit!« sagte Julien.

Und er lief eilig fort. Nach einer halben Stunde war er wieder da und brachte einen kleinen, schmerbäuchigen Arzt mit, der nicht besonders vertrauenerweckend aussah. Julien warf mir einen Blick zu, der um Entschuldigung bitten und zu verstehen geben sollte, daß er in der Eile nichts besseres hätte auftreiben können.

Der kleine Doktor untersuchte Baby ziemlich lange. Er sagte nichts, wir starben fast vor Ungeduld. Endlich rief Julien:

»Nun, Herr Doktor? Was fehlt ihr?«

Der Doktor richtete sich auf und sagte:

»Ich weiß nicht recht, was ich sagen soll ... wir müssen's abwarten ... Ist das Kind schon geimpft?«

»Nein,« antwortete ich, »noch nicht. Es sind doch nicht am Ende die Pocken, Herr Doktor?«

Er sah uns unsicher an.

»Sie herrschen augenblicklich unter den Kindern ...«

»Um Gotteswillen, Herr Doktor! bewahren Sie Baby davor! Tun Sie etwas! Da sie noch nicht heraus sind ... Tun Sie etwas, um zu verhindern, daß sie ausbrechen!«

»Wir können im Augenblick gar nichts tun, gnädige Frau, wie gesagt. Ich komme morgen früh wieder, um festzustellen, ob es die Pocken sind.«

Wir waren so niedergeschlagen, daß wir ihn ohne ein weiteres Wort gehen ließen. Aber was war das für eine Nacht, du lieber Gott! Julien und ich saßen an Babys Bett, wir horchten auf ihren Atem, beobachteten ihren Puls, – zitterten, daß der schreckliche Ausschlag hervorbrechen könnte ... Gegen vier Uhr zweifelten wir nicht mehr. Rote Flecken zeigten sich auf dem kleinen Körper. Ob sich auch im Gesicht welche befanden, konnten wir nicht unterscheiden, es war dunkelrot, vom starken Blutandrang zum Kopfe.

Julien war ganz außer sich, er lief wieder nach einem Arzt. Ich blieb allein bei meiner lieben Kranken und klagte Gott an. Wollte er uns in unserem Kinde bestrafen, weil wir etwas getan hatten, was doch gut und ehrenhaft war, was den moralischen und religiösen Vorschriften entsprach: weil wir uns geheiratet hatten?

Eine ganze Stunde verfloß, bis Julien wiederkam. Vergeblich hatte er einen andern Arzt zu finden gesucht, er hatte sich entschließen müssen, wieder denselben Doktor zu rufen ...

Doktor Leroy untersuchte das Kind aufs neue.

»Nun, Herr Doktor?«

Herr Leroy hob sein gutmütiges, dickes Gesicht und lächelte.

»Gnädige Frau, die Pocken sind es ganz sicher nicht ... Wahrscheinlich nur Windpocken ... Vierzehn Tage recht vorsichtig sein, dann ist alles wieder gut.«

»So besteht ... keine ... Gefahr?« stammelte Julien ganz bleich.

»Nicht die geringste. Und Narben bleiben von den Windpocken auch keine zurück.«

Ich weiß nicht mehr recht, was dann geschah. Ich glaube, ich habe Julien geküßt, ich habe Baby geküßt, ich habe den kleinen schmerbäuchigen Doktor geküßt, – dann schwanden mir die Sinne.

Als ich wieder zu mir kam, war der Doktor fort. Julien stand neben mir und hielt meine Hand. Der erste Tagesschein brach durchs Fenster. Unsre Brautnacht war zu Ende.

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