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schließt den ersten Teil der Geschichte vom heiligen Born.
Der Lizentiat Herr Hermann Hamelmann in seinem Traktat von der Hölle, ihren Namen und ihrer Pein, von den Segen, Wicker und Kristallen Teuffel, das ist von den Nachweisern, Schwarzkünstlern, Teuffelsbeschwörern, Kristallensehern und dergleichen, schreibt wütend und außer sich, pagina 98:
»Ich kann mich nicht enthalten und muß sagen von der großen, stinkenden Landlügen des lügenhafftigen, unverschämpten Fischfressers und Carthäuser-Mönchs Laurentii Surii, der also schreibet: wie daß sollte dem heiligen thewren Mann Luthero, Anno 1545 ein Mägdelein aus Meissen vorgebracht sein. Und als er dasselbige in die Sacristerey gefordert, sollte er haben den Teuffel beschworen nach Lutherischer Art. Jedoch hätte ihn der Teuffel bespottet und unter dem hätte sich gern der Luther vertrollet und ein Ausflucht genommen. Aber der Teuffel hab die Tür berannt, daß er nicht daraus möchte, darumb er auch sich befleißiget zum Fenster hinaus zu fliehen, aber umb das eysern Gefeß halben hab er nicht können entweichen, und hätten etliche durch die eysernen Gitter ihm ein Axt einwerffen müssen, damit er die Tür geöffnet und davon gelaufen. Also hats der Lügenmaul und böshafftige Schelm und unflätige Lügenschreiber sampt seinem Trucker Gervino Calesio recitiret.«
Es war diese Beschuldigung des frechmäuligen Karthäusers in der Tat danach, um darob in Wut und außer sich zu geraten. Vor dem Teufel Reißaus nehmen?! O infamia! Gab es wohl eine niederträchtigere Beleidigung als solche Anschuldigung? O Greuel und Schmach über den Pater Laurentius Surius! Welcher lutherische und katholische Kämpfer der Zeit der großen Kirchenspaltung hätte sich durch das Fenster errettet vor dem Affen Gottes und seinem Spuk? O blasphemia!
Hohnlachen und Spott der Kinder über dich, Laurentius Surius! Das Dintenfaß dem bösen Feind an den Kopf? In die Tiefe, in den großen Abgrund mit euch allen, die ihr Namen habet: Lucifer, Satan, Belial, Beelzebub, Oriens, Pargimon, Mammon, Buflas, Hypocras, Coap, Ebiger, Bilech und so fort, so fort!
Auf sie mit Singen und Beten, mit gesegneten Palmen und geweihten Lichtern, mit Stahl und Feuer! Auf sie! Nieder, nieder mit ihnen in den tiefsten Abgrund der Hölle! – – – An den Teufel glaubte jedermann, sein Erscheinen in tausendfältiger Form, in allen vier Elementen, in Menschen- und Tiergestalten bezweifelten weder Kaiser noch Papst, weder Reformatoren noch Mönche, weder Gelehrte noch Volk: weshalb sollte das Schloß Pyrmont daran zweifeln?
Ein Papier mit seltsamen Charakteren bemalt und beschrieben mit den drolligen Worten:
Amarathonta, tiros, posthos, cicalos, cicattri, eliapoli, starras, polen, solemque, linarrasque, edipos, edulpes, mala, draphanus, ulphanus, trax, caput orontis jacet hoc in virtute montis – hatte Simon der blinde Magier auf das schöne Haupt Faustas gelegt, und den schönen Leib der Tedesca hatte der böse Feind ärgerlich und widerstrebend verlassen, um – nach der Meinung von allem am heiligen Born versammelten Volk – von Herrn Philipp von Spiegelberg, Grafen zu Pyrmont, Besitz zu ergreifen. Und dasselbe geheimnisvolle Papier wollte auf dem wirren Lockenkopfe des jungen Grafen, von der betrübten Ursula heimlich darauf gelegt, während der Bruder schlummerte – durchaus nicht wirken, wie wir aus der Liebesepistel Klaus Eckenbrechers bereits herauslesen konnten.
Zu solcher großen Not und Trübsal füllte sich das Schloß auf dem heiligen Anger immer mehr mit den vornehmsten Gästen aus der Nähe und der Ferne und »empfing davon nicht wenig Anfall und Schaden«.
Mit geziemendem Gefolge kam von Koburg Frau Katharina, Herzog Hansens von Sachsen Gemahlin, welche den Brodelbronn für ihres Leibes Gebrechen brauchen wollte. Eine große Ehre und Freude gedachte sie den drei Spiegelbergschen Geschwistern durch ihre Einquartierung auf dem Schlosse anzutun.
Es erschien auch Konrad, Graf zu Teckelnburg, der letzte seines Stammes, welcher vermeinte, durch Kraft des Wunderbrunnens wenigstens der Vorletzte seines Geschlechtes zu werden. Er täuschte sich aber und zog hager und dürr ab, wie er gekommen war, und seine Frau wurde ebenfalls durchaus nicht rundlicher durch das gute Wasser, welches ihr Ehegespons getrunken hatte.
Kurze Zeit nach der Ankunft des Teckelnburgers kam Graf Sigismund von Gleichen, der viel besser getan hätte, wenn er zu Hause geblieben wäre; er verschied nämlich durch die allzu kräftige Wirkung des heiligen Borns.
Was hilft es, das Register fortzusetzen? Der fürnehme Besuch war nur mit der Mäusenot, welche den Bischof Hatto von Mainz überzog, mit einem gefräßigen Heuschreckenschwarm, mit der Freierschar, welche das Haus des vagabondierenden Dulders Odysseus kahl fraß, zu vergleichen. – Der Born zu Pyrmont hat unter andern guten Eigenschaften auch die, daß er einen tüchtigen Appetit erzeugt, und die lieben Gäste legten sich durchaus keinen Zwang auf in dieser Beziehung, sondern hielten sich wacker an die Speisekammer, die Küche und den Keller der drei Spiegelbergschen Geschwister. Die arme Ursula, den ganzen Tag über und tief in die Nacht hinein treppauf treppab gejagt, verlor immer mehr alle Erinnerung an vergangenes behagliches, friedliches Stillsitzen, an frühere ruhige Nächte voll gesunden, traumlosen Schlafes. Zusehends magerte sie ab und fing allmählich an, an Schwindelanfällen, Blutdrang nach dem Kopfe, Gedächtnisschwäche und dergleichen zu leiden: das Wasser des heiligen Borns war dagegen natürlich ohne die mindeste Wirkung.
Selbst die mutwillige, sorglose Walburg blickte jetzt oft ganz bedenklich drein und suchte sich stellenweise nützlich zu machen, steigerte dadurch aber nur die allgemeine Verwirrung. Fräulein Ursel und die übrigen Haus-, Hof- und Küchen-Tyranninnen verbaten sich daher auch bald genug jedes tätige Eingreifen ihrerseits, behaupteten, die Walburg stehe nur im Wege, und schickten sie zur – Frau Kurfürstin von Brandenburg.
So hatte die Walburg allein auf dem Schloß Pyrmont Zeit und Ruhe, sich um den armen Philipp zu bekümmern und sich abzusorgen über die große Veränderung, welche mit ihm vorging.
Allmählich ward aus dem lebensfrohen, frischen Jüngling, dem Trinker, dem Jäger, ein menschenscheuer, bleichgesichtiger Patron, welcher durchaus nicht mehr imstande war, den liebenswürdigen, den angenehmen Wirt zu spielen vor Ihren Hochfürstlichen Gnaden von Brandenburg und Sachsen-Koburg. Auch seinen männlichen Gästen vermochte der Graf nicht mehr wie sonst standzuhalten. Herr Konrad von Teckelnburg nahm ihm im Brettspiel und im Würfelspiel viel mehr Geld ab, als bei klareren Sinnen des Gegenparts möglich gewesen wäre. Herr Sigismund von Gleichen trank ihn sogar zur großen Verblüffung, zum – Entsetzen des aufwartenden Eckenbrechers fünfmal, sage fünfmal unter den Tisch.
»Das weiß der – heilige Liborius zu Lügde!« sagte Klaus Eckenbrecher, welcher sich auf dem linken Weserufer einen reichen Schatz von katholischen Beteuerungen zulegte. »Ist's die Möglichkeit? Ich sage Euch, Falkenierer, hätt' ich's nicht selbsten gesehen mit meinen leiblichen Augen, kein Teufel hätt mir den Glauben daran beigebracht!« –
»Ach, mein armes Brüderlein!« seufzte Fräulein Walburg von Spiegelberg, »wenn ich doch wüßte, was ihm fehlete! Die alte Hanne in der Spinnstube sagt, das fremde Weibsbild, so hier im Schloß aufgenommen ist, habe es ihm angetan, habe ihn verzaubert und scharfe Nadeln ihm in die Leber gehext. Ich will den Kaplan darum fragen, der muß Kundschaft davon geben können als ein geistlicher Herre.«
Sie tat also und fragte den Schloßkaplan um Rat.
»Hab's lange gemerkt, daß etwas nicht in der Ordnung ist bei unserm gnädigen jungen Herrn«, sprach dieser würdige Mann. »Wisset Ihr, Fräulein, ich will den Herrn Rektor von Minden, Herrn Hermannus Huddäus, der noch immer zu Oestorf seine Gicht kuriert und große Linderung verspüret durch das gute Wasser und ein hochgelahrter, frommer Mann und mein günstiger Freund ist, darob um seine Meinung fragen.«
Er tat also und fragte den Rektor Huddäus um seine Meinung,
Dieser schüttelte bedachtsam das Haupt und sprach: »Das ist ein böses Ding, und was das Zaubern von Nadeln in die Leber anbetrifft, so sind die Gelehrten darüber gar verschiedener Meinung. Ich will zum Nutzen meines werten Herrn Grafen nach Wittenberg schreiben an meinen lieben Freund und Lehrer Herrn Philippum Melanchthon, den Mann Gottes. Wenn einer nach dem Hinscheiden des gottseligen Doktor Martin raten kann, so ist er es.«
Er tat nach seinem Worte und schrieb noch an demselben Tage einen schönen lateinischen Brief an Herrn Philipp nach Wittenberg, und Fräulein Walburg schickte einen expressen Boten mit solchem Schreiben ab.
Der Herr Doktor Philipp freute sich über den Brief des Rektors höchlichst und schrieb einen noch schöneren, mit vielen griechischen Zitaten ausgeziert, zurück und sendete zugleich nebenher ein Paketlein.
In diesem Paketlein befand sich ein in Schweinsleder handfest eingebundenes Buch mit künstlichen Messingklammern verschlossen, welches folgenden Titul führte:
Der Teufel selbs
das ist
Wahrhaftiger und bestendiger und wolbegründeter Bericht von den Teufeln; was sie seien, woher sie gekommen und was sie täglich wirken.
Derbey ihre große Tyranney, Macht und Gewalt. Item auch ihre Behendigkeit, List und Trügerey. Auff's vleissigst und eigentlichst beschrieben. Item, was von Verzauberungen, Verblendungen, Gifftwerken und sonst viel und mancherley Geplärren des Teufels zu halten sey.
Dieses höchst vortreffliche Buch »trewlich und ordentlich aus Gottes Wort und vieler Gelahrten Bücher alt und new zusammengezogen durch Jodocum Hockerium, Osnabrugensem, Prediger der Kirchen Gottes zu Lemgo« – gewährte der ganzen Reihe der Ratfragenden viel Trost und Erbauung, brachte sie aber doch nicht zu irgendeinem Resultate in bezug auf den Zustand des jungen Grafen. Zum sechsten, zum siebenten, zum achten Male trank der Graf zu Gleichen Herrn Philipp von Spiegelberg unter den Tisch, und er würde seine Siege jedenfalls noch bedeutend vermehrt haben, wenn ihm nicht leider die Gicht in den Magen getreten und Asa födita und Moschus die Parole geworden wären. So entschlief er jedoch wenigstens »seliglich« in dem stolzen Bewußtsein, daß er als Überwinder aus der durstvollen Wüstenei dieses Erdenlebens scheide.
Meister Jodokus Hockerius mochte in seinem Buche mancherlei gesagt haben von den Teufeln und gute Antwort gegeben haben auf die Fragen: Ob und wie die Teufel Wunder und Zeichen tun können? – Ob und wie sie weissagen und zukünftige Dinge wissen mögen? – Ob sie Krankheiten heilen und der Menschen Sinne äffen und betrügen können? – Ob sie der Menschen Gedanken erkennen und auch können in der Menschen Leiber fahren? – Ob und wie sie Corpora d. i. Leiber an sich nehmen? – Ob sie sich in die Gestalt der verstorbenen Menschen oder Seelen verkleiden mögen? – Ob sie Menschen in Tiere verwandeln mögen? – Ob sie auch können Träume und Nachtgesichte machen? – Ob sie auch Wetter machen und das Gewölk verstören können? – Ob sie auch mögen Buhlschaft treiben und wie man sagt Incubi und Succubi werden mögen? – Ob sie können Milch, Butter, Wein, Bier, Brod, Eier und andere Dinge stehlen?
Wie sollte dem Kranken Hülfe geschafft werden, wenn die Zauberin Fausta La Tedesca im Schloß Pyrmont blieb und bleich und schön durch das scheue Gesinde schritt?
Wohl konnte Fausta La Tedesca Wunder und Zeichen tun – wohl konnte sie der Menschen Sinne äffen und betrügen – wohl konnte sie der Menschen Gedanken erkennen – wohl konnte sie Träume und Nachtgesichte machen – wohl konnte sie Buhlschaft treiben, und daß sie in den andern Punkten des dämonischen Sündenregisters ebenfalls gut befahren sei, daran zweifelte weder Walburg von Spiegelberg noch der Kaplan noch das Schloßgesinde. Aber unbewegt von alledem, was über sie gesprochen wurde, unerschüttert durch alle leisen und lauten Drohungen, die sie auf ihren Wegen verfolgten, blieb Fausta La Tedesca im Schloß Pyrmont. Schon fingen auch die Hintersassen von Spiegelberg an, Leib und Seele ihres jungen Grafen für gefährdet zu halten, und am liebsten hätten sie die »fremdländische Hexe« verbrannt auf einem tüchtigen Scheiterhaufen von grünem Holz oder sie begraben auf einem Kreuzweg mit einem Pfahl durch das Herz.
Man schoß einen Armbrustbolzen auf die schöne Maid ab, als sie eines Abends mit Herrn Philipp an der Emmer im Mondschein lustwandelte; und der Schuß ritzte ihre weiße, runde Schulter ein wenig, daß drei Blutstropfen durch das feine Hemdlein drangen. Der Täter, ein Mann aus Löwenhausen, ein Leinweber, wurde jedoch glücklich ergriffen und sagte aus: er hab die Armbrust abgedrückt aus Liebe zu seinem gnädigen Herrn und hab ihn dadurch lösen wollen aus den Banden des greulichen Gespenstes, so ihn – seinen gnädigen Herrn – gefesselt hätte. Der Graf zu Pyrmont nahm jedoch diese Liebe und Fürsorglichkeit sehr übel auf, ließ ein kurz Gericht halten über den getreuen Knecht Eckart und hing ihn auf an seinem hochgräflichen Galgen zu einem abschreckenden Beispiel für andere gleichgestimmte, wohlmeinende Seelen.
Die beiden Schwestern von Spiegelberg, Ursula und Walburg, konnten nur stillschweigende Opposition gegen den unheilvollen, schönen Eindringling machen. – Nach Martin Luthers Ansicht haben Fürsten und Herren große treffliche Engel, denen sie in Schutz befohlen sind; Kinder und schlechtes Gesinde dagegen sind nur gemeinen Engeln anbefohlen; ach, so hoch der Schutzgeist des Grafen zu Pyrmont in der himmlischen Aristokratie stehen mochte, auf sein Amt gab er gar schlecht Achtung und überließ ihn – höchstwahrscheinlich durch eigene wichtige Geschäfte abgehalten – allen Anfechtungen des bösen Prinzips!
Mit ihren schwarzen Augen sog Fausta La Tedesca Herrn Philipp alle Kraft und Macht aus, daß er immer bleicher und hohlwangiger wurde, immer finsterer und immer menschenscheuer. Am liebsten zog er einsam, nur von seinen Hunden begleitet, im Walde umher. Nach tagelanger Abwesenheit fanden ihn seine Jäger am häufigsten am Toren to mayen, dem »Klageturm«, welchen der römische Feldherr Germanicus dem toten Heer des Varus aufgerichtet haben soll. Hier, auf fremdem Gebiet, saß Herr Philipp, die Kniee in die Höhe gezogen und das Kinn auf die Kniee gelegt, und starrte regungslos in den düstern Forst hinein. Armer Philipp von Spiegelberg, wer hätte das damals gedacht, als du so fröhlich und wohlgemut Neuigkeiten austauschtest an der Fähre zu Holzminden mit dem Bürgermeister und den Bürgern? Armer Philipp von Spiegelberg, war das das große Unheil, welches der Komet dir verkündete? –
Die Magierin Fausta hatte den deutschen Grafen gefangen und hielt den Zappelnden in ihrem Hamen hoch in der Luft und ergötzte sich nicht wenig an dem buntschillernden Farbenspiel des armen Burschen und wußte nichts von Gewissensbissen über solch abscheulich Spiel. Und mit der Fausta hielt Simon Magus die beste Freundschaft und gab ihr viele vortreffliche Ratschläge sowohl unter der Brunnenlinde als in dem Schloß Pyrmont und in dem kleinen Zelt auf der stillen Waldlichtung. In diesem kleinen Zelte zündete der Diener des Blinden allabendlich eine hängende Lampe an, und gelockt von dem Schein, welcher durch die zurückgeschlagenen Vorhänge fiel, kamen Nachtkäfer und Nachtschmetterlinge aller Art und umflatterten die Ampel. Seltsame Geschöpfe lockte das Licht im Walde an. Es stieg vom heiligen Born herauf Simon der Zauberer, geführt von jenem jungen Weibe, welches einstmal dem Grafen Philipp auf seinem Morgenspaziergang im wilden Tanz der Besessenen vor die Füße fiel. Nicht umsonst hatte der Magier seine Kraft und Kunst an ihr erprobt; da liegt vor uns eine alte Chronik, von deren staubigen Blättern der Erzähler abliest:
»– und obwohl er blind war und jhre Schönheit nicht sehen konnte, dennoch nahm er sie zu der Ehe und zog mit jhr fort in seine Heimat. Und als sie daselbs wohneten, führet jhn das Weib einsmals auf den Balkon. Da erschienen jhr zwo weiße Münniche, das sonderzweiffel Teuffel gewesen sind, die hulffen jhr, schündeten auch zu, daß sie jhren blünden Kerl durch die Luken herunter stürtzet. Stieg darnach herab, und als die zwei weißen Münche jhr wiederumb erschienen, jhr halffen und zuschündeten, tödtet sie jhn fortan, hieb jhm den Kopf, Hände und Füße ab und stieß jhn in einen Offen, macht ein Fewer umb jhn her, der Meinung jhn aufzubrennen. Aber der Geruch von dem Branten drang zum Hause, das rings umb her versperret war, hinaus, daß man also das Branten über etliche Häuser riechen kundt. Derwegen wurden die Nachbarn wach, brachen das Haus auff und funden das Weib auff frischer That, die jhre Ubelthat frey bekennet, ist auch vom Erbarn Rathe zum Tode verurtheilet und gebürlicher Weise hingericht worden.«
So steht es in den alten, schnörkelhaften Lettern auf dem gelben Papiere. Beim Umwenden der Blätter steigt ein unheimlicher – ein Blut- und Brandgeruch daraus auf; – fort damit, was geht hier uns das Ende Simons des Magiers an? Dum vivimus, vivamus!
Seltsame Nachtkäfer und Nachtschmetterlinge, seltsames Gesindel sammelte sich um das rötlich strahlende Licht im Zelt des Blinden. Vom heiligen Anger herauf durch den Wald huschte es – ließ Wachtrufe, Pfiffe – Losungsworte und Zeichen erschallen. Hätte der Graf von Pyrmont die geringste Ahnung von dem gehabt, was allnächtlich auf der Waldlichtung am Bomberge beraten und besprochen wurde, die Lampe Simons des Magiers, welche er von den Fenstern seines Schlafgemaches aus an dem Berge gleich einem Pünktchen flimmern sah, wäre jedenfalls ausgeblasen worden.
Die abenteuerlichsten Gestalten – Männer und Weiber – lockte und leitete die Lampe des Blinden; aber der schönste Nachtfalter, welcher heranflatterte, war Fausta La Tedesca – la falsa Maga, welche, wenn das Leben der Nacht im Walde sich regte, vom Schloß Pyrmont her durch die Dämmerung glitt, um von dem blutroten Weine des Zauberers Simon zu trinken und seinen Worten zu lauschen.
In dem Zelte des Blinden vollendete Fausta ihre Erziehung – sie, die mit dem großen Meister Tizian Vecelli da Cadore auf dem Adriatischen Meere einst schiffte – sie, deren holde Glieder Michelangelo Buonarotti in Ton nachbildete – sie, welche an der Hand von Fürsten über die Marmorplatten der italischen Paläste schritt.
Du hattest recht, daß du den Kampf aufgabst, Benedictus Meyenberger! Verhülle dein Haupt, Simone Spada! …...
Der Erzähler legt die Feder nieder und stützt das Haupt auf die Hand. Noch sieht er vor sich im grün-goldenen Licht das Tal von Pyrmont mit dem bunten, tollen Leben und Treiben des Jahres eintausendfünfhundertsechsundfünfzig. Noch leuchten phantastisch all die farbenreichen Bilder. Um die Feuer lagern die Kranken und die Gesunden, die Sterbenden und die Zechenden und Schmausenden. Auf zusammengeschobenen Tonnen blasen und fiedeln die Bergleute vom Harz; im wildesten, ausgelassensten Reigen drehen sich die Tänzer und Tänzerinnen unter den grünen Bäumen. Noch blitzen die Waffen, noch erklingen die Trompeten, noch heben sich wiehernd die Rosse und drängen sich und schlagen wild aus. Fort und fort kommen und gehen die Züge der Saumtiere und Wagen. Noch waltet unter der großen Bronnenlinde, unter den Gesetzestafeln des Rektors Hermann Huddäus Simon der blinde Magus und heilt Kranke und Besessene. Noch wechselt fort und fort das sinnverwirrende Schauspiel; aber – allmählich, ganz leise, leise verbleichen die glänzenden Farben, und gleich einem Flor, gleich einem dünnen Nebel legt sich's über das schillernde Gemälde.
Und grade jetzt, schau, da zieht ein lustiger Zug aus der dunklen Torwölbung hervor über die Zugbrücke des Schlosses Pyrmont, wie hinter einem duftigen Schleier bewegen sich die Gestalten der glänzenden Reiter und Reiterinnen vor den Augen des Erzählers. Kaum erkennt er noch an der Spitze des Zuges den jungen Grafen Herrn Philipp von Spiegelberg und Fräulein Walburg, seine Schwester, welche den Falken auf dem Fausthandschuh trägt. Pagen und Knechte drängen sich hintereinander und nebeneinander, und an der Sänfte der Frau Herzogin Katharina von Sachsen-Koburg schreitet gravitätisch Klaus Eckenbrecher mit erhobenem Haupte, den Hut in der Hand tragend, daß die lange Hahnenfeder den Boden fegt. – Aus dem Fenster ihres Turmgemaches beugt sich Fausta – Fausta, die falsche Zauberin, und blickt dem Zuge nach, wie er sich gegen den Wald zu bewegt; Simone Spada stöhnt auf seinem Schmerzenslager zu Osnabrück, und Benedikt Meyenberger legt ihm die alterskalte Hand auf die Stirn.
Fausta lächelt, und Philipp von Spiegelberg ist sehr bleich und hängt trübselig auf seinem Gaule.
Und immer farbloser werden die Bilder den Augen des Erzählers; die Sonne sinkt nicht, aber sie scheint sich zurückzuziehen in immer weitere Ferne. Immer kleiner und kleiner wird sie und schwimmt endlich nur noch einem winzigen, bleichen Stern gleich in dem bleifarbenen Dunst. Eine ungeheuere Trostlosigkeit und Verlassenheit bemächtigt sich darob des Herzens.
Aber es wird nicht Nacht!
Der winzige Sonnenstern verschwindet nicht ganz. Durch das schreckliche, totenfarbige Halblicht flimmert er, und eines Menschen Augen klammern sich verzweifelnd an den Schein: verschwände auch dieses Pünktchen, so wäre die Zeit vorbei – alles wäre wieder öde und leer!
Ein dunkles Wasser rauscht, ein Schatten gleitet langsam das Ufer entlang. Das murmelnde Wasser ist die Weser, der Schatten, welcher die Hände nach dem kleinen Stern ausstreckt, ist der kranke Vikarius von Stahle, der Bruder Festus.
Nun ist auf einmal jener Stern zum Lichtschimmer geworden, welcher aus einem Fensterlein am rechten Ufer des Flusses fällt. Das Spinnrad Monikas surrt nicht mehr, müde hat die Jungfrau das Köpfchen auf die Brust sinken lassen, sie schlummert, und die Lampe ist dem Erlöschen nahe. Viele hunderttausend Mädchenherzen träumen von dem morgenden Feiertag und von dem Herzliebsten, und die Monika träumt mit. In seiner Studierstube schreitet der Vater auf und ab; ja – morgen ist Sonntag, viel tausend lutherische Pastöre machen ihre Predigt und Ehrn Valentin Fichtner ebenfalls.
Horch, da tönt ein Gesang in der Ferne! Ein langbeiniger Gesell schreitet durch die dämmerige Nacht heran. Das ist Kaspar Wicht der Fiedelmann, welcher ein zweites Brieflein von dem Klaus Eckenbrecher in seinem Bettelsack gen Holzminden trägt.
Wild traurig klingt des Sängers Weise. Er hat auch viel bitteres Herzeleid erfahren in seinen jungen Jahren und singt es eben aus. Es geht kein Wort seines Liedes dem Ohr des Erzählers verloren:
»Den Tod hab ich gesehen:
Er kam im leisen Wehen,
Er kam mit sanftem Hauchen,
Nicht wollt Gewalt er brauchen.
Er kam beim Sterneflimmern,
Bei Mondes bleichem Schimmern;
Kein Lüftlein sich bewegte,
Kein Blatt am Baum sich regte:
Ein Vöglein schwieg im Flieder,
Ein Fünklein fiel hernieder,
Ein Herz hört' auf zu schlagen
Zwei Stündlein vor dem Tagen!«
O, horch, und nun mischen sich viele lärmenden Instrumente in den melancholischen Gesang und verändern die Weise, und gell schallt sie fort:
»Nun tu den Tod ich schauen,
Er kommt im wilden Grauen!
Er kommt im Wetterbrausen
Zu Volkes-Not und Grausen!
Die Glock zum Sturme rührt er,
Des Krieges Feuer schürt er!
Aus Nord und Süden rollt es,
Aus Osten und Westen grollt es!
Das Schwert in allen Händen!
Die Pest an allen Enden!
Wem mag es wohl gelingen,
Den grimmen Tod zu zwingen?«
Lichterglanz und das Gewühl eines festlich geschmückten königlichen Prachtsaales! Wo blieb der bleiche Stern? Wo blieb der friedliche Schein aus dem armen lutherischen Pfarrhause an der Weser? Wo blieb der Gesang des wandernden Spielmannes?
In der großen Stadt Paris, in seinem Palast des Louvre sitzt beim glänzenden Mahl Heinrich der Zweite, König von Frankreich und Navarra. Er lacht, und Diana von Poitiers lächelt, und Katharina von Medici neigt die sinnende Stirn. Die schönen Damen und die edlen Ritter lächeln und kosen gleich ihrem König; aber zwischen Scherz und Lachen bewegt der Herrscher Unheil in seiner Brust gegen einen andern Herrscher, welcher nicht beim Gelage sitzt, sondern einsam, finster, bleich und krank vor einem Bilde des gekreuzigten Christus im Gebet liegt.
Als dieser andere König sich von seinem Betschemel erhebt, tritt er an den Tisch, auf welchem eine große Karte von Flandern und Burgund ausgebreitet liegt. Draußen ruft die Wache die Ronde an, Partisanen klirren dumpf auf den Boden. Ein Mönch schleicht lautlos durch die Korridore, lauscht einen Augenblick an der Tür des finstern Königs und tritt ein – hoch klopft unter dem Brustpanzer das Herz des wachthabenden Soldaten.
Totenstille herrscht jetzt im Schlosse zu Madrid. Die einsame Ampel, die im Vorgemach Philipp des Zweiten ihr trübes Licht auf den Harnisch des katalonischen Kriegers wirft, erlischt urplötzlich – alles um den Erzähler her versinkt in tiefste Finsternis – das Käuzchen, welches sich seit einigen Nächten vor seinem Fenster eingefunden hat, streift mit den Flügeln seine Fensterscheiben und läßt seinen schaurigen Klagelaut erschallen. Schnee liegt auf den Dächern und Bäumen.
Memento mori!