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Vierhundert Feind', der Stadt zu Nütz',
Traf vom Sanct Jakobsthurm der Schütz;
Sein scharfes Auge brechen muß,
Tragödia neiget sich zum Schluß.
Der Leut'nant Schwartze kommt zu Schaden,
Vor Gottes Thron wird er geladen;
Die Blutschanz' wird im Sturm genommen,
Das Fähnlein Markus hat bekommen.
In seinen Artikelbrief ließ der Feind setzen, und schwören ließ er jeden Mann, den er annahm, Knecht und Reiter, darauf, daß, bei Leibesstraf', nichts ausgesagt würde von dem gewaltigen Schaden, so dem Belagerungsheer geschah vom Thurm des heiligen Jakob. Vom sechzehnten December des vergangenen Jahres bis zum neunten März Fünfzehnhunderteinundfünfzig, an welchem Tage er selbst durch eine einschlagende Kugel »beleidigt« und zu Tod verwundet wurde, erschoß der Büchsenmeister Andreas Kritzmann in der Neustadt über vierhundert Menschen und siebenzig Gäule. Die drei Freischüsse aber, welche das erstaunte Volk dem Mann täglich zuschrieb, verwandte er so auf das Beste gegen die Bedränger der Canzlei des lieben Gottes, daß selbst das zarteste Gewissen nicht anstand, den unheimlichen Bundesgenossen an seinem Geschütz zu belassen. Niemals ließ er sich in den Gassen der Stadt blicken, gleich einem finstern, bösen Genius lauerte er in der Höhe, hatte sich seine Merkzeichen im Feld gemacht, und nirgends in der Schußweite seines Stückes war ein Ort, wo der Feind vor seinen Kugeln sicher war.
»Am einundzwanzigsten Januarij, Mitwochens, schoß er in die Schantze der Newstadt und schoß dem Feinde seinen besten Hauptmann mitten voneinander (Etliche wollten sagen, es sey Hans Jülicher gewesen); er hat auch umb diese Zeit acht Personen, welche in der Newenstadt auff einer Bank in der Reyen gesessen, erschossen. Jakob von der Schulenburg sitzt am Fenster unnd wil trinken, dem scheusset er die Kanne für'm Maule hinweg.«
»Hat auch vierundzwanzig Knechte erschossen, in dem sie gemein hielten.«
»Von vier Knechten, welche etwa an der Mauren in der Reihe gestanden, hat er sieben Bein' abgeschossen, darvon einer in die Stadt kommen, und hernacher Bürger worden.«
Im Februar, als »es so grimmig kalt gewesen, hat in der Newenstadt ein Stallbube ein Fewer hinter seine Geule gemacht, daß sie nicht verklummen, solches wird der Büchsenschütz auff Sanct Jakobs Thurm gewahr, richtet sein Stück auff denselben Stall und scheusset in einem Schusse sieben Pferde zu tode.«
»Und eben am sechsten Februarij haben sich zween Soldaten in der Newenstadt gebalget, auff dieselben richtet der Schütz von Sanct Jakobs Thurm, und scheusset ihrer drey zu todte; bald wüschet einer herfür und wil die todten hinwegschleppen, den scheusset er auch zu todte, machet also Frieden, sonsten würden sie sich übel verderbet haben.«
Aus einer langen Reihe von Aufzeichnungen der städtischen Chronisten greifen wir die angeführten ohne große Wahl heraus und thun dadurch dar, daß es gar nicht zu verwundern war, wenn das feindliche Kriegsvolk, dieses einen Mannes wegen, anfing zu meutern und schrie und tobte: wenn jener Jakobsthurm nicht eingeworfen und geschossen werde, so wolle man nicht länger im Lager in der Neustadt liegen. So richtete man denn gegen diesen verderblichen Schützen zuerst sieben, dann zwölf große Karthaunen und hub an zu schießen von sechs Uhr Morgens bis zum Abend. Aber wacker hielt sich der mit Wollsäcken umhängte Thurm, und nach jedem vergeblichen Schuß trat der Schütz Andreas Kritzmann spöttisch lächelnd mit einem Flederwisch hervor und strich damit dem Feind zum Hohn über die Stelle, wo die Kugel abgesprungen war. Als Alles nichts half, fuhr man endlich gegen den gewaltigen Büchsenmeister die großen Leipziger Geschütze auf, welche in der Belagerung von Siebenundvierzig mitgewirkt hatten. Man schoß daraus gegen den Jakobsthurm dieselben vierzig Pfund schweren Kugeln, welche Herr Johann Friedrich in dem eben angeführten Jahre nach Leipzig hineingeworfen hatte, und als Markus Horn am Dienstag in der Fastnacht, als am zehnten Februar, mit seiner Rotte über den Neumarkt zog, schlug ein Geschoß, welches ihn vor Jahren schon einmal mit Staub und Trümmern überschüttet hatte, dicht neben ihm nieder und warf den langen Heinz Bickling leblos zu Boden.
Vierhundertsiebenundvierzig Kugeln schleuderte das Leipziger Geschütz am zehnten Februar gegen den Jakobsthurm und brachte die Spitze desselben endlich doch dem Hinfallen nahe. So mußte man sie denn in der Nacht vom achtzehnten auf den neunzehnten Februar mit Stricken umspannen. Am folgenden Morgen zog man sie nieder auf den Kirchhof, daß sie nicht in die Gassen geworfen werde und große Schaden anrichte. Ein trefflich Jauchzen entstand darob in der Neustadt; aber Meister Andreas Kritzmann zeigte bald, daß weder die Kraft des Thurmes noch seine eigene Kunst gebrochen sei: der blödsinnige Knabe, der ihm zur Hand ging, wurde ihm zwar getödtet, aber an demselben Morgen noch zerschoß er einen Wagen mit drei Fässern Bernburger Bieres, tödtete die Pferde und einen der Fuhrleute. Der Leutnant Adam Schwartze erschien an diesem Tage wieder unter seinem Kriegsvolk; der Rath ordnete das Malefizrecht auf dem Neuen Markt und verbot den Mummenschanz für dieses klägliche Jahr. Um zehn Uhr Abends hielt ein Söldner des Hauptmanns Kindelbrück, Hans von Mainz genannt, einen verdächtigen Gesellen an, welcher sich für einen nach Wittenberg reisenden Studenten ausgab und um einen Gulden einen Fischer gedungen hatte, daß er ihn über die zugefrorene Elbe führe. Da er die Losung nicht wußte, so hielt ihn Hans von Mainz an und man fand wohl fünfzig Briefe der gefangenen Edelleute bei ihm, die man sammt dem Boten den Kriegsobersten zustellte.
Ein dumpfes Gerücht von Verrätherei und falschem Spiel lief wiederum darob in der Stadt um, und immer unverhohlener brachte man die Namen des Hauptmanns Springer und des Leutnants Schwartze damit in Verbindung. Es konnte aber nichts bewiesen werden, und Hans Springer erschien auf dem Rathhaus und fluchte und wetterte so gräulich gegen die Prediger, die ihn auf's Schimpflichste von den Canzeln herab verlästerten, daß ein ehrbarer Rath dem alten Sprichwort: Wer sich vertheidigt, eh' man klagt u. s. w., zum Trotz die Pfarrherrn auf's Rathhaus bescheiden mußte, sie um ihre Reden zu befragen.
Vorhalt wurde ihnen gemacht: da sie in allen ihren Predigten der Verrätherei gedächten, so möchten sie nun das Maul aufthun und bei ihrem Gewissen sagen, ob sie Jemand der Falschheit bezüchtigen könnten, »er sollte so groß nicht sein, und ob er auch gleich im Rathstuhl säße, man wollte ihn an Leib und Leben strafen.«
Darauf trat für die andern geistlichen Herren Herr Nikolaus Hahn von Sanct Ulrich vor und sprach: Wenn die Pfarrherren in ihren Predigten der Verrätherei so oft gedächten, so thäten sie es gern und billig; denn die Erfahrung habe gezeigt, daß der Feind viel' Sachen durch Verrätherei ausrichte, und daß der Stadt heimliche Rath- und Anschläge nur allzuoft dem Feinde kund würden, man wisse nicht durch wen. Derowegen müsse man billig auf den Canzeln um Gottes Schutz bitten und alle armen Seelen auf's Eifrigste warnen.
Und der greise Lukas Rosenthal von Sanct Johann meinte: Wenn ein Ehrbarer Rath etwas Nützliches beschlossen habe, so habe sich gemeiniglich Jemand gefunden, solches umzustoßen. Auf solche Art sei zum Exempel ein trefflicher Anschlag, die Neustadt dem Feind wieder abzunehmen, zu Wasser geworden; wer aber solche böse Leute seien, wolle er nicht erkunden; aber er stelle einem Ehrbaren Rath anheim, eine fleißige Inquisition anzurichten und gebe sein Wort, daß die Rechten dann gewißlich an den Tag kommen würden.
Der junge theure Mann Gottes zum heiligen Geist, Herr Johannes Pomarius, sprach aber im Namen der Andern: Was von den Canzeln über die Ehebrecher, die Schwelger und Schlemmer und ihr böses Beispiel gesagt worden sei, davon werde man nicht das winzigste Wörtlein zurücknehmen. Was wahr sei, sei wahr, und wenn ein Ehrbarer Rath das Kriegsregiment nicht besser bestelle und die Ehebrecher und die Schlemmer nicht absetze, so werde der Stadt Unglück noch lange, lange nicht erschöpft sein, wohl aber bald, bald, bald die Geduld und Langmuth des gerechten Gottes, der sein reines, heiliges Wort nicht durch Sünde und Schande vertheidigt haben wolle.
Waidlich hat der Hauptmann Springer gegen solche Worte aufbegehret; aber da der Rath sie sich gefallen ließ, so konnte er nichts dagegen ausrichten; seine Wuth wurde jedoch dadurch auf's Höchste gesteigert und der Frau Johanna von Gent wagte er kaum noch unter die Augen zu treten, obgleich mit Letzterer eine merkwürdige Umwandlung vorgegangen war und sie ihn nicht mehr so heftig wie früher zum Losbruch und zur Rache drängte. Seit das wilde Weib jenen Einblick in die Tiefen der Seele des Leutnants Adam Schwartze gethan hatte, war ein kühn aufgebautes Luftschloß in ihrer eigenen Seele jäh zusammengebrochen. Einen kurzen Augenblick durch hatte sie gemeint, durch und mit Adam einen Weg aus der Verlorenheit ihres Lebens herauszufinden. Die Leidenschaft des Leutnants für die Tochter des Buchdruckers war ihrem kräftigen Geiste nicht als ein Hinderniß dabei erschienen; im Nothfall hätte sie das junge Mädchen durch jedes Mittel aus dem Wege geschoben. Aber dieses Zusammenbrechen Adam's vor der schuldbeladenen Vergangenheit, vor dem geheimnißvollen Rächer, hatte ihr deutlich dargethan, daß der Leutnant Schwartze doch nicht der Mann sei, der große Zwecke durch große Mittel erreichen werde. Adam von Bamberg war der Frau Johanna fast eben so verächtlich und gleichgiltig geworden wie Hans Springer der Hauptmann. Er war ihr höchstens noch ein seltsames Räthsel, dessen allmähliche Lösung sie, nachlässig und gähnend in ihrem Lehnstuhl liegend, ohne allzugroße Theilnahme verfolgte. Der dunkle Verfolger dagegen erschien ihr fast wie ein Rächer auch ihrer eigenen beleidigten, in den Staub getretenen Frauenwürde. Sie hätte ihn nicht dem Leutnant verrathen, hätte sie ihn gekannt, und Viel würde sie darum gegeben haben, ihn kennen zu lernen.
Aber die Märzsonne strahlt freundlich hernieder; lassen wir die in der Dunkelheit Wandelnden und wenden wir uns zu Denen, die noch im Licht gehen, zu Denen, welche aus Nacht und Dämmerung zum Lichte streben!
Auf die große Kälte der ersten Hälfte des Februars erfolgte urplötzlich ein vollständiger Umschlag des Wetters. Eine ganze Woche durch schneite es fast ununterbrochen; dann regnete es einige Tage und Nächte hindurch, und in der Nacht vom sechsundzwanzigsten auf den siebenundzwanzigsten Februar brach das Eis in der Elbe so unvermuthet auf, daß es der Stadt drei Schiffsmühlen fortriß, und sie bei Sanct Agnes in der Neustadt dem Feinde gerade in die Hände führte.
Die Wolken zerrissen über der belagerten Stadt; so hell, glänzend und warm trat die Sonne hervor, daß in das bedrückteste Herz eine Frühlingsahnung einzog; wenn auch des eingeschlossenen Volkes Sehnsucht nach Freiheit und Erlösung dadurch nur noch stärker und drängender wurde.
Am achtzehnten März, dem Mittwoch nach Judica, wo wir zwischen acht und neun Uhr des Morgens wieder einmal eintreten in das Haus des Rathmanns Horn, strahlte zwar der Himmel blau und wolkenlos; aber auf den Knieen lag mit gefalteten Händen im brünstigen Gebet der Rathmann Ludolf, und neben ihm kniete die Frau Margaretha mit der Tochter des Buchdruckers Michael Lotther, und im Kreis umher lag das ganze Hausgesinde. Alle sprachen leise dem Hausherrn das »christliche Gebet« nach, »so in währender Acht und Belagerung der Alten stadt Magdeburgk von allen Cantzeln abgelesen und sonsten in Heusern, uff der Wache und uff die Betstunden, so sonderlich dazu verordnet, von den Bürgern, Einwohnern, Jung und Alt, Kindern und Gesind', groß und klein gebetet wurde.«
In das: »Ach, Herr Gott, Vater unseres Heilands Jesu Christi, Du weißt, daß wir ja nicht aus Frevel oder eigenem bösen Fürsatz in diesen Krieg und große Noth gerathen sind« – donnerte das schwere Geschütz, knatterten die Hakenbüchsen vor dem Ulrichsthor.
In das: »Obgleich wir, Deine elenden Kinder, sonst arme, gebrechliche Sünder sind, so halten wir doch mit rechtem Glauben und mit reiner freier Bekenntniß wider Deinen Feind, den Antichrist, über Deinem theuren reinen Wort« – erschallte wild der Lärm der Schlacht.
In das: »Du wollest nun Deinem Wort nach, darauf wir trauen und hoffen. Deine allmächtige gnädige Hilf' lassen erscheinen und wie Du vor Alters oftmals gethan hast, selbst für uns und wider Deine und unsere Feinde streiten« – brauste der Waffenlärm der immerfort frisch aus den Thoren strömenden Vertheidiger der tapfern lutherischen Stadt.
In das: »Wollest solches Alles thun zu Deinen Ehren und zu vieler Deiner armen Christen Trost und Seligkeit und des einigen Mittlers, Deines lieben Sohnes unseres Herrn Jesu Christi Willen, Amen« – wirbelten die Trommeln, schmetterten die Trompeten, schallte der stets wiederholte Ruf:
»Halt fest für Magdeburg! Halt fest an Magdeburg!«
Jedesmal, wenn von einer neuen Salve die runden Fensterscheiben in ihren Bleieinfassungen erklirrten, schrien die Mägde hell auf, drängte Regina Lottherin sich dichter an die mütterliche Freundin. Auf dem Wall beim Ulrichsthor hielt sich der Vater Michael und that Handleistungen beim Geschütz; im freien Felde unter dem Volk der Stadt kämpfte Markus und that sein Bestes.
Das scharfe Gefecht, welches immer weitere Ausdehnung anzunehmen schien, war aber folgendermaßen in Gang gekommen. An der Steingrube zwischen dem Ulrichsthor und dem Krökenthor hatte der Feind die letzte Zeit hindurch eifrigst an einer neuen Verschanzung gearbeitet und mit Hilfe der frisch im Lager angekommenen Meißnischen Schanzgräber solches Werk auch trefflich gefördert. Wenig that die Stadt anfangs dagegen, ja, es war wieder einmal, zum großen Murren der Bürgerschaft, ernstlich verboten worden, vom Walle auf die feindlichen Arbeiter zu schießen, und es trat grade bei dieser Sache der geheime Zwiespalt zwischen den Leuten des Hauptmanns Springer und dem Fähnlein des Kindelbrückers Jedermann ganz deutlich vor Augen. Als am siebenzehnten März Hans Kindelbrück den Hauptmann Springer am Ulrichsthore ablöste, veränderte sich sogleich die Sachlage, und am folgenden Tage, Morgens zwischen sechs und sieben Uhr, fiel zuerst Hans von Wulffen mit den städtischen Reisigen aus der Stadt gegen die neue Schanze, in welcher, außer den vierhundert Meißnern, noch ein Fähnlein Knechte, dreihundert Mann stark, aufgestellt war, unter dem Befehl von Hans Jülicher, dem Hauptmann in der Neustadt, welcher also nicht von einer Kugel des Schützen Andreas Kritzmann getroffen sein konnte.
Den Reitern nach drückte aus dem Ulrichsthor das Fußvolk, Bürger und Landsknechte; und während die Reiter von allen Seiten die Schanze einschlossen, stürmten die Knechte an zwei Orten, und es entstand ein wilder, verzweiflungsvoller Kampf. Den aus der Neustadt heranrückenden feindlichen Verstärkungen warfen sich andere städtische Haufen, aus dem Schrotdorferthore dringend, mit Macht entgegen. Das Wallgeschütz sprach in den geeigneten Augenblicken ebenfalls sein Wörtlein mit, und ward aus dem Ueberfall ein »unvorhergesehener, grausamer und behender Scharmützel.«
Als sich der Rathmann Horn mit den Seinen von den Knieen erhob, hatte der Lärm der Schlacht noch nicht im Mindesten nachgelassen, und der eintretende Doctor Erasmus Alberus wußte nur zu berichten: Freund und Feind hätten sich so ineinander verbissen, und der Rauch und Dampf verhülle also sehr das Feld, daß bis jetzt Niemand wisse, wer den Plan behalten werde.
»Mit dem trefflichen Schützen vom Sanct Jakobsthurm gehet es auch zu Ende, wie ich unterwegs vernommen hab'«, fügte der Doctor hinzu. »Das ist auch ein großer Schaden und Verlust für die Stadt und ein großer Gewinn für den Feind.«
»Man hat ihm doch geistliche Hilfe zukommen lassen?« fragte der Rathmann. »Gott gebe, daß es nicht also schlecht um die Seele dieses Mannes bestellt sei, wie das Volk meinet.«
»Ehrn Johannes Stengel, der Pfarrherr zu Sanct Jakob, ist, seit der abspringende Stein den Schützen getroffen hat, häufig bei ihm gewesen; ist aber immer kopfschüttelnd wieder herabgekommen vom Thurm. Stumm liegt der todwunde Mann und wendet bei allem Zuspruch das Gesicht ab.«
»Gott schenke ihm einen guten Tod; um die Stadt hat sich dieser Andreas Kritzmann wohl verdient gemacht; aber wie seine Rechnung vor Gottes Richterstuhl aussieht, wer vermag das zu sagen!«
»Horcht, o horcht, was ist das? Was ist geschehen? Um Gotteswillen, horcht, horcht!« rief die Frau Margaretha, an das Fenster eilend. Ihrem Beispiel folgten alle Anwesenden, und das Gesinde stürzte in die Gasse.
Vom Ulrichsthor her erschallte ein lang' anhaltendes, immer von Neuem aufbrausendes Geschrei, welches sich auch auf den Mauern rund um die ganze Stadt fortpflanzte. Verwundete und Todte wurden in Menge durch die Schöneeckstraße getragen; aber das Geschrei klang:
»Sieg! Sieg! Sieg! Gewonnen! gewonnen! gewonnen!«
»Hierher, her, Magister, hierher! Was gibt's, was ist geschehen?« rief der Doctor Alberus den vorübereilenden Flacius Illyricus an, und dieser hielt an im eiligen Lauf, schwenkte das schwarze Barett und schrie:
»Gewonnen, Collega! Allgewonnen! Ueber ist die Blutschanz! Das Fähnlein gewonnen von Euerm Sohn, Herr Rathmann –«
Eine große Woge Volkes spülte den Gelehrten fort, und der Schluß seiner Rede verhallte im allgemeinen Getöse.
»Markus?! Markus?! Was ist mit Markus?!« riefen die Frau Margaretha und Regina.
»Kommt, Rathmann, hinaus!« schrie der Doctor Erasmus, den Arm des Rathmanns fassend. In die Gasse stürzten auch diese beiden Männer, und eine andere Woge des Volkes nahm sie mit und führte sie gegen das Ulrichsthor. –
Noch krachte das Büchsenfeuer vom Felde herein; aber siegestrunken drängte ein Theil der ausgezogenen Streiter bereits wieder zurück. Gefangene wurden herbeigeschleppt haufenweise, meistens stattliche auserlesene Kriegsleute und Doppelsöldner des Hauptmanns Jülicher; blutig und bestaubt, aber mit leuchtenden Augen kam Sebastian Besselmeier aus dem Gefecht zurück. Als er den Rathmann Horn erblickte, eilte er auf ihn zu, faßte seine Hand und rief:
»O Herr Rathmann, Euer Sohn! Euer Sohn! Glorie und Preis Eurem Sohne, Herr Rathmann!«
»Lebt er oder ist er tobt? Redet nur, redet schnell, Meister Besselmeier!« rief Herr Ludolf, die Brauen zusammenziehend.
»Das Feld hat er gewonnen, Mann!« schrie der Geschichtschreiber. »Da – horcht nur, was sie rufen!«
»Vivat Markus Horn! Vivat, vivat!« jauchzte das Volk, brüllten die in das Thor zurückströmenden Schaaren. Mit Händen und Füßen strampelnd, seine Büchse schwingend, tanzte Jochen Lorleberg sammt dem Pfeiferlein Fränzel Nothnagel vor der Rotte des Rottmeisters Horn einher. Inmitten der jauchzenden Krieger wurde ein widerstrebender langer Mann im weißen Wamms und Hosen halb gezogen, halb geschoben. Das war der Fähnrich Hans Jülicher's, und das roth und grün geflammte Banner dieses Hauptmanns trug Markus Horn in die Stadt herein. Unmöglich war es dem Vater und dem Doctor Alberus, durch die jubelnde Menge zu dem tapfern glücklichen Krieger durchzudringen; wie es diesem unmöglich war, sich einen Weg durch das ihn fast erdrückende Volk zu bahnen. Auf der Mauertreppe neben dem Thor stand der Buchdrucker Michael Lotther, schreiend und winkend und halloend wie ein Besessener.
»Auf den Wall, auf den Wall, Markus Horn! Zeigt's ihnen, zeigt's ihnen«, rief das Volk. Die letzten Kriegerschaaren – die Reiter der Stadt, den Herrn von Wulffen und den jauchzenden Christof Alemann an der Spitze, trabten in das Ulrichsthor. Aus dem Lager zu Diesdorf, aus den Schanzen, Gräben und Blockhäusern Tiefstetter's und Wachmeister's drängte die ganze Macht des Feindes zu Roß und zu Fuß nach, die Schmach und Niederlage zu rächen.
»Auf den Wall, auf die Mauer, Markus Horn! Zeigt den Hunden ihre Schmach. Stellt ihnen ihre Fahn' zum Hohn verkehrt auf die Mauer! Vivat! vivat!«
Auf den Schultern des Volks wurde der sieghafte Markus zur Walltreppe getragen, wo ihn der Buchdrucker mit hellem Schluchzen in Empfang nahm, in die Arme drückte und zu der Blendung zog. Nach drängte die Treppe hinauf Alles, was dazu gelangen konnte; Bürger und Landsknechte durcheinander.
Auf die Brüstung sprang Markus Horn, ließ vor den Augen des Feindes die roth und grüne Fahne schweben und stellte sie dann, den Hut schwingend, vor sich nieder, die Spitze nach unten gekehrt. Ein langhallendes Wuthgeschrei brach über solchen Schimpf unter dem Feind im Felde aus und drang bis an das verriegelte Gemach, in welchem Herr Jürg von Mecklenburg sein Dasein verwünschte, drang bis zu dem Hauptmann Springer, der ingrimmig auf dem Neuen Markt vor einer Abtheilung seines Fähnleins hin- und herschritt, drang bis zu dem Leutnant Adam dem Bamberger, welcher, bleich und verbissen unter der jubelnden Menge in der Schöneneckstraße, grimmhöhnische Blicke nach der glückseligen Regina, die sich mit der Frau Margaretha aus dem Fenster neigte, warf.
In die Freude des Volkes schlug manch' ein feindlich todbringendes Geschoß, aber die Geister waren zu hoch gestimmt, als daß das den Jubel der Stadt hätte dämpfen können.
»Nach dem Rathhaus, nach dem Rathhaus, Markus Horn!« jauchzte man und führte wirklich im Triumphzug den Rottmeister mit dem gewonnenen Panier vor dem Vaterhaus vorüber nach dem Altstadtmarkt. Die Arme streckte aus dem Fenster die weinende Mutter nach dem Sohne aus, in Seligkeit und Wonne schlug das Herz Reginens; die Brust des Rottmeisters drohte fast zu zerspringen vor innerer Bewegung. Was aber in der Brust Adams vorging, das ist nicht zu beschreiben; unter ging im Taumel grenzenloser Eifersucht die Furcht vor dem Rächer der Anna Scheuerin, die drei blutigen Kreuze erloschen in seiner Seele; – vernichtet fühlte er sich, aber fähig fühlte er sich zugleich, in die Vernichtung Alle, Alle, die Jungfrau, den Nebenbuhler, die ganze große Stadt mit hineinzuziehen. Der Blick, welcher zwischen Markus und Regina gewechselt wurde, als Ersterer mit dem eroberten Banner des Hauptmanns Jülicher vor dem Vaterhaus vorbeizog, trieb unwiderstehlich, unwiderruflich den Leutnant Adam in sein Verhängniß. Zur Seite stieß er wild die Weiber, die Kinder, die ihm den Weg versperrten, gleichgiltig trat er auf die Brust einer im Tumult zu Boden geworfenen alten Frau, seinen Weg bahnte er sich, nur ein Ziel vor den Augen.
Währenddem hatte sich der Altstadtmarkt vollständig mit der zuströmenden Menge gefüllt. Aus den Fenstern des Rathhauses, aus den Fenstern aller umliegenden Gebäude blickte man aus ein wogend Meer von Köpfen in Sturmhauben, bunten Baretten, Weiberhauben, auf ein blitzend Meer von Speerspitzen, Büchsenläufen, Fahnen und Fähnlein.
Als nun die Bürgermeister mit dem Kriegsobersten Ebeling Alemann, dem Grafen von Mansfeld und andern Herren auf der Laube des Rathhauses erschienen und in ihrer Mitte dann Markus Horn mit dem Banner des gefürchteten Hauptmanns Jülicher, da übertönte das Jauchzen weit und laut das Geschrei im Felde vor der Stadt. Und als man den Gewinn dieses sonnigen Frühlingsmorgens überschlug, da konnte man wohl zufrieden damit sein. Fast die Hälfte der feindlichen Schanzgräber und Knechte lag erstochen in der neuen Schanze oder auf dem Feld, einhundertfünfzig versuchte Kriegsleute brachte man gefangen in die Stadt, und war darunter manch' Einer, der in der Schlacht an der Ohre mit Victoria geschrien hatte.
Unter dem Jubelruf vom Stadtmarkt her trat der Rathmann Ludolf Horn wieder in sein Haus und still in das Gemach, wo Frau Margaretha und Jungfrau Regina noch immer wortlos einander in den Armen lagen.
Beim Eintritt des Rathmanns fiel die Matrone diesem sogleich um den Hals und schluchzte:
»O Ludolf, siehst Du nun, wie Dein Kind sein Bestes für die Stadt thut? Willst Du ihn noch nicht ganz und gar wieder an Dein Herz nehmen?«
»Was willst Du, Alte?« sagte der Greis. »Daß mein Sohn ein tapferer Kriegsmann ist, hab' ich schon vor dem Scharmützel dieses Morgens gewußt. Was verlangst Du, thörichte Mutter? Darf Dein Sohn hier nicht frei ein- und ausgehen? Hab' ich mich nicht Dir gefügt? Aber glückliche Kriegsthaten rücken den ungehorsamen Sohn meinem Herzen um keinen Schritt näher.«
»Du harter. Du ungerechter Mann!« rief die Frau. »Wehe Dir, wenn Du gerichtet werden solltest, wie Du richtest.«
»Schweig', Weib, und achte auf das, was Dir vor der Nase liegt. Was wird Regina so bleich? Was fehlt der Jungfer Lottherin?«
Frau Margaretha nahm die Jungfrau in die Arme:
»Deinen Sohn hat sie lieb, Ludolf Horn, und Dein Sohn hat wieder sein Herz auf sie gestellt. Was hat Markus gesündigt gegen Dich im Vergleich zu dem, was er dem Mutterherzen, was er diesem Kind angethan hat? Willst Du nicht verzeihen, wenn wir verziehen haben?«
Starr stand der Rathmann da; wechselnd blickte er von seiner Frau auf das weinende junge Mädchen.
»Ist das wahr, Jungfer Lottherin? Ihr liebt den Rottmeister Markus?« rief er staunend und zweifelnd, und statt aller Antwort stürzte Regina zu seinen Füßen nieder und bedeckte seine Hände mit Küssen und heißen Thränen.
»Vergebt Eurem Markus, meinem armen Markus!« rief sie dann. »Nehmet ihn wieder auf in Eurem Herzen! O wenn Ihr wüßtet, was der arme Markus thun würde um Eurer Liebe willen!«
»Und weiß Euer Vater, Jungfer Lottherin, Euer Vater, der Eure Hand dem Leutnant Adam Schwartze zugesagt hat, daß Ihr also Eure Gunst verschwendet habt an einen andern Mann?«
Auf sprang die Jungfrau, und ihre eben so bleichen Wangen glühten in lichtem Roth, ihre Augen funkelten, und hochathmend rief sie:
»Nimmer wird mein Vater das Verderben seines Kindes wollen. Nimmer wird mich Jener zum Altar führen! Wehe jeder Menschenseele, die in die Macht und Gewalt dieses Mannes gegeben wird!«
»Sagt das Eurem Vater selbst, Regina, da kommt er eben«, sprach der Rathmann.
Die Hände geschwärzt vom Hantieren mit der Munition beim Geschütz auf der Mauer, mit mehr als einem Loch in Wamms und Hosen; aber begeistert und selig sprang der alte tapfere Buchdrucker, welcher den mecklenburg'schen Hellebardenschlag vollständig überwunden hatte, in das Gemach.
»Das ist ein Leben! Das ist 'ne Lust! Vivat, vivat! Alle heran für unseres Hergotts Canzlei. Vivat, Rathmann, vivat Frau Gretchen, vivat Regina! Herunter mit Allen, so die Hand ausstrecken nach der Magdeburgschen Jungfer Kränzlein. Ein Prachtkerl ist Euer Junge, Nachbar Ludolf, und die Ehrenkette, so mein Urgroßvater im großen Aufruhr des Schusters Gerke von der Heide Anno Christi Vierzehnhundertundzwei erwarb, will ich ihm in meinem Testament vermachen. Vivat allen wackern Herzen, und dreimal vivat Eurem Jungen, Nachbar Horn!«
»Laßt einmal Euer Geschrei und beruhigt Euch, Nachbar Lotther«, sagte der Rathmann. »Hier Euer Töchterlein hat Euch eine andere Historie zu erzählen, worin dieser Markus Horn ebenfalls vorkommt. Rede nun, Mädchen.«
Vor die erröthende und erbleichende Jungfrau stellte sich zürnend die Matrone.
»Ich will für meine Regina, meine Tochter reden!« rief sie. »Nachbar Lotther, Euer Kind und das meinige lieben einander. Lange hatte sie die wüste, wilde Zeit voneinander gerissen; aber die wüste, wilde Zeit hat sie auch wieder zusammengeführt. Wollt Ihr nun –«
Das Wort blieb der Frau im Munde stecken; der Buchdrucker Michael Lotther, der tapfere Vertheidiger von unseres Herrn Gottes Canzlei, der Intimus aller groben und feinen, bissigen und scharffedrigen Streithähne, gebehrdete sich zu verrückt bei dieser unvermutheten Nachricht. Es war für ein großes Wunder zu nehmen, daß er sich nicht auf den Kopf stellte. Auf einen Stuhl sprang der kleine Mann wenigstens und krähete seinen Jubel hell in die Welt hinaus. Dann faßte er im Herunterspringen erst die Frau Margaretha, dann sein Töchterlein beim Kopf und küßte Beide herzhaft ab; dann rannte er wie ein Besessener im Zimmer umher, stolperte über Schemel und Stühle und stieß einen Tisch um; bis er von dem ernsten Rathmann bei den Schultern gepackt und in einen Lehnstuhl niedergedrückt wurde.
An den Schultern den heißblütigen Nachbar festhaltend, schrie der Rathmann ihm in's Ohr:
»Mann, Mann, kommt zur Besinnung. Halt – bleibt sitzen, – habt Ihr nicht Eurem Vetter, dem städtischen Leutnant, Herrn Adam Schwartze, Eurem Vetter aus Franken, Euer Kind Regina Lottherin zum ehrlichen, ehelichen Weibe zugesagt? Antwortet, – aber ruhig, ohne Gezappel mit Händen und Füßen! Antwortet, und starrt mich nicht so an! ... Werdet Ihr toll, Mann?«
Schlaff waren dem Buchdrucker die Arme am Leibe herabgesunken, mit offenem Munde, mit weiten verblüfften Augen blickte er auf den Rathmann.
»Wohl, wohl ... nein, nein!« stammelte er. »Ja – nein – nicht zugesagt – nicht fest versprochen.«
»O Vater! Vater!« schluchzte Regina.
»Sie will ihn auch nicht, Nachbar, und nimmer werdet Ihr doch Eure Tochter zwingen, ihre Hand Einem zu geben, den sie haßt, den sie verachtet!« rief die Frau Margaretha.
»Schweigt, Ihr Weiber!« sprach der Rathmann. »Nachbar Lotther, besinnt Euch; habt Ihr dem Leutnant Adam Schwartze gestattet, um Eure Tochter zu werben?«
»Laßt mich los! Laßt mich frei! Hilfe, Markus! Zu Hilfe, Markus! Laßt mich frei, ich ersticke, Nachbar!« schrie der Buchdrucker. »Wohl hab' ich's ihm gestattet – einen Kriegsmann wollt' ich zum Schwiegersohn haben, und Euer Sohn war leidergotts durchgebrannt und in der weiten Welt, der wackere Jung' – der Satansbube – der Dummkopf. Laßt mich hinaus, ich ersticke; – Reginchen, nimm, welchen Du willst; aber in Deiner Stell' nahm' ich den Mark – den Esel, der mich hier in der Patsche stecken läßt und nie da zu finden ist, wo er sein sollte. Gottes Tod, Nachbar, was hat der Vetter aus Franken, der Adam, der faule Adam, ausgeführt für die Stadt? Hat er mich nicht stecken lassen im dicksten Brei bei Hillersleben. Wer hat mich da gerettet? Der Markus! Wer hat mir aus dem Scharmützel um Sanct Michael meines Urgroßvaters Ehrenkette heimgebracht? Markus Horn! Wer ist überall voran gewesen, während mein liebster Vetter hinter dem Ofen hockte? Markus Horn! Wer hat heut' den Vogel abgeschossen, die Schanze gewonnen, dem Jülicher das Fähnlein genommen, den Fähnrich bei dem Barte durch's Feld gezogen? Immer wieder Markus Horn. Nimm wen Du willst, Reginchen; aber nimm den Markus. Himmeltausend blutige Hagelwetter, da möcht' man sich ja das Fell vom Leibe fluchen. Laßt mich hinaus, aber ich sage Dir, Mädchen, ich an Deiner Stelle nähme unsern glorreichen Nachbarsjungen, den Markus, und nicht den Vetter aus Franken, den Adam!«
»Und weshalb versagt Ihr dem Adam Schwartze nunmehr die Hand Eurer Tochter?« fragte eine klanglose Stimme, und erschreckt blickten Alle auf und um. In der offenen Thür des Gemaches stand des Springers Leutnant.
Mit lautem Aufschrei klammerte sich Regina an die Frau Margaretha. Auch der Rathmann erschrak heftig über das Aussehen Adam's. Mit einem gewissen verzweifelten Hohne blickte dieser im Kreis der Anwesenden umher, langsam schritt er sodann auf den Buchdrucker zu; zog den Handschuh von der abgemagerten Rechten und streckte sie dem Meister Michael dar:
»Ausgenommen habt Ihr mich in Euer Haus und behandelt habt Ihr mich gleich einem Sohn. Mit Worten und Winken habt Ihr mir den schönsten Preis des Lebens gezeigt. Schuld seid Ihr, daß mein Herz gefangen und gefesselt ist. Was ich thun konnte, würdig zu werden des Gewinnes, den Ihr mir so nahe zeigtet und vor die Augen hieltet, hab' ich redlich gethan; aber das Glück ist einem Andern günstiger gewesen, hat einen Andern in Eurer Gunst erhoben und mich erniedriget. Wollt Ihr mich nun entgelten lassen, was das Glück sündigte? Nun, gebt mir Antwort in diesem selbigen Augenblick; hier warte ich auf Antwort, Meister Michael Lotther, und bitte Euch herzlich, verweigert mir nicht, was Ihr zugesagt habt noch vor wenigen Wochen, Tagen! Gebt mir die Hand Eurer Tochter, gebt mir Regina; mein Herzblut will ich vergießen für sie und Euch.«
Niemals noch hatte die böseste Leidenschaft unter solcher Maske gesprochen. Seine ganze Kraft und Macht hatte der Bamberger seit einer halben Stunde wiedergewonnen. Jedes Wort, jeden Tonfall der Stimme, jede Bewegung hatte er vollständig in seiner Gewalt. Klar wußte er, was er wollte; die zweifelnde, schreckliche Thatlosigkeit der letzten Wochen und Monde war verschwunden, Adam Schwartze schüttelte die Würfel in seiner Hand und sie zitterte nicht mehr dabei. Nachdem Markus Horn mit dem Banner des Hauptmanns Jülicher durch die Schöneeckstraße geschritten war, und Adam den Blick Reginens aufgefangen hatte, war der Leutnant nach dem Domplatz gestürzt und hatte daselbst dem Hauptmann einige Worte zugeflüstert; dann war er zur Frau Johanna hinter den Barfüßern geeilt und hatte mit ihr eine kurze Unterredung gehabt. Hin und her in der Stadt schritt nun Hans Springer und gab manchem Mann einen geheimen Wink, auf und ab in ihrem Gemache schritt die Frau Johanna und summte einen Kriegsmarsch und lachte öfters leise vor sich hin.
Wieder hatte es den Leutnant nach der Schöneeckstraße zurückgetrieben. Wieder einmal waren die bösen Geister recht geschäftig in der Canzlei unseres lieben Hergottes, und – – Adam Schwartze hatte sich, auf Antwort wartend, vor dem Buchdrucker Michael Lotther und der schönen Regina auf ein Knie niedergelassen.
Die Würfel warf der Leutnant; aber nicht den Königswurf traf er; die drei rothen Kreuze leuchteten blutiger als je vor ihm auf: das Verhängniß ging in Erfüllung über Adam Schwartze, vollstreckt ward der Richterspruch; und die auf eines hochweisen Rathes von Ulm gesprochenes Urtheil ersäufte Anna Josepha Scheuerin zog den Bamberger hinunter zu den Todten. –
»So antwortet doch dem Herrn, Eurem Vetter!« rief der Rathmann Horn. »Wahrheit ist in seinen Worten. Zeuge bin ich, daß Ihr also gehandelt und gesprochen habt, wie er eben sagt. Von seinem Wort soll ein rechter Christ und Mann nicht weichen. Antwortet Eurem Vetter, Meister Michael Lotther.«
Rathlos, verstört blickte der Buchdrucker im Kreis umher; dann sprang er mit einem Mal auf seine Tochter zu, faßte ihren Arm, zog sie vor den Leutnant, der sich wieder von seinem Knie erhoben hatte, und schrie ihr mit gellender, kläglicher Stimme zu:
»Willst Du ihn? Willst Du ihn?«
Ein Schauder überlief den ganzen Leib der Jungfrau; vor dem Blicke ihres Auges wich Adam Schwartze drei Schritte zurück. In ihren Busen griff Regina Lottherin, zog ein Papier hervor und reichte es dem Leutnant. Dieser griff danach, überflog es, wankte einen Augenblick auf den Füßen und schlug dann schwer zu Boden.
Ein Schrei des Entsetzens ging durch das Gemach. Aufgriff der Rathmann das zerknitterte Blättchen:
»Ist das mit Blut geschrieben?« murmelte er, und las dann, während alle Anwesenden mit Grauen horchten, und die Frau Margaretha neben dem bewußtlosen Adam kniete:
»Vor Gottes Canzlei und Richterstuhl lädt der Scheuerin Mörder Adam Schwartzen von Bamberg
† † †
alias Andreas Kritzmann,
im Sterben auf Sanct Jakobsthurm
zu Magdeburg.«