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Wie sich Manteuffels Gestalt aus jener Epoche des Uebergangs darstellt, hat sie etwas Ueberragendes, Bedeutendes. In dem sinnenden, milden und doch feurig-durchdringenden Blick seines Auges lag viel von jener stillen und geduldigen Weisheit des Lebens, die, weil sie alles erkennt und versteht, auch milde urteilt und verzeiht.
Es ist dem ersten Statthalter vor allem in seiner Politik der Vorwurf des Schwankenden, Schwachen, Unsicheren, eines gewissen experimentierenden Zickzackganges gemacht worden. Es ist auch unleugbar, daß seiner im Grunde genialen Verwaltung des Reichlandes etwas Sprunghaftes und Unsicheres anhaftete. Dies aber allein aus seinem Wesen herleiten zu wollen, aus der schillernden Kompliziertheit seiner Begabung und der spontanen Art seines stark-impulsiven, schwunghaften Empfindens, das wäre kurzsichtig und würde wenig Blick für die Psychologie der Verhältnisse und Menschen verraten. Die Unsicherheit und das Schwankende ergaben sich vielmehr und vor allem aus dem Charakter jener Uebergangszeit.
Jede Uebergangszeit trägt solche Signatur; besonders wenn sie sich im Leben der Staaten und Völker vollzieht. Eine neue Kultur mit neuen Bedingungen und Kräften soll ein altes Kulturfeld bebauen. Eine Saat ersprießlicher Keime muß gleichsam in einen vulkanischen Boden gelegt werden; seine Lebensmöglichkeiten sind dem neuen Bebauer noch nicht bekannt.
Die treibende Wärme des Bodens kann die Saat köstlich zur Reife bringen, – aber, es können auch unberechenbare, unterirdische Gärungen plötzlich explosive Gefahren bringen. Wenn Erfüllung und Reife der Einsaat geerntet werden soll, müssen die Bebauer stillwartend der Zeit überlassen, diese Wunder zu wirken. Nicht darf übereifrige Hast die zarten Anpflanzungen aus dem Boden heben, um zu prüfen, ob sie Wurzeln geschlagen haben, und Blatt und Frucht versprechen ... Warten! Die Zeit wirken lassen! Das ist die einzige Weisheit, die auf reale Erfolge zählen darf ... Vielleicht hat der erste Statthalter gegen dies einfache Naturgebot in dem starken Selbstbewußtsein seiner aktiven Individualität, die alles selbst meistern und schaffen wollte, sich zu sehr aufgelehnt. Das war wohl der tragische Irrtum in seiner Politik, – ein Rechenfehler in der Staatsweisheit ... Selbst ein Bismarck hätte mit der grandiosen Wucht seines Könnens und mit der herrlichen Einheit seines zielvollen Willens nicht das Unruhige zur Ruhe bändigen, nicht das viele Sprießende und Drängende zur Reife fördern können. In Manteuffels Natur war etwas Faustisch-Ringendes, Allwollendes und Allumfassendes. Trotz der geklärten Weisheit, zu der ihn Erfahrung und Nachdenken geführt hatten, blieb er in seinem Gefühl bis an das Ende seiner Tage – ein Jüngling.
Bei so komplizierten und nach allen Richtungen stark begabten Naturen wie die seine ist es nichts Seltenes, daß sie glühende Optimisten des Gefühls und dabei Pessimisten des Verstandes sind. Das schließt sich nicht aus; es ist nur ein unverglichener Zwiespalt des Wesens, der auch die Einheitlichkeit des Handelns zu einer Seltenheit bei so Begabten macht.
Kraft seiner einzigen Individualität wollte Manteuffel Wirkungen hervorzaubern, die nur eine Vielheit von Kräften und Bedingungen in ihrem Zusammenwirken und in der langsam vollziehenden Zeit erzielen kann.
Der große italienische Staatsmann Graf Camillo Cavour hat einmal ein grausam wahres Wort in der Politik ausgesprochen: »Das Einmaleins ist stärker als wir alle!«
In seiner vollen Gedankenverbindung lautet der Ausspruch: »In gewissen Dingen kommt es in erster Linie nur darauf an, daß man vor allem einen klaren Kopf behält, sich nicht selbst täuscht, indem man glaubt, daß fromme Wünsche die Logik der Ziffern zu brechen vermögen. Das Einmaleins ist stärker als wir alle. Ich glaube, wir hätten schon mehr erreicht, wenn man uns allen von Jugend auf strikte beigebracht hätte, daß die freudigsten Schläge des Herzens doch nicht bewirken können, daß 2x2 mehr als 4 ist!«
Ja, die Logik der Zahlen, der Kräfte besiegt uns alle! Dieser Wert mal diesen Wert ergibt unweigerlich nur eine gewisse, daraus resultierende Summe. Das kann kein Wollen und kein Streben antasten oder umwandeln. Keine Einzelkraft, und sei sie die gewaltigste, kann Satzungen der Logik oder der Natur meistern.
Einmal eins bleibt eben immer nur eins, – und nicht alles! Das könnte wie ein Wortspiel klingen, – ist aber doch von tiefem Ernst ...
Edwin v. Manteuffel hatte eine starke, fast leidenschaftliche Liebe für Elsaß-Lothringen und seine Bevölkerung, und er warb innig um Gegenliebe. Er ist auch geschätzt und geliebt worden; das zeigte sich nach seinem Tod besonders; – aber im eigentlichen Sinne populär wurde er weder im Reichsland, noch in Altdeutschland. Ihm, dem Manne hoher Verdienste, dem Pflichttreuen, Arbeitsfreudigen, durch viele Tugenden und Gaben wie zur Liebe und Bewunderung Prädestinierten – ihm, dem freundlichsten, rücksichtsvollsten Manne, der jede Kränkung mied, der entgegenkam bis über die Grenzen, ihm ist nie die erstrebte Volksliebe im ersehnten Maß geworden. Neben ragenden, verdienstreichen Männern wie Bismarck, Moltke, Roon und andern sind auch viel Unbedeutendere als Manteuffel Volks- und Nationalhelden geworden. Und er, der das Volk so liebte und so viel Siegestaten mit dem Geist und der Hand erkämpft hatte, er stand auf einsamer Höhe abseits ... Seine Persönlichkeit in all ihren vielseitigen Ausstrahlungen war wohl zu kompliziert für das Allgemeinverständnis. Seine Ziele und Wege waren vielleicht zu besonders und zu verwickelt, um dem einfachen Sinn des Volkes verständlich zu sein. Sein Kaiser hat ihm alle Ehren und alle Liebe gegeben, die dessen reiches Herz gern an die Edelsten seines Reichs verschenkte, aber ein volkstümlicher Held ist Manteuffel der deutschen Nation nicht geworden.
Alles, was er gewirkt, gelebt, geliebt und gestrebt hatte, war mit herrlichen Linien ins Große, Ewige gezeichnet. Kleindenkend und niedrig empfindend ist Edwin v. Manteuffel nie gewesen; und, mit der einzigen Ausnahme des unschönen Schattens, der kurz vor seinem Tode durch die dem Reichskanzler versagte Ehrung auf des Marschalls Ruhmesgang fiel, war sein Höhenweg sonniger Größe voll ...
Wenn er viele seiner Ziele, die er in heißer Sehnsucht der Ideale erfaßbar nahe glaubte, nicht erreichen konnte, so lag das nicht darin, daß sein erwählter Weg etwa falsch gewesen wäre, sondern es lag darin, daß keiner die Grenzen menschlicher Kraft, auch nicht mit dem grenzenlosesten Wunsch und Willen, überschreiten kann.
Das lehrt die Natur, die unsre allzeit beste Lehrmeisterin ist, daß jede Kraft in ihren Wesens- und Entwicklungsmöglichkeiten auch ihre Grenzen trägt; und etwas andres lehrt sie auch unumstößlich: daß im Leben des Einzelwesens die Gerechtigkeit sich niemals ganz vollziehen kann. Das Einzelschicksal findet seine Vollendung nur in der Allgemeinheit.
Manteuffel hat die Früchte seines Wirkens nicht pflücken können, und er hat auch nicht volle Gerechtigkeit im Urteil der zeitgenössischen Geschichte gefunden; aber was er gelebt und getan hat, trägt sein größeres Wachstum, über die gegenwärtigen Tage hinaus, in sich. Es wird seine Ernteerfüllung in der Zukunft haben!
Bismarck fand einst ein schönes Wort als Inschrift über einer Forstschule, das als ein ewiger Satz auch für die Menschheit hingestellt werden kann: » Wir ernten, was wir nicht gesät haben, und wir säen, was wir nicht ernten werden!«
Das, denken wir, kann auch für den greisen Helden Edwin v. Manteuffel gelten, – als entsagungsvoller Ausklang seines reichen Lebens, dessen Wirkungen aber hinüberweisen in eine Zukunft der Unsterblichkeit! –
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