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Der armen Mutter bitter Leid,
Das schwere Herz der schönen Maid,
Die ganze Noth der großen Stadt
Dies Caput vorzumalen hat.
Herr Ludolf Horn zum Besten spricht,
Der Meister Michel fürcht't sich nicht;
Gelehrte Herren treten auf,
Aus Näh' und Fern' ein ganzer Hauf':
Ehrn Niclas Hahn, Herr Alberus,
Herr Flacius Illyricus,
Zuletzt Herr Wilhelm Rhodius.
In der Schöneneckstraße, die im Jahre Fünfzehnhundert fünfzig ganz anders aussah wie heutzutage, lag, ziemlich nahe dem Breiten Wege, das Haus des Rathmannes Ludolf Horn, gegenüber der berühmten Druckerei des Meisters Michael Lotther, aus welcher so viele haarscharfe, klare, gute und feine Streitschriften, Beweisschriften für den evangelischen Glauben und das Wohl der Stadt, beiden zu großem Nutzen, den Feinden aber zum allergrößesten Aergerniß und Schaden, hervorgingen. Unsere Erzählung wird viel zwischen diesen beiden stattlichen, altersgrauen Häusern, die mit Giebeln, Erkern, Holzschnitzwerk und frommen Sprüchlein wohlverziert waren, hinüber und herüber spielen, denn ihre beiderseitigen Bewohner halten gute Freundschaft mit einander, und Jungfrau Regina Lotther hat seit dem Tode der eigenen Mutter fast ein ander Mütterlein gefunden an der frommen, sittsamen und tugendhaften Hausfrau des Rathmannes, Frau Margaretha Anna Maria Horn; wie auch schier kein Tag vergeht, an welchem nicht Herr Ludolf Horn und Meister Michael Lotther zu einem guten Gespräch zusammenkommen.
Wir führen den Leser jetzt in das Haus des Rathmannes, in ein bürgerlich wohlausgestattetes Gemach zu ebener Erde, in welches die Abendsonne des schönen Herbsttages so eben durch den oberen Theil der runden Fensterscheiben freundlich hereinblickte. Zwei Frauen saßen in der Nähe des tief in die Wand eingelassenen Fensters dicht nebeneinander, mit weiblichen Arbeiten beschäftigt. Die eine war eine ehrbare, silberhaarige, traurig blickende Matrone, die andere war eine schöne braunhaarige Jungfrau in der Blüthe des Lebens. Beide waren in dunkelfarbige Stoffe gekleidet, und selbst bei dem jungen Mädchen verhüllten das Sammethäubchen und das bis an den Hals hinaufgehende Kleid spröde so viel jugendliche Reize als möglich.
Unruhe und besorgtes Harren spiegelte sich in den Mienen beider Frauen, und oft warfen sie forschende Blicke durch das Fenster in die Gasse, als erwarteten sie von Augenblick zu Augenblick Jemand, an dessen Erscheinung oder an dessen Botschaft sie das lebhafteste Interesse hätten.
Die ältere Frau war Margarethe Horn, die Hausehre des Herrn Rathmannes, die Mutter von Markus Horn. Die schöne Jungfrau war Regina, die Tochter des Buchdruckers Michael Lotther.
In allen Gassen der Stadt herrschte eine außergewöhnliche Bewegung; auf dem Rathhause war ein wohledler und hochweiser Rath der Alten Stadt Magdeburg sammt den Schöffen und Innungsmeistern in den allerwichtigsten Verhandlungen und Berathungen beisammen. Von Wanzleben herüber hatte der Magdeburg'sche Bürger und Hauptmann Bartholomäus Eckelbaum, welcher das Schloß daselbst innehatte, einen reitenden Boten mit der allerbösesten Zeitung über den Anmarsch des Herzogs Georg von Mecklenburg geschickt. Wie er sich zu verhalten habe, fragte nicht ohne gegründete Unruhe der Hauptmann, wenn ihm der Feind mit Uebermacht vor die Mauern rücke, und wie ein ehrbarer Rath eigentlich gegen den Herzog Jürgen stehe?
Darüber berieth nun der Rath seinerseits in schwersten Sorgen bereits seit Mittag, und die Herzen der Frauen, – der Mütter, Töchter, Schwestern der Alten Stadt Magdeburg durften wohl unruhig und ängstlich an diesem vierzehnten September klopfen, denn am vergangenen Tage war der Herzog Georg mit dreitausend Mann zu Fuß und zweihundert Mann zu Roß über den Hessenerdamm in das Stift Halberstadt eingerückt und zog von da ohne Aufenthalt in das Erzstift Magdeburg.
Vergeblich wollte Regina einige tröstliche Worte sprechen:
»Wer weiß denn, Mutter, ob der liebe Gott nicht noch in der letzten Stunde dem dräuenden Unheil Halt gebietet und die Herzen der Widersacher seines heiligen Wortes zum Besseren lenket. Wer weiß, was noch geschehen mag; – hat die Acht doch nun schon drei Jahre über unsern Häuptern gehangen und Niemand hat gewagt, sie zu vollstrecken. O lieb' Mütterlein, ich fang' manch' Wörtlein auf von den gelehrten und klugen Männern, so bei meinem Vater verkehren, und wenn ich auch nur ein arm', dumm' Mägdelein bin, so denk' ich mir doch das Meinige dabei. Kommt mir so vor, als müsse doch Kaiser und Reich einen grausamen Respect haben vor dem Jungfräulein im Wappen unserer alten Stadt. Mütterlein, was will denn dieser Herzog von Mecklenburg mit seinen paar Knechten? Ei Mütterlein, ich habe Muth, guten Muth, den besten Muth!«
»Ach Kind«, sprach seufzend Frau Margarethe, »Du bist noch jung und das ist wohl Dein gutes Recht, Hoffnung zu hegen bis zum Letzten; wär' auch recht schlimm, wenn so wenig Lebensjährlein nicht da Gold und Grün sehen würden, wo dem Alter Alles, – die ganze weite Welt, schwarz verhänget ist, wie eine Kirche bei einer Todtenfeier. Wann aber ein Weib sechs Kinder gebiert und gehen ihm fünf mit dem Tode ab, ehe sie die Kinderschuhe ausgetreten haben, und das sechst' und letzt', so der Stolz im Alter hätt sein können, ist verschollen und verdorben, das Mutterherz weiß nicht wann und wo; – ja, Regina, dann neiget sich das stolzeste Haupt, so eine Frau auf den Schultern tragen mag. Ist mir doch im Leben nach und nach eine Freude nach der andern erlöschet, wie ein Kerzlein nach dem andern ausgehet bei einem Fest. So wird man zuletzt so müd', so müd', daß man sich am End' nach nichts mehr sehnet als nach dem stillen Grab und nach dem ruhigen grünen Hügel auf dem Gottesacker. Ein Mann hat's doch immer besser als wir armen Weiblein; der träget seinen Kummer hinaus auf die Gassen, auf's Rathhaus oder auf den Mauerwall. Da redet er und denket und hantiert und vergisset sein eigen Weh um das allgemeine Wohl und Weh. Aber wir zu Hause, wir bei unserer stillen Arbeit, bei unserem Spinnrad, wir sind immerdar mit denselben Gedanken zusammen eingeschlossen wie in einem Kreis, und können nimmer hinaus und mögen es eigentlich auch nimmer. So halten und tragen wir unsern Schmerz an unsere blutende Brust gedrücket, gleich einem kranken Kindlein, und betrachten's immer wieder und immer von Neuem, ob es nicht besser damit werden will. Und nun ist mein einziger Gedanke der Markus, der arme verlorene Sohn. Sie sagen zwar, der sei ja längst todt; aber es ist immer, als rufe mir eine Stimme, ich weiß nicht woher: Nein, nein, nein, er ist nicht todt, er ist lebendig. Du wirst und mußt ihn wieder sehen, ihn wieder haben. Schau, Kind, bei jeder bösen Nachricht und Angst, so der Vater mit vom Rathhaus bringt oder die Nachbarn und Nachbarinnen von der Gasse hereintragen, immer schwebet mir nur mein Markus vor. Ach, und dem Mann, dem Vater darf ich gar nicht davon sprechen, der fährt gleich ganz wild auf und spricht: Lebet er noch und hat seine Eltern also vergessen können, so sollen ihn auch Vater und Mutter vergessen und seinen Namen nicht aussprechen in dem Hause, in welchem er geboren wurde! Also sind die Männer beschaffen. Ich weiß, mein Ludolf trägt denselben Harm wie ich: aber weichen will er ihm nicht, und so sucht er den Schmerz in Grimm zu verwandeln, und manchmal hab' ich schreckliche Angst, daß es ihm gelinge. So hab' ich denn nur Dich, Dich, mein lieb' Mädchen, um Dir mein gequält' Mutterherz auszuschütten. Du gedenkst auch wohl noch der alten Zeit, wo Du mit meinem Mark zusammen aufwuchsest, wo Ihr schier wie Bruder und Schwester miteinander waret.«
Die schöne Jungfer senkte, ohne zu antworten, das Haupt tiefer und nickte nur, kaum bemerkbar einem flüchtigen Auge. Die trauernde Mutter aber fuhr fort:
»Sieh', Kind, ich darf es Dir jetzt wohl sagen, ich hegt' immer im tiefsten Herzen die süße Hoffnung, Du solltest mir einstmalen noch näher stehen, und mir eine rechte gute Tochter sein. Oft, oft hab' ich Euch beide zusammen vor dem Altar von Sanct Ulrich und im eigenen gesegneten Hausstand und mich als glückliche Großmutter gesehen. Doch das ist nun Alles, Alles dahin, um Dich wirbt jetzt Adam Schwartze, der Leutnant aus Franken, und Dein Vater ist ihm gar nicht abgeneigt und wenn Du Ja sagen willst, so wird Alles bald in Ordnung sein. Mein Kind, mein Markus aber ist todt, liegt im fremden Feld begraben, oder hat seine alte Mutter und sein Vaterhaus ganz und gar vergessen, und die böse, grimmige, blutige Zeit hat in ihm Alles erstickt und vernichtet, was einst gut und brav in ihm war. Ach, und nicht wahr, Regina Lottherin, er war doch gut und wacker und fromm? Weißt Du wohl noch, wie leichtlich ihm die Thränen in die Augen traten, wenn er wo von Unrecht und Bedrückung hörte? Und wie mitleidigen Herzens war er! und wie stolz! und wie betete er an meiner Seite so andächtig im Kirchenstuhl, und wollte immer selbst den Armenpfennig in den Klingelbeutel stecken. Was für ein schön Haar und große schwarze Augen er damals hatte! und dann später, als er schon groß war und zum ersten Mal wiederkam von der Universität! O, ich laß es mir nicht ausreden, und wenn alle Männer auf der Welt auf mich einsprächen: was aus meinem Kind' geworden sein mag, es bleibt mein lieb' Herzenssöhnlein in alle Ewigkeit und mein einziger Gedanke, mein schmerzhaft Sinnen und Trachten bei Tag und bei Nacht, und halt es noch im Wachen und im Traum auf den Armen, als da es noch nicht länger war als wie dein Arm, Kind, vom Ellenbogen bis zur Goldfingerspitze. Aber – Reginchen, was hast Du? wie bleich Du geworden bist!«
»O Mutter, Mutter«, schluchzte die Jungfrau, »muß mir nicht das Herz im Tiefsten erzittern, da Ihr, mein zweit' Mütterlein, also in Schmerzen und Aengsten schwebet? Was soll ich Euch sagen? Ach, wenn er nicht todt ist und hat Euch nur vergessen im Kriege, so –«
»Sprich nicht aus! sprich nicht aus!« rief die Mutter. Sie drückte der Jungfrau schnell zwei Finger auf den Mund, als wolle sie um jeden Preis den Schluß der Rede Regina's hindern. Dann zog sie das Haupt des Mädchens an ihre Brust, und stumm saßen die beiden Frauen auf diese Weise eine geraume Weile nebeneinander, bis sie beide zugleich plötzlich aufhorchten. »Das ist mein Ludolf!« rief Frau Margarethe, die Augen trocknend. »Nun gilt's wieder, dem Mann, dem Meister, das Gesicht zu zeigen, das er allein sehen will; – ach, wenn er nur wüßte, wie schwer das mir wird! ... Nun soll mich wundern, was für schlimme Nachrichten er vom Rathhaus mitbringt.«
»Mein Vater kommt auch mit dem Herrn Rathmann,« sprach Regina, aus dem Fenster blickend. »Mit ihnen gehen Herr Flacius Illyricus und Herr Doctor Alberus, die so oft in des Vaters Druckerei kommen. Ach, sie sehen Alle recht bedenklich aus und schütteln dort an der Ecke des Breiten Weges gar nicht fröhlich die Häupter, wie sie Abschied nehmen. Nein, sie nehmen noch nicht Abschied, sie scheinen sich nur die Hand auf etwas gegeben zu haben. Und da treten auch seine Ehren von Sanct Ulrich, Herr Pastor Gallus zu ihnen. Sie kommen allgesammt hierher.«
Beide Frauen erhoben sich schnell von ihren Sitzen und schritten den eintretenden Herren entgegen, um sie zu begrüßen; und wir gewinnen Gelegenheit, uns diese theilweise so berühmten Männer ein wenig näher zu betrachten; würdige Repräsentanten des Geistes, der nach der Niederlage der Schmalkaldischen Bundesgenossen so tapfer, so unbeugsam den großen Kampf der Zeit fortsetzte.
Den Andern voran trat in das Gemach Mathias Flach, der sich Flacius Illyricus nannte, denn er war im Jahre 1520 zu Albona in Illyrien geboren. Ein eifriger Anhänger der neuen Lehren und ein gefürchteter Kämpfer gegen das Interim, flüchtete er nach der Schlacht bei Mühlberg, als der Kaiser Karl gegen Wittenberg heranzog, aus dieser Stadt nach Magdeburg, wo er sein Schriftstellerthum mit Eifer, immer bissiger werdend, fortsetzte, und dabei seinen Lebensunterhalt als Corrector in verschiedenen Druckereien fand.
Ihm folgte auf dem Fuße der Doctor Erasmus Alberus, der eine fast noch schärfere Feder als der Illyrier führte, so daß ihn der diplomatische Moritz beim Vertrag mit der Stadt allein von allen den geistlichen Streithähnen aus Magdeburg verweisen ließ, indem er meinte: »der Doctor Erasmus habe es zu grob gemacht, daß es billig kein Bauer leiden sollte.« – Im Jahre 1548 war der Doctor nach Magdeburg gekommen, nachdem er zuletzt am brandenburg'schen Hofe Prediger gewesen war. Die Unruhe der Zeit duldete einen solchen Geist nicht lange an derselben Stelle.
Nikolaus Hahn, welcher seinen Namen, der Sitte der Zeit folgend, latinisirte und sich Gallus nannte, war Diakonus zu Regensburg gewesen, hatte sich aber geweigert, das Interim anzunehmen und ward deshalb vertrieben. Im Jahre 1550 war er Prediger an der Ulrichskirche zu Magdeburg geworden und führte nun auch von dieser Stelle aus eine gute, scharfe Feder gegen die beiden Interim und die Adiaphora, das heißt die abgeschafften katholischen Gebräuche und Ceremonien, welche die Kirchenordnung Kurfürst Moritz's wiederherstellen wollte, ohne jedoch in der Lehre und dem Glauben der Protestanten zu ändern.
Angeregt durch Flacius Illyricus entbrannte um diese Adiaphora der hitzigste Streit und schlug auf's Heftigste aus, weniger gegen die Papisten, als gegen die Wittenberger Theologen, den guten Philipp Melanchthon und den Doctor Camerarius, welche zu Jüterbogk schon als Regel aufgestellt hatten: In Mitteldingen ( adiaphoris) soll man Alles halten, wie es die heiligen Väter gehalten haben und jenes Theil der Papisten und Interimisten noch hält. – Nachher machte man zu Leipzig ein Buch in dieser Meinung, das kleine Interim, vom Volk aber der »Chorrock« genannt, weil darin unter andern den protestantischen Predigern das katholische Meßgewand aufgedrängt werden sollte. Die Anhänger hießen es Constitutio interreligiosa, oder Decretum religionis, oder Religionsordnung, oder Declaratio religionis. Die Gegner aber stellten es bildlich als einen gräulichen Drachen mit drei Köpfen dar, unter welchem ein Krötenkopf das Regensburger Interim vorstellte, ein Schlangenkopf das Augsburg'sche Interim, ein Engelskopf das Leipziger Interim. Man spielte auch ein Spiel, Interim genannt; dasselbe bestand in einem durchlöcherten Brett mit vielen Fächern und einem in die Mitte gemalten Narrenkopf. Man schob mit Kugeln darauf.
Die Gelehrten verspotteten das Interim lateinisch:
Heu mihi, me natum, natum Interim ad interimendum,
Interimendo alios, heu prius intereo.
Nomen ab interimo haud, potius sed ab intereundo,
Cum sic intereo, memet habere puto.
Wehe mir, Interim, weh! – daß ich kam in Trümmer zu schlagen
Andre! denn leider dabei fall' ich in Trümmer zuerst.
Nicht von Andrer Verderben, vom eigenen ward mir der Name:
Also indem ich vergeh', find ich und habe mich selbst.
In den Gassen sang aber das Volk:
Selig ist der Mann,
Der Gott vertrauen kann,
Und willigt nicht in's Interim,
Denn es hat den Schalk hinter ihm.
Hunde und Katzen rief man Interim, und Zerrbilder gingen aus, auf welchen der Papst Paul der Dritte abgemalt war, wie er das heilige römische Reich deutscher Nation anredete:
Ihr
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Viele Verbannte und Landflüchtige gab es dieser Interims und der Adiaphora wegen im deutschen Reiche: denn überall wurden die lutherischen Prediger, die ihnen nicht zufallen wollten, vertrieben. So flüchtete Wolfgang Musculus von Augsburg gen Bern. So mußte Johannes Brentius, auf's Bitterste verfolgt vom Cardinal Granvella, aus der Stadt Halle fliehen und »in der Nähe sich in's wilde Feld begeben und im Walde sich aufhalten«. So wurde Andreas Osiander aus Nürnberg vertrieben und suchte in Preußen einen Zufluchtsort. So mußte Erasmus Sarcerius aus der Grafschaft Nassau, so mußte Erhardus Schnepfius aus dem württemberger Lande weichen.
Ueberall im Reiche wurden die Druckereien, welche wider das Interim gewirkt hatten, gesperrt; überall wurde das freie Wort und der freie Gedanke mit aller Macht in Banden gelegt, und das neue Religionsgesetz mit Gewalt eingeführt.
So stand denn wie ein leuchtendes Beispiel für ewige Zeiten die Stadt Magdeburg:
Unseres Herrn Gottes Canzlei
da, hoch haltend das Panier deutscher Gedankenfreiheit. Hier allein lagen die Pressen nicht in Ketten, hier allein fürchteten die wackeren Drucker Paul Donat, Christian Rödinger, Michael Lotther und wie sie sonst hießen Kaiser und Reich, Acht und Aberacht nicht. Hierher unter den grünen schirmenden Kranz der Magdeburg'schen Jungfrau flüchteten die Exules, die Verbannten, Prediger und Kriegsleute. Hier schrieben die Amsdorf, Flacius, Gallus, Pomarius kühner und immer kühner, je gewaltiger die Gefahr ward, je drohender das Verderben gegen die Mauern und Wälle der Stadt des großen Kaisers Otto heranzog.
Ja, Unseres Herrgotts Canzlei hieß mit Recht bei den Evangelischen diese Stadt Magdeburg, so stolz, so tapfer, so todesmuthig allein im weiten Reiche nach dem achtundfünfzigsten Psalm ausrufend:
»Seid ihr denn stumm, daß ihr nicht reden wollt, was Recht ist?«
Wir aber wollten die bei dem Rathmann Horn eintretenden Persönlichkeiten schildern und sind mitten in das Streitgetümmel des sechzehnten Jahrhunderts gerathen. Was thut's? Der gewaltige Hintergrund, auf welchem die schwachen Schattenbilder unserer Geschichte vorüberziehen, wird immer von Neuem mehr oder weniger diese Schattenbilder überleuchten müssen.
Dem Pastor Gallus folgte der Buchdrucker Lotther zugleich mit dem Rathmann auf dem Fuße. Der Buchdrucker war ein kleiner, starkknochiger, untersetzter Mann mit gar gutmütigem Gesicht, und trotz seiner Wohlbeleibtheit recht lebendig und beweglich. Seine Neigungen waren sehr kriegerischer Art, er hielt sich so strack und rittermäßig als möglich, und seine Kleidung wich, so gut es nur immer mit Anstand anging, von der ehrbaren Tracht des wohlbehäbigen Bürgerthums damaliger Zeit ab und näherte sich dem überbunten Aufputz der Kriegsmänner. Der Buchdrucker war ein tapferes Blut und litt ein wenig an dem Wahne, seine Bestimmung verfehlt zu haben, als er die Pressen seines verstorbenen Vaters übernahm. Er glaubte zu einem Soldaten, einem Feldhauptmann, gleich dem Frundsberger, dem Burtenbacher, dem Schanckwitzer, dem Wrisberger, den Zeug in sich zu haben, und sein bestes Steckenpferd war der Gaul, welchen er in der Einbildung vor einem blitzenden, rasselnden Reitergeschwader, welches ebenfalls nur in der Einbildung da war, ritt.
Wer ihm hierin nach dem Munde sprach, der war sein größter Freund, und es gab Manche, welche ihm nach dem Munde sprachen. Der Rathmann Ludolf Horn gehörte freilich nicht zu Diesen; aber er machte sich ihm geltend durch seine Geistesüberlegenheit, und der Meister Michael fühlte sich nicht wenig geschmeichelt, wenn der wohlangesehene Nachbar und Freund ihm auf die Schulter klopfte und sagte:
»Michel, Michel, glaubt mir, Ihr seid hinter Euern Pressen ein noch ganz anderer Streiter und Kämpfer als solch' ein Gewappneter draußen im freien Feld. Die schwarzen Heeresschaaren, die Lettern, die Ihr in den Kampf führet, schlagen noch viel stolzere Schlachten als die, welche auf einer grünen Haide geliefert werden. Ich sag' Euch, Michel, der Mann, der Eure Kunst erfand, war doch ein ganz anderer Mann, als jener arme Tropf von Mönch, dem sein eiserner Topf an den Kopf flog, weil er zufälligerweise Kohlen, Schwefel und Salpeter drin zusammengemischt hatte. Michael Lotther, ich sag' es, es ist ein edel und stolz Ding in diesem Jahr Eintausendfünfhundertundfünfzig, Buchdrucker in dieser Alten Stadt Magdeburg zu sein! Es wird noch manches Geschlecht aus dem, was durch Eure Vermittelung, durch Eurer Hände Kunst in die Welt ausging, Muth, gut Beispiel, Trost, Erbauung und Kampfesfreudigkeit schöpfen, und Euern Namen erhalten bis in die fernste Zeit!«
Der Mann, der also sprechen konnte, sah sorgenvoll genug aus. Seine einst hohe Gestalt schien vor der Zeit durch tiefnagenden Kummer zur Erde niedergedrückt worden zu sein; obgleich sie immer noch gar stattlich und würdig erschien. Seinem von silberweißen Locken umgebenen Gesichte sah man Entschlossenheit, ja vielleicht auch ein wenig Starrsinn an. Ein ergrauter Bart hing dem Manne fast bis auf die halbe Brust herab. Gekleidet war der Rathmann in das Ehrengewand seiner Würde, den langen mit Pelzwerk besetzten Rock, über welchen sich eine goldene Kette ringelte, und den ein schwarzer weiter Mantel zum größten Theil verbarg. Er stützte sich auf einen langen Stab mit silbernem Knopfe, welchen er sammt dem schwarzen Barett beim Eintritte, nach dem gewöhnlichen Gruße, seiner Hausehre in die Hände gab.
»Da sind wir, Frau Nachbarin! Da sind wir, Reginchen! Gott zum Gruß!« rief der Buchdrucker, aufgeregt hin- und hertrippelnd. »Nun giebt's Arbeit, heiße Arbeit, heiße Arbeit. Böse Nachrichten, Frau Nachbarin, sehr böse. Nun wird's doch wohl lustige Tage auf Wall und Schanz, zu Roß und zu Fuß geben, und es wird sich jetzt zeigen, wer der Stadt Wohl auch auf andere Art als mit dem Maul zu verfechten weiß.«
Damit nahm der Redner eine Stellung an gleich einem spießfällenden Landsknecht und that mit dem Stock einen grimmigen Stoß gegen einen eingebildeten Feind, hätte aber dabei den ehrwürdigen Herrn von Sanct Ulrich beinahe vor den Magen und ihn über den Haufen gestoßen.
Frau Margaretha und Jungfrau Regina warfen fragende besorgte Blicke auf die übrigen Herren, fanden aber keinen Trost in deren Mienen.
»Schütze uns Gott, Ludolf, – saget, Ihr Herren, ist es denn wirklich wahr, was das Volk in den Gassen wissen will? Ist der Feind so nahe?« rief angstvoll Frau Margaretha.
Die geistlichen Herren neigten allgesammt bejahend die Häupter, und der Hausherr sprach seufzend:
»Ja, es nützet nichts mehr, daß man es Euch Frauen verschweige; – die bösen Zeiten sind nahe vor der Thür. Die Vollstrecker der Acht –«
»Publiciret zu Augsburg am siebenundzwanzigsten Juli Fünfzehnhundertsiebenundvierzig; Executialbriefe gegeben am achtzehnten Mai anno domini Fünfzehnhundertneunundvierzig zu Brüssel!« fiel der Buchdrucker ein.
»Die Vollstrecker der Acht nahen sich!« fuhr der Doctor Erasmus fort.
»Und wollen wir,« las Herr Flacius Illyricus, ein gedrucktes Exemplar der Achtserklärung aus der Tasche nehmend, »wollen wir von Römischer Kaiserlicher Macht hiermit ernstlich, daß Ihr die genannten Rathmannen, Innungsmeister und Gemeinde der Stadt Magdeburg für uns als solche unsere und des Reiches offenbare Landfriedbrüchige Rebellen, Beleidiger unserer Person und Kaiserlichen Majestät und erklärte Aechter fürohin haltet und meidet: in unsere erblichen, des heiligen Reichs und Euern Fürstenthümern, Landen, Grafschaften, Herrschaften, Gebieten, Gerichten, Schlössern, Städten, Märkten, Flecken, Dörfern, Weilern, Höfen, Häusern oder Behausungen nicht einlasset, hauset, höfet, ätzet, tränket, enthaltet, leidet oder duldet, fürschiebet, durchschleifet, schützet, schirmet, begleitet, pachtet, mahlet; Gewerb, Handthierung, Kaufmannschaft oder sonst einigerlei Gemeinschaft mit ihnen nicht habet, noch solches Alles und Jedes zu thun, den Euern oder jemand Andern befehlet oder gestattet, weder heimlich noch öffentlich, in keinerlei Weise, Wege noch Schein; sondern ihnen ihrer aller Leib, Hab, Schulden und Güter, wo Ihr die auf Wasser oder Lande betretet, erfahret oder findet, – angreifet, niederleget, bekümmert, arrestirt und verhaftet, und so weiter, und so weiter. Wird uns den Aechtern ferner Schutz und Schirm, Freyen oder Fürtragen, Gnad, Freiheit, Tröstung, Geleit, Sicherheit, Land- oder Burgfried, Bündniß, Vereinigung, Burg- oder Stadtrecht abgesprochen, und mögen wir nun zuschauen, wie wir uns mit Gottes Hilf allein unserer Haut wehren!«
Während dieses Vortrages hatte der Hausherr seine Gäste durch Winke eingeladen, Platz zu nehmen und sich selbst in einem Lehnsessel niedergelassen. Jeder war der Einladung nachgekommen bis auf den Vortragenden, welcher sodann aber auch einen Sitz nahm. Eine Magd kam auf das Gebot der Hausfrau mit einer großen silbernen Kanne voll Zerbster Bieres und den dazu gehörigen Bechern. Es wurde durch Regina Jedem der Anwesenden der kühle, herzerfrischende, schäumende Trank dargeboten. Und Jeder neigte sich dankend der Jungfrau, als er den Becher ergriff; als aber die Reihe an den Vater Lotther kam, kniff dieser sein Kind in die Backen und flüsterte:
»Reginchen, es geht los! Reginchen, es geht wirklich los!«
»O wolle es Gott verhüten!« sagte die Jungfrau. – Nun erhob der Rathmann den Becher, blickte im Kreise umher und sprach:
»Werthe Herren und Freunde, weil uns denn diese stille Stunde noch bescheert ist, so laßt sie uns doch mit Dank genießen. Seid vom Herzen noch einmal im Frieden willkommen unter meinem geringen Dach. Es thut doch gar wohl, sich nach solch einem Tage voll Lärm, Angst, Rathschläge, Widerspruch und Stimmengetöse endlich im ruhigen Kreise bekannter, lieber und achtbarer Gesichter zu befinden und das Durchlebte und Erfahrene nochmals gelassener vor dem Geiste vorübergehen lassen zu können.«
»Ja, ja, Frau, noch einmal im Frieden!« seufzte Herr Gallus von Sanct Ulrich, zur Frau Margaretha gewandt, »Euer Eheherr hat wohl Recht, es wird nicht gut thun, Euch die böse Mähr zu verschweigen. Das Lager, so der Herzog Heinrich der Jüngere vor seiner Landesstadt Braunschweig hatte, ist aufgehoben, und Herzog Jürg von Mecklenburg, des Braunschweigers Vetter mütterlicherseits, hat die allda versammelt gewesenen Knechte und Reiter in seinen Sold genommen und ziehet gegen uns heran. Wohl sagen nun Einige, das junge hitzige Blut vermeine gar nicht, gegen uns zu streiten, sondern habe nur geworben, das Bisthum Schwerin seinen Herren Brüdern und Herrn Oheim abzugewinnen; aber die Meisten behaupten, für das Domcapitel, das von Halle her der Stadt droht, ziehe der Herzog heran, und habe das Capitel ihn durch groß Geld und Versprechen aufgestachelt, daß er in das Erzstift falle. Es heißt auch schon, der Kurfürst Moritz als Vollstrecker der Acht werde baldigst mit dem Mecklenburger vor Magdeburg zusammentreffen und so die Berennung beginnen, wenn die Stadt nicht wehr- und waffenlos, fußfällig sich ihren und des Herrn Jesu Christi Widersachern übergibt.«
»Und die also sprechen und sich Solches von dem Jürg und den Fladenweihern, Pfaffen und Sophisten zu Halle verheißen, die werden wohl Recht behalten!« sprach der Doctor Erasmus Alberus, und dabei rieb sich der Mann die Hände zwischen den Knien, indem er an die herrlichen Pamphleten, Pasquille, Lästerschriften und Possenbilder dachte, die sich nun schreiben und malen lassen würden. Schon brodelte und kochte es wieder in seinem Hirn, schon zuckte es in seinen Fingern, den Schreibfingern, und die seltsamsten, tollsten Larven und Fratzen sah er vor sich tanzen, Larven und Fratzen, in welche er seine Feinde und Widersacher auf die boshafteste, unverschämteste und ausgelassenste Art steckte und verkleidete, um sie so der deutschen Nation vor Augen ihre Affensprünge machen zu lassen.
»So haben wir drum Rath gehalten auf dem Rathhaus«, sprach Ludolf Horn; »und haben dazu gefordert alle die fremden Kriegsleute, so in der Stadt ihre Zuflucht genommen als vom Kaiser geächtet oder aus gutem Willen gegen die Stadt in dieser schweren Noth. Da ist gewesen Herr Hans von Heideck, der Schwabe, welcher in der Acht ist, weil er der Krone Frankreich gegen den Kaiser gedienet, und der uns das gute Rundel, so seinen Namen führt, gebauet hat. Ferner ist gekommen der Graf Albrecht von Mansfeld, sammt seinem Sohn Karol, die der Stadt Gut und Blut verlobt haben. Auch Herr Kaspar Pflugk, der böhmische Herr, den sie in seinem Vaterland wider seinen Willen zu einem Obersten in einem angefangenen Tumult aufgeworfen haben, und der darum im Bann gehet und von der Stadt aufgenommen ist, ist zugegen gewesen. Auch alle Kriegshauptleute der Stadt, als Hans von Kindelbrück, Galle von Fullendorf der Schweizer, Hans Springer der Elsasser, Hans Winkelberg von Köln, des Obersten Leutnant. Da ist hin und wider gesprochen über das, was zu thun sei, und dann ist man übereingekommen, Botschaft zu senden an Bartholomäus Eckelbaum gen Wanzleben, der Stadt Banner daselbst gegen Jedermann hoch zu halten bis auf den letzten Mann. So wird es sich nun zeigen, ob der Herzog von Mecklenburg ihn mit Sturm anläuft. Gott schütze die Stadt!«
»Er wird sie schützen, Ludolf!« rief die Frau mit bewegter Stimme. »Er kann nimmer seines Evangeliums letzte Burg und Bollwerk in seiner Feinde Gewalt also fallen lassen.«
»Und es ist auch schon brav dafür gesorgt, daß die Fladenweiher einen harten Kuchen zu beißen kriegen«, fiel der kriegerische Buchdrucker ein. »Bei Gott, ist die feine Jungfrau Magdeburg nicht mit einem festen Gürtel umgethan von Mauern, Wall und Thurm? Ich meine, wer ihr diesen Gürtel lösen will, der muß in Wahrheit ein rechter Mann und ein Hochgewaltiger sein! Ist nicht die Stadt reich und wohlverproviantirt? Mangelt es etwa an Pulver, Kohlen, Salpeter, Schwefel und Kugeln? Mangelt es an Allem, was zur Artalarey gehöret? Sind nicht von den Schmalkaldischen Bundgeschützen so manche gute Stücke bei der Stadt geblieben? Haben wir nicht Waffen und Männer und guten Rath genug? Strömt nicht immerzu neu Volk hinzu, der Stadt in dieser schweren Noth und Angst zu helfen? Ist nicht die Bürgerschaft voll Muth und guter Hoffnung? Ich sage Euch, wer die Hand wagt auszustrecken nach der Jungfrau Kranz, der wird sich eine blutige Platten holen. Die Jungfrau wird ihr Kränzel in Ehren halten, und es ist noch lange nicht ausgeschrieben, wer die Oberhand behalten wird im Streit. Laßt nur den Kaiser und das Reich, das Domcapitel sammt dem Ochsenkopf von Mecklenburg und dem Kurfürst Moritz anrücken gegen die Stadt; mit Waffen und Männern und gutem Muth wird sie sich ihrer erwehren, wie man sich eines Mückenschwarms erwehrt an einem Sommerabend!«
»Freund, Freund«, nahm der Rathmann das Wort, »und wenn an Waffen, Männern und gutem Muth dreidoppelt so viel vorhanden wär', und wenn jeder Mauerstein in der Stadt sich in einen Kämpfer für sie verwandelte, sie würden das Unheil nicht von ihr abwehren, wenn es Gottes Wille nicht sein sollte. Soll mich der Himmel schützen, die Hoffnung aufzugeben, daß wir im Kampf nicht unterliegen werden; aber nicht auf die fleischlichen Waffen trau' und bau' ich in diesen Nöthen und Fährlichkeiten. Spieß und Schwert, Wall und Schanz' werden uns wenig schützen gegen den übermächtigen Andrang. Der Geist wird's thun! Der Geist, welcher diese Mauern erfüllt seit dem sechsten Sonntag nach Trinitatis im gesegneten Jahr Eintausendfünfhundertundzwanzig, an welchem Tage der Mann Gottes, Martinus Luther, berufen vom damaligen Bürgermeister Nicolaus Sturm, allhier in der Johanniskirche das lautere, unverfälschte Evangelium predigte. Seit diesem Tage ist diese alte Stadt Magdeburg in Wahrheit des lieben Gottes Canzlei auf Erden und seines Wortes starkes Bollwerk, seit diesem Tage ist sie ein Vorort der Freiheit, seit diesem Tage ist sie ein Schutz und Hort allen um Gottes heiligen Namen Verfolgten, allen widerrechtlich Verbannten und Ausgestoßenen. Der Geist, der Geist wird retten! Der Geist, und nicht Landsknechtrotten, Reiter und Geschütz!«
»Wohlgesprochen, wackerer, theurer Herr und Freund!« rief Herr Nikolaus Hahn, die Hand des Rathmannes begeistert ergreifend und schüttelnd.
»Gehören wir nicht auch zu den Vertriebenen, Umherirrenden, so hier in diesen Mauern gastlich, sicher Unterkommen gefunden haben? Recht, recht, Herr Horn, der Geist, der Geist rettet diese theure Stadt, unseres Herrn Gottes Canzelei!« rief Flacius Illyricus, dessen Jünglingsaugen verwunderlich zu flammen anfingen.
Der Doctor Erasmus Alberus aber saß und nickte mit dem Kopfe, und seine Augen waren wie im tiefsten Sinnen auf dem Fußboden festgeheftet. Dann flüsterte er leise, als spreche er mit sich selbst:
»Und der Geist wird schon dafür sorgen, daß diesen Papisten, Interimisten, Exterimisten, Adiaphoristen, Novatianern recht tüchtige Kletten in die Haare geworfen werden; und die Reislein und Sommerlatten, woraus die Geisseln und Knüttel gemacht werden sollen für sie, stehen schon hoch in der Blüthe und im Wachsthum!«
Frau Margaretha hielt die Hand ihres Eheherrn in der ihrigen und streichelte sie leise; Regina blickte mit blitzenden, feuchten Augen zu ihm herüber; der Buchdrucker Michael Lotther rannte auf und ab in der Stube und brummte: »Potz Moritz, Potz Sanct Georg, bei aller heiligen Ritterschaft, er hat Recht, Recht hat er, das will ich auf Hieb, Stoß und Schlag, mit Büchse und Spieß verfechten, ... aber was ist das?«
Alle in dem Gemache Anwesenden wurden durch einen großen Lärm an die Fenster gezogen. Urplötzlich hatte sich die Gasse mit Volk gefüllt, und auf dem Prellsteine unter der Schönen Ecke stand eine lange, hagere, schwarze Gestalt, mit den Händen in der Luft fechtend und gesticulirend, mit heller, fast kreischender Stimme eine Rede haltend, die von Zeit zu Zeit von dem lauten Beifallsruf der Zuhörer unterbrochen wurde.
»'S ist Wilhelm Rhodius, lasset uns hören, was er zu sagen hat dem Volk«, sprach der Doctor Alberus.
Männer und Weiber, Bürger und Landsknechte drängten sich um den Prädikanten, und auf die offene Bibel, die er in der linken Hand hielt, schlagend, las dieser:
»So stehet geschrieben Jeremiä am fünfundzwanzigsten: In der Stadt, die nach meinem Namen genennet ist, fahe ich an zu strafen, und Ihr solltet ungestraft bleiben? Ihr sollt nicht ungestraft bleiben, spricht der Herr Zebaoth! – Ja, liebe Brüder, ich sage Euch, das Korn wird geworfelt werden auf der Tenne des Herrn, und die Spreuer werden davonstieben in alle vier Winde. Ich sage Euch, selig wird der sein, der mit dem Harnisch auf dem Leib und dem Schwert in der Hand erfunden wird. Ihr habet eine gute Zeit mit Handel und Wandel gehabt; und Eure Nahrung ist nicht geringe gewesen, Ihr seied belassen gewesen bei Euerm Sachsenrecht, bei Euern Freiheiten, Gerechtigkeiten und Gewohnheiten; Ihr habet gefreiet und Euch freien lassen; aber Wehe, Wehe, dreimal Wehe über Euch, Ihr Kinder dieser Stadt. Denn nun frage ich Euch, seid Ihr auch gerüstet in dem Evangelium? frage ich Euch, war Euer Handel und Wandel im Glauben? Wohlan, der Richter ist vor der Thür; – wer ist nun bereit, das Märtyrerthum auf sich zu nehmen um sein heiliges Wort? Ihr sprechet zwar: wir gläuben, wir gläuben und wollen leiden um unsern Glauben, was der Herr will; – aber Eure Augen sind blind und Eure Ohren taub, und dumm seid Ihr im Haupt, und der Teufel mag Euch leichtlich mit Haufen zur Hölle führen. Ich aber will Euch sagen, wie es stehet um Euch und das Wort des Herrn. Immer von Neuem will ich reden und Euch erzählen, wie es zugehet in der Welt, daß Euer blöder Sinn geöffnet werde, und Ihr Acht haben könnt auf Eure Wege. So sprechet, wisset Ihr, warum täglich um zwölf Uhr des Mittags seit Jahren in dieser Alten Stadt, der Neuen Stadt und der Sudenburg, in allen Pfarren mit den großen Glocken geläutet wird? Wisset Ihr, weshalb bei diesem Geläut in jedem Haus der Hausvater mit Weib, Kind und Gesind niederfällt und die Hände faltet zum Gebet? Sprecht, warum betet Ihr?«
»Um Frieden, um des reinen Glaubens Erhaltung, um des deutschen Vaterlandes und der christlichen Zucht und Ehrbarkeit Erhaltung beten wir, Herr Magister!« rief eine Stimme unter den Zuhörern.
»Und seit wann geschiehst Solches?«
»Seit die Schmalkald'schen Bundesgenossen in's Feld zogen um des Evangeliums willen!« antwortete dieselbe Stimme.
»So sage ich Euch nun«, fuhr der Prädikant fort, »also läuteten sie zu solcher Stund' weit im Reich, zu Augsburg, zu Ulm, zu Nürnberg, in Schwaben, in Meißen, in Sachsen, in der Pfalz, am Rheinstrom; aber ihr Geläut' ist verstummt und verhallet ist eine Glocke nach der andern. Bei Mühlberg ist die böse Schlacht geschlagen, zu Wittenberg sind die Hispanier auf des gottseligen Mannes Martin Luther's Grabe mit Triumph umhergesprungen; es ist von dem heuchlerischen Hofprediger zu Brandenburg, dem Agricola, das Augsburger Interim verfasset und mit Gewalt eingeführet, wo es hat geschehen können. Der Mann, so sich Johann Albert Erzbischof von Magdeburg nennt, ist von Würzburg, dahin er geflohen war, heimgekommen und hat zu Halle gesessen und gedrohet bis an den Tod, und sein Capitel drohet weiter. Und die Acht gegen das Glockengeläut ist verneuert worden, und die Meißnischen Dompfaffen und die Wittenberger Philosophen, Aarones und Grammatici, haben zu Leipzig das Leipziger Interim gemacht merdam pro balsamo, Dreck für Balsam sag' ich Euch; und Wendehüte gibt's, so sprechen: Lasset uns es annehmen, bleibet doch der Glaube rein, und die Mitteldinge wird der Herr nicht ansehen; deshalb lasset uns Frieden machen mit unsern Widersachern, daß wir mit Ruh' das Unserige genießen mögen. Ei, ei, da hab' ich Euch! Wie viel solcher Wendehüte, solcher Pfeffersäcke, solcher Mamelucken und Judasjünger gibt's unter Euch? Ich sage Euch, Gott wird Die gewißlich nicht ansehen, die so sprechen und denken. Pfui doch, Du schändlicher Wendehut, Du bist ein loser Esel und tausendmal ärger denn ein Esel. Bist Du so lang mit Walen und Spaniern umgegangen, und hast die wälsche und spanische Praktik noch nicht gelernt? Meinst Du, daß sie so grob herausfahren und sagen: Ihr sollt den Antichrist anbeten! Ihr sollt unser eigen werden und so fort? Ja, Lieber, harre so lang. Hast Du nie gehört, daß sich der Teufel und sein eingeborener Sohn, Papst, Pfaffen und Pfaffenknechte verwandeln können in einen Engel des Lichts? Aber was hilft's, daß ich Euch gleich lang und viel predige? Wir bleiben immer wie die Narren, denen muß man ohn' Unterlaß mit Kolben lausen, daß sie's fühlen. Und wenn sie's gleich lang greifen, und fühlen, so bleiben sie doch Narren vor als nach, Sommer und Winter. Ist's nicht so? Ich sage Euch aber, nicht durch ein Interim, nicht durch ein Exterim, sondern nur durch Gottes Wort allein wird man selig. Wie spricht der heilige, liebe Apostel Petrus: Sie achten für Wohllust das zeitliche Wohlleben! – Ist's nicht so mit Euch? Folgt Ihr nicht dem Weg Balaam, des Sohnes Bosor?«
Die Stimme des Predigers erhob sich hier zur schreiendsten Höhe:
»Und der Feind nahet! der Feind nahet! Mit Rossen und Wagen steht er vor den Thoren. Wehe den Müttern, so geboren haben, wehe den Schwangern, so gebären wollen! Der Feind, der Feind nahet! Herr Jesu, komm! Komm, komm, Herr Jesu, verzeuch nicht. Erschein' Deinem Volk und sondere die Böcke von den Schafen, die Unreinen von den Reinen, die Interimisten, Papisten und Adiaphoristen von den Gläubigen. Zu den Waffen, Ihr Streiter des Herrn und seines heiligen Evangeliums! Auf die Mauern, auf die Wälle, Ihr Kämpfer Christi!«
Von seinem Eckstein hernieder sprang unter dem wilden Geschrei der aufgeregten Menge der Prädikant, um an einer andern Stelle sein Wesen von Neuem anzufangen. Es war nunmehr die Stunde des Zwielichts herangekommen.