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Das Wesen des Menschen, wie es im Individuum Ausdruck findet und sich in der Kunst, der Gesellschaft, Wissenschaft oder Geschichte betätigt, wird niemals einen ganz objektiven Beurteiler durch den einzelnen Menschen finden. Man wird ein unbefangenes Urteil nur bilden und läutern können aus der mittleren Summe vieler verschiedener Einzelurteile.

Jede Anschauung ist eine Beleuchtung: die Beleuchtung des Geschauten durch das Eigenlicht des Schauenden. So wie ein Baum, ein Haus, eine Landschaft, die an sich gegebene Linien und Farben haben, in der Beleuchtung des Sonnenaufgangs, des Mondscheins, eines grauen Regenlichts etc., je durch die eigenartige Beleuchtung gleichsam auch ein gewandeltes Bild zeigen, und andre Linien in Licht und Dunkel treten lassen, also wird auch der Mensch in der geistigen Beleuchtung des ihn Beurteilenden je ein verschiedenes Bild darstellen.

Jedes Urteil ist auch die Ausübung eines Richteramtes; und man sollte sich dieser ernsten Bedeutung immer bewußt sein und der großen Verantwortlichkeit eingedenk bleiben, die solches Amt einschließt.

Der größte Feind des Urteils ist das Vorurteil: das prüfungslos übernommene Urteil eines vorigen.

Die sogenannte Tradition, die mündliche Ueberlieferung, die eine große Macht in der Geschichte darstellt, ist ein solcher Strom von Urteilen und Vorurteilen; doch ist das prüfungslose Hinnehmen von etwas Vergangenem eine Art Zwang, denn die Geschehnisse, die in der Tradition bewahrt werden, sind dem Urteil zeitlich und meist auch räumlich so weit entrückt, daß man sie eben auf »Treu und Glauben« der vorher Urteilenden annehmen muß.

Für die Geschichte der Gegenwart dürfen nun Tradition und Vorurteil keine Macht haben, denn das Gegenwärtige gestattet uns eigne Beobachtung und eignes Urteil. Ja, es wird sogar eine heilige Pflicht der Zeitgenossen einer geschichtlich hervortretenden Persönlichkeit, diese durch Wort und Schrift davor zu bewahren, daß durch oberflächliche oder nachsprecherische Urteile etwa Trübungen und falsche Linien in das Bild kommen, das die Geschichte später in ihre ewigen Bücher übernimmt ...

Wir wollen in diesen Blättern hier von einer bedeutsamen historischen Persönlichkeit, von deren geistigem Wesen und dessen Wirkungen auf ihre Zeit sprechen; um so lieber und um so mehr, als gerade in deren Bild durch zeitgenössische Urteile Linien gekommen sind, die der Wahrheit nicht ganz entsprechen.

In den Betrachtungen der Epoche, die wir hierbei im Auge haben, nämlich die Zeit nach der Neuorganisation der Regierung von Elsaß-Lothringen, also der ersten Statthalterschaft von 1879-85, soll diese Persönlichkeit klar und wahr hervortreten; sie hat eine sehr bedeutsame Rolle gespielt und ihres Wesens Spuren in der politischen und sozialen Entwicklung des Reichslandes heil- und unheilvoll, doch viel mehr das erstere, hinterlassen.

Diese Persönlichkeit ist der Generalfeldmarschall Freiherr Edwin v. Manteuffel, der erste Statthalter in Elsaß-Lothringen.

Eine Natur wie Manteuffel mußte mit ihrer sehr scharf geprägten Eigenart, die viel mehr beherrschende Elemente in sich hatte als solche, die sich anschmiegen, fügen oder gern unterordnen konnten, mehr zur Führerschaft als zur Gefolgschaft sich eignen; er strebte die erstere sogar bewußt oder unbewußt immer an. Ein ungemein starkes Selbstbewußtsein regierte all sein Denken und Handeln.

Das Selbstbewußtsein aber ist ein seelischer Zustand, der die mannigfachsten Ausgestaltungen in Eigenschaften erfahren kann: durch nur einige vergröbernde Linien ins Unschöne hin, und durch verfeinernde ins Edle und Große hin. Die Entwicklung durch vergröbernde Linien würde aus dem Selbstbewußtsein etwa erzeugen: Herrschsucht, Eitelkeit, Dünkel, Ichsucht, Rechthaberei, – und die Entwicklung durch verfeinernde Linien: Ehrgeiz, hohe Anforderungen an sich selbst, scharfes Pflichtgefühl, Fleiß, Anspannung aller Kräfte.

Gerade um dieses starken Selbstbewußtseins willen ist Manteuffel von seinen Zeitgenossen außerordentlich verschieden und mehr scharf als freundlich beurteilt worden. Aber dies Selbstbewußtsein darf auch nicht nur in seinen minder guten Wirkungen betrachtet werden, denn es war bei ihm zugleich das treibende Element, das ihn sehr früh schon hinaushob über das Mittelmaß. Es trieb alle seine geistigen Fähigkeiten zu regster Wirksamkeit empor, und so wurde das Strebende in ihm sehr bald zum Aufragenden ...

Vorzüglich in den Kreisen seiner Fachgenossen, der Offiziere, wurde Edwin v. Manteuffel nachsichtslos kritisiert.

Wenn wir zu einem ganz andern Urteil gekommen sind als hervorragende Militärs, wie z. B. General-Admiral v. Stosch in seinen Denkwürdigkeiten, die zuerst in der »Deutschen Revue« veröffentlicht und dann auch in Buchform erschienen sind, so liegt das vor allem daran, daß wir den Marschall erst in der Periode kennen lernten und ihm nahe traten, wo sein Selbstbewußtsein in einem Läuterungsstadium erschien. Die Stellung eines Statthalters in Elsaß-Lothringen, die teils mit Herrscherbefugnissen ausgestattet ist, und die den jedesmaligen Inhaber zum Repräsentanten des Kaisers macht, befriedigte den Ehrgeiz des Marschalls Manteuffel ganz. Darin liegt des Rätsels Lösung und die Erklärung dafür, daß uns, die wir ihn einzig als Statthalter kannten, sein Selbstbewußtsein in gemilderter Gestalt entgegentrat. Wir kannten ihn eben in seiner vollendeteren Phase, und wir sind sicher, daß gerade unter den geschichtlichen Bedingungen, wie sie die letzten Jahre seines Lebens für seine gesamte Entwicklung und Betätigung boten, Manteuffels geistiges Wesen am wahrsten zum Ausdruck kam.

Unbefriedigter Ehrgeiz ist wie der Hunger. Die Gier des Trachtens schließt jedes ruhevolle Moment aus. Manteuffels stark selbstbewußte Natur war ehrgeizig; es war deshalb natürlich (wenn auch nicht immer schön), daß dieser Ehrgeiz, solange er hastig nach einer Herrenstellung in der Zeitgeschichte strebte, eine ganze Reihe unruhiger, unharmonischer Eigenschaften auslöste und auch Reibungen und Konflikte mit Personen erzeugte, die auf seiner rastlos vorwärts drängenden Bahn ihm den Weg kreuzten. Als er aber dann die herrschende Stellung, die seinen Ehrgeiz befriedigte, erlangt hatte, da entfalteten sich die großen Seiten seiner Natur freier, und die schrofferen wurden milder.

Aus den Aufzeichnungen des Generals v. Stosch, die etwas überaus Frisches, Originales und klar Geschautes haben, und die mit Geist über die handelnden Personen einer sehr großen Zeit reden, springt Manteuffels Bild in den unliebsamsten Linien hervor. Die Auffassung von Stosch ist scharf und unbarmherzig in ihrem Licht. Sein Urteil stammt eben, wie das der meisten Offiziere, aus der Zeit, wo der brennende Ehrgeiz nach historischer Herrenstellung noch unruhig und unbefriedigt flackerte und oft trübe Schlacken und grelle Lichter auswarf.

Manteuffel hat man vor allem maßlose Eitelkeit und »Schauspielerei« vorgeworfen in den Kreisen seiner Berufsgenossen. Wie oft ist uns in der Unterhaltung mit hohen Militärs, mit Herren von großer Intelligenz, das Urteil begegnet: »Manteuffel! ja, er war ein geistreicher Mann, aber ein eitler Schauspieler, der immer um ein beifallklatschendes Publikum warb!«

Auch Stosch, der, wie bekannt ist, einige Zeit im nächsten dienstlichen Verkehr mit dem Marschall stand, während er Manteuffel als Generalstabschef in Nancy beigegeben war, respektive ihn vertrat, – auch Stosch fällt in seinen »Denkwürdigkeiten« ähnliche Urteile. So in einem Brief vom 10.9.71: »Politisieren und Fremden durch brillante Einfälle und gute Haltung imponieren, das ist sein Fall!« Oder am 13.9.71: »Wiederholt wies er darauf hin, daß er der Macht müde sei und Sehnsucht nach seinen Büchern habe ... das Gegenteil ist wahr!« Oder: »Manteuffel hält sich für einen der begabtesten Akteurs, die die Bühne der Welt betreten haben, übt aber tatsächlich einen sehr geringen Einfluß aus ...« (wird bezweifelt von der Verfasserin).

In einem Brief an Freytag: »Ich wollte, Sie hätten mal vier Wochen unter Manteuffel zu leben. Sie würden es auch fast beleidigend empfinden, wenn Ihre Freunde glauben könnten, solche Naturen könnten Sie auf die Dauer beeinflussen. Fürstliche Gnade und Liebenswürdigkeit besitzt er, hat auch vielen Geist und erzählt vortrefflich aus seinen intimen Erlebnissen, aber sobald man ihn näher kennt, wird er durchsichtig wie Glas, und man sieht, daß Mache und Reklamebedürfnis in ihm absolut überwiegen. Solchem Menschen kann man sich gar nicht hingeben. Sein Abschied von hier war wie ein Aktschluß auf dem Theater.«

Dieser Vorwurf ist ein so weit verbreitetes und übernommenes Urteil geworden, daß wir es sogar von Leuten, die den Marschall gar nicht kannten, mit unfehlbarer Sicherheit hinstellen hörten. Einem oft nachgesprochenen Urteil, das solchermaßen fast eine feste Satzung geworden ist, zu widersprechen, dazu gehört viel Mut und Ueberzeugtheit. Diese besitzen wir, um so mehr, als niemals Beweise für jenen Vorwurf erbracht wurden, etwa in irgend welchen intimen Dokumenten und Kundgebungen Manteuffels, die seinem öffentlichen Tun und Reden widersprochen hätten.

Um den schweren moralischen Vorwurf der »Schauspielerei«, also der bewußten Ausübung einer gespielten Rolle, erheben zu dürfen, muß man ihn doch wohl anders beweisen können, als mit persönlichen Eindrücken. Es müßte zwischen Gesinnung und Handlung der Widerspruch bewiesen werden, – es müßte bewiesen werden, daß das Dargestellte nur eine Maske der wahren Natur gewesen wäre, und das ist niemals und nirgend geschehen ...

Das etwas Gespreizte, Bewußte in Manteuffels Haltung und Rede hat wohl die Urteilenden dazu geführt, Absichtlichkeit und Berechnung auf Effekt darin zu sehen. Manteuffel war aber viel zu sehr Gefühlsmensch (man hat ihm ja auch immer seine Gefühlspolitik vorgeworfen) und viel zu sehr der inneren Nötigung großer Empfindungsströmungen untertan, als daß er Zeit und Raum für die Berechnung hätte finden können. Eine Rolle, die man spielen will, muß man sich zurechtlegen und ausklügeln; – dazu aber war seine Natur viel zu eruptiv-sentimental.

Das Verständnis für des Marschalls Geistesart und sein Wirken in Welt und Politik war freilich sehr erschwert durch die Kompliziertheit seiner natürlichen Begabung und durch deren eigentümliche Entwicklung in seinen verschiedenen beruflichen Stellungen.

Die Elemente waren so merkwürdig in ihrer Mischung, daß sie öfters in sich widerspruchsvolle Handlungen zeitigten. Das Widerspruchsvolle ist aber in seiner Auflehnung gegen Regel und logische Berechnung oft das Interessanteste; ob es in der Politik wirkungsvoll und fruchtbar für den Erfolg ist, steht dahin.

Der geistreiche Geschichtsschreiber Treitschke sagt einmal: »Die Größe der historischen Helden besteht in der Verbindung von Seelenkräften, die nach der Meinung des platten Verstandes einander ausschließen.« Nun, das war bei Manteuffel der Fall, und wir sind allerdings geneigt zu glauben, daß sich in diesem Ringen einander widerstrebender Gewalten, in diesem Wettstreit um die Oberherrschaft die einzelnen Kräfte in der Uebung maßen und reger zu großen Aktionen blieben.

Aus diesem lebhaften Kraftbewußtsein wuchs ihm wohl auch der Glaube an seine unfehlbare persönliche Wirkung auf andre. Es war immer einer seiner obersten Glaubenssätze im Leben und in der Politik gewesen, durch den persönlichen Kontakt intensive Einflüsse zu erzielen, und dann auch in Wechselwirkung die Anregungen durch die andre Persönlichkeit als lebendige Erfahrung und Gewinn für sich zu erobern.

So maß er dem Gespräch, sowohl im gesellschaftlichen Verkehr wie auch im politischen Leben, einen ganz besonderen Wert bei; überhaupt gingen seine Entschließungen oft mehr aus persönlichen Neigungen und Impulsen als aus sachlichen Gründen und Erwägungen hervor.

Dafür war seine Stellung zum Bischof von Metz, Monseigneur Dupont des Loges, die viel besprochen und kritisiert worden ist, ein besonders plastisches Beispiel.

Dupont des Loges, einer altfranzösischen Legitimistenfamilie entstammend, stellte eine interessante Vereinigung von Edelmann und Kirchenfürst dar. Er war von hervorragender Intelligenz und starker Willenskraft, – ein Mann, mit dem Verhandlungen zu führen nicht leicht war, da er den staatlichen Anforderungen, wenn sie mit seinen Anschauungen im Gegensatz standen, zähen Widerspruch entgegensetzte, – auf dessen Wort man sich aber, wenn er einmal irgend einer Maßregel zugestimmt hatte, unbedingt verlassen konnte.

Dies hatte auch Manteuffel bald erkannt, wie das deutlich aus einem Brief an den Metzer Bischof aus der ersten Zeit von des Marschalls reichsländischer Verwaltung hervorgeht. Er schrieb: » Si Votre Grandeur dit › oui‹, c'est › oui‹, – et ma confiance en elle s'augmente chaque fois, où j'ai l'honneur de traiter une affaire avec Monseigneur Dupont des Loges.«

Der Bischof hatte also Manteuffels große Sympathie gewonnen, so daß der Marschall z. B. jede Anwesenheit in der lothringischen Hauptstadt benutzte, um ihm seinen Besuch zu machen und über allerlei ihn besonders interessierende Fragen der Politik mit ihm zu sprechen.

Es war bei des Marschalls großzügigem Geist, seinem tiefreligiösen Sinn und seiner daraus resultierenden Ehrfurcht vor kirchlichen Autoritäten natürlich, daß er einem Manne wie diesem Bischof, der eine nicht zu übersehende Charaktergestalt war, einen gewissen Einfluß auf sein Wesen einräumte, und die persönliche Sympathie steigerte diesen Einfluß noch bedeutend ...

Dupont des Loges konnte dagegen als überzeugter und starker Vertreter der katholischen Kirche in Fragen, wo es sich um staatliche Interessen handelte (und solche besprach Manteuffel öfters mit ihm), natürlich nicht als ein besonderer Förderer dafür eintreten. Und wenn es sich um Fragen handelte, wo Interessen des Staates mit Interessen der Kirche in Verbindung oder gar in Konflikt waren, da machte die Ueberlegenheit der Kenntnisse des Bischofs in allen kirchenpolitischen Fragen ihn vielfach zum Meister und Leiter des Marschalls, fast ohne daß dieser es bemerkte.

Wie willig Manteuffel sich den Ansichten des Bischofs in Fragen solcher Art anzubequemen geneigt war, zeigt z. B. des Marschalls, gelegentlich der Ernennung eines Koadjutors für Metz an Dupont des Loges geschriebener Brief: » J'ai confiance, que Votre Grandeur respectera mon ignorance dans ces guestions du droit de l'État et de l'Église, et gu'elle me donnera la réponse, gui, en reconnaissant les droits de l'État, ne peut me compromettre vis-à-vis de mon Empereur, – de sorte que cette question importante s'arrange à l'amiable, et sans qu'il y ait le moindre conflit.« Der Einfluß, den Manteuffel dem Bischof gönnte, mochte daher öfters verhängnisvoll werden. Doch darf anderseits nicht übersehen werden, daß Manteuffel, der die Gewohnheit angenommen hatte, die ihn interessierenden Fragen in direkter Korrespondenz mit dem Bischof zu behandeln, je nach den Umständen diesen auch in geschickter diplomatischer Weise beeinflußte. Das zeigte sich gerade in der Frage, auf die sich der zitierte Brief bezieht. Das Konkordat nämlich gestattet dem Landesherrn die Ernennung der Bischöfe nur unter der Voraussetzung, daß dieser Katholik sei. Da nun der Deutsche Kaiser Protestant ist, waren die für die Ernennung der Bischöfe im Konkordat ausgestellten Regeln unanwendbar.

Was für die Diözesanbischöfe gilt, hat auch für die Koadjutoren mit dem Recht der Nachfolge volle Geltung, – und es mußten deshalb mit dem Papst neue Regeln über die zu beobachtende Prozedur vereinbart werden, nachdem man sich über die Bestellung eines Koadjutors und dessen Person geeinigt hatte.

Manteuffel wendete sich nun dieserhalb an den Chef der reichsländischen Justizverwaltung (damals v. Puttkamer), und es wurden die von letzterem gemachten Vorschläge über die Form des Verfahrens allerseits angenommen und unverändert ausgeführt.

Zugleich aber hatte Manteuffel Dupont des Loges befragt, und indem er diesem in geschickter Weise die vom Ministerium aufgestellten Grundsätze, als des Bischofs Gedanken entsprechend, darlegte und sich mit ihm auf deren Grundlage verständigte, verschaffte er zugleich Dupont des Loges die Genugtuung, anzunehmen, als sei überall nach seinen (des Bischofs) Vorschlägen verfahren worden. Das hatte zur Folge, daß der Metzer Bischof in Rom sehr entschieden für die Zustimmung zu dem staatlicherseits in Aussicht genommenen Verfahren eintrat und sein Ziel auch erreichte.

Der ganze Verlauf dieser Angelegenheit befriedigte Manteuffel in hohem Maße. Die zwischen ihm und dem Bischof getroffenen Vereinbarungen wurden genau ausgeführt. » Votre lettre,« schrieb er dem Bischof von Metz unter dem 28. Januar 1881 auf die Mitteilung, daß in Rom alles erledigt sei, » est une nouvelle preuve, que j'ai eu raison, d'avoir une confiance aveugle dans la loyauté de Votre Grandeur ...«

So gewann manchmal auch der Statthalter auf den lothringischen Bischof Einfluß in entscheidenden kirchlichen Fragen. Diese letztere Tatsache ist gegenüber der ersten nicht bekannt genug, und auch Petersen, der sonst wohl unterrichtete Beurteiler reichsländischer Verhältnisse, scheint sie entgangen zu sein. Es ist z. B. erwiesen, daß Dupont des Loges, als es sich darum handelte, bei dem Metzer Bischofstuhl einen Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge zu ernennen, den ganz bestimmten Wunsch äußerte, Korum, damals Erzpriester der Straßburger Kathedrale, möge ihm in dieser Stellung beigegeben werden; ebenso entschieden aber lehnte Manteuffel dies ab. Uebrigens hatte auch Korum, nachdem er zu Dupont des Loges zwecks einer Besprechung über diese Angelegenheit nach Metz berufen worden war, nach einigen Tagen Bedenkzeit den Antrag nicht angenommen. In der Folge war es einzig des Statthalters Initiative zuzuschreiben, daß der bisherige Generalvikar des Bischofs, Fleck, zum Koadjutor ernannt wurde, ein wenig sogar unter anfänglichem Widerstreben des lothringischen Bischofs, der dann freilich zu Manteuffel äußerte, daß er eben »das Nächstliegende nicht gesehen habe.«

Die Wahl Flecks zum Koadjutor wurde als eine dem deutschen Geist feindliche betrachtet; das dürfte aber auf einem Irrtum beruhen, denn Fleck, eine stille Natur und ein fleißiger und gewissenhafter Verwalter seines Amtes, stand überhaupt der staatlichen Politik fern; er ist wenigstens nie in eine ausgesprochene Stellung oder in eine gegensätzliche Aktion zu ihr getreten.

Daß Korum später in Trier zum Bischof, daß also ein Sohn des Elsaß in Preußen zum Kirchenfürsten erwählt wurde, das war wohl hauptsächlich auf Manteuffels Befürwortung in Berlin zurückzuführen; auch eine Tatsache, die nicht allgemein bekannt sein dürfte.

Manteuffel schätzte Korum als hervorragende geistige Kraft besonders hoch und hielt ihn für einen Bischofssitz ganz speziell befähigt. Aber unter keiner Bedingung wollte er ihn als Bischof in Elsaß-Lothringen wissen. Die Ernennung Korums zum Bischof von Trier wurde von Dupont des Loges etwas phantasiereich aufgefaßt, indem er darüber schrieb: » On peut voir dans cet événement le commencement de la fin du Culturkampf. Le premier pas pour › aller à Canossa‹ était le plus difficile, et: le voilà fait.«

Um aber auf Manteuffels Verhältnis zu Dupont des Loges zurückzukommen, so muß allerdings konstatiert werden, daß der Statthalter sich von seiner Sympathie für den klugen Kirchenfürsten öfters auch hinreißen ließ, diesem eine zu große Autorität zuzuerkennen und ihm zu viel Einfluß auf einzelne Handlungen einzuräumen.

Daß Manteuffel dem Wunsch des Bischofs entgegenkam, seine Seminaristen so viel als möglich vom Militärdienst zu entbinden, erscheint wenig bedenklich der Tatsache gegenüber, daß später im Deutschen Reich ganz allgemein für die jungen Geistlichen dasselbe bestimmt wurde, und daß es möglich ist, Manteuffel könne von der für Deutschland beabsichtigten Maßregel Kenntnis gehabt haben. Anfechtbarer erschien es dagegen, daß er, auf direktes Ersuchen des Bischofs und ohne Mitwirkung des Ministeriums, einigen dem französischen Orden der Oblaten, les Oblats de Marie Immaculée, angehörenden Priestern ( nicht, wie oft behauptet wird, mehreren Orden) die Niederlassung im Reichsland gestattete, mit der Klausel, es müsse aber alles möglichst still und ohne Aufsehen geschehen, damit die Oeffentlichkeit, vor allem die Presse, nicht aufmerksam werde und man von Berlin aus ihn nicht veranlassen könne, seine entgegenkommende Maßregel zurückzuziehen.

Die Erlaubnis bezog sich übrigens nur auf solche Priester, die aus Elsaß-Lothringen herstammten.

Diese allerdings mißliche Maßregel und Klausel ist aber viel böser gedeutet worden; sie wurde als ein Doppel- und Versteckenspiel mit dem Reichskanzler aufgefaßt; in Wahrheit mochte aber Manteuffel meinen, daß das Bekanntwerden seiner Maßregel vielleicht eine Anfrage der französischen Regierung an die deutsche in Berlin nach sich ziehen könne; und eine solche wollte er im Hinblick darauf vermieden sehen, daß die Oblaten ein von den französischen Märzdekreten betroffener Orden waren. Uebrigens stellte der Marschall den auch später festgehaltenen Grundsatz auf, daß die Zulassung von Orden und Kongregationen nur auf Ansuchen des betreffenden Diözesanbischofs und unter dessen Verantwortlichkeit und Aufsicht erfolgen durfte. Direkte Gesuche der Ordensoberen blieben unberücksichtigt. In der Praxis hat die Zulassung der Oblaten irgendwelche Mißstände nicht gezeitigt. Die Behandlung der Angelegenheit brachte vielmehr nur eine Frage des Prinzips zum Ausdruck.

Als der Bischof dann auch für einige Redemptoristen die Erlaubnis erbat, sich nach Teterchen, in ihr altes Kloster, zurückziehen zu dürfen, lehnte der Statthalter dies höflich, aber bestimmt ab.

La loi est plus forte que moi, bemerkte er. Denn die Redemptoristen wurden als ein den Jesuiten affiliierter Orden behandelt.

Man kann Manteuffel nicht nachweisen, daß er durch seine persönlichen Sympathien und durch sein starkes Entgegenkommen gegenüber dem lothringischen Bischof irgend einen politischen Mißgriff gemacht oder eine ernsthafte Beeinträchtigung der staatlichen deutschen Interessen bewirkt hätte; die Schädigung lag mehr auf einem immateriellen Gebiet. Manteuffels zu entgegenkommende, fast unterwürfige Art, den Bischof zu behandeln und seinem Rat Gehör zu geben, erzeugte Mißtrauen bei den deutschen Elementen und falsche Hoffnungen bei den Einheimischen, insbesondere beim reichsländischen Klerus; danach mußten dann wieder die später erlassenen strengen Maßregeln, wie z. B. das Verbot der »Union«, des klerikalen Protestblattes, bei dem letzteren widerspruchsvoll und Mißtrauen weckend wirken.

Ein Brief des Statthalters an Dupont des Loges darf hier, um eine ganz unparteiische Darstellung zu geben, nicht fehlen; er ist charakteristisch dafür, daß Manteuffels Fügsamkeit gegenüber dem Urteil des von ihm hochverehrten Bischofs doch über die Grenzen hinaus ging.

Einige kennzeichnende Stellen des Briefes mögen hier folgen. Es handelte sich um die Weihe des Koadjutors von Metz. Manteuffel wünschte der kirchlichen Feier beizuwohnen, war aber nicht sicher, ob seine Anwesenheit der katholischen Geistlichkeit genehm sein würde; er holte deshalb des lothringischen Bischofs Rat darüber ein (anstatt den seiner Minister zu erbitten) und schrieb ihm also:

Que dois-je faire le 25? Si je n'avais pas en vue que ma politique, je viendrais purement le 25 à Metz, et assisterais à la cérémonie, car cela prouverait aux habitants catholiques du pays, que je respecte l'église. Mais cette fête a pour Votre Grandeur et pour le clergé un caractère si intime, gue je croirais manquer à Votre Grandeur, si je ne vous priais pas, de me dire votre opinion. Daignez me la dire tout franchement et soyez persuadé, que je comprends votre décision, et que toute idée, d'être blessé, si Votre Grandeur préfère, gue je ne vienne pas, me reste et restera étrangère.

Vous étiez Français, je suis Allemand; vous êtes catholique, et je suis Protestant, et en Allemagne le malheureux »Culturkampf« n'est pas encore officiellement fini. Je vous répète, que je comprends tout cela, et c'est pour cela, que je ne voudrais pas assister à un dîner ou déjeuner ou à une officielle soirée, – car cela gênerait ces messieurs. Mais pour assister à la consécration de Msgr. Fleck, c'est autre chose, et cependant je fais Votre Grandeur juge et arbitre; mais je prie Votre Grandeur, parce que je dois prendre mes arrangements, d'avoir la bonté de me télégraphier un »oui« ou »non« ... alors, je suis averti.

Der Bischof sandte darauf telegraphisch seine Antwort, das Fest habe » un caractère de fête intime de famille pour le clergé!« Also ein »Nein!«

Der Statthalter, als Repräsentant des Kaisers, hatte einfach zu befehlen oder zu wünschen und dementsprechend zu verfahren, aber eine solche, in fast demütig sich unterordnendem Ton gehaltene Anfrage, deren Beantwortung er selbst, als Leitfaden für sein Handeln betrachten zu wollen versicherte, war gewiß nicht richtig, und man muß sie für mißlich, bedauerlich und für einen taktischen Fehler erklären. Denn es handelte sich um einen offiziellen Akt, keineswegs um eine Privatangelegenheit.

Die Neigung Manteuffels, sich manchmal in bedeutsamen Fragen des öffentlichen Lebens Rat aus den Kreisen der Bevölkerung, sei es nun von Bischöfen, Notabeln, Abgeordneten oder Privaten zu erfragen, anstatt bei seinen Ministern und Beamten, war wohl einesteils darauf zurückzuführen, daß er ängstlich bemüht war, die Wünsche des Landes möglichst eingehend zu ermitteln und ihnen nachzukommen, andernteils aber hatte er die Ueberzeugung, daß die Verwaltungsbeamten noch keine so enge Fühlung zu den einflußreichen und führenden Kreisen der Bevölkerung gewonnen hätten, um über deren Anschauungen, Bedürfnisse und Wünsche eingehend unterrichtet zu sein.

Es war dem Statthalter mehrfach begegnet, daß bei seinen Reisen ins Land einige Kreisdirektoren sehr maßgebende und einflußreiche eingeborene Herren ihres Kreises nicht gekannt hatten und überhaupt den einheimischen Gesellschaftskreisen ziemlich fern standen. Diese Erfahrung ließ es ihm richtig erscheinen, wenn er sich vollständig in einer Frage über die Wünsche der Bevölkerung informieren wollte, sich zugleich an die Elemente aus dieser selbst zu wenden und deren Kenntnisse und Rat oft für wesentlicher zu erachten, als die der eingewanderten Beamten.

Die Beamtenschaft lebte wirklich nur in loser Fühlung mit den Eingeborenen. Das hatte wohl seinen Grund darin, daß jene Herren von der ersten Zeit nach dem Kriege an, wo noch tiefes Mißtrauen und Gegensätzlichkeit zwischen Eingewanderten und Eingeborenen herrschte, in ihren Kreisen saßen. Von einem durchaus abgeneigten Verhältnis zwischen zwei Faktoren der Gesellschaft in ein freundliches, von Vertrauen getragenes überzugehen, ist aber sehr schwierig; aus dieser Erkenntnis heraus hatte sich bei Manteuffel der Lieblingsgedanke entwickelt, den er denn auch realisierte: einen größeren Personenwechsel in der Besetzung der Kreisdirektionen eintreten zu lassen, vorzüglich bei solchen, die von der ersten Zeit nach dem Kriege an den gleichen Verwaltungschef hatten. Das war ein glücklicher Gedanke, der von wachem Sinn für die Notwendigkeit der lebendigen Wechselwirkung zwischen Beamten und Bevölkerung zeugte; dagegen kam der Marschall in einer andern Richtung wieder zu weit entgegen: wenn er, wie es öfters geschah, bei der Ernennung von Beamten angesehene und angesessene Herren des betreffenden Landesteiles um ihre Meinung frug und seine Entschließung dann davon abhängig machte.

Dieser rein persönliche Zug seiner Regierung hatte zweifellos seine Gefahren. Manteuffel führte überhaupt eine sehr, man könnte es am richtigsten bezeichnen: individuelle Verwaltung, die wohl von ernst erwogenen, aber so selbstherrlichen Gesichtspunkten ausging, als sie sich nur mit den festen Satzungen und Gesetzen vereinbaren ließen. Das Autokratische war bei ihm höchst seltsam gepaart mit dem strengen Gefühl für Disziplin und Subordination gegenüber dem Staat und dem Herrscher.

Sehr charakteristisch bei ihm war auch die Auffassung seiner Lebenssendung. Er war von dem Gottesgnadentum seiner Stellung und seiner Aufgaben überzeugt. Das ist starker, alter Glaube der Könige, und er gab ihm auch etwas zugleich Stolzes und Frommes. Er fühlte sich als Werkzeug der Göttlichkeit, aber auch als Vollstrecker höchsten vorbestimmten Willens der Gottheit. Seine Aemter erschienen ihm weniger Belehnungen von weltlichen Herrschern, als von einem überweltlichen, was übrigens nicht ausschloß, daß er einer der königstreuesten Männer war.

Das preußisch-soldatische Selbstbewußtsein mit dessen hohen Rechten und Pflichten war stark ausgebildet bei Manteuffel; hatte er doch auch sein langes Leben (er war 70 Jahre, als er zur Uebernahme des Statthalterpostens nach Straßburg kam) von früher Kindheit an, die ihn in der preußischen Kadettenanstalt sah, durch alle Grade eines Offiziers, bis zu dem höchsten Ehrengrad des General-Feldmarschalls, im Heere gestanden. Aus all seinen Stellungen hatte er das siegende Gefühl mitgenommen, daß das kleine Preußen Friedrichs des Großen vor allem durch seine soldatische Schulung und seine strenge und starke Militärkraft gewachsen war zu seiner Bedeutung im neuen Deutschen Reich. Das gab sich auch kund in seiner Auffassung der Entwicklung der Dinge durch den deutsch-französischen Krieg, in der er der hervorragenden Staatskunst Bismarcks nicht ganz den gebührenden Teil gegenüber den Verdiensten der Militärmacht und den Leistungen der Armee zugestand.

Er hat auch in Privatgesprächen wiederholt hervorgehoben, daß die öffentliche Meinung in Bismarck allzusehr den alleinigen Schöpfer der deutschen Einheit erblicke und die großen Geister und Mitschöpfer neben ihm, die Kriegshelden und Schlachtenlenker, dagegen ein wenig in den Schatten stelle.

Uebrigens war diese an Mißgunst leise gemahnende Anschauung damals in Kreisen hochstehender Militärs sehr verbreitet.

Ein starker dokumentarischer Beweis dafür findet sich niedergelegt in den Briefen Roons, die aus Anlaß von dessen hundertstem Geburtstag (30. April 1903) in der »Deutschen Revue« veröffentlicht sind. Eine Stelle dieser Korrespondenz, die an Roons Freund, Moritz v. Blankenburg, einen der Führer der strengkonservativen Partei, gerichtet ist, kann als besonders kennzeichnend gelten. Sie wird relativ noch viel bedeutsamer, wenn man erwägt, daß Roon allezeit eine sehr hohe Schätzung für Bismarck hatte, und daß seinem Einfluß bei König Wilhelm zuzuschreiben ist, wenn dieser Bismarck (1862) als Leiter des Staatsministeriums nach Berlin berief.

Die Stelle in Roons Brief lautet: »Alle seine (das heißt Bismarcks) Klugheit, Energie und Gewandtheit wären ja ohne Moltke und die Armee bloßes diplomatisches Geklingel geblieben, über das Mit- und Nachwelt etwa wie über die Beustsche Großmannsucht geurteilt haben würde. Ob er sich dessen wohl klar bewußt geblieben ist auf dem hohen Piedestal, auf das ihn die närrische Welt gestellt hat? Ich zweifle. Sein König steht anders zu der Frage und zu seinen Erfolgen. Er weiß, wem er es zu danken hat, und sagt es öfters, als es gerade nötig wäre. Bismarck erwähnt dessen nie, vielleicht weil er es, als selbstverständlich, für überflüssig hält. Er gefällt sich in der allgemeinen Vergötterung und vermeidet daher alles, was sie beeinträchtigen könnte.«

Ganz ähnlich, vielleicht noch accentuierter, war Manteuffels Urteil über Bismarck. Des Marschalls Gerechtigkeitssinn und sein historisches Gefühl erkannten dem außerordentlichen Staatsmann wohl seine Größe zu, aber Manteuffel suchte doch öfters in Gesprächen und einmal in der Tat (Verbot des Fackelzugs zu Bismarcks siebzigstem Geburtstag, auf das wir später noch zurückkommen werden) darzutun, daß er des Kanzlers Leistungen, gegenüber denen des Heeres und seiner Führer, von der Allgemeinheit für überschätzt hielt.

In Manteuffels Natur lag auch, neben den bisher schon geschilderten Zügen, eine starke Hinneigung und Begabung für diplomatische Verhandlungen. Und in der richtigen Erkenntnis dieses seines Talents hatte ihn sein König öfters mit diplomatischen Sendungen beauftragt.

Der Feldmarschall hatte dabei einen hervorragenden historischen Sinn und auch Weitblick für geschichtliche Entwicklungen. Von seiner Berliner Zeit her war er aufs wärmste mit dem bekannten Historiker Ranke befreundet, dessen feiner und starker Geistigkeit er einen gewissen Einfluß auf sein Leben und seine Gedanken gönnte. Aus dieser innigen Geistesbeziehung haben die Kritiker, die seine Persönlichkeit im ungünstigen Licht schauten, die Behauptung hergeleitet, daß der große Berliner Geschichtschreiber dem Marschall Manteuffel für all seine politischen Missionen, und überhaupt in bedeutenden Momenten, wo dessen Person in der Oeffentlichkeit handelnd oder redend hervortrat, Direktiven geschrieben hätte.

Daß Manteuffel mit dem befreundeten Gelehrten über bedeutende und interessante Fragen seines beruflichen Lebens gesprochen hat, auch vielleicht hie und da Rankes Urteil und Rat einigen Einfluß gönnte, wäre nur natürlich gewesen, und wir sind gern geneigt, das zu glauben, aber es hätte ganz außerhalb der Möglichkeit von Manteuffels Natur gelegen, anzuerkennen oder zuzugeben, daß er wie eine Puppe an den starken Fäden des Willens eines andern geleitet oder bestimmt würde. – Schon als Rittmeister (Manteuffel war damals Adjutant beim Prinzen Albrecht von Preußen, Vater des jetzigen Regenten von Braunschweig) hatte er mit feurigem Anteil die Vorlesungen Rankes besucht; daran schloß sich dann die persönliche Bekanntschaft, die später zu inniger Freundschaft führte. Die beiden Männer waren in ihrer geschichtlichen und Weltanschauung durchaus auf gleicher Basis. So war z. B. die Erfassung der sittlich-religiösen und der politischen Bedeutung Preußens und der Glaube an dessen Bestimmung, die Suprematie in Deutschland zu haben, beiden gemeinsam. Manteuffel las stets in freien Stunden mit großer Vertiefung und »fast leidenschaftlicher Hingabe« Rankes historische Werke, von denen ihm eines der liebsten Bücher das war, das den Helden des Dreißigjährigen Krieges, Wallenstein, behandelt.

Hierbei sei auch ein Streiflicht darauf geworfen, wie sympathisch ihm überhaupt die Gestalt des Friedländers war; denn auch von Schillers sämtlichen Dramen (der Marschall liebte Schiller sehr) war ihm die Wallenstein-Trilogie weitaus am liebsten. Er zitierte z. B. in den sachlich-nüchternsten Ministersitzungen, so oft es nur irgend mit dem Stoffe vereinbar war, gern Sprüche und Gedanken aus »Wallenstein«. In des Reichskanzlers Bismarck Familie wurde im vertrauten Kreis Manteuffel nur »der Friedländer« genannt. So erzählt R. v. Keudell in seinem Buch »Fürst und Fürstin Bismarck«.

Ein Brief Manteuffels, der uns zur Hand ist und den er 1882 in einer jedenfalls von Wallenstein weit abliegenden Angelegenheit (Verbot der französischen Versicherungsgesellschaften in Elsaß-Lothringen) an den (damaligen) Unterstaatssekretär v. Puttkamer schrieb, sei hier zitiert; er beginnt mit einer Wallenstein-Schillerschen Sentenz.

»Mein lieber Herr Unterstaatssekretär!

Es ist ein gutes Wort im Wallenstein: ›Und Recht hat jeder eigene Charakter, der übereinstimmt mit sich selbst. Es gibt kein andres Unrecht als den Widerspruch.‹

In der Politik ist das letztere unangreifbar. Ob die Maßregel gegen die französischen Gesellschaften richtig oder unrichtig war, – bleibe dahingestellt. Eingetreten ist sie mit, weil Agenten diese Stellung benutzten, um politisch zu agitieren. In dieser Auffassung wurde Schutz gegen die Agenten von Rhein – Mosel gesucht. Man glaubte ihn zu finden, wenn man diese der Kontrolle unterwarf. Rhein – Mosel refüsiert diese Kontrolle, obgleich ein einflußreiches Mitglied der Träger des Programms: protestation et action ist. Jetzt, nachdem die Regierung die Kontrolle verlangt, – die Gesellschaft sie verweigert, nachgeben – ist Widerspruch!

Adio

Straßburg, 20./5. 1882.
E. Manteuffel.«

Alles, was nur mit Schillers Wallenstein in Zusammenhang stand, erschien ihm von lebendigster Bedeutung. Fast könnte man sagen: die Gestalt Wallensteins (aber nur in der geschichtlichen Auffassung des Dichters) war ihm allgegenwärtig, und er brachte seine Gedanken und Handlungen, manchmal sogar die einfachsten, mit ihr in Verbindung und Einklang. Ich erinnere mich noch gut der Abende, an denen die Freiin Isabella so liebenswürdig empfing, und zu deren geselligen Reizen auch die Pflege guter Musik gehörte. Der Marschall erschien nur selten, – aber es war dann fast unfehlbar, daß, wenn musiziert wurde, er mich um das Lied von Schubert: »Der Eichwald brauset, die Wolken ziehn« bat. Nicht etwa in erster Linie, weil ihn die seltsam schwermütigen Melodien Schuberts anzogen, sondern weil diese Melodien Theklas verzweifelte Klagen begleiteten, und weil ihm Theklas Worte die ganze dramatische Bewegung der gewaltigen Trilogie Wallenstein besonders nahe vor die Seele führten ...

Ein gewisses sentimentales Pathos war Manteuffel entschieden eigen; er liebte die geschichtliche Pose, und man könnte wohl mit einigem Recht sagen: seines Geistes Gebärde und seiner Rede Ton waren »schillerisch«. Sein Gefühl erschien oft ergrübelt, während seine Gedanken und Handlungen manchmal sentimental gefärbt waren ... Wie ihn auf dem Schlachtfeld Schuldigkeit und Tatkraft auszeichneten, in der Politik Geschmeidigkeit, Feinheit und entgegenkommendes Verständnis, so war ihm im Salon eine höfische Glattheit und Formengewandtheit zu eigen, die, Frauen gegenüber, den Glanz und die Wärme alter Troubadouranmut gewann ...

Das starke Selbstbewußtsein Manteuffels, das bei den ungewöhnlichen und mannigfachen Erfolgen seines reichen Lebens vielleicht erklärlich war und das vorhin schon angedeutet wurde, ließ den Marschall im Kontakt mit ebenso selbstbewußten Naturen absolut keine ersprießliche Form der Begegnung, des Einverständnisses, des Zusammenwirkens finden. Das zeigte sich sehr bald im amtlichen Verkehr und im politischen Verhältnis zu dem ersten reichsländischen Staatssekretär, Excellenz Herzog, worauf wir später eingehend zurückkommen werden, in verhängnisvoll scharfer Weise. Aus diesem Element etwas selbstbewußter Eitelkeit erklärt sich auch die leise Gefallsucht, die in des Marschalls Werben um freundliche politische Beurteilung und um Popularität sich dokumentierte.

Bei dem oben schon erwähnten Glauben an die große vermittelnde Kraft der persönlichen Berührungen ist es eine ganz natürliche Konsequenz, daß Manteuffel die Gastfreundschaft mit besonderer Wärme und regem Interesse pflegte. Ihm war sie nicht nur eine freundliche Förderin der Geselligkeit, sondern sie erschien ihm auch als Helferin und Genossin in der Politik.

Er war trotz eines überall in die Erscheinung tretenden Idealismus doch ein so praktischer Lebensphilosoph, daß er den Wert eines mit edlen Weinen gewürzten Gastmahls als anregendes Moment wohl zu schätzen verstand; freilich mehr für andre als für sich selbst.

Fast täglich waren an seinen Tisch Gäste geladen: Beamte, Offiziere, Geistliche, angesehene Eingeborene, vorübergehend anwesende Fremde von Bedeutung. In angeregtem Plaudern wurden da Fragen, die in schriftlicher Form oder auf dem Umweg durch die Presse kühler, ferner und abstrakter behandelt worden wären, durch die Unmittelbarkeit von Rede und Gegenrede, den lebendigen Ton, den beredten Blick viel wärmer und eindringlicher beleuchtet und gediehen dadurch manchmal in einer Stunde persönlicher Verhandlung zu viel besserem Wachstum. Des ersten Statthalters frischer, praktischer Soldatensinn, der in rührigem Handeln und keckem Ergreifen einer Frage eine raschere Förderung erschaute, als in aktenmäßig theoretischer Behandlung, bekundete sich in solcher Auffassung. Gewiß lagen auch große Gefahren in einer besonderen Pflege des persönlichen Kontakts, weil er subjektiver Betätigung freie Bahnen öffnete, aber es lagen auch ebenso unverkennbar Vorteile darin; besonders in einer Zeit des Uebergangs, da die Strömungen in den Geistern, die geschichtlich treibenden Einflüsse zweier lebendigen Kulturen, der bis dahin im Lande wirksam gewesenen französischen, sowie der nun wirkenden deutschen, noch fremd und unvermittelt nebeneinander liefen. Der Grund alles Mißverstehens bisher war gewesen: man kannte sich einfach nicht genug, man rechnete mit unbekannten oder halbbekannten Werten.

Damals übte der französische Chauvinismus noch eine so knechtende Macht über die im Lande gebliebenen Elsaß-Lothringer, daß sie sich, im eminentesten Sinne des Wortes, abschlossen und verschlossen; nicht nur in ihren Gesinnungen, sondern in ihrem Willen, in ihren Lebensbetätigungen, ihren Gewohnheiten, in ihren Häusern.

Verwandte, Bekannte und Freunde, die für Frankreich optiert hatten, behielten ihre alten Heimatsgenossen scharf im Auge und übten einen Terrorismus an ihnen aus.

Wahrlich, es gehörte ein starker sittlicher Mut dazu und eine wache Energie, daß diese im Land gebliebenen Elsässer in irgendwie persönliche Beziehungen zu den »Deutschen« traten, und gar zu den offiziellen Kreisen. Denn die französischen Zeitungen, sogar ernste Blätter, kennzeichneten solche Elsaß-Lothringer als Verräter, Abtrünnige, gesinnungslose Schurken und käufliche Wichte, und brannten ihnen Schandmale auf durch lange, entwürdigende Berichte.

In solchen Uebergangszeiten können vom sozialen Gebiet aus nicht zu unterschätzende politische Wirkungen erzielt werden, und Manteuffels Methode, die teils einem klugen Ermessen der geschichtlichen Bedingungen, teils aber auch einem persönlichen, sehr subjektiven Empfinden entsprang, hatte daher eine Berechtigung.

Er betätigte seine liebenswürdige Ritterlichkeit, seine sehr anregende und anpassungsfähige Geistigkeit oft ganz hinreißend in seiner Gastfreundschaft. Ein feiner Zug in ihr war, daß er bei den häufiger erscheinenden Gästen seiner Tafel bald ihre kleinen Lieblingsneigungen entdeckte und demgemäß dann dem einen irgend eine bevorzugte Weinsorte, dem andern eine bevorzugte Speise besonders servieren ließ. So ließ er z. B. Herrn Julius Klein, übrigens einem der interessantesten und politisch feinsten Altelsässer, auf dessen reiche Persönlichkeit wir später noch eingehend zurückkommen werden, immer einen moussierenden, leichten Wein an seinen Platz stellen, denn er hatte erkundet, daß Klein magenleidend war und jenen besonderen Wein als bekömmlich und leicht bevorzugte.

Der Feldmarschall-Statthalter war materiellen Genüssen wenig zugeneigt; bei seinen Gastmählern nahm der mäßige Mann nur ein wenig Brühe, etwas Hühnerfleisch und – Biliner Wasser. Während die Schüsseln und Flaschen lebhaft kreisten, saß er »ganz Geist« in seiner eigentümlichen, man könnte sagen anmutig-aufrechten Haltung und beobachtete scharf seine Gäste. Neben seinem Platz lag immer ein Tafelbild, das heißt eine Gruppierung der Gäste mit deren Namen, so daß er sich beim Ueberblick sogleich zurechtfinden konnte, und so aus dem außerordentlich großen Kreis der Kommenden und Gehenden, der eigentlich das ganze Land Elsaß-Lothringen im Extrakt darstellte, auch die weniger Bekannten seinem Urteil deutlich vorgerückt waren.

Eine eigentümliche, in hohem Grad fesselnde Erscheinung, dieser Marschall-Statthalter! Wie er da an seiner Tafel saß, den eleganten Waffenrock seines Dragonerregiments mit Orden aller Grade und Länder bedeckt, eng über der schlanken Gestalt geschlossen, die feinen Hände spielend mit einer goldenen Lorgnette, die er oft und gewandt vor die Augen führte! Und seltsame Augen waren es – Augen, aus denen Schlauheit, Stolz, Kühnheit, Genialität, Güte blickten und die die ganze merkwürdige Vielseitigkeit seines seelischen Wesens widerspiegelten ... Die freie Stirn war hoch umbuscht von grauem Haar; dies und der ganze obere Teil des Kopfes, auch die hängenden Brauen, unter deren halber Deckung der Blick um so geheimnisvoller blitzte, und der etwas stumpfe Ansatz der Nase erinnerten stark an den Charakterkopf des norwegischen Dichters Ibsen. Züge, aus denen eine mächtige und komplizierte Geistigkeit und ein von Natur fester, durch Schulung eiserner Wille sprach.

Manteuffel war siebzig Jahre, als er nach Elsaß-Lothringen kam, und hatte bereits ein Leben reichsten Inhalts, voll theoretischen und praktischen Wirkens hinter sich. Abgesehen von mannigfachen diplomatischen Sendungen, insbesondere nach Rußland, wo er das Ansehen eines wirkungsvollen und beliebten Vermittlers genoß, hatte ihn sein König in den Kriegen, die zwischen 1860 und 1870 liegen, und in den Aktionen, die ihnen folgten, zu besonderen Vertrauensstellungen und Kommandos ersehen.

Nach dem Krieg mit Dänemark (1864) ward er zum Gouverneur von Schleswig bestimmt und erfüllte die schwierige Mission mit Glück und Erfolg. Im deutsch-österreichischen Krieg 1866 hatte er die Mainarmee zu kommandieren, hatte Frankfurt genommen und im Mainfeldzug den Prinzen Karl von Bayern siegreich südwärts gedrängt, bei Kissingen und Würzburg die feindlichen Truppen geschlagen und so bis zum Waffenstillstand sehr erfolgreich gewirkt. Im großen deutsch-französischen Krieg 1870-1871 hatte er dann, wie allerwärts bekannt, eine hervorragende Rolle gespielt und hatte nach dem Friedensschluß, vom Kaiser Wilhelm erwählt, als Oberbefehlshaber der in Frankreich bis zur völligen Auszahlung der Kriegsschuld verbleibenden Occupationsarmee einige Jahre in Nancy Hauptquartier zu halten.

Alle diese Erregungen, dies Hin und Her, diese fortdauernde Reibung und Uebung seelischer und körperlicher Kräfte hatten naturgemäß bei dem Siebzigjährigen die Elastizität vermindert; da hat er denn, was seiner Kraft etwa an der ursprünglichen Frische mangelte, zu ersetzen gesucht durch seine mächtige Energie.

Die ihn besser kannten, wußten, daß, wenn er die Pflichten seiner dienstlichen Würde erfüllte, er sich mit gewaltigem Ruck der Willenskraft zusammenriß, um die leichte Ermüdung zu besiegen, der er nur selten nachgab, die aber doch in ihm war ...

Uebelwollende nannten das damals, wenn er elastischen Schritts in den Saal trat und den Männern aufrecht und fest entgegenschritt und den Frauen mit ritterlicher Anmut begegnete: »Der Marschall markiert wieder den Fähnrich!« Für den Tieferblickenden aber war es ein rührendes Schauspiel, wie der im Krieg und vielerlei ernsten Pflichten Ergraute, der am Beginn des Greisenalters noch mit einer neuen, verantwortungsvollen politischen Sendung belehnt war, seinen eisernen Willen als Mitkämpfer zur Lösung einer erhabenen Aufgabe aufrief.

Sehr merkwürdig hatte sich aus der Geschichte heraus das Verhältnis zwischen Manteuffel und Bismarck gestaltet. Manteuffel, der sonst so ganz Eigenartige, bekannte sich in dieser Beziehung, das heißt in seiner Auffassung von Bismarcks Verdiensten am Aufbau des Reiches, voll zu der innerhalb weiter Kreise des Generalstabs und der höheren Truppenführer herrschenden, die vorhin schon skizziert wurde.

Die in der »Deutschen Revue« letzthin veröffentlichten Kriegstagebücher des Generals v. Stosch beweisen, daß schon während des Krieges und der Verhandlungen in Versailles jene Gegensätze vielfach schroff hervortraten. Die Auszeichnungen von Stosch werfen scharfe Lichter auf diese eigenartigen Verhältnisse und lassen besonders die Charaktergestalten von Bismarck und Moltke in klar umrissenen Kontrasten erscheinen. – Nach dem ungeheuern Erfolg des deutsch-französischen Krieges, und nachdem aus allen Kämpfen, Trümmern, Wunden und Verlusten das Deutsche Reich erstanden, war es verständlich, daß die Urheber der konkreteren Erfolge, die Gewinner der Schlachten, die ihr Leben in hundert Todesmöglichkeiten während eines langen Krieges eingesetzt hatten, sich am glorreichen Ende des Riesenkampfes als die höchstbeteiligten Sieger fühlten. Ihnen erschien das Deutsche Reich in erster Linie aus den Erfolgen der Waffen hervorgegangen: aus der klugen, teils genialen Führung der Generäle und der Tapferkeit und Disziplin des Heeres.

Die eminente Staatskunst des geistigen Helden Bismarck, seine wachsame Weisheit, das Genie seiner politischen Erkenntnis, sein zielklares Wirken, das alles werteten sie nicht ganz in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung, auch nicht in seiner besonderen Bedeutung für die Schöpfung des Deutschen Reiches. Und daß die öffentliche Meinung, die fast immer den richtigen Instinkt für das Wahre hat, jener Auffassung nicht recht gab, schärfte diese um so mehr.

Wohl hat die öffentliche Meinung auch den deutschen Kriegshelden, vor allem Moltke und Roon, und dem ausgezeichneten Heer, nach ihren Verdiensten alle Ehren zuerkannt, aber: als den eigentlichsten Schöpfer des Deutschen Reiches hat sie allezeit Bismarck gefeiert, und hat diese Ueberzeugung im Leben und in der Geschichtschreibung betätigt.

Eine gewisse Rivalität zwischen Bismarck und dessen gewaltigem Anhang einerseits und der Militärpartei mit einer großen Anhängerschar anderseits war immer wie eine innere Entfremdung latent.

Kaiser Wilhelm I., der milde, lebensweise Mann, der wie eine Inkarnation der Gerechtigkeit in der Geschichte steht, hatte das wohl erkannt, und seiner warmen Mittlerpersönlichkeit ist es gewiß zuzuschreiben, daß damals in der großen Zeit, die auch naturgemäß alle Leidenschaften und Meinungen viel reger aufschürte, schärfere Konflikte vermieden wurden.

Kaiser Wilhelm hatte unter all seinen Generälen stets eine besondere Schätzung für Manteuffel bekundet, wie das auch aus dessen Erwählung zu wichtigen Missionen, zuletzt durch seine Berufung als Statthalter in Elsaß-Lothringen hervorging.

Kurz nach Manteuffels Ernennung, doch ehe er definitiv seinen Posten antrat, hatte Kaiser Wilhelm den Marschall noch in einer politischen Mission nach Rußland entsandt. Diese Sendung wurde zwar von vielen Seiten als ein bloßer Höflichkeitsakt hinzustellen gesucht, aber die Tatsachen und deren klar zutage tretender innerer Zusammenhang und der bestimmte Sinn, der daraus spricht, kennzeichnen jene Sendung als eine politische.

Es waren seit längerer Zeit russische Verstimmungen, die besonders in der Presse ihren Ausdruck fanden, zu bemerken. Rußland sah mißbilligend auf Bismarcks oft markierte treue Bundesfreundschaft mit Oesterreich, und auch in Deutschland wurde von unparteiischen Preßstimmen betont, daß für Fürst Bismarck, als vorzugsweise praktischen Staatsmann, ein Dreikaiserverhältnis kaum mehr bestehen könne, da hinter dem russischen Mitglied dessen Staat nicht mehr stehe.

Dabei schien es nach einer Notiz der »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung«, die als sicher und offiziös galt, festzustehen, daß Manteuffels Reise nach Warschau lediglich aus des Kaisers Initiative, wohl mit Vorwissen, aber ohne Zustimmung des Kanzlers erfolgte.

Der offizielle Grund von des Marschalls Sendung war der, daß er als Führer einer Deputation von Offizieren den Zaren bei den Manövern um Warschau im Namen des Deutschen Kaisers begrüßen sollte.

Am Donnerstag den 29. August (1879) ging der Feldmarschall nach Warschau. Er war ja auch, als persona gratissima am russischen Hofe, der bestgewählte Sendbote. Daß Manteuffels Mission aber einen politischen Charakter hatte, ging deutlich aus zwei Erscheinungen hervor: erstens aus der Auffassung der Presse, die in ihren Regierungsorganen besonders betonte, daß die russische Regierung den Ton der einheimischen Presse mißbillige und in durchaus freundschaftlichen Beziehungen zu Deutschland stehe etc., und daß sie in der Sendung Manteuffels ein Entgegenkommen Deutschlands freudig begrüße. Der zweite, viel mächtigere Beweis für den politischen Charakter der Reise war die Tatsache, daß einige Tage nach dem Besuch Manteuffels die bekannte Zusammenkunft Wilhelm I. und des Zaren Alexander in Alexandrowo stattfand, die ersichtlich doch wohl dadurch angebahnt war.

Die innere Geschichte dieser Vorgänge trat in besonders scharfe Beleuchtung durch folgende weitere Tatsache. Zu gleicher Zeit, als Manteuffel in Warschau war, hatte Bismarck mit Andrassy in Gastein eine sehr lange, warme Unterredung und versprach zugleich seinen demnächstigen Besuch in Wien. Andrassy war von dem Inhalt der Unterredung offenbar so befriedigt, daß er zum Kaiser Franz Joseph ins Lager von Bruck fuhr und dort eingehend berichtete.

Die russischen Zeitungen polemisierten scharf gegen Bismarck, auf der Basis einerseits der Zusammenkunft in Alexandrowo mit vorangehender Entsendung Manteuffels ohne Bismarcks Zustimmung, und anderseits der neuerlichen Annäherung an Oesterreich durch die freundschaftliche Begegnung der beiden Minister in Gastein. Die russischen Zeitungen gingen sogar so weit, Bismarcks Stellung für erschüttert anzusehen und in Manteuffels Persönlichkeit und Günstlingstellung bei Kaiser Wilhelm eine Gefahr für den Kanzler zu erblicken. Am 21. September fand dann Bismarcks Besuch in Wien statt ...

Diese politischen Vorgänge wurden nur deshalb an dieser Stelle etwas eingehender behandelt, weil sie auf die eigentümliche, schon angedeutete Rivalitätsstellung und daraus keimende Zwiespältigkeit zwischen Bismarck und Manteuffel, die äußerlich weltmännisch immer maskiert wurde, aber innerlich doch bestand, ein helles Licht werfen. Und dies Licht scheint uns gerade im Beginne der neuen, hochwichtigen Stellung von Manteuffel eine Bedeutung zu haben, die manches klarer schauen lehrt ...

Wir wollen den ersten Statthalter in Elsaß-Lothringen zeigen in der Wechselwirkung seiner reichen Persönlichkeit mit den politischen Verhältnissen und Entwicklungen im Reichsland. Wenn man ein möglichst erschöpfendes und richtiges Urteil geben will, dann muß man die Größen und Werte aneinander messen und gleichsam aneinander abklären; und dazu ist es von Bedeutung, daß die Zeit in all ihren Erscheinungen und Bedingungen auf die Wirkung hin geprüft wird, die sie auf die zu beurteilenden Persönlichkeiten übte. Dinge, die manchmal nebensächlich erscheinen, können doch von charakteristischer Bedeutung sein, – so etwa wie bei einem Gemälde wenige Punkte und Linien sich zu einem Schatten zusammenfügen, und anderseits wenige Töne und Färbungen Ausdruck in tote Flächen tragen können. Wir halten es für eine schöne Pflicht, von einem Manne, dessen Wesen und Wirken oft von seiner Zeit verkannt worden ist, ein Bild zu geben, zu dem Beobachtung, lebendige Erfahrung und vorurteilslose Erkenntnis die Farben mischten. Das ernste Ergebnis des liebevoll gezeichneten Werkes wird dann, so hoffen wir, eine nicht unerwünschte Illustration für die Bücher der Geschichte des Elsaß bedeuten.

*

Die Ernennung Manteuffels zum Statthalter in Elsaß-Lothringen begegnete fast ausnahmslos in der deutschen Presse den freundlichsten Gesinnungen. Es wurde auch in Parteien und Kreisen, die für den Marschall keine besondere Sympathie hatten, einmütig betont, daß er sich sogar in Stellungen, in die man ihn mit einem gewissen Mißtrauen eintreten sah, immer Achtung und Ehrfurcht zu erringen gewußt habe. In den Debatten im Reichstag, gelegentlich der Beratung des elsaß-lothringischen Verfassungsgesetzes, wurde bereits Manteuffels Name als der des zukünftigen Statthalters des Reichslandes mit Anerkennung und freudiger Zuversicht genannt. So tat z. B. der als geistreicher und bedeutender Politiker bekannte Zentrumsführer Dr. Windthorst, der als Klerikaler und Welfe doch auf einem durchaus andern Boden stand als Edwin von Manteuffel, den bemerkenswerten Ausspruch über dessen bevorstehende Ernennung: »Ich habe mit Genugtuung gehört, daß man die Stellung des Statthalters einem berühmten General verleihen will, der sie gewiß von einem großartigen Gesichtspunkt auffassen wird.«

Der elsässische Reichstagsabgeordnete August Schneegans, eines der Häupter der Autonomistenpartei im Reichsland, äußerte sich in sehr bedeutsamer Weise: »Dem feinen Taktgefühl eines durch sein Wirken in Weltgeschäften bewährten Staatsmannes wird es nicht schwer fallen, zu entdecken, wie und in welcher Weise die heilende Hand mit fester, aber auch vorsichtiger und schonender Entschiedenheit an die wunde Stelle zu legen sei. Wir dürfen getrost der Erfahrung des Mannes vertrauen, den die hohe Staatsregierung in das Reichsland schicken wird, und von dessen versöhnlichem Wirken inmitten der Kriegsverhältnisse so viel verheißende und ermutigende Botschaft zu uns gelangte. Wer den Marschallstab also führt, dessen Geist ist dem Verständnis unsrer Lage und unsrer Bedürfnisse geöffnet, dessen Kommen dürfen wir mit der Zuversicht entgegensehen, daß auch bei uns sein Wirken ein gerechtes, wohlwollendes und segensreiches sein werde.«

In Elsaß-Lothringen waren die Wünsche nach möglichster Selbstverwaltung und Selbständigkeit der Landesregierung immer lebendig gewesen und von Jahr zu Jahr regsamer geworden. Die Regierung des Reichslandes vom Reichskanzleramt in Berlin aus hatte naturgemäß, aus solcher Ferne, etwas Theoretisierendes; aus dem direkten Kontakt und der Wechselwirkung von Bevölkerung zur Regierung im Lande mußte ein viel wirkungsvolleres Gedeihen erwachsen.

Schon in der Mitte der siebziger Jahre, als die Verwaltung des Oberpräsidenten v. Möller sich schärfer accentuierte, beschäftigten den Fürsten Bismarck Erwägungen über die Zweckmäßigkeit der für die Ausgestaltung der Ministerialinstanz getroffenen Einrichtungen. In der Tat konnte die Organisation als gelungen nicht bezeichnet werden. Die politische Verantwortlichkeit für die gesamte Verwaltung ruhte ausschließlich bei dem Reichskanzler. Der erheblichste und wichtigste Teil der ministeriellen Befugnisse war aber dem Oberpräsidenten übertragen. Darin lag ein Auseinanderreißen der ministeriellen Gewalt, das sich nicht besonders fühlbar gemacht hatte, solange die Ausübung der Legislative dem Kaiser und Bundesrat allein zustand, aber peinlich in Berlin empfunden wurde, als nach der am 1. Januar 1874 erfolgten Einführung der Reichsverfassung der Reichstag, insbesondere bei Beratung des Landeshaushaltsetats, anfing, mit den Details der Verwaltung sich zu beschäftigen.

So ausgezeichnete Männer dem Fürsten Bismarck in den Personen des Staatsministers Delbrück und des Chefs des Reichskanzleramts für Elsaß-Lothringen, Herzog, auch zur Seite standen, es fehlte ihnen allen die intime Kenntnis der Personen und Verhältnisse im Reichslande und der Einzelheiten der laufenden Verwaltung, und daraus ergab sich ein Gefühl der Inferiorität an derjenigen Stelle, die doch zur Vertretung der Politik dem Parlament gegenüber berufen war.

Auch an Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Oberpräsidenten und dem Reichskanzleramt, sowie zwischen dem ersteren und einzelnen Bezirkspräsidenten mangelte es nicht, und es mochte dem Fürsten Bismarck, wenn er dann zur Entscheidung angerufen wurde, wohl die Empfindung sich aufdrängen, daß es der maßgebenden Stelle an hinreichender Information fehle, und daß er seine Verantwortlichkeit für Verfügungen einsetze, deren Tragweite ganz zu übersehen ihm unmöglich war. In Besprechungen, die der Reichskanzler mit dem damals als Reichstagsabgeordneter einen großen Teil des Jahres in Berlin weilenden Mitverfasser dieser Aufzeichnungen über die Lage in Elsaß-Lothringen hatte, trat dieser Gesichtspunkt stark hervor. Es knüpften sich daran Erörterungen, ob es nicht richtiger gewesen wäre, von der Schaffung des Oberpräsidiums ganz abzusehen und unter Beibehaltung der Departemental- und Präfekturverfassung ein dem Reichskanzler untergeordnetes Ministerium in Berlin zu errichten. Das hätte dann auch zur Folge gehabt, daß für alle geschäftlichen Interessen der Landesbewohner, die eine Mitwirkung der Zentralinstanz erforderten, die Beziehungen zwischen der Reichshauptstadt und dem Lande viel enger und mannigfaltiger sich ausgebildet hätten und somit Berlin dieselbe politisch leitende Bedeutung für das Reichsland gewonnen hätte, die in der französischen Zeit Paris für das Elsaß und dessen Verwaltung besaß.

Auf eine so gestaltete Organisation zurückzugreifen, konnte freilich nicht mehr in Frage kommen, nachdem im Jahre 1874 der Landesausschuß berufen und 1877 mit erweiterten legislativen Befugnissen ausgestattet worden war. Denn neben der Landesvertretung in Straßburg mußte notwendig die Zentralinstanz stehen, und je mehr die Mitwirkung jener an der Gesetzgebung sich entwickelte und die des Reichstags zurücktrat, desto mehr mußte das Schwergewicht der parlamentarischen Vertretung die Verwaltung in das Land hineinziehen.

Auch entsprach diese dezentralisierende Entwicklung wohl mehr den Anschauungen des Fürsten Bismarck, als eine straffe Zentralisation in Berlin. Die Aeußerungen des Fürsten über die Heranbildung partikularistischen Geistes in Elsaß-Lothringen sind bekannt, und mehrfach deutete er dem Mitverfasser an, daß der Reichskanzler an der Behandlung der öffentlichen Angelegenheiten im Reichslande nur insofern Interesse habe, als er versichert sein müsse, daß diese mit der Reichspolitik im Einklang stehe und insbesondere die Kreise der auswärtigen Politik nicht störe, daß aber unter dieser Voraussetzung der Reichskanzler um die Verwaltung der Landesangelegenheiten im einzelnen nicht weiter sich zu kümmern brauche.

Ueber die Gesichtspunkte, die den Fürsten Bismarck veranlaßten, im Jahre 1879 die Teilung der ministeriellen Befugnisse zwischen dem Reichskanzleramt und dem Oberpräsidium zu beseitigen und die Landesregierung mit dem Sitz in Straßburg einheitlich zu gestalten, hat er sich im Reichstag ausführlich ausgesprochen (Rede vom 21. März). Es würde aber irrig sein, aus den Worten des Fürsten: er habe sich vorgenommen, den betreffenden Verfassungsfragen nicht eher näher zu treten, als bis sie aus dem Lande selbst angeregt würden; dies sei jetzt (durch die Anträge Schneegans) geschehen – zu schließen, als habe Bismarck dabei dem Drängen der Autonomisten, die ihn für ihre Ideen gewonnen hätten, nachgegeben. Diese in der Allgemeinheit vielfach verbreitete irrtümliche Anschauung scheint auch Petersen in seinem Buch »Deutschtum in Elsaß-Lothringen« zu teilen. In Wahrheit verdankt das Verfassungsgesetz von 1879 seine Entstehung und Ausgestaltung einzig und allein der Initiative des Fürsten, und der Antrag des Abgeordneten Schneegans wurde im Reichstag erst gestellt, als dieser sich vergewissert hatte, daß der Antrag dem Wunsche und der Ansicht des Reichskanzlers entspreche und also auf Entgegenkommen zu rechnen habe. Die amtliche Stelle in Straßburg stand der Genesis dieses Gesetzes ganz fern, und auch im Reichskanzleramt für Elsaß-Lothringen herrschten starke Zweifel über dessen Zweckmäßigkeit. Der Chef dieser Behörde, wie auch der damalige Staatssekretär des Reichsjustizamts (Friedberg), waren mehr zentralistisch gesinnt, und ersterer hielt die Verlegung der gesamten Landesverwaltung nach Straßburg und das Ausscheiden des Reichskanzlers aus der Stellung des Ministers für Elsaß-Lothringen für einen gewagten, mindestens verfrühten Versuch. Fürst Bismarck aber, der seit Jahren den Gang der Dinge im Reichslande genau verfolgt und dabei Vertrauen auf die loyale Haltung des Landesausschusses gewonnen hatte, ließ sich durch keinerlei Bedenken in seiner Anschauung beirren. Daß er auf die Mitwirkung der deutschfreundlichsten Partei in der Bevölkerung (der Autonomisten) zählen konnte, war ihm selbstverständlich erwünscht. Er rechnete aber keineswegs allein mit der Haltung dieser, eigentlich nur im Unterelsaß festgewurzelten Partei. Die von ihm, auch an nichtamtlichen Stellen, erhobenen Informationen gaben ihm die Gewähr, daß die einflußreichen politischen Persönlichkeiten auch aus den andern Landesteilen, insbesondere dem Oberelsaß, es an ehrlicher Unterstützung der Landesregierung nicht fehlen lassen würden.

So kam das Gesetz vom 3. Juli 1879 zustande. Nach der Ansicht wohl aller bei dessen Formulierung beteiligter Personen hatte es nur den Charakter eines Uebergangsgesetzes, wie dies auch Fürst Bismarck im Reichstag andeutete, und es dürfte damals niemand ihm eine Lebensdauer von annähernd dem Viertel eines Jahrhunderts zugedacht haben. Daß aber eine stetige und ruhige Entwicklung des Landes unter der Herrschaft dieser Verfassung hat stattfinden können, ist ein Beweis, daß diese seinerzeit den Bedürfnissen und Anschauungen der Bevölkerung gerecht wurde.

Schon im Stadium der Vorbereitung des Gesetzes wurde von einflußreicher Seite (Herzog) die Ansicht vertreten, es müsse der Landesausschuß auf den Boden eines politischen Wahlsystems gestellt werden, um den Charakter einer wirklichen Landesvertretung zu erhalten, und es wurde die Einführung des allgemeinen Stimmrechts, jedoch mit indirekten Wahlen, befürwortet.

Der Mitverfasser dagegen hielt es für richtig, an die kommunale Grundlage des bisherigen Landesausschusses anzuknüpfen und diese Körperschaft in analoger Weise durch Gemeindewahlen zu ergänzen, wobei das damals für den Senat in Frankreich geltende Wahlsystem als Vorbild herangezogen wurde. Er ging davon aus, daß die weitere Entwicklung abzuwarten, zunächst aber der Landesausschuß mehr die Eigenschaft einer Provinzialvertretung haben solle, und das Wahlsystem dem anzupassen sei.

Fürst Bismarck entschied für diese Ansicht, wobei ins Gewicht fiel, daß Schneegans und seine autonomistischen Freunde gleichfalls in dem gedachten Sinn sich aussprachen.

Der Einrichtung der Statthalterschaft war Fürst Bismarck anfänglich nicht geneigt. Er hielt diese für unnötig und wollte sich auf ein Ministerium in Straßburg beschränken, analog dem in Karlsruhe, mit einem leitenden Staatsminister und Ressortchefs. Die Verbindung zwischen der Allerhöchsten Stelle und dem Ministerium sollte durch einen höheren Beamten mit dem Amtssitz in Berlin hergestellt werden, und die Aufgabe des letzteren zugleich sein, dem Reichskanzler über grundsätzlich wichtige Fragen Vortrag zu halten.

Allein es wurde geltend gemacht, daß die Zahl der dem Souverän zur Unterschrift vorzulegenden Entscheidungen über größtenteils unbedeutende Sachen viel erheblicher sei, als sonst in den deutschen Staaten gebräuchlich; eine Entlastung des Kaisers und zugleich eine Beschleunigung des Geschäftsganges erscheine wünschenswert, indem einem Statthalter diese Gegenstände zur landesherrlichen Erledigung überwiesen würden.

Solche und andre Erwägungen bestimmten den Fürsten Bismarck, auf seiner ersten Ansicht nicht zu beharren. So kam in das Gesetz die Statthalterschaft als eine fakultative Institution. Es wäre wohl genügend gewesen, dem Statthalter verantwortliche Ressortchefs zur Seite zu stellen und die nun nicht mehr erforderliche Stelle des Staatssekretärs fallen zu lassen. So war es auch gedacht; daß diese Stelle dennoch beibehalten wurde, hatte wohl überwiegend persönliche Gründe, nachdem entschieden war, daß ein hoher Militär zum ersten Statthalter des Reichslandes bestimmt wurde.

Das waren die Konstellationen, unter denen Manteuffel am 1. Oktober 1879 sein Amt antrat.

Das Ministerium war in folgender Weise zusammengesetzt. Der politische Leiter, der die landesherrlichen Akte des Statthalters gegenzuzeichnen hatte, verantwortlicher Minister war und übrigens auch ein Ressort im Ministerium führen konnte, hatte den Titel »Staatssekretär« und war erwählt in der Person des bisherigen Unterstaatssekretärs im Reichskanzleramt, Herrn Herzog. An der Spitze jedes Ressorts im Ministerium stand ein Unterstaatssekretär. Und zwar hatte die Verwaltung des Innern und Kultus: Herr v. Pommer-Esche (bisher Vortragender Rat im Reichskanzleramt); die Finanzen hatte Dr. G. v. Mayr (bisher Ministerialrat in München), und die Verwaltung der Justiz hatte der Mitverfasser, Max v. Puttkamer (bisher Erster Generaladvokat in Colmar im Elsaß). Die Abteilung für Handel, Gewerbe etc. war noch unbesetzt, und es waren Verhandlungen im Gange, die dem Präsidenten des Bezirkstags von Unterelsaß, Herrn Julius Klein, einem Elsässer, die Uebernahme dieses Postens anbieten sollten.

Fürst Bismarck hatte die bestimmte Absicht geäußert, Klein einen Platz als Unterstaatssekretär zu offerieren.

Die Verhandlungen wurden durch den Unterstaatssekretär v. Pommer-Esche geführt. Klein hatte sich im Prinzip zur Annahme bereit erklärt, und nur um Bedenkzeit gebeten, um die Meinung seiner politischen Freunde, der Herren von der Autonomistenpartei, über diese wichtige Frage zu hören. Es erschien diesen sympathisch und auch staatsmännisch richtig, wenn einer der Ihren, ein hervorragend begabter Politiker und Verwaltungskundiger, durch Annahme des Unterstaatssekretärpostens direkten Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten des Landes gewänne. Sogar aus den Kreisen der sogenannten Protestler, der Partei der stärksten Frontmacher gegen die geschichtliche Wendung der Dinge, soll Klein geraten worden sein, das Anerbieten der Regierung anzunehmen. Die Angelegenheit war durch die von Klein geäußerten Bedenken und die Verhandlungen darüber etwas vertagt worden. Anscheinend wurde die Zurückhaltung Kleins und das Aufwerfen von Bedenken als eine Ablehnung aufgefaßt, – oder vielleicht erwartet, daß weitere Schritte zur Förderung der Angelegenheit von Klein ausgehen müßten. Jedenfalls wurde die Sache nicht weiter geführt und im negativen Sinne als erledigt betrachtet.

Klein selbst hat später zum Mitverfasser (der übrigens nicht bei den Verhandlungen beteiligt war) geäußert, er habe seinerseits den Entschluß gefaßt gehabt, wenn die Verhandlungen fortgesetzt worden wären, anzunehmen, – und er hätte sich von der bestimmten persönlichen Empfindung nicht losmachen können, als wären seine Bedenken (deren Endstadium: den Entschluß, man nicht abgewartet habe) von manchen beteiligten Herren als Vorwand genommen worden, um seine Kandidatur totzumachen.

Klein stand überhaupt in den vordersten Reihen der politisch beachteten und gewürdigten Elsässer. Mehrfach hatte den Fürsten Bismarck schon früher die Erwägung beschäftigt, ob es nicht tunlich sei, Eingeborene von hervorragender geistiger Bedeutung, an deren Loyalität selbstverständlich kein Zweifel bestehen dürfe, in höhere Aemter des Staatsdienstes zu berufen.

Der Reichskanzler war auf Julius Klein, der in der Straßburger Stadtverwaltung, wie auch im Landesausschuß und Bezirkstag eine bedeutende Rolle spielte, aufmerksam geworden.

Klein, ein politisch und kirchlich liberaler Protestant, der eine umfassende und gründliche Kenntnis von Personen und Dingen, insbesondere in der Landeshauptstadt und im Unterelsaß besaß, hatte jederzeit, in uneigennütziger Weise, erbetenen politischen Rat erteilt, und hatte ein großes und verdientes Ansehen unter seinen Landsleuten sowie auch in Beamtenkreisen.

Fürst Bismarck war nun auf den Gedanken gekommen, bei einer Vakanz im Bezirkspräsidium in Colmar, in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, die Leitung der Verwaltung des Oberelsaß Herrn Klein anzuvertrauen. Er beauftragte den Mitverfasser mündlich, einmal vertraulich zu ermitteln, wie diese Ernennung von der Bevölkerung des Oberelsaß wohl ausgenommen werden würde. Denn der Fürst sah darin einen Akt weiten Entgegenkommens; er wollte durch die Ernennung die Staatsautorität nicht schwächen, sondern stärken, und jene nur ausführen, wenn er sicher sein könne, daß dadurch die Verschmelzung des Beamtentums mit den einflußreicheren Kreisen der eingeborenen Altelsässer gefördert werde.

Bei der vertraulichen Umfrage, die in Bismarcks Auftrag dann gehalten wurde, begegnete der Gemahl der Verfasserin einer fast einmütigen Abgeneigtheit.

Der staatsmännischen Begabung und den ausgezeichneten persönlichen Eigenschaften Kleins wurde zwar ausnahmslos eine volle Anerkennung gegeben, – aber man fand sachliche Gründe gegen seine Ernennung. Damals standen sich die einzelnen Bezirke noch ziemlich fremd gegenüber, – jeder in seinem besonderen Interessenkreise, unvermittelt nebeneinander. Infolge der Zentralisation der französischen Verwaltung in Paris lag die Gemeinsamkeit der Interessen nicht im Lande, sondern in der Hauptstadt Frankreichs. Die Sonderinteressenpolitik der Bezirke war also noch ein Rest aus vergangener Zeit. Die lag den altelsässischen Herren, die Politik trieben (und solche gehörten natürlich nur zu den vertraulich Sondierten), noch allzusehr im Blut, als daß sie ihr Urteil davon hätten befreien können. Sie argumentierten also so: Klein ist im Oberelsaß ein unbekannter Mann; er kennt die Interessen und Bedürfnisse des Bezirks nicht, und es wird keine gesunde Wechselwirkung zwischen ihm und dem Bezirk eintreten.

Außerdem war ihnen noch eine Erwägung von mehr allgemeinpolitischem Charakter ausschlaggebend: die Zeit sei noch nicht reif dafür, daß Elsässer in die höhere Verwaltung des Landes einträten; ihre persönlichen Beziehungen könnten zu leicht in Konflikt kommen mit ihren amtlichen Pflichten. Später, viel später, als einmal der Mitverfasser über jenen Wunsch Bismarcks zu Klein sprach, äußerte letzterer, daß er damals die Stellung eines Bezirkspräsidenten, wenn sie ihm angeboten worden wäre, entschieden abgelehnt hätte, während er dagegen, wie schon oben angedeutet, den Posten eines Unterstaatssekretärs angenommen haben würde.

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