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zeigt klärlich, weshalb der Reichspostmeister, Herr Leonhard von Taxis, Bankrott machen mußte.
Stromabwärts fuhr der italienische Arzt Simone Spada; stromaufwärts fährt jetzt der Erzähler selbst und führt seine Zuhörer mit sich gen Holzminden auf dem bunten Zauberschifflein, welches ihm Frau Phantasia, seine Schutzpatronin, mit viel lieblichen Lehren und anmutigen Ermahnungen anvertraut hat. Hoiho, es ist ein lustiges Schifflein, wohl ausstaffiert mit Blumengewinden, goldenen und silbernen Zieraten und seidenen Segeln und Wimpeln. Hoiho, wohl ist der Wind gut, wohl spielt er schmeichelnd mit den Blumen, Wimpeln und Segeln; aber das Herz des Mannes am Steuer ist schwer –
Kein stilles Fleckchen,
Krieg drinnen und draußen!
Kein dunkel Eckchen,
Qual innen und außen!
In Flammen die Welt!
In Flammen das Herz!
Was soll doch werden
Aus all dem Schmerz?
Was soll das werden,
O arme Erden?
Was soll das geben,
O wildes Leben?
Hoiho, hoiho, es rauschen die Wellen, sie hüpfen und glitzern im Sonnenschein, und das Schifflein schwebt fröhlich auf der unendlichen Tiefe; – dreimal verwünscht der Narr, der, wenn die Sirenen vom Zaubereiland ihren Herz und Sinn betörenden Gesang anstimmen, sich die Ohren mit Wachs verstopft und den unsterblichen Göttern Dank sagt für die Klugheit, welche sie ihm verliehen haben! Auch die unsterblichen Götter lächeln spöttisch herab aus ihrer seligen Höhe auf den Toren, und Aphrodite, die Goldbandlenkerin, hebt lachend den Eros in die Höhe, daß der Kleine über die Köpfe des erwachsenen Olymps weg den Narren drunten auch zu Gesicht bekomme.
Bis in den Anfang seiner Mär greift der Erzähler zurück und schlägt von neuem eine Saite an, welche scheinbar mit den Waldhörnern des Grafen von Pyrmont verklungen war, als dieser am fünfundzwanzigsten März von Corvey her an dem katholischen Dörflein Stahle vorüberschiffte.
Ach, schon ist gesagt worden, daß kein frommer Wettersegen, kein heißes Gebet, keine strengen Fasten die Flammen, welche über dem Herzen des Bruders Festus zusammenschlugen, sänftigen konnten. Schon ist gesagt, daß für den armen Festus im Himmel und auf Erden niemand war, dem er seine große Not klagen durfte. Tief, tief mußte der Vikarius die heiße Wonne und Qual in sich verschließen.
Er rang sich freilich die Hände wund und zerbiß sich die Lippen und weinte in seinem Kämmerlein bittere, blutige Tränen ob seiner sündhaften Liebe zu dem Ketzerkinde mit den sanften, blauen Augen und den goldblonden Locken drüben am rechten Ufer des Stromes; aber was half das alles?
Und die Tage gingen vorüber sonnig und hell; aber dem Bruder Festus vermehrte ein jeder nur die Last des Herzens. Der große Komet sank hinter dem Horizont hinab und erschien nicht wieder im Reigen der mildern Sterne. Die Bäume grünten und blühten, es grünte und blühte Wiese und Feld hüben und drüben den Fluß entlang. Mit Sankt Gertraudentag waren die Störche ins Land eingezogen, jedoch nur vereinzelt, als hätte das kluge Volk es vorher gewußt, wie rar die Frösche und das übrige feuchte Gewürm in diesem Jahre werden würde, als hätte es ein Vorgefühl der großen Dürre, welche der Sommer bringen sollte, gehabt.
Weder am arbeitsvollen Tage noch in der Nacht, wenn alles Menschenhandwerk schweigt und nur die Natur ihr geheimnisvollstes Wirken beginnt, fand der Vikar Festus Ruhe.
Und sie wußte nichts davon!
Drüben ging sie in ihrer Lieblichkeit unter ihren Blumen, und der Bruder Festus sah ihr weißes Gewand schimmern auf der Mauer des lutherischen Pfarrgartens, wenn sie sehnend an die Brüstung gelehnt stand und den Wolken, Vögeln und Schmetterlingen in der blauen Luft nachschaute, in ihrem kindlichen Herzen ihnen Grüße mitgab an jemand jenseits der Berge und dazu das alte Lied, welches von solchem Tun handelt, summte.
Wenn dann die Stimme des alten Chrysostomus erklang, des uralten Chrysostomus, welcher nun fast hundert Lebensjahre zählte und immer hier in der Stille gelebt und niemals etwas von solcher Pein, wie sie das Herz des Vikars verzehrte, geahnet hatte: o, so fuhr der Bruder Festus wirr empor, und fremd deuchte ihm alles ringsumher, und fast irr wurde er an der Welt und an sich selber.
So kam der heiße, glühende, wasserlose Sommer heran. Allgemach sog die Sonne die letzte Feuchtigkeit und Kühle, die noch im Schoße der Erde sich barg, auf, und der Boden fing an, vor Durst sich zu öffnen in lauter klaffenden Ritzen und Spalten. In Jammer und Elend sollten alle lieblichen Verheißungen des Frühlings sich auflösen; keine einzige von allen Hoffnungen, welche er den Menschen gemacht hatte, sollte erfüllt werden. Schon fing die verzehrende Glut des Kometenjahres an, alles Lebendige niederzudrücken und krank zu machen.
Nun schlief der greise Chrysostomus gleich den kleinen Kindern seiner Gemeinde fast den ganzen Tag und lächelte dabei im Schlafe so geheimnisvoll friedlich, daß sein junger Vikarius, wenn er mit dem Meßbüchlein auf den Knieen neben ihm saß und ihm die Fliegen abwehrte, ihn seufzend recht beneidete um dieses stille Hinüberdämmern in den ewigen Schlaf des Todes.
Es war nicht möglich, daß dieses alte, nunmehr so befriedete Herz auch einmal einen solchen Kampf gekämpft hatte, wie der Bruder Festus jetzt ihn kämpfte.
Der Bruder Festus war auch fest überzeugt, daß solches unmöglich sei: er, er allein war zu solchem Geschick aufgehoben, ihm, ihm allein unter allen gewesenen und kommenden Geschlechtern der Menschen war es also bestimmt. Unwiderstehlich trieb ihn dieser Gedanke jedesmal ins Freie, leise hob er sich von seinem Schemel neben dem Bett des Alten und schritt auf den Zehen aus der Kammer. Immer wieder mußte der junge Mönch den Versuch machen, ob er draußen in der freien Natur nicht freier atmen werde als in dem dumpf umschlossenen Raum.
Vergeblich.
Selbst der kurze Weg aus dem Schatten des Pfarrhauses zu dem Schatten der Dorfkirche war gleich einem Gange durchs Fegefeuer. Vergebens suchte der Vikarius Erquickung – Kühlung in dem kleinen, heiligen Gebäude, vergebens warf er sich vor dem Altar mit dem Bilde der schmerzenreichen Mutter Gottes nieder und drückte die brennende Stirn auf die Stufen des Altars. Auch hier erzitterte die überheiße Luft, auch hieher verfolgte ihn die flammende Herzensqual.
Es starben aber an den bösen Krankheiten, welche die große Hitze erzeugte, viel Leute im Dorf – alt und jung. Und wenn die Gräber gegraben wurden, so konnte man schaufeln, so tief man wollte in den Grund, trocken und dürr war er, und keine feuchte Scholle warf der Spaten des Totengräbers empor. Bis unter die Grabhügel verfolgte die glühende Sonne die Gestorbenen. Auch in den umliegenden einzelnen Häusern und Gehöften der Pfarrgemeinde starben viele Leute; da mußte der Vikarius das Viatikum durch die versengten, dürstenden, trauernden Felder tragen zu den Hütten voll Not und Jammer und dumpfbrütender Verzweiflung.
Um die verdorrten Büsche und Gesträuche flimmerte die kochende Luft, der Knabe, welcher dem Heiligtum voranschritt, vermochte kaum das Glöcklein zu rühren. Mit geheimem Grauen trug der Bruder Festus den Leib des Herrn; denn immerdar schwebte ihm auf seinem Wege das Bildnis der Monika voran. Was half es ihm, daß er die Augen schloß? Das Bildnis war darum nur heller und verlockender in seiner Seele – kaum hielt er die Monstranz in den zitternden Händen.
Im Juli versiegte der Weserstrom so sehr, daß man schier trockenen Fußes hindurch schreiten konnte. Die Fische starben, die Muscheltiere und die andern Geschöpfe der Feuchte verwesten auf dem Sande, von welchem sich die gelben Fluten zurückgezogen hatten. Längst war alles Gras und alles Getreide und alle Früchte der Bäume verlorengegangen: alle Kreatur ängstigte sich, und ein Schrecken kam über das Volk, als sei der jüngste Tag, wo diese Welt durch Feuer untergehen soll, vor der Tür.
Nicht genug können die Chronisten schreiben von diesem erschrecklichen Sommer des Jahres eintausendfünfhundertundsechsundfünfzig, der da folgte auf das Erscheinen des warnenden Boten Gottes, auf den großen Kometen!
Und ein jeglicher hielt solche Hitze erst für den Anfang der Schrecknisse, welche noch kommen sollten. –
Auch die holde Monika im Pfarrhause zu Holzminden trug in dem armen Herzchen ihren Teil an der allgemeinen Not und Sorge. Wohl ist das Schloß Pyrmont nur einen Katzensprung von Holzminden gelegen und das Städtlein in wenigen Stunden zu erreichen auf gutem Gaul; aber dessenungeachtet hatte die Jungfrau den Geliebten nicht wiedergesehen seit seiner Abfahrt mit Herrn Philipp von Spiegelberg. Die Wege waren zu damaliger Zeit weniger gut, weniger kurz, weniger sicher als heutzutage. Doch das hätte den Klaus freilich nicht abgehalten, vom heiligen Born herüberzureiten zu einem Zwiegespräch an der Mauer des Pastorengartens; zweierlei anderes legte sich ihm in den Pfad und hinderte ihn, zu kommen und seinem Schatz das sorgende Herzelein zu erleichtern. Das war erstens das Getümmel am heiligen Born, in welchem alle Dienstmannen des Grafen Philipp nötig waren zum Ordnunghalten. Das war zweitens der Wunsch des Knaben, vor dem Pastor Valentin Fichtner nicht bloß als ein armer, einfacher Reitersmann zu erscheinen, sondern mit Ehren bedeckt und mit Reichtümern beladen, wie es ihm einst seine Phantasie vormalte, wie er es an jenem denkwürdigen Abend so kühnlich sich und dem ehrwürdigen Herrn versprochen. Also sind nun die Männer oftmalen beschaffen, daß sie den Frauen lieber das gewonnene Glück demütig zu Füßen legen, als daß sie dieselben an dem Schwanken zwischen Hoffnung und Täuschung, zwischen Triumph und Entmutigung teilnehmen lassen. Wer aber weiß, ob die Frauen doch nicht lieber das letztere wünschen mögen, ob sie nicht lieber mit leiden und sich freuen möchten, bis das höchste Ziel erreicht ist?
Nun aber glaubt der Erzähler in schönen Augen die Frage zu lesen: »Warum schrieb denn der Knabe Klaus wenigstens nicht, da er selbst nicht kommen konnte und mochte?«
Und der Erzähler antwortet: Ei, schöne Augen, wohl schrieb der Klaus, aber die Briefbeförderung der damaligen Zeit war äußerst mangelhaft, und viel leichter war es, durch Vermittlung eines Kaufherrn ein Schreiben nach Venedig, Konstantinopel, Smyrna oder Paris gelangen zu lassen, als eine Korrespondenz zwischen dem Städtlein Holzminden und dem Schloß Pyrmont zu führen! Einen Reichspostmeister gab es freilich wohl in der Person Leonhards von Taxis; aber dieser arme Herr war dem Bankrott so nahe als möglich und hatte auch nicht lange vorher seinen Klagebrief über die Privatboten und Metzgerposten an Kaiserliche Majestät abgehen lassen. Wie konnte der Reichspostmeister bestehen und zu seinem Gelde kommen, wenn solch unberufen Gesindel, als da sind: lahme Botenfrauen, Fleischerburschen, Hausierer, Bettler den Briefwechsel der Ratfordernden, der Ratgebenden und der Verliebten deutscher Nation besorgten?
Schönste Leserin, auch der Spiegelbergsche Reitersmann Klaus Eckenbrecher und Jungfräulein Monika Fichtner trugen ihr Teil zum Ruin des Reichspostmeisters bei, und auch auf sie war Herr Leonhards von Taxis Klagebrief an Kaiserliche Majestät mit gemünzt. Jedoch nur ein einziges Mal konnte Klaus Eckenbrecher seinem Schatz Nachricht über sein Verbleiben geben, und es geschah dieses durch Hülfe einer Persönlichkeit, deren Bekanntschaft wir bereits gemacht haben.
Die Metzger- oder Hausierer-Post zu benutzen fand der Klaus keine Gelegenheit; er bediente sich deshalb der Bettlerpost, und Kaspar Wicht der Sänger und Fiedelmann war der Liebesbote, welcher wochenlang – fast den ganzen Juli hindurch – in seinem Schnappsack neben allerlei andern kuriosen Dingen ein zerknittertes Schreiben mit sich herumtrug auf seinen Fahrten, bis die Gelegenheit günstig war und er es abliefern konnte an die Adresse, die kleine Monika im Pastorenhaus zu Holzminden.
Und die Gelegenheit kam!
Gegen Ende des Juli neigte sich wieder einmal ein Tag, an welchem sich nur die Katzen und die Machandelbäume wohlgefühlt hatten, zum Abend; die Natur brätelte in die Dämmerung und die erquickungslose Nacht hinein. Weder auf den Feldern noch auf den Wegen noch auf den Straßen der Stadt Holzminden ließ sich ein lebendes Wesen blicken, und alles in den Häusern hatte einen solchen Anschein von Trostlosigkeit und dumpfem Hinbrüten, daß der Ton einer Geige, welcher sich, als die Sonne eben wie eine weißglühende Kugel auf den westlichen Bergen lag, dem Städtlein näherte, gleich einer schneidenden Satire auf alle Menschenheiterkeit klang.
Jetzt hielt der fahrende Spielmann vor der Tür des Pastorenhauses und störte durch seine unzeitgemäße Tanzweise den Pastor Fichtner in tiefem Nachdenken und schmerzlichen Betrachtungen über die heiße Strafe, welche Gott verhängt hatte über die sündige Welt. Seufzend und kopfschüttelnd ließ Ehrn Valentin dem leichtsinnigen Spielmann sagen durch die Monika, er – der Geiger – möge schweigen und ihn – den Pastor – nicht ärgern mit seinem Gefiedel.
Die Monika richtete als eine gehorsame Tochter die Botschaft aus, brachte aber zugleich dem Bettler einen Krug kühlen Landbiers, wofür zum Dank der Wichtelkaspar seinen Ranzen öffnete und mit grinsendem Lächeln das allmählich ziemlich unansehnlich gewordene Brieflein Eckenbrechers dem freudig aufschreienden Kinde übergab.
Nun wäre das ein gar hübsches Bild geworden, wenn ein Maler den fahrenden Mann, das Jungfräulein und die Küche des Pastorenhauses abkonterfeit hätte. Da saß nun am schwarzen Herde auf einem Hackblock der Geiger, trank in kleinen Zügen sein Bier und warf listige Blicke über den Rand des Irdenen Kruges. Zu seinen Füßen lag mit wedelndem Schwanz und hervorhängender Zunge sein häßlicher Hund und blickte wie bittend zu dem jungen Mädchen empor, welches ihn aber fürs erste noch nicht berücksichtigte.
War es nur der Schein des Herdfeuers in der dunklen Küche, welcher das Gesicht der Maid so erglühen machte? Ach nein, in den zitternden Händen hielt sie das zerknitterte Blättlein, welches ihr der Liebste geschickt hatte, und zwischen Weinen und Lachen buchstabierte sie die unkalligraphischen Schriftzüge, welche es bedeckten.
Das Feuer knatterte und prasselte dazu, der Topf mit der Abendsuppe schien philosophische Betrachtungen in seinem schwarzen Bauche darüber anzustellen, und der Spielmann sang dazwischen leise ein altes Lied, welches ihm sehr passend erscheinen mochte für diese Gelegenheit:
»In schönen Frühlingstagen
Hat hoch mein Herz geschlagen;
Die Welt hab ich durchritten,
Hab ritterlich gestritten.
Von Lieb wüßt ich zu melden,
Von kühner Tat der Helden,
Bis einmal ich vernommen,
Der Winter sei gekommen.
Da schaut ich auf mit Grauen:
Kein Grün war mehr zu schauen,
Kein Vogel sang im Walde,
Der Wind ging über die Halde.
Mein Haupt, einst braungelocket,
Das war nun weiß beflocket;
Vom Rosse mußt ich steigen,
Das Haupt zur Erde neigen.
Wie war mein Herz so traurig!
Wie war die Welt so schaurig!
Die Harfe tu ich schlagen,
Mein Lied davon zu sagen!
Die Welt muß ich durchziehen
Mit müdem Fuß und Knieen!«
Das Schreiben aber, welches die Monika in den Händen hielt und welches den Eindruck auf den unbefangenen Beschauer machte, als habe es ein halbes Jahr auf einem Taubenschlage gelegen und als sei darauf ein Volk Rebhühner durcheinander mit schmutzigen Pfoten darüber – weggelaufen, lautete folgendermaßen:
»Herzallerliebstes Lieb!
Lustig und guter Dinge bin ich und verhoffe, daß Du es auch seiest und Dir nichts aufmutzen lassest. Mein Bot, der Wichtelkaspar, hat mir heilig und teuer versprochen, dies Briefelein richtig zu bestellen an meinen Schatz zu Holzminden, allwo die Weser herfließet beim Pfarrgarten. Nun will ich Dir mein Herz ausschütten, und voll ist es bis zum Überlaufen. Ich bin jetzo ein Reiter worden, wie es mir bestimmt war, und trage Schwert, Lederkoller, Brustharnisch und Sturmhaub, und ein scheckicht Rößlein hat mir mein Herr, der Graf, nach seinem Wort auch gegeben. Ich will Dir sagen, Lieb, es ging mir zuerst doch schwer an und war mir schier zumute wie dem Bauernjung, so zum allerersten Meerrettich zu essen kriegte und schrie: Grüßet Vater und Mutter, ich muß sterben! – Aber nun weiß ich schon lang, daß man den Gaul nicht beim Schwanz aufzäumet, und habe mich in alles gefunden. Mit Güte kommet man nicht durch die Welt, das hab ich mir wohl gleich gedacht, aber nun hab ich es auch handgreiflich erfahren.
Ich schreibe dieses allhier in der Wachtstub auf Schloß Pyremunt, und all mein Gesellen gaffen mit offenen Mäulern und großem Wunder ob dem Reitersmann, der so gut die Feder führen kann. – Dein Herr Vater, mein Lieb, hat den besten Ruhm davon! Der Drommeter hält mir das Dintenfaß, so mir der Schloßpfaffe geliehen hat, und glotzet wie ein Erpel. Ihrer sechs schauen mir auch über die Schulter; aber ich mag sie dreist schauen lassen, sie lesen mir keine Heimlichkeiten ab. Es ist mit ihnen, als ob der Esel ins Meßbuch gucke. Mein Herr Grave und meine gnädigen Herrschaften die Frölen halten mich gut und wohl; ich weiß auch wohl Bescheid jetzo mit der Falkenjagd. Herzallerliebster Schatz, viel tausendmal grüße ich Dich, und wärest Du und Dein rotes Mündelein bei mir, ich wär der glückseligst Mensch, so Gottes Erdboden trüge. Aber es soll ja nicht sein, woran bloß der Herr Vater schuld ist, der weiß gar nicht, was für eine Sünde er tut an uns zwei beiden. Verzeih mir, lieber Schatz! – aber bei Gott, wenn ich mit meinem Herrn Grafen auf der Jagd bin und der Reiher sich hebet aus dem Geröhricht und der Falk ihm nachschießt von der Faust, so ist es mir alleweg, als sei ich der kühne Falk und als sei der Reiher das höchste Glück, so ich erfliegen möcht und müßt, um es zu erfassen hoch oben in der blauen Luft und es zu den Füßen zu legen der kleinen Monika Fichtner in Holzminden an der Weser! Ich denk auch oft daran, was Ihr wohl macht hinter den blauen Bergen – zuerst Du, dann der böse Vater, dann die andern, welche ich auslache, der Herr Bürgermeister, der mich nicht wieder zu den Ratten in den Turm sperren soll, und die Bürger und die Weiber und die Kinder und die Buben. An die Mädchen denk ich gar nicht oder nur an eine, an welche dieser Brief kommt. An die Monika denke ich des Morgens und des Abends, auch in der stillen Nacht, wann alle andern schlafen und ich die Wacht halten muß.
Wir haben hier einen künstlichen Mann – er bringet Dir, allerliebster Schatz, dieses Briefelein – der ist mit dem Kaiser Carolo dem Fünften im heißen Afrika gewesen, wo alle Leute ganz schwarz gebrannt werden von der Sonne, was allhier auch wohl bald kommen wird, wenn der liebe Gott nicht ein Einsehen tut. Dieser künstliche Mann hat mich gelehret, ein künstlich Gesätz zu machen, und nun mach ich alleweg Reime auf den Namen Monika, als:
Sie ist nicht da!
Ach, wär sie da!
Wann ich sie sah!
Wär ich ihr nah!
und so fort. Aber ich kann noch keinen aufschreiben, weilen ich allemal gleich fertig bin. Liebes Lieb, behalte mich fest und treu eingeschlossen in Deinem Herzen! Es ist mir hier in der Ferne immer, als müßtest du immer schöner werden. Vergiß mich nicht und gedenk, wenn ich auch wollt, ich könnt doch nimmer dein vergessen. Wenn doch nur Krieg werden und mein Herr Graf mit ausreiten wollt! Gold, Silber, Edelgestein und alle Schätze wollt ich für die Monika erreiten. Da sollt der Vater wohl große Augen machen über den Klaus, den Nichtsnutz, wenn er käme auf stolzem Roß und hinter ihm hätte einen langen Schwanz von Knappen und Knaben, in Sammet und Seide angetan. Und zwei kohlrabenpechschwarze Mohren, wie die Frau Kurfürstin von Brandenburg allhier einen mit hergebracht hat, müßten dabei sein und müßten mit ihnen führen einen weißen Zelter vor die Pfarre zu Holzminden. Und dann würde ich sprechen: Herr Pastore, grüß Euch Gott und guten Tag und – wie nun? Hier ist nun der Lump, der Taugenichts, der Bösewicht, der Windbeutel, der Eckenbrecher, der Klaus; wollt Ihr ihm nun Euer Töchterlein mitgeben in Güte? – Hei, allerliebstes Lieb, wir wollten den Alten schon herumkriegen! Musikanten – Flöten und Pfeifen, Posaunen und Pauken hätt' ich mitgebracht, und darzu hinge der ganze Himmel voll Geigen. Und Flöten, Pfeifen, Posaunen und Pauken, die spielten uns allgesamt zu einem Reigen um und durch die ganze Stadt und zuletzt in die Kirche. Da traut uns der Vater selbst, und Bier und Wein sollt auf dem Markt fließen allem Volk, als ob der römische Kaiser gekrönet würde in des Reiches Stadt Frankfurt am Mainstrom. Und der Bürgermeister Uhlenhut und der Ratsdiener Schöppelmann, die sollten mir die Schleppe tragen, das stehet baumfest.
Ach, ist das nicht alles eitel Träumerei und Torheit? Aber mir ist's doch, als sollt und müßt es einst Wahrheit werden. Und warum auch nicht? Seltsamere Geschichten haben sich zugetragen, wie in den alten Historienbüchen sattsam zu lesen ist.
Hier ist noch immerfort ein groß Getös und Tumultus und wird noch alleweil stärker von wegen dem heiligen Born. Fürsten und Volk drängen sich, daß man fast bange wird ob der gewaltigen Menschheit und einem der Kopf schwindelt. Viel Kranke sind gesund worden durch die Kraft des guten Wassers und haben ihre Krücken oder Abbildungen ihrer bösen Gliedmaßen aufgehänget an der großen Brunnenlinde. Aber es ist auch ein alt Weib gehänget, so viel Giftwerk getrieben hat und mit gestoßenem, venedischem Scheibenglas die Leute vergeben hat; doch die Schlimmsten laufen noch frank und frei herum. Ich trinke das heilige Wasser auch, obgleich ich ganz heil und gesund bin, aber vielleicht hilft es für künftige Tage, und Vorsicht zieret den Mann. Wohl wünschte ich Euch her einmal, um das Treiben und Wesen allhier zu sehen. Ich hab hier hochgelahrte Bekanntschaften gemacht, wobei dem Herrn Vater das Herz im Leibe hüpfen würde – der Herr Rektore Huddäus aus Minden lasset ihn fein grüßen – bin aber selbst doch nicht gelahrter dadurch worden. – Es gehet allzu seltsam hier zu! Einen blinden Teufelsbanner, den das Volk Simon den Zauberer nennt, haben wir jetzt auch hier; der treibt mit Macht die bösen Geister, Teufel und Gespenster aus, vorzüglich aus den Weibern, als worinnen die meisten stecken, wie man saget. Die Geister reden leibhaftig aus den Besessenen, daß einem die Haare zu Berge stehen, und der blinde Teufelsbanner krähet wie ein Hahne und brüllet und schreiet greulich, daß es erschrecklich zu hören und zu sehen ist. Es kamen auch zwei schöne Dirnen zu dem heiligen Born, die auch mit dem Teufel besessen waren. Aus der einen trieb der blinde Simon den bösen Feind sogleich fort, und hat sich aus Dankbarkeit die Erlösete dem Zauberer mit Leib und Seel ergeben und folgt ihm auf Schritt und Tritt gleich einem Hündlein. In der andern, der schönsten Dirne, aber stecket noch der unsaubere Geist und will nicht weichen – die Dirne aber wohnet auf dem Schlosse zu aller Leute Bedenken; denn seit sie da ist, ist unser Herr Grafe gar nicht mehr wie sonst. Die Leute flüstern und schwatzen, auch meinem gnädigen Herrn sei es nun angetan, und ein fremdländischer Mann hat diese Dirne schon verflucht, als wir die Brunnengesetze anschlugen, und ein jeglicher meinet, wenn der Graf die schöne Dirne nicht von sich stieße, so würde es zu einem bösen Ende kommen.
Ach, gäb es doch Krieg! Das würde nicht nur mir, sondern auch meinem jungen Grafen helfen! Ach, gäb es doch Krieg, im Sturm möcht ich Dich erobern, mein Lieb, und Dich heimholen. Es heißet wohl mit Recht: nimmer Dienst, nimmer Lohn; ach, wie möcht ich um die Monika dienen, und wenn es sieben oder siebenmal sieben Jahre wären. Gott schütze Dich, mein Lieb, und behalte mich lieb, Du! Vergiß mich nicht und sorge Dich nicht, ich komme einst und hole Dich und trage Dich auf den Händen und im Herzen bis in die Ewigkeit hinein. – Jetzt aber muß ich meine Geschrift zu einem Ende bringen, weil das Papier mir mangelt und ich auch wieder zu Pferde und hinaus in die greuliche Sonne muß. Gib dem Boten, dem Wichtelkaspar, einen frischen Trunk, daß er sich freue, und schreibe mir auch, wie es geht bei Euch und wie es steht in Deinem Herzen und ob Du mir auch immer gut bist. Der Kaspar wird es mir zustellen, wann er heimkehrt gen Pyrmunt von seiner Bettelfahrt durch die Lande. Nun lebe wohl, rosenrotes Lieb, und gedenke an mich im Wachen und im Traum! Wenn mir der Geigenkaspar Deinen Brief zu Händen gebracht hat, so will ich wiederum an Dich schreiben und werd auch wohl einen Boten finden, so es herüberträget. Lebe wohl und gedenke an Deinen Herzliebsten
Klaus Eckenbrecher,
des Grafen von Pyrmunt, Herrn Philipps
von Spiegelberg, freien Reiter.
Am dritten Tage des Heumonds, eintausendfünfhundertsechsundfünfzig, bei der allergrausamsten Hitz.« – –
Wie leuchteten die Augen des jungen Mädchens, als sie mit diesem Schreiben ihres Schatzes zu Ende kam. Der Fiedelmann schaute ihr lächelnd in das Gesicht, nickte ihr mit den Augen zwinkernd zu und murmelte dabei vor sich hin:
»Jaja, hab's immer gesagt und gesungen, es ist ein gut Ding um die Jugend.«
»Wie dank ich Euch, daß Ihr kommen seid«, sagte die Monika. »Ich war in so großen Ängsten seinetwegen.«
»Ho, ängsten müsset Ihr Euch nicht um den Buben, Jungfräulein, und was ich getan hab, das ist recht gern geschehen.«
»Dank Euch! Dank Euch!« rief die Monika, und der struppige Hund des fahrenden Mannes erfuhr nun auch, daß ein fröhlich Herz am liebsten gibt. In ihrer Herzensfreude stellte ihm die Monika einen ganzen Topf voll Milch zum Ausschlecken hin und fing an, ihren Brief von neuem zu studieren, bis der Köter mit seiner Milch fertig war und Kaspar Wicht den leeren Bierkrug niedersetzte und sich erhob.
»Das wär nun richtig bestellt, Jungfräulein, und – nun – wie wär's mit der Antwort an den Liebsten, he? Ich will Euch einen Vorschlag machen. Wisset Ihr, nun will ich gehen und umschauen im Land, ob die Mildtätigkeit und die Herzensfröhlichkeit durch die große Hitze ganz eingetrocknet und verdörret ist, will den Leuten die Weise vom Rosenkranz geigen und die Weise von der Schlacht bei Raven. Und dann will ich wieder vorgucken in einigen Tagen, daß Ihr mir anvertrauen möget, was Ihr dem Feinslieb in der Ferne zu melden habet. Gut will ich's abliefern, schönes Jungfräulein, wenn's Gottes Wille ist und der Bettelvogt mich unterwegs nicht beim Kragen nimmt. Na, der liebe Gott wird wohl nichts dagegen haben, er hat ja doch seinen Hauptspaß an solchem jungen, törichten Volk, wie Ihr seid. Also wollt Ihr?«
Errötend und verlegen nickte die Monika und blies in das Feuer auf dem Herde, was gar nicht nötig war; denn lustig genug flackerten die Flammen um den singenden Topf.
»Also abgemacht; gebt mir ein Patschhändlein und macht's wohl, bis daß ich wiederkehr!«
»Behüt Euch Gott!« sprach das Mägdlein, und der Geiger ging und geigte am selbigen Abend noch zu Bevern vor dem Schloßgesinde, bis ihn der Schloßherr, welchem vor kurzem das sechzehnte Kind weggestorben war, vergeben durch eine lose Hexe gleich den fünfzehn vorhergegangenen Würmern – vom Hofe trieb. Zu Wolfenbüttel büßte die mörderische Unhuldin dafür auf dem Scheiterhaufen. –
Während der Fiedler also im Lande umherstrich, stahl die Monika ihrem Herrn Vater einen schönen Bogen weißen Papieres und heimlich, daß niemand dahinter käme, schüttelte sie ihr Herzlein darauf aus. Sie schrieb so zierlich, wie eine Lerche schreiben würde, wenn ihr einmal einfiele, ihre Lieder, statt sie hoch oben in der blauen Luft auszujubeln, dem Papiere anzuvertrauen. Ehrn Valentin Fichtner war seinem Töchterlein ein guter Meister und Lehrer hierin gewesen.
Nach acht Tagen kam der Wichtelkaspar, seinem Versprechen gemäß, zurück und sang, diesmal bei vollständiger Abenddämmerung, vor dem Pfarrhause zu Holzminden:
»Ein Briefelein
An meinen Schatz
In weiter, weiter Ferne,
Das schrieb ich fein
Und legte drein,
Was ich ihm gab so gerne:
An jedes Ecklein
Einen Kuß,
Und in die Mitte
Tausend Gruß,
Viel Bangen, Hoffen, Seufzerlein,
Mein ganzes, ganzes Herzelein –
Eia, eia, ei, ei, ei, eia!«
Einen künstlichen, verschnirkelten Pfiff und einen vollen Bogenstrich über die Saiten seiner Fiedel hing er daran. Der Hund, welchem plötzlich die Erinnerung an einen leckern Milchtopf in den rauhen Kopf kam, sprang mit Gebell voran. Es war sehr gut, daß der Herr Pastor eben mit dem Spaten in der Hand im Garten auf einen Maulwurf lauerte, der ihm durch sein Wühlen schon viel Kummer und Ärger verursacht hatte. Auch den Maulwürfen wurde es allmählich zu unheimlich und schwül in der dürren Erde! –
Wenn Ehrn Valentin nichts von dem Gesang des Geigers vernahm, so hörte ihn desto besser die Monika, und sie segnete die Dämmerung, welche ihr erglühendes Gesichtchen dem fahrenden Manne verbarg. Scheu schlüpfte sie zu ihm heraus und drückte ihm verstohlen mit einem Patengulden aus ihrem Sparhafen die Antwort an den Klaus in die Hand.
»So ist's recht, das wird einen Jubel geben auf dem Schloß Pyrmont!« flüsterte der Spielmann, als er beides nahm. Es war nur ein kleines, kleines Briefchen, welches in den Bettelsack glitt. Es stand aber gar Vieles und Wichtiges darin, und mehr und noch Wichtigeres ließ sich zwischen den Zeilen herauslesen.
So schrieb die Monika Fichtner:
»Mein herzlieber Klaus!
Deinen Brief habe ich gelesen. O, wie hab ich mich gefreut darüber! Ich war sehr traurig, seitdem Du weggefahren bist in der Nacht mit dem Schiff; doch nun ist es gut, denn ich weiß, daß Du noch am Leben bist. Als ich Deinen Brief gelesen hatte, waren meine Augen naß und rot, und da mußte auch grade der Vater nach mir rufen. Ich schob alles auf das Herdfeuer und den Rauch. Ich lasse nun Deinen Brief nicht eher von mir, als bis Du mir einen andern schickest, und dann auch nicht, denn dann lege ich beide zusammen. Bitte, schicke bald den zweiten!!! Es ist doch recht traurig für ein armes Mädchen, wann es keine Mutter mehr hat! – Bei uns ist noch alles so, wie es war; wir haben hier auch einen sehr dürren Sommer. Meine Blumen sind alle tot und verwelkt, daß ich schier weinen möchte, wenn ich den Garten anschaue. Die Weser ist ganz weg getrocknet, und alle Leute klagen sehr und fürchten eine große Hungersnot. Der Vater ist sehr gut gegen mich; aber von Dir spricht er kein Wort, weder im Guten noch im Bösen; ach, lieber Klaus, wie soll das werden?! Neulich hat er auch – ich meine den Vater – Franz Schlachtmeyer und Justine Rotenberg zusammengegeben. Sie hatten eine große Hochzeit trotz der schweren Zeit, und alle Leute, wenn sie auch eingeladen waren und lustig mitmachten, haben sich schrecklich darüber aufgehalten. – Wenn ich auf solcher Hochzeit auch mit andern tanzen mußte, so war es mir doch immer, als hätt ich Dich im Arm, lieber Klaus, obgleich wir niemalen zusammen getanzt haben als nur, als wir noch Kinder waren, wann uns der einbeinige Hansel den Dudelsack aufspielte. Der Vater wollte es ja nie haben, daß Du mit mir tanztest.
Lieber Klaus, wann so viele Menschen am heiligen Born zu Pyrmont versammelt sind, so sind gewißlich viele viel schönere Jungfern als ich darunter; allerliebster Klaus, tu mir um Gottes willen nicht das große Herzeleid an und schaue zu viel nach ihnen. Wann Du es tust, so muß ich mich darüber zu Tode grämen, denn ich werd es ganz gewiß bis hieher fühlen. Lieber Klaus, gedenk, daß Dich niemalen eine so lieb haben wird wie ich.
Der alte katholische Pastor hat den Vater noch mehrmals besucht. Mit ihm ist auch der junge Mönch gekommen, jener mit den feurigen Augen, der so bleich ist. Ich fürchte mich erschrecklich vor seinen Augen, und himmelangst ward mir zumute, wie ich merkte, daß sie immerfort auf mich gerichtet sind. Wie die beiden das nächste Mal in ihrem Kahn herüberkamen, lief ich fort und versteckte mich, bis sie wieder gegangen waren, und solches war gewiß recht töricht; der Vater hat mich auch schön ausgescholten, daß ich nicht zur Hand war.
Ich bin immer in heimlicher Angst, wie ich schreibe, und denk alle Augenblicke, der Vater schaut mir über die Schulter und sieht, was ich mache und wie lieb ich den Klaus habe. Ich glaube, es ist sehr unrecht, daß ich an Dich schreibe; aber ich tue doch nichts Böses, wenn ich es tue – nicht wahr? Ich muß schließen; denn ich halt es nicht aus vor übergroßer Angst, daß der Vater mich ertappt. Bleib mir treu, wie ich Dir treu bleibe! Vergiß nicht, vergiß niemalen
Deine Monika.
Nachschrift: Behüt Dich Gott!
Nachschrift: Um Gottes willen keinen Krieg!! Bedenk, daß Du auch totgeschossen werden könntest wie mein Bruder Johannes. Ach, der Krieg muß etwas Schreckliches sein, und wenn Du umkämest, Klaus, so müßte ich auch sterben.
Nachschrift: Nochmals viel tausendmal Lebewohl, lieber, lieber Klaus! Schreib mir recht bald wieder und zieh nicht in den Krieg! Behalte ewiglich lieb
Deine Monika Fichtnerin.
Holzminden, am 1en des Erntemonats,
als alle Leute hofften, es käme ein Gewitter.
Es kam aber keins.« –
Dieses Schreiben war mit des Vaters rotem Siegelwachs fast unauflöslich verklebt; in Ermangelung eines Petschafts war jedoch nur die Spitze eines Fingerhuts darauf gedrückt. Da dieser Fingerhut aber sehr klein war und gewöhnlich an dem niedlichen Mittelfinger der Geliebten steckte, so konnte und durfte den Klaus Eckenbrecher kein einziges der hunderttausend kaiserlichen, fürstlichen, hochadeligen und adeligen Wappen des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation mehr erfreuen, und es ergreift auch der Erzähler dieser Historie die günstige Gelegenheit und versichert, daß er Briefe, die auf solche Weise durch Fingerhüte verpicht und versiegelt sind, viel lieber annimmt als andere mit künstlicheren, aber auch unliebenswürdigeren Siegeln.
Der Geiger Kaspar Wicht war noch mitten im Abschiednehmen und eifrigsten Versicherungen der Treue und Zuverlässigkeit begriffen, als Ehrn Valentin Fichtner durch sein Erscheinen die Verhandlungen zu einem Ende brachte. Der Pastor hatte den Lohn seiner Geduld empfangen, der lang verfolgte Troglodyt war erledigt. Zwischen dem Töchterlein und dem fahrenden Mann erschien der Pastor, den Spaten in der rechten Hand und den erschlagenen schwarzen, weichpelzigen Gartenverwüster in der linken.
»Mit wem schwatzest du da, Monika? Ei, ist der Vagabundus, der Lappenhäuser schon wieder da? Eheu, was für ein Leiden das ist! Hast du ihm einen Heller verabreicht, Mägdelein?«
»Ja, mein Vater«, sagte schüchtern Monika.
»Gut, so halte dich nicht auf, laß den Mann seines Weges gehen und komm mit ins Haus, wir wollen den Abendsegen beten und um Regen bitten; aber alle unsere Bitten wollen wir in den Herrn stellen. Da schau, Monika, den schwarzen Burschen, welcher mir soviel Mühe gemacht hat. Gehet mit Gott, Fiedler, und nehmet meinen Rat an, lasset vom Herumtreiben und haltet Euch an eine ehrliche Arbeit!«
»Das tu ich lang, Herr Pastore.«
»So?! Ei! Und was treibet Ihr, wenn man fragen darf, was treibet Ihr außer Eurem nichtsnutzigen Geigenspiel?«
»Briefe trag ich im Land umher! Gute Nacht, Ehrwürden!« rief der Geiger und sprang trotz seinem hohen Alter in weiten Sätzen gegen die Weser hinunter.
»So, so! Ei, ei!« murmelte der Pastor. »Komm, Monika!« Vater und Kind traten in das Haus, und der Alte schloß sogleich die Tür. –
Fast die ganze Nacht hindurch schritt der Fiedler stromabwärts auf dem Schifferpfade neben dem Flusse hin. Die Bauern vernahmen, aus dem Schlaf erwachend, sein Saitenspiel, wunderten sich und drehten sich auf dem Stroh auf die andere Seite, um weiterzuschnarchen.
Erst um Mitternacht machte der alte, rüstige, wandernde Spielmann halt. Auf einen Stein mitten im Flußbett, der sonst hoch vom Wasser bedeckt war, saß er nieder, kaute an einer Brodrinde und hörte dem leise zu seinen Füßen dahinkriechenden Wasser zu. Als er seine kärgliche Mahlzeit zu Ende gebracht hatte, strich er einige Male über die Fiedel, ließ dann den Bogen sinken und sang:
»Nun stecke ich fest in dem Sumpfe hier,
Und um mich zuckt es und flimmert's;
Es krabbelt und kribbelt das Sumpfgetier,
Doch goldig leuchtet's und schimmert's.
Viel glänzende Flammen um mich her
Viel seltsamen Reigen schlingen,
Und fern in der Schenke der Brummbaß brummt,
Und Geigen und Hörner erklingen.
Ja, fern in der Waldschenk Tanzmusik! –
Es fehlt nur die eine Geigen;
Sie merken's nicht, und sie achten's nicht,
Und lustig und wild schweift der Reigen!
Rings um mich ist Nacht, es schwand der Mond;
Wo sind nur die Sterne geblieben?
O du Irrlichtervolk, das im Sumpfe wohnt,
Sag, was hast du mit mir getrieben?
Ja, fern in der Schenke zum blutigen Herz,
In dem nächtlich dunkelen Walde,
Da tanzet mein Lieb und treibet Scherz,
Ach weh, sie vergaß mich gar balde!
O du Irrlichtervolk, das im Sumpfe wohnt,
Tanz du nun nach meiner Geigen!
O ihr Kröten, ihr Unken, so viel ihr mich hört,
Kommt alle, ich spiel euch zum Reigen!«
Als der Wichtelkaspar dieses Lied beendet hatte, seufzte er schwer und saß noch eine ganze Zeit in tiefem Grübeln da und streichelte den Kopf seines Hundes. Dann aber sprang er jählings auf und schüttelte sich:
»Ach, törichter, alter Knabe, das Vergangene ist vergangen und bleibt vergangen; verdorben bin ich, verdorben bleib ich, und der grüne Ast ist lang' zusammengebrochen unter mir – plumps – juchhe! Juchhe! Vivat das Wandern und der ewige blaue Montag!
Vivat! Vivat Kaspar Wicht –
Der Wind geht über die Heide,
Das ist mir nicht zum Leide!
Es geht der Wind gelinde,
Ich fahre mit dem Winde! juchhe!«
Nach diesem tollen Ausbruch warf er den Bettelsack wieder auf die Schulter, nahm die Fiedel unter den Arm und schlug einen kleinen Trab an, wobei er die nächste Stunde durch ununterbrochen vor sich hinmurmelte:
»Immer der Nase nach! Immer der Nase nach! Immer der Nase nach!«
So zog der fahrende Spielmann Kaspar Wicht gen Pyrmont mit dem Brieflein der holden Monika Fichtner. So ward Herr Leonhard von Taxis abermals in seinen Gerechtsamen beeinträchtigt! –