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Die Dinge und Verhältnisse im Reichsland waren in neuer, fester Bahn, und überall machte sich die starke Wechselwirkung geltend zwischen dem edlen Willen und lebendigen Geist dessen, der an Landesherren Statt waltete, und den Bewohnern des Reichslandes. Manteuffel tat durch seine fortdauernden Fahrten ins Land, auch in kleine Städte und entferntere Gebiete, kund, daß er sich organisch verbunden fühlte mit dessen reich entfaltetem Leben und der gesamten geistigen und materiellen Kultur. Und weil dem Lande dies stets lebendig ins Bewußtsein geführt ward, wuchsen ihm naturgemäß auch Vertrauen und Sympathie.

Während sich so die Beziehungen zwischen Statthalter und Land enger und klarer gestalteten, zogen in der inneren Verwaltung, das heißt zwischen dem Statthalter und dem Leiter des Ministeriums, Trübungen und Wolken auf, die rasch anwuchsen zu einem Wetter, das bald mit Blitz und Schlag sein stark explosives Wesen zeigte. Es ist schon oben darauf hingewiesen worden, wie ausgeprägt autokratisch die beiden Persönlichkeiten der höchsten Regierungsverweser im Reichsland waren. Die Kreise ihrer Machtbefugnisse grenzten, wenn auch die des Statthalters naturgemäß größer waren, eng aneinander und gingen teils ineinander über. Kollisionen und Konflikte konnten leicht eintreten, wenn der Wille des Höheren nicht entgegenkommend und der des ihm Untergeordneten nicht schmiegsam genug war. Und solche Konflikte entstanden zwischen Manteuffel und Herzog. Es ist nicht bekannt geworden, in welchen Prinzipienfragen etwa sich der Gegensatz so zum Scheiden schroff bemerkbar machte und ob der Konfliktsgrund überhaupt in solcher Gegensätzlichkeit lag. Wir sind geneigt zu glauben, daß er sich aus der grundverschiedenen geistigen Eigenart der beiden Herren ergab und aus der daraus resultierenden Welt- und Menschenauffassung. Manteuffel, die energische, tatfreudige Soldatennatur, ein Staatsmann, dessen Verwaltungskenntnisse empirischen Wesens waren und dessen Taten und Entschlüsse mehr dem impulsiv lebendigen Gefühl, als der besonnen erwägenden Verständigkeit entsprangen; und daneben Herzog, der kühle, gemessene Bureaukrat, der korrekte Theoretiker, der Denker vom grünen Tisch! Und der einzige, ihrem geistigen Wesen gemeinsame Zug, der autokratische, mußte diese so verschiedenen Männer nur noch mehr voneinander entfernen.

Bei Herzogs im Frühjahr 1902 erfolgten Tod, als sich die Presse eingehender mit den Verdiensten des bedeutenden Beamten beschäftigte, ist mehrfach die Ansicht laut geworden, daß Herzog bei seinem kurzen Zusammenwirken mit Manteuffel (neun Monate war ersterer Staatssekretär in Elsaß-Lothringen) sich absolut nicht einverstanden erklären konnte mit der sogenannten »Notabelnpolitik« des Statthalters, – daß er im Gegenteil das große Entgegenkommen Manteuffels als eine sentimentale Schwäche gemißbilligt habe, und daß dies der eigentliche Grund des Konfliktes und Bruches zwischen den beiden Herren und der Demission Herzogs gewesen sei. Doch erscheint diese Auffassung nicht recht wahrscheinlich und zutreffend, weil jene Richtung in Manteuffels Politik in der ersten Zeit seiner Statthalterschaft noch gar nicht besonders scharf hervortrat. Viel eher ist anzunehmen, daß gewisse Maßregeln des Statthalters, wie z. B. die Wiederherstellung des kleinen Seminars in Zillisheim und die Behandlung der Optantenfrage, einen so großen Gegensatz der prinzipiellen Auffassung mit der des Staatssekretärs bekundeten, daß ein weiteres Zusammenwirken der Herren unmöglich und Herzogs Abschied nötig gemacht wurde. Indessen gehört auch dies nur ins Reich der Vermutungen, und wir kommen auf unsre erste Ansicht zurück, daß die Gegensätzlichkeit zwischen Statthalter und Staatssekretär sich ganz naturgemäß aus ihrem fundamental verschiedenen geistigen Wesen ergab. Jeder sah in dem andern seinen geborenen Antipoden, und zugleich eine gewisse feindliche Macht, die die Grenzen der Wirksamkeit des andern beschränken wollte.

Die Bestätigung dieser Auffassung wurde der Verfasserin in direkten persönlichen Unterhaltungen, die sie (ein interessantes Zusammentreffen!) an demselben Nachmittag, am 10. Juli 1880, mit dem Statthalter und mit dem Staatssekretär, anläßlich von Besuchen der beiden Herren bei ihr, hatte. Manteuffel war am 8. Juli von seiner alljährlichen Karlsbader Frühlingskur, mit Nachkur auf dem Dotationsgut Topper, nach Straßburg zurückgekehrt. Die Dinge hatten sich so rasch entwickelt, daß eine eigentliche Staatssekretärkrisis gar nicht bemerkbar wurde, sondern fast mit dem Auftreten der Rücktrittsgerüchte auch schon die Lösung der Frage in negativem Sinne erfolgte. Am 10. Juli wurde die Verabschiedung Herzogs offiziell bekannt gemacht; am gleichen Tage empfing er eine Deputation der Universität, und tags vorher die Herren vom Ministerium, die ihm Lebewohl zu sagen kamen. In der Ansprache, die er den letzteren hielt, lag eine herbe Kritik des ihm unfreiwillig gekommenen Abschiedes. Am 11. Juli verließ Herzog bereits Straßburg und das Elsaß.

Die Verfasserin dieser Aufzeichnungen, die zu Manteuffel wie zu Herzog in besonders freundlichen Beziehungen stand, empfing also am 10. Juli nachmittags erst den Besuch des Staatssekretärs, seinen Abschiedsbesuch; und als Herzog kaum eine halbe Stunde fort war, fuhr der Marschall Manteuffel vor, wohl zur Begrüßung nach monatelanger Abwesenheit. Beide Herren kannten das verständnisvolle Interesse der Verfasserin an allen Fragen elsaß-lothringischen Lebens, und beide konnten auch auf ihre warm-persönliche Anteilnahme zählen. So kam es denn, daß jeder der Herren mit ihr die »aktuelle Frage« in höchst individueller Beleuchtung behandelte, und es hat wohl keiner der Zeitgenossen jeden der beiden Beteiligten der Landesregierung unter dem frischen Eindruck des Geschehenen mit solcher Unmittelbarkeit und in so vertraulichem Ton über diese Fragen reden hören.

Herzog war aus der gemessenen, etwas kühl wirkenden Art, die ihn sonst kennzeichnete, gedrängt von einer Erregung, die alle seine inneren Kräfte gewissermaßen aus den Grenzen rückte, die seine Selbstdisziplin sonst als fest gegeben hinzeichnete. Sein Selbstbewußtsein war tief verletzt. Er sprach es in bitteren Worten aus, daß man ihm, der Kenntnis und Verständnis für die reichsländischen Fragen in deren jahrelanger Behandlung als Direktor im Reichskanzleramt für Elsaß-Lothringen bewiesen habe, in Straßburg keine Mitberaterschaft gönne; man habe ihn zur ausführenden Hand eines selbstherrlichen Willens herabdrücken wollen, – eines Willens, der weder Widerspruch noch Einmischung dulde. Und doch fühle er sich nicht nur als Berater des an Stelle des Landesherren Regierenden, sondern es liege in seinen Amtsbefugnissen, auch Mitwirkender im Rat zu sein.

Offenbar war es auch Edleres, als nur ein verletztes, starkes Selbstgefühl, das den Staatssekretär bei seinem Abschied bewegte, und das er der ihm freundschaftlich gesonnenen Frau in bewegter Rede aussprach. Es war das Gefühl, jäh unterbrochen zu sein in einem Lebenswerk durch einen ihm überlegenen Willen; denn allgemach hatte sich vom grünen Tisch in Berlin her, von wo er die reichsländischen Angelegenheiten, von 1870 bis Oktober 1879, also volle neun Jahre, geleitet hatte, in ihm ein väterliches, oder doch vormundschaftliches Gefühl der Verantwortung für Elsaß-Lothringen entwickelt. Herzog fühlte sich verwachsen mit dem Reichsland, und dies Empfinden war noch lebendiger in ihm geworden, seitdem er in unmittelbarer Wirksamkeit im Lande lebte.

»Es tut mir weh, dies Land so früh verlassen zu müssen.« – »Es bleibt ein Stück von meiner Seele hier ...« Aus solchen Worten sprachen Empfindungen, die vielleicht seine verschlossene kühle Natur nie zum Ausdruck gebracht hätte (und wohl auch gegen andre nie zum Ausdruck gebracht hat), wenn die Stunde und die ganze Konstellation der augenblicklich gegebenen Bedingungen nicht mächtig in ihm gewirkt hätten.

Es war eine jener seltenen Stunden, wo eine sonst stolz geschlossene Seele unter dem elementaren Naturgebot des Sturms, der von außen und innen an ihr rüttelt, fast unbewußt ihre geheimen Tiefen öffnet ... Bei einem Mann, wie Herzog, wirkte das sehr ergreifend.

Die Verfasserin hat für des ersten reichsländischen Staatssekretärs Charakter und Geistesart immer eine hohe Schätzung gehabt und dem feingebildeten klugen Mann auch Sympathien geschenkt, – aber der Feldmarschall Manteuffel war ihr allezeit in seiner vielseitigen Geistigkeit und seinem reicheren und feinen Gefühlsleben eine ungleich anziehendere Natur, mit der sie sich auch in einigen Zügen wahlverwandt fühlte, und deren komplizierte, interessante Eigenart sie mächtig fesselte.

Am Nachmittag des 10. Juli hat sie, wie nie vorher und nachher, die tiefe Gegensätzlichkeit jener beiden Naturen empfunden, und wenn auch die Unterredung mit Herzog ihr den kühl gemessenen Mann in wärmerem Lichte erscheinen ließ: die Ansicht ist doch nicht in ihr gewandelt worden, daß Herzog wie eine Abstraktion wirkte gegenüber der starken Lebendigkeit des alten Feldherrn, dem frische Tatkraft, gleichsam wie eine unsterbliche Jugend, Körper und Geist belebte ... Schon das äußere Bild, wie er in den Saal trat, sich gewandt verneigte, die Hand küßte und angeregt plauderte, war nicht das eines Mannes von 70 Jahren, in dessen Vergangenheit so viele Taten im Felde, wie mit der Feder, so viele Kämpfe wie Siege lagen, dessen Geist und Körper sich also in rastloser Uebung der Kräfte geregt hatten! Keine Müdigkeit, keine Erschlaffung war sichtbar in seinem Wesen; straff gespannt waren alle Sehnen des Leibes, alle Fäden des Geistes. In ihm war alles Wille und Schwung, Tatkraft und Gedankenleben. Und an jenem Tag besonders! Es war ja auch ein Kampf, wenn auch ein still geführter, zu seinem Ende gekommen, und – er war Sieger ...

Dennoch hatte die Verfasserin vom ersten Augenblick seines Eintritts in ihren Salon an das unabweisliche Gefühl, als empfände Manteuffel jenen Sieg als keine reine Freude, und als suche er ihn vor sich und andern zu rechtfertigen. Und das trat dann nach einem kurzen Hin und Her der Unterhaltung auch klar hervor; es drängte alles wie ein Präludium auf ein Hauptthema hin. Manteuffel, der nichts von dem vorhergegangenen Besuch Herzogs wußte und wohl auch nicht ahnte, daß der verschlossene Mann zu jemand so rückhaltlos und mit einer fast leidenschaftlichen Bitterkeit von seinem stark verletzten Selbstgefühl gesprochen habe, begann nun seinerseits die Verabschiedung des Staatssekretärs zu besprechen.

Das liegt jetzt 23 Jahre zurück, und das Leben hat an der Frau, zu der Manteuffel damals sprach, eine ganz seltene Fülle interessanter Ereignisse vorüber geführt, aber die Leuchtkraft der Erinnerung an den 10. Juli ist noch so stark, daß sich jene Stunden hell und wie gegenwärtig in ihr erhalten haben.

Manteuffel kannte das tiefe Interesse der Verfasserin für alles, was Politik, Kunst, Wissenschaft, überhaupt geistiges Leben heißt, und er sprach zu ihr so vertraulich, daß sie unwillkürlich ein Gefühl hohen Stolzes empfand; denn um Manteuffels Gestalt lag es wie ein weltgeschichtlicher Hauch, und alles, was er redete und tat, war wie von historischem Geist getragen. Wir haben es später oft erfahren und erkannt, daß sogar seine Irrtümer nie aus kleinlichen Regungen hervorgingen, sondern daß sein geistiges Wesen immer große Züge behielt ...

Und der Feldmarschall hub nun an, von dem Unfehlbarkeitsdogma der Berliner Geheimräte zu sprechen, das viel starrer sei als das von Rom. Er faßte den Geheimrat als den Typus bureaukratisch begrenzter Engherzigkeit auf und meinte, Herzog sei trotz seiner hohen Staatsstellung doch immer »Geheimrat« geblieben.

Am Ende ist er wenigstens ein »Wirklicher Geheimer Rat« geworden, meinte der Marschall lächelnd. (Herzog wurde bei seiner Verabschiedung zum »Wirklichen Geheimen Rat, mit dem Prädikat ›Exzellenz‹« ernannt).

Der Staatssekretär, führte Manteuffel aus, habe den Statthalter zu einer Art Repräsentationsfigur entwerten und die eigentlich politische Leitung der Geschäfte langsam und fest in seine Hände spielen wollen. »Das aber,« sagte der alte Feldherr mit einem eigentümlich stolzen und starken Ton, »weist meine ganze Natur ab, – und es widerspricht nicht nur meiner Vergangenheit und dem Geist, in dem ich jede mir gestellte Aufgabe zu lösen suchte, sondern auch dem innersten Wesen dieser Aufgabe selbst. Herzog wollte mich nach dem alten Satz behandeln, den Thiers gern und glänzend verfocht: » Le roi règne, mais ne gouverne pas.« Dieses rex regnat, sed non gubernat der Lateiner, das schon im 17. Jahrhundert im polnischen Reichstag gesprochen wurde, ist ja die Basis konstitutioneller Monarchien, aber hier, in diese ganz besonderen Verhältnisse und speziell für meine Sendung paßt es nicht! Ich mußte da schnell eine ganz klare Lage schaffen. Zwei Strömungen nebeneinander, die jede einen eignen Gang mit besonderem Ziel gehen, das hätte eine unheilsame Zersplitterung der Kraft gegeben, eine Art Nebenregierung, die die eigentliche Regierung geschädigt hätte. Einheitlich muß hier das politische Wirken sein. Der Statthalter muß, meiner Auffassung nach, der führende Geist sein, dem seine Minister und Räte wohl Berater sind, die sich ihm aber in Fällen verschiedener Auffassung unterordnen müssen. Das konnte Herzog nicht. Da wurde eben das Zusammenwirken unmöglich und – er mußte weichen.«

Das alles war wohl recht sicher und stolz gesagt, aber es klang dennoch ein Ton mit an, als ob Manteuffel sich gewissermaßen rechtfertigen oder doch die volle Zustimmung andrer haben wolle, die er für urteilsfähig und verständnisvoll in diesen Fragen achtete. Er hat später gerade den Satz: » Le roi règne, mais ne gouverne pas« in Verbindung mit dem Herzogschen Konflikt öfters, auch andern gegenüber, ausgesprochen; so z. B. auch dem Gemahl der Verfasserin gegenüber, der zur Zeit von Herzogs Abschied zufällig abwesend von Straßburg war.

Als die Verfasserin an jenem Sommernachmittag wieder allein war und im Geist die Eindrücke der inhaltvollen Stunden rekapitulierte, trat ihr eines als der unabweislich wahre Grund entgegen, der eine Einheitlichkeit und ein fruchtbares Zusammenwirken dieser beiden bedeutenden Naturen unmöglich machte: es war kein Vertrauen zwischen beiden. Sie beargwöhnten sich als gegeneinander agierende Kräfte. Mißtrauen und Zweifel waren latent in allen Gedanken und Handlungen, die ihr berufliches Verhältnis zueinander betrafen. Und Mißtrauen ist wie ein Gift für jedes einheitliche Verhältnis, sei es nun eine Ehe, eine staatliche, politische, amtliche oder wirtschaftliche Verbindung; es nagt an den Wurzeln, so daß solches Verhältnis, solange das Gift wirkt, keine Frucht tragen kann. Diese alte Wahrheit war auch hier lebendig geworden, und das Gift konnte nicht anders unwirksam gemacht werden, als durch – Scheidung ...

*

Die Zeit, die nun folgte (Manteuffel pflegte nach seiner Frühjahrskur in Karlsbad im Herbst noch nach Gastein zu gehen), wurde vom Marschall hauptsächlich zu Fahrten ins Land benutzt. Teils hatten diese Reisen einen vorwiegend militärischen Charakter, teils aber waren es Ausflüge in kleinere und größere Städte, mit dem Zweck, in regem Kontakt mit der Bevölkerung zu bleiben und sich direkt persönlich Kenntnisse und dadurch Verständnis für die Kultur des Landes zu verschaffen.

Es verdient dabei als kennzeichnende Einzelheit erwähnt zu werden, daß z. B. anläßlich einer rein militärischen Reise nach Metz des Marschalls erster Besuch dort dem Bischof galt. – Anderseits war als erfreulicher politischer Fortschritt zu verzeichnen, daß der protestlerische Gemeinderat, der bei Manteuffels erster Anwesenheit in der lothringischen Hauptstadt durch Abwesenheit demonstriert hatte, unter des Protestlers Bézanson Führung den Statthalter in besonderer Deputation begrüßte. Das überall fast mit Leidenschaft dokumentierte politische Programm des Feldmarschalls: »Wunden zu heilen und nicht neue zu schlagen« hatte die sehr negativen Herren doch wohl zu einer Begegnung mit Manteuffel veranlaßt, die, wenigstens in der Form, von gewissem Entgegenkommen zeugte.

Indem sich nun Manteuffel einerseits, wie er in allen Reden betont hatte, auf das fest umrissene Gebiet des historisch Neugewordenen stellte, an das keine Milde und keine Gefühlswärme rühren dürfe, und das er als unerbittlicher Kriegs- und Staatsmann hütete, und indem er anderseits überall wundenheilende Milde auszuüben versprach, inaugurierte er eine Politik, die man am besten die der widerspruchsvollen Hände nennen könnte. Die eine Hand wollte eine eiserne Faust sein, festhalten, aufgereckt zum Griff bleiben und streng das Eroberte hüten, – und die andre wollte mild sein, Wunden heilen, einladen, entgegenwinken, Freiheiten als Geschenke verteilen. Da machte denn eben oft die eine Hand das schlecht, was die andre gut gemacht hatte, – und die eine vernichtete, was von der andern geschaffen worden war. Denn die weiche Hand fuhr mit impulsivem, heißem Drang manchmal mit vorzeitigen und halben Maßregeln in den stillen, festen Gang der Dinge und warf diesen Gang dann zurück, statt ihn zu fördern. Manteuffel ist vielfach in seinen zweifellos idealen Bestrebungen mißverstanden und deshalb auch von Organen der altdeutschen Presse und von einer theoretisierenden Partei in Berlin heftig angegriffen worden; wir werden weiterhin den scharf entbrannten Preßkampf, der im August bis September 1880 gegen ihn losbrach, näher besprechen.

Aber es lag ein großer Irrtum in all diesen Kritiken: man schloß von dem Konzilianten in der Form auf ein sachliches Nachgeben. Das war es aber nicht eigentlich, oder wenigstens ganz selten. Manteuffel wollte vielmehr nur die Fülle seiner wohlwollenden, ja liebreichen Absichten und Gefühle für Elsaß-Lothringen in Einklang bringen mit den festen Normen, die ihm Staatsklugheit und geschichtliche Notwendigkeit für sein Handeln vorschrieben, und das mußte manchmal Dissonanzen, Verschiebungen, Halbheiten zeitigen. Dazu kam, daß Manteuffel, teils aus dem Empfinden heraus, zu göttlicher Sendung auserkoren zu sein, und teils aus dem Gefühl eines starken Selbstbewußtseins, fest an die Macht seiner Persönlichkeit glaubte, der er fast mystische Wirkungen zuschrieb.

Das, gerade das, hat man ihm als »Pose«, als »Schauspielerei« ausgelegt; aber es stieg aus viel besserem Boden auf: aus dem Glauben eines Gottesgnadentums für seine Person.

Das ist uns aus vielen Gesprächen mit dem Marschall unwiderleglich klar geworden, – und zwar in einer Zeit, die schon deshalb als ernst und geläutert bezeichnet zu werden verdient, weil sie gegen das Ende seines Lebens zu lag, und kurz nach dem Tode des von ihm am meisten geliebten und geschätzten Wesens, seiner Frau. Es wäre ein Frevel, anzunehmen, daß Manteuffels Natur sich angesichts solchen Lebensernstes absichtlich mit Masken verdeckt hätte ...

Man konnte seine etwas unruhige, oft sprunghafte und experimentierende Politik vielleicht überspannt nennen oder phantastisch, weil allzusehr mit Idealen wirkend, aber man durfte ihr nicht häßliche Beweggründe unterschieben.

*

Ende Juli dieses Jahres fiel die erste Sitzung des Staatsrats, und der Feldmarschall betonte in seiner Eröffnungsrede am 29. Juli, daß mit dem Inkrafttreten des Staatsrats auch die Verfassung Elsaß-Lothringens erst vollständig ins Leben träte. Bei dieser Gelegenheit kam er auch auf seinen Lieblingsgedanken zurück, der sich übrigens wie ein starkes, fühlbares Leitmotiv in seiner gesamten Tätigkeit zeigte: die Selbständigkeit Elsaß-Lothringens im Reich. Ein starkbetonter Satz seiner Rede lautete: »Und, meine Herren, Sie wissen, daß ich die letzten Monde meines Lebens daran setze, Elsaß-Lothringen volle Selbständigkeit im Reiche zu erringen.«

Am 11. August kam die Ernennung des neuen Staatssekretärs. Es war der bisherige preußische Staatsminister für Handel und Gewerbe und Staatssekretär im Reichsamt des Innern, Exzellenz Hofmann. Er kam auf Bismarcks Vorschlag und Wunsch ins Reichsland.

Manteuffel hatte dieser Ernennung zwar zugestimmt, stand ihr aber im übrigen ganz fern, und es ist durch den eignen Ausspruch des Statthalters bekräftigt, daß er Hofmann gar nicht kannte und nicht mehr von ihm wußte, als daß er eben Staatssekretär in Berlin gewesen war. –

In Hofmann trat dem Statthalter eine vom ersten Staatssekretär Herzog absolut verschiedene Natur entgegen; wohl ein ebenso fleißiger, ernster und kenntnisreicher Beamter, – aber keine Persönlichkeit von der eigenwilligen Starrheit seines Vorgängers, sondern ein Mann von einer milden Schmiegsamkeit und einem willigen Anerkennen der Vorherrschaftsstellung des Statthalters.

Am 1. September fuhr Manteuffel nach Gastein, und die Dinge schienen in sommerliche Ruhe und in ein sanft hinführendes Geleis zu kommen. Da, auf einmal durchbrachen laute Kampfrufe die Stille; – und zwar nicht etwa aus dem Innern des neudeutschen Landes, sondern aus Altdeutschland, speziell aus Preußen. Die Presse, und zwar einige recht hervorragende Organe, so vor allem die »Kölnische Zeitung« und die »Weserzeitung«, griffen die Regierungspolitik Manteuffels scharf an. Sie warfen ihm vor, er habe für das Deutschtum in Elsaß-Lothringen alles verdorben, was in den acht Jahren vorher erreicht worden wäre. Er habe nicht nur sein Ohr, sondern auch oft seinen Arm ganz und gar den Protestlern und der katholischen Geistlichkeit geliehen, deren offener Kultus hier der Napoleonismus und dort die französische Republik sei; die Beamten, deren Interessen ihm hinter denen der bevorzugten Notabeln ständen, sehnten sich nach der Heimat zurück.

Diese schweren, teils ungeheuerlichen Anklagen, die von vielen andern altdeutschen Zeitungen übernommen wurden, fanden in der reichsländischen Presse in Hugo Jacobi, dem damaligen Leiter der »Elsaß-Lothringischen Zeitung«, einen ebenso gewandten als scharfen und schlagfertigen Bekämpfer. Jacobi, der überhaupt ein ungewöhnlich geschickter Journalist war, frisch im Erfassen der Kernpunkte einer Sache, geistreich in seinen Gründen und Auffassungen, und von hohem sittlichen Ernst, griff jene Anklagen hart an. Er forderte die »Kölnische Zeitung« auf, wirklich Tatsächliches zu bringen; Behauptungen, die nur allgemeine Sätze ohne jede Begründung aussprächen, fielen haltlos in sich zusammen. Die Antwort der »Kölnischen Zeitung« aber brachte keine Begründung, sondern nur neue Behauptungen. So wollte sie in der Neuordnung der Verfassung des Reichslandes (an der Manteuffel absolut keinen Anteil hatte) eine Verdrängung des Reichskanzlers erblicken. Sie übersah aber dabei die Tatsache (die sehr wesentliche!), daß die Neugestaltung der reichsländischen Verfassung aus eigenster Initiative des Reichskanzlers hervorgegangen war und von diesem als eine Entlastung seines überbürdeten Arbeitsgebiets angesehen wurde.

Von bedeutenderen Zeitungen, die als Kämpen für Manteuffel und seine Verwaltungspolitik eintraten, ist besonders zu erwähnen die sehr bedeutende »Augsburger (jetzt Münchener) Allgemeine Zeitung«, die in einem von großer historischer Auffassung getragenen Artikel des Marschalls geniale Seiten so bedeutend erfaßte und darstellte, daß seine kleinen Schwächen dagegen in Schatten traten. Und das erscheint uns als die einzig ihm gebührende Beleuchtung.

*

Am 1. Oktober kehrte der Statthalter von Gastein zurück, und Hofmann trat in seine neue Stellung.

Am 6. Dezember gab Manteuffel zu Ehren des versammelten Landesausschusses ein großes Gastmahl, – und bei dieser Gelegenheit hielt er eine Ansprache, die nochmals ganz scharf umrissen die Ziele, die der Feldmarschall sich selbst für die Regierung des Landes gestellt hatte, und seinen tiefsittlichen und historischen Sinn zeigte, und zugleich in würdiger Weise die Angriffe der altdeutschen Presse zurückwies. Manteuffel besaß eine große Kunst darin, seine Reden zur Widerspiegelung seines gesamten inneren Lebens zu machen. Er umfaßte mit durchaus unabhängigem Geist die Dinge in ihren großen Zügen, in ihrem Zusammenhang mit dem Weltganzen, und stellte sich dann warm und energisch in ein ganz persönliches Verhältnis zu ihnen. Die wesentlichen Grundzüge dieser eben berührten Rede, die die politische Lage und Manteuffels Stellungnahme zu ihr besonders klar zeichnen, geben wir hier:

»Ich bin nun schon über Jahr und Tag im Lande, – und ist mein Urteil richtig, so ist die weitere Entwicklung seiner Verfassung sein Wunsch und ist Bedürfnis für seinen Frieden. Aber Zeit gehört zum Reifen solcher Frucht; erstürmen läßt sie sich nicht; voreiliges Fordern einzelner Prärogative führt vom Ziele ab. Die mehr oder minder schnelle Entwicklung unsers Verfassungslebens liegt vorzugsweise in der Hand der Herren, die im Landesausschuß tagen. Darf ich meine Ansicht aussprechen, so ist erforderlich: Festhalten an der bisherigen, rein sachlichen Erledigung der Fragen, bei selbständigster Vertretung des Landes; Festhalten an der bisher bewährten Mäßigung, aber auch offen furchtlose Anerkennung der Zusammengehörigkeit von Elsaß-Lothringen mit Deutschland. – Mißverstehen Sie mich nicht, meine Herren: ich verlange heute noch keine Sympathien für diese Zusammengehörigkeit; mein Rat ist nur, daß das Land es sich klar macht, daß sie definitiv ist.

Ich muß Ihre Aufmerksamkeit noch einige Minuten in einer mich persönlich betreffenden Angelegenheit in Anspruch nehmen. Sie wissen sämtlich, meine Herren, daß ich seit dem Sommer dieses Jahres vielfach Angriffe in der Presse erfahren habe. Zu meiner Genugtuung haben diese in den elsaß-lothringischen Blättern keinen Widerhall gefunden. Die Angriffe jener Blätter hätten dahin führen können, mich den Beamten im Reichsland zu entfremden. Das ist nicht gelungen. Ich weiß mich heut mit den Beamten, die mit mir in Elsaß-Lothringen dienen, einiger als je. Verschiedene Artikel waren wieder dazu angetan, Mißtrauen zwischen dem Herrn Reichskanzler und mir zu säen.

Wie liegt diese Frage? Ich bin so durchdrungen von der moralischen Verantwortlichkeit, die der Reichskanzler dem Kaiser und dem Reiche gegenüber trägt, und so überzeugt davon, daß die Entwicklung der Verhältnisse in Elsaß-Lothringen mit den Interessen des Reiches zusammenhängt, daß ich es für Pflichtwidrigkeit erachten würde, wollte ich, vielleicht auf Buchstabenauslegung mich stützend, mich nicht über die Grundsätze mit dem Herrn Reichskanzler einigen, nach denen ich die Verwaltung leite. Nach diesen beiden Richtungen sind die Artikel spurlos vorübergegangen. Ein drittes kann eintreten: sie können Veranlassung werden, daß meine Verwaltung im Reichstag zur Sprache kommt. Dem sehe ich ruhig entgegen. Ich kenne den Grundton der deutschen Nation zu gut, um nicht zu wissen, daß ihre Vertreter eine diktatorische Behandlung von Elsaß-Lothringen nicht wollen und die Möglichkeit herbeiwünschen, Elsaß-Lothringen auch in bezug auf seine Verfassung gleichberechtigt neben den andern deutschen Ländern zu sehen. Den Weg, der hierher führt, habe ich angedeutet.

Aber selbst die irregeleitete Presse hat ihr Gutes. Sie veranlaßt den gewissenhaften Mann, Prüfung mit sich zu halten über das, was in der Presse über ihn ausgesprochen wird. Die Blätter beschuldigen mich, daß ich die unter mir dienenden Beamten nicht vertrete. Dreist werfe ich hier eine mehr als fünfzigjährige Vergangenheit in die Wagschale. Handlungen blind vertreten aus dem Grunde, weil es Handlungen von Beamten sind, das will das deutsche Beamtentum nicht, und das steht auch nicht in meinem Dienstkatechismus. – Die Blätter klagen ferner, daß ich vollständig unter dem Einfluß der hochwürdigsten Bischöfe von Straßburg und Metz stände. Beide Herren Bischöfe sind mit noch höherem Alter gesegnet, als ich es bin. Daß ich gegen diese höflich, zuvorkommend, rücksichtsvoll verfahre, beruht in meiner ganzen Erziehung; daß ich die Stellung und Gerechtsame der Kirche anerkenne, beruht in den Landesgesetzen und in meiner Ueberzeugung. Daß ich aber, wenn Anforderungen der Kirche über das Gesetz hinausgehen und mit den Rechten des Staates in Kollision geraten sollten, die Rechte des Staates aufrecht halte, beruht auf meinem Eide und somit auf meiner Pflicht gegen Gott.

Auch hier sind die Befürchtungen jener Blätter grundlos. Diese klagen mich ferner an, daß ich das Deutschtum gefährde und Schwäche übe gegen französische Sympathien. Ich glaube nicht, daß der stolzeste Römer je stolzer auf Rom gewesen ist, als ich es auf mein Vaterland bin; und daß die Landeseinwohner, die mit dem Ausland paktieren sollten, das Tischtuch zwischen sich und mir zerrissen, habe ich bei dem Betreten des Landes schon ausgesprochen ...

Seine Majestät der Kaiser hat mich in dieses Land gesandt, Wunden zu heilen, nicht: solche zu schlagen. Ich soll Gefühle schonen, die in der Natur liegen bei der Trennung des Landes von einem Staat, wie Frankreich es ist, nach zweihundertjährigem Zusammenhang mit diesem. Ich soll durch gerechte, die geistigen und materiellen Interessen fördernde Verwaltung den Elsaß-Lothringern diesen Uebergang erleichtern; das ist die Instruktion, die mein Kaiser mir gegeben hat. Das Resultat meiner Selbstprüfung ist: daß die Angriffe jener Blätter unbegründet sind, und daß ich bleibe, wie ich bin ...!« Die hier von dem Marschall ausgesprochenen Intentionen haben die ausdrückliche Zustimmung und Anerkennung des Kaisers in einem besonderen Schreiben Seiner Majestät gefunden. (Mitteilung der »Els.-Lothringischen Zeitung«.)

Die an dem Mahle teilnahmen, wissen noch heute, daß es wie ein Fluidum, wie eine starke Lebensessenz ausging von des Marschalls aus tiefer Seele dringenden Worten. In dem, was er sagte, klang es wie eine heilige Empörung, wie eine stolze Auflehnung gegen Anklagen, die die Reinheit und unbeirrte Kraft seines Willens und seiner Taten anzweifelten. Die Sicherheit überkam alle wie eine warme Ueberzeugung, daß er ohne Wanken treu in seinen Zielen sei, und in der Art, wie er zu ihnen gelange, geleitet würde von einem großen Zuge edler Menschlichkeit.

Diese warm- unmittelbar wirkende Humanität in Manteuffel hatte etwas Hinreißendes und eroberte ihm persönlich die kühlsten und widerstrebendsten Geister.

Des Statthalters Rede, die zugleich den Charakter von Beichte, Plaidoyer und Glaubensbekenntnis hatte, wirkte weit ins Land und nach Altdeutschland hin mächtig, – wie der Marschall überhaupt überall, wo er mit der Bevölkerung und mit einzelnen in Berührung kam, durch den Zauber seiner Persönlichkeit so unmittelbar wirkte, daß er abgeneigte Empfindungen für den Augenblick bezwang oder in den Hintergrund drängte; das aber gerade konnte ihn leicht über den wahren Stand der Gefühle täuschen.

Mit der größeren Freiheit, die er der Presse gab, kamen nun aber Stimmen aus allen Gebieten des politischen Lebens und Empfindens zu Gehör. Das gab für das Jahr 1881, das eben begann, ein sehr dramatisches Wogen und Ringen der Kräfte, und die Ergebnisse solcher Bewegung zeigten denn oft recht feindliche Gestaltungen; diese wieder veranlaßten den Statthalter zu energischer Gegenbewegung, und er sah sich jetzt öfter genötigt, wo sein Idealismus über die Grenzen des ruhigen Maßes gegangen war, seine Ziele zurückzustecken.

Es war nicht zu leugnen, daß in der Presse sich ein drängendes, mächtiges Leben entwickelte; eine Stimmung, die man am besten etwa, mit Huttens kampflustigem Wort bezeichnen könnte: »Die Geister sind wach, es ist eine Lust zu leben!« Und wenn auch in solchen Preßfehden viel Irriges und Feindseliges neben Gerechtem und Maßvollem sich zeigte, so trugen sie doch zur Klärung bei und zur Entschleierung der Wahrheit; freilich, diese war oft herbe Enttäuschung. Manteuffel hatte dem Lande nicht nur in Worten, sondern auch in Aktionen seiner Verwaltung Entgegenkommen gezeigt. Die Gewährung größerer Preßfreiheit, die freiere Bewegung im Landesausschuß, die Anbahnung und Regelung der Optantenfrage, die Aufhebung des Kriegsgerichts u. s. w. waren Gaben des Vertrauens an das Land. Er erwartete nun auch, daß die Bevölkerung ehrlich, und vertrauensvoll an der friedlichen Weiterentwicklung der Verhältnisse mitarbeite. In welcher Art die Antwort auf des Marschalls Handlungsweise ihm zuteil wurde, werden wir später aus den Kundgebungen der Presse und dem Ergebnis der Reichstagswahl Ende Oktober darlegen. Am 1. Februar 1881 gab der Landesausschuß dem Statthalter ein Gastmahl, das der Präsident Schlumberger einleitete mit einer Rede, die man wohl als ein Vertrauensvotum des reichsländischen Parlaments, das es durch den Mund seines ausgezeichneten, gesinnungstüchtigen Präsidenten gab, auffassen muß. Schlumberger, dessen Worte immer und überall, um des Vertrauens willen, das seine treufeste, charaktervolle Persönlichkeit einflößte, große Geltung hatten, sprach unter anderm folgendes: »Ich bin versichert, daß ich die Gefühle nicht nur aller hier anwesenden Herren, sondern des ganzen Reichslandes ausdrücke, wenn ich dem kaiserlichen Statthalter danke für das viele Gute, das er bis jetzt für das Land getan, und wenn ich die Hoffnung ausspreche, daß er noch lange Jahre diesem Lande vorstehen möge, zum Heil und Segen von Elsaß-Lothringen!« ...

Manteuffel war von diesen Worten sichtlich ergriffen und befriedigt und nahm gegen das Ende des Gastmahls Gelegenheit, dem Lande nochmals zu sagen, was er ihm biete, aber auch, was er von ihm erwarte, und in welchem Sinne er hoffe, daß die Wahlen zum Reichstag ihre Lösung finden möchten. Wir geben aus der Rede, die sehr kennzeichnend war für das Ungeklärte und Gärende der Lage, einige charakteristische Stellen wieder:

»Erst vor kurzem habe ich gehört, daß uns im Sommer Reichstagswahlen bevorstehen. Ich wünschte, der Termin wäre ein Jahr später, – aber ihn zu ändern vermag ich nicht, und vielleicht ist es gut, wenn die Entscheidung früher eintritt. In meinem ganzen Leben habe ich noch nichts mit Wahlen zu tun gehabt, und denke auch, mich von jeder amtlichen Wahlbeeinflussung freizuhalten. Einmal verlange ich selbst zu sehr die Respektierung meiner Selbständigkeit, um nicht die Wähler zu respektieren, – und dann lehrt mich die Geschichte, daß das Durchsetzen sogenannter offizieller Kandidaturen nichts nutzt. Mir hat es immer großen Eindruck gemacht, daß Cromwell wiederholt Wahlreglements oktroyierte, zuletzt die ihm ergebensten Offiziere ins Parlament ernannte, und doch genötigt wurde, auch dieses Parlament aufzulösen. Je abhängiger ein Abgeordneter von der Regierung, je verpflichteter er dieser ist, je mehr fühlt er sich gedrungen, Selbständigkeit und Unabhängigkeit in der Versammlung zu zeigen. Das liegt in der menschlichen Natur und ist wahrhaftig nicht die böseste Seite derselben. Das Interesse von Elsaß-Lothringen fordert seine volle Selbständigkeit und die verfassungsmäßige Gleichberechtigung mit den andern deutschen Staaten. Durch Gefühls- und Rechtsdeklarationen läßt sich dies Ziel nicht erreichen. Der einzige Weg, der dahin führt, ist die offene und loyale Anerkennung der Zusammengehörigkeit von Elsaß-Lothringen mit Deutschland. Das Interesse des Reichslandes erfordert daher, daß achtbare, unabhängige Männer in den Reichstag gewählt werden, die sich offen zu dieser Zusammengehörigkeit bekennen.«

Manteuffel ging danach näher auf die Bedeutung der Reichstagswahlen ein, indem er betonte, daß die weitere Entwicklung der Verfassung von der wohlwollenden Zustimmung des Kaisers, der Fürsten und freien Städte und des Reichstags abhinge, und daß sie nicht zu erwarten sei, wenn Abgeordnete gewählt würden, die dem Anschluß Elsaß-Lothringens an das Deutsche Reich nicht offen und ehrlich beistimmten und in diesem Sinne wirkten zur friedlich-fortschrittlichen Ausgestaltung der Zukunft des Reichslandes. Dabei kam der Marschall auf den Gedanken zurück, den er schon mehrfach und auch in seiner ersten Rede an den Landesausschuß hervorgehoben hatte: Elsaß-Lothringen habe durch seine vorübergehende Zusammengehörigkeit mit Frankreich, die ihm aufgedrungen worden sei, seine Stellung im Deutschen Reiche nicht verwirkt und könne folglich den Anspruch erheben, den andern deutschen Staaten völlig gleichgestellt zu werden.

Auch in Privatgesprächen kam der Marschall oft auf diese Auffassung zurück (es war offenbar ein Lieblingsgedanke von ihm), daß die Weiterentwicklung Elsaß-Lothringens zum Deutschtum sich zu Recht anschließen müsse an die Zeit, wo das Land zum Deutschen Reich gehört habe, und daß Ludwigs XIV. Eroberung als eine erzwungene Unterbrechung in des Elsaß deutscher Verfassungsentwicklung zu erachten sei.

Wir haben dabei einen erkennbaren Ideenzusammenhang zwischen Manteuffel und Ranke in dieser besonderen geschichtlichen Auffassung entdeckt. Bei einer Begegnung mit Thiers im November 1870 in Wien sprach der berühmte deutsche Geschichtschreiber mit dem französischen Historiker und Staatsmann über den deutsch-französischen Krieg (der damals ja noch nicht abgeschlossen war) und das eventuelle Schicksal von Elsaß-Lothringen. Ranke meinte, daß der Krieg nicht mehr gegen Napoleon gerichtet sei, der sich ja in Gefangenschaft befinde, noch auch gegen Frankreich an und für sich, das wir in einer gewissen Größe zu sehen wünschten, sondern vielmehr gegen die Politik Ludwigs XIV., der einst einen Zeitmoment der Schwäche des Deutschen Reichs benutzte, um nicht allein ohne Recht, sondern selbst ohne Anspruch Straßburg unsern Händen zu entwinden.

Man erwiderte Ranke: Wenn man auf Ansprüche dieser Art zurückkomme, was werde übrig bleiben? – worauf Ranke antwortete: »Der Moment ist dringend. Ihr müßt wissen, daß dieses Unrecht nie vergessen worden ist, – daß es die deutsche Nation noch heute, wenn nicht zur Rache, denn das liegt uns fern, doch zu einer Gegenwirkung entflammt. Laßt uns das alte Unrecht gut machen, und dann Freunde bleiben ...« Ranke konstatiert in seinen Tagebuchblättern, daß diese neue Auffassung auf Thiers und die anwesenden Diplomaten ersichtlich einen Eindruck gemacht habe.

Der Gedanke, daß die Entwicklung des Elsaß zu völlig deutschem Verfassungsleben eigentlich nur eine Regermanisierung bedeute, war, wie so viele andre politische und geschichtliche Auffassungen, den beiden Herren, Ranke und Manteuffel, gemeinsam. Das läßt darauf schließen, wie innig ihr Geistesleben verbunden war, und wie gewöhnt sie waren, ihre Meinungen über die wichtigsten Fragen im Staatsleben auszutauschen. Eine wechselseitige Beeinflussung ist stets von beiden Herren anerkannt worden, – aber nie und nirgend ist, wie von Gegnern des Feldmarschalls behauptet wurde, ein Beweis gegeben, daß Manteuffel von Ranke Anleitungen oder geschichtliche Direktiven erhalten hätte, nach denen jener dann sein Handeln modelte. Im Gegenteil finden sich in Rankes Tagebuchblättern anläßlich Manteuffels Tod am 17. Juni 1885 Sätze, die beweisen, daß der Berliner Historiker den gestorbenen Freund nicht nur für einen seiner verständnisvollsten Leser, sondern für einen geistig Mitwirkenden an seinen Arbeiten betrachtete.

Ranke schreibt nämlich: »Manteuffel hatte mehr Verständnis für meine Schriften, eine größere geistige Sympathie, als mir sonst in der Welt zuteil geworden ist. Bei meinem weltgeschichtlichen Unternehmen glaubte ich, wenn es mir gelänge, es so weit zu führen, für den letzten Teil auf seine Teilnahme rechnen zu können, – denn er hatte in den schwierigsten Verwicklungen mitgearbeitet und war mit einem vortrefflichen, sehr präzisen Gedächtnis begabt. Er hätte mir da unendlich nützlich werden können. Aber Gottes Wille war das auch nicht. Wie weit bin ich noch selbst von diesen Regionen entfernt. Schwerlich werde ich sie erreichen. Aber auch für den bisher zurückgelegten Weg war mir seine Teilnahme und sein Beifall von unschätzbarem Wert

Nach dieser, wie wir glauben, nicht uninteressanten Abschweifung auf das allgemein Geschichtliche und Rankes gleiche Auffassung mit Manteuffel, kommen wir auf des letzteren Rede zurück und bringen wörtlich den Schlußsatz; er lautet in scharfen, richtungdeutenden Worten: » Sprechen die Wahlen für den Anschluß an Deutschland, so ist der Schritt zur Fortentwicklung unsers Verfassungslebens getan. Sprechen sie dagegen, so liegen die Folgen auf der Hand

Die Reden aus der ersten Zeit von Manteuffels Verwaltung waren wie ein rastloses Hervorströmen aus geheimen Quellen seiner Seele; als könne er sich nicht genug tun darin, seine Sympathien hinzugeben. Wie ein leidenschaftliches Bemühen war es, die Elsaß-Lothringer gleichsam hinüber zu reißen in den Hochstrom der eignen Gedanken und Gefühle; wohl ein »Zuviel«, dem in naturgemäßer Reaktion ein Rückstrom folgen mußte, aber in seiner heißen Unmittelbarkeit lag etwas Herzbewegendes.

Die reichsländische Presse erwies sich damals als ein besonders starker und dabei sensibler Resonanzboden für alle politischen Kundgebungen, natürlich am meisten für speziell elsässische. Die bedeutendsten Blätter, die, jedes in seinem Sinne, ihren Standpunkt feurig und energisch vertraten, waren die »Elsaß-Lothringische Zeitung«, das »Elsässer Journal«, die »Presse von Elsaß und Lothringen« und »Die Union«. Die »Elsaß-Lothringische Zeitung« war das anerkannte Regierungsblatt. Ein Zug von frischer Kampflust war ihr eigen. Die überzeugten Verteidigungen der Manteuffelschen Politik und die kräftigen Kämpfe gegen deren Widersacher gaben den Artikeln von Jacobi eine schöne Leidenschaftlichkeit. Nicht der versteckteste Hieb, nicht die leiseste, murrende Feindseligkeit entging ihm ...

Das »Elsässer Journal« (es gehörte dem intelligenten und kunstsinnigen Elsässer Gustav Fischbach, der neben dem mehrfach erwähnten Politiker J. Klein eine geistige Einwirkung auf das Blatt übte) war das Organ der Autonomisten. Diese gravitierten zwar nicht nur in ihren Sympathien, sondern auch in Bildung und Erziehung nach Frankreich, ihr gesunder Sinn anerkannte aber offen das Ergebnis der Geschichte und trat auf solcher Basis ehrlich-fest ein für die Mitarbeit an der Verwaltung des Landes. Die »Presse von Elsaß und Lothringen« war das Organ der Protestparteien, mit ausgesprochen demokratischen Tendenzen, – besonders inspiriert und unter dem Protektorat des bekannten protestlerischen Abgeordneten Kablé. Die »Union«, das Organ der klerikalen Partei, betonte zwar in Worten ausdrücklich und friedlich stets ihre Anerkennung des Frankfurter Friedens und der daraus resultierenden Einverleibung Elsaß-Lothringens ins Deutsche Reich, aber die Betätigung dieser Wortbekenntnisse blieb aus. Tatsächlich sind alle Aktionen der »Union« im protestlerischen Sinne ausgefallen, so daß man die Zeitung nach ihren Manifestationen der Tat als ein klerikales Protestblatt bezeichnen mußte. Trotz des verschiedenen politischen Programms war sie in ihrer Gegnerschaft gegen Deutschland eine Gesinnungsgenossin der »Presse«.

Das kam nun zunächst in der Kritik, die sie Manteuffels Rede vom 1. Februar angedeihen ließen, zum Ausdruck, – und gleich darauf am 6. Februar bei der Brumather Wahl zum unterelsässischen Bezirkstag. Wenn auch eine Bezirktagswahl an sich gewiß kein bedeutendes politisches Ereignis ist, so war doch diese Wahl, angesichts der besonderen Verhältnisse, immerhin bedeutsam.

Skizzieren wir zuerst die Urteile über die Statthalterrede! Die »Presse« sprach mit überscharfen Worten aus, daß, wenn Manteuffel die Selbständigkeit und verfassungsmäßige Gleichberechtigung Elsaß-Lothringens mit andern deutschen Staaten abhängig mache davon, daß in den Reichstag Männer gewählt würden, die unbedingt für die Zusammengehörigkeit mit dem Deutschen Reich einträten, dieser Preis zu hoch sei. Sie sagte das in Worten, die fast wie eine Kriegserklärung lauteten: » La grande majorité de nos compatriotes trouverait le prix du marché trop éleve, et préférait se replier sur le statu quo –«

Die »Union«, die für sich von der Freiheit der Meinungsäußerung den weitesten Gebrauch machte, sprach sich entrüstet darüber aus, daß der Statthalter dies Recht für sich in Anspruch nehme. Einerseits mit geschicktem Hervorheben, anderseits durch geschicktes Verschweigen einzelner Punkte gab sie das Bild, das Manteuffel von der politischen Lage gegeben hatte, völlig verzeichnet wieder, – und veröffentlichte, direkt an diese sehr subjektive und feindselige Darstellung anschließend, die Liste ihrer Kandidaten für die Bezirkstagswahl, die der Pariser »Univers« als von der »Union« erwünscht bezeichnete: ein Beweis für die fortdauernde Verbindung und Identifizierung mit den französischen Preßorganen. Die klerikale »Union« begab sich somit wieder, trotz ihres freundlich scheinenden Programms der »loyalen Anerkennung des Frankfurter Friedens« in direkte Gefolgschaft der demokratischen »Presse«, weil beide im Parteigeist sonst so gegensätzlichen Zeitungen sich in der Opposition gegen das Deutschtum immer als leidenschaftliche Freunde begegneten.

Das »Elsässer Journal« hingegen dokumentierte eine durchaus von größeren, historischen Anschauungen bestimmte Auffassung. Es wies der Rede des Statthalters eine bedeutende Stelle in der Geschichte Elsaß-Lothringens zu und tadelte die engherzige, unpatriotische Stellungnahme der beiden Protestblätter. Wenn je ein Augenblick im Leben eines eroberten Landes entscheidend wäre, so sei es der gegenwärtige. Die einzig praktische und patriotische Politik, die dem Land einen Fortschritt zu selbständigem Verfassungsleben geben könne, sei: persönliche Gefühle zurückzudrängen und nur für das allgemeine Interesse und das Wohl des Landes seine Tatkraft einzusetzen.

Interessant ist folgender Ausspruch dieses Blattes: »Wir haben bereits gesagt, daß das Programm der Elsässer seit einigen Wochen vorgezeichnet ist. Der Feldmarschall von Manteuffel war es, der die Grundzüge desselben entwarf, – dieses Programm ist ein solches, daß alle Elsässer es annehmen und ausführen können, ohne in ihrem Gewissen beunruhigt zu werden. Wir schrieben vor einigen Tagen und wiederholen es heute, daß wir dieses Programm auf unsre Fahne geschrieben haben, weil wir fühlen, daß hier Pflicht und Vaterlandsliebe sich vereinigen.«

Die Autonomistenpartei war denn auch von den elsässischen Gruppen die einzige konstruktive und bejahende, während die andern Parteien als offen oder versteckt destruktive bezeichnet werden müssen. Bei der Brumather Wahl kam das zu noch lebendigerem Ausdruck. Dr. Adam wurde am 6. Februar mit großer Mehrheit von den Protestparteien in den Bezirkstag gewählt. Das scharf feindselige Vorgehen der »Union«, die auch damit bewies, ein wie viel leidenschaftlicheres und bestimmenderes Gefühl die Gegnerschaft zum Deutschtum in ihr war, als die politische und religiöse zur Demokratie, erschien nicht nur unpatriotisch, sondern auch unpolitisch, – denn ihre Stellungnahme gegen Manteuffel war zugleich mittelbar eine Agitation gegen dessen Versöhnungspolitik gegenüber der katholischen Kirche.

Die »Presse«, die immer kühner wurde in der Ausnutzung der Redefreiheit. proklamierte nun, daß sie bis an die äußerste Grenze gehen wolle, um die Idee des Protestes aufrecht zu erhalten. Desgleichen veröffentlichte sie und die »Union« ein Schreiben von Dr. Adam, das wegen seiner Kühnheit und seines feindseligen Tones frappierend wirkte; es lautete so: » Votre vote est une protestation, en faveur de la candidature indépendante. Vous avez pensé comme moi, que tout en étant forcés, de subir la situation qui nous est faite, nous ne pouvons pas renoncer à la défense de nos intérêts. Si j'ai eu l'honneur d'être soutenu par deux feuilles de tendances différentes; cela montre, qu'il existe un terrain commun, où se rencontrent les Alsaciens soucieux du bien de leur pays

Diese fortwährende Auflehnung gegen eine staats- und völkerrechtlich feststehende Tatsache hatte etwas Unreifes und Widersinniges. Nur solche, die in politischer Kindschaft oder Blindheit lebten, konnten das Ergebnis eines von zwei Völkern loyal und mit ungeheuern Opfern geführten Krieges, das von deren Staatsoberhäuptern und Volksvertretungen in einem Frieden anerkannt war, anfechten wollen. Außerdem war ja allen Elementen, die unabweisbar nach Frankreich zurückdrängten, ein breites Tor von der deutschen Reichspolitik geöffnet durch die Möglichkeit der Option für Frankreich. Die »Presse« proklamierte dazu fortwährend, daß es eigentlich nur zwei Parteien in Elsaß-Lothringen gäbe, nämlich Deutsche und Franzosen; und da sie sich und ihre Parteigänger jedenfalls nicht für Deutsche hielt, so war damit konstatiert, daß sie auf deutschem Boden für französische Interessen wirken wollte. Bedeutungsvoll in dieser Richtung ist ein Ausspruch von Thiers, den wir ohne Kommentar wiedergeben: »Die Leute, die von Rache und Vergeltung reden, sind gedankenlose Schwätzer, Charlatane des Patriotismus, und ihre Deklamationen bleiben ohne Widerhall.«

So stand also die einheimische Presse als Vertreterin der freundlich gemäßigten und der oppositionellen Parteien der Landesverwaltung gegenüber, als am 26. Februar der Landesausschuß geschlossen wurde. Am Tage vorher hatte der Statthalter dessen Mitglieder noch einmal zur Tafel geladen, und dabei Gelegenheit genommen, in längerer Rede und eindrucksvollen Worten sein Programm, wie er es in seinen Reden vom 6. Dezember und 1. Februar dargelegt hatte, von neuem zu betonen. Er erhob sich besonders gegen die Auffassung, als ob diese beiden Ansprachen in Widerspruch miteinander ständen, und schloß mit den Worten: »Hier in diesem Saal habe ich es ausgesprochen, daß, wie der Doge von Venedig sich mit dem Meere vermählte, ich werben wolle um Elsaß-Lothringen. Auch an diesem Wort halte ich unverbrüchlich fest. Noch nie bin ich in Widerspruch mit mir selbst getreten. Aber daß ich lieber um das freie, offene Meer werbe, als um einen durch Wälle eingedämmten See – das können Sie mir nicht verdenken. Helfen Sie mir, diese Wälle wegzuräumen.« – Manteuffel hatte nun wohl einen allzu großen Trumpf gesetzt auf die Reichstagswahlen, und von ihrem Ausfall viel zu sehr die Politik der Zukunft abhängig gemacht. Seine optimistischen Erwartungen hatten ihn schon in der Preßfrage zu weitestgehenden Konzessionen getrieben, die, wie wir bereits gesehen haben und weiterhin noch mehr erkennen werden, von den Protestparteien gemißbraucht wurden. Die politischen Leidenschaften, denen er allzu freien Raum zum Auflodern gegeben hatte, mußten ja Verwirrung und Irrtum in die Bevölkerung tragen, die zu ihrem größten Teil nicht selbst urteilsfähig war, und sich deshalb gern und leicht leiten ließ.

Da nun die klerikale »Union« sich in der Wahl Adams identisch gemacht hatte mit der »Presse von Elsaß und Lothringen« und auch schon vorher im Januar bei der Nachwahl in Colmar für Jean Kiener, der sein Mandat zum Landesausschuß niedergelegt hatte, und wo der von beiden Blättern auf das heftigste bekämpfte Appellrat Schleuch kandidierte und gewählt wurde, so war ein Zusammengehen anläßlich der Reichstagswahl vorauszusehen, – und da weiter in einem überwiegend katholischen Land, wie Elsaß-Lothringen, die katholische Geistlichkeit einen breiten Einfluß auf die Bevölkerung hat, so waren Gefahren für die Reichstagswahl im altdeutschen Sinne fast sicher zu erwarten. Dem gegenüber war die Zuspitzung der Wahlfrage als Lebensbedingung für den weiteren Ausbau der reichsländischen Verfassung sehr gewagt.

Indessen erschien am 5. März in dem Fastenhirtenbrief des Bischofs von Straßburg eine päpstliche Verordnung, die von friedlich-versöhnlichem Sinne diktiert war und auch in solchem Geiste weithin wirkte. Von einer besonderen Zuschrift Leos XIII. ermächtigt, die vom 12. Januar datiert war, veröffentlichte Bischof Raesz, daß von nun an dem bestehenden Gebrauch der katholischen Bistümer des Deutschen Reiches beigetreten werde: Seine Majestät den Kaiser und sein Haus in das kirchliche Gebet einzuschließen. Die gleiche Anordnung erfolgte für die Diözese Metz unter dem 28. Februar. Das war seit dem Krieg trotz wiederholter Anregungen des Oberpräsidenten unterblieben, nachdem die bischöfliche Antwort immer in dem Sinne ausgefallen war: daß es einer besonderen Entscheidung der päpstlichen Kurie dazu bedürfe.

Nach den Bestimmungen des Konkordats (Art. 8) sollten die katholischen Pfarrer an den Sonn- und Festtagen bei öffentlichen Gottesdiensten für die Wohlfahrt der französischen Republik, später für den Kaiser Napoleon beten. Seit der Vereinigung Elsaß-Lothringens mit dem Deutschen Reich war das Kirchengebet unterblieben, während in den protestantischen Kirchen und im israelitischen Kultus diese Frage schon längst geregelt war. Unter solchen Umständen erhielt die päpstliche Entscheidung eine besondere Bedeutung, – denn sie war als ein direkter Erfolg der vom Statthalter beobachteten Kirchenpolitik zu erachten.

Der Marschall hatte von den ersten Tagen seiner Landesverwaltung an es als ein wesentliches, zu erstrebendes Ziel ins Auge gefaßt, diese Frage des »Kirchengebets« zu regeln. Er hatte zu diesem Zwecke Unterhandlungen mit dem Bischof Raesz von Straßburg begonnen. Auf seine Veranlassung wendete sich Bischof Raesz direkt mit einem entsprechenden Antrage nach Rom. Von hier aus wurde vor der Entscheidung das Gutachten des Bischofs von Metz eingeholt. Dupont des Loges antwortete:

Je regrette la demande qui a été adresseé à Son Eminence le secrétaire d'Etat dans le but d'obtenir, que le Saint-Siège autorise des prières publiques pour l'empereur d'Allemagne dans les églises catholiques de d'Alsace. Il me semble, qu'il eût été préférable d'ajourner au moins cette délicate question, en faisant entendre au gouvernement, qu'il lui appartenait de solliciter lui-même cette faveur en renouant avec la cour romaine, des relations trop longtemps interrompues. Mais aujord'hui c'est un fait accompli. La démarche de Mgr. l'évêque de Strasbourg ne peut pas être ignorée du gouvernement, qui depuis longtemps avait manifesté son vif desir à ce sujet, désir, il n'en faut pas douter, inspiré et partagé par l'empereur. Un refus du Saint-Siège aurait donc probablement pour conséquence de causer un mécontentement, qui rendrait peut-être plus difficile le bon succès des négociations conciliatrices, que la sagesse du Saint-Père a entamées avec la cour de Berlin, et qu'il importe tant de reprendre et de poursuivre sans découragement.

Je laisse entrevoir – ma pensée plutôt que je n'ose exprimer un avis dans une affaire si grave. J'ajouterai seulement que, si Sa Sainteté jugeait opportun de prescrire les prières demandées, cette mesure, on ne saurait le dissimuler, contristerait les populations de mon diocèse, parceque ces prières feraient revivre de pénibles souvenirs et rouvriraient des blessures encore trop récentes pour être cicatrisées, mais néanmoins que tous, clergé et fidèles, se soumettraient sans murmure à la décision pontificale, respectant les motifs qui l'auraient déterminée.

Dieses sehr vorsichtig gehaltene Schreiben, theoretisch ablehnend, praktisch zustimmend, wurde in Rom wohl nur in letzterem Sinne aufgefaßt, und der Antrag des Bischofs von Straßburg genehmigt.

Sobald Manteuffel durch den letzteren von der Sachlage unterrichtet war, zögerte er nicht, Dupont des Loges unter dem 25. Januar davon in Kenntnis zu setzen, damit in Metz ebenso vorgegangen werde wie in Straßburg. Er fügte hinzu: Je vous prie donc, Monseigneur, de hâter l'affaire le plus possible. J'y mets le plus grand prix, car je crois à l'effet des prières de l'Église, et en même temps je suis convaincu, que ces prières auront une grande influence pour la tranquillité du pays, but des derniers jours de ma vie. Outre cela je sais, que Sa Majesté l'Empereur désire ardemment ces prières, et si elles ont lieu avec le consentement de Sa Sainteté le Pape, cela doit avoir une grande influence pour le traitement d'autre affaires, qui, grâce à dieu, restent etrangères à l'Alsace-Lorraine, mais qui font souffrir l'Église et ma patrie à moi. Dupont des Loges beeilte sich, dem Wunsche des Marschalls zu entsprechen.

In das trübe Flackern gehässiger Leidenschaften der Oppositionsparteien fiel diese von dem friedlichen Geist der Verständigung zwischen der Kirche und der Politik des Statthalters zeugende Entscheidung wie ein großes, ruhiges Licht ... Es war eine eigentümliche und auffallende Erscheinung, die auf den ersten Blick etwas Widerspruchsvolles zeigt, daß sich im kirchenpolitischen Leben des Elsaß öfters ein Zwiespalt, richtiger eine Gegensätzlichkeit, zwischen den Aktionen des höheren Klerus und des niederen akzentuierte. Eine selbständige Gegenströmung, die mehr aus den leicht erregten Leidenschaften des Tages hervorging, machte sich hier geltend. Während die Politik der Bischöfe, von geklärterer geistiger Anschauung und von höheren geschichtlichen Gesichtspunkten geleitet, sich versöhnlich zeigte und auch der milden Politik des Statthalters entgegenkam, erwiesen sich die Gedanken und Aktionen des niederen Klerus, der ja auch in direkter Berührung mit dem von kleinen Leidenschaften erregten Volksleben stand, als unruhig, kampflustig, sogar auflehnend. Diese selbständigen Unterströmungen hatten wohl den Grund, daß der sehr betagte Bischof Raesz durchaus keine scharfe und kräftige Disziplin über die ihm untergeordnete Geistlichkeit ausübte.

Nur so wird es erklärlich und verständlich, daß zur gleichen Zeit (nämlich in der Wahl Adams und den späteren Reichstagswahlen Kablés) ein feindlicher Protest gegen die zu Recht bestehenden staatlichen Verhältnisse im Reichsland sich in Taten aussprach, und daneben der Geist verständnisvoller Einheit und Versöhnlichkeit zum Ausdruck kam. Denn des Statthalters Bestrebungen und seine Verhandlungen mit den Bischöfen hatten eine Krönung gefunden dadurch, daß die Kirche in dem öffentlichen Gebet für den Deutschen Kaiser gleichsam die geschichtliche Wendung im politischen Leben des Reichslands sanktionierte.

*

Um das buntgewirkte politische und soziale Gewebe der Geschichte jener Tage zu geben, erschien es uns richtig, die einzelnen Fäden, wie sie sich fein und stetig zum Ganzen weben und sich durcheinander schlingen und knoten in grellen und milden Farben, in ihrer zeitlichen Anordnung vor dem Auge des Lesers zu knüpfen. Und wie bei einem Gobelingemälde jeder einzelne Faden seine Bedeutung für das große Bild besitzt und nicht hinweg genommen werden kann, ohne eine Störung in Farbe und Gewebe zu veranlassen, so soll auch hier jeder Faden, wenn er manchmal auch nicht von wesentlicher Bedeutung erscheint, seine Wirkung für die volle Gestaltung des Bildgewebes haben ...

Am 14. März 1881 erschien ein ministerieller Erlaß, der den Betrieb der französischen Versicherungsanstalten verbot. Diese Anstalten waren vom Oberpräsidenten v. Möller durch Verfügung vom 19. Juli 1872 in Elsaß-Lothringen zugelassen mit der Begründung, daß in den ersten Jahren der deutschen Verwaltung einheimische Versicherungsanstalten von mehr als lokaler Bedeutung nicht bestanden, und daher ausländische, insbesondere die im Lande bereits vertretenen französischen Gesellschaften zugelassen würden.

Das Verbot dieser Gesellschaften griff in weit ausgesponnene Fäden des Verkehrs zwischen dem Reichsland und Frankreich.

Rein geschäftliche Verbindungen, die zugleich wichtige Lebensfragen berührten, hatten ein reges Hin und Her der Beziehungen erzeugt, das nach Lage der Dinge und bei den durch die protestlerische Presse erregten politischen Empfindungen nicht ganz unbedenklich war; demgegenüber erschien diese Maßnahme im Interesse der friedlichen Entwicklung des Landes und der Tätigkeit der Regierung geboten. Denn es lagen Informationen vor, daß Agenten der Gesellschaften in französischem Interesse politisch tätig waren.

Dem Bundesrat war Anfang März der Entwurf eines Gesetzes für Elsaß-Lothringen zugegangen, das dahin lautete, daß die Verhandlungen des Landesausschusses hinfort öffentlich sein sollten und die Geschäftssprache desselben: die deutsche.

Das Inkrafttreten des Gesetzes war für den 1. März 1882 bestimmt.

Beide Maßregeln riefen in Oppositionskreisen große Erregung hervor, die sie zu den abenteuerlichsten und kühnsten Schlußfolgerungen brachte. Unter anderm behauptete die »Presse«, durch dies dem Bundesrat unterbreitete Gesetz sei klar ausgedrückt, daß nur eine kleine Gruppe unverantwortlicher und mit keinem Mandat versehener Persönlichkeiten das Land regieren werde, und daß sich höchstens zwölf Abgeordnete fortan an den Beratungen beteiligen könnten, da die andern die deutsche Sprache nicht beherrschten.

Das war übrigens, wie sich später herausstellte, eine direkte Unwahrheit. Auch drückten sich die eifrigsten Redner im Landesausschuß, Grad und Winterer, im Reichstag ganz ausgezeichnet in deutscher Sprache aus.

Dies sogenannte »Sprachengesetz« wurde nun, nach recht interessanten Verhandlungen im Reichstag, in der Plenarsitzung des 30. April angenommen.

Die Anregung dazu ist, soviel uns bekannt, von Manteuffel persönlich ausgegangen.

Es muß dem geschichtlich Betrachtenden einer späteren Zeit höchst befremdend erscheinen, daß ein Gesetz, das doch als eine ganz natürliche, logische Folge der politischen Entwicklung anzusehen war, eine solche Erregung hervorrufen und als eine Gewaltmaßregel hingestellt werden konnte. Daß in einem deutschen Land, bei einer überwiegend deutschen Bevölkerung, die Geschäftssprache der Volksvertretung die Sprache des Landes und nicht ein fremdes Idiom sein muß, war eine so natürliche Forderung, daß sie kaum diskutierbar erscheint.

Nachdem die Oeffentlichkeit der Verhandlungen durchgeführt werden sollte, hatte die Bevölkerung sogar ein Recht darauf, diese Verhandlungen der gesetzgebenden Körperschaft des Landes in derselben Sprache zu hören, resp. zu lesen, in der gepredigt, gelehrt, Recht gesprochen und die meisten und billigsten Preßerzeugnisse herausgegeben wurden. Auch die Gesetze wurden nur in der Landessprache erlassen, und nur in deutscher Fassung ward über sie abgestimmt.

In diesem Sinne sprach sich der Mitverfasser in seiner Rede im Reichstag aus ... Auch der Bundeskommissar v. Mayr trat kraftvoll für die Vorlage ein und wies vor allem die Insinuation des elsässischen Abgeordneten Goldenberg zurück, der es als eine Unmöglichkeit hinstellte, daß der »milde Statthalter« ein solches Gesetz sanktioniere. Einen Gegensatz zwischen dem Reichskanzler und Manteuffel zu konstruieren, führte Mayr aus, sei absolut hinfällig.

Fürst Hohenlohe-Langenburg, der jetzige Statthalter in Elsaß-Lothringen, sprach damals als erster Redner über die betreffende Gesetzesvorlage. Ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß gerade er (der dritte Statthalter) als erster Redner in der ersten Reichstagsverhandlung, die sich mit reichsländischen Dingen nach der Errichtung der Statthalterschaft beschäftigte, auftrat. – – Er betonte wirkungsvoll, daß gerade das oft zitierte Argument der Elsässer: die Unkenntnis der deutschen Sprache sei noch so verbreitet, daß es unmöglich sei, in einem urdeutschen Land gesetzgeberische Verhandlungen deutsch zu führen, dazu ansporne, für die Verbreitung der Nationalsprache kräftig einzutreten ...

Die Argumente, die die elsaß-lothringischen Abgeordneten gegen das Sprachengesetz brachten, waren so geringfügig, daß sie den besten Beweis dafür gaben, daß eben keine irgendwie überzeugenden Gründe existierten. Einige dieser Beweisführungen erschienen von einer fast komischen Naivetät, so z. B. die von Goldenberg: Friedrich der Große, auf den die Deutschen doch so stolz wären, sei ein besonderer Freund des französischen Idioms gewesen, und es dienten doch viele Offiziere mit französischen Namen mit Auszeichnung in der deutschen Armee. (!)

Auch der sonst so feine und findige Geist des Abgeordneten Guerber fand eine recht belanglose Motivierung darin, daß der Statthalter Manteuffel seine Beliebtheit hauptsächlich seiner Fertigkeit in der Muttersprache (?) verdanke. (!)

Von einigen reichsländischen Rednern wurde dann noch die Frage der parlamentarischen Immunität ganz geschickt eingeflochten in ihre leidenschaftliche, aber ganz unbegründete Forderung der Beibehaltung des Französischen als Geschäftssprache.

Die altdeutschen Gegner der Vorlage, Windthorst und Reichensperger, brachten keine andre Motivierung, als daß das Gesetz, das sie im Gedanken für richtig erklärten, verfrüht sei.

Neben der sachlichen Auffassung der Elsaß-Lothringer, die einer scharfen Negation jeder Weiterentwicklung zum Deutschtum gleichkam, markierte sich aber bei allen von ihnen eine persönliche, sehr sympathische Anschauung über die milde Politik des Statthalters.

Das war der einzige gemeinsame Boden der Auffassung, auf dem sich Elsässer und Altdeutsche, Widersacher und Freunde des neuen Gesetzes begegneten, und das war eine erfreuliche Erscheinung in dieser sonst recht scharf pointierten Reichstagsverhandlung.

Bei der dann folgenden Votierung wurden alle Anträge (Bézanson, Schorlemer, Lasker) abgelehnt und die Vorlage im Sinne der Regierung genehmigt.

Die Annahme dieses sogenannten Sprachengesetzes entflammte die bis dahin noch immer etwas gedämpfte Feindschaft der »Presse von Elsaß und Lothringen« zu hellen Gluten, die, um ein kühnes, aber richtiges Bild zu brauchen, in den Abgrund eines Hasses für das Gegenwärtige und einer leidenschaftlichen Liebe für das Vergangene hineinleuchteten.

So waren wenigstens in dem grellen Licht die Masken und Schleier durchsichtig geworden, und was da gegensätzlich und feindlich sich erwies, konnte genau erkannt und danach behandelt werden.

Ritterliches Entgegenkommen und Liebeswerben wäre dieser Presse gegenüber eine unverzeihliche politische Schwäche von Manteuffel gewesen. Da reckte sich denn in seiner Politik der widerspruchsvollen Hände die eiserne Faust wieder einmal empor, und die milde Hand schloß sich – sie hatte auch allzu entgegenkommend gewinkt ... Die altdeutschen Zeitungen, die hervorhoben, daß dies Gesetz eine Wichtigkeit habe, die, weit über den Gegenstand hinausgreifend, von allgemein-politischer Bedeutung sei, vergaßen ihre teils recht kleinliche oder doch für die reichsländischen Verhältnisse verständnislose Polemik gegen des Statthalters Verwaltung und lobten die Maßregel. Sie konstatierten auch, daß sich in den Verhandlungen eine überwiegend günstige Stimmung für die derzeitige Regierung in Elsaß-Lothringen kundgegeben habe.

Nachträglich sei noch bemerkt, daß ein geborener Elsässer (Mitglied der Fortschrittspartei im Reichstag), der Pfarrer Neßler an der französischen Kirche in Berlin, für die Vorlage eintrat und betonte, daß das Französische durchaus nicht die Sprache des Volkes, sondern die der gebildeten Klassen sei, die aber meist auch deutsch sprechen könnten, wenn sie wollten. Man glaube im Elsaß noch vielfach, konform den in Frankreich herrschenden Revancheideen, das Land würde bald wieder französisch werden, und das Volk werde durch den fortwährenden Gebrauch dieser Sprache in seiner Landesvertretung in diesem Glauben bestärkt. Die Regierung müsse der Unsicherheit des Volkes mit einer klar entscheidenden Maßregel entgegentreten.

Die »Presse« zog natürlich in einem empörten Artikel » la rougeur au front« gegen den »abtrünnigen Landsmann« und seine Rede zu Felde.

Als einer Kundgebung der französischen Presse sei hier eines Artikels des » Parlement« gedacht (einer ernsten Zeitung, die als Organ des linken Zentrums, speziell von Dufaure galt, und die die »Presse« sonst gern als französisches Blatt zitierte), der ausspricht: »Der Verkehr mit der Zentralgewalt würde in Zukunft in deutscher Sprache stattfinden; ein Nebenumstand für ein Land, in dem fast jedermann diese Sprache versteht.« –

Es wehte offenbar eine etwas schärfere, aber geklärtere Luft in der Politik des Statthalters, geschaffen durch die teils mißverständlichen, teils direkt feindseligen Auffassungen seiner versöhnlichen Tendenzen.

Fügt man dem Gesamtbild der damaligen Lage noch hinzu, daß im April 1881 eine Kaiserliche Verordnung erschienen war, die den Bischof von Straßburg auf dessen Ersuchen ermächtigte, einen Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge zu empfangen, so hat man die politische Konstellation, unter deren Wirkung der Statthalter Mitte Mai das Reichsland verließ, um seine gewohnte Kur in Karlsbad zu machen. Der Koadjutor Stumpf, der dem greisen Bischof Raesz beigegeben wurde, war von Manteuffel für diese Stellung auserwählt.

Raesz wollte anfänglich von der Bestellung eines Koadjutors überhaupt nichts wissen. Als er endlich sich entschloß, einen solchen zu erbitten, wollte er als Koadjutor Korum haben, den der Statthalter für Straßburg ebenso ablehnte wie für Metz. Gegen die Ernennung Stumpfs, der übrigens in Rom persona grata und auch von Dupont des Loges dem Nuntius in München empfohlen war, hatte der Bischof Einwendungen erhoben und hatte sie abgelehnt. Da man nun auch in Rom, bei dem hohen Alter von Raesz, der Notwendigkeit, einen Koadjutor zu ernennen, sich nicht verschloß, so wurde, um eine Verständigung zwischen Statthalter und Bischof zu erzielen, Monsignore Tarnassi, der damals der Nuntiatur in München zugeteilt war, von Leo XIII. nach Straßburg geschickt. Tarnassi suchte den Statthalter zu bewegen, den Wünschen des Bischofs entgegenzukommen. Manteuffel blieb aber fest, in Uebereinstimmung mit dem Ministerium, so daß die Verhandlung zunächst resultatlos verlief.

Alsbald darauf traf jedoch der schriftliche Antrag des Bischofs ein, in dem derselbe mit der Ernennung von Stumpf sich einverstanden erklärte. Tarnassi hatte also dadurch, daß er auf den Bischof einwirkte, die Vereinbarung erzielt.

Das Entgegenkommen, das Manteuffel im allgemeinen dem katholischen Klerus gegenüber zeigte, und das von vielen überscharf verurteilt wurde, hatte wohl einen tieferen politischen Grund. Da der Statthalter die Elsaß-Lothringer moralisch und vollpersönlich erobern wollte, so war es sein Bestreben, sie vor allem auch vertrauensvoll dadurch zu machen, daß er für ihre heiligsten Herzens- und Gewissensfragen Teilnahme zeigte. Es waren nun aber 77¾ %, also mehr als drei Viertel der gesamten Bevölkerung, katholischen Glaubens, und jedes Entgegenkommen dem Klerus gegenüber (natürlich nur, wo es nicht mit Staats- oder politischen Interessen in direkten Widerspruch trat) sollte zugleich ein Bemühen bedeuten, der Bevölkerung durch verständnisvolle Hinneigung näherzukommen. Daß ein großer Teil seiner Zeitgenossen ihm dies ursprünglich edel gedachte, manchmal nur etwas übertriebene Entgegenkommen als Haschen um Volksgunst und Werben um die gute Meinung von Rom auslegte, bewies nur, in welchen Niederungen gewisse Auffassungen sich bewegten ...

Wir haben übrigens soeben erst, bei der Wahl des Koadjutors für den Bischof Raesz, gesehen, daß Manteuffel es auch wirkungsvoll verstand, einem von ihm als richtig erkannten Gedanken in kirchenpolitischen Angelegenheiten, sogar starken bischöflichen Willensströmungen entgegen, Geltung und Besiegelung durch die Tat zu verschaffen ...

* * *

 


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